1881 / 295 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Dec 1881 18:00:01 GMT) scan diff

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Amtsrichter Trautwetter in Lengsfeld, ein Danktelegramm für die von ihm im Namen des dortigen konservativen Vereins an ihn gerihtete Begrüßung gerihtet. Weiter habe der Ober-Kirchenrath den Geistlichen die Theilnahme an dem jeßt so leidenschaftlichen Parteistreit widerrathen. Er wisse nicht, wie diese Aufforderung sich vertrage mit der Agitation des Abg. Stöcker. Der Wahlaufruf für den Grafen von Bismarck trage nicht weniger als 23 Unter- christen von Geistlihen. Jn seinem Wahlkreise hätten mehrere Pfarrer in den öffentlihen Versammlungen die Leftigsten Reden gegen ihn gehalten. Jhn ließen ‘ja solche Dinge kalt, er sei etwas hart gesotten, aber niht seine Mit- bürger. Was solle man aber dazu sagen, wenn ein Herr Pastor Göß sich noch dessen gerühmt habe, daß er nah der Neligionsstunde den Schülern die gegen sich gehaltenen Wahl- reden, die Proklamation, die damit geschlossen habe, daß sih der Himmel darüber freuen würde, wenn Herr von Putt- kamer ihn besiegen würde, gegeben habe. Was die Beamten betreffe, so habe n seinem Wahlkreise Keiner für ihn agitirt, während die Versammlungen der Konser- vativen vom ODberpräsidenten, Regierungs - Räthen «x. besucht und sogar von einem Regierunçcs-Rath geleitet seien. Jm Wahlkreise Randow-Greifenhagen habe der Land- A, des Nandower Wahlkreises, Herr von Manteuffel, obgleich derselbe niht Wähler des Kreises sei, einen Wahlaufruf für den Gegenkandidaten des Herrn von Arnim erlassen. Auch im Kreise Flatow habe sih der Landrath zu ciner solchen Agitation herbeigelassen. Er wolle nun noch darauf hin- weisen, daß man ja in Preußen eine Zeit erlebt habe nicht die des Konslikts, sondern früher in der eine Wahlagitation in Scene gesetzt sei, die ein trauriges Dokument der preußischen Geschichte sei. Darüber habe man ein Urtheil von dem Prinz- Gemahl der Königin von England. (Redner verlas einen Brief desselben, in dem die Wahlumtriebe unter dem Ministerium Manteuffel {arf getadelt werden.) Sorge man dafür, daß so trübe Zeiten sich nit wiederholten. Die Bedeutung der lcßten Wahlen liege darin, daß troß des blendenden Glanzes des Namens des Fürsten Bismarck, der Volkswille durch alle diese Agitationen sch Bahn gebrochen habe und zum unverfälschten Ausdruck gebracht sei, daß derselbe sich nicht mehr am Gängelbande führen lassen werde. Der Reichstag habe die Verpflichtung, der Reichsregierung die nothwendigen Schritte vorzuschlagen, damit jeder Wähler ohne Unterschied des Standes und Vermögens seine Meinung bei den Wahlen unverfälsht zum Ausdruck bringen könnt. Er hoffe, daß auch die Herren auf der Rechten sich dieser Forderung nicht entziehen würden.

_ Hierauf ergriff der Kommissar des Bundesraths, Staats- Minister von Puttkamer das Wort:

Meine t: Als ih den zur Diskussion stehenden Antrag

zum ersten Male las, fragte ih mich: welches kann füglich die Absicht fein, welche die Herren Antragsteller mit ihm verbinden? Jch glaubte, es handele sich um eine Angelegenheit, kei der Regierung und Reichs- tag ein gleihmäßiges Interesse hätten, nämlich um die Beseitigung gewisser tehnisher und geschäftliber Mängel des Wahlverfahrens, Mängel, welche bei der Prüfung der Wahlen sich ergeben haben könnten, und in denen man durch zweckmäßige Bestimmungen für die Zukunft Abhülfe zu schaffen gedachte. Selbst bei dieser Auffassung des Antrags sagte ich mir aber von vornherein: er ist entschieden verfrüht; und zu meiner Genugthuung hat der He Abg. Frei- herr v. Heereman diesen fselben Gesichtêpunkt aufgestellt. Meiner Auffassung nach war zwar der gegenwärtig zur Berathung stehende analoge Antrag, welchen der Hr. Abg. Mendel - am Schlusse der verwichenen Legislaturperiode stellte, ganz korrekt, indem er näm- lich das vorhandene Bild, welches aus den abgeschlosse- nen Wahlprüfungen vorlag, zusammenfaßte und daran An- träge auf Abhülfe und Verbesserung knüpfte. Aber jeht am Eingang des Wgislaturperiode, wo noch kaum einige wenige Berichte der Wahlprüfungs - Kommission im Hause dis- kutirt worden sind, cinige andere wenige vorliegen, man also noch abfolut keinen Blick darüber hat, um was es sid handelt, {ien mir der erneute Antrag verfrüht. Nun habe ib aber aus der Diskussion und namentlih aus der leßtgehörten Rede die Ueberzeugung geschöpft, daß diese Seite der Sache völlig nebensächlich war. __ Es handelt sich nicht um die Abhülfe gewisser technis{cher Mängel, fondern es handelt sich um einen wohl vorbereiteten, konzentrirten Angriff gegen die preußische Staatsregierung, und wie ich wohl hin- zufügen darf, gegen meine geringe Person.

Nun hat der Hr. Abg. Rickert cin Wort gesagt, mit dem ich vollkommen übereinstimme, nämlih: wir werden uns über diese Dinge mit dem Herrn Minister im Abgeordnetenhause des preußischen Staats näher unterhalten, da wird er uns Rechenschaft geben müssen. Ja, meine Herren, das ist vollkommen richtig, darauf bin ich vorbereitet und freue mich darauf, dann mit dem Hrn. Abg. Rickert alles das zu disfutiren, was er gegen mich vorgebradt hat. Wir wer- den bei dieser Gelegenheit dann auch in eine Untersuchung darüber cinzutreten baben, ob diejenige Partei und die ihr benachbarte, welche der Herr Redner vertrat, so sehr dazu legitimirt ist, sich zum Richter über politishe Moral aufzuwerfen. Nah all dem, meine Herren, werde i heute aus der großen Reihe von Material, das ih vor mir habe, Ihnen nur weniges vorführen. Id muß mich wahr- li wundern, daß jedesmal, wenn der Hr. Ag. Rickert mir die Ehre anthut, mit mir zu diskutiren, er das immer in cinem überaus ge- rcizien und nemGfen Ton thut. (Widerspruch links.)

Meine Herren! War der Ton nicht etwa nervôs8? (Rufe links : Nein! durchaus nit!) Ja, wenn dies niht der Fall ist, meine Herren, dann bin ih allerdings der denkbar {lechteste Psychologe. Jch glaube, die Bemerkung nicht unterdrücken zu können, daß der Hr. Abg. NRickert im preußischen Abgeordnetenhause einige Male mit mir nicht ganz glückliche Geschäfte gemacht hat, und das ift vielleicht der Grund, daß ih bei dieser Gelegenheit von ihm angegriffen werde. Jch betone es also nochmals, der Err Abgeordnete wird mich im Abgeordnetenhause des preußischen Staates, wo ih meine politische Verantwortung zu vertreten und einzuseßzen habe, völlig bereit finden, mit ihm über Dasjenige, was ih heute von dem mir zu Gebote stehenden Material nicht weiter verfolge, zu sprechen. Inde kann ih unmöglih na einer so gereizten Rede das Haus unter dem Eindrudcke laffen, als wenn ich meinerscits nihts dagegen anzuführen hätte. Ich muß also aus dein Material, das ih besie, doch einige Momente zur Klarstellung der Situation anzuführen mir erlauben, und da will ih vorweg zunächst auf die Vorwkirfe kommen, welche der Hr. Abg. Rickert glaubt gegen die Redaktion der „Provinzial-Correspondenz richten“ zu können. Jh bin volllommen von der Pflicht dur{drungen im Großen und Ganzen, Pa jeden Ausdruck kann man mich nit verantwortlih machen die Haltung der p FSLRRI e S zu vertreten, und werde es au thun. Jch glaube aber denn do, daß bei s Seite der Sadhe die Scbürie der Angriffe, welchen die preußische Re-

ierung während des Wahlkampfes ausgesetzt war-, nicht unerwogen leiben sollen. Ja, es wird sich also blos um die Frage der Priorität handeln, wer angefangea hat.

Meine Herren, wollen Sie auf diesen Gesichtspunkt die Debatte stellen, so diskutiren wir doch in der That nur über Kleinig- keiten. Der Hr. Abg. Rickert aber glaubte den sfittlihen Pathos für seine Partei völlig M zu fönnen.

Nun werde ih die Herren also bitten ih wiederhole, ih könnte stundenlang über dieses Thema reden, ich will aber nur cinige ganz fravpante Thatsachen anführen ih werde Sie also bitten, mir ge- neigtest Gehör zu {enken bei der Darlegung einiger weniger besonders frappanter Fälle, in welchen \sich die mündlich und \hrifllih gegen

die Regierung gerichtete grenzen- und \Hrankenlose Agitation \o recht abspiegelt. Jch bedauere, dazu gezwungen zu sein, aber die Pflicht der Vertheidigung legt es mir auf und ih bedauere, daß ih mi dabei egen ein Mitglied des Hauses richten muß, von dem ih an {i per- önlih die größte Hochachtung habe, nämlich gegen den Hrn. Abg. Dr. Mommsen, der ja bekanntlich jeßt wieder im Reichstag siße. Hr. Dr. Mommsen hat nämlich für gut befunden, in einer Wahlversammlung, welche in Charlottenburg abgehalten wurde, fol- gende Kritik der Politik der Regierung scinen Hörern vorzuführen und dabei kann ih glei cinshalten, daß das, worüber der Reichskanzler sich beklagt, daß ihm nämli mit fo überaus heftiger Animosität ent- gegengetreten werde, auch hier in ganz besonders hohem, fast uner- träglichem Maße zutrifft. (Nufe links: Wann war die Ver]|ammlung ?) Jch höre eben das Wort „wann“. Das ist geschehen im September dieses Jahres, da heißt es folgendermaßen : Die Wirthschastspolitik der neuen Propheten damit ist natürlih die Regierung gemeint nimmt wie alle zweifelhaften Gestalten zwar cin sauberes Mäntelchen um, und nennt sich „Schuß der nationalen Arbeit“. In der That ist es gemeinste Interessenpolitik eine Interessenpolitik, die um fo nihts- würdiger ist, weil die Interessen mit einander eine Koalition \chließen, um diejenigen auszubeuten, die L ihr niht anschließen können oder nicht anschließen wollen. Es ist ferner nicht blos. cine Politik der gemeinsten Interessen, sondern warum soll ih es nicht sagen ? eine Politik des Shwindels. (Sehr rictig! links.)

Ia, meine Herren, daß Sie auf jener Seite (links) „sehr richtig“ gesagt haben, finde ih sehr begreiflich, aber ich glaube do, daß, wenn es sich hier um die Kritik einer Politik handelt, in welcher die über- wiegende Majorität der Nationalvertretung sih mit den verbündeten Regierungen zusammengefunden hat, dann war es mehr wie kühn ich will niht weiter gehen von dem Hrn. Abg. Mommsen, sich diese Kritik zu erlauben. Dec ‘geehrte Herr is überhaupt sehr geneigt, im Lapidarstyl, wenn es sich um politische Dinge handelt, zu sprechen, und er hat ne Vorbilder wohl aus demn klassishen Alterthum ent- nommen, aber das muß i doch sagen, wenn ih mir den Ton ver- gegenwärtige, in dem diese Rede gehalten ist, dann erinnert sie, mi mehr an Cleon als an Pericles.

Ich führe dieses nur an, um zu beweisen, wie ungemein {chwer es den Regierung8organen gemacht wird, solcben Angriffen gegenüber kaltes Blut zu bewahren, und dann wundern Sie sich, wenn wir der- artigen Dingen gegenüberstehen, daß, wenn auf uns geschossen wird, wir wieder \chießen. :

Wir benuten all’ die Waffen, die uns das Gesetz und die Ver- fassung in die Hand legen, um uns gegen solche Angriffe zu wehren.

Das war eine mündliche Aeußerung der Partei, nun komme ich aber auf eine \{riftliche Manifestation, ih wiederhole immer, meine Herren, das sind alles nur kärglihe Blumenlesen aus dem, was ih hier in großen aufgeshihteten Massen vor mir liegen habe, aus dem Wahlkreis Hanau - Gelnhausen, der einzige Wahlkreis des Deutschen Reiches, in dem offiziell, d. h. urkundli(, also nicht blos auf Hörensagen hin, ein Wahlkompromiß zwischen der Fort G und der Sozialdemokratie geschlossen worden ist. Da handelte es sih um die engere Wahl zwischen einem Konserva- tiven, der allerdings nebenbei noch das Unglück hatte, etwas christlich angehaucht zu sein, was in den Augen gewisser Parteien jeßt {hon als ein Verbreben angesehen wird, um die engere Wahl zwischen einem konservativen Kandidaten und einem Sozialdemokraten, und da haben die Herren von der Fortschrittspartei ganz \{chlank etwa Folgen- des erklärt ih kann natürlich niht den ganzen Wahlaufruf ver- lesen, sondern nur den kritischen Theil cs wird also den Gesin- nungtge len in Stadt und Land Folgendes vorgehalten :

Sehnt Jhr Euch vielleicht wieder zurück in jene Zeit der Frohnden und Zehnten, in jene Zeit der Leibeigenschaft und Hörigkeit, in der Hörigkeit, in der Bürg:r und Bauern von übermüthigen Junkern und unduldsamen Pfaffen gedrückt und ausgefogen wurden, dann wählet konservativ! j : s

Wenn Ihr. wollt; „daß ‘den Bürgern und Bauern die Freiheiten und Rechte wieder genommen werden, für deren Erlangung unsere Väter so {wer geduldet, gelitten, so muthig und treu gekämpft haben, dann wählt konservativ! N

Und dann heißt es am Schluß, bei solher Sachlage kann natürlich für uns kein Zweifel sein, der Sozialdemokrat is das fleinere Uebel. Deshalb fordern wir alle unsere Gesinnungsgenossen in Stadt und Land auf, den zu wählen. °

Meine Herren! Wenn man so etwas lesen muß, daß einem monarhishen Konservativen gegenüber, er mag ja sonst seine Mängel haben, welche er wolle, der Sozialdemokrat das kleinere Uebel ist, und zwar in solher Sprache, die, glaube ih, an demagogisher Färbung nichts mehr zu wünschen übrig läßt, dann sage ih wieder, die Regie- rung muß ihre Waffen so entshieden und energisch , gebrauchen, wie irgend mögli, um s\ih gegen folhe Angriffe ‘zu vertheidigen. Die Partei \{lägt man, die Negterung meint man!

Nun komme ic aber auf den Gesichtspunkt zurück, den der Hr. Abg. Rickert ganz korrekt meiner Meinung nah hier zu Anfang aus- sprach, ih werde verpflihtet und berechtigt sein, über alle diese Dinge im preußischen Abgeordnetenhaus mih noch näher aussprehen. Sie werden mich dazu vollkommen bereit finden.

Ich will zum Scbluß denn ich höre, es werden no cine An- zahl von Herren zum Worte kommen wollen, und ih möchte denselben nicht allzusehr die Zeit vershränken ih will zum Schluß noch an- führen, daß, wenn der Herr Abgeordnete im voraus ankündigte, es würde hier cin Fall aus dem Wahlkreise Lauenburg mit besonderem Nachdruck betont werden, so ist mir diese Angelegenheit sehr wohl bekannt, und ich bin der Meinung, daß sie mit den Wahlen absolut nichts zu thun habe. Es handelt sich da um dienstlihe Vorwürfe gegen cinen Staatsbeamten, die genau untersubt werden, und nach deren Ausfall das Nöthige ges{chen wird. Etwas Weitercs bin ih in diesem Augenblick zu jagen nicht berechtigt, denn ih verurtheile LEER S cher, als i von seiner Schuld ganz klar über- zeugt bin.

Aber nun noch ein Wort, meine Herren, die Regierung Sr. Majestät des Königs von Preußen ist keine Parteiregierung, sie kann sih mit keiner Partei identifiziren, sie kann sih auf keine Partei aus- \ch{ließlich stützen und kann auch nicht aus\{ließlich die Politik einer bestimmten Partei treiben. Sie stüßt \sih auf ihre Pflicht, für das allgemeine Wohl zu sorgen, von diesem Gesichtspunkt die Vorlagen für die Landesvertretung zu machen und zu erwarten, wie diese Vor- lagen werden von der Vertretung aufgenommen werden. Die Re- gierung ist daher bei den Wahlen in einer schr wie soll ih sagen sehr hülflosen Lage, denn sie hat keine direkten Organe, durch welche sie auf die_ öffentliche Meinung cinwirken, dieselbe aufklären kann, und die Presse ist ja bekanntli zu sieben Achtel in den Händen der Oppositionsparteien. Also muß die Regierung erwarten, daß diejenigen Beamten, in deren Händen wesentlid die politische Vertretung der Staatsgewalt liegt, wenn und insoweit ge überhaupt ihre Rehte als Wähler und Staatsbürger ausüben, die Regierung unterstüßen. Sie erwartet das ganz zuversihtliÞch von den Beamten, und davon ist schr wohl zu unterscheiden die unerlaubte Wahlbeein- lussung, die die Regierung ebenso wenig wünsht wie Sie, d. h, einc

hlbeeinflussung, die sich darin dokumentirt, daß das unmittelbare Gewicht des Amtes mit in den Wahlkampf hineingeführt wird; davon wird natürlich keine Rede sein. Aber, meine Herren, das wiederhole ih jedoch mit großer Bestimmtheit, und damit will ih {ließen : die Regierung wünicht, daß innerhalb der Schranken des Geseßes ihre Beamten sie bei der bl nacdrüdcklich unterstüßen und 1ch kann hinzufügen, daß diejenigen Beamten, welche das in treuer Hingebung bei den letzten Wahlen gethan haben, des Dankes und der Anerken- nung der Regierung sicher sind, und, meine Herren, was mehr werth ist, daß sie auch des Dankes ihres S Herrn sicher sind. é

Der Abg. von Schöning (Kleinen) erklärte, er habe geglaubt, daß dieser Antrag der erste Shritt zu ciner Aenderung und Ver- besserung des Wahlverfahrens sein solle. Aber weder von dem Abg, Payer, noch von dem Abg. Rickert sei ein Punkt berührt worden, der si auf cine derartige Reform bezöge, Zur Be-

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gründung des Antrags sei gar n!chts herbeigebracht, er

nur Angriffe auf die amtli*ze Presse und adet über amtlihe Wahlbeeinflussungen gehört, ein Gebiet, auf welches er den Herren nicht folgen werde. Denn die Beschuldigungen, welche der Abg. Nickert gegen die Regierung und Beamten erhoben, habe \{chon jeßt eine genügende Beantwortung durch den Staats-Minister von Puttkamer erfahren. Es sei eigenthümlih, daß die Herren auf der Linken, die immer auf das Wohl des Volkes und die Abstellung von Uebelständen bedaht sein wollten, auch mit diesem Antrag wieder bewiesen, daß es ihnen nur um Jnter: essen der Partei und Parteipolitik zu thun sei. Denn der- selbe berühre die Schäden, die dem jeßigen Wahlverfahren anhafteten, niht. Vor Allem sei die Führung der Wähler- listen eine äußerst mangelhafte. (Redner führte zum Beweise dieser Behauptung mehrere Beispiele an, die in früheren Reichstagssessionen zur Sprache gekommen seien.) Eine Remedur in dieser Beziehung zu treffen möge \{wierig sein, besonders in den ländlichen Wahlbezirken, aber sie sei dringend nöthig und ebenso eine Vereinfahung der Geschäfte der in Wahlsachen unerfahrenen ländlihen Behörden. Ein zweiter Uebelstand bestehe darin, daß die Wahlvorstände oft nit ordnungsmäßig gebildet worden seien und die Mitglieder des- selben das Wahllokal während des Wahlgeschästs selbst ver- lassen hätten. Auch hier könne eine Besserung leiht erzielt werden, wenn man von der Bestimmung lasse, derzufolge die Wahlen innerhalb der Zeit von 10 bis 6 Uhr stattzufinden hätten. Für die Stimmabgabe genügten ein bis zwei Stunden und eine solche kürzere Wahlzeit würde auc den ländlihen Verhältnissen vollklommen entsprehen. Bei der Bestimmung des Wahltermins hätte mehr, als das dieses Mal geschehen, auf den Umzugstermin Rücksicht genommen werden follen. Der Forderung, daß bei den Wahlen auf die Geheimhaltung und Unabhängigkeit Rücksicht genommen werden müsse, stimme auch er bei. Ob sich die Abgabe couvertirter Stimmzettel in dieser Richtung empfehle, erscheine thm zweifelhaft. Gegen Wahlbeeinflussungen von Seiten der Beamten sei auch er. Nur sollte man nicht jede Thätigkeit eines Beamten als eine Wahlagitation ansehen. Uebrigens habe sih der Einfluß der Beamten auch zu Gunsten Liberaler geltend gemacht. Für die Wahl des Abg. Ridlert seien z. V. auch zwei Mauine- Jngenieure thätig gewesen. Die Ver- weisung des Antrages an eine Kommission werde nicht viel Nußen bringen, da auch die Antragsteller keine Materialien beigebracht hätten. Hülfe habe man in dieser Angelegenheit eher von der Regierung zu erwarten.

__ Demnächst nahm der Staats-Minister von Boetticher wie folgt das Wort. (Wir werden die Rede morgen im Wort- laut bringen.)

Ein Antrag auf Vertagung wurde angenommen.

Persönlich bemerkte der Abg. Rickert: Der Minister des Jnnern habe geglaubt, ihn dadur widerlegen zu können, daß er gesagt habe, er hätte in nervösem und gereiztem Tone ge- sproen. Er hätte gewünscht, der Minister hätte seine Gründe widerlegt, davon habe er aber leider nihts bemerkt. Weiter habe der Minister bemerkt, seine (des Redners) Ausführungen seien wohl darauf zurückzuführen, daß er im Abgeordneten- hause einige nicht ganz glücklihe Geschäfte mit dem Minister gemacht habe. Er- habe mit dem Minister überhaupt keine Geschäfte gemacht. Er erinnere sih nur eines Falles, wo der- selbe gesagt habe, was der Abg. Rickert gesagt habe, sei ihm ganz gleihgültig, und gleih darauf sei ein von ihm vertretener Antrag mit einer Stimme Majorität gegen den Minister von Puttkamer angenommen worden. Der Staatssekretär von Boetticher habe ihn mißverstanden. Er habe seine Sta- tistik niht als amtliche hingestellt; er hade nur gesagt, die Statistik des Reichskanzlers sei keine unantastbare und die Rede des Staatssekretärs habe dies lediglich bestätigt.

Es entspann sich nunmehr einè nahezu einstündige Ge- \{hästsordnungsdebatte über die Frage, ob in der nächsten (vom Präsidenten für Freitag in Aussicht genommenen) Sißung zuerst der Etat erledigt und dann die abgebrochene Berathung fortgeseßt werden solle oder umgekehrt. Die Abgg. Freiherr von Minnigerode und Freiherr von Malzahn-Gülg hielten die Etatsberathung für dringender. i

Der Abg. Rithter (Hagen) erklärte, wenn der Reichstag blos eine Geldbewilligungsmaschine sei, so möge der Etat wohl das Wichtigste sein; aber die Debatte habe heute eine so unerwartete Wendung erhalten, daß der Reichstag dazu Stellung nehmen müsse, Die Erklärung des Ministers von Puttkamer degradire die Beamten zu Wahlagenten des je- weiligen Ministers. Es stehe die Wahlfreiheit in Frage, und auf der Wahlfreiheit beruhe das Ansehen des Reichtags, des- halb müsse der Reichstag dieselbe hüten.

Der Abg. Dr. Lasker hielt es ebenfalls für nothwendig, daß der Reichstag nicht eher in die Ferien gehe, als bis er über die Erklärung des Ministers ein Urtheil gefällt habe; balter könne man noch in der nächsten Woche eine Sigzung alten.

Der Abg. Schröder (Lippstadt) protestirte dagegen, daß der TEINag noch in der Weihnachtswoche sißen solle, man sei doch nicht blos Reichstagsabgeordneter, sondern auch Mensch; überhaupt habe si herausgestellt, daß die ganze Le verfrüht sei, man solle deshalb nur den Etat zuerst erledigen.

Der Abg. Dr. Windthorst hielt es ebenfalls für wichtig, die Wahlfreiheit zu wahren; der Etat sei aber nicht minder wichtig. Er möchte deshalb vorschlagen, die abgebrochene De- batte heute Abend zu beendigen.

egen diesen Vorschlag, den \ich der Präsident von Le- vehow aneignete, erhob sich auf der linken Seite des Hauses ein lebhaster Widerspruch; nah einer so langen Tagesordnung bedeute eine Abendsizung ein Todtmachen der Sache. Da die Abstimmung durch Aufstehen und Sizenbleiben zweifelhaft blieb, so wurde zur Zählung geschritten, welhe ergab, daß 136 Abgeordnete für und 134 Abgeordnete gegen eine Abend- sizung stimmten, Die abgebrochene Debatte wird alsg heute

Abend fortgeseßt werden. Hierauf vertagte sih das Haus um

43/4 Uhr auf Abends 8 Uhr.

Jn der gestrigen Abendsizun tags, welcher die Staats-Minister von Puttkamer und von Boetticher, owie mehrere Bevollmächtigte zum *Zundesrath und Kommissarien desselben beiwohnten , seßte das Haus die heute abgebrohene Berathung des Antrage®% der Abgg. Dr. Hänel und Gen. fort. Der Abg. von Komierows

des Reichs -

brachte die in den Wahlkreisen mit vorwiegenck, polnischer Be- völkerung zu Tage getretenen Unregelmäßigke.iten zur Sprache, deren Tendenz dahin gehe, das versassung?. mäßige Wahlrecht seiner Landsleute illufsocish zu machen. Dem Antrage der

geeignet sei, diesen Uebelständen ein Ende zu machen, stimme

er bei.

Der Abg. Frhr. von Wöllwarth-Lauterburg bemerkte, seine Fraktion stehe dem Antrage kalt gegenüber, da derselbe nur dazu diene, von Neuem all die Unruhe des Wahlkampfes in die Weihnachtszeit zu tragen und das Volk wieder aufzuregen. Die Regierung habe völlig Recht daran gethan, sih gegen die {mach- vollen Angriffe, die sie zu erleiden gehabt, in energischer Weise zu wehren. Es mache einen tieftraurigen Eindruck auf die national gesinnten Männer dieses Hauses, so heftige Angriffe gegen den Stister der deutschen Einheit erhoben zu sehen, wie dies Seitens der Abzg. Rickert und Richter geschehe. Unter diesen Umständen sei es wahrhastig keine Ehre, Mitglied des Deutschen Reichstages zu sein.

Der Abg. von Bennigsen erklärte, er werde für den An- trag stimmen. Keine Wahlen in früherer Zeit seien so un- ruhig verlaufen, wie die legten. Die Einführung des all: gemeinen Wahlrechts sei ja ein großes Wagniß gewesen ; ein noch größeres sei aber dessen Abschaffung. Wenn es indessen nit gelinge, künftig eine größere Mäßigung zu erzielen, dann müsse er mit Sorge in die Zukunft blickn. Man habe sich dazu hinreißen lassen, die Gegner persönli zu verunglimpfen. Die Fortseßung solher Kämpfe sei gerade bei dem deutschen Volkscharakter besonders gefährlih. Wenn demnach die Parteien eine fo große Verantwortlichkeit trefse, so sei doch die der Regierung noch größer, und er behaupte, wenn die Regierungêorgane weniger hestig agirt hätten, so wäre auch der Ton der Parteien ein mäßigerer gewesen. Die Pläne und Jdeen des Kanzlers hätten sih wohl 9 auch ohne solche Mittel dur{segen lassen. Der Ausfall der Wahlen sei wohl von Niemand vorausgesehen. Gerade die Taktik der Negierungspresse habe nicht wenig dazu beigetragen, von Tag zu Tag einen größeren Gegensaß gegen die Regie- rung zu erzeugen. Der Minister sei bei seiner heutigen Rede in der Auswahl feiner Argumente nicht sehr glücklih gewesen. Keineswegs würden dieselben doch das Vorgehen rechtfertigen können, ganze liberale Parteien des Landes in dieser heftigen Weise zu besehden. Auch er halte es für ein Recht der Regie- rung, ihre Jdeen in der Oeffentlichkeit zu vertreten, aber in der

ehörigen Form. Sie solle die Gegensäße mildern, nicht sie chärfen. .Was ihn aber bewogen habe, zu sprechen, seien die lezten Säße in der Rede des Ministers. Man könne aller- dings dem Minister des Jnnern niht die Möglichkeit ver- shränken, seine ihm nachgeseßten Beamten zu hindern, in politish tendenziöser Weise zu wirken. Der Minister sei aber weiter gegangen ; der Kern der Ausführungen des Ministers erinnere zu lebhaft an das französishe System. Und dieses auf deutshen Boden zu verpflanzen, davor möchte er warnen. Aber auch die Person des Kaisers habe der Minister mit seinen Aeußerungen verflohten. Er bedauere es auf das Leb- hasteste, daß ein preußischer Minister es gewagt habe, den Schild der Person des Monarchen für sih in Anjpruh zu nehmen und ein angegriffenes Regierungssystem, anstatt die- selbe lieber, soweit es in seinen Kräften stehe, zu schüßen. Er lege Namens vieler Personen auch außerhalb dieses Hauses gegen ein solches, völlig neues Verfahren Verwahrung ein.

Hierauf ergriff der Staats-Minister von Puttkamer das ‘Wort: i Es : |

Meine Herren, wenn ich Grund hätte, die Schlußsäße meiner Rede vom heutigen Vormittag zu modifiziren, so würde ih das un- bedenklich i hätte mich ja möglicherweise übereilt haben können mit derjenigen Offenheit und Loyalität jeßt thun, die, wie ih glaube, die Herren, welche mi länger kennen, an mir gewohnt sind. Jch habe die Worte, welche zu den Schlußäußerungen des Hrn. Abg. v. Bennigsen Anlaß gaben, noch einmal nach dem völlig unver- änderten Stenogramm durchgelesen und müß darnach pflichtmäßig erklären, daß ih nichts daran zurückzunehmen habe. u

Was den leßten Sah betrifft, den ih geäußert habe, so beschränke ich mi darauf, hier zu erklären, daß ih ganz genau weiß, wie weit ih in dieser Beziehung gehen darf, und daß ih ebenso genau weiß, nicht zu weit gegangen zu sein, Wenn der Hr. Abg. v. Bennigsen diesen meinen Schlußsay mit den {hon öfter gehörten Argumenten bekämpfen zu können geglaubt hat, daß ih damit die Absiht verbunden hätte, ein na LOS Regierungssystem mit der Person des Monarthen zu decken, jo weise ih das mit vollster Entschiedenheit zurück. Jch habe eine einfache Thatsache erklärt, und diese Thatsache nehme ih nicht zurü.

Nun aber glaube ih doch, daß der Hr. Abg. von Bennigsen auch Veranlassung gehabt hätte, sih etwas zurückhaltender auszudrüen in Bezug auf den übrigen Theil meiner leßten Ausführungen, cer muß sie in der That nicht genau gehört haben bei dem erheblichen Geräusch, das sich im Hause währenddessen .verbreitete. Ih will fic deshalb hier nochmals verlesen und dabei richtig stellen, was etwa an Miß- Verm en Le E B. v. Bennigsen mir gegenüber unter-

en ist; ih habe gesagt: : i : N Die Regierung ift ei den Wahlen, wie soll ich sagen? in einer bülflosen Lage, sie hat keine direkte Organisation, durch welche sie auf die öffentlihe Meinung einwirken kann, also die Regierung erwartet, daß diejenigen Beamten, in deren Händen wesentlich die politische Vertretung der Staatsgewalt liegt, wenn und insoweit sie überhaupt ihre Rechte als Wähler und Staatsbürger ausüben, die Regierung unterstüßen; sie erwartet das ganz zuverlässig von thren Beamten, und dabei ist sehr wohl zu unterscheiden die unerlaubte Wahlbeeinflussung, kie die Regierung ebenso wenig wünscht wie Sie, meine Herren, d. h., eine Wakhlbeeinflussung, die \sih darin doku- mentirt, daß das unmittelbare Gewicht des Amts mit in den Walhl- kampf hineingeführt wird. Davon wird natürlich keine Rede sein können; aber, meine Herren, das wiederhole ih mit großer Bestimmt- beit und damit will ih \chließen, die Regierung wünscht, daß innerhalb der Schranken des Geseßes ihre Beamten sie bei der Wahl nacdrücklich unterstüßen, un ih kann hinzufügen, daß die- enigen Beamten, welhe dies in treuer Hingebung bei den letzten n len gethan haben, si die Anerkennung der egierung sichern, und, meine Herren, was mehr werth ist, daß sie auch des Dankes ihres Kaiserlichen Herrn sicher sind. « , :

Nun, meine Herren, verlangt Hr. v. Bennigsen von mir eine Erläuterung des Sinnes dieser Worte, ih will fe gern geben.

Die preußishe Staatsregierung ih weiß nicht, wie es den anderen Bundesregierungen ergangen ist im Wahlkampf die preu- fische Staatsregierung ist in der That in den leßten Monaten in einer geradezu beispiellosen Lage gewesen. Ich will dinzusügen, daß ih darauf wenig Werth lege, wer hier der Zeit nah die wirkliche

riorität in den Angriffen hat, darauf kommt es nit an, meiner Meinun nah, lemdern auf die Schärfe in Ton und Auzdrudck, auf das Maß der Bitterkeit in der Polemik. Also die Regierung hat bestimmte Gesichtspunkte ihres Programms für die Wahlen zum Reichstag ausgegeben, wesentlich wirthshaftliher Natur; sie erklärt : wir wünschen ein Festhalten an der vom Reichstage beschlossenen Wirthschaftspolitik. Oen ist die Antwort in einer großen Reibe von Wahlkreisen: diese Politik ist eine nichtswürdige Interessenpolitik, die läuft darauf hinaus, den Armen auszubeuten, sie soll den Große

4. N t Ae gy Do nenne ich eben Entstellung der Wahrheit.

Diescr Entstellung der Wahren ent Een mit allen geseßlichen ‘Mitteln, ist Ret und t der Regierung. A

u d es: de Regierung wünscht die Einführung des Tabaksmonopols. Damit sind ja viele Herren nit einverstanden ;

es zu erlangen. Aber es ist doch {ließli eine einfache finanzpoli- tishe Maßregel, über die man diskutiren kann. Darauf ift geant- wortet: die Regierung will also Verstaatlihung des ganzen wirth-- schaftlichen Lebens. Der Hr. Abg. Richter z. B., i glaube, keiner hat auf dem Gebiet so gesündigt, wie er hat in einer Wahl- versammlung hier in Berlin erklärt: jeßt wird tas Takaksmonopol, diese eine Verstaatlichung, eingeführt, daran wird sich {ließen die Verstaatlichung des Getreidehandels, der Müllerei, der Bäckerei und' \chließlich der gesammten Konsumtion. Meine Herren! Das ist auch \o eine Meußerutig, die sih sehr {wer qualifiziren läßt. Ich will hier einen im Hause befindlihen Abgeordneten gegenüber feinen Ausdruck gebrauchen, der mich mit dem Herrn Präsidenten vielleicht in unangenehme Berührung bringen könnte, aber ih sage: Objektiv betrachtet, ist das eine tendenziöse Entstellung der Wahrheit.

Meine Herren! Das sind fo kleine Blumenlesen aus allen den Angriffen, die die Regierung sih hat Monate lang gefallen, über si ergehen lassen müssen. Nun frage ih, meine Herren, wenn dem so ist und wenn, nicht etwa hier in Berlin allein, wo die geistige Elite der Nation si über diese Fragen unterhält, sondern wenn dies bis in den feinsten ländlichen Wahlkreis toto die gescbiecht, wenn die Re- gieruñg niemanden hat, der sie direkt vertheidigt, daß die Parteien es thun, die ihr woblgesinnt sind, weiß ih wohl, aber sie hat kein direktcs Organ also da sage ih: gegenüber \solhen Entstellungen und tendenziósen Verdrehungen des wahren Sachverhaltes in Bezug auf ihre wirkliche Meinung hat die Regierung das Recht, sich an die Beamten zu wenden und deren wirksame Unterstüßung zur Abwehr von Verdächtigungen und zur Aufklärung der Wähler in Anspruch zu nehmen.

Meine Herren! Ich habe mich gefreut, daß der Hr. Abg.

v. Bennigsen wenigstens so weit gegangen ist, anzuerkennen, daß es einem Beamten nicht wohl ansteht, direkte tendenziöse Opposition gegen die Regierung zu machen. Er ist aber hierbei stchen geblieben, er hat hier die Grenze gezogen und mit großem Nachdruck betont, ein Weiteres könne die Regierung auch von den in der politischen Verwaltung stehenden Beamten nicht verlangen. Meine Herren! Ich kann diesen Saß nicht unterschreiben. Nein; meiner Ansicht ge- hört es - zum Wesen einer monar{hischen Staatsordnung, daß das Beamtenthum einen cinheitlihen Gesammtorganismus bildet auch in politishen Dingen. Wenn da die Rede ist von Unterstüßung eines bestimmten Systems, die Rede von der Unterstükung der jeweiligen Regierung, so antworte ih darauf einfa: die Regierung hat diejenigen Interessen zu vertheidigen, zu deren Vertretung die Krone sie beauftragt, und von diesem Gesichts- punkte bin ih allerdings der Meinung, daß es wohlgethan ist, wenn ein preußisher Beamter die Régierung bei Erläuterung der näheren Entwickelung und Verwirklichung ihres politischen Programms unter- stützt. Ich finde darin keineswegs etwas Auffallendes oder Anstößiges; ih erblicke darin durchaus keine Velleitäten, die Herr-von Bennigsen als aus der Bonapartistischen Tradition herrührend glaubte bezeihnen zu können; ih finde darin einfach den Ausdruck des monarchischen Prinzips. , S habe hiernach keinerlei Veranlassung, von dem, was ih heute Vormittag gesagt habe, irgend etwas zu modifiziren. Jch werde er- warten, ob auf diesem selben Gebiet noch weitere Angriffe aus dem Dau gegen mich gerichtet werden und werde je nah der Wahl ant- worken.

Der Abg. Richter (Hagen) meinte, das Hinein- ziehen des Monarchen in die Debatte sei ein Vor- gang, welcher das Ansehen der Krone shädigen müsse. Wohin würde es führen, wenn die Parteien, dem Beispiele des Ministers folgend, die Person des Monarchen als Schild be- nußen würden? Zu dem vorliegenden Antrage übergehend, müsse er hervorheben, daß eine s{chleunige Erledigung dieser Sache im allgemeinen Interesse liege. Sollte dem Centrum viel: leiht weniger daran liegen? Nun, es könne eine Zeit kommen, wo dasselbe niht als das kleinere Uebel erscheine. Dies habe das Beispiel des Abg. Windthorst in den leßten 14 Tagen gezeigt. Warum solle den Hanauern verboten werden, daß auch sie die Sozialdemokraten für das kleinere Uebel gehalten hätten. Uebrigens sei gerade das Auftreten des Pastor emerit, Dieße in Hanau geeignet gewesen, demagogisch zu wirken. Das Treiben der Heßzpastoren sei viel shlimmer, als die Agitation der Sozialdemokraten. Auch gegen das Vorgehen der „„Pr0- vinzial-Correspondenz“ müsse er sich wenden, welche die öffent- lihe Meinung vergifte, und gegen die Wahlagitation der Landräthe, welhe Redner durch die Beispiele aus dem Wahlkreise Zauch-Belzig und Lauenburg beleuchtete. Cha- rafteristish für den Wahlkampf sei au die Entziehung der Lokale. Die Selbständigkeit der Wähler liege sowohl im Interesse der Regierung als auch im Interesse der Parteien. Gleiches Recht müsse für Alle sein, damit das Volk sih ein selbständiges Urtheil über die Regierung bilden könne. Niemand habe etwas dagegen, wenn der Reichskanzler alle Tage Briefe an Versammlungen, Vereine und auch an Stu- denten schreibe, nur solle sich der Minister dann nicht beklagen über die hülflose Regierung und niht vom Reichskanzler sprechen als von einem Greis, der sich nicht zu helfen wisse. Der Minister habe Vormittag des Falles aus Hanau Erwähnuug gethan und habe von der demagogischen Sprache der Fortschrittler gesprochen. Die „Schlesishe Zeitung“ habe nun umgekehrt dazu aufgefordert, in Breslau für die Sozialdemokratie zu stimmen, das seien ja ganz harmlose Leute. Den Konserva- tiven solle also erlaubt werden, was man den Fortschrittlern verbieten wolle. Die Agitation für die Liberalen werde untersagt, die sür die Konservativen empfohlen. Zu Agi- tationszwecken seien sogar Beamtenoereine egründet worden. Auch an der Spiße der hiesigen konservativen Agitation ständen ebenfalls Lehrer. Diese Erklärungen erschie- nen heute nah den Erklärungen des Ministers nicht mehr als Ausschreitungen, sondern als ein in den Augen der Re-

ierung berehtigtes System. Unter diesen Umständen höre edes selbständige Urtheil und der Parlamentarismus über- haupt auf. Dieses Gebahren des Ministers \chade aver auch der Regierung selbst und den Behörden. Diese hätten nicht die Wahlen zu leiten, sondern die Gesetze aare. Fahre man auf diesem Wege fort, so laufe man Gefahr, daß die Behörden die Gesetze parteiisch ausführen würden. Dies System hade aber vor Allem den Beamten selbst, welche durch Beschränkung ihrer persönlichen Freiheit zu Bürgern zweiter Klasse degradirt würden. Was sei denn überhaupt Regierung? eute sollten die Beamten für diejes, morgen für jenes System M Heute Falk, morgen Puttkamer. Eigentlih müßte mit jedem Regierungswechsel eine Entlassung der Beamten eintreten. Wer für Falk tauglich sei, sei es nicht für Putt- kamer. Dies System von Zuckerbrot und eitshe sei das Gefährlichste, was es gebe , es befördere die esinnungslof p: keit, die Mantelträgerei des Beamtenthums. Nach den Erkl rungen des Ministers sei es nunmehr klar: jede Vermehrung der Beamten bedeute eine E er Wahlagitations- mittel der Regierung. Der Dispositionsfonds, die Remunerationen \ür Beamten, die früher #o harmlos betrahtet worden seien, würden jeßt in einem ganz anderen Lichte ersheinen. Wollten die Mitglieder der Reten Konseroative im engolishen Sinne sein, so müßten auch fie Front machen gegea diese Bestrebun-

áh glaube auch nit, daß wir in der nächsten Zeit Aussicht haben,

en. Die Rechte solle sagen, sie sei zu gut, als daß sie solcher Priationamittel edürse. Statt dessen cufe die Recht dem

Minister Beifall zu und benuße sogar die Kaiserlihe Bok- schaft zur Agitation. Dieses System würde f{ließlich zur An- fechtung der Grundlagen dér deutshen Vèrfassung, zur Be- fämpfung des Parlamentarismus, zur Ausrichtung des launen- haften Kanzlerdespotismus, zu einer Vergewaltigung des Volks- willens führen.

Der Abg. Stöcker betonte, der Abg. Rickert habe ihm einen Erlaß des Ober-Kirchenraths entgegengehalten. Anstatt ihm, dem Redner, einen Rath zuw geben, von dem er keinen Gebrauh machen könne, hätte si derfelbe an den dem Abg. Ridcert politis fo nahe fiehenden Prediger Neßler wenden follen. Die Bezugnahme Rickerts auf obrigkeitliche Erlasse nähmen si gegenüber feinen fonstigen Angriffen gegen die Behörden sehr fonderbar aus. Die Waffen der Regierungen müßten sich völlig nah den Angriffen richten, die Seitens der Parteien gegen sie erhoben würden. Wie könne man also in dieser Beziehung Vorwürfe laut werden laffen? Der Abg. Richter habe zwar in einer seiner Reden behauptet, er (der Abg. Nichter) verachte {hlechte Juden ebenso wie f{lechte Christen. Er (Redner) fordere ihn aber hiermit öffentlich“ auf, einmaë eine Nede gegen \{chlechte Juden zu halten. Wie seien die evangelishen Pastoren Seitens der linken Seite dieses Hauses gekennzeihnet worden? Man habe si nit gescheut, sie als Erbschleicher zu bezeichnen. Er verlange vom Abg. Nidchter, der diesen s{hweren Vorwuxf erhoben, den Beweis dafür: sonst werde dies ein Beispiel sür die maßlofe Agitation bleiben, die man dort getrieben. Män werfe ihm dem Redner Maßlosigkeit vor. Dieser Vorwurf gründe sih nur auf die falschen Berichte einer s{hlechten Presse. Gerade sein maßvolles Auftreten habe ihm die Stimmen vieler Tau- sender bisheriger Gegner verschaft. Als er f. Z. in Berlin zuerst aufgetreten sei, habe er Hunderttausende in unbeschreiblicher materieller und geistiger Noth gefunden. Diese habe es da- mals gegolten zu erretten und er sei stolz darauf, daß ihm. ein gut Theil dieser Aufgabe gelungen sci. Wenn die ma= teriellen Umstände sich noch nicht in der wünschenswerthen Weise gebessert hätten, so trügen die liberalen Parteien die Schuld daran, die die Wirthschaftspolitik des Kanzlers in der unerhörtesten Weise verunglimpst und gehemmt hätten. Wenn die Regierung die Frage der Reform des deutschen Wirth- \chaftslebens auf ihre Fahne schreibe, so sei es Pflicht sicher- lih auch jedes wahrhaft Liberalen, ihr darin entgegen zuw kommen. Die soziale Frage sei eben eine brennende und akute geworden, daß ihre Lösung unternommen werden müsse. Es sei so viel von. staatlihen Wahlbeeinflussungen die Rede gewesen, dem ständen aber in hinreichender Anzahk Beeinflussungen Seitens der städtischen Behörden gegenüber. Zudem ergäben die Wahlakten, daß viele Leute, namentlih jüdischer Konfession, gewählt hätten, obwohl sie nit im Be- sige des deutschen Jndigenats gewesen seien. Man sehe, daß niht blos die Liberalen Veranlassung hätten, über Wahl- beeinflussungen si zu beklagen. Leider hätten jeßt noch die gegnerishen Parteien viele Siße in diesem Hause erlangt. Ér sei aber der festen Ueberzeugung, daß die Zeit niht fern sei, wo vor dem Hauch der jeßt inaugurirten Sozialreform alle Hindernisse vershwinden würden.

Der Abg. Richter (Hagen) bezeichnete die vom Vorredner erwähnten Details über Wahlbeeinflussungen als haltlos und bereits authentisch widerleut.

Um 11 Uhr wurde ein Schlußantrag abgelehnt.

Der Abg. Westphal machte auf die beamtlichen Wahlbe= einflussungen in Lauenburg aufmerksam, welche nicht nur von liberaler, sondern auch von konservativer Seite mißbilligt worden seien. Besonders beklagenswerth sei das Austreten des Lauenburger Landraths gewesen, der in öffentlichen Ver- sammlungen die Wahl des konservativen Kandidaten empfohlen habe. Redner citirte verschiedene Acußernngen dieses Land=- raths, wobei derselbe durch den Abg. Struve durch den Ruf unterbrohen wurde: „Das hat ein Landrath des Ministers von Puttkainer gesagt. :

Hierauf nahm der Staats-Minister von Puttkamer wie folgt das Wort: Î :

Meine Herren! J habe {on heute Vormittag erklärt, daß id» die schweren Änklagen gegen den Landrath des Kreises Herzogthum Lauen- burg als zur Erörterung gekommen anerkennen müße, daß ib aber ohne ganz sorgfältige causae cognitio mi niemals dazu entschließen werde, diesen Landrath zu verurtheilen. Die Ausführungen des Hrn. Vorredners, von denen er jedenfalls die Meinung hat, daß sie nux wirklich die beglaubigten Thatsachen enthalten, muß ih doch in den wesentlichsten Punkten bis zum Beweise des Gegentheils als Bes hauptungen, die beweislos dastehen, bezeihnen. Ich werde dazu umsomehr veranlaßt, als ich von zweien seiner Behauptungen mik Bestimmtheit sagen kann, daß sie unrichtig sind. Zunächst die Abe grenzung desjenigen Bezirks des Kreises Herzogthum Lauen- burg, welher in die Maßregel der Verhängung des fo- genannten kleinen T cinbezogen ist. Dieser Bezirk umfaßt den südlichen unmittelbar an die Stadt Hamburg angren= zenden Theil des Kreises, und es ist bei der über ihn verfügten Màß= regel selbstverständlich kein anderer Gesichtspunkt maßgebend gewesen als derjenige der nahen Nzchbarshaft von Hamburg. Alle die Folge» rungen, welche der Hr. Abg. Westphal aus dieser Thatsache ziehen wollte, daß man Hintergedanken dabei habe, die liberale Partei habe maßregeln wollen, weise ih als völlig unbegründet zurück. E

Sodann sagte er, daß die landständische Verwaltung des- Kreise Herzogthum Lauenburg einer unbilligen Verfolgung und Anschwärzung unterlegen habe, aus der sie glänzend gerectfertigt hervorgegangen fei. Meine Herren! Ich kann zu meinem Bedauern dies nicht bestätigen. Es ist ribtig, daß cine ganze Anzahl von Beschwerdepunkten gegen diese landständishe Verwaltung zur Sprache gekommen \ind-, dass die : Königliche Regierung zu Scbleswig diesen Beschwerden näher getreter è ist, und die angestellte Untersuchung diese Beschwerden als in hober a Maße Me herausgestellt hat. Jb will diesem Inzidenzpun? te an sich kein entscheidendes Gewicht auf die heutige Debatte beîleg en, muß aber doch wiederholt betonen, daß ih nicht ohne Weiteres den In des Hrn. Abgeordneten Glauben schenken kann. Im Uebrigen werden diese Dinge ja dur die schwebenden geri ichen Verhandlungen aufgeklärt werden, und wenn si, was ich, nit hoffe, cine Schuld des Landraths herausstellen sollte, dana wird er seiner Rüge nicht entgehen.

Ein S@&lußantd:ag wurde um 11!/, Uhr aberpy ¡als ah=

elehnt. j

G er Abg. Dr. FNommsen bemerkte dem Minister ‘gegenüber, daß er mit dem Ausdruck Jnteressenkoalitian nicht d e Koalition mit der Regierur g, sondern die zwischen Kornzoll und Eisen- zoll gemeint ho've. Schließlih msse er beme cken, daß er Redner) seit /30 Jahren preußisher Beamter / sei. Wenn er eßt ungern dzm Ministerium Opposition mo he, o que er dies, weil er glaube, daß der von der Regieru” g eingeshlagene Weg nicht zum Heile des Volkes führe, Diese Opposition mal er als königstceuer Beamter.

Die Diskussion wurde ges(lossen.

Der Aba. Dr. Virtow wandte sih in seinem Schlußwort egen den ba. Stöder, dem er 9 eshmadcklose Selbstüber- l shäßung vorwerfen müsse, (Der Pcäsident rügte diesen Aus-

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