1903 / 26 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 30 Jan 1903 18:00:01 GMT) scan diff

und stellt die Uebertretung unter Strafe. Das Gesetz soll im Jahre 1907 in Kraft treten.

Staatssekretär des Jnnern, Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der kleine Geseßentwurf trägt einen vorwiegend sozialpolitishen Charakter. Wie Sie wissen, hat bereits im Jahre 1879 der Reichstag angeregt, den Vertrieb der Phosphorzündhölzchen, die mit weißem Phosphor hergestellt find, ganz zu verbieten. Im Interesse der Streichholzindustrie aber sah man von diesem Wege ab und erließ das Gesey vom Jahre 1884, welches gewisse bygienishe Vorschriften für die Herstellung der Phosphorzündhölzchen vorschreibt. Die Erfahrung hat aber unzweifelhaft gelehrt, daß auf diesem Wege das Ziel, was die verbündeten Regierungen und der Reichstag damals gemeinsam verfolgten, niht zu erreichen ist. Auch in den bestgeleiteten Fabriken sind unzweifelhaft {were Fälle von Nekrose vorgekommen, in Fabriken, wo alle die Sicherheits- maßregeln ergriffen sind, die das Gesetz von 1884 vorschreibt. Dazu kommt, daß, so lange überhaupt der inländische Vertrieb von Phosphor- zündhölzchen, d. h. von Zündhölzchen, die mit weißem Phosphor her- gestellt sind, zulässig ist, man nicht verhindern kann, daß in der Haus- industrie ohne Beachtung der geseßlichen Vorschriften die Fabrikation fortgeseßt wird. Bekanntlich ist aber gerade in der Hausindustrie die Herstellung von derartigen Zündhölzhen für die Arbeiter die aller- verhängnisvollste; denn es ist festgestellt, daß derartige Zündhölzer in Räumen hergestellt werden, die gleichzeitig als Wohn-, als Schlaf- und als Kochraum der Familie dienen. Daß daraus gesundheits- shädlihe Folgen für sämtliche Mitglieder der Familie entstehen müssen, au für diejenigen, die an der Fabrikation nicht beteiligt sind, ist ganz unzweifelhaft.

Die tehnishe Schwierigkeit, die Zündhölzhen aus weißem Phos- phor zu verbieten, lag darin, daß man keinen Zündstoff hatte, der sich leiht genug entzündete, um ihn auch in Verbindung mit unserem weichen deutschen Nadelholz verwenden zu können. Die {wedischen Zündhölzer aber werden mit Aspenholz hergestellt, was in Deutsch- land nur ganz vereinzelt und zwar ziemlich kümmerlih wächst, was aber die Härte der Struktur hat, um eine \{arfe Reibung ohne Bruch auszuhalten. Es kam also darauf an, einen Zündstoff zu finden, der \sich fo leiht entzündete, daß auch das hiermit aus unserem heimischen Nadelholz hergestellte Zündholz bei der Reibung wider- standsfähig genug ist, um nicht zu brechen.

Wir haben nunmehr einen Vertrag mit einem Unternehmer ab- geshlossen, der ein Patent auf eine derartige Zündmasse besitzt. Diese Zündmasse ist im Reichsgesundheitsamt untersucht worden, und es ist hierbei festgestellt, daß sie weißen Phosphor nicht enthält. Auch bringt ihre Fabrikation eine Explosionsgefahr niht mit sich; es ist niht nur diese Fabrikation an Ort und Stelle genau studiert worden, sondern es ist au eine Kiste mit derartigen Zündhölzchen aus dem oberen Stock der Fabrik hinausgeworfen worden, ohne daß eine Ex- vlosfion dabei erfolgt wäre.

Wir haben dieses Patent erworben und werden dasselbe den Fabrikanten, die die Fabrikation der alten Phosphorzündhölzer nit weiterfübren dürfen, kostenfrei zur Verfügung stellen. Auf Grund dieses Patents kann ein Zündholz hergestellt werden, das erstens leiht entzündlih ist, und zwar an jedem Gegenstande entzündli, sogar, wie es der Arbeiter liebt, an Kleidungsstücken; das ferner mit unserem heimishen Nadelholz hergestellt werden kann und das drittens bei der Fabrikation nah allen unseren Feststellungen eine Erplosions- gefahr niht mit si bringt.

Meine Herren, man hat von seiten der Gegner dieses Gesetz-

entwurfes darauf hingewiesen, ordentli

daß die Gefahr der übertrieben würde und dieselbe offensihtlich zurückgegangen sei. Jch glaube, ih kann mich den Stimmen der Gelehrten an- schließen, welhe behaupten, daß die amtlihe Statistik alle Fälle der Nekrose garnicht enthielte. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir können selbstverständlich die amtliche Statistik nur in der Weise herstellen, daß wir feststellen: welche Arbeiter, die in den Fabriken noch beschäftigt sind, leiden an Nekrose? Wir können aber feine Kontrolle ausüben gegenüber den Arbeitern, welche in der Zünd- holzfabrikation früber beschäftigt waren, aber dic Beschäftigung seit Jahr und Tag verlassen haben. Es steht aber unzweifelhaft fest, daß Arbeiter, die seit Jahren die Zündholzfabrikation aufgegeben hatten, demnächst doch noch in cinem ganz anderen Berufe oder in einer ganz anderen Beschäftigung an der Nekrose erkcankt sind. Daraus dürfte es sih au erklären, daß in verichiedenen Kliniken Kranke be handelt sind, von deren Existenz die amtliche Statistik nichts weik.

ergibt sih aus der Begründung Ih glaube, mit dem Ziele des Geseßes sind alle einverstanden. werden indes niht die Forderung der Interessenten erfüllen können, ihnen eine Entshädigung zu gewähren. Ih habe das bereits bei einer früheren Gelegenheit ausgeführt. Wenn wir dahin kämen, meine Herren, jedem Fabrikanten. dem wir im byrgienishen Interesse Aenderungen in seiner Fabrik auferlegen, Entschädigungen zu gewähren, müßten wir wahrscein- lich den Teil der sozialpolitishen Gesetzgebung ganz

der die Sicherung von Leben und Gesundheit der dezweckt. Es wird auch den Fabrikanten, die außerdem geräumige Frist für die Aenderung ihres Betriebs bekommen sollen, die Herstellung von Zündbölzhen nicht verboten: es wird ibnen vielmehr nur die Herstellung einer bestimmten Art von Zündhölzern untersagt; es wird ihnen aber auf Grund des vom Reich zu erwerben-

Nekrose außer-

Meine des Gesetzes.

Ae P I Loo Herren, das Nähbere ic

Mir

fênnen.

Meine Herren, ih glaube, ih kann \{ließlich das Geseh nicht treffender befürworten, als es in einem Aufíay des Professors Dr von Bruns in Tübingen geschehen ist, den er über Phosphornekrose und ihre Verhütung geschrieben hat. Dieser Aufsay schließt mit den Worten

„Wenn ih es unternommen habe, in den vorslehenden Aus- |

führungen für den SHhuy der Zündholzarbeiter einzutreten, so habe ih die Verpsliéhtung hierzu darin gefonten, daß gerade in den lezten Jahren eine Anzabl sehr jchwerer Fälle von Photphornekroïe in der Tüdinger Klinik ia meiner Behandlung landen. Diese bemitleidenswerten Opfer ihres Berufs haben immer tiefen Eindruck auf mich gemaHi: kräftige, vorher blühende Mädchen, jahrelang mit einem gualvollen und efelerregenten Leiden behaftet '

| nahzufkommen | um fkleinere Betriebe und um arme Waldgcgenden

| wertbarfeit des neuen Zündstoffes sih voll bestätigen werde.

preisgeben, | Arbeit j rbeiter Arbeiter | auf anderweite eine |

. | größerer Teil der Fälle entzicht sich ihr den Patents freigestellt, ein anderes Zündhölzuhea herzustellen, für |

F welches die Einrichtungen ohne irgendwelhe wesentliche Kosten oder | Umstände jeder Zeit in den bestehenden Fabriken getroffen werden |

| lid, Mittel ein brauchdares ist; wir erwarten, daß uns in der Kommission | | für diese Brauchbarkeit der Beweis dur praktishe Experimente ge- | | führt wird | industeiell

Schon allzu lange, mehr als 60 Jahre, hat das \{leichende

Gift dieser verderblihen Gewerbskrankheit seine Opfer vergiftet.

Tausenden ist Gesundheit und menshenwürdiges Aussehen,

Hunderten das Leben geraubt worden. Unabweislih und dringend

ist die Pfliht des Staates, den Zündholzarbeitern Schuß zu ge- währen durch das Verbot der Phosphorzündhölzer.“

Meine Herren, ih hoffe, der Reichstag wird einstimmig diesen

Auffassungen durch Annahme des Gesetzes beitreten.

Abg. Dr. Endemann (nl.): Wir stehen hier einer kleinen, aber ticfarcifentas Vorlage gegenüber. Meine politischen Freunde wünschen, daß die Vorlage einer Kommission von 21 Pet E überwiesen wird. Die Erkrankungen an Phosphornckrose sind durchaus nicht verschwunden seit den in den Jahren 1884 und 1893 erlassenen Schußvorschriften. Die Gefährlichteit der ‘Phosphorzündholzfabrikation i statistich nachgewiesen.

.Der hygienische Gesichtüpunkt, die Arbeiter vor Seuchen zu behüten, “ist die Hauptaufgabe der Vorlage, und da muß

man mit ihr ein- verstanden sein, wenn dadurch auch gewisse Kreise, die Fabriken und deren Inhaber, geschädigt werden. Db Abhilfe allein durch die Mit- teilung des Patents erfolgen kann, wird die Kommission näher zu prüfen haben. Auch die Kaärenzzeit, die die Vorlage in Aussicht nimmt, ist etwas kurz. Die Kommission wird jedenfalls Sach- verständige anhören müssen.

Vizepräsident Büsing: Ih fühle mich veranlaßt, die Ver- handlungen zu unterbrehen. Ich sehe, daß der Abg. Graf von Ballestrem im Hause anwesend ist. Jch richte an ihn die Frage, ob er die auf ihn gefallene Wahl annimmt. j

Abg. Graf von Ballestrem: Meine Herren! Sie haben mi am Beginn dieser Sißzung wieder mit einer sehr großen Mehrheit zum Präsidenten dieses Hauses erwählt und mir damit JFhr unver- ändertes Vertrauen in der Mehrheit dokumentiert. Meine Herren! Ich sprehe Ihnen dafür meinen tiefgefühlten Dank aus und nehme, auf dieses Vertrauen gestüßt, das mir von Ihnen übertragene Amt wieder an (Lebhaftes Bravo im Zentrum und rechts) und werde es nah wie vor nah bestem Wissen und Gewissen zu handbaben bestrebt sein. (Wiederholter lebhafter Beifall auf denselben Seiten. Graf von Ballestrem nimmt darauf den Präsidentensißtz ein.)

Abg. Dr. Müller - Meiningen (fr. Volksp.): Es ist erwiesen, daß mitunter ecst nach Jahren festgestellt worden ist, daß der arme Arbeiter in einer Phosphorfabrik gearbeitet hat. Daß hier Abhilfe geschaffen werden muß, liegt auf der Hand. Andererseits aber würden die Arbeiter aufs äußerste geschädigt werden, wenn diese Fabrikation ohne jeden Ersaß beseitigt würde Abgeschafft ist ein derartiger Betrieh sehr rash und sehr leiht, aber was soll für diese armen Lente an die Stelle treten? Der Kern der Begründung liegt für mich darin, daß eine Zündmasse erfunden ist, die ohne große Aenderung der Betriebe, obne jede Erplosionsgefahr hergestellt werden kann und alle bisherigen Gefahren ausf{ließt. Um welhes Mittel handelt es \sih dabei? Ist es etwa dasselbe, das man {hon der französishen und belgischen Regierung angeboten hat? Die belgishe Regierung hatte einen Preis von 50000 Fr. für ein folhes Mittel ausgeseßt; der Preis ist nit vergeben worden. Das spricht do dagegen, daß dieses Mittel besonders brauhbar wäre. Ein Hauptbedenken soll sein, daß die Zündmasse viel zu \pröde is, daß das Mittel außerdem keinen Bestand habe, indem es sehr bald nachlasse und dann die ganze Zündmasse nichts mebr tauge. Es ist nun auch von einer Ent- shädigung gesprochen worden. Ohne jede Entschädigung die Sache machen wollen, heißt das Kind mit dem Bade aus\{ütten. Es darf nicht vergessen werden, daß man 188384 und 1893 die Fabrikanten zu großen Aufwendungen veranlaßt hat, um die Fabrikation weniger gefährlih zu machen. Keiner von diesen Fabrikanten hättte daran gedacht, solche Aufwendungen zu machen, wenn man ihm gesagt hâtte, daß schon nach zehn Jahren der Betrieb gänzlich verboten werden würde. Jn welher Höhe eine Entshädigung zu gewähren wäre, ist eine andere Frage. Durch die shroffe Art des Verbots ohne jede Ent- schädigung maht man es doch der armen Bevölkerung nicht zu anke. Das begreife ih namentlich nicht von einer Partei, die das Interesse der Arbeiter auf ibre Fahne ge- chrieben hat. Dem Vertreter der Meininger Regierung möchte ih anheimgeben, ob die Regierung nicht vielleiht einen genossenschaft- lichen Betrieb zur Herstellung des Streihholz-es ins Leben rufen kann. Auch die Nebenbetriebe, die Shachtelmacher usw., müßten ja dana von der Bildfläche vers{winden, es muß also rechtzeitig für die Zu- weisung einer anderen Arbeit gesorgt werden. Der Staatssekretär und die Geheimen Räte können da sehr wenig belfen. Aber wenn sie ihre dortigen Kollegen von der Eisenbahnverwaltung interessieren wollten für diese Thüringer Bezirke, wenn nur zwei kleine Eisen- bahnen dahin gebaut würden, dann wäre der ganzen Not und dem ganzen Elend dort abgeholfen. Mit der Kommissionsberatung bin ich einverstanden.

Aba. Zehnter (Zentr.): Jh kann mih dem Wunsche nach einer

Kommissionéberatung nur anschließen. Man muß einigermaßen über- rast sein, daß son jeyt das Ersazmittel für den wei en Phosphor gefunden fein soll, das nah den

vorigen Jahre durchaus nicht so bald in Aussicht stand. Auch die Ent-

\{ädigungsöfrage wird ciner eingehenden Prüfung in der Kommission |

bedürfen, desgleichen die vorgesehene Karenzzeit. daß man im gesundheitlihen Interesse zögernd vorgehen darf; muß aber doch immer erwogen werden, ob es nicht ein Gebot des Rechts oder der Billigkeit ijt, den davon Betroffenen einen Ersatz zu gewähren, namentli, wenn sie aben, um den zur Verhütung der Erkrankung erlassenen Verordnungen In dem vorliegenden Fall handelt es sih vorwiegend daber ift

Ih muß zugeben, der Bevölkerung nicht zu

sorgsame Prüfung der Ersaßfrage um so notwendiger.

Abg. Wurm (Soz.): Auch wir mit der beratung einverstanden, weil wir die technische Frage dort Zuzichung von Sachverständigen erörtern müssen daß die von der Regierung gemachte

a 4A nund

Mitteilung über die Ver- Wir baben seit 10 Jahren wir stehen auf dem Standpunkt,

schädigen ,

ein solhes Verbot verlangt; daß Industrieen, die Leben und verboten werden müssen ohne jede Rücksicht Schädigung, die dadurch etwa eintreten könnte. Die Phoëtphornekroje, diese sheufilihe Krankbeit, tritt nicht allein

bei denen ein, die augenblicklich mit weißem Photphor umgehen, | sondern fie tritt auch nah Jahren noch ein, wenn der L O | ie ami- |

n bereits längst cinem anderen Berufe zugewendet hat. lide Statistik gibt uns nur einen Teil ter Erckcanfkungsfälle: ein Da muß die Ge enectgisch cintreten Zöndmasse ist chr anerkennenêwett; wenn die Regierung auch auf anderen Gebieten zum Schutze der Ge- sundheit der Arbeiter so vorginge wie hier und damit wicd über die

Vorlage entschieden, ob das neue

Was soll ferner mit den Arbeitern geschehen, die haus- mit der Züöndholzfabrikation beschäftigt siad? Es ist ein shauerliches Bild, dah eine \hleht genährte, «lende Bevölkerung durch

| die Umsiände zu einer Industrie getricben wurde, die Leben und Ge- |

)tosphornekrose zerfrißt den Unterkiefer |

| und die Nase, die jungen Leute find in kurzer Zeit für ihr ganzes Leben | entstellt. Trotidem fragt ein nationalliberaler Redner noch ängstlich, ob es

| nicht besser wäre,

sundheit vollends zerstört. Die

die Leute in ihrem Elend zu lassen! Kezierung wäre es, diesen Kreisen auth eine andere Arbdeitsgelegenheit zu verschaffen. Und gerade der Mennsieig bietet eine Gel dazu, mit Hilfe von Staaläzuschüssen eine neue Arbeit zu organisieren, wotorh zugleich die Arbeit aus den kleinen Wohnräumen heraus- gerissen und auf einer größeren wirtschaftlichen Grundlage mit Zu- bilfenahme von Maschinen weiter geführt würde. Eine Entschätigung

Erklärungen der Regierung im |

bei vollständiger Sistierung eines Betriebes | _ger ) | | stellen ganz in Uebereinstimmung mit meinem Urteil

wesentliche Aufwendvyngen gemaht | D Kinder. (&s it

eine | Kommissions- |

unter | Wir boffen aber,

Gesundkeit der |

| wwecken, als geradezu unsittlih gebrandmarkt 5 e sepgebung | Das Vorgehen der Regierung bezüglich der neuen | es wäre sehr wünschenêwert, |

Es fragt si nun natür- | j | Kinter in das Gesetz einzubeziehen.

Pflicht der | enbeit |

| wie der Staatsiekretär es behauptet hat

aber für die Fabrikanten und auch für die Arbeiter zu gewähr müssen wix prinzipiell ablehnen. Graf von Posadowsky hat in diesem

unkte ganz übereinstimmend mit unseren ökonomischen Anschauun en ih ausgesprochen; was nit oft der Fall zu sein pflegt. Wohin fa es führen, wenn wir hier als Grundsaß aufstellen, daß derjenige, ter eine gesundheitsgefährliche Arbeit betreibt, noch entshädigt werden sos dafür, daß er so gut ist, den Betrieb aufzugeben? Die Geseßgebung muß selbst über den Unverstand des einzelnen hinweg das Vichtige durhzusezen verstehen; darum find wir für die Vorlage und auch für möglichste Abkürzung der Karenzzeit. _

Abg. Münch-Ferber (nl.): Schon 1879 hat unser damaliger Kollege, der Abg. Dr. Hammacher, eine Nesolution, betreffend das Verbot der Phosphorzündwaren vorgeschlagen. Im Jahre 1884 erging das Gesetz, das die Fabrikation erheblih beschränkte. Diesez Geseß wurde von einem Redner als der Vorläufer des vollständigen Verbotes bezeichnet, und dieser Herr hat ret behalten. In den früheren Debatten spielte die Feuergefährlichkeit eine große Rolle, heute ift die Hauptgefahr in der Phosphornefrose, die dur die Phosphordämpfe erzeugt wird, erkannt, ihretwegen soll das Ver: bot ausgesprochen werden. Nedner geht ausführlich auf Entstehung, Symptome und Verlauf der Phosphornekrose ein, die nit feltey mit dem Tode des von ihr betroffenen Individuums ihren tragischen Ausgang finde. Die amtliche Statistik sei deshalb niht genau, weil

sich ihr die meisten in der Hausindustrie mit unerlaubter Verstellung

der Phosphorzündwaren beschäftigten Erkrankten entzögen und ebenso die Frauen, die in Fabriken häufig wechselten. Die Fabrikanten, die von dem Verbot betroffen werden sollen, würden, wenn sich die neue Zündmasse nit als brauchbar erroeisen sollte, {weren Nachteil erfahren: es werde daher die Frage des Ersaßzes oder der Entschädigung doppelt gründlih untersuht werden müssen. Er hoffe, daß aus der Kom- missionsberatung etwas Erspricßliches hervorgehen werde.

Abg. Dr. Wiemer (fr. Volksp.): Vor zwei Jahren, als daz Verbot des weißen Phosphors ausgesprochen werden sollte, habe ih {hon auf die Gefahren hingewiesen, die aus dem Verbot für die beteiligten Arbeiter enistehen würden. Diese Bedenken würden hinfällig sein, wenn das von der Regierung empfohlene neue Verfahren sih als brauchbar erwiese; auf die Frage des Abg. Müller-Meiningen, ob die angebli neue Masse mit der erwähnten älteren identisch ist, ist eine Antwort nicht erfolgt; wir werden also abzuwarten haben, was in der Kom- mission weiter mitgeteilt werden wird. Die Erklärung des Grafen von Posadowéky wird ja unzweifelhaft beruhigend wirken. Eine Ver. teuerung der Herstellung der Zündhölzer darf nicht eintreten; die Industrie kann nur bestehen. wenn ihre Hölzer billiger in den Handel gebraht werden als die Schweden. Den Fortbestand der Industrie müssen wir wünschen unter der Voraussetzung, daß eine gefundheitlide Schädigung der Arbeiter nicht eintritt. Da es sich hier um eine direkte Vernichtung eines Fabrikationszweiges handelt, so kann der {rof

jede Entschädigung ablehnende Standpunkt des Abg. Wurm nicht der

zutreffende sein.

Abg. Neißhaus (Soz.): Fraktion zur Entschädigungsfrage ist ja bekannt. Der Hinweis auf die auch von uns bewilligte Entschädigung der Privatyostanstalten bei der Durchführung des Postregals spriht durhaus nicht dagegen, denn da handelte es sich um die Nechte von Angestellten, Briefträgern usw, Im Meininger Oberlande würde den Arbeitern durch neue Eisen- bahnlinien fehr wesentlich aufgeholfen werden; aber gerade diejenigen Linien, die der armen dortigen Bevölkerung die Eristenzbedingungen erleihtern würden, hat man bis jeßt nit bauen lassen. Die Bahnen würden sih auch als außerordentlich rentabel erweisen.

Die Vorlage geht an eine Kommission gliedern.

Darauf beginnt die zweite Beratung des Geseß: entwurfs, betreffend Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben, auf Grund des Berichts der XTX. Kommission, Berichterstatter ijt der Abg. Sittart (Zentr.).

Der S 1 des Entwurfs, der von der Kommission un- verändert angenommen ift, lautet:

„Auf die Beschäftigung von Kindern in Betrieben, welce alt gewerbliche im Sinne der Gewerbeordnung anzusehen sind, finde neben den bestehenden reihsrechtlichen Vorschriften die folgende Bestimmungen Anwendung, und zwar auf die Beschäftigung fremder Kinder die §8 4 bis 11, auf die Beschäftigung cigener Kinder di: SS 12 bis 16.°

Die Abgg. Baudert, Reißhaus und Wurm (So; beantragen, im Eingang des §8 1 hinter „Kindern“ einzu fügen: „in der Landwirischaft und im Gesindedienst, sowie“: ferner die Worte „und zwar“ bis zum Schluß des 8 1 zu itreichen.

Abg. Gamp (Nvy.): Ich habe seinerzeit die Bebauvptuna, da auf den Domänen solche Zustände hberrichen, wie sie der Lebrer Aazabd in seinem Buche geschildert bat, als frivole Verleumdung bezeichnet Herr Agahd hat sid darauf zurückgezogen, daß er sie der Literatur entnommen habe. Meia Urteil bezieht sich also auf diese Quelle Im übrigen ist es Herrn Agabd doch nicht gelungen, sich rein i waschen. Er hat in scinem Urteil sehr stark übertrieben, namenilid in dem, was er über die Hütejungen gesagt bat, besonders aber ix dem Punkte, daß die meisten konfirmierten Hütemädchen sich preib- geben. Ich habe Briefe bekommen von Schullehrecn, Pfarrern unt Schulinspektoren, die genaue Erkundizungen eingezogen baben : dicie fest, daß alle übertrieben und zum großen Teil unwahr int

Behauptung der übertricbenen Hütletätigkeit da

auch absolut unrichtig, daß die Staattbebörden de Hütetätigkeit gerade in Hinterpommern keinc Fürsorge baben angt deihen lassen: im Gegenteil, i. J. 1896 ist diese ganze Materie den Regierungsbezirk in einer dur@aus anerfennenswerten Weise gt regelt. Wenn Herr Agabd seine Behauptung nicht beweist, so mi nan annehmen, dafi er wissenilih oder unwissentlih die Unwahrheit gesagt hat Die Zahl der als Hütecjungen in jenen Bezirkea bescbäftigten Kinder ift schr gering. Echbeblide Mißstände ust Notstände in erbeblichem Umfange existieren nit auf dem platta Lande, und, soweit sie bestchen, find sie bereits dunch Verordnung in Preußen beseitigt worden

Abz. Wurm (Soz.): Der Abg. Gamp hat die evangelist Geistlichkeit der Provinz Brandenburg der Verleumdung beschuldigt denn der Lebrer Agahd bezog sih auf tas Buch cines Pastors, de wiederum auf andere Geisili Bezug nahm. Ein anderer evangel scher Landpfarrer in Hessen hat öffentlih das sogenannte Verding wesen, so heißt die Abtretung von Kindern an Landwirte zu Hüte Nicht nur die „Frab furter Zeitung“, auch das „Hamburger Fremdenblatt“ hat übe Mißstände Mitteilung gebracht, die zeigen, daß man die Hütejunge ganz arbeiten lassen, aber nur halb bezahlen will. Die Zahl de in der Landwirtschaft beschäftigten Kinder ist sehr groß, und detheald rechtfertigt es sich, auch die in ihr und im Gesindedienst beschäftigiet Man darf die Ausbeutuna de Kinter auf dem Lande nicht länger dulden. Die von dem Abg. G25 zitierten Pfarrer und S@hulinspektoren haben eden nichts geliehen Das Elend der Hütekinder is noch viel größer als das der andere Kinder. Das viele Steben führt dahin, daß manche Kinder an auf gebrohenen Füßen usw. leiden. Ein Sanitätorat in Graudenz be richtet, daß ihm diese Kinde- durch elendes körperliches Ausschen auf gefallen scien. Aus poetischen Anwantlungen kommen die Agrarier n zur Beschäftigung der Hütelinder. Sie suchen die Kinder her uzichen, weil die M ihnen wegen \{lehter Bezahlung e Hafen Nicht die Arbeit an sich, sondern ihre Dauer und die blei Ernährung if das S@Climme an dieser Beschäftigung. Gine Petitiot des Deutschen Handelstages befürwortet ebenfalls die Ginbeziehung de

von 21 Mit

diese Behauptungen Dasselbe gilt von de1

| Kinder auf dem Lande in das Geseh, indem sie darauf hinwveisi,

das Rübenzichen und Kartoffelgraben durchaus nicht so harmlos se Man pwingt die Leber! geradezu, fich als Helfershelfer für olen Mikbr der zugt

stand auch j 9

Die prinzipielle Stellung unserer

So ist es z. B. auf Nügen, und zwar niht allein von Junkern, sondern auch von den Bauern gesehen. Zur Erforshung der Granulofe hat die Regierung einen Aron Dr. Hoppe nah Ostpreußen gesandt. Dieser hat berichtet, daß den utsbesizern diese Bekämpfung zuwider sei, weil ihnen durch si2 Arbeitskräfte entzogen werden. Dies Urteil wiegt Hunderte von entgegengeseßten Behauptungen der Agrarier auf. Auch die Cinbeziehung der im Gesindedienst beschäftigten Kinder in das Gesetz ist notwendig. Denken Sie nur, wie sehr die Kinder durch das Tragen von Säuglingen usw. gesundheitlih geschädigt werden. Nun heißt es, man treffe mit einem Auss{luß der Kinder au deren Eltern. Mit demselben Nechte köante man auch gegen den Schulbesuch überhaupt Front machen. Es ist ein Diebstahl an Leben und Gesundheit der Kinder, wenn man sie einer solchen Beschäftigung überantwortet. Eine ganze Zahl von ganz oder halb invaliden Leuten würden gern die Dienste übernehmen, die jeßt Kinder ausführen müssen. Die Gese gebung darf also bei der Industrie nicht stehen bleiben. Wir müssen die Kinder s{hüßen gegen Habgier und Unver- der eigenen Eltern.

Abg. Dr. Zwi (fr. Volksp.): Ih habe seiner Zeit nicht allein auf das Buch des Lehrers Agahd" Bezug genommen. Dieser hat sich seinerseits auf die Angaben von Lehrervereinen verschiedener Provinzen unter Angabe positiver Zahlen berufen. Es ift also nicht richtig, was Herr Gamp behauptet hat, daß der Lehrer Agahd seine Behauptungen niht unter Beweis gestellt habe. Die Stadt Berlin hat in ihrer Verordnung über die Unterbringung von Pflegekindern auf diese Gefahren Nücksiht genommen. Namentlich im landwirtschaftlihen Gutsbetriebe ist die Beschäftigung sehr efährlih. Ich habe mich davon selbst in Schlesien überzeugt. Ich Hiniaie in dieser Frage durchaus mit dem Vorredner überein. Zu- nächst möchte ih aber erst sehen, wie das Geseß wirkt. Jh möchte das Geseß nicht jeßt gefährden, und fo sehr ih mit der Tendenz des sozialdemokratishen Antrages übereinstimme, so möchte ih doch erst die erforderlichen Grundlagen haben, wie die Nesolution der Koms- mission sie wünscht, um darauf eventuell ein weiteres Gesetz zu bauen. Jch nehme das Geseß als Abschlagszahlung an.

Abg. Noesicke- Dessau (fr. Vag.): Auch ih stehe dem An- trage der Sozialdemokraten sehr sympathisch gegenüber. Man hat in der Kommission gemeint, diese Frage gehöre zur Kompetenz der Einzelstaaten. Jch will darüber niht rechten. Andere meinten, es fehlten dafür die erforderlihen Grundlagen, und wiesen auf das gesunde Aussehen der Bauernkinder hin. Gewiß sehen die Kinder auf dem Lande besser aus als die in den Fabrikstädten. Aber der Arbeit kann es troßdem zu viel sein. Herr Gamp möchte sogar für die Bauern die Kinderarbeit noch ausdehnen. Die Bauern sollten die Möglichkeit erhalten, ihre Kinder niht nur einen halben, sondern den ganzen Tag zu beschäftigen, durch eine entsprechende Aenderung des Schulplans und Verlegung der Ferien. Dem Lehrer Agahd gebührt für seine Bemühungen um die Beschränkung der Kinder- arbeit in der Nichtung dieses Gesetzentwurfs der Dank des ganzen deutschen Volkes, und dic Ausführungen des Abg. Gamp werden diesen Dank niht abs{chwächen. Agahd hat si fast ein Menschenalter mit dieser Frage beshäftigt und das Material gewissenhaft gesammelt. Jch verstehe also niht, wie Herr Gamp ihn in dieser Weije hat an- greifen können. Wenn die Vütetätigkeit eine so \{öne und gesunde Beschäftigung ist, warum gönnen nicht die Grundbesitzer diese Be- schäftigung den eigenen Kindern? Herr Gamp hat die Behauptung aufgestellt und denjenigen die Beweislast auferlegt, die ihm hier nicht glauben. Das ist doch eine verkehrte Welt. Das kommt ließli auf den Satz hinaus: „ih bestreite alles und erwarte den Gegenbeweis*“. Der Antrag Baudert will mit Recht auch die Kinder vom Gesinde- dienst befreien, auch in den Städten. Wir können aber für den An- trag nicht stimmen, weil sonst das ganze Geseß scheitern würde, nahdem der Bundesrat sich dagegen ausgesprochen hat. Aus dem- selben Grunde müßten eigentlich die Sozialdemokraten selbst gegen ihren Antrag stimmen. Von der Resolution erwarten wir nicht vrel. Wir werden kaum ein Geseß zur Einschränkung der Kinderarbeit auf dem Lande beïommen, so lange die Landwirte selbst niht \ih von der Notwendigkeit eines folhen Schrittes überzeugen.

Nach persönlichen Bemerkungen der Abgg. Gamp und RNoesicke- Dessau erklärt der

Abg. Haußmann - Böblingen (d. Volképy.) zur Geschäfts- ordnung, daß er durch die Ausführungen der Abgg. Dr. Zwick und Roesicke der I enthoben sei, auch seinerseits das Wort [n erareijen. Er wolle der Beschleunigung der Vorlage Vorschub eiten.

E Darauf wird gegen 6 Uhr die weitere Beratung auf Freitag 1 Uhr vertagt. (Vorher: Interpellation der Polen, betreffend die ungleihe Behandlung polnischer Staatsbürger.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten 9. Siyung vom 29, Januar 1903, 11 Uhr.

__ Ueber den ersten Teil der Verhandlungen ist in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden. _ Das Haus seht die zweite Beratung des Entwurfs des Staatshaushaltsetats für das Etatsjahr 1903 im Etat der landwirtschaftlihen Verwaltung bei dem Titel der dauernden Ausgaben „Gehalt des Ministers“ fort

Abg. von Oldenburg (kons.): Jch habe mich bier zum Wort gemeldet, um den Vorwurf zurückzuweisen, daß ih nit nach meinem Gewissen gestimmt, sondern von agitatoriszn Zwecken mich bätte leiten lassen. Wenn die Viebzölle gebunden wären, hätte ih versöônlich für den Antrag des Abg. von Kardorff stimmen fônnen, ebenso wenn die Industriezölle herabgeseßt worden wären. Da die Mehrheit aber auf keinen dieser beiden Vorschläge eingehen wollte, konnte ich niht anters, als gegen den Antrag stimmen Man behauptet von uns, wir hätten va banque gespielt; ih lage: die Hecren, die für den Antrag gestimmt, haben Blankowecbsel unterschrieben. Was ist denn da verwerflicher? Herr Herold hat h in interne Verhältnisse des Bundes gemischt, die ihn gar nichts angehen, weil er nicht Mitglicd ist. Jst es kollegialisch, wenn Verr Herold einem anderen - Abgeordneten vorwirft, ex habe aus aaitatorishen Rücksichten seine Stimme gegen einen Antrag abgegeben ? Wer so wenig kollegialisch vorgeht, wie Herr Herold, kann keinem anderen Abgeordneten den Vorwurf der Unkollegialität machen. Gewik, die Verhältnisse in der Landwirtschaft haben si in der leuten Zeit ein ganz flein wenig gebessert. Aber wenn diese Besserung nicht fortdauert und die Not, die die Landwirtschaft in den leyten Jahren gelitten hat, ch steigert, dann man fann hier nur diesen Ausoruck gebrauchen ¡ebt die Landwirtschaft vor die Hunde. Mir find Fälle in meiner Heimat» provinz bekannt, daß in einem Dorf nur zwei Familien noch ansässig lind, die shon vor §0 Jahren ansässig waren. Wer weiß, wie seßhaft irsere landwirtschaftliche Bevölkerung ift, kann daraus einen Schluß auf ihre ungeheure Notlage zichen. Wir wären gern bereit reen, uns mit der Mehcheit zur Bekämpfung der Mädte des Umíturzes zu vereinigen; das hat aber mit dem Antrage Kardorff nichts zu tun. Es wäre schr wobl möglich scwesen, die Obstruktion zunächst niederzuwerfen und dann doch oh sih für den Zolltarif die Abstimmung freizuhalten. Wer daher behauptet, Obstruktion und Antrag ‘Kardorff bingen un- zittesbar zusammen, der fäls{t die öffentlide Meinuna: das ind zwei ganz verschiedene Dinge. Diese Vorwürfe muß ih öffentlich jarüdweisen. Die Verantwortung für die s{hlimmen Verhältnisse, ernen die Landwirtschaft entgegengeht. tragen diejenigen, die für den Antrag Kardorff estimmt haben. Ob die Herren vom Zentrum uns defwegen Vorwürse maden, ist mir ganz gleich.

Abg. Freiherr von Wangenheim (kons.) wiederholen, was schon geiaat ist, obwohl ih nicht zur Klasse der Wiederkäuer gehöre. Das Quedracholeder ist, wie ich Herrn Abg Fend bemerken möchte, dem mit deutschem Gerbstoff gegerbten Leder

Ich will no einiges

nicht gleihwertig, und deshalb wird es auch vom Kriegsministerium für die Bekleidung unserer Soldaten niht verwandt. Selbst wenn durh einen hohen Quebrachozoll die ganze deutsche Schuhwaren- industrie untergehen sollte, so wäre das noch nicht so \{limm, wie der Untergang des deutschen Schälwaldes. Gegen die rh&nischen Bauernvereine habe ih an und für si nichts einzuwenden; ih tadele an ihnen ober, daß sie keine Politik treiben. Ohne Politik geht es heutzutage einmal niht. Meine Abstimmung in der Kommission war durchaus korrekt. Da ih damals noch nîht wußte, ob die Industrie- zölle herabgeseßt werden würden, konnte ih für die Kompromißsäte stimmen. Ein namhafter Zentrumsabgeordneter hat ja auch io gestimmt wie wir. Wenn Herr Herold uns also illoyales Ver- halten vorwerfen will, so muß er es diesem auch vorhalten. Dabei wissen wir aus der Reichskanzlei, daß die Regierung bezüglich der Industriezölle zu Konzessionen bereit gewesen ist. Warum hat man denn die Industriezölle niht in dem Antrag von Kardorff herab- gefeßt? Dann hätten wir ja auch für diesen Antrag stimmen können. Wir sind dabei keine Gegner der Industrie als folcher, das zeigt schon mein Antrag für die Juteindustrie, wegen dessen ih vom Zentrum fo fehr an„egriffen worden bin. Das Schlimmste für die Landwirtschaft ist, daß die Industrie jetzt billiger ins Ausland liefert als in das Jnland. So wird die ausländische Konkurrenz in der Landwirtschaft auf unsere Kosten großgezogen. Die Politik des Zentrums bei den Tarifverhandlungen ist immer dahin gegangen, seine Wahlkreise sih zu erhalten, deshalb hat es einzelnen Wahlkreisen industrielle, anderen landwirtschaftliche Brocken hingeworfen. Ich erkläre aber auch heute wieder: das Zentrum wird agrarish fein, oder es wird nicht sein. Die Ver- antwortung für den Zolltarif aber wird das Zentrum nicht ablehnen können, mag es au noch so vorsichtig vorgehen, mag auch der Antrag des Abg. von Kardorff niht die Unterschrift der Zentrums- abgeordneten tragen. Selbst Graf Posadowsky hat am 23. Januar gegenüber dem Abg. Dr. Oertel zugeben müssen, daß es immer s{chwieriger werde, die berechtigten Wünsche der Landwirtschaft durchzuführen. Daraus kann jeder erkennen, daß die Vertreter der Landwirtschaft energish auftreten müssen. Jeder, der sh die Sach- lage klar macht, muß fih sagen: von der Regierung haben wir nichts zu erwarten. Deshalb habe ich zur Regierung kein Ver- trauen mehr.

Abg. Schmit - Düsseldorf (Zentr.): Das Zentrum ift gern bereit, die Verantwortung für die Annahme des Antrags von Kardorff vor den Wählern zu übernehmen. Die rheinischen Provinzial- verbände haben sehr viel für die Landwirtschaft getan durh die Errichtung von Wintershulen usw., das muß dankbar anerkannt werden. Mit seinen Ansichten über den Quebracbo- zoll steht Herr Funck in diesem Hause allein da. Daß die Quebracho- gerbung minderwertig ist, sieht man au daraus, daß die Stiefel, die in der amerifanischen Armee verwandt werden, nicht mit Quebracho gegerbt sein dürfen. Wenn der 7 Mark. Zoll für Quebracho beseitigt würde, so würde ein Sturm der Entrüstung das Sauer- und Sieger- land, die Lahn- und Moselgegend durhbrausen. Das Wort, das Zentrum müsse agrarish jein, oder es werde nicht sein, trifft durchaus niht zu, das Zentrum vertritt alle Berufsstände. Wir haben den Bund der Landwirte erst angegriffen, nahdem er uns im Rheinland und Westfalen in s{chmußiger Weise angegriffen hatte. Gegen eine solhe Agitation mußten wir uns wehren. Ueberlassen Sie die Sorge für die Landwirtschaft nur den landwirtschaftlichen Vereinen des Westens, diese wissen, was der Landwirtschaft frommt.

Abg. Freiherr von Zedliy und Neukirch (freikons.): Alle Parteien, die auf dem gemeinsamen Boden eines vernünftigen Schuy- zolles stehen, täten gut, ih zu verständigen und ruhig und sachlich die Streitfragen zu diskutieren, gegenseitig Vertrauen zu zeigen und an die bona fides ihrer Mitstreiter zu glauben. Das ift die Ansicht, die ih mir als ruhiger und gut unterrihteter Beurteiler gebildet habe. Es fam bei den Zolltarifverhandlungen in erster Linie darauf an, eine ausreihende Mehrheit zu finden, die den Zolltarif in ciner Form annahm, der auch die verbündeten Regierungen zustimmen fonnten: damit, daß sie das getan haben, haben sie eine politishe und patrio- tische Pflicht erfüllt. Wenn die Ansicht des Herrn von Oldenburg durhgedrungen wäre, dann wäre die Landwirtschaft auf Jahre hinaus in eine Lage gekommen, aus der sie shwerlich wieder bätte gesunden können. Der Abg. von Oldenburg hat gerade das Gegenteil von dem getan, was man aus seinen Worten bätte annehmen müssen. Die Viehzölle find durch den Antrag von Kardorff in einer Höhe angenommen, daß sie z. B. für Schweine noch viermal jo boch wie die gegenwärtigen sind. Wie kann man da so shwarzseherishe Ansichten haben, wie Freiherr von Wangen- heim! Aus der Aeußerung des Staatssekretärs Grafen Posadowékvy, die er verlas, ziehe ih den entgegengeseßten Schluß, nämlich den, daß die Regierung auf alle Fälle die Interessen der Land- wirtshaft wahrnehmen wird. Durch die Annahme des Antrages Kardorff ist weiter erreiht, daß Bestrebungen, die noch während der zweiten Lesung darauf hinzielten, das Zolltarifgesez zurückzuziehen, und die von einer Stelle ausgingen, die auf politischem Gebiet sonst großen Einfluß ausübt, endgültig vernichtet sind. Auf alle Fälle tut man gut, diese Fragen rubig und zu diékutieren und n‘cht die Leidenschaften aufzuwiegeln. Jedenfalls gehört unendlih viel mehr Charakterstärke dazu, unter Aufgabe von Wünschen das in s{werer Stunde zu tun, was man für die Landwirtschaft tun muß, als dies zu unterlassen und zu behaupten, daß man hätte mehr tun wollen. Die Regierung kann den bündigen

Beweis dafür liefern, daß sie der Landwirtschaft freundli gesinnt ift, indem sie baldigst cinen Handelévertrag dem Reichstage vorlegt. Die Abgeordneten, die für -den Antrag von Kardorff gestimmt, haben si sowohl für das Wirtschaftöleben wie allgemein aus volitisben Gesichtspunkten uw das Vaterland schr verdient gemacht.

Abg. Goldschmidt (fr. Volksp.): Ih freue mi, daß der Abg. von Kardorff gestern zugegeben hat, daß sich seit Ein- fübrung des JIdentitätänachweises babe feststellen lassen, dak der Inlandpreis um die Hôbe des Zolles den Weltmarkt- preis übertreffe. Jch meine, die deutsche Landwirtschaft muß si in erster Linie auf die Viehzucht stüßen. Diese zu beben, dazu kann aber die augenblickliche Zollpolitik nicht dienlich sein. (Zuruf.) Ja, Herr von Pappenheim, von Ihnen hatte ih gar nit erwartet, dak Sie mir zustimmen würden. Wenn aber Ihre Politik weiter verfolgt wird, fo wird noch die Landwirtschaft in Grund und Boden ruiniert werden Die Verhandlungen des Evangelisch-sozialen Kongresses zcigen, daß die Arbeiterverhältnisse auf dem Lande ganz verschieden sind. In der augenblicklihen s{weren Lage der Industrie strömen die Arbeiter auf

das Land zurück, leider aber kommen aus allen Gegenden des Vater- | landes, so besonders aus Pommern Klagen, daß die ausländischen | Nach Annahme des |

Acbeiter den inländishen bevorzugt werden. Antrags von Kardorff} is dic

Regierung in der aller- \{lechteslen Lage. Sie hat,

um die Obstruktion niederzuschlagen,

wieder nachgegeben und einen Zolltarif angenommen, den fie früher | Jeyt wird es ihr s{hwer werden, mit |

für unannehmbar erklärt hatte. t dem Auslande zu einem befriedigenden Abschluß zu kommen. Deshalb

hoffe ich, daß die Regierung die Hantelöverträge erst dem neuen Reichstag |

vorlegt, der nit so agrarisch sein dürfte wie der jeyige, in dem die schwarzen Agrarier Herr von Wangenheim nannte sich ja selbsi gestern so vorhberrslen. Der neue Reichötag wird anders aus-

ehen als der alte, das Volk wird die Antwort auf die angewandten | Die Vertreter des Volkes müssen | das Wobl des ganzen deutschen Volkes im Auge haben: das ift der |

Gewaltmittel niht s{uldig bleiben.

Weg zum wahren, wirklichen Fortschritt.

Abg, Dr. Pahu (B. d. L): Das Wobl des Ganzen ih | nehme dicses trt auf muß uns in der Tat leiten. Von diesem |

Standpunkt aus werde ih auch meine Ausführungen machen, weil ih nicht ein einseitiger Juteressenvertreter bin. Unter Bismarck hatten

wir gute Handelsbeziehungen, damals balancierten Ausfuhr und Einfubr, |

jeht aber wir eine Unterbilanz von 1200 Millionen Mark, die zur nationalen Verarmung führt. Caprivi hat gesagt: Menschen oder Waren müssen wir exporlieren; das Wort ist fals, es gibt noch Land genug in Deutschland, das besiedelt werden kann, 1. B in meinem dlkreis (Zurufe links: Heide) Millionen von Menschen können noch angesiedelt werden

sachlich |

von Zedliß will ich mein Kompliment machen, daß er in so geschickter Weise als freiwilliger Regierungévertreter fungiert hat. Dabei muß man bedenken, daß einflußreihe Mitglieder seiner Fran früher dieselben Säße, die seine Fraftion jeßt angenommen hat, für unannehmbar erklärt haben. Wenn troßdem Freiherr von Zedliß jet, nachdem seine Fraktion für die Regterungsvorlage eingetreten ift, glaubt, sie sachlich _verteidigen zu fönnen, wenn. er es jeßt so darstellt, als ob für die deutsche Landwirtschaft irgend etwas erreiht sci, nachdem einige feiner Fraftionsgenossen früher das Gegenteil behauptet haben, so verstehe ich das nicht. Der Industrie ist, das bemerke ich weiter gegenüber Freiherrn von Zedliß, in dem Tarif alles bewilligt, der Landwirtschaft aber nichts. Auch bezügli der Meistbegünstigungsverträge is den Wünschen der Bevölkerung in keiner Weise Rechnung getragen, fodaß in der Be- völkerung zum großen Teil Grbitterung herrscht. Jch verstehe niht, wie Freiherr von Zedliß zu einer solchen Regierung gleihwohl Vertrauen haben kann. Jh beneide ihn um diesen guten Glauben, und ih nehme in dieser Frage die Stellung ein, die Freiherr von Zedliy mit fo viel Klugheit und Geschick gegenüber der Kanalvorlage verfohten hat, indem er sagte, die Meliorationen müßten vorausgehen und alle Provinzen gleihmäßig berücksichtigt werden. Nehmen wir uns den Freiherrn von Zedlitz von der Kanalvorlage und nicht den vom Zolltarifgefey zum Vorbild. Von der Regierung kann man nur sagen, sie betreibe Manchester- politik. Wo ist der Reichskanzler, der bereit wäre, eine kluge, zielbewußte, energische, rüdsihtslose Politik gegenüber der Sozialdemotratie zu ver- treten? Die Regierung ift liebenswürdig nach allen Seiten, was mich in meinem Nationalgefühl tief verlegt, auch gegenüber der Sozialdemokatie. Ich bestreite nicht, daß die Herren, die für den Antrag von Kardorff O haben, von der edelsten patriotischen Absicht sich haben leiten assen; sie haben aber nicht die rihtige Einsicht gegenüber der jeßigen Regierung besessen. Unsere Pflicht ist es daher, das Volk aufzuklären und dafür zu sorgen, daß ein Reichstag gewählt wird, der, wenn die Handelsverträge kommen, die echte Bismarksche Handelspolitik fort- seßt, das Bolk aus der Ziwangslage befreit, in die es dur die Handels- verträge der Regierung. gebracht ist. Das ist wahre nationale Politik.

Minister für Landwirtschaft 2c. von Podbielski:

Meine Herren, wenn ih noch zu so später Stunde das Wort er- greife, so werden Sie wohl alle mit mir empfinden, daß ich solche Worte, wie sie hier von einem Mitglied des Hauses der Regierung entgegengeschleudert worden find, nun und nimmermehr unwider- sprohen ins Land hinausgehen lassen kann. (Bravo! links, im Zentrum und bei den Freikonservativen.) Meine Herren, ih muß es ofen bekennen: es hat mich in meinem konservativen Herzen wirkli tief geshmerzt, daß so etwas von unserer ländlichen Bevölkerung aus- gesprochen werden fann. (Bravo! links, im Zentrum und bei den Freikonservativen.) Jch muß ganz offen sagen: ih habe das wärmste Verz für die Landwirtschaft, ih habe mit meinem ganzen Sein unaus- geseßt dafür gekämpft; aber, meine Herren, nah \olcen Ausführungen ist das Tishtuch mit mir absolut zerschnitten. (Lebhafter Beifall links, im Zentrum und bei den Freikonservativen.) Meine Herren, wenn der Bund der Landwirte so meine Stellung zur Landwirtschaft verkennt und folhe Worte seinen Vertretern hier in den Mund legt, so ist eine friedlihe Auseinandersezung zwischen ihm und mir unmöglich. (Bravo! links, im Zentrum und bei den Freikonservativen.) Meine Herren, diese Rede des Herrn Abg. Dr. Hahn konnte wobl an einer anderen Stelle gehalten werden; aber bier an dieser Stelle war meines Erachtens nicht die geringste Veranlassung dafür. Die Parteien haben \sihch heute, wie das im politishen Leben vorkommt, über ihre wirtshaftépolitishen Anschauungen auseinander geseßt. Nun kommt am Schluß des beutigen Tages, obne jeden ersichtlichen Grund für eine derartige {were Provokation, der dritte Vorsitzende des Bundes der Landwirte und hält eine Rede, die nun und nimmer- mehr, boffe ih, Widerhall in unserer ländlihen Bevölkerung finden kann, \iher aber unvereinbar is mit unserer konservativen Auf- fassung. Meine Herren, ih kann es verstehen, daß ein solcher Redner vor einer Versammlung, dic seinen beredten Worten lausht, derartige Ausführungen macht, die leiht über die Situation hinwegtäushen. (Sehr richtig! links.) Aber es muß befremden, daß dcr Herr Vorredner bier, vor Hause, Zolltarif und Handelsverträge als gleichbedeutend be handelt. Meine Herren, der Zolltarif das ist, glaube i, oft genug ausgesprochen worden ist doch zunächst nur die Grundlage für unsere weiteren Vertragëverhandlungen. Der Herr Abgeordnete spricht aber einmal vom Zolltarif, dann wieder von den Vertragsverband- lungen und wirft das durheinander. Meine Herren, man kann ja mit dem Zolltarif nit zufrieden sein, man kann sagen: es bätte eine weitere Besserung der Zölle stattfinden müssen, es bätten einzelne Zölle erhöht werden müssen; das verstehe ih jeden Moment, daß der Bund der Landwirte nah dieser oder jener Richtung bin sagt es sind nicht alle Wünsche, die wir batten, erfüllt worden. Aber s{chon jeyt wird der Stab über dic Handelsverträge gebrochcn, von deñen wir zunähst noch gar niht wissen, wie sie si gestalten werden. Jh selbst als Mitglied der Regierung weiß das zur Zeit noch nit, und ih glaube, selbst der Herr Reichskanzler kann augen- blicklih die Ausgestaltung der Verträge nicht voll und ganz übersehen. Nun kommt aber der Herr Vorredner und beurteilt bereits das, was doch der Zukunft vorbehalten werden soll. Selbst der erste Vorsigende des Bundes der Landwirte sprah noch am Schlusse seiner Rede sich dahin aus, daß der Zolltarif, der, wie wir alle maeben müfsen, im Schema und in einzelnen Säßen zu Gunsten der Land- wirtshaft geändert ist, eine Verbesserung Zusiand bedeutet. Der Herr Vorredner aber Erachtens ledigli der Agitation wegen (Sehr ritbtig!), Zolltarif und Handelbverträge durcheinander und \{ildert dic wirt- schaftlichen Ausfichten für die Zukunft in den \{wärzesten Farben

Es ift z. B. von dem Herrn Vorredner die Frage der Meist- begünstigung, die Frage der Zollkredite usw. usw. gestreift worden, Sachen, die doch erst durch die Handelsvertragtverbandlungen über- haupt festgelegt werden. Wie weit sie nah der cinen oder anderen Richtung ausgestaltet werden, ja, meine Herren, wissen Sie es? Ih weiß es nicht, und ih glaube nicht, daß der Herr Abg. Haba darin mehr weiß als ih. Jh laun, wie gesagt, diesen Vorfall nur aufrichtig bedauern. I habe immer noch geglaubt, daß innerhalb des Bundes der Landwirte diejenigen Elemente die Oberhand gewinnen würden, die gerade in einer gemeinsamen Vertretung unserer gesamten landwirtschaftliben Interessen allein das Heil unserer Landwirtschaft schen. Dieser Glaube ift mir heute durch diese provokatorische Nede anders kann ih sie nicht bezciéhnen benommen. (Bravo!)

Meine Verren, ih will mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit Sie nicht länger aufhalten, möchte aber nochmals das wiederholen.

gern

dielem boben

noch

früberen wirft, meines

acgen den

| was der Herr Reichskanzler vor wenigen Tagen bier unter dem Beifau Dem Abg. Freiherrn |

der Mebrheit dieses Hauses ausgeiprochen hat