1900 / 36 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Feb 1900 18:00:01 GMT) scan diff

E E

Februar

Gezahlter Preis für 1 Doppelzentner

Menge

niedrigster

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höster | niedrigster

M

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Doppelzentner}

Insterburg . E Lens s E E ngermünde « 12,40 Frankfurt a. O. 11,00 Stétlin «0 13,30 Greifenhagen e 12,50 Stargard i. Pomm. . —— Posen T

4 Lisa

Rawitsch

Krotoschin .

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ilenburg . Marne Ô Soslar . , Duderstadt .

Lüneburg . . Limburg a. L. . Biberach .

Ale bRta «e Landéberg a. W. ..

» G S-W J

11,50 12,00 1050 13,00 11.40 12,95 11,80 13,70 14,00 13,40 13,50 15,25 12,75

13,60 13,00

Ce e L A A U U T

Insterburg . Elbing Prenzlau Angermünde Ludenwalde . . otôdam. « + » rankfurt a. O. tettin . Greifenhagen Cs Stargard i. Pomm. Schivelbein .

Stolp . , Z

S 11,20 Lauenburg i. P. . . 11,40 i Ss s

E i E ò 11,00 Nawitsch Í x Ï 11,00 Krotoschin . . 11,00 Militsh . « « « 11,60 Een S Til D O -4 E C 10,95 Sia a. K 10,20 alberstadt . N L 13 60

ilenburg 13 50

Marne 12,80 Gosíar . , 12,50 Duderstadt . 12,33 Lüneburg . 12,25 Fetten ; 12,60 imburg a. L. .

Bibera s 12,60 Schwerin i. M. s 13,40

12,20

Braunschwrciz . s

Altenburg « V e

I G S e Neuß L S s E

Bemerkungen.

11,20 11,80 12,00 13,75 13,80 12 20 12,70 11,60

10,40

M D Q S 0.90 S G90. 0 O R

e Mew es

Ein liegender Strich (—) in den Spalten für Preise hat die Bedeutung, daß der betreffende Preis niht vorgekommen ift, ein Punkt (.) in den

Deutscher Reichstag.

142, Sißung vom 7. Februar 1900, 1 Uhr.

Die zweite Berathung des Geseßentwurfs, betreffend Aenderungen und Ergänzungen des Strafgeseßbuchs, wird fortgeseßt. ; i

184a, im wesentlihen der Regierungsvorlage ent- sprechend, im Antrage E Us niht enthalten, lautet na den Kommissionsbeschlü}jen : ;

„Mit Gefängniß bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 600 A wird bestraft, wer Schriften, Abbildungen oder Darstellungen, welhe, ohne unzühtig zu sein, das Schamgefühbl aröblich verleßen, einer Person unter 18 Jahren gegen Entgelt überläßt oder anbietet, oder zu geshäftlihen pet oder in der Absicht, das Schamgefübl zu verlegen, an öffentlihen Straßen, Plâgen oder anderen Orten, die dem öffentlihen Verkehr dienen, in Aergerniß erregender Weise auéstellt oder anshlägt."

Abg. Dr. Müller- Meiningen (fr. Volksp.): Wir beantragen, diesen § 1843 zu streichen. Die verbündeten Regi-rungen haben diese

Bestimmung vorgeschlagen, aber das Theater wollen sie fonderbarer [p

Weise vershonen. Da if der Standpunkt des Zentrums doŸ viel fonsequenter; was der Kunst reht ist, is dem Theater billig, und so will es denn beide, Kurs und Theater, unter das Ausnahmegeseß ftellen. Herr Roeren sagte, es solle hier das Gemeine getroffen werden. Aber dieser Begriff ist so wenig fest umschrieben, daß der Richter damit niht auskommen kann, und es giebt doch Richter es kann ihnen daraus auch kein Vorwurf emacht werden —, die von der Kunst garnihts ver- Aihea. Dur diefe Bestimmung wird die Abbildung einer großen Reihe unsterbliher Kunstwerke im Vatikan, in Florenz, in Dresden u. \. w. betroffen. Und wie stände es mit den Nachbildungen der Gruppen der hiesigen Schloßbrücke? War denn bisher die Polizet niht etwa prüde genug? Wir hören, daß fie gerade in den leßten Tagen hier in Berlin eine große Thätigkeit entfaltet hat, die uns gegen das Gese in ausgezeihneter Weise zu Hilfe kommt. Schuß- inkinet haben u. a. in den Kunfthandlungen künstlecishe Re-pro- duktionen von Böcklin's „Das Sviel der Wellen“ aus den Schau- fenstern verwiesen, und die „Aktftudien“ des Professors Koch sind in der hiesigen Kunsthandlung von Wendler beshlagnahmt worden, weil sie einem al ariftokratisch ausfehenden Herrn, den der Inhaber für einen Künstler oder Mäcen hielt, Tags vorher vorgelegt wurden, „ohne daß fich derfelbe als Künstler legitimiert hätte“. Nun {reibt Professor Max Koch, daß er sih zur Veröffent- lihung dieser Aktstudien nur entshlofsen hätte, um denjenigen Pabli- kationen dieser Art entgegenzutreten, welche lediglich auf Erregung der Sinnli{hkeit spekulieren. Wenn das ges ps, dann wird es unter der lex Heinze mit der deu Kunjt sauber bestelit sein. Es hat sich au der deutshen Künstlershaft eine hobgradige Em- pôrung und Erregung bemälhtigt. So wird die ernste deutshe Kunst behandelt; aber in einigen Läden der Passage werden die hamlofesten Schand- und Schundprodukte unbehekligt von der Polizei nah wie

por ertaul. : Abg. R oeren apa Die schamlosen Ausftellungen in den o zugenommen und einen so gemeingefährlihen

fenftern haben Char fter erhalten, daß die Sittlichkeit unserer heranwachsenden

12.40 11,00 13 30 12,60

11,70 12,00 10,50 13,00 11,40 13,20 12,00 14 40 14,00

ist,

dessen, sind sie Beispiele, Haus

leßt wird. Berücksichtigung Anspruch glaubt erheben zu können. Gs werden Abbildungen verkauft, z. B. von der Leda, die mit dem Original fast

In einem hiesigen Zeichenzgeshäft wurde anze

niederlege. nasiasten und Vädchen karten, an die Bilder in Friseurshaufenstern. will, mag in die Museen geor, so klar, wie der der Ver »\prechung des Reichsgerihts giebt hier völlig genügend? Fingerzeige. Die Richter werden allerdings genöthigt sein, s{hauungen ihrer Gegend, ihres Landstrihs bei der Beurtheilung solher Strafthaten zu berüdcksihtigen, diese Rücksiht wird strafmildernd Interesse der Wiedergesundung unseres sittlichen Volkslebens bitten wir Sie um Annahme des § 184 a. Der Abg. Dr. Müller-Sagan (fr. Volksp.) beantragt bstimmung. Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding: Meine Herren! Die Regierungsvorlage, niht der Kommissions- beshluß ih betone das, weil ih auf den Kommissionsbeshluß erst später zu sprehen komme hat nichts Anderes im Auge, als zu verhindern, daß Bücher und Bilder von grober, offensihtliher Scham- losigkeit an öffentlihen Pläßen und Straßen in einer Weise ausgestellt werden, die Aergerniß erregt. Wenn hier von einigen Herren darauf Bezug genommen ift, daß in Berliner Läden kürzlich gewisse Sachen beanstandet worden seien, die niht in den Schaufenstern {ih befanden, so hat das mit der Intention der Regierungsvorlage garnihts zu thun. spiele, die in dieser Beziehung hiet angeführt worden sind, mögen zur Unterhaltung des hohen Hauses beigetragen haben, zur Bekämpfung was von seiten der Regierung hier

einwirken.

namentliche

12,80 13/00 13.00

12,70

11,50 132/00

11,00 13,50 12,90 13,45 12,20 14,40 14,59 13,50 14,10 15,50 13,00

14,40 13/80

12,00 12,00 12,20 14,25 14,20 12,60 13,00 11,70 11,80 10,80 11,60 11,50 12,50 11,30 11,25 11,20 11,90 11,00 11,45 10,80 13,80 14,00 12,90 13,60 12,67 12,50 13,20

13,40 12,00 13,70 13,00

gelGeen muß.

G erste.

13,20 13/00 13,00

12 90

12,00 1220

11,00 13,50 12,90 13,70 12,60 15,20 14.50 13,50 15,00 15,75 14,00

14,80 13/80

Haf

12,00 12 30 12,20 14,25 14,20 12,60 13,00 11,80 11,80 10,80 11.60 11,50 12,50 11,40 11,30 11,20 11,90 11,00 11,70 11,00 14,00 14,00 12,90 14.50 13,00 13,20 13,20

13 60 12,10

13,70 13,00

Kann man doch

13,00

13,80 13.70

12,90 12/60

138,50 14,00 11,50 13,80 14,40 13,95 12,80 15,20 15,00 13,60 15,10 15.75 14,00 14,00 15,00 14,80 14,00

er. 11,80

12,40 14 40

13,00

11,90 12,00 11,20 12,00 11,60

11,50 11,50 11,40 12,20 11,60 11,95 11,20 14,00 14,50 13,00 14.60 13,00 13,20 14,00 13,30 13,80 12,10 14 00 14,00 13,00 12,40

13,00

13,80 1370

13,00 13,00

12,70 14,00 11,50 13 80 14,40 14,20 13.00 16.00 15,00 13 60 17,00 16.09 15,00 14 23 15 40 14,80 14,00

11,80

12,40 14/40

13,00

12 09 12.20 11,20 12,00 11,69

11,70 12,00 11,40 12,20 11,60 12,20 11,40 14.30 14,50 13,00 15,50 13 33 13,60 14,00 ¿3,80 14 00 12,30 14/00 14 00 13,00 13/40

Jugend aufs ärgste gefährdet erscheint, und etwas zur Vorbeugung kaum mehr seine Kinder über die

traße führen, ohne befürhten zu müssen, daß sie von dem Anblick dieser shamlosen Bilder infijtert werden. heime Sünde ihren Einzug und die Sittenverderbniß ist da. Die Strafbarkeit soll ja aber aub nur dann eintreten, wenn ges{chäftlihe Zwecke vorliegen, wenn die Ausstellung oder der Anschlag in Aergerniß erregender Weise geschieht, und wenn das Schamgefühl gröblih ver-

Dann aber hält die ge-

3 muß cine eigene Art von Kunst sein, die hier auf

nihts mehr gemein haben. mir statt der im Schaufenster befindlihen Modelle eine Kollektion von Bildern vorgelegt, die mit Kunst garnihts mehr zu tbun haben, und von denen ih einize Muster auf den Tis

Und in diesen Geschäften verkehren zwölfjährige Gym-

Im

nicht die in seinen Bedenken unehmen auf Statuen und Bilder, aufgestellt seien und nun auf einmal niht in ôöffentlihen Schaufenftern ausgestellt werden sollen. Die Regierungsvorlage verlangt ausdrüdcklih, daß die Ausftellung in einer ärgernißerregenden Weise erfolgt. Das kann der Fall sein, wenn in belebten Straßen, wo Frauen und Kinder

geeignet. hier angeführt zu stärken, die in

worden

egung des Schamgefühls.

die

Ich erinnere weiter an die unsittlihen Post- Wer Kunst genießen Der Begriff unz¡üchtig ift gerade

Die Recht-

sittlihen An-

beantragt worden Gbenso wenig passen andere sind, um das Beispiele, die Bezug Parks und Gärten

des Hauses

Straßen

Die Bei-

13,50 13.40

14,16 14,00 14/62 14/54

11,60

35 11,89 11,80

365 11,60

Go I do do

140 14,17 14,10 155 14,10 14,25

983 12,85 12,60

264 12,00 11,79 9H 10,80 11/20 406 11/60 11,48 224 1150 1153 313 12,50 12,30 241 11,47 11/47 633 11,50 11/50 1680 11,20 11/20

o, ge,

bD DO S7 E 6 D S O do D DO DO DO DODOIO DO O DD

3 870 12,90 12,80

218 12,83 12,83 1330 13,30 13.40 1290 13/03 13,90

365 13,50 13,07 3 258 13/57 13,30

13,00 7.2.

‘Di R 4 lzent d der Verkaufswert volle Mark abgerundet mitgetheilt. Der Durchschnittspreis wird aus den unabgerundeten Zahlen Die verkaufte Menge wird auf volle Doppelzentner und der Verkauf h auf volle g g Lien [6ls Spilllen das, crtsvrabeudae B Zahlen fe ElE

900 12,85

be

rechnet.

regelmäßig verkehren, Bilder gewisser Art in aufdringliher Weise auf- gestellt werden. Das braucht aber niht ebenso der Fall zu sein, wenn die Aufstellung in einem von dem großen Verkehr abgelegenen und wenig besuhten Park ohne den ges{chäftlichen Zweck der Anlockung der Vorübergehenden erfolgt ist. Auch das, meine Herren, sind Beispiele, die hier zur Unterhaltung beitragen mögen, die aber nicht derart sind, um die Regierungsvorlage damit bekämpfen zu können.

Meine Herren, die Regierungsvorlage will nichts Anderes, als der notorishen Thatsahe Rechnung tragen, daß \ich in den Straßen und auf öffentlihen Plägen mehr als er- träglih eine niederträchtige Spekulation auf die Anlockung der Aufmerksamkeit des Publikums mittels Schamlosigkeiten, eine ge- werb8mäßige Zudringlichkeit, die auf die gemeinen Instinkte der Menschen rehnet, breit macht, raffinierte Bemühungen, die jeden mit Empörung erfüllen müssen , der derartige Dinge sieht. Jeder, der hier auch nur eine Stunde lang durch die von Berlin wandelt, kann eine Anzahl solcher Beispiele an sich vorüberziehen lassen, und niemand wird behaupten können, daß das reelle geschäftlihe Leben oder die wirklihe Kunst oder der Verkehr überhaupt irgendwie ernsthaft beeinträhtigt werden, wenn das Gesey dafür sorgt, daß diese Dinge aus den Schaufenstern vershrwoinden. Nichts Anderes wollen wir, und ih meine, das ganze Haus hâtte daran Interesse, daß solhe Dar- stellungen niht täglich vor dem Zartgefühl der Frauen und vor der Unschuld der Kinder hier öffentlich auf Straßen, Pläßen, in den Parks angeboten und gezeigt werden. (Sehr richtig! in der Mitte.) Nichts Anderes ih wiederhole das will die Regierungsvorlage, und alle Ginwendungen, die hier erhoben werden, sind Schein- einwendungen ; denn sie treffen den Kern der Sache nicht.

Das ift die Regierungsvorlage! Nun sagte der Herr Abg: Roeren, im wesentlihen sei der Kommissionsvorshlag die Regierungsvorlage. Die Richtigkeit dieser Behauptung muß ih bestreiten. Die Kommissionsvorlage unterscheidet sich wesent- lih von der Regierungsvorlage, so wesentli, daß ih das Haus dringend bitten muß, die Kommisfionsvorschläge abzulehnen und dafür die Regierungsvorlage anzunehmen. Und die Herren von der Kommission werden si vielleiht aus der Stimmung des Hauses überzeugen, daß es ein Fehler ist, den Bogen zu überspannen, und Dinge in den Entwurf hineinzubringen, die nah seinem ursprüng- lihen Sinn nicht hineingehören, und damit den guten Zweck, der in der Regierungsvorlage verfolgt ift, zu gefährden.

In zwei Punkten unterscheidet sich der Kommissionsbeshluß vez!

der Regierungsvorlage: Zunächst will der Kommissionsbeshluß gem) der besonderen Neigung der Kommission, das jugendliche Alter

schüßen, hicr eine Bestimmung einshieben, wonach auch die junFt

|

als Aergerniß erregend anzusehen.

Welt bis zum 18. Lebensjahre hier dagegen geschüßt werden “soll, daß s{hamlose Schriften und Bilder ihr angeboten werden. Jh muß befürworten, diesen Saß aus dem Beschluß der Kommission zu be- seitigen, weil er in den Gedanken der Vorlage garniht hineinpaßt. Die Regierungsvorlage will den Anstand auf öffentlihen Straßen und

egen {hügen, sie will insbesondere, daß das Auge der unschuldigen Kinderwelt niht durch Dinge beleidigt wird, die auf die Straßen und in die Schaufenster nicht gehören. Deshalb sett die Vorlage nur, aber auch immer, voraus, daß unter allen Umständen durch die Act und Weise, wie Schriften oder Bilder dem Publikum dargeboten werden, ein öffentliches Aergerniß gegeben und das Schamgefühl gröblich ver- [egt wird.

Meine Herren, dieser Gesichtspunkt fällt volllommen weg, wenn es ih. darun: handelt, die Kinder gegen das Anbieten s{chmußtiger Erzeugnisse zu schüßen, auch dann, wenn dies nicht in der Oeffentlichkeit geschieht und wenn man den Dirgen die Unfläthigkeit garniht ansieht; das gehört in den Paragraphen nicht hinein ; das vershiebt den Gedanken der Vorschrift; das kann zu mißlichen Auélegungen in der Rechisprehung führen, und {hon um hier Unklar- heit zu vermeiden, muß ih Sie bitten, diese Einschaltung der Kom- mission zu beseitigen. Glauben die Herren von der Kommisfion, daß es nöthig ist, ein gewifses Alter der Jugend hier noch besonders vor Schamlosigkeiten zu {ühßen? Jch glaube niht, daß das nöthig ift aber glauben die Herren das, dann mögen sie einen Antrag stellen, der in einem besonderen Paragraphen diesen Gedanken konzentriert ; in diesen Paragraphen hier gehört der Gedanke nicht hinein.

Zweitens, meine Herren, ist eine Bestimmung in die Regierungs- vorlage hineingekommen, die nach meiner Meinung vermöge ihres vagen Charakters für die Anwendung des Paragraphen verhängnifvoll werden müßte. Ich wiederhole, der Thatbeftand, den die Regierungs- vorlage vorausfegt, beshränkt \sich einfach darauf, daß jemand zu Geschäftszwecken Schriften von grober Schamlosigkeit in ärgerniß- erregender Weise in den Fenstern der Läden, auf Straßen, öffentlichen Wegen und Plägen anheftet oder auéstellt; die geschäftliche Spekulation in solhen Dingen dem Publikum gegenüber soll unterbunden werden. Diesem Thatbestand seßt die Kommissicn nun einen zweiten Thatbeftand zur Seite. Sie s{heidet das Moment der geshäftlihen Spekulation ganz aus. Ste will also auch denjenigen Thäter treffen, der, ohne ein Gewerbe aus folhen Dingen zu mahen, aber in der Absiht, das SYamgefühl zu verleßen, Schriften oder Bilder an öffentlichen Orten ausftellt. *

Nun konstruieren Sie sih gütigst einmal einen Fall, der diesem Thatbestand entspricht. Es muß dabei zunähst nahgewiesen werden, daß es sih um eine Schrift handelt, die \sich als eine grobe Scham- losizkeit kundgiebt. Der Thäter muß wifsen, daß die Schrift gröblih schamlos ift. Gr ift also bezüglih dieses Charakters der Schrift ohne weiteres in dolo. Die Schrift muß zweitens in ärgerniß- erregender Weise dem Auge dargeboten werden. Der Angeschuldigte muß wifsen, taß das in ärgernißerrezgender Weise geschieht, daß die Art und Weise, wie die Schrift öffentlih zur Schau gebracht wird, geeignet ift, Aergerniß zu erregen. Auch bezüglich des Aergerniß- erregens muß fsch der Thäter also in dolo befinden. Obwohl also der Entwurf verlangt, daß der Thäter in dolo ift bezüglich der groben Shamlosigkeit der Schrift, in dolo ift bezüglich des Aergernifses, das durch die Ausstellung der Schrift erregt wird, verlangt der Kommissionsbes{luß, ih muß sagen, in einer mir unbegreiflihen Weise, noch weiter, daß der Thäter au die Absicht, das Schamgefüh[ zu verletzen, gehabt hat. Der Thäter weiß, er bietet eine Schrift dem Auge dar, er ftellt ein Bild aus, das eine grobe Schamlosigkeit enttält; er weiß, daß Aergerniß tamit erregt wird oder doch damit erregt wecden kann; nun soll, obwohl fein dolus fo weit gebt, ihm noq eine besondere Absicht nahgewtesen werden, das Schamgefühl zu verleßen nicht einmal in gröbliher Weise, einfah das Schamgefühl zu verleßen. Meine Herren, entweder ift diese Ab-

, ficht bereits in dem Paragraphen der Vorlage enthalten , dann ift es

unnöthig und verwirrend, fie noŸ ausdrücklich arzuführen , oder aber es soll mit ibrer ausdrücklihen Hervorhebung noch etwas Anderes ge- sagt werden, dann muß ich die Herren bitten, mir zu sagen, was darunter verstanden wird; ich habe es nicht kegriffen. Jch sage, diese ganze Einshiebung is so vager Art, daß wir uns hüten müssen, derartige Beftimmungen in das Gesetz aufzunehmen, wenn wir nit Gefahr laufen wollen, den guten Zweck, den wir erreihen wollen, durh eine falschlauteade Praxis der Gerichte wieder zu vereiteln. Gerade, weil wic hier mit Begriffen zu thun haben, die ihrer Natur ngch einen gewissen unbestimmten Charakter

‘immer behalten, hat die Regierungsvorlaze, soweit es irgend mögli

war, die Vorausseßung für die Anwendung dieser Beftimmung scharf begrenzt. Jch bitte Sie, halten Sie an diesen Voraussezungen fest und gehen Sie niht über dasjenige hinaus, was Ihnen die Regierungéêvorlage vorschlägt, weisen Sie alles ab, was der Kcm- misfionsbes{hluß an angeblihen Verbesserungen hinzufügen will. Nach meiner Meinung sind es entshiedene Vershlehterungen.

__ Abg. Heine (Soz.) führt aus, die Sozialdemokraten seien Gegner dieses § 184 a, der nit eigenilih pornographbische Literatur und Darstellung verfolge; denn die werde durch § 184 getroffen. Er solle treffen, was niht unzüchtig sei, aber doch das Schamgefühl gröblih verlege. Was aus lauterer Gesinnung komme, könne nach seiner Meinung das Schamgefühl eines sittlich normalen Menschen über- haupt nit verlegen. Der § 184 a ; habe eine ganz gefährliche Tendenz; er rihte sih gegen das Unbekleidete, Ungeschminkte, kurz gegen das Wahre in der Kunst. Wozu nun ein solches neues Gefeß? Das Geschlehtlihe, das Nackte, alles das sei dem Reinen rein. Die Judikatur des Reichsgerihts habe heute {hon alles Mögliche als unzüchtig getroffen, woran früher kein Mensch gedacht hâtte. Es sei ja au on vorgekommen, daß Jungen, die gebadet hätten, wegen unzüchtiger Handlungen, weil sie nackt gewesen, verurtheilt worden seien. Andererseits sei doch auch {on in Köln ein Kunsthändler wegen Ausftellung der Canova’s{en Grazien bestraft worden. Nun habe ein sehr hoher frommer Herr der Kunsthandlung von Keller u. Reiner die Ein- ladungékarte zu einer Auéstellung zurückgeshickt, weil darauf ein nacktes Weib abgebildet gewesen set. Die Kunst könne aber des Nackten niht entbehren. Man wolle die Jugend keus{ch erbalten; je mehr man aber die Jugend absperre, desto mehr Wege werde sie finden, diese verbotene Frußt ih zu verschaffen Es sei hier nur der Haß gegen das Fleisch und Furcht vor dem Fleish, die zu diesen Schritten führe. Goethe’!s „Wahl- verwandtschaften“ würden nah diesem § 184a ftrafbar sein, hon ibre Auslage in der Buchhandlung wäre es. Die Ausdrucksweise der Vorschrift sei außerordentlih unbestimmt. Wie sei die Ausftellung in Aergerniß erregender Weise zu denken? Die Sache sei nur durh- zuführen, wenn ‘die Richter sich daran gewöhnen, die Ausstellung selbft Alte Weiber beiderlei Geschlechts, die Aergerniß nehmen, werde es immer geben. Gr (Redner) habe eine

alte rau gekannt, die niht an dem Sghild einer Hebamme vorüber- eben konnte, obne sh zu s{hämen. Es werde hier unbewußt einer iung Vorschub geleistet, die in threm innersten Kern un-

keush j

Wirklicher Geheimer Ober- ungsrath im Reichs. Justizamt von Lenthe: Bei der Erklärung des Begriffs des Unzüchtigen kann man sich unmöglih auf den Standpunkt stellen, den der Borredner gestern * und heute eingenommen hat, damit würden wir noch hinter den gegenwärtigen Stand der Rehtsprehung zurückgehen.

64 Gaulke (fr. Vgg.) bemängelt ebenfalls die Unbestimmt- beit der Ausdrücke in diesem Paragraphen ; es sei ebenso unsicher, was unter unzüchtig, wie, was unter shamlos zu verstehen sei. s heute für shamlos gelte, brauche es nah wenigen Jahren nit mehr zu sein. Redner weist darauf hin, daß z. B. beute an dem Radfahrerkostüm der Damen niemand mehr etwas Anstößiges finde.

Abg. Pr. Hoeffel (Rp.) eri nicht, daß künstlerishe Jateressen bei solhen Ausftellungen von Abbildungen u. dergl. in Frage kämen ; es sei nur Reklame, um das Publikum und namentlih die Jugend in die Geschäfte hineinzulocken. Hier liege eine s{hwere sittliche Gefahr vor, welhe die Geseßgebung zurückzudämmen habe. Ein Theil der Fraktion sei bereit, für die Kommission zu stimmen, jeten- falls würde die Frafktion für die Vorlage eintreten.

Abg. Henning (d. kons.): Gegen die Kunst wird nihts ke- absihtigt. Aktstudien für die Künstler sind eine absolute Noth- wendigkeit. Vom künstlerishen Standpunkte ift es aber niht nöthig, daß die nackten Modelle photographiert werden. In älterer Zeit hatte man die Photographie niht, und gerade die älteren Meister haben Vorzügliches geleistet. Der Ausspruch, daß die Kunft die Darftellung des Wahren sei, ift ein shiefer. Die Kunst ift die Darsteliung des Fdealen, welhes durhdrungen ist von der Wahrheit. Die Antike ift in ibren Darstellungen des Nackten weit keuscher als ein proßer Theil der Darstellungen der heutigen Zeit; es giebt eine anständige Nactheit, wie es eine unanständige Bekleidung gtebt.

Hierauf wird ein Schlußantrag angenommen. Jn namentlicher Abstimmung wird § 184a nach der Kommissions- faffung mit 159 gegen 100 Stimmen angenommen.

ls neuen S 184h hat die Kommission im wesent-

Ren nah dem Zentrumsantrage folgende Bestimmung ein- ge]chaltet :

„Mit Gefäagnißstrafe bis zu einem Jahre odec mit Geldstrafe bis zu 1000 e wird beftraft, wer öfentlich theatralishe Vor- stellungen, Singspiele, Gesange- oder deklamatorishe Vorträze, Scaustellungen von Personen oder ähnlihe Aufführungen ver- anstaltet oder leitet, welche dur gröblihe Verlegung des Scham- und Sittlichkeitsgefühls Aergerniß zu erregen geeignet sind.

Gleihe Strafe trifft Denjenigen, welcher in öffentlichen, theatralischen Vorstellungen, Singspielen, Gesangs- oder deklama- torishen Vorträgen, Schauftellungen von Personen oder ähnlichen Aufführungen durch die Art seines Vortrags oder Auftretens das Scham- und Sittlichkeitssgefühl gröblih verletzt.“

Abg. Dr. Müller - Meiningen: Wir beantragen die Streichung auch dieses Paragraphen. Wie der sittlihe Normalmensh des Herrn Roeren eigentli ausfiebt, weiß der Reichstag noch immer niht; die 21 Herren der Kommission haben diesen homunculus normalis nit konstruieren können. Aber foll es einfa den Richtern in unserem deutshen Vaterlande überlassen bleiben, ihn zu kon- struieren, dann werden Exzesse der deutshen Judikatur niht aus- bleiben können, und dann wird es das Zentrum nit gewesen sein wollen. Es wird hier eine direkte Gefahr für die Klassizität herauf- b-\{woren. Wenn man Stiller und Shakespeare auf die „lex Heinze“ hin durchliest, kommt man zu den unglaub- lihften Konsequenzen. Was soll mit „Wallenstein's Lager“, was mit der „Braut von Messina“, was mit dem „Fiesco*“, was mit den sämmtlichen Königsdramen Shakespeare's werden, welche durchweg unter die „lex Heinze“ fallen müfsen.? Wohin wir schon jeßt unter der läppishen Art gelangt sind, wie die polizeilihe Theaterzensur aus- geübt wird, bezeugt das Vorgehen gegen das Stück des Roftand „Cyrano von Bergerac". (Redner verliest die einzelnen beanstandeten Stellen.) Unter anderem ift der Ausdruck „Hühnersteiß“, auch „Hcch- zeitsnaht“ als unsittlich gestrihen worden; auch die Stelle, wo das Klyftier erwähnt wird, welhes man dem Dachs gab, ift beseitigt. Im „Probekandidat“ von Max Dreyer wird am S{hlufse gesagt: „Gehe Du nach Preufen, dort hat jedermann das verbriefte Recht, seine Meinung frei zu äußern.* Diese Stelle wurde in Breslau von dem Zensor, gestrichen. Neuerdings hat die Berliner Polizei die Theaterdirektoren zusammen- gerufen, um gewifse Sittlichkeitsvorschriften bezüglih der Kostümierung und dergleichen anzuordnen. Gegen die Lokale wie Wintergarten und Apollotheater wird andererseits eine unbeschreiblihe Laxheit be- obahtet. Gegen die Unsittlichkeit und Schamlosigkeit wollen wir alle ankämpfen, aber die hier gestellten Anträge müssen wir ablehnen, damit nicht die geistigen Führer unserer Literatur am Anfang des 20. Jahrhunderts auf den Sittenkod-x kommen.

Geheimer Ober-Regierungsrath im preußishen Minifterium des Innern Dr. Kruse: Bezüglih der Handhabe der Zensur hat der neue preußishe Minister des Innern einen Runderlaß herausgegeben, der hoffentlich Wandel {afen wird; aber daß nunmehr Mißgriffe auf dem Gebiet der polizeilihen Theaterzensur nicht mehr vorkommen werden, karn man si niht davon veriprehen. An der Einrichtung selbst glaubt die Regierung durchaus festhalten zu müssen; die er- fahrensten und tüchtigsten Theaterdirektoren find darin mit ihr ein- verstanden. Insoweit wird von der Verwaltung ein Bedürfniß, au noch den Strafrichter heranzuziehen, wie die Kommission das wünscht, nit anerkannt. L

Abg. Roeren: Die meisten Ziiate des Herrn Müller haben mit è 184b nichts zu thun. Im Abgz-ocdnetenhauje hat gecade ein Partei- reund des Herrn Müller im vocigen Jahre gerügt, daß die polizei- lihe Zensur zu lax sei. Die Furcht, daß die deutsche Klassizität von diesem Paragraphen getroffen werden könnte, stellt dieser ein s{lechtes Zeugniß aus. Sind Stücke da, welche das Schamgefühl gröblich verleßen und dadurch Aergerniß erregen, dann mögen sie ausgemerzt werden, sie seien klassish oder nicht. Im übrigen ist diese Bestimmung gegen die Sham- und Stttlichkeitsgefühl in gcöbliher Weise verleßenden Schaustellungen gerichtet, wie sie in den Varbietungen d2:r Barrisons, der Prinzessin Chbimay u. \. w. sich Jahre lang in {limmster Weise haben breit maden dürfen. Die ODtero ließ sich in dem Koftüm, in dem sie im Wintergarten ein ganzes Jahr lang auftrat, photographieren; das Bild wurde als unsittlih konfisziert, aber die Person felbst durfte sich unbebelligt körperlich in derselben anstößigen Weise ihrem Publikum präsentieren, weil es tagegen feine polizeilihe Gingriffsbefugniß gab. Diese wird mit dem Paragraphen gegeben, und so wird es auf diesem Gebiete beffer werden können..

Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:

Meine Herren! Der Königlich preußishe Herr Minister des Innern hat Ihnen vorhin durch seinen Herrn Vertreter mitgetheilt, daß er, was die polizeilihe Kontrole des Theaterwesens betrifft, eine Ergänzung der bestehenden Geseßgebung durch einen Paragraphen unseres Strafrechts niht nöthig habe. Erlauben Sie mir, einige Worte an Sie zu richten bezüglich der juristishen Beurtheilung dieser“ von der Kommission vorgeschlagenen Bestimmung.

Diese juriftishe Beurtheilung wird dadur einigermaßen ershwert, daß die Diktion des Paragraphen aus dem Rahmen der Vorlage eigentlih berausfällt. Wir haben zur größeren Klarftellung in der gegenwärtigen Vorlage mit Zuftimmung der Kommission unterschieden zwischen zwei Arten von anstößigen Dingen: den unzühtigen Hand- lungen, unzühtig, weil sie in geshlechtliher Beziehung Anlaß zur Beanstandung geben, und den shamlosen Handlungen oder den Handlungen grober Schamlosigkeit, denen eine ges{chlechtliche Beziehung abgeht. :

strafen, wenn er konsequent bleiben will, strafen sein ohne Rücksiht darauf, ob sie vor sich geht auf dem Theater oder außerhalb des Bühnenraums. Logik müssen Handlungen außerhalb der Bühne, die in der freien Oeffentlichkeit vor sh gehen, wo jedermann Zutritt hat, wo viele niht gewärtig find, daß etwas Anftößiges an sie herantreten könne, mindestens ebenso bestraft werden, wie Handlungen, die auf der Bühne, in einem geschlofsenen Raum, der niht jedermann ohne weiteres zu- gänglih ist, vorkommen.

will die Gejezgebung überhaupt gerecht sein. wenn diese Sätze richtig find, dann, glaube ich, muß jeder Jurist zu der Folgerung gelangen, daß der Paragraph in der Form, wie er hier vorliegt, jedenfalls niht angenommen werden kann. mich zur Zeit darauf, Ihnen diese Unmöglichkeit darzulegen.

weil er eine lihkeitsgefühls im zu beforgen ift, daß diese Strafvorschrift gegen die moderne Richtung in der Gert No

Ans ek den S tMR I Been Me weinen, wenn fie verboten würden. er solhe Anschauungen über einen unserer ernftesten und tüchtigsten Dramatiker hat, ves kann

Wir werden, da ih annehme, daß der vorliegende Paragraph beide Arten von Handlungen aber auch niht mehr treffen will, uns klar machen müssen, wie er sih bei solher Tragweite dem be- stehenden Rechte gegenüber verhält, was er wirkli Neues bringt. Da muß ih darauf aufmerksam machen, daß, soweit dieser Paragraph sich mit der Verfolgung unzüchhtiger Handlungen beschäftigt, bereits jeßt das Strafgeseßbuh in dem § 183 vollständig Vorsorge getroffen hat. Der § 183 des Stra*geseybuhs bestimmt, daß, wer durh eine unzühtige Handlung öffentlihes Aergeraiß erregt, mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft wird, mit einer höheren Strafe, meine Herren, als dies der Kommissionsbeshluß hier vorsehen will. Nun if es durch die Nechtsprehung des NReichsgerichts ¿weifellos feftgeftellt, daß jeder Vorgang auf dem Theater, mag er nun in dem Gesammtbilde einer Scene bestehen, mag er in einzelnen Geften des Schauspielers, mag er in einem Liede oder Aehnlichem bestehen, als eine Handlung im Sinne des § 183 anzusehen ift, woraus unwiderleglih folgt, daß jeder derartige Akt, der auf dem Theater vor sih geht, sobald er sih als unzüchtig qualifiziert, nah § 183 des Strafgeseßbuchs verfolgt werden kann, verfolgt werden muß und ciner s{ärferen Strafe unterliegt, als die Strafe ist, die der Kommisfionsbeshluß vorsieht. Und daraus folgt weiter, meine Herren, daß der Kommissionsbeshluß, soweit er sch mit der Verfolgung unzüchtiger Handlungen beschäftigt, gegenstandslos ift, daß also die Fafsung des Paragraphen nah dieser Rihtung hin jedenfalls eingeshränkt werden muß. Gegenstandslos sage ih, ih müßte sagen, bedenklih, denn der Kommissionsbeshluß würde dem Richter ge- ftatten, eine geringere Strafe für die fraglihen Handlungen anzu- wenden, als das Strafgeseßbuch fie zur Zeit vorschreibt. Ob die gegenwärtige Bestimmung des Strafgeseßbuchs in allen. Fällen der Praxis wirklih zur Anwendung kommt, das weiß ih niht, das kann aber auch auf ihre rechtlihe Bedeutung keinen Einfluß üben. Der Herr Abg. Roeren hat ja auch seinerseits bezüglih der von ihm ver- theidigten Vorschrift gesagt, er erwarte nicht, daß sie häufig im praktischen Leben Anwendung finden werde. So hâxfig wie dieser Paragraph, der hier vorgeschlagen wird, voraus- chtlich auf die unzühtigen Handlungen Anwendung finden würde, so häufig kann auch der Paragraph des Strafgeseßes An- wendung finden auf die gleihen Handlungen. Das Bedürfniß einer neuen Bestimmung ift niht erwiesen, und die Anwendbarkeit dieser Bestimmung liegt nah meinér Meinung für den Juristen ebensowenig klar zu Tage.

Ift das richtig, meine Herren, dann bleibt nur noch die zweite Art der Handlungen, die wir in den Rahmen der Gesetzgebung bezogen haben, übrig, die Handlungen von grober Shamlosigkeit. Jh nehme an, daß der Paragraph auch auf diese Handlungen \sich beziehen soll, denn er spriht nicht nur von Verleßung des Sittlichkeitsgefühls, sondern auch von der Verlegung des Schamgefübls ; ih vermuthe, daß die Kommission des hohen Hauses die Meinung hat, mit diesem Worte dasjenige zu treffen, was an anderen Stelles des Entwurfs als grobe Schamlosigkeit bezeihnet worden ift. Nun, meine Herren, wenn das richtig ift, dann bewegt sich der Paragraph, indem er sfich auf Aktionen, die inn:rhalb des Theaters vor sich gehen, beschränkt, in einer Jnkonsequenz, die strafrehtlich nicht ertragen werden kann, Bergegenwärtigen Sie sih, daß der § 183 des Strafgesezbuhs unzühtige Handlungen jeder Art trifft, die öffentlihes Aergerniß erregen, gleihviel, ob sie auf der Bühne vor sh gehen oder anderweit im Leben als öffentli sich qualifizieren. Nun wollen Sie hier dahin gelangen, \s{cham-

| losé Handlungen nur dann zu bestrafen, wenn sie auf der Bühne

vor sih gehen, dann aber ftraflos zu lassen, wenn sie an irgend einem anderen öôffentlihen Orte sih ereignen, wo sie unter Umständen doch viel nachtheiliger wirken können. Einen solhen Gedankengang des Gesetzgebers kann ih niht verstehen. Wird die Beftrafung un- züchtiger Handlungen, wie sie das Strafgeseßbuh eingeführt hat, für nothwendig gehalten gegenüber Handlungen außerhalb des Theaters ebenso wie gegenüber Handlungen auf dem Theater, dann wird, so- bald der Gesetzgeber dazu übergeht, shamlose Handlungen zu be- die Handlung zu be-

Nach s\tcafrechtliher

Ich sage also, soweit der Paragraph der Kommission unzühhtige

Handlungen trifft, ist er gegenftandslos und bedenklih, weil er eine mildere Strafe verhängt als das geltende Reht; soweit er sham- lose Handlungen im Auge hat, if er inkonsequent, insofern er nur das Theaterleben ins Auge gefaßt hat, nicht auch das übrige öôffent-

lihe Leben, das mit demselben Maßstabe gemessen werden muß, Meine Herren,

Ich beschränke

Abg. Traeger (fr. Volksp.): Herr Roeren hat als Argument

nur allgemeine Behauptungen vorgebracht, die für mih der thatsäch- lihen Begründung vorläufig noch entbehren. Die großen Reden von dem sittlihen Untergang unserer Zeit kann ih nicht als beredtigt passieren lassen; unjere Zeit ift nit unsittliher als irgend eine andere. Der frühere Reihsanwalt Stenglein, defsen Autorität der ganze Reichstag sicher anerkennen wird, hat in beftimmtester Weise das Bedürfniß einer solhen Borschrift geleugnet und das betreffende Vorgehen als höchst bedenklich, als einen verhängnißvollen Rückschritt erklärt. Zu der Unsittlichkeit, einem bhôchst dehnbaren Begriff, bat die Kommission als neuen, ebenso hinsihtlih seiner Umschreibung zweifel- haften Begriff die „Verlegung des Shamgesühls* und {ließli noch die „gröblihe Verletzung des gefügt. Ist es empsehlenswerth, Geseye zu geben, wo diese Begriffe nicht ohne weiteres klar und allgemeinen Niveau der Sittlichkeitsanshauung in der betreffenden Gegend vom Richter definiert werden sollen? Die Striche des

ham- und Sittlichkeitsgefübls“ hinzu- scharf gegeben, sondern ers nach dem

aehôren allerdings auch Stellen doch gestrichen, Scham- und Sitt- vorausfsah. Besonders

enfors im „Cyrano von Bergerac“ ierher; denn der Zensor hat die gröbligqe Verleßung des ublikum davon unst überhaupt ausgenußt wird. eren bat gemeint, Thräne nachh-