1920 / 272 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 30 Nov 1920 18:00:01 GMT) scan diff

bautäligkeit während des Krieges, und dadur ist in Deutschland ein Wohnungsmangel von etwa 800 000 Wohnungen festzustellen. Leider hat dieser Fehlbedarf auch nach dem Kriege nit verringert werden fönnen, und zwar aus den verschiedensten Gründen. Einmal haben si infolge der Heiraten die Haushaltungen vetmehrt. Dann ift eine Verschiebung der Bevölkerung innerhalb der Landesgrenzen eingetreten, insbesondere durch die Flüchtlinge in den abgetretenen Gebieten. End- lih hat der natürlide Mehrbedarf von Wohnungen während des Krieges nicht ausgeglichen werden können, weil der Mangel an Bau- stoffen und die Höhe der Baukosten die Aufnahme der Bautätigkeit nachteilig beeinflußt hat.

Die Maßnahtnen nun, die zur Behebung des Notstandes er- griffen worden sind, bewegen sih nach zwei Nichtungen, einmal in der besseren Ausnußung des Wohnraumes durch Teilung oder Zroangs- raticnierung, dann durch Förderung der Bautätigkeit, Was die beffere Crfassung des Wohnraumes anlangt, so find in diefer Beziehung beahtenswerte Erfolge erzielt worden. Soweit si die Erfassung des Wohnraums ohne Beeinträchtigung des Familien- lebens, des Inhabers der Wohnung ermöglichen läßt, dürften Bedenken dagegen niht zu crheben sein. Eine Einschränkung des Wohnungs- luxus kann im allgemeinen in gegenwärtiger Zeit nur als wünschens- wert bezeihnet werden. Es geht niht an, daß in einer Zeit, wo Tausende von Volksgenossên sih vergeblich bemühen, ein Dach über den Kopf zu erhalten, von anderen in dieser Bzeichung ein über- flüssiger Wohnungslurxus getrieben wird. (Abg. Dr. Weyl: Sehr ribtig!)

Das Mittel der Zwangsrationierung ist aber an sh nit wünschenswert, da sie einen Eingriff in die Abgeshlossenheit des Familienlcbens bedeutet. Das Vorgehen der Gemeinden auf diesem Gebiete ijt Leider nicht überall gleichmäßig. Während einige mit Nüesicßtslosigkeiten und Schärfe vorgehen, sind andere in der An- wendung dieses Mittels wiederum zu zaghaft. Die Bestrebungen der Regierung sind darauf gerichtet, durch allgemeine Anordnungen und dur Entscheidungen über einzelne Beshwerden auf eine gleich- mäßigere Anwendung der in Frage kommenden reihsgeseßlihen Vor- {riften hinzuwirken.

Das beste und wirksamste Mittel gegen die Wohnungsnot ist und bleibt die Förderung der Bautätigkeit. Die Re- gierung ist deShalb bestrebt, nah Kräften die Bautätigkeit zu beleben. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind jedoh so ecrheblich, daß es trog besten Willens und eifrigen Bemühens niht nur der Staats- regierung, sondern auch den Gemeindeverwaltungen nit gelungen ift, die Neubautätigkeit genügend zu steigern. Während des Krieges hat die Baustcfferzeugung, soweit sie nicht für den Krieg bestimmt und nötig war, völlig daniedergelegen. Jnfolgedessen war bei KriegSende der Vorrat ershöpft. Die Wiederaufnahme der Produktion wird besonders dur den Mangel an Kohle stark beeinträchtigt. Von ten im Reich vorhandenen Ziegeleien, deren Gesamtheit vor dem Krieg auf eiwa 18 000 geshäßt worden ist, sind gegenwärtig in Preußen und in den übrigen norddeutshen Staaten nur noch ciwa 2500 Zicgeleien im Betriebe, von 150 Zementwerken etwa 100, von 700 Kalkwerken eiwa 500. Diese verminderten Ziffern er- fahren eine weitere Einshränkung dur die wesentlihe Verminderung des Heizwertes der Kohle und die erhebliche Verringerung dés Arbeits» effeftes der Arbeiter. Durch den dadurch eingetretenen Mangel an Baustoffen hat die Bautätigkeit eine empfindlihe Hemmung erfahren. Die Steigerung der Löhne und Materialpreise, die bereits in der zweiten Hälfte des Krieges einseßte, hatte zur Folge, daß {hon im Jahre 1918 die Kosten des Neubaues ciner Wohnung die Fricdens- kosten beirächtlih überstiegen.

Nun hat man in den Jahren 1919 und 1920 diese Teuerung dadur auszugleihen versuht, daß man Ueberteuerungs- gelder gewährie. Im Jahre 1919 wurden etwa */19 Milliarden Veberteuerungsgelder von Reich, Staat und Gemeinden gegeben. Das mit wurden etwa 60 000 Wohnungen finanziert, von denen aber nur etwa 30 000 fertiggestellt worden sind. Im Jahre 1920 sind dann die Baukcsten wieder derartig gestiegen, daß mit den ehemaligen Ueberteuerungêgeldern die vorhandenen Muinen nicht fertiggestellt werden konnten. So mußte dann, als im Jahre 1920 wiederum Veberteuerungsgelder ausgeworfen waren, ein großer Teil dieser Ueber- teuerungsgelder und nochmaligen sfonstigen Zuwendungen verwendet werden, um die im Jahre 1919 bereits begonnenen Bauten fertig- stellen zu können. Auch in der Folgezeit werden wir ohne Baukosten- zuschüsse noch nit zureht kommen. Naturgemäß müssen au andere Maßnahmen angewendet werden, es wäre fals, zu glauben, daß man allein mit der Gewährung von Ueberteuerungsgeldern die Bautätig- feit beleben fönnte; abcr ohne Uecberteuerungsgelder wird auch im- Verlaufe .des Jahres 1921 noch nicht gebaut werden können.

Nun besteht gegenwärtig die große Schwierigkeit, wie diese Ueber- teuerungôgelder gewonnen werden sollen, die Länder haben dafür keine Mittel, sie snd hon im vorigen Jahre niht mehr an den Ueber- teuerungsfosten beteiligt worden, sondern nur noch das Reih und die Gemeinden; auh im Jahre 1921 dürfen Ueberteuerungsgelder aus den Miiteln der Länder nit erwartet werden. Der Reichsfinanzminister erklärt ebenfalls, daß die Finanzlage des Reichs einen so bedrohlichen Charaftcr angenommen habe, daß er für das Jahr 1921 nicht wieder mehrere Milliarden zur Verfügung stellen könne, und die wären \ckließlich zur Belebung der Bautätigkeil und zur Behebung der Wohnugugssnot notwendig.

Zuschüsse müssen aber gewährt werden. Wie die notwendigen Mittel gewonnen werden sollen, ob dur eine Mietsteuer oder dur eine Grundsteuer, diese Frage ist noch nicht endgültig geklärt. Die verschiedensten Länder waren sih schon über die Mietsteuer einig; dann kam bekanntlih der Gedanke, zur Ausgleihung des Defizits im preußishen Haushalt eine Grundsteucr einzuführen, so daß ih das Wohlfahrtsministerium in der Frage der Mietsteuer zurückhalten mußte. Kurz, diese Frage ist heute noch nicht geklärt; sie muß aber Eald gefsärt werden, weil spätestens im Januar sowohl die Bau- gencssenschaften wie die Gemcinden wissen müssen, woran sie sind.

Im übrigen ist auf allen Gebieten des Wohnungswesens eine NVerbesserung in den bestehenden Verhältnissen erstrebt worden. Von großer Bedeutung waren dabei die vom Reiche in der leßten Zeit erlassenen NRahmengeseze und Verordnungen, insbesondere die Ver- ordnung zur Behebung der dringendsten Wohnungsnot vom 9. No- vember 1919, die Kleingartenverordnung vom 31. Juli 1919, die MWohnungswucherverordnung vom 31. Juli 1920, das Reichs\siedlungs- geseß vom 11. August 1919, das Neichsheimstättengeseß vom 10. Mai 1920, das Wohnungsmangelgefseß vom 11. Mai 1920; endlich sind nech zu erwähnen die Bestimmungen des Reichsarbeitsministers über vie Gewähruükg von Bauhilfen aus Reichsmitteln zur Errichtung von

bestimmungen zu den Gesehen sind zum größten Teil inzwischen erlassen. - ; : 2 i

Den vielfachß an mi herantretenden Wünschen auf Mitwirkung bei Bereitstellung.von ehemaligen militärischen Vebungsplähen zu Wohnungs- und Siedlungs- zweden sowie von Kasernen zum Ausbau von Klein- wohnungen habe ih nah Möglichkeit entsproGßen. Eine Anzahl Uebungsplätze sind inzwischen diesen Zweden {on zugeführt worden; sorcit das noh niht gesehen ist, und die Objekte für Militärzweckte cntibehrlih sind, {weben fîvegen ihrer baldigen Bereitstellung bereits entsprehende Verhandlungen.

Von dem Recht der Enteignung von Land zu Wohnzwedcken ist gemäß der Verordnung vom 9. Dezember 1919 bereits vielfah Gebrauch gemadt worden. Es hat sih gezeigt, daß damit eine große Abkürzung der bei den Siedlungen erforderlichen Vorverhandlungen erreiht werden konnte.

Dem Kleingartenwesen ist besondere Aufmerksamkeit zu- gewendet worden. Zur Durchführung der Kleingarten- und Pacht- landordnung waren mancherlei Widerstände zu überwinden. und mancherlei Zweifel zu beheben. Es ist indessen gelungen, den Ab- sihten der Geseße überall, wo es nötig war, Geltung zu verschaffen. Die Ausführungsvor\schriften zum Reichsheimstäbbengeseß konnten noch nitt fertiggestellt werden. Um die Absichten des Geseßgebers in wünschens8wertem Umfange zu erreichen und die sozialen und ethischen Werte des Gesehes zu sichern, dazu bedarf es nämlich zunächst eines preußishen Ausführunagsgeseßes, das hon im Entwurf vorliegt und zwischen den Ressorts beraten wird.

Das RuhrverbandSgeseß vom 5. Mai 1920 if ein Werk von größter Bedeutung. Es zeigt bereits seine praktischen Wirkungen. Der von mir ernannte Verbandspräsident führt fort- laufend die erforderlichen Verhandlungen mit der Treuhandstelle in Essen und mit den Gemeinden, um eine zweckmäßige Besiedlung zu- nächst der Bergarbeiter zu ermöglichen. Die HersteTlung von Woh- nungen für Bergarbeiter aus Mitteln des Reichswohnungsfonds hat bereits wesentliche Fortschritte gemacht, soweit dies unter den ge- gebenen Verhältnissen überhaupt möglich i. Es werden jeßt etwa 3500 Wohnungen fertiggestellt sein. E

Wes die organisatorisben Fragen anlangt, so darf ich bemerken, daß . die Gründung von gemeinnühßigen Bauvereinti- gungen, Siedlungsgesell\schaften und -genossen- schaften im leßten Jahre bedeutende Fortshhritbe gemacht hat. Es foll nid versdwiegen werden, daß bei Gründung dieser Organi- fationen niht immer gemeinnüßige Absichten vorgeherrscht haben. Die große Mehrzahl der Veveingungen verfolgte aber zweifellos rein gemeinnüßige Zwecke, und ihre Unterstüßung ist deShalb durchaus be- rechtigt. Bau- und Siedlungsabsichten aller dieser Vereinigungen sind erhebliche, scheitern aber zum Teil an dem Mangel genügender finanzieller Grundlagen. Die Zahl der provinziellen Woh- nungsfürsorgegesell\shaften, deren es im Jahre 1918 rier gab, ist inzwischen auf dreizehn angewachsen. Ihre Aufgaben bestehen vornehmlich in. der Unterstüßung der örtlihen Bauvereini- gungen mit Rat und Tat bei Beschaffung des Grund und Bodens und der erforderlichen Geldmittel fowie in der Regelung der Baustoff- verteilung. - Die zur Gründung dieser Gesellschaften in Artikel 8 des Wohmungsgesches vom 28. März 1918 bereitgestellten 20 Millionen Mark sind inzwischen bereits festgelegt, und ih habe die Bereitstellung weiterer Mittel beim Herrn Finanzminister beantragt.

Die provinziellen Wohnungsvereine, die zur Förderung des Wohnungäwesens ebenfalls sehr viel beitragen und in dieser Beziehung große Verdienste haben, sind. von mir ebenfalls mit Zuschüssen bedaht worden, damit sie thren großen Aufgaben gerecht werden können. Auch sonstige Vereinigungen, deren Bedeutung für * die Wohnungsveform anerkannt ist, sind soweit wie möglih mit Staatsmitteln unterstüßt worden. :

Die Einrichtung der in dem Wohnungsgeseß vorgeschriebenen be- hördliden Organe hat inzwischen bedeutende Fortschritte gemacht, Es sind nicht nur in allen Städten über 100 000 Cimvohner, sondern auch in zahlreichen kleineren Städten und auch für eine größere Zahl Landkreise Wohnungsämter errihbet worden, die insbesondere auf dem Lande mit den Wohlfahrtsämtern zusammenarbeiten. Die den Wohnungsäämtern angeglicderten Wohnüngsnachwei se stehen mit ciner zweckmäßigen Wohnungsausnüßung in engster Be- ziehung. Den Gedanken, für größere Bezirke einen Wohnungs- austausch zu ermöglichen, habe ih durch besondere Erlasse zu ver- wirklichen versucht, wobei sich insbesondere um die Bildung von Kleinwohnungsnachweisen handelt.

Der Staat hat ebenso wie jeder andere Arbeitgeber aber au die Verpflichtung, für seine Angestellten und Arbeiter Wohnungsfürsorge zu betreiben. Jch habe mi innerhalb des Rahmens der mir zur Verfügung stehenden Mitbel bemüht, dieser Pflicht nachzukommen. Die zur Hergabe von Darlehen an Baugenossenschafben, denen städtische Beamte und Arbeiter in größerer Zahl angehören, verfüg- baren Mittel sind leider erschöpft. An ihrer Stelle sollte versucht werden, müt Hilfe des Bürgschaftssiherungsgeseßes vom 10. April 1918 den Genossenschaften die erforderlichen zweiten Hypotheken zu beschaffen. Nach dem Geseß ist der Sbaat berechtigt, für zrocite Hypotheken zum Gesamtbetvage von 150 Millionen Mark die staatlihe Bürgschaft zu übernehmen. Mit ihrer Hilfe sollen als- dann die Genossenshafben versuchen, die crfordezlichen Gelder von anderer Stelle zu bekommen. Müssen sie dann einen höheren Zins als 4 vH. bezahlen, so will der Staat die übershießenden Beträge durch Gewährung von Zinszuschüssen deken. Für diesen Zweck sind bisher 150 000 46 zur. Verfügung gestellt worden. Ich muß aller- dings bemerken, daß von dieser Vergünstigung bisher so gut wie gar kein Gebrau gemacht ist. Die Genossenschaften halten im all- gemeinen diesen neuen Weg als für sie zu uinständlich und deshalb für nit gangbar. Es wird daher, wenn diese Abneigung ans und begründet erscheint, zu erwägen fein, ob nicht wie früher dur“ irefte Hergabe von Staatsmitteln Wohnungsfürsorge für die staatlichen Angestellten und Arbeiter zu treiben ist.

leßten Etat 5 Millionen Mark zur Gewährung bv'on unver.

gewährt. /

Um den genannten Genossenschaften die Erstellung von Wohs nungen auch beì der heutigen teuren Zeit zu ermöglichen, sind ‘im

zinslichen Arbeitgeberzushüssen zu diesen Vebers- teuerungskosten für Wohnungen bereitgestelli worden, die preußishen Beamten und Arbeitern überlassen werden. Diese Zuschüsse werden nöh über die sonst zulässigen Ueberteuerungshilfen

Zur Linderung der. Wohnungsnot kann es viel beitragen, wenn

wird. - Das Kleingartenwesen und die Frage der Wohnungslauben steken tn engster Beziehung zueinander. Jch habe daher ‘durch einen Erlaß vom 17. Juli dieses Jahres angeordnet, daß bei Benußung der zahllosen auf dem Kleingartengelände stehenden Lauben zu Wohn-

aveden .von seiten der Regierungspräsidenten und sonstigen zuständigen

Stellen das weitgehendste Entgegenkommen bewiesen wird. Zu diesem Zwede habe ih ein Muster zu einer Sonderpolizeiverordnung für Wohnungslauben ausarbeiten lassen, mit der Empfehlung an die nach- geordneten Behörden, Muster einer Sonderpolizeiverordnung diesem Muster entspreGend, ‘zu erlassen, um dadur die Herstellung und Benußung von Wohnlauben nah Möglichkeit zu fördern. Angesichts der Teurung und der Kohlenknappheit ist die äußerste Sparsamkeit in der Baustoffversorgung und in der An- wendung der Kohlen entbehrenden Ersaßstoffe besonders wichtig. Die in dieser Nichtung hin unternommenen Versuche ut deren Er- gebnisse, die auch zur Wiederaufnahme älterer, aus dem Gebrauch ge- kfommener Techniken führten, sind in einer Sammlung aller bekannt gewordenen neuzeitlihen Bauverfahren zusammengestellt und in einer besonderen Druckschrift der Allgemeinheit zugänglih gemadt worden, die schr stark begehrt wird. Die Ergebnisse stüßen ih auf wissen« schaftliche Untersuchungen, die vielfa auf Anregung und mit geldliher Unterstüßung des Wohlfahrtsministeriums in dem \taatlihen Material- prüfungsamt in Berlin-Dahlem und in den Versuchsanstalten und Laboratorien der technishen Hochschulen angestellt worden sind. Sie ersirecken si auf die chemishe Untersuchung der Baustoffe, auf Er- prcbung der Druckfestigkeit einzelner Körper und Bauteile, Ermitte- lung auf Luftdurchlässigkeit und des Wärme- und Wetterschußes von Mänden, - Haltbarkeit und JIsolierfähigkeit von Pußhmitteln und An- strichen.

Insbesondere sind die gesamten Naturbauweisen, das Kalkslampfverfahren und die Lehmbauweise Gegenstand der Versuche. Zur praktishen Ausprobierung sind Lehr- und Versuchs- stellen eingerichtet und mit erheblichen Mitteln unterstüßt und aus« gestattet worden. Ferner sind, um dem Mißtrauen gegen neuzeitlihe Bauweisen, vor allem gegen den Lehmbau, zu begegnen, an vielen Orten des Landes Lehrkurse unter sahverständiger Leitung mit staatliher Unterstüßung eingerihtet worden, an denen sih eine große Anzahl. von Interessenten beteiligt hat. Diese Kurse haben viel dazu beigetragen, Vorurteile und Mißtrauen zu beseitigen. Es ist auf diese Weise möglich geworden, inzwischen eine große Anzahl von Lehm- bauten zu errihten. (Zuruf links: Die zum Teil wieder eingefallen sind!) Daß dabei manchmal unzweckmäßig verfahren worden ist, wird absolut nicht bestritten. In Sorau und Zepernick sind Lehmbaus- \Gulen eingerihtet und im Mai d. I. eröffnet worden. Hier werden in praktisher Arbeit alle Handgriffe gelehrt, die für die Her- \telung eines Lehmhauses erforderlich. sind. Daneben erfolgt theo- rctishe Unterweisung in den Hauptfragen des Siedlungswesens. Die Aufgabe dieser Lehrsiedlung ist eine dreifache, einmal die Erstellung ge- sunder und billiger Wohnungen, dann Ausbildung von Schülern zur Verbreitung der Naturbauweise und endlih Beobachtung und Aus- wertung aller auf dem Gebiete der Naturbauweise ih geigenden Neuerungen und Fortschritte. Nah den günstigen Erfahrungen, die mit diesen beiden Lehrsiedlungen. gemacht sind, sollen solhe auch an anderen- Orten errichtet werden. Die Bestrebungen des Verbandes

zur Förderung der sparsamen Bauweise sind cbenfalls von hier aus

mit Staatsmitteln unterstüßt worden.

Zu erwähnen is in diesem Zusammenhange au die Frage der Schaffung von Baut.ypen, die insbefondere auch vom genannten Verbande, ferner vom Normenaus\{huß der deutshen Industrie und von den Wohnungsfürsorgegesellshaften bearbeitet wird. Bei Ge- währung von Baukostenzushüssen habe ih vielfach die Bedingung gemacht, daß für die Bauten die Normaltypen verwendet werden, welche die genannten Organisationen ausgearbeitet haben.

Für cine Verbilligung des Bauens kommt weiter in Betracht die Förderung der Forschungsgesellshaft für wirtschaftlichen Baubetrieb, die darauf ausgeht, auf Grund wissenschaftliher Untersuhungen mit weniger Arbeit mehr produktive Ergebnisse zu erzielen, die aber nit zu verwechseln ist mit einer \hematischen Uebertragung des amerika- nischen Taylorsystems.

Cine Hebung der Arbeitsfreudigkeit der Arbeiter hat si dur die Cinrihtung von sozialisierten Baubetrieben, sogenannten Bauhütlen, gezeigt, denen ih son mehrfah staatliche Förderung mittelbar dadurh habe angedeihen lassen können, daß i die Wohnungsfürsorgegesellshaften, an denen der Staat mit Kapital Leteiligt ist, zu einer Beteiligung an den Bauhütten in vorsichtigen Grenzen angeregt habe. Die Leistungen der Bauhütten sind, auch der Menge des verarbeiteten Materials na, verschiedentlich hon den- jenigen im Friedenszustande gleich. Die Arbeiter sind sowohl maß- gebend bei der Organisation des Baubetriebes wie auch am Gewinn beteiligt. Vor kurzem haben sich die bestehenden Betriebe dieser Art unter Heranzichung ähnlicher Baubetriebe (Produktivgenossenschaften) -— zurzeit eiwa 40 Betriebe zu einem Verbande der sozialen Bau- beiriebe zusammengeschlossen. t

Tie Baustoffbeshaffungsstellen haben nah wie bor neben der Veteilung und Erfassung der Baustoffe, Zement, Kalk, Ziegel, Holz, die Preisregelung und Kohlenzuteilung für die Mauer- stcine zu erledigen. In den ihnen angegliederten Ausschüssen sind alle Interessenten, sowohl Erzeuger wie au Vetbraucher, vertreien. Diese Auéshüsse haben die Bekämpfung des Schleichhandels und Wudgers mit Baustoffen durhzuführen. Dur Erlaß von Ende Jun! 1920 ist das Freigabeverfahren für alle Arien von Bau- \toffen, also die rationierte Zuteilung der Baustoffe auf Grund be- sonderer Anträge, bis: auf weiteres aufgehoben, da infolge der con geschilderten Schwierigkeiten die Bautätigkeit die erzeugten Báu- \stcfe nicht voll in Anspruch genommen hat und sh daher größere Lager gebildet hatten. Unabhängig von der Aufhebung der Beschlag» nahme von Zement, Kalk und Mauersteinen ist die Aktion, wele gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium bezügli des Holzes eingeleitet worden ist. Es is meinerseits stets auf eine möglichste Verbilligung des Holzpreises hingearbeitet worden, und die provin- ziellen Wohnungsfürsorgegesellschaften werden gemeinfam mit den ländlichen Siedlungsgesellshaften die Träger der Holzverteilung in diesem und auhch ‘im nächsten Jahre sein.

Auf dem Gebiet der Arbeiterfürsorge auf Bauten ist ein Muster für eine Polizeiverordnung herausgegeben worden, die die Absturzgefahr der Lauarbeiter verhindern soll. Das sogenannte Ueberhandimnauern isi verboten, und es ist vorgeschrieben“ worden, daß die Standgerüste tis zur Fertigstellung sämtlicher Arbeiten cins{ließ- lih der Dacharbeiten stehen bleiben sollen. Die kleineren Bauien,

insbesondere die Kleinhäuser von nicht mehr als zwei Geschossen

Bergmannswohnungen. Die erforderlichen preußishen Ausführungs-

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tie Benußung von Wohnlauben zu Wohnungszwecken zugelassen

werden auc in dieser Hinsicht begünstigt; sie fallen nicht unter dics

, deshalb nicht, weil gegenwärtig die Justizbehörden -derartig überlastet

berbleibt meines Erachtens nur der zweite Weg, daß eine Reichs-

Beslimmunz, um ibren Bau n'cht durch die Notwendigkeit des Vor- haltens von Gerüsten zu verteuern.

Endlich habe ih die Regierungspräsidenten veranlaßt, auf die Ortspolizeibehörden einzuwirken, daß sie bei der Ausübung der Baukontrolle mehr als bisher Arbeiter heranziehen, und habe für den Fall zu geringer Bäutätigkeit in einem Bezirk die Zusammen- legung mehrerer Bezirke für die Ausübung der Kontrolle angeregt.

/ Der Realkredit darf gegenwärtig als ausreichend be- friedigend angesprohen werden. Jn der Hauptsache wird er versorgt durch die verschiedenen Bodenkreditanstalten, daneben auch aus privater Hand. Die mir unterstellten öffentlichen Geldgeber sind an- gehalten worden, ein weibgehendes Entgegenkommen gegenüber dem Bedürfnis des gemeinnübigen und des Kleinwohnungêbaues zu be- tätigen. Die Hypothekenbanken, die bereits einmal 50 Millionen Mark unter besonders günstigen Bedingungen für den Kleinwohnungs- bau bereitgestellt haben, werden diesem Zweck weiterhin dienstbar zu machen gesuht. Besonderer Wert ist auf die Förderung der un- kündbaren Tilgungshypothek gelegt worden. Die Stadtschaften und die gleichgerihteien Anstalten sind auf die Hergabe ron Tilgungshypotheken eingestellt.

Auf Grund des Stadtschaftsgeseßes vom 8. Juli 1918 ist nah dem Vorbilde der Stadtschaft der Provinz Brandenburg, die mit einem staatlihen Darlehen von 1!4 Millionen Mark ausgestattet ift, inzwischen die Stadtshaft Hannover entstanden, und neuerdings ist die pommershe Stadtschaft ebenfalls mit einem Darlehen von 124 Millionen Mark gegründet worden. Weitere Stadtschaften sind in Bildung begriffen und es steht zu hoffen, daß mit der allmählichen Besserung unserer politishen und wirts{aftlißhen Verhältnisse die Stadtschaften eine Hauptstüße für den städtishen Realkredit werden.

Es ist also auf dem Gebiete des Wohnungswesens eine Reihe niht unwichtiger Einzelarbeiten geleistet worden. Damit konnte aller. dings der Wohnungsmangel nicht grundlegend gehoben werden. Das Elend im Wohnungswesfen läßt sh in drei Kapitelüberschriften zu- sammenfassen: Baustoffknappheit, hohe Kosten und Unlust zum Bauen.

Der Bau stoffknappheit suhte ih zu begegnen durch Ein- wirkung auf den Neichskohlenkommissar, damit er die Baustoffintustriz möglichst ergiebig mit Kohlen belieferte. Weiterhin wurden alle Be- ftrebungen auf dem Gebiete der Ersaßbaustoffe, wie ih im einzelnen ausgeführt habe, gefördert.

Die hohen Baukosten werden durch Maßnahmen herab- zudrüden sein, die geeignet sind, die Baustoffe zu verbilligen: dur Ersparung an Löhnen, durch Vereinfahung des Kleinwohnungsbaues, durch persönlihe Mitarbeit der Baulustigen bei der Erstellung von Eigenheimen, durch Steigerung der Leistungen der Baurabeiter. Die Bauarbeiterorganisationen werden, ähnlih wie die der Bergarbeiter, als die Sechsstundenshicht eingeführt wurde, auf eine Steigerung der Arbeitsleistung hinwirken müssen.

Der Unlustzum Bauen wird zu begeanen sein durch größere Freizügigkeit auf dem Gebiete der Baustoffbewirtshaftung, indem man Neubauten von der Beschlagnahme und Nationierung befreit und sie chließlich möglichst niht der Wirksamkeit der Mieteinigungsämter unterstellt. Veber meine Höchstmietenverordnung vom 9. Dezem-

ber 1919 fann der Vers geseßt werden: „Von der Parteien Haß und

Gürnst verwirrt, \{chwankt ihr Charakterbild in der Geschichte.“ (Sehr ridtig! im Zentrum.) Der Herr Abgerodnete Dallmer hat gestern den Wunsch ausgesprochen, diese Verordnung möge - alsbald geändert werden. Das ist meines Erachtens niht notwendig, weil sie in der Hauptsache Richtlinien darstellt und sowohl den Gemeindevertretungen toie den Mieteinigungsämtern den allerweitesten Spielraum läßt. Es ist nit richtig, wie vielfah angenommen wird, daß nach ihr nur 20 % Mietszushlag zur Frieden8miete von 1914 erhoben werden könnte. Die Verordnung bestimmt lediglich, daß die Gemeindevertretungen das Recht haben, im Rahmen von 15 und 20 % selbständige Beschlüsse zu fassen; zu einer Mietsfestsebung unter 15% und über 15 %, die nach der Verordnung durchaus zulässig ist, ist lediglich das Ein- vernehmen der Kommunalaufsihtsbehörde erforderlich, also des Regie- rungspräsidenten bezw. des Sachverständigenaus\{husses beim Bezirks- aus\chuß. Bei ciner ganzen Reihe von Städten sind auf diese Art Mietszushläge bis auf 30 und 40 % erhoben worden, wozu noh NReparaturzuschläge treten. So kommen heute son „in zahlreichen Fällen Mietzins\steigerungen im Vergleih zur Friedensmiete ein- \chließlich der Neparaturzusbläge von 60 bis 75 % vor. (Hört, hört! links.)

Es ift auch gar nicht rihtig, daß die Höchstmietenverordnung die Notlage, in der sich ohne Zweifel ein Teil der Hausbesißer befindet, verschuldet hat. Jn einer Reihe anderer Staaten besteht die Höchst- mietenverordnung niht und troßdem sind dort die Klagen der Haus- besißer dic gleihen wie auch in Preußen. Die preußishe Höchst- mietenverordnung verfolgt in der Hauptsache den Zweck, den Haus- besiß nit in die Valutaspekulation einbeziehen zu lassen. An diesem Gedanken halte ih fest, solange ih preußisher Wohnungsminister bin. (Bravo! im Zentrum.) Es wäre unverantwortlich, in einer Zeit, in der sih das deutshe Volk auf dem Weg zu einer gänzlichen Ver- armung befindet, einer kleinen Gruppe die Möglichkeit zu ciner maß- losen Bereicherung zu geben. 60 bis 80 % aller Werte, die im Haus- besi festgelegt sind, gehören niht den Hausbesißern, sondern den Hypothekenbanken. Hausbesiß und Hypothekenbanken können nit verlangen, daß ihnen in gegenwärtiger Stunde zahllose Milliarden unverdienter Wertzuwachs zufließen. Dem soliden Hausbesiß, der lediglich eine angemessene Verzinsung seines Kapitals will, kann da- gegen durch die Höchstmietenverordnung bei rihtiger Ausführung nihhts passieren. (Sehr richtig! im Zentrum.) Ich gebe zu, daß die Ausführung an manther Stelle teilweise: auungunsten der Mieter und teilweise zuungunsten der Hausbesiber zu wünschen übrig läßt.

Die Mietzinsfestsebung ist in einer Reihe von Städten und bei manchen Mieteinigungsämtern zu einem politischen Streit- objekt geworden. (Sehr rihtig! rechts.) Aus dieser Lage muß sie herausgebraht werden. Zu diesem Ziel gibt es, soweit ih übersehe, zwei Wege: entweder wird über die Mietzinseinigung8&ämter, die über große Werte zu befinden haben, und an deren Spibe vielfa verhältnismäßig junge Assessoren und Juristen stehen, eine Be- rufungsinstanz geseht oder aber das Mietwesen muß rei chs8- gesebliq dergestalt geregelt werden, daß sowohl die Rechte der Mietex wie der Vermieter klar umschrieben sind. Der erste Weg führt meines Erachtens nit zum Ziel, der Weg, gegenüber den Miet- einigungsämtern noG eine Berufungsinstanz einzuführen, «und zwar

sind, daß ihnen neue Aufgaben nit überwiesen"werden können. Somit

mietengeseßgebung geschaffen wird, in der die Rechte der Miekter und Vermieter klar umschrieben sind und die Kompetenzen der Miet- einigungsämter von selbst eingeengt werden, fo daß das Mieteinigungs- amt nur noch in bestimmten Einzelfragen zuständig ist, im übrigen aber die Rechte der Mieter und Vermieter durh Geseß klar um- fchrieben sind. Es ist zu erwarten, daß dieses Gefeß, daß ih hier angedeutet habe, in einigen Monaten im Reichstage zur Verab- \hiedung gelangen wird. Von derselben Stunde an, wo es im Neichs- tag verabschiedet wird, ift die preußishe Höchstmietenverordnung gegen- standslos.

Vom Hausbesi und von einer Reihe von Gemeindevertretungen wird der preußishe Wohlfahrtsminister ständig als der s{chwarze Mann hingestellt (hört, hört! im Zentrum), der an allen Unzuträg- lichkeiten im Wohnungswesen, insbesondere in der Mietenfrage, \chuld fein foll. Das ist meines Erachtens eine sehr oberflähliche Betrachtungsweise. Ih habe in den lebten Tagen mehreren Haus- besißerdeputationen, die mih besucht haben, gesagt, daß nicht die preußishe Höchstmietenverordnung, sondern der ganze wirtschaftliche Zustand in der Hauptsache die Schuld daran trage, daß ein Teil der Hausbesitzer in unzulänglihe Verhältnisse hineingeraten ist. Heute ist beispielsweise auch ein großer Teil der Beamten in eine außerordent- lih große Not gepaten. Wenn man nun an den NReichsfinanzminister herantritt und ihm sagt, cs müsse da geholfen werden, dann erwidert er: ih bin es eigentlih meinem Gewissen \{uldig, zuerst denen zu helfen, die noch \chlechter gestellt sind als die Beamten; diere können ja heute vielfach in den unteren Gehaltsfklassen mit ihrem Gehalt niht mehr auskommen, aber noch {lechter stehen die Fleinen Privat- rentner und die Sozialrentner da. Meine Damen und Herren, früher konnte jemand mit 50 000 46 Vermögen und den davon auflaufenden 2000 bis 2500 4 Zinsen bei bescheidenen Verhältnissen leidlih leben. Heute kann jemand, der eine starke Familie hat, selbst bei einem Vermögen von 500 000 1 noch hungern. Noch \chlech{ter geht es den“ Elcinen Sozialrentnern. Es gibt Hunderttausende von Sozialreninern, die aus Unfall- und Jnvalidenversiherungen eine Rente von 12 bis 15 4 im Monat beziehen. Wie diese Leute sch jeßt durchschlagen sollen, kann ih jeder an den Fingern abzählen. Wir sehen also, wie die Volksverarmung eine gewaltige ist. Sie kann selbstverständlich auch am Hausbesiß, nicht spurlos vorübergehen, und die wirtshaftlihen Verhältnisse bedingen es, daß ein Teil der Hausbesißer in diese Ver- armung mit hineingezogen wird.

Die Ausführung der Höchstmietenanordnuktg liegt in der Hauptsache bei den Gemeindevertretungen und den Mieteinigungsämtern. Diese müssen den Mut haben, das- jenige, was sachlich gerechtfertigt ist, nah pflichtmäßigem Ermessen zur Erledigung zu bringen. (Sehr richtig! im Zenirum.) Es zeugt niht gerade von Mannesmut, sich in unangenehmen Situationen ständig hinter den Wohlfahrtsminister zu verkriehen. Ich habe in meinem Ministerium die Weisung gegeben, daß dieses sich grundsäßlih nit in das Verfahren der: unteren Instanzen cinzumishen hat. Da haben in erster Linie die Gemeindevertretungen und die Miet- einigungsämter darauf zu sehen, daß die Sache rihtig turchgeführt wird; diese mögen, wie die Verordnung es vorsieht, nah ktilligem Er- messen ihre Entscheidung treffen. Lediglih da, wo Ausschreitungen nach oben oder nach. unten hervortreten, is es Pflicht des Ministers, felbst einzugreifen, üm den Sinn der Vecordnung aufrecht zu erhalten. ___ In Haubsbesißerkreisen werde ih im Verlaufe des leßten Jahres ‘auf das \ch{ärfste und ständig angegriffen. (Zuruf rechts: Mit Recht!) Zunächst hat man mir eine große Anzahl Drohbriefe, etwa 100, ins Haus geschikt. (Hört, hört!) Jch möchte einige dieser Stilblüten hier L E Versammlung zum besten geben. In einem dieser Briefe

eißt es: „Lies die Anlage und dann frage Dich, wie es möglich ist, daß Du wegen Deiner verrückten Höchstmietenverordnung noch nicht in Dalldaxrf sizt. Wenn diese blödsinnige Verordnung niht bald über den Haufen geworfen wird, dann wirst Du über den Haufen ge- schossen. Da verlaß Dich drauf, Du verfluchter katholisher Strolh!“ (Pfuirufe im Zentrum.) In einem weiteren Schreiben heißt es: „Heben Sie die Verordnung nicht auf oder bewilligen Sie nicht die 50 %, jo folgen Sie bestimmt Jhrem Kollegen Haase ins Jenseits nah; denn die Kugel ist für Sie schon gegossen.“ ‘Aehnliche Zuschriften habe ih etwa 100 im Laufe des ersten Halh- jahres 1920 bekommen.

In der vorigen Woche nun hat in einer Berliner Versammlung ein Vertreter des organisierten Hausbesißes ausgesprochen, daß man ein Flugblatt gegen mich vorbereitet, um mih unmöglih zu machen. Dafür würden keine Kosten gesheut. Tiesen Prozeduren sehe ih selbst- verständlich mit allergrößter Seelenruhe entgegen. Von dritter Seite

‘endlih wird mir mitgeteilt, d. man einen Fonds schaffen will, um

den Kampf zu mciner Beseitigung systematisch und großzügig dur- führen zu können. (Hört, hört! im Zentrum und bei den Sozial- demokraten.) Jch kann ruhig aussprechen: es gibt in ganz Deutsch- land keinen Minister, der weniger an -seinem Posten klebt als id, aber wenn eine solhe Kampfesmethode im politishèn Leben allgemein gebräuhlih werden sollte, dann findet sih \{chließlich kein anständiger Mensch mehr in dieser gegenwärtig gerade nicht sehr verlockenden und anreizenden Zeit, der noch einen Ministerposten zu übernehmen bereit wäre. (Sehr richtig! im Zentrum.) Jch lasse mi selbstverständlich durch solche Drohungen nicht aus dem Gleichgewicht bringen, aber niedriger hängen möchte ih doch vor dem ganzen Lande eine solche Kampfesrweise.

Damit möchte ich das Kapitel Wohnungswesen abschließen und zur Frage der Volksgesundheit übergehen. Der Stand der Volksgesundheit, deren ernste- Lage ih in meiner vorjährigen Nede eingehend behandelt habe, weist scither zwar einige Besserung auf, diese berehtigen wohl für die Zukunft zu Hoffnungen, aber für die Gegenwart fallen sie noch nicht ins Gewicht und entheben mi daher nicht der Notwendigkeit der sorgfältigsten Anspannung aller Kräfte.

Daß die Zahl der Geburten eine Steigerung erfahren hat, ist eine selbstverständlihe Folge der Heeresauflösung. Näh mchrjähriger Unterbrechung ist daher wieder ein UeberschGuß der Geburten über die Todesfälle zu verzeihnen. Erfreulich ist hierbei, daß sich mit ihm sowohl im industriellen Westen wie im landwirtschaftlichen Osten cine weitere Abnahme der Säuglingssterblichkeit zeigt. Das ist im allgemeinen darauf zurückzuführen, daß durch die Knapp- heit und Teuerung der Tiermilch die natürlihe Ernährung der Kinder stärker gepflegt wird. Die Sterblichkeit zeigt im Jahre 1919 und, wie es scheint, auch in diesem Jahre, eine nit unbeträhtlihe Abnahme gegenüber dem Vorjahre. Besgnders findet sich seit Mitte 1919 bei den Todesfällen an ansteckenden Krankheiten insgesamt und besonders an Tuberkulose ein immerhin ansehnlicher Abfall. Aber im Jahre

eîne weit mebr als ein Jahrhundert bekannte Tatsache, daß einem Jahre mit starker epidemisher Sterblichkeit einige Jahre der Abnahme folgen. ;

Auch das Absinken der Tuberkulosensterblihkeit darf nit ohne weiteres als ein günstiges Zeichen von Dauerwirkung an- geschen werden. Denn der raschere tödliche Verlauf bei den Erkrankten infolge der Ernährungsshwierigkeiten hat wohl eine größere Anzahl der Todesfälle vorweggenommen. Die Zahl der Tuberkulosetodes- fälle war seit 1919 etwas geringer als im Vorjahre, war aber gegenüber dem leßten Friedensjahre doch noch ganz gewaltig gesteigert, Außer- dem zeigen die Berichte aus den einzelnen Regierungsbezirken, die sich auf die Beobachtungen der Kreisärzte, Schulärzte und Krankenhaus- ärzte stüßen, daß die Zahl der Erkrankungen namentlich unter der Jugend nah wie vor sehr hoch geblieben ist, und es liegt leider nit der mindeste Anlaß vor, schon jeßt verbesserte Verhältnisse festzustellen.

Gegenüber den Jahren 1917 und 1918 sind zwar einige neu auf- getretene Erkrankungsformen, die man unmittelbar als Hunger- Franfkheiten zu bezeichnen genötigt war, zurüdgetreten ober gänz- li geschwunden, wie die Hungerwassersucht oder die Knochen- erweihung der Jugendkihen. Seither ist die Ernährung eine etwas abwechslungsreihere geworden, und es sind namentlich wieder mehr frische Nahrungsmittel an Stelle der Konserven getreten.

Dagegen is die Rhachitis und die Skrofulose der Kinder nach wie vor außerordentlih verbreitet, und gerade diese Erscheinung verdient wegen ihrer Folgen für das spätere Leben schr ernste Beachtung. In den Gemeindeshulen hier in Berlin waren von 650 Kindern däs zeigt, wie es auf dem Gebiete der Großstadtjugend aussieht 161, die feine Schuhe mehr hatten (hört, hört! im Zentrum), 142 besaßen keinen Mantel, 305 hatten kein Hemd (hört, hüri! im Zentrum) oder nur Lumpen auf dem Leibe. Bei 378 gab ex zu Hause keine geheizten Räume (hört, Hört! im Zentcum.) Bei 341 gab es nie einen Tropfen Mil im Hause. (Hört, hört) Von 106 waren die Eltern niht in der Lage, die Lebensmittelrationen zu kaufen, 118 waren tuberkfulös, 48 hatten durch die Ernährung geistig gelitten, 50 wogen bis zu zehn Kilogramm unter Dur- schnittsgewidt, 65 Farben im Laufe des Jahres an den Folgen der Entbehrungen. In einer folhen Situation hielt ih es für meine Pflicht als oberster Gesundheitsbcamter in Preußen, auch das Ausrärlige Amt über den wahren Gesunoßeitszustand der deutschen Jugend aufzuklären, damit gelegentlih der Forderung auf r'ecitere Ab- lieferung von 800000 Milchkühen das Auswärtige Amt mit zu- verlässigem Material in Paris aufwarten könne. Diese Denkschrift ist auch von seiten des Auswärtigen Amtes in Paris bei den Ver- handlungen in der vorleßten Woche verwertet worden, und es ist auch eine Modifikation der Forderung auf Ablieferung von 800 000 Milch- fühen erzielt worden. Aber au die Forderungen, die jeßi noch be- stehen, muß ih nach dem Stande der Volksgesundheit in Deutschland als undurch{führbar, als unmöglich bezeihnen. (Sehr richtig!)

Was die regelmäßig vorkommenden ansteckenden Krankheiten betrifft, so war in leßter Zeit da und dort eine kleine Zunahme der von der Jahreszeit abhängigen Krankheiten ein- getreten. Da aber gerade die Bekämpfung dieser Krankheiten, die fich gegen die Ansteckungsstoffe felber rihten, von der Ernährung der Bevölkerung abhängig it, {ft es dank der Aufmerksamkeit der Beamten und Aerzte fast durhweg gelungen, eine stärkere Ausbreitung zu verhindern und die Seuchenausbrüche auf ihren Herd zu besbränfen. Eine Ausnahme machen nur diejenigen Landesteile, in denen innere und äußere politishe Unruhen diese Abwehrmaßregeln ershwert baben. So haben namentlich in Oberschlesien der Typhus und mit ihm zugleih die Pocken zeitweise an eizelnen Orten eine größere Aus- dehnung gewonnen, weil die Kämpfe und ihre Folgen die Abwehr- maßnahmen ers{chwerten und unmöglih machten.

Troß des zeitweise ungünstigen Grenzshußes ift die Eins{leppuna der auswärtigen Seuchen auch diesmal erfolgreid bekämpft worden. Es bedarf hier der ständigen Aufmerksamkeit, denn bei der S#bwieriag- keit der Lage und der Unsicherheit der Grenzüberwahung ist es nit immer mögli, an der Grenze felbst die Eins{leppung zu verbüten. Der Schwerpunkt der Ueberwachung von Einwanderern und Wander- arbeitern wird in Zukunfi auf ibre UntersuGung an Ort und Stelle zu legen sein.

Für die Beurieilung des gegenwärtigenGesundhbeits- zustandes darf man wobl sagen, daß gegenüber den Vorjahren eine Verschlehterung nit eingeireten ift, daß er aber im Verglei® zur Norm noch imnær ret ungünstig ist, namentli bei der Grof stadtiugend. Und das legt mir die Verpflihiung der aröften Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf. Dementsprechend bin ich im verflossenen Jahre vor allen Dingen bemüht gewesen, den Stand der Volks- Tranktbeîten in allen ihren Einzelheiten forafältig zu beobadten und die Berichterstaitung zu vervollkommnen, um dann überall dort, wo Krankhbeitsers{einungen besonderer Eigenart zur § ì nah Beratungen im Kreise von Sachverständigen das Erg Beratungen in die Tat umzuseßen. Wie bei den meisten bpaieni Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten kommt bier cine 1 fangreihe Tätigkeit nah außen fast niemals sic{tbar zur Ki Am ehesten tritt sie noch bei der Seuchenbekämpfung in die Erscheinung. Hier wurde immer wieder zur Bekämpfung von Nubr und Typhus die Aufmerksamkeit der beamteten Aerzte waGachalten, aber auch die uns drohende Gefahr von Fleckfieber, Cholera und Podken gelang es fernzuhalten. Ebenso wurden in regelmäßigen Zrit- abschnitten in Augenbliken drohender Gefahr belehrende Vorserifien an die Bevölkerung bekanntgegeben und verbreitet. So if e uns gelungen, auch in den leßten Jahren wieder ansteLende Krankheiten einschließli der von außen einges{leppten Scuchen fast durywos zuf die Ausbrucbsstellen zu beshränken. Jch kann auf Grund zablreiéer hier vorltegender Berichte erklären, daß biecran den Kroeitärzten ein großes Verdienst zuzugestehen ist, welde mit Aufmerarnkcit und unermüdlihem Eifer unter außerordentlich \Swicriaen Berbältnifon die ihnen zugefallenen Aufgaben erfüllten. Da das Vertändnis Für die Notwendigkeiten ibrer Anordnungen und der passive Widerstend aber vielfah stärker geworden war, fo erböbt das die Bereitung der von ihnen erzielten Erfolge.

Die Frage des GrenzsGußes im Osten und în Shles tien wurde gemeinsam mit den Neitsdebörden acrenelt, V wurden im vorigen Jahre Ueberwacungétellen voraceben und Sorde getragen, daß die von der Heeredverwaltung imoachabten Oucranitänt» lager angesichts der jeßt zahlreichen Uebertritte von KrioräpeFrmnpehnon und NRückwanderern wieder in die Verwaltung der Fricdentbedöudon übernommen wurden. Außerdem wurde desondere AufmerGemät auf die Untersuhung von Einwanderern gelenkt, die es verstanden batten,

1918 forderte eben die Influenza mehr als 100 000 Opfer, und es ist

E Ea M T S R E ARE D RNS F M E Sit Ba D em M «o E a u Di v e

sich der Grenzüberwaung zu entziehen.