1901 / 58 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 08 Mar 1901 18:00:01 GMT) scan diff

Zahl zusammengefunden haben für einen gemeinsamen, außerhalb der Parteien stehenden nationalen Zweck, und daß diese Deutschen auch ihrerseits einen Beitrag zur Entwickelung der Reichsflotte beisteuern wollen. Jch glaube, daß ein folches gemeinsames Wirken des deutschen Elèments im Auslande nur warm zu begrüßen ist.

Was die zweite Anfrage des Herrn Vorredners bezüglih des „Bismarck* betrifft, so ist mir nichts davon bekannt, daß er sechs Spanten gebrochen hat. Ich bin also nicht in der Lage, darauf zu antworten. E

Abg. Molkenbubr (Soz.) fragt unter dem Hinweis auf den Verlust des Schulshiffs „Gneisenau“, auf welche Umstände die große Zahl der Todesfälle der Bemannung der Kriegsschiffe bei Unfällen zurückzuführen sei. Bei der Handelsflotte sei die Zahl der Unfälle und Todesfälle kaum halb so groß wie bei der Kriegsmarine. Man follte doch denken, daß es der Kriegsmarine noch leiter fallen follte, ihre Leute zu retten, als es der Handelsflotte möglih sei. Würden überhaupt die nöthigen Uebungen gemaht, um folchen Katastrophen zu begegnen ?

Staatssekretär des Reichs-Marineamts, Staats-Minister, Vize-Admiral von Tirpiß:

Meine Herren! Es klingt wirkli ganz eigenthümlih, wenn der Herr Vorredner hier bezweifelt, ob wir auf der Kriegsinarine auch wohl denjenigen Uebungen, die am allerselbstverständlichsten sind, genügend Beachtung schenken. (Sehr richtig! rechts.) Es sind dies die Uebungen mit den Booten, sowie für die Rettung der gesammten Mannschaft, wenn ein Unglücksfall stattgefunden hat. Jch kann nur wiederholen, in der Kaiserlihen Marine find diese Uebungen so alltäglih, daß fie eine besondere Erwähnung überhaupt nit finden. (Sehr wahr! rechts.) Wenn in der Kauffahrtei-Marine weniger Menschenverluste eintreten die Statistik habe ich nicht zur Hand —, so ist wohl ein wesentlicher Grund dafür der, daß die Kriegsschiffe mehr Besaßung haben als die Kauffahrteischiffe. Wenn in der Krieg8marine die Zahl der Unglüdcks- fälle groß ift, so liegt es auch- daran,. daß es sich fast immer um Totalverluste von Schiffen gehandelt hat. Es sind drei Schiffe: „Amazone“, „Frauenlob®“ und „Augusta“ f\purlos ver- s{wunden. Was den „Iltis“ anbetrifft, so muß man si vergegen- wärtigen, daß der „Iltis“ auf einem ganz kleinen, einfsamen Felsen, der noch nicht so groß ist wie ein Viertel dieses Saales bier, gestrandet ist, und daß die Seen, die Brecher über das ganze Schiff hinweggegangen find. Daß da weder Boote noch Rettung8gürtel, noch irgend welche anderen Hilfsmittel hätten helfen können, das ist für jeden, der die semänni- {hen Verhältnisse kennt, selbstverständlih! Bei dem Untergang der „Gneisenau“ baben die Verbältniffe ebenfalls so gelegen, daß die Schiff8- boote garniht benußt werden konnten; im Gegentheil, durch den Unter- gang eines Bootes, in dem sih eine größere Anzahl Menschen be- fanden, sind gerade die zahlreichsten Menscbenverluste eingetreten : das Boot wurde einfach durch die Brandung zers{lagen. Eine Reibe von Leuten, die sh mit Rettungsgürteln und Balken gerettet haben, sind dadurch zu Grunde gegangen, daß sie sih in der {weren Bran- dung nicht so lange haben halten fönnen, bis fie gerettet wurden. Die erfolgreihsten Rettungsversucße sind durch die Spanier und seitens unserer eigenen bereits geretteten Leute von Land aus gemacht worden. Die Rettung if ganz planmäßig dirigiert worden durch das Kommando des Kommandanten und des Ersten Offiziers, die beide auf der Kommandobrücke gestanden haben. Nur durch diese planmäßige und ordnungsmäßige Leitung der Rettungs- maßregeln sind thatsählih so viele Menschen an Land gebracht worden.

Was ferner die Frage der Korkwesten anbetrifft, so befinden si diese niht in dem Segelmacherraurtn, sondern in den Booten, und zwar besonders in denjenigen Booten, die wir als Rettungsboote betraten, den Kuttern.

Abg. Dr. Semler (1 Etat eine Verbesserung

bittet den Staatsfekretär, im nächsten teren Beamten ins Auge zu fassen.

Marineverwaltung nah

ibrer Zustimmung zu ( namhafte Ankäufe von

Konserven im Auslande gemacht habe, obwohl diese Konserven als

| i zei s Daraus gehe hervor,

gesundheitsf T H t daß bei öInterefe im Sptel

stärkere Besatzung die geringe der Ineitenau“” zeige,

Abg. Molkenbuhr der Kriegsschiffe cine N Kauffahrteischiffe. daß nicht alles ge Staatssekretär des Reich Vize-Admiral von Tirpiß: Meine Herren! Einen Verglei über und der Handelsmarine bei Schiffsverlusten kann ih geben, dazu muß man die Statistik zur Hand bc mir hier augenblicklich nicht zur Verfügung. , mir

Kriegas- zur Zeit nicht

F 1" und Atoso ftebt Til, Und L L L h,

n der Verr

zur Stelle sind.

[verluste gehabt

So ist die

„Undine“ bei {werem Sturm an der Westseite von Jütland zu Grunde gegangen und kein Menschenleben verloren worden.

Was die „Gneisenau“ anbetrifft, so hatte sie 460 Mann Be- satßung; davon sind 420 gerettet und 40 sind zu Grunde gegangen. Ich glaube, bei einer so großen Zahl von Menschen, bei einer fo schnellen Katastrophe, wie sie hier vorgelegen hat, ist das Verhältniß der Geretteten niht ungünstig. Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man 460 Menschen retten soll, oder ob es sich nur um 20 handelt.

Was die Frage betrifft, weshalb der Kommandant nicht den NBefebl gegeben hat, daß die Mannschaften sich in den Masten bergen sollen, so erflärt es fich vollständig dadur, weil man jeden Augen- blick erwartete, die Masten würden über Bord gehen, denn das Schiff stieß so heftig auf die Felsen, daß die Masten in Gefahr waren. Die lezten Mannschaften, die auf dem Schiff waren, haben sich erst dann in die Takelage gerettet, als das Schiff ganz untersank. Der Befehl des Kommandanten, daß sie zunächst niht in die Takelage gehen sollten, sondern möglihst versuchen ollten, durch Leinen, die von den Molen hinübergeworfen wurden, \sih zu retten, war cin rihtigér, und der Befehl, in die Masten zu gehen, wäre zur Zeit ein Fehler gewesen.

Abg. Graf von Klinckowstroem (d. konf.) : Mir ist ganz un- begreiflich, wie man annehmen kann, daß die Marine nicht alles thut, um die Mannschaften zu retten. Das Risiko bei der Kriegsmarine ist do viel größer als bei den Kauffahrteischiffen. Eine Schuld trifft die Verwaltung nicht. Die Deduktion des Abg. Bebel war sehr eigenthümlich. Der Staatssekretär hat gesagt, nur bei China sei es niht möglich ewesen, uns mit deutschen Konserven zu versorgen, und nur im

usnahmefall bat man das Ausland zu Hilfe gezogen. Der Staats- sekretär hat doch auch eine Auswahl getroffen. Jedenfalls werden

jeßt nur noch deutshe Konserven verwendet, und ich hoffe, daß von diesem Grundsaß nie abgegangen werden wird.

Das Gehalt für den Staatssekretär wird bewilligt, ebenso der Rest der Befoldungen, desgleichen der Rest des Ordinariums ohne Debatte.

Unter den einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats werden 6 Millionen Mark zum Bau des Linienschiffs „Wittelsbah“ als dritte Rate gefordert. Die Kommission schlägt vor, 2400 000 A davon abzuseßen. An diesen Titel

knüpfte sich in der Kommission eine Debatte über die That-

sache, daß es dem Marineamt der Vereinigten Staaten bereits im Vorjahr gekungen sei, eine Preisreduktion auf 455,52 Dollars oder 1920 A zu erlangen, während die deutshe Marinever- waltung 2320 # pro Tonne oder ca. 400 # pro Tonne mehr zahle. Da jeder Jahres-Etat der Marine etwa 7500 Tonnen enthalte, bilde die Nachforderung der deutschen Pro- duzenten einen Nachtheil von circa 3 Millionen für das “Deutsche Reich, oder einen Gesammtnachtheil von 60 Millionen für die Dauer der Bauzeit des Flottenprogramms. Das Ver- halten der deutshen Produzenten werfe ein eigenthümliches Licht auf ihren Patriotismus. Die Kommission hat zugleih folgende Refolution beantragt: den Reichskanzler zu ersuchen, derselbe wolle in Erwägung ziehen, ob sih nicht im Interesse der Ersparniß die Einrichtung eines Panzerplattenwerks auf Kosten des Reichs empfiehlt. Diese Resolution wird mit zur Debatte gestellt.

Staatssekretär des Reichs-Marineamts, Staats-Minister, Vize-Admiral von Tirpih:

Meine Herren! Ih möchte den Ausführungen des Herrn Ne- ferenten meinerseits noch einige Worte hinzufügen. Jch habe bei den Berathungen in der Kommission vertraulihe Mittheilungen gemacht über die Verhandlungen, die zwishen der Reihs-Marineverwaltung und der Firma Krupp bezüglich des Preises der Panzerplatten \{chweben. Ich habe geglaubt, diese Mittheilungen in der Kommission nur ver- traulich machen zu sollen, weil ih von der Annahme ausgegegangen bin, daß eine Erörterung dieser Frage in der Presse die Verhandlung mit der Firma Krupp ers{weren könnte. Inzwischen hat mich die Firma Krupp selbst gebeten, den Stand der Verhandlungen dem hohen Haufe mit- zutheilen. Diesem Wunsche der Firma Krupp komme ih gern nah. Die Verhältnisse sind so, daß die Firma Krupp angeboten hat, wenn die Marine zur Zeit nur den Jahresbedarf, aber niht unter 6000 t Panzerplattenmaterial von der Firma Krupp-Villingen fest bestellt, alsdann eine Preisermäßigung von 150 Æ pro Tonne eintreten folle. Rechnet man hierzu noch die Frachtkosten und den Kontraktstempel, so ergiebt sih eine Preisdifferenz zwischen den amerikanischen Platten- preisen und dem unserigen nicht von 400, fondern nur von 220 M. (Unruhe.)

Die Firma hat sih aber ferner erboten, noch eine weitere erhebliche Preis8ermäßigung eintreten zu lassen, wenn die Be- stellung auf eine größere Reibe von Jahren gesichert sei. Es ist genau dieselbe Bedingung, die seitens der amerikanischen Panzer- plattenfabriken für die amerifanishe Verwaltung gestellt worden ist. Ueber diese weitere Preisermäßigung {weben noch die Verhand- lungen. Es lassen \sch die Modalitäten des Vertrags hier noch nit bespreWen, do möchte ih glauben, daß bei dem Entgegen- fommen, welches die Firma Krupp in dieser Angelegen- beit dem Reichs-Marineamt bisher gezeigt hat, wir zu dem Nesultat kommen, daß unsere Panzerplatten nicht theurer sein werden als in Nord-Amerika. Ich glaube, auch noch hinzufügen zu follen, daß die erheblich böberen Preise der früheren Jahre sih dadurch erklären lassen, daß die Firma Krupp bei der völligen Unsicherheit, mit der sie etwaigen Zukunftsbestellungen gegenüberstand, die außer- ordentli boben Einrichtungsfosten für die Panzervlattenwerke dadurch deckden mußte, daß fie schr hohe Amortisationssäße in Anschlag brate. Dieser Grund fällt, nachdem die Flottengeseße vom hohen Hause genehmigt sind, weg: und so hoffe ih, daß wir zu dem Resultat fommen werden, welches ih vorher genannt habe.

Damit schließt die Diskujsion. Í

Berichterstatter Abg. Müller - Fulda bält es für das Beste, daß

; Reich selber ein Panzervlattenwerk errihte. Die Auskunft des aatésekretärs fönne nicht befriedigen.

Dem Antrage der Kommission gemäß werden 2 400 000 abgesezt und die Resolution mit großer Mehrheit an- genommen, ebenso der Rest der einmaligen Ausgaben des ordentlichen Etats.

Unter den einmaligen Ausgaben des außer-

dentlihen Etats sind 2700000 Æ zum Bau von zwei großen Trockendocks auf der Werft zu Kiel (5. Baurate) aus- aeworfen Auf den Antrag der Kommisston wird davon cine Million abagcjesßt.

Zum Bau eines Bassins auf der Holminsel bei Danzig sind als zweite Nate 1 Million Mark gefordert. Die Kommission empfiehlt statt dessen, die Forderung abzulehnen und zur Beschaffung und Einrichtung von Schiffsliegepläßen in Danzig die Restbestände des für 1900 bewilligten Fonds zum Bau eines Vassins zu verwenden. Das Haus beschließt dem- gemäß. Der Rest des außerordentlihen Etats wird ohne De- batte erledigt; über die zum Etat eingegangenen Petitionen wird zur Tagesordnung übergegangen. Die Einnahmen werden ohne Debatte angenommen. :

Damit ist die Berathung des Marine-Etats beendct und die Tagesordnung ershöpft.

Schluß 2/4 Uhr. Nächste Sißung Freitag 2 Uhr. (Kleinere Vorlagen und Wahlprüfungen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

43. Sißung vom 7. März, 11 Uhr. i

Die Berathung des Etats des Ministeriums der geistlihen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegen- heiten wird bei dem Kapitel der höheren Lehranjtalten fort- geseßt. Es mird zunächst über die Schulreform verhandelt.

Berichterstatter Abg. Bandelow (konf.) berichtet über die Kommissionsverhandlungen, die sih an den Allerböchsten Erlaß vom 26. November v. I. über die Schulrcform gekniwpft haben.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Studt:

Meine Herren! Es i} mir ein Bedürfniß, gleich zum Beginn der Erörterungen über Kap. 120 des Ihnen vorliegenden Etatsentwurfs das Wort zu ergreifen, um dem hohen Hause Aufs{chluß zu geben über diejenigen Gesichtspunkte, von denen die Unterrichtsverwaltung

in der Dur®Gführung der durch den Allerhö{hsten Erlaß vom 26. November vorigen Jahres angeordneten SHulreform fih hat [eiten lassen. Jch seße voraus, meine Herren, daß Ihnen der Inhalt dieses Allerhöchsten Erlasses allseitig bekannt sein wird, und werde mir gestatten, in meinen weiteren Ausführungen der Reihenfolge der einzelnen Anordnungen dieses Erlasses zu folgen.

Meine Herren, in der Presse is vielfach unterstellt worden, als ob die Unterrichtsverwaltung nicht voll und ganz auf dem Boden diefes Erlasses stehe, insbesondere geneigt fei, die Bedeutung desfelben in der Ausführung abzushwächen. Jch brauche wohl nicht zu fagen, wie unbegründet derartige Annahmen sind. Der Allerhöchste Erlaß ist von mir gegengezeichnet; damit habe ich die Verantwortung für denselben voll und ganz übernommen. Mit den darin enthaltenen Anordnungen stimme ih aber au aus eigenster Anschauung übetein. Maßnahmen, die fo tief in die Entwicklung des höheren Unterrichts- wesens eingreifen, würde ih nicht vertreten können, wenn ih uit der festen Zuversiht wäre, daß sie unsern Schulen und dem ge- fammten Vaterlande zum Heile gereichen werden.

Besonders viele Mißverständnisse haben sich an die Nr. 1 des Allerhöchsten Erlasses geknüpft. Es ist hier der Grundsaß aus- gesprochen, daß in der Erziehung zur allgemeinen Geistesbildung die drei Arten von höheren Schulen als glei{chwerthig anzusehen sind, und daß deshalb eine Ergänzung der Vorbildung nur insofern in Frage kommen fann, als es für mande Studien- und Berufszweige noch befonderer Vorkenntnisse bedarf, deren Vermittelung niht oder do nicht in demselben Umfange zu den Aufgaben jeder einzelnen Anstalt gehört. Zugleih is darauf hingewiesen, daß auf die Aus- dehnung der Berechtigungen der realistishen Anstalten Bedacht zu nehmen set.

Diese Grundsätze, meine Herren, richten fich gegen das bisherige Gymnasialmonopol, gegen die Anschauung, als ob die Gymnafial- vorbildung die allein rihtige und berechtigte sei. Diese Annahme ist niht haltbar, und sie ist der Entwickelung und dem humanistischen Charakter des Gymnasiums nur {ädlich gewesen. Weil diese Schul- art allen nur möglihen Studien und Berufsarten gerecht werden sollte, mußte sie immer mehr realistishes Wissen in ihren Lehrplan auf- nehmen, und wurde mit einer großen Zahl von Schülern belastet, welche zweckmäßiger andere Bildungsanstalten aufgesucht hätten. Auf diesem Wege weiter zu gehen, würde für das Gymnasium verbängniß- voll geworden sein, würde, wie auch die leßte Schulkonferenz betont hat, zum Ruin und zur Vernichtung des bumanistishen Gymnasium führen.

Hierbei möchte ih bitten, einen wihtigen Umstand nicht aa Acht zu lassen: es ist ein entschiedener Irrthum, wenn vielfa ange: nommen wird, daß das Gymnasialmonopol von jeher in Preußen Rechtens gewesen sei. Das ist nicht der Fall. Das Abiturienten- eramen ist befanntlich erst durch das Edikt vom 23. Dezember 1788 in Preußen eingeführt; dabei ist aber keineswegs zuglei vorgeschrieben worden, daß das Bestehen dieser Prüfung Vorbedingung für die Zulassung zu den Studien und den verschiedenen Berufszweigen sein solle. Besonders bezeichnend ist diese Auffassung in cinem Reskript der Unterrichtsverwaltung vom 1. Mai 1813, gezeihnet dur Wilbelm von Humboldt, zum Ausdruck gelangt, in dem es heißt: den Zeugnissen gänzlicher Untüchtigkeit sei die Wirkung, daß au dieselben niemand bei einer Universität immatrikuliert werden könne, nit beigelegt worden, weil hierin ein zu tiefer Eingriff des Staates in die Nechte der väterlichen Gewalt würde gelegen haben, weil ferner die Erfahrungen zeigen, daß junge Leute, die auf Schulen noch lange würden unreif geblieben sein, durch die ganz veränderten Berührungen worin sie auf der Universität geseßzt werden, sich bald entwickelt und daë Versäumte nachgeholt hätten, und weil die Schulverwaltung das Zeugniß der Reife auch mehr für ein Resultat des in der Schule herrschenden guten Geistes und des unter Lehrern und Schülern belebten Chrgefühls als des Zwanges habe machen wollen. Erst viel später und nur ganz allmählich ist die Beschränkung in die Verwaltungë- vraris eingedrungen. Ihren Abschluß hat diefe Entwickelung dadur gefunden, daß in dem Reglement für die Prüfungen der zu den Universitäten übergehenden Schüler vom 4. Juli 1834 allgemein und ausnabmslos für die Immatrikulation auf den Universitäten des Zeugniß der Reife verlangt wurde. Wenn also der Allerböt#fe Erlaß vom 26. November v. J. unter Nr. 1 inzwischen zur Bedeutung gelangten Schwesteranstalten für glä® wertbig erklärt und die Folgerung für die Erweiterungen de Berechtigungen hieraus zieht, so giebt er damit nur die bisherige Beschränkung auf, indem er an die freien altpreußishen Traditionen anfknüpft.

Meine Herren, was die Durchführung der bezeichneten Gesichts punkte anbetrifft, so ergeben si in der besonderen Anwendung auf die realistishen Anstalten von selbst folgende Fragen.

Es fragt sich zunächst, ob und in welhem Umfang für die einzelnen Berufszweige neben der auf der Schule erlangten Allgemein bildung eine Ergänzung der Spezialkenntnisse erforderlich ist. Diese Frage ist für Theologen bereits beantwortet, und zwar in dem Sinne daß die Kenntniß des Lateinischen und des Griechischen in demfelden Umfange gefordert werden muß, wie das bisher der Fall war.

Auch für gewisse Fächer, die zum Stutienbereich der philosophischen Fakultät gehören, sind zweifellos besondere Kenntnisse erforderli So steht es z. B. außer Frage, daß ein Oberrealshüler, dem di Kenntniß des Lateinischen und Griechischen fehlt, ohne eine entsprechend? Ergänzung seiner Vorbildung nit mit Erfolg flafsishe Studi betreiben fann. :

Bezüglich der Mediziner {webt bekanntli die Frage noch deu Bundesrath: die Entscheidung steht also außerhalb der Zuständigken der preußischen Unterrichtsverwaltung.

Was die Juristen anbetrifft, so sind die Verhandlungen mit dem betheiligten Ressort eingeleitet, wie ih in der Kommisfion son zu erklären die Ehre hatte. Es würde für die Verhandlungen nicht förderlih sein, wenn ich mich über die Zielauffassung, welche die Unterrichtsverwaltung dabei im Auge hat, schon jeßt näher aussprechen wollte. Auch will ih {hon jeßt bemcrfen, daß es der (Frwägung bedarf, ob es nit angezeigt sein wird, nah Abshluß der Ber handlungen in Preußen zunächst mit den anderen deutschen B in Verbindung zu treten, um nicht ohne Noth eine einheitliche Dor bildung der deuts{hen Juristen zu gefährden.

Die weitere Frage ist, auf welchem Wege der Nachweis der

erforderliden Spezialkenntnisse zu führen ist. Es fommen dafur E | schiedene Möglichkeiten in Betracht. Zunächst das Bestehen der (L Ï 6 p o 0 V sonderen | berigen Ergänzungéprüfungen, dann die Einrichtung von besonderc

Norkursen- auf der Universität, wie fie die Schulkonferenz empfohlen hat, schließlich die Möglichkeit, von allen derartigen Veranstaltungen abzusehen und es jedem Einzelnen zu überlassen, wie er sich die Kennt- nisse aneignet, die er für feine Berufsbildung nöthig hat.

Nun hat sih aber bei der weiteren Erwägung dieser Frage ergeben, daß die Einrichtung ven afademischen Vorkursen mit großen Schwierigkeiten verburiden ist. Es - wird sich also wobl empfehlen, mit den akfademishen Vorkurfen nicht in weitem Umfange zu rechnen. Dasselbe wird auch bezüglich der Ergäuzungsprüfungen, soweit sie nit s{lechterdings unentbebrlih erscheinen, anzustreben feien. Ganz wird sih das aber wenigstens zur Zeit noch nit machen laffen.

So hat sich für die Theologen, dem Wunsche der kir{lichen Organe entsprechend, die Nothwendigkeit ergeben, die Ergänzungs- prüfung beizubehalten. Bezüglich der Studiengebiete der philofophischen Fakultät dagegen habe ich den dritten Weg eingeshlagen, sodaß es jedem Einzelnen überlassen bleibt, wie er si die erforderlichen Fach- fenntnisse aneignen will. Ih bemerke hierzu noch, daß ih in der Kommission eingehend die bezüglihen Erwägung8gründe und auch die bereits getroffenen Anordnungen darzulegen die Ehre hatte.

Ob und inwieweit das auch für Mediziner und Juristen gesehen fann und wird, darüber vermag ih Jhnen, wie die Dinge liegen, einen Auf\{luß noch nit zu geben, da beides von der Unterrichtsverwaltung nicht allein abhängt.

Eins aber, meine Herren, muß ih in diefer Sache noch mit aller Entschiedenheit betonen. Jh habe mich in hohem Maße darüber gewundert, daß man von der Unterrihtsverwaltung verlangt, sie solle alle diese Fragen in der kurzen Zeit erledigen, die seit der Publikation des Allerhöchsten Erlasses vergangen ist. Abgesehen davon, daß die Entscheidung, wie bereits bemerkt, zu einem großen Theil außerhalb

meiner Zuständigkeit liegt, handelt es fich hier um so wesentlihe Ver- änderungen von althergebrahten Zuständen auf einem der wichtigsten Gebiete des offentlichen Lebens, daß ich in der That alles eher erwartet hâtte, als den Vorwurf eines allzu langsamen Vorgehens. (Sehr richtig! rets.)

Meine Herren, ih habe gestern {hon auf einzelne Anfragen er- fläreu müssen, daß es für die Unterrichts8verwaltung eine geradezu unlöëbare Aufgabe ift, gegenüber diefen grundlegenden Vorschriften, die der allersorgfältigsten Vorbereitung und Erörterung au mit anderen Ressorts bedürfen, nun schon fo vorzugehen, daß alle in Betracht kommenden Fächer jeßt {on ihre vollständige Erledigung finden. Das ift einfach nicht dur{führbar.

Wenn nebenbei darauf hingewiesen ist, daß die Eltern si in Verlegenheit befänden, welher Schulart sie den Vorzug geben sollen, so fann ic Allen nur empfehlen, sich einstweilen nah denjenigen Be- stimmungen zu richten, die bisher {on in Geltung oder neuerdings in Ausführung des Allerhöchsten Erlasses innerhalb meiner Zuständig- feit bereits getroffen sind.

Ic fomme nun zu Nr. 2 des Allerhöchsten Erlasses.

An der Spitze ist hier eine wichtige Konsequenz der soeben von mir erörterten Gesichtspunkte dahin ausgesprochen, daß damit die Möglichkeit geboten sei, die Eigenart jeder einzelnen Anstalt kräftiger zu betonen. Dies wird sogleih praktisch dadur bethätigt, daß im Lehrplan der Gymnasien eine Verstärkung des Lateinischen zugelassen wird. Es handelt sich dabei allerdings nur um wenige Stunden. Aber diese werden ausreichen, um das Gymnasium in den Stand zu seßen, seine Ziele in diesem Unterrichtszweige wieder vollständig zu erreihen. Und, auch abgesehen davon, baben diese wenigen Stunden eine verhältnißmäßig große grundsäßlihe Bedeutung. Jch brauche nur daran zu erinnern, daß vor Jahr und Tag in Betracht gezogen war, ob der klassische Unterricht auf den Gymnasien nicht einer wesentlichen Beschränkung zu unterwerfen sei. Statt dessen ist / derselbe gekräftigt aus der Anfehtung hervorgegangen. Damit hat das bumauistishe Gymnasium den Angriff auf feine Grundlage glücklih überstandenz der status quo ants ist nicht bleß beibehalten, sondern hat eine be- ahtenswerthe Verstärkung erfahren. Ï

Gbenso verhält es sich mit der Vermehrung der Lateinstunden auf den Realgymnasien. Auch hier handelt es sih nur um wenige Stunden, aber die Bedeutung liegt auch hier in der Erbaltung und Stärkung der Realgymnasien, denen bekanntlih vor nicht langer Zeit die quaestio status gemacht war.

Auf die übrigen Aenderungen in den Lehrplänen, insbesondere di Verstärkung des Englischen auf den Gymnasien, will ih niht näher eingehen, weil dieselben, wenn auch gewiß sehr wicktig, so doch nicht von durchgreifender Bedeutung sind. Näheren Aufschluß giebt auch die Denkschrift, die dem hohcn Hause inzwischen zugegangen ist.

In Nr. 3 des Allerhöchsten Erlasses werden verschiedene Ver- besserungen im Unterrichtsbetriebe empfoblen, von denen ih nicht be- zweifle, daß sie, wie in pädagogischen Kreisen, so auch hier in diesem Hause allgemeine Zustimmung finden werden. Besonders ist daraus die Mahnung hervorzuheben, daß nah dem Saße: multum, non muita bei jeder Art böberer Lehranstalten zwishen Haupt- und NebenfächerWunterschicden werten soll. Die Durchführung dieses Gesichtspunktes wird zur Verhütung der Ueberbürdung der Schüler führen, andererseits aber zur Folgè haben, daß in jeder Anstalt die- jenigen Fächer, welche für ihre Eigenart von entscheidender Bedeutung find, besondere Berücksichtigung finden. Damit ist z. B. für die Gymnasien den alten Sprachen, für die Nealgymnasien dem Latein und den modernen Spracben, für die Oberrealshulen den mathematisc{h- naturwissenshaftlihen Fächern und für alle Anstalten der Neligion und dem Deutschen ein hervorragender Plaß im Unterricht gesichert. __ Meine Herren, Nr. 4 des Allerhöchsten Erlasses betrifft die Ab- \hlußprüfung, dereu baldige Beseitigung in Aussicht zu nehmen sei. Es ist damit einer Anschauung entsprochen, die in den Kreisen nicht bloß der Fahmänner, sondern auch der Eltern allgemein bestand. Dem- entsprechend ist denn auch bereits die Abs{lußprüfung uater allseitiger stimmung niht nur füx den einjährig-freiwilligen Militärdienst, /ondern au in ihren sonsttgen Anwendungen beseitigt worden. An diese Maßnahme is aber von verschiedenen Seiten die Besorgniß ge- kuüpft worden, daß dadurch den Vollanstalten ein bedenkliher Vorzug vor den Nichtvollanstalten eingeräumt sei, weil an diesen die bisherige Reifeprüfung ‘für dieselben Berechtigungen beibehalten werde, welche leßt nach Aufhebung der Abschlußprüfung an den Vollanstalten ohne jede Prüfung erworben werden. Mit Nücksicht darauf bemerke ich, daß es in der Aksicht liegt, die Neifeprüfung an den Nichtvollanstalten einer _dur{greifenden Vereinfachung in dem Sinne zu unterzichen, ay fie in der Hauptsache ¡auf cine gewöhnliche Versetzungsprüfung hinausläuft, wie sie auch an Vollanstalten stattfindet. Damit wird

.\o kann er au noch mehr,

der Ausgleih so weit gegeben sein, daß im Grunde nichts weiter übrig bleibt als die Namensverschiedenheit.

Was endlih die Nr. 5 des Allerhöchsten Erlasses betrifft, so werden darin die Altonaer und Frankfurter Lehrpläne wohlwollend und ermuthigend in der Art berücksichtigt, daß der Versu mit diesen Lehrplänen, dem Vorschlage der Schulkonferenz gemäß, nicht nur in zweckentsprehender Weise fortgeführt, sondern aud, wo die Voraus- sezungen zutreffen, auf breiterer Grundlage erprobt werden soll. Maßnahmen in dieser Richtung sind bereits in der Vorbereitung. Sie werden aber die durch den Allerhöchsten Erlaß gezogenen Grenzen nicht überschreiten.

Das, meine Herren, sind in Kürze die Gesichtspunkte, na welchen in voller Uebereinstimmung mit dem Allerhöchsten Erlasse die Unterrichts- verwaltung die im Jahre 1892 eingeleitete Reform der höheren Schulen weiter zu führen gedenkt. Sie rechnet dabei nach den Worten des Allerhöchsten Erlasses auf die alle Zeit bewährte Pflichttreue und verständnißvolle Hingebung der Lehrerschaft; und ih darf wobl boffen, meine Herren, daß die Zustimmung dieses hohen Hauses hierzu nit fehlen und daß es auf diesem Wege mit vereinten Kräften gelingen wird, zur Beruhigung unseres Schulwesens und zu dem allseitig er- sehnten Schulfrieden in unserem Vaterlande förderlih beizutragen. (Lebbaftes Bravo.)

Abg. Dr. Goebel (Zentr.) dankt zunächst im Namen aller Freunde der humanistishen Anstalten dem Minister für seine Ausfübrungen und geht dann auf die Einzelheiten der revidierten Lehrpläne näbét ein, wobei er von dem Präsidenten unterbrochen wird, der darauf hin- weist, daß Mitgliedern des Hauses das Vorlesen von Reden nach der Geschäftsordnung nicht gestattet ift. Die Darlegungen des Vorredners find nur bruchstückweise zu verstehen. Unter anderem s\{eint er zu bemängeln, daß die Oberlehrer-Zulage noch nicht gleihmäßig den Be- rechtigten gewährt werde.

Präsident von Kröcher: Jh muß Sie einen Augenblick unter- breden. Der Minister-Präsident läßt mir \oeben mittheilen, daß Seine Majestät der Kaiser und König gestern auf der Fahrt in Bremen im Gesicht verleßt worden ist durch den Wurf mit einem Eiseninstrument, welches von einem anscheinend unreifen Buben geworfen ist. Jch weiß, daß Sie Alle mit mir über diese fluhwürdige That denselben Abscheu empfinden wie ich, und ich bitte Sie deshalb, mit mir einzustimmen in den Ruf: Seine Majestät der Kaifer, unser Allergnädigster König und Herr, Er lebe bo, boch, hoh! (Das ganze Haus hat sich erhoben und stimmt be- geistert in den dreimaligen Hochruf ein.) Nunmehr bitte ih den Herrn Vorredner, fortzufahren.

Abg. Dr. Goebel versuht fortzufahren, kann \ich aber bei der wachsenden Aufregung, die sih im Hause kundgiebt, niht mehr ver- stän dlich machen.

Präsident von Kröcher: Die Aufregung, in die uns diese Kunde verseßt hat, macht es doch nöthig, unsere Sißung auf eine, wenn auch nur turze Zeit zu unterbrehßen. Ich {lage Ihnen deswegen .vor, jetzt eine Pause zu machen und pünktlich um 1275 Uhr die Sißung wieder aufzunehmen. (Allseitige Zustimmung.) }

Die Sißung wird um 11 Uhr 55 Minuten abgebrochen.

Um 121/7 Uhr wird die Verhandlung wieder aufgenommen.

Abg. Dr. Goebel fährt in seinen Darlegungen fort. Er plaidiert für die Vermehrung der Oberlehrerstellen zur Verbesserung des Ver- hältnisses der Zahl dieser Kategorie zu derjenigen der etatsmäßigen Hilfslehrer.

Abg. Dr. Beumer (nl.): Nachdem ih 25 Jahre lang an den Kämpfen um die Schulreform theilgenommen habe, vertrete ih die persönliche Auffassung, daß man den Abiturienten der neunklassigen Lehranstalten für alle Fächer der Technischen Hochschule die Bahn freimadhen und dem humanistisWen Gymnasium Gelegenheit geben muß, seinen ursprünglihen Charakter wiederzuerhalten. Heute steht meine ganze Partei auf diesem Boden. Leider muß ih auch nach der heutigen Erklärung des Kultus-Ministers sagen, wir find enttäusht dur dieselbe gegenüber dem Königlichen Erlaß. Diese Feststellung richtet fich nicht in erster Linie gegen den Kultus- Minister, denn er hat wenigstens die ganze philosophische Fakultät den neunklassigen Lehranstalten freigegeben. Aber dennoch bleibt, was jezt gewährt wird, *'ganz erheblih hinter dem zurück, was

Königliche Erlaß in Aussicht stellte. In diefem heißt

„Bezüglich der Berechtigungen iff davon auszugeben, die drei Arten der Schule eine gleih- werthige Vorbildung Wir sind gewiß Freunde des jumanistishen Gymna 8, aber man sollte doch nicht die Lehrvyläne desselben immer wieder it neuem Lehrstof bepacken. Ruhe thut auf diesem Gebiete notb, nicht aber ein ewiges Aendern der Lehrpläne. Die stete Unrube, jeßt der in Ausfiht genommene Unterricht in der englischen Sprache bis Untersekunda, würde nur in immer fteigendem Maße dazu beitragen, den Gymnasien eine Menge Ballast zuzuführen. Man sollte für die Gymnasien zu den Lehrplänen von 1882 zurück- kehren. Die Gleichwerthigkeit der Vorbildung bängt völlig in der Luft, wenn nicht die Berechtigung hinzutritt. Schriebe man, wie mein alter Direktor Shmieding einmal äußerte, über die Pforte eines Gymnasiums: „Hier wird nur Siamesisch gelehrt“, so würde es ebenso gefüllt sein, wenn es die Berechtigung gewährte. In der pbilosophishen Fakultät sollen keine Nachprüfungen statthaft sein, die betreffenden Kenntnisse in klassischer Philologie u. \. w. vielmehr im Staatseramen nachgewiesen werden. Damit sind wir völlig einverstanden; aber warum sollen denn folche Nachprüfungen für die Mediziner und Juristen Vorschrift sein, wenn es sich umNealgymnasiasten oder Oberreal schüler handelt ? Man hat in den Kreisen des humanistishen Gym nasiums befürchtet, daß man genöthigt sein würde, das Maß der An- forderungen an die Hochshulhörer herabzuseßen. Davon kann aber gar keine Nede sein. Ist dènn êtwa auf den Technischen Hochschulen eine solche Herabseßung cingetreten? Jch habe nichts davon gehört. Jch kann mich den Ausführungen des Direktors Matthias, früher in Düssel- dorf, über die Gleihwerthigkeit der Vorbildung der humanistischen und der realistischen Anstalten nur anschließen. Mit den Juristen in meiner Partei bin ih darin einig, daß für den praktischen Juristen die Kenntniß des FnglisWen und des Französischen ebenso nothwendig ist, wie die Kennt- niß des Lateinischen für das corpus iuris; dasselbe gilt für die Me- diziner und für die Offiziere, welhe nah dem Lehrplan der Kadetten anstalten unterrihtet werden, also fein Griechisch gelernt haben. Die Befürchtung, daß die Gleichberehtigung zu einer Uebershwemmung der Universitäten und zur Vermehrung des akademischen Proletariats führen würde, theile ih nicht. Die gegenwärtige Uebershwemmung der Gymnasien beruht auf dem Berechtigungswesen. Hat der Junge nah langen Quälereien wirklich das Abiturientenexramen bestanden, so muß er studieren; er findet an dem faufmännischen Beruf seines Vaters keinen Gefallen und hält sich für viel zu gut dazu, er geht zur Universität. Daher stammt die Masse des akademischen Proletariats. Befürhtete man im Ernst diese Uebershwemmung, so hätte man doch auch die philofophische Fakultät noch etwas warten lassen müssen. Daß jeßt die Abiturienten der Mealgymuasien und Oberrealshulen in Wasen Medizin und Jura \tudieren werden, ist ausgeschlossen, denn die dort erworbene Bildung befäbigt glücklicherweise noh zu zahlreichen anderen praktisen Berufen. Das humanistishe Gymnasium muß feiner ursprünglichen Aufgabe erhalten bleiben, den beiden anderen Kategorien müssen dieselben Berechtigungen verlichen werden. Nachprüfungen sind unstatthaft, die Entscheidung über allgemeine Bildung wird lediglich un Staats8eramen gefällt.

Abg. Dr. Kropatscheck (kons.): Schon vor mehreren Jahren hat man von der bevorstehenden Schulreform gesprochen, und tin vorigen Jahre hat eine neue Schulkonferenz im Kultns-Ministerium stattgefunden. Früher hat man beklagt, daß zu viel Schulmänner

neuntila)ngen

in den Schulkonferenzen gewesen sind, heute wird umgekehrt geklagt, daß nicht genug Schulmänner darin gewesen sind. Im allgemeinen ist bei den Schulkonferenzen, insbesondere nah 1873, nicht allzu viel herausgefommen. Hätte man früher das Realgymnasium ganz aufgehoben, so wäre ein großer Theil der heutigen Schwierigkeiten vermieden worden. Die Schul- verwaltung hat sich allerdings dem Eindruck nicht entziehen können, daß im Lande eine große Bewegung für die Gleichstellung der drei Schularten, hinsichtlich der Berechtigung zum akademishen Studium besteht. Der Gymnasialmännerverein hat \sich au dafür aus- gesprochen, aber wohl hauptsählich in dem Wunsche, aus diesem leidigen Streit endlich einmal berauszukommen. Es ist nun ein großer Unterschied, ob man von der Gleihwerthigkeit der Ausbildung, welche diese Schulen für das Leben gewähren, oder ob man von der Gleichwerthigkeit der Vorbildung für das Universitätsstudium spricht. Wer diese Gleichbereßtigung will, der muß sie au unbedingt wollen, und i selbst bin in der Konferenz der Anschauung entgegen- getreten, welche allein für die Juristen- und Verwaltungsbeamten eine Ausnahme statuieren wollte. (Die weiteren Ausführungen des Redners kommen bei der Unrube im Saale nur sehr mangelhaft auf der Tribüne zu Gehör.) Für den Beschluß der Gleichberehtigung habe ih gestimmt, weil dem Geschrei, daß das Gymnasium durch seine Berechtigung das Monopol habe, ein Ende gemacht werden follte: aber den großen Bedenken dieser Maßnahme verschließe ich mich keineswegs. Es können fi sehr leiht Juristen und Mediziner erster und zweiter Klasse herausbilden; au ist mir nicht unzweifelhaft, daß doch ein sehr verstärkter Andrang der Realisten zum juristischen und medi- zinischen Studium eintreten wird. Aber \{hon heute giebt es unzählige Mediziner, die kaum das täglihe Brot erwerben können. Daß es auf dem Wege dieser immer erneuerten Reformver- sudbe gelingen soll, das Gwnnasuum seinen ursprünglichen Aufgaben zurückzugeben, bestreite ih ganz entschieden. Wenn man das Gymnasium mit immer neuen modernen Lehr objekten vollstopft, so bringt man nichts als eine unglaubliche Ueber- bürdung der Lehrenden und Lernenden, nihts als einen ungesunden, überfütterten Organismus zu stande. Non multa, sed multum, wenige Lehrgegenstände, die aber gründlich getrieben werden! Wenn man immer darüber spöttelt, daß von den lateinzhen und griechishen Kenntnissen des Gymnasiasten im späteren Leben jede Spur verloren geht, so ist doch auch die Gegenfrage berechtigt, wie viel Mathematik bei den Realisten im späteren ben noch haften geblieben ist, wie viele derjenigen, die nicht etwa Mathematiker von Beruf geworden sind, noch im stande find, auch nur mit Loga- rithmen zu rechnen. Nach meiner Meinung hat der Kultus-Minister den Erlaß nicht ganz richtig interpretiert; die Bewegung wird dahin gehen, daß man die gewährte Gleichberechtigung so lange für einen Schaumkloß erklären wird, bis es freisteht, au ohne Latein und Griechish den Zutritt zu allen drei Fakultäten zu erlangen. Es ist die höchste Zeit, daß wir zu einer wirklihen Reform des Gymnasiums kommen, und daß zu diefem Zweck eine neue Schulkonferenz be- rufen wird.

Ministerial-Direktor Dr. Althoff: Die Schulverwaltung steht durchaus auf dem Boden des Allerhöchsten Erlasses. Gegen die neuen Lehrpläne hat der Vorredner nichts einzuwenden gehabt bis auf die Frage, ob das Lateinische in den Gymnasien niht noch mehr verstärkt werden könnte. Auch dafür ist in dem Königlichen Erlaß \{chon im allgemeinen Vorsorge getroffen. Der Prognose auf die Schul- und Studienverhältnisse, wte sie der Vorredner gestellt hat, muß an der Hand der Ergebnisse der Schulkonferenz entgegengetreten werden. Daß zu den bisher verschlossenen Studienfächern, \peziell zur Medizin, ein vermehrter Zudrang stattfinden wird, fürchtet die Schulkonferenz nicht, sie erwartet vielmehr eine Abnahme.

Abg. Gamp (freikons.): Im wesentlihen stehe ih auf dem Standpunkt der Schulreform und billige auch die Ziele, die sie im Auge hat. Daß die Verwaltung sih der Mitwirkung des Laien- elements in hervorragendem Maße bedient hat, billige ih ebenfalls und theile die Bedenken, we"che der Kollege Kropatscheck dagegen hat, nicht. Allerdings ist auf einem so s{wierigen Gebiete jede Ueber \stürzung und Uebereilung zu verwerfen. Jn einem Kardinalirrthum befinden fich aber die Herren, welche glauben, daß es gelingen würde, nah Durchführung dieser Reform dem - Gymnasium feinen ur- sprünglihen Charakter wiederzugeben. Das ginge nur, wenn man neben jedes Gymnasium eine Nealshule seßen könnte. Jm Osten aber haben wir fast nur Gymnasien. Will man die realistische Aus- bildung fördern, so geht das nur an, indem man in diesen Provinzen cinen Theil der Gymnasien in Realschulen oder Realgymnasien um wandelt oder eine Anzahl solher Schulen neu einrihtet. Sonst bleibt die ganze Schulreform ein unbeschriebenes Blatt. Jn Preußen ftehen 291 bumanisftishen 127 realistische Bildungsanstalten gegenüber, leßtere überwiegend im Westen des Landes gelegen. Die Frage, in welhem Umfange die Gymnasien umgeivandelt werden sollen, ift auffälliger | hie und auh in der Schulkonferenz garnicht mnzustrebende Ver- fleinerung der Anstalten muß ht werden, daß

man in den

r _; VULLUAL L

wenn auch e nt gemacht würden: Heint mir nicht gereck@t, Fe ausfc{hließlih auf die Gymnasien zu verweisen und sie von den sonstigen Bildungsstätten thres Bezirks auszuschließen ine Uederfüllung des medizinischen Studiums {eint do befürchtet zu werden, sonst könnte nicht die Rede davon sein, daß man bestrebt sei, durch Ershwerung des Eramens cinen Ausglei® zu \{afen. Würde man im Osten die Gymnasien in erbeblidem Umfange zu Realgvpmnasien umwandeln, so würde das gerade eine Verminderung des udiums herbeiführen, weil die Schüler Absolvierung des ihnen allein zur Verfügung zum Studium übergehen. Auch Herr

ch ja {ließlich für die Gleichberehtigung ausgesprochen. ircktor Ur. Althoff nimmt das Wort zur Er der Tribüne den Nücken kehrt, bleibt er für

stebenden Krovatscheck ba

Ministerial widerung ; da diese unverständlich.

Abg. Dr. Langerbans (fr. Volksp.) tritt für völlige Gleich berechtigung der sämmtlichen neunklassigen höheren Lehranstalten zum akademischen Studium ein und hebt besonders hervor, daß die Prüfungsergebnisse gezeigt bätten, daß auch die Abiturienten der Vber-Realschulen durhaus den Vorbedingungen für den Eintritt in das Universitätsstudium genügten. Der Redner ist darüber erfreut daß die Berliner Nealshulen, die einen ganz eigenartigen anderswo nicht bestehenden Lhrplan hätten, von der Reform aus geschlossen bleiben sollen, bittet aber, auch in Zukunft diese Anstalten niht nach den revidierten Lehrplänen umzumodeln, da dann der nothwendige Zusammenhang mit den Berliner Volksschulen verloren gehen müßte.

Geheimer Ober-Regierungsrath Dr. K ö vke: Es ist ganz unbegreiflich wie in Berlin die Besorgniß entstehen konnte, daß auf die dortigen Nealshulen der neue Lehrplan Anwendung finden sollte. Die Berliner Realschulen beginnen mit dem Unterriht in Französisch erst in Quarta, cine Einrichtung, die anderêwo überbaupt nicht vor fommt.

Abg. Dr. Lotichius (nl.) tritt lebbaft für das humanistische Gymnajium ein, weil ohne Kenntniß der gesammten hbistorishen Ent wickelung das Verständniß der modernen Zeit unmöglich ist. Der Nedner wünscht ein humanistishes Gpmnasunn in Oberlahnstein und freut sih, daß dur den Allerböchsten Erlaß in Zukunft die Welt geschichte, aud die alte Geschichte, gründlicher gelehrt werden solle als bisher. j

Geheimer Ober-Regierungsratb Gruhl sagt die Errichtung eines Gymnasiums in Oberlabnstein zu

Abg. Schall (kons.): Das Studium der alten Sprachen darf nicht noch weiter in den Hintergrund gedrängt werden. Die formal bildende Kraft der alten Sprachen kann durch das Studium der neueren Sprachen nicht erseßt werden. Der Studiengang der Theologen ist durch Vereinbarung der Staatsbehörden mit der General-Synode geordnet und kann nicht einmal durch einen Allerböcbsten Erlaß des summus e6piscopus geândert werden Die