Skip to main content

Die beiden folgenden Abschnitte sind Abschriften dieser Artikel:

Rudolf Lantzsch: Ein Berliner und deutsches Zeitungsjubiläum. Zum 125jähr. Jubiläum des Deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers. In: Das Deutsche Druckgewerbe. Jg. 2. Berlin, Frankfurt/M. 1944, Nr. 1, S. 12, 14, 16; Nr. 2, S. 42, 44

Ein Berliner und deutsches Zeitungsjubiläum

Zum 125jährigen Bestehen des Deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers

In dem Zeitraum von 1722 bis 1848 sind in
Berlin zehn Zeitungsgründungen erfolgt. Von
diesen Zeitungen besteht allein noch der Deut-
sche Reichsanzeiger und Preußische Staats-
anzeiger, der am 2. Januar 1944 auf sein 125jäh-
riges Bestehen zurückblicken konnte. Am
2. Januar 1819 wurde in Berlin das 1. Stück der
„Allgemeinen Preußischen Staatszeitung“ heraus-
gegeben, aus der der Deutsche Reichsanzeiger
und Preußische Staatsanzeiger hervorgegangen
ist. Damals bestanden in Berlin nur zwei Zei-
tungen: die „Königlich privilegierte Berlinische
Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“, die
vor einer Reihe von Jahren eingegangene
„Vossische Zeitung“, und die „Berlinische Nach-
richten von Staats- und Gelehrten Sachen“, die
im Jahre 1874 eingegangene „Haude- und
Spenersche Zeitung“.

In der Geschichte der Zeitung sind zwei große
Abschnitte festzustellen. Im ersten Abschnitt,
der bis zum Jahre 1853 reicht, wurde versucht,
das Blatt als eine rein politische Zeitung aufzu-
ziehen. Dieser Versuch scheiterte, weil sich das
Ziel, das amtliche Organ zu einer politischen
Zeitung im Sinne der privaten Tagespresse zu
gestalten, nicht mit dem Charakter der Zeitung
als amtlichem Publikationsorgan vereinen ließ.
Der zweite Abschnitt hat der Zeitung das Ge-
präge gegeben, das sie im wesentlichen noch
heute trägt: Sie ist namentlich durch die neuzeit-
liche Entwicklung der Volkswirtschaft, die in den
60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren
Anfang nahm, in wachsendem Maße zu einem
Zentralorgan von Handel, Gewerbe und Indu-
strie geworden.

Der Gedanke der Gründung eines Organs, das
die Politik der Staatsregierung wirksam vertreten
sollte, war schon seit Jahren im Staatskanzler,
Fürsten von Hardenberg, lebendig gewesen.
Nachdem zuletzt Varnhagen von Ense im Jahre
1815 das Projekt einer offiziellen Staatszeitung in
einer Denkschrift behandelt hatte, schien Har-
denberg drei Jahre später die Zeit zur Verwirk-
lichung gekommen. Am 5. Oktober 1818 teilte
Hardenberg seinem Mitarbeiter, dem Geheimen
Staatsrat von Staegemann, seine Absicht mit, ein
amtliches Organ herauszugeben, das „bei der
Mangelhaftigkeit der beiden Berliner Zeitungen
… die Regierung hauptsächlich als Organ zur
Belehrung des Publikums und zur Berichtigung
seines Urteils über innere Verhältnisse benützen
könnte“. In einem Gutachten, das Staegemann
daraufhin abgab, wurde die Frage bejaht, daß die
Privilegien der beiden Berliner Zeitungen der
Gründung einer dritten Zeitung nicht entgegen-
ständen, und des weiteren Zweck und Organi-
sation der Staatszeitung im einzelnen ausgeführt.
Noch während des Aachener Kongresses erteilte
König Friedrich Wilhelm III. in einer Kabinetts-
ordre vom 19. November 1818 seine Zustim-
mung zur Herausgabe der neuen Zeitung und
genehmigte, daß die obere Redaktion dem Ge-
heimen Staatsrat von Staegemann übertragen
wurde.

Staegemann, der nach einem Briefe an seinen
Freund Varnhagen wenig erbaut von seiner
neuen Aufgabe war, war ein kenntnisreicher und
geschickter Mann, der Hardenberg auf dessen
diplomatischen Reisen begleitet hatte und mit
seinen Ansichten wohl vertraut war. Er verstand
es, die neue Zeitung, die zunächst zweimal
wöchentlich im Klein-Folio-Format ohne An-
zeigen zum Preise von jährlich 5 Talern er-
schien — den Druck besorgte der Buchhändler
Reimer —, interessant zu gestalten, sie durch
volkswirtschaftliche Beiträge und Berichte aus
dem Auslande zu beleben und in ihr eine geist-
volle, sachlich bleibende Polemik zu treiben.
Leider sah sich Staegemann schon im Jahre 1820
veranlaßt, die Redaktion niederzulegen. Unter
seinem Nachfolger, dem Geheimen Hofrat Heun,
unter dem Schriftstellernamen H. Clauren be-
kannt, setzten die bereits angedeuteten Schwie-
rigkeiten ein, unter denen das amtliche Blatt bis
zum Abschluß der ersten Periode seines Be-
stehens in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in
besonderem Maße zu leiden hatte. Die schwie-
riger werdenden innerpolitischen Verhältnisse —
es sei hier nur auf die Wirksamkeit der Karls-
bader Beschlüsse hingewiesen — trugen das ihre
dazu bei. Heun, der während der Freiheits-
kriege die „Preußische Feldzeitung“ redigiert
hatte, enttäuschte zudem persönlich bald die
Erwartungen, die Hardenberg auf ihn gesetzt
hatte, und nach dem Tode des Staatskanzlers
wurde innerhalb des Staatsministeriums über
die Frage des Eingehens der Staatszeitung
beraten. In der Kabinettsordre vom 12. Januar
1823 lehnte der König indes den Antrag ab, die
Zeitung eingehen zu lassen und unterstellte sie
im April des gleichen Jahres der Oberaufsicht
des Ministeriums der auswärtigen Angelegen-
heiten, unter der sie 20 Jahre verblieb. Zugleich
wurde durch einen neuerlichen Wechsel in der
Redaktion, in die der früher bei Goethe be-
schäftigte, von ihm aber wenig günstig beurteilte
Dr. Karl Ernst John berufen wurde, eine Wen-
dung zum Besseren zu erreichen versucht. In-
zwischen war die Staatszeitung zur täglichen Er-
scheinungsweise übergegangen; Druck und Ver-
trieb hatte der Buchhändler Vetter (Mauer´sche
Buchhandlung) übernommen. Unter John sank
das Niveau der Zeitung auf den tiefsten Stand.
Vetter hatte infolge der andauernden Abwärts-
entwicklung der Auflage, die 1823 noch über
2300 Exemplare, 1826 jedoch nur noch etwas
über 1000 Exemplare betrug, so große Verluste,
daß er den Verlagsvertrag kündigen mußte. Von
Anfang 1828 ab bis heute erscheint die Zeitung
auf Kosten und Rechnung des Staates.

Die Verhältnisse hatten sich derart zugespitzt,
daß etwas Durchgreifendes geschehen mußte.
Das Staatsministerium beschloß auf Antrag des
Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, daß
die Redaktion viel stärker als bisher von den
einzelnen Ministerien unterstützt und mit
Material versorgt werden müßte und daß alle
Ministerien einen Rat mit der Durchführung
dieser Aufgabe beauftragen sollten.

In Verfolg dieses Beschlusses wurde der vom
Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten
bezeichnete Geheime Legationsrat Philipsborn
erstmalig mit dem Amte eines Kurators der
Staatszeitung betraut. Damit trat ein völliger
Umschwung der Lage zum Guten ein. Der In-
halt der Zeitung wurde so reichhaltig und aktuell,
daß sie in die vorderste Linie aller deutschen
Zeitungen rückte und auch im Ausland große
Beachtung fand. Ende 1831 erreichte die Auf-
lage mit 8684 ihren höchsten bis dahin erreichten
Stand, wobei vergleichsweise bemerkt sei, daß
für 1831 die Gesamtauflage aller in Preußen her-
ausgegebenen Zeitungen knapp 46000 betrug.
Mitarbeiter von Rang, wie Leopold von Ranke,
Hegel, Friedrich von Raumer und besonders
auch Prof. I. G. Hoffmann, der Begründer des
Statistischen Büros, waren gewonnen worden
und prägten das geistige Gesicht der Zeitung. In
dieser Zeit wurde der Inhalt der Zeitung auch
durch Beilagen bereichert; so erschienen ab 1829
der „Allgemeine Anzeiger für die Preußischen
Staaten“ und auf Anregung Alexander von Hum-
boldts das „Magazin für die Literatur des Aus-
landes“, das dreimal wöchentlich beigelegt
wurde, nach 11 Jahren aber von der Staatszeitung
abgetrennt und dem Redakteur Lehmann als
persönliches Eigentum überlassen wurde.

Die Entwicklung der politischen Verhältnisse
nach 1830 übte indes in steigendem Maße einen
hemmenden Einfluß auf die Leitung der Re-
daktion aus. Beschwerden, auch von seiten des
Königs, blieben nicht aus, und die Auflage sank
langsam aber stetig. Die Schwierigkeit der Auf-
gabe, das offizielle Blatt innerhalb der durch die
Zensurvorschriften gezogenen Grenzen zu halten
und zugleich die Zeitung journalistisch so wirk-
sam zu gestalten, daß sie sich in dieser Hinsicht
gegenüber der wachsenden Rührigkeit der pri-
vaten Presse behaupten konnte, trat im Laufe der
Zeit immer stärker hervor. Die Suche nach dem
„fähigen Redakteur“ beherrschte in den fol-
genden Jahren die Lage. Die Frage einer
Reorganisation der Staatszeitung bildete mehr-
fach Beratungsgegenstand des Staatsministeriums,
und auch der König sprach die Erwartung aus,
daß einmal „ernstlich Hand an die Sache gelegt
und es nicht bei bloßen Veranstaltungen, die zu
keinem Ende kommen, gelassen“ werde. Nach
einem vergeblichen Versuch, Leopold von Ranke
für die Uebernahme der hauptamtlichen Re-
daktion zu gewinnen, und nach einigen absoluten
Mißgriffen in der Besetzung der Redaktion —
Philipsborn war inzwischen von der Kuratel ent-
bunden worden — wurde ab 1841 auf Empfeh-
lung Rankes der Altenburger Prof. Dr. Zinkeisen
für das Amt des Redakteurs verpflichtet. Seine
ein Jahrzehnt währende Wirksamkeit fiel vor-
nehmlich in die bewegte Zeit des Vormärz. Die
Entwicklung der innerpolitischen Verhältnisse
und die Handhabung der Zensur verhinderten
es, daß den ehrlichen Bemühungen Zinkeisens
und des Kurators von Usedom um eine Hebung
sowohl des Niveaus als auch der Auflage ein
nachhaltiger Erfolg beschieden war. Bei dieser
Sachlage, die wiederum die Frage des Eingehens
der Staatszeitung, auch wegen der dauernden
hohen Zuschüsse, akut werden ließ, entschloß
sich das Staatsministerium nach eingehenden
Beratungen, dem Blatt den offiziellen Charakter
zu nehmen und es in ein offiziöses, äußerlich
scheinbar unabhängiges Organ umzuwandeln.
Dieses Experiment, mit dem zugleich 1843 eine
Änderung des Titels in „Allgemeine Preußische
Zeitung“ verbunden war, scheiterte, weil es die
inneren Schwierigkeiten des Problems verkannte.
Das Abonnement sank bis zum Jahre 1846 auf
2309 Exemplare. Bezeichnend für die Verhält-
nisse war die Feststellung des Oberst-Lieute-
nants Schulz in seinem Antrag auf Abberufung
von seinem Kurator-Amte im September 1845:
die Lage des Kurators sei eine wahrhaft un-
erträgliche infolge der falschen Stellung des
Blattes, das dem Publikum gegenüber als un-
abhängig gelten solle, aber doch nach allen Rich-
tungen gefesselt bleibe und der peinlichsten
Überwachung und Rüge unterliege.

Die Erwägungen über eine durchgreifende
Reform, deren Notwendigkeit niemand verkannte
— der König hatte sogar mit der Entziehung der
Zuschüsse gedroht —, waren noch nicht abge-
schlossen, als die Ereignisse des Sturmjahres 1848
eine neue Lage schufen. Die Berliner Revolutio-
näre hatten Anstoß an einem Bericht der Zeitung
über die „beklagenswerten, durch einen un-
glücklichen Zufall veranlaßten Unruhen“ ge-
nommen, waren gewaltsam in die Redaktions-
räume eingedrungen und hatten Zinkeisen in
seiner Wohnung bedroht. Er mußte vorüber-
gehend mit seiner Familie Berlin verlassen. Die
Wandlung Preußens zum Verfassungsstaat und
der Fortfall der Zensur hatten nun auch zur
Folge, daß die „Allgemeine Preußische Zeitung“
ihre Tarnung aufgeben mußte und ihren Cha-
rakter als offizielles Organ der Regierung wieder
äußerlich kenntlich machte. Am 1. Mai 1848
erschien sie unter dem neuen Titel „Preußischer
Staats-Anzeiger“ und kündigte in ihrer ersten
Ausgabe an, daß sie außer den amtlichen Be-
kanntmachungen und Erlassen im nichtamtlichen
Teil fortlaufend tatsächliche Berichte über die
Tagespolitik, Kammer-Verhandlungen usw.
bringen und der Behandlung der Handels- und
Börsenverhältnisse sowie von Kunst und Wissen-
schaft besondere Abschnitte widmen würde.
Bald stellte es sich heraus, daß auch diese Um-
organisation nicht vermochte, die Stellung des
Blattes zu festigen. Eine Verschärfung der Preß-
gesetzgebung als Folge des Rückschlags der
nationalen Bewegung wirkte sich hemmend auch
auf den Staats-Anzeiger aus. Unter dem Einfluß
des Leiters der inzwischen gegründeten Zentral-
stelle für Preßangelegenheiten, Dr. Quehl, ent-
schloß sich daher der Ministerpräsident Freiherr
von Manteuffel zu einem letzten Versuch der
Reorganisation des Blattes im alten Stile. Der
Staats-Anzeiger als solcher sollte auf ein Zentral-
organ für amtliche Bekanntmachungen be-
schränkt, die politische Zielsetzung aber dadurch
weiter verfolgt werden, daß er in Verbindung mit
einer neuen offiziösen Zeitung, der „Preußischen
(Adler-) Zeitung“ herausgegeben würde. Der
Plan wurde vom Juli 1851 ab verwirklicht. Dem
nunmehr „Königlich Preußischen Staats-Anzei-
ger“ mit der Bestimmung eines Zentralorgans für
amtliche Nachrichten wurde als Beilage die
„Preußische (Adler-) Zeitung” beigefügt. Diese
Zeitung konnte nur in Verbindung mit dem
Staats-Anzeiger bezogen werden, jedoch war der
alleinige Bezug des Staats-Anzeigers auch weiter-
hin möglich. Auch diesem letzten Experiment
blieb der Erfolg versagt. Die Leserzahl der
„Preußischen (Adler-) Zeitung“ ging in den zwei
Jahren ihres Bestehens um die Hälfte zurück; die
verlorenen Zuschüsse wuchsen an. So wurde be-
schlossen, die Zeitung mit dem 1. Juli 1853 ein-
zustellen und gleichzeitig im Staats-Anzeiger
einen „Nichtamtlichen Teil“ zu schaffen, in dem
„nur thatsächliche und verbürgte Nachrichten
Aufnahme finden“ sollten. Daneben sollten
handelspolitische Mitteilungen gebracht und die
statistische Berichterstattung gepflegt werden.

Mit dieser grundsätzlichen Entscheidung
wurde der Schlußstrich unter den ersten 34jäh-
rigen Abschnitt in der Geschichte des amtlichen
Organs gezogen. Trotz erheblicher materieller
Opfer, die für diese Periode mit über 150 000 Ta-
lern verlorener Zuschüsse errechnet werden, und
trotz des starken Aufwandes geistiger Kräfte war
unter den damals gegebenen innerpolitischen
Voraussetzungen der Versuch gescheitert, das
amtliche Publikationsorgan zugleich als politische
Tageszeitung aufzuziehen. Dennoch muß fest-
gestellt werden, daß der Staats-Anzeiger, wenn
sich auch die bei seiner Gründung in politischer
Hinsicht gehegten Erwartungen nur in geringem
Maße erfüllt haben, auf den Gebieten von
Wissenschaft, Volkswirtschaft und Verwaltung
auf das geistige Leben unseres Vaterlandes be-
fruchtend gewirkt hat. (Ein abschließender
Artikel folgt in der nächsten Nr.) Rudolf Lantzsch.

Ein Berliner und deutsches Zeitungsjubiläum

Zum 125 jährigen Bestehen des Deutschen Reichsanzeigers und Preußischen Staatsanzeigers¹)

¹) Vgl. den ersten Aufsatz in Nr. 1/44 12ff. dieser Zeitschrift.

Mit der am 1. Juli 1853 erfolgten Umwand-
lung des Preußischen Staats-Anzeigers in den
„Königlich Preußischen Staats-Anzeiger“ setzte
der zweite große Abschnitt in der Wirksamkeit
des Organs ein. Er prägte dem amtlichen Blatt
die Züge auf, die es im wesentlichen noch heute
trägt, und ist durch zwei Merkmale gekennzeich-
net: durch den Verzicht auf die Gestaltung des
Blattes zu einer politischen Tageszeitung im
Sinne der privaten politischen Tagespresse und
zum andern durch die Betonung des sachlichen
Charakters des Blattes als amtlichen Publika-
tionsorgans unter Pflege eines nichtamtlichen
redaktionellen Teils mit Nachrichten referieren-
der Natur. Die neuzeitliche Entwicklung der
Volkswirtschaft, deren Anfänge in den sechziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts lagen, wirkte
sich im Zusammenhang mit dem Ausbau der
handelsrechtlichen Gesetzgebung entscheidend
auf den Staatsanzeiger aus; in wachsendem
Maße trat an die Stelle der politischen die wirt-
schaftspolitische Ausrichtung. Daneben wurde
durch Beilagen verschiedener Art der Inhalt des
amtlichen Blattes bereichert. So wurde in den
Jahren 1860-1866 die „Zeitschrift des K. Preu-
ßischen Statistischen Bureau“ dem Staatsanzei-
ger beigelegt, im Anschluß daran wissenschaft-
liche Wochenbeilagen statistischen, wirtschafts-
politischen, geschichtlichen, literarischen und
allgemein wissenschaftlichen Inhalts, die bis
zum Jahre 1877 gesondert in „Vierteljahrs-
heften“ zusammengefaßt wurden und z. T. so-
gar in Broschürenform in englischer und fran-
zösischer Sprache erschienen. Als Ausbau und
Ergänzung der Vierteljahreshefte wurden 1873
— allerdings nur auf die Dauer von drei Jahren
— die „Deutschen Monatshefte“ geschaffen die
ein Archiv der deutschen Volks- und Landes-
kunde darstellten und hervorragende Mitarbeiter
hatten. In späterer Zeit (1880–1898) sind vor
allem noch die in besonderen Beilagen veröffent-
lichten „Entscheidungen des Reichsgerichts“
hervorzuheben.

Die Einführung der zuerst erwähnten wissen-
schaftlichen Beilagen war dadurch erleichtert
worden, daß sich Ende der 5oer Jahre in der
Ertragslage eine Wendung abzuzeichnen be-
gann. Die Insertionsgebühren — 1852 nur
5605 Thaler — ergaben 1860 8346 Thaler und
1867 bereits 23 706 Thaler. Aber erst vom
Jahre 1877 ab wurden regelmäßige und wach-
sende Überschüsse erzielt. Bis dahin hatten die
Kosten der wissenschaftlichen Beilagen die Ein-
nahmen aufgezehrt und bis 1871, dem Zeit-
punkt der Umwandlung des Staatsanzeigers in
den Reichsanzeiger, mit Ausnahme von drei
Jahren Zuschüsse erforderlich gemacht. So
führte die Bewertung der finanziellen Gesichts-
punkte Ende der 70er Jahre mit dazu, die die
allgemeinen Wissenschaften fördernden Bei-
lagen einzustellen bzw. stark zu beschränken,
um sich dann dem wirtschaftlichen Aufschwung
entsprechend dem Ausbau des Handels- und Bör-
senteils intensiver zu widmen. Die schon 1873
eingeführte Börsenbeilage nahm von April 1888
ab täglich einen ganzen Bogen ein. Das „Zen-
tralhandelsregister für das Deutsche Reich“
besteht seit 1875; es war bis vor kurzem noch
als einzige Beilage gesondert beziehbar.

Mit dieser Darstellung ist die Entwicklung des
Staatsanzeigers in der Ära Bismarck teilweise be-
reits vorweggenommen. In ihr begann die poli-
tische Erneuerung Preußens. Sie wirkte sich
auch auf die Stellung des amtlichen Organs aus
im Sinne einer inneren Konsolidierung und des
organischen Hineinwachsens in größere Auf-
gaben. Über Bismarcks Stellung zur Presse und
seine Pressepolitik besteht eine eigene Fach-
literatur. Hier sei nur über das Verhältnis Bis-
marcks zum Staatsanzeiger vermerkt, daß er
stets ein reges Interesse an der Entwicklung und
inneren Organisation des Blattes gezeigt hat, das
sich gelegentlich zu präzisen Verfügungen ver-
dichtete. An der grundsätzlichen, seit 1853 ein-
gehaltenen Linie ließ er keine Änderung zu und
hat alle Anregungen abgelehnt, das Aufgaben-
gebiet des amtlichen Organs nach der politischen
Seite zu erweitern. Das schloß nicht aus, daß er
den Staatsanzeiger in Fällen von Bedeutung zu
Erklärungen der Staatsregierung und zu Berich-
tigungen von Behauptungen oppositioneller
Blätter benutzte. Auch die von ihm Ende 1881
verfügte neue Rubrik „Zeitungsstimmen“ mit
einer Zusammenstellung von Pressestimmen, die
der Regierungspolitik günstig waren, verließ
nicht den Grundsatz des referierenden Charak-
ters des redaktionellen Teils des Staatsanzeigers.

Die großen Ereignisse jener Zeit, die über die
Feldzüge von 1866 und 1870/71 zur preußischen
Lösung der deutschen Frage und zur Reichs-
gründung in Versailles führten, fanden ihren
Widerhall in den Spalten des Staatsanzeigers.
In ihm wurden nach der Entstehung des Nord-
deutschen Bundes außer den preußischen Ge-
setzen auch die des Bundes verkündet; ebenso
wurden dort jetzt auch die Berichte des Nord-
deutschen Reichstags veröffentlicht. Diese Tat-
sache gab dem Präsidenten des Preußischen
Staatsministeriums Veranlassung, dem Bundes-
kanzleramt vorzuschlagen, den Preußischen
Staatsanzeiger mit einem Deutschen Reichs-
anzeiger zu verbinden. Mit dem Inkrafttreten
der alten Reichsverfassung am 4. Mai 1871
wurde der Plan verwirklicht und dem amtlichen
Organ die neue Bezeichnung „Deutscher Reichs-
anzeiger und Kgl. Preußischer Staatsanzeiger“
verliehen. Ein entscheidender Schritt war mit
dieser Erweiterung des Aufgabenkreises getan.
Der Reichs- und Staatsanzeiger wurde damit
neben einem preußischen Verkündungsorgan ein
Zentralorgan aller Reichs- und nichtpreußischen
Staatsbehörden in bezug auf Reichsangelegen-
heiten. Zugleich setzten sich im Zusammenhang
mit dem zum Teil stürmische Formen anneh-
menden Wirtschaftsaufschwung und dem Aus-
bau der handelsrechtlichen Reichsgesetzgebung
die schon bisher wirksamen Tendenzen kraftvoll
weiter durch, den Reichs- und Staatsanzeiger
zum zentralen Veröffentlichungsorgan für be-
stimmte gewerbliche Bekanntmachungen auszu-
gestalten. Diese Aufwärtsentwicklung nahm in
den Jahrzehnten bis zum Weltkrieg stetigen
Fortgang. Das Jahresexemplar von 1913 er-
reichte den stattlichen Umfang von 2668 Bogen;
in ihm waren die umfangreiche — 1923 wieder
ausgeschiedene — Patent- und Gebrauchs-
musterbeilage sowie die Warenzeichenbeilage
enthalten. Die in der Fachliteratur in Anlehnung
an das Wort Schopenhauers von der Tages-
zeitung als dem Sekundenzeiger der Welt-
geschichte auf den Reichs- und Staatsanzeiger
angewandte Bezeichnung als „Stundenzeiger der
Unternehmungen“ bestand durchaus zu Recht.

Der Druck des Blattes wurde von der Mitte 1841
bis Ende 1872 von der Decker’schen Geheimen
Ober-Hofbuchdruckerei versehen, aus der die
Reichsdruckerei hervorgegangen ist. Anfang
1873 ging der Druckauftrag an die Norddeutsche
Buchdruckerei- und Verlags-A.-G. über, aus der
sich 1926 die Preußische Druckerei- und Verlags
A.-G. im Besitz des Preußischen Staates ent-
wickelte. 1941 übernahm die Herold Verlagsan-
stalt G.m.b.H. die Aktien der Gesellschaft und
wandelte diese in die Preußische Verlags- und
Druckerei-G.m.b.H. um. Das jetzige, sogenannte
„Berliner Format“ des Blattes gelangte im
Jahre 1872 zur Einführung.

Die Nachkriegszeit, an deren Beginn das Wort
„Königlich“ aus dem Titel verschwand, sah
infolge des völligen Mangels an dem Gefühl für
echte Traditionswerte den redaktionellen Teil
zu großer Dürftigkeit zusammenschrumpfen. Es
blieben die Parlamentsberichte, ein Bild innerer
Zerrissenheit. Aber auch hier brachte die Macht-
übernahme durch den Nationalsozialismus die
Wende. Die nationalsozialistische Revolution
bedeutete nicht nur im politischen Leben, son-
dern auch im wirtschaftlichen Denken und
Handeln einen vollkommenen Umbruch. Als
Stichworte seien hier nur staatliche Wirtschafts-
lenkung und Vierjahresplan genannt. War schon
durch die Schaffung des Großdeutschen Reichs
der äußere Rahmen des Geltungsbereichs des
amtlichen Organs stark erweitert, so war es an-
gesichts der dem gesamten deutschen Volke
durch den Führer gestellten Daueraufgaben
selbstverständlich, daß das staatliche Ver-
kündungsblatt voll in den Dienst der Sache
gestellt wurde. Sein ausgedehnter amtlicher und
der seit 1934 wieder erweiterte redaktionelle Teil
zeugen davon. Die einmalige Stellung, die der
Reichsanzeiger in der Presse Berlins und über-
haupt Deutschlands einnimmt, läßt sich dahin
charakterisieren, daß er die einzige rein staatliche,
im amtlichen Auftrag herausgegebene Tageszeitung
ist. Seine Funktion als Verkündungsorgan von
Rechtsverordnungen des Reichs leitet er gegen-
wärtig aus dem noch in Kraft befindlichen Ge-
setz über die Verkündung von Rechtsverord-
nungen vom 13. Oktober 1923 her, nach dem
— von genau bezeichneten Sonderfällen ab-
gesehen — außer ihm nur das Reichsgesetzblatt
und das Reichsministerialblatt zu Verkündungs-
blättern bestimmt sind. Der Reichsanzeiger
unterliegt übrigens nicht den Bestimmungen des
Werberats der Deutschen Wirtschaft, da in ihm
im Gegensatz zur übrigen Tagespresse keine
private Wirtschaftswerbung enthalten ist. Seine
besondere, schwerlich zu überschätzende Be-
deutung hat jedoch der Reichs- und Staats-
anzeiger jetzt im Kriege dadurch erlangt, daß in
ihm die für die Durchführung der Kriegs- und
Rüstungswirtschaft entscheidenden Anordnun-
gen Oberster Reichsbehörden und der Reichs-
stellen zur Überwachung und Regelung des
Warenverkehrs in großer Zahl verkündet werden.
So spiegelt sich in ihm der gewaltige Kampf
unseres Volkes um Freiheit und Lebensraum.

Die heutige Gestalt des Deutschen Reichs-
anzeigers und Preußischen Staatsanzeigers ist das
Ergebnis einer wechselvollen hundertfünfund-
zwanzigjährigen Geschichte, die hier nur im
groben Umriß gezeichnet werden konnte. Das
siegreiche Ende dieses Krieges und die dann zu
erwartende Reform unseres zersplitterten amt-
lichen Publikationswesens werden einen Groß-
deutschen Reichsanzeiger zu neuen Aufgaben
bereit finden. Rudolf Lantzsch