1925 / 275 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 24 Nov 1925 18:00:01 GMT) scan diff

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E E E S E O A T

Der prakt ische Weg unseres Volkes nah oben wird nur flufen- weise vor sich gehen. Ein Rüdckblick auf das, was in den leyten Jahren geschehen ist, kann uns freilih mit dem stärkenden Bewußt- sein erfüllen, daß dieser Weg troß aller Not in seiner Hauptrichtung nah oben sührt. (Widerspruch rechts.) M Ja, meine Herren, diesen Glauben an das deutsche Volk und seine Ent- wicklung habe ih nun einmal, (Beifall in der Mitte. - Unruhe und Zurufe rechts.) Selbstverständlich ist auch bei den bisher vors liegenden Rückwirkungen noch eine nie ermüdende Ergänzungé®arbeit durch die Organe der deutschen Regierung zu leisten. Dabei will ih aber offen die Ueberzeugung der deutschen Regierung aussprechen, daß die bereits ausgesprochenen oder getroffenen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit wesentlihe Erleichterungen in den beseßten Ge- bieten bedeuten und daß sie zum Teil auch von grundsäßlicher Tragweite sind. Das gilt in erster Linie von der restlojen Ab- {haffung des Delegiertensystems. (Sehr richtig! bei den Sozial- demokraten.) Natürlich wird außerordentlich viel darauf an- fommen, wie weit und wie schnell die Zahl der fremden Truppen vermindert und welche Rücfsicht dabei auf die vorhandenen Unter- bringungsmöglichkeiten genommen wird. Bei dieser wie bei allen anderen Fragen legt sicherlich sehr viel Entscheidendes in der Aus- führung. Dex neue deutsche Rheinlandkommissar wird nah dieser Richtung eine besonders große und verantwortliche, aber für die gesamte Zukunstsentwicklung vielleicht entscheidungsvolle Arbeit zu leisten haben, Die Grundlage dazu wird ihm die feste deutsche Eino stellung im Sinne des Vertragswerks von Locarno bieten. Fch gebe der bestimmten Hoffnung und Erwartung Ausdruck, daß auch alle Organe dex Besayungsmähte gemäß dem bestimmt bes fundeten Willen ihrex Außenminister mithelfen werden, der rheini- hen Bevölkerung und dem gesamten deutshen Volke die ver- bleibende Last nah allen Möglichkeiten zu erleichtern. Die deutsche Regierung erblickt somit in dem Geschehenen und in Ausführung Begriffenen einen Beweis dafür, daß die Rückwirkungen si voll- ziehen. Nie aber ist der Rückwirkungsgedanke so verstanden worden, als sollte oder fönnte das ganze Maß der Rückwirkungen sofort in Erscheinung treten. Vielmehr muß diesex Gedanke weiter getragen werden dur seine eigene innere Logik. Locarno ift eben, wie der britische Außenministex wiederholt ausgesprochen hat und wie auch wix nicht oft genug wiederholen können, kein Ende, sondern ein Anfang. (Zustimmung links und in der Mitte. Widerspruch und Zurufe rechts.)

Meine Damen und Herren, wenn ih nunmehr zu derx Schilderung des Vertragswerks von Locarno selbst übergehe, so stelle ich (Wiederholte Zurufe. rehts. Gloe.)

Meine Damen und“ Herren, ih gehe also, wie ih mir schon zu bemerken erlaubte, nunmehr zu der Schilderung des Vertrags- werks von Locarno selbst über und stelle dabei an die Spiye der Betrachtung die Frage des Eintritts in den Völkerbund, von deren Bejahung nah dex Locarnoer Abmachung die, Fnkraftsezung des gesamten Vertrages abhängt. Mit dieser Frage verbinden sich sehr ernste Sorgen, die fih auf die Gesamteinstellung Deutschlands in der internationalen Politik beziehen. Aber auh gefühlsmäßig be- wegt die Frage des Völkerbundes das deutsche Volk besonders tief. Hiex laufen zwei Strömungen im deutshen Volke gegeneinander an. Die eine sieht gerade im Eintritt Deutschlands in den Völker- bund die Verwirklihung einer neuen Lebensgrundlage für das Völkerleben Europas und damit auch einen festen Ausgangspunkt für die Wiedergeiinnung der Deutschland gebührenden Stellung, (Sehx richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Die andere Strö- mung ist davon beherrsht, daß dex Völkerbund nah seiner Grün- dung zunächst nichts anderes zu sein schien als ein Fnstcument zur Fortseßung dex gegen Deutschland gerichteten Politik von Ver- jailles. (Zustimmung und Zurufe in der Mitte und rechts: Jst er auh noch!) Nun handelt es sich aber nicht darum, in diesem Widerstreit der Auffassungen die nüchterne Linie des deutschen «Futeresses festzuhalten, sondern es handelt sich um die ganz ent- fcheidende Frage, ob und wie sich Deutschlands gesamte welt- politische Lage duxch den Eintritt in den Völkerbund verändern Tönnte. Dabe? steht im Kernpunkt die Sorge, ob Deutschland etwa durch diesen Eintritt eine Westorientierung im Sinne einer Ab- wendung vom Osten vollziehen würde. (Zuruf von den Koms- munisten: Selbstverständlih!) Fch stehe niht an, zu erklären, daß ih eine solche Option zwishen West und Ost in Deutschlands geographischer Lage für einfach unmöglich halte. (Sehr wahr! links und în der Mitte. Zurufe von den Kommunisten.) Nach dieser Richtung sind die Erklärungen des bhritischen Außenministers, daß dem Völkerbund und der Politik der Völkerbundsstaaten jede agressive Absicht gegen Rußland fernläge, besonders bedeutungsvoll. Daneben aber muß Deutschland von sich aus das Seine tun, um sih denjenigen Schuß gegen etwaige zukünftige palitishe Gefahren zu sichern, der in Deutschlands geographisher Lage unerläßlich ist. Hier stehen wix vorx der großen Frage des Artikels 16 der Völker- bundssaßung. So viele Erörterungen bisher auch über den Artikel 16 innerhalb und außerhalb des Völkerbundes statt- gefunden haben, so unterliegt es doch nach der Völker- bundssayung und der Entschließung der Vollversammlung keinem Zweifel, daß gegen den Willen keines Laûdes, also auch niht gegen den Willen Deutschlands, jemaïs eine füx das be- treffende Land bindende Entscheidung darübex getroffen werden kann, ob in einem: gegebenen Falle die Vorausseßungen für die An- wendung des Artikels 16 und gegen welchen Staat als Friedens- brecher sie vorliegen. (Abgeordneter Koenen: Chamberlam und Briand sagen es anders!) : =— Das ift mir nicht bekannt. Die Möglichkeit, daß wir uns in der einen oder in der anderen Form an einem Grekutionsverfahren gegen einen Staat beteiligen müßten, den wir selbst gar niht als Friedens- brecher Will sacen: als Angreifer ansehen, ist also von vornherein ausgeschaltet. (Zurufe rehts.) Der Durchmarsh wird in keiner Weise anders behandelt als andere Grekutionsmaßnahmen. (Zuruf bon den Völkischen: Wo steht das?) Meine Herren, lesen Sie doh den Artikel 16 durch! (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und links. Erneute Zurufe von den Völkischen. Glocke.)

Somit taucht die Frage unserer Teilnahme an einer Bundes- exetution überhaupt erft dann auf, wenn auch wir selbst die Frage, wer bei einem bewaffneten Staatenstreit den Angriff eröffnet hat, für geklärt erahten. Selbst wenn nun aber die Angriffsfrage von uns zuungunsten des einen oder -anderen Staates bejaht wird, fo is keine Instanz gegeben, die etwa gegen unsere eigene Auffassung mit bindender Wirkung für uns darüber zu entscheiden hätte, welche konkreten Ginzel- maßnahmen deutscherseits zu treffen wären, (Sehr richtig! bei den

Deutschen Demokraten.) Es entsteht auch auf keinen Fall das Necht eines anderen Bundesmitgliedes, uns in irgendeiner Form gegen unseren Willen zu einer Exefutionsmaßnahme, zum Beispiel zur Duldung des Durhmarsches, zu zwingen. (Sehr richtig! im Zentrum und links. Zuruf von den Völkischen.) Diese Auffassung findet einen sehr deutlihen Ausdruck zum Beispiel auch in dem bekannten Bericht über das Genfer Protokoll, in dem s unter anderem heißt: „Feder Staat entscheidet über die Art, wie er seinen Verpflichtungen nahkommen wird, nit aber darüber, ob diese Verpflichtungen bestehen. (Hört! Hört! bei den Deutschnationalen.) Das heißt: jeder Staat behält die Entscheidung über das, was er tun wird, nicht aber über das, was er tun soll.“ (Lachen und Zurufe bei den Völkischen und Kommu- nisten.) Dieser hier angeführte Sab bestätigt die Richtigkeit der soeben geschilderten juristischen Auffassung. (Sehr richtig! bei den deutshen Demokraten.) Auf der anderen Seite betont er den ganz selbstverständlichen Grundsaß, daß dieses freie Crmessen des einzelnen Staates mit dem allgemeinen Grundsaß loyaler Erfüllung der Bundes- pflihten im Einklang stehen muß (aha! bei den Völkischen und den Kommunisten), und das ist gerade der Punkt, an dem die Erwäcungen einseßten und einseßen mußten, die zu unseren Bedenken gegen den Artikel 16 geführt haben. Es ist für Deutschland selbstverständlich, daß es dem Völkerbund nur in aufrichtiger Bundesgesinnung und ohne versteckten Vorbehalt beitreten känn. (Zustimmung.)

(s fann aber andererseits nicht außer Betracht lassen, daß der praktischen Betätigung seiner Bundesgesinnung gerade bei einer etwaigen Anwendung des Artikels 16 in vielen Fällen besondere Schranken gezogen sein werden. Das ist die Folge von Deutschlands völliger Entwaffnung, deren Bedeutung und Gefahren durch Deutsch- lands zentrale geographische Lage noch außerordentlich verstärkt werden. (Lebhafte Zustimmung.) Aus diésem Grunde kam es darauf an, ‘noch vor dem Eintritt in den Völkerbund sicherzustellen, daß Deutschland sich nicht in Verfolg der durch seine besondere Lage gegebenen Um- stände dem Vorwurf eines illoyalen Verhaltens und damit der Gefahr einer moralischen Jsolierung ausseßt. Dieses Ziel wird durch die in Locarno vereinbarte Erklärung zum Artikel 16 erreicht. Denn diese Erklärung stellt fest, daß Deutschland gur Beteiligung nur insoweit verpflichtet ift, als dies mit seiner militärischen und geographischen Lage verträglich is, (Unruhe und Zurufe bei den Völkischen.) Diese Erklärung bez:eht sich hinsichtlich der Verpflichtung Deutschlands so- wohl auf die wirtschaftlihen wie auf die militärischen Hilfs- maßnahmen, wie auch auf die Duldung des Durchmarsches. Die Er- klärung erkennt somit auêdrüdlih an, daß Deutschland berechtigt ist, bei der pflihtmäßigen Prüfung der Frage, ob und inwieweit es fich an einzuleitenden Exekutibmaßnahmen- beteiligen will, den MOaMETEn Maßstab anzulegen, den ihm seine besondere Lage vorschreibt. Das ist an sich für Deutschland kein Ausnahmerecht, sondern nur eine An- wendung der Grundsäße, die von den Organen des Völkerbundes all- gemein für die Durhführung des Artikels 16 anerkannt worden sind. Daß aber diese Erklärung Deutschland gecenüber besonders abgegeben worden ist, trägt der besonderen Tragweite Rechnung, die sih für Deutschland aus seiner geographischen und militärischen Lage ergibt.

Bei diesem ganzen von mir dargelegten Sachverhalt stehe ih nicht an zu erklären, daß nah dec jeyt geklärten Auslegung des Artikels 16 sich aus ihm keine Gefahren für Deutschland ergeben. (Widerspruch und Zurufe bei den Völkischen.) A :

Wenn somit durch die Verhandlungen in Locarno sür Deutsch- land hinsihtlih des Artikels 16 die Grundlagen geschaffen sind,

um in den Völkerbund eintreten zu können, so waren doch auch in -

Beziehung zum Völkerbund selbst und zwar nach Auffassung der Reichsregierung vor: dem Eintritt eine Reihe weiterer Fragen zu klären und Zweifel auszuräumen. Fh erwähne nah dieser Richtung, daß das im hohen Hause häufiger besprochene deutsche Völkerbundsmemorandum vom September 1924 nach seinem ganzen Inhalt aufrechterhalten worden ist. Aus dem Schriftwechsel, der sih an dieses Völkerbundsmemorandum angeschlossen hat, und aus den Erklärungen in Locarno ergibt fich, daß Deutschland des Sitzes im Völkerbundsrat und einer entsprehenden Vertretung in der Völkerbundsverwaltung sicher ist. Wegen der Koloniakfrage ift das Recht Deutschlands auf Kolonialmandate ausdrücklih anerkannt worden. Wix erwarten, daß diesem seinem Anspruch au praktisch Rechuung getragen wird. (Lachen und Zuvufe bei den Kommu- nisten.)

Was endli die Frage einer Anerkennung moraktischer Be- lastungen, insbesondere die Kriegsschuldfrage, anbetrifft, so hat die deutsche Regierung vor Beginn der Verhandlungen in Locarno gegenüber den Verhandlungsgegnern ihre Auffassung in der Kriegs[huldfrage, insbesondere auch, wie fie dur die Erklärung dex Regierung Marx vom 16. August 1924 festgelegt worden ist, förmlich zur Kenntnis gebracht und hat ihr Festhalten an ihrer Auffassung auch bei den Verhandlungen in Locarno ausgesprochen. Dieser Standpunkt dex deutschen Regierung wird auch bei unserem Cintritt in den Völkerbund festgehalten werden.

Sind somit die Vorausseßungen erfüllt, unter denen Deutsch- land seine grundsäßliche Geneigtheit zum Eintritt in den Völker- bund dur die Note vom September 1924 zu erkennen gegeben hat, so ist der tatsählihe Eintritt Deutschlands in den Völkerbund nur ein Voranschreiten auf der bisher gegebenen und übrigens anch in der von mir abgegebenen Regierungserklärung vom 19, Fanuar dieses Jahres festgehaltenen Linie. Gleihwohl möchte ih nicht unausgesprochen lassen, daß nah meiner Ueberzeugung die inneren Gründe für den Eintrittsbeschluß in dex Zwischenzeit an Gewicht zugenommen haben. Denn ich vermag das Verhandlungs8ergebnis von Locarno, auf das ih des näheren noch zu kommen habe, nicht anders zu verstehen, ats daß es einen wirklihen Fortschritt im Sinne der Stärkung der Friedenskräste in Europa darstellt. (Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.) i

Nun unterliegt es gar keinem Zweifel, daß Deutschland seine große innere Kraft überhaupt nur auf den Bahnen des Friedens zu entwideln vermag. Deutschland wird also in dem Zustande, in dem es sich nach dem unglücklihen Ausgange des Welikrieges befindet, sein natürlihes Gewicht im Völkerbund für alle Fragen, die den deutshen Staat und die das deutsche Volk innerhalb und außerhalb dex Staatsgrenzen bewegen, je mehr zur Geltung bringen können, je stärker die Kräfte des Friedens, in deren An- wendung Deutschland ein Gleicher unter Gleichen ist, zur Aus- wirkung lommen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. Zuruf auf der äußersten Linken: Marokko!) Es ist für mih ein unver- ständlicher Kleinmut, anzunehmen, daß Deutschland, wenu es jetzt Mitglied des Völkerbundes und Völkerbundsrats ist, dadurh nicht die Möglichkeit gewinnt, deutshe Jnteressen kräftiger zu fördern. Das Maß dieser Möglichkeiten wird nicht zuleßt von Deutschlands

entshlossener Weiterarbeit auf dexr in Locarno beshrittenen Bahn abhängen. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.)

Auch die Jnvestigationsfrage, sür deren Lösung in dem von Deutschland allein annehmbaren Sinne in den Aussprachen in Locarno eine weitgehende Klärung erfolgt ist, wird in ihrer praktishen Handhabung und Weiterentwicklckung sehr wesentlih davon abhängen, daß Deutschland den Siy im Völkerbundsrat inne hat.

Zu den in Locarno mit allem Nachdruck gestellten Fragen, meine Damen und Herren, gehört die allgemeine Abrüstung. Es ist ganz selbstverständlich, daß Deutschlands Friedenskraft erst dann voll zur Geltung kommen kann, wenn auch auf dem Abrüstungs- gebiet die Ungleichheit beseitigt ist. Eine wirklihe Gleichheit der Lage zwischen entwaffneten und wasfenstarrenden Mächten ist nicht denkbar. (Sehr richtig! bei den Deutshen Demokraten.) Die bestehende ungeheuerlihe Ungleichheit des Rüstungszustandes schließt sogar die unmittelbare Gefahr ein, daß immer wieder die Wasffenkraft der bewaffneten Mächte zum Vorstoß in den an Waffen leeren Raum der abgerüsteten Staaten drängt. (Lebhafte Zustimmung.)

Gerade darum muß Deutschland alles daranseßen, den Gedanken der allgemeinen Abrüstung, wie er ‘in dem Versailler Vertrage festgelegt ist, jederzeit wahzuhalten und vorwärts zu treiben. (Sehr richtig! in der Mitte und links.) Die grundsäßlihe Zustimmung der Ver- tragégegner von Locarno zu fortschreitender Abrüstung is in den Verhandlungen und im Schlußprotoko]l ausgesprohen. Auch der britishe Außenminister hat die Bedeutung der Abrüfstungsfrage in seiner letzten Parlamentsrede vom 18, November wiederum stark betont. (Zuruf von den Deutschvölkischen: Theoretish!) Eine weitere Wirksamkeit Deutschlands in der Richtung der Abrüstung ist prak- tisch nur im Völkerbund denkbar. (Zustimmung. Zuruf von den Kommunisten: Die Tatfachen sprechen dagegen. Lachen in der Mitte und bei den Sozialdemokraten.) Deutschland war ja noch gar niht im Völkerbund! Wo haben Sie die Tatsachen her?

Meine Damen und Herren, man braucht und soll die Aussichten in dieser Richtung nicht übershäßen. Aber es darf au nicht ver- gessen werden, daß der Gedanke der allgemeinen Abrüstung zurzeit nichi mehr ein bloßes Jdeal oder eine bloße Utopie ist, Der Gedanke bildet vielmehr einen durchaus praktishen Bestandteil der Politik der Kabinette (Heiterkeit rechts), einen Bestandteil, der um so be- deutender ist, als er von sehr realen Interessen getragen wird. (Sehr wahr! in der Mitte.)

Meine Damen und Herren, die Reichsregierung erblickt somit im Eintritt in den Völkerbund in keiner Weise eine Schwächung der deutschen politishen Lage, sondern umgekehrt die Bewinnung einer neuen Plattform, auf der es möglih sein wird, in angestrengter und mühsamer Arbeit die Interessen des Deutschen Reiches und des deutshen Volkes zu fördern.

Die Frage des Eintritts Deuischlands in den Völkerbund be- lommt jedoch ihre ganz bestimmte Note ers durch die Verbindung mit dem Sicherheitspakt und den Schiedsverträgen; - denn Sicher- pakt und Schiedsverträge stellen einen erheblichen Schritt zur Weckung und Stärkung gerade jener Kräfte des Friedens dar, die Deutschlands Stellung innerhalb und außerhalb des Völkerbundes zu festigen geetgnet sind.

Bevor i nun den Hauptinhalt des Vertrages von Locarno selbst \childére, muß i ‘in: einem kurzen Wort auf die bisher vielfach geübte Art der Kritik eingehen. Die Bemühungen » dex Neichb- regierung, auh die breite Oeffentlichkeit über Jnhalt ‘ünd Sinn der Vertragsterte aufzuklären, find vielfah durchkreuzt worden dur Versuche, Auslegungszweifel in diz Erörterung zu werfen, die die von MNegierungsseite gegebene Darstellung als zweifelhaft, als ein- seitige oder sogar gekünstelte Auslegung hinstellen. Man hat Wider- sprüche zwischen dieser Auslegung und angeblichen autoritativen Aus- lassungen von anderer, insbesondere ausländisher Seite feststellen zu können geglaubt. (Zuruf von den Völkischen: Angebliche?)

Verallgemeinerude Bemerkungen, die das Vertragswerk in eine ganz unrichtige Perspektive rückten, haben dabei manchmal eine erhebliche Rolle gespielt. Fh muß demgegenüber feststellen, daß mir, obwohl ich die Aeußerungen des Auslands über die Locarno- Verträge mit größter Sorgfalt verfolgt habe, darunter bisher keine Aeußerung von irgendwie autoritativer Bedeutung bekannt ge- worden ist, die mit unserer eigenen Darstellung in wirklichem, sach- lichem Widerspruch stände. (Lärm bei den Völkischen. Abgeord- neter von Graefe [Mecklenburg]: Unerhört! Das sagen Sie als verantworilicher Leiter der Regierung? Zuruf von den Kommu- nisten: Das heißt den Kopf in den Sand stecken!) O nein, meme Herren, das heißt nur, si niht von dem geraden Wege dadur abbringen zu lassen, daß einem fortwährend Dinge, die im Ver- tracstext selbst gar niht begründet sind, dazwishen geworfen werden. (Sehr richtig! in dex Mitte.) Das heißt einfach: die Augen auf das richten, was ist, und nicht die Augen deshalb künstlich von der Linie, die allein gegeben ist, abwenden, weil hiex und dort irgendwelche Einwendungen allgemeiner Art entstehen, die milk dem Vextragstext selbst gar nichts zu tun haben. (Lebhafte Zustim- mung bei der Deutschen Volkspartei und in der Mitte. Zuruf von den Vö!kischen: Wir werden Jhnen die Beweise schon bringen)

Meine Dcnen und Herren, ih will auch an dieser Sielle den Fnhalt des Vertragswerks noch einmal in seinen wesentlichsten Teilen wiedergeben, wobei ih mich nur auf den Wortlaut der Ver- träge felbst zu stüßen brauche. /

Das Kernstück des Vertragswerks bildet der Westpakt zwischen Deutschland, Belgien, Frankrei, England und Ftalien. Er ist bestimmt, unsere Grenzen im Westen zu befrieden. Dies bedeutet auf deutscher Seite den Shuyh der Rheinlande, und zwar nicht nur gegen eine Verleßung der Grenze als solcher durch eine kriegerische Handlung, sondern anch. gegen Gefahren, die ohne unmittelbare Grenzverlezung im Wege des See- und Luftangriffs auf deutsches Gebiet fih ergeben könnten. Die eigene Verpflichtung Deutsch- lands und Frankreihs sowie- Deutschlands und Belgiens, nicht mit Angriffskrieg oder anderen aggressiven Gewaltakten gegeneinander vorzugehen, wird durch England und Jtalien, und zwar dur jeden dieser Staaten, besonders garantiert. (Zuruf von den Vöklkißchen: Famose Garanten!) Entschkicßt sich Frankreich oder Belgien gegen Deutschland oder entschließt sich umgekehrt Deutschland gegen Frankreich oder Belgien zum Angriffskrieg oder zu einer Jnvasion, so müssen England und Ftakien dem angegriffenen Lande mit ihren Machtmitteln zu Hilfe kommen. Jn flkagranten Fällen, wo sich die Angriffsabsicht in der militärischen Ueberschreitung der Grenge oder in dex Eröffnung von Feindseligkeiten auswirkt, haben die Ga-

ranten dem angegriffenen Lande ihren Beistand sofort und ohne weiteres zu gewähren. Jn anderen Fällen ist zunächst die Ent- sheidung des Völkerbund3rats herbeizuführen.

An die Stelle der fomit im Westen unterbundenen kriegerischen Maßnahmen tritt ein Scbiedêgerichtêverfabren für Rechtéstreitigkeiten und ein Scblicbtungsverfabren für Interessenkonflikte. Das Schieds-

geriGtêverfabren ist fo aufgebaut, daß die streitenden Parteien si

dem Nichterspruh endgültig unterwerfen

Bei der Wü1digung dieser Bestimmungen erbebt sch sofort die Frage, in we!chem Verhältnis der Westpakt zum Versailler Vertrage steht. Es war, wie sich sckchon aus ter deutschen Note vom 20 Juli er- gibt, nit das deuts{e Verhandlungszie?, durch den Sicherheitépakt Dementsyrehend

den Veisailler Vertrag als folhen zu ändern heißt es im Artifel 6 des Westpaktes, daß. dieser die Rechte und Pflichten unberührt läßt, die sich für die teiligten Staaten aus dem Vertrage von geben. (Zuruf von den Vsölklkischen : lge.) Der Sinn diefer Besiimmung i} klar: sich in der gleichen Fassung in einer ganzen Reihe anderer Ner- träae, die wir in den legten Jahren, ja noch im Laufe des leuten Sommers abgeschlossen baben. Die Nechte und Pflichten aus dem Versailler Vertrag bleiben unberührt —, Deutschland erneut ein förmlides und feierlibes Bekenntnis zum Verfailler Vertrag ablegte (Zuruf von den Völki{en: Doch!) und bedeutet eben\owenig, daß ein neuer Nechtsgrund für die Geltung und Dauer diefes Vertrages ge’caffen würde. (Zurufe von den Völkischen.) Es bedeutet vielmehr ledigli, daß es mit der Geltung der Reck{bte und Pflichten aus dem Vertrage fo bleibt. wie es damit vor dem Abs{bluß des Wesipaktes stand, und daß infolgedessen auch an der deutschen Stellungnahme zu den ein:elnen Bestimmungen des Vertrages weder moralisch, noch politis, noch rechilich etwas geändert wird. (Sehr richtig! im Zentrum ) Was aber durch den Westyakt geändert wird, das ift die Hanthabung der an sich unberührt bleibenden Ver- traasrechte, die durch die Unterwerfung dieser Rechbte unter das oblt- gatorishe Schiedsverfahren auf eine neue Grundlage gestellt wird- (Sehr richtig! im Zentrum.) Damit wird der Politik der Diktate und Ultimaten, die sich auf einseitige, von Deutschland vraktis{ch nicht zu verhindernde Vertragsautlegung flüßte der Boden entzogen. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei ) Denn alle Meinungs- vershiedenheiten über die Auslegung des Versailler Vertrags und des Nheinlandabkommens sind künftig ebenfo wie andere Nechtsstreitig- keiten dem Schiedsgericht unterstellt. (Sehr richtig ! bei den Demo- kTraten.) Ich stehe niht an, {hon allein diesen einen Punkt, die Ver- wirklihung des Schiedsgerichtsgedankens, in Uebereinslimmung mit den legten Ausführungen des britisben Außenmwministers als eine außer- ordentlihe Errungenschaft für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der guten Beziehungen zwischen den Staaten zu betraten. (Sehr wahr! im Zentrum.)

Ueber diese für Deutschland überaus wichtige praktische Ver- änderung hinaus bedeutet der Abs{luß des Westpaktes, und zwar niht nur als politishe Zukunftshoffnung, sondern als unmittelbare vertraglihe Wirkung, eine grundsäßlihe Neugrupvierung der Mächte. Frankreih, Belgien, Ftalien und England standen Deut|{land bisher als geschlossene Einheit gegenüber. Jetzt wird eine politische Ver- tragsgemein|\haft ges{chlossen, der alle fünf Länder auf dem Fuße der Gleichberehtigung angehören. Der Gedanke eines Sicherheitspyaktes geaen Deutschland, der noch vor einem Jahre im Bereich der Mög- lihfeit lag und der sich jogar auf einer auédrücklichen-Besiimmung des Versailler Vertrages, nämlich den Artikel 31 über den Ersatz der früheren belgi\hen Neutralitätsveriräge, Hätte aufbaven können, ist endgültig be'eitigt.

Ich gehe nun über zu den Verträgen mit Polen und der Lfchecho-Slowakei. Wir haben \teis offen autgesprohen, daß unsere Stellung zu den Offfragen nicht die gleiche is wie zu den West? fragen, daß deshalb auch im Nabmen der Sicherheitêverhandlungen eine dem Westpakt gleihende, in irgendeiner Weise auf die Grenzen abgestellte Negelung für den Osten nicht in Betracht kommen tönnte. Daß Deutschland nicht die Macht und nit. den Willen hat, im Osten Krieg zu führen, brauche ich nit erneut zu betonen. Wir Haben keinen anderen Wunsch und kein anderes Interesse, als auch unsere ôftlichen Beziehungen sich auf“ friedlißen Wegen entwideln zu sehen. Ein Beweis dafür sind die in Locarno paraphierten Schieds- verträge mit Polen und der Tsheho-Slowakei. Sie gleichen inhalt- lich genau den Schiedsverträgen mit“ Belgien und Frankreich, nur mit dem grund\äßlihen Unterschied, daß sie sich niht wie diese leyteren an einen besonderen Sicherheits- pakt anlehnen. Ihre Tragweite erschöpffft #ch in den in ihnen selbst enthaltenen Bestimmungen und wird dadur genau und unzweidéutig umgrenzt. Rechtéstreitigkeiten zwishen Deutschland und Polen fowie zwischen Deut\chland und der Tshe{Wo-Slowakai jollen durch bindendes Schiedsgeribtéurteil erledigt, politi\he Interessen- kTonflitte dagegen în einem Autgleihsyerfahren ohne endgültige Bindung behandelt werden. Auch das ist eine Vereinbarung von großer Bedeutung. Sie wird im Interesse beider Teile zunächst den praktischen Vorteil mit fi bringen, daß die Beziehungen zwischen den beteiliaten Ländern von nußzlosem Streit über afute Einzeliragen entlastet werden. Sie schafft aber außerdem in Verbindung mit den Bestimmungen der Völkerbundssazung eine Grundlage tür die Auf- rehterhaltung des Friedens im Osten überhaupt, eine Grundlage, die viht dadur wertlos wird, daß sie nicht reftlos jede Kriegémöglich- keit beseitigt.

Im Zufammenhang mit diefen Schiedêverträgen bat Frankreich in Locarno, wie der französische Außenminister in der Schlußsizung der Kontèrenz mitteilte, besondere Vereinbarungen mit Polen und dex Tichecho-Slowakei abgeschlossen. Der Wortlaut diejer Vereinbarungen ist nachträglich bekanntgeworden. Deutschland ist an ihnen nicht beteiligt, und sie bildén auch feinen Bestandteil des Vertragswer ks von Locarno, das sich aus\chließlich aus den Ihnen vorliegenden fünf Verträgen, nämlih dem Westpakt und den vier Schiedsverträgen mit Frankreich, Belgien, Polen und der T1cheho-Slowakei, zu- fammentegt. Durch diese Sondervereinbarungen sind die nun einmal bestehenden Bündnisse Frankreihs mit Polen und der Tichecho- Slowakei den Bestimmungen des Westpatts angepaßt und dadu1ch sowie dur die Eingliederung in das System der Völkerbunds1aßung au eine Grundlage gestellt worden, die. als Klärung und Verbesserung des biéherigen Zustandes begrüßt werden kann.

Das ganze Syste!in von Veipflichtungen, wie ich es sveben ge- schiidert habe, givtelt chließlich im Völferbund, dessen O1gane die

am Westyakt be- Versailles ers Also auch die S{ulkds Sie findet

das bedeutet nicht, daß

“Tönnte Entblößung von allen militärishen Machtmitteln zur Vorsicht

Handelevertrags }einen tlaren Willen fkundgetan,

vflihtungen bilden. Das Vertragêwerk von Locarno stellt also letzten Endes einen Ausbau der Völferbunds!aßung dar. einen Ausbau der bestimmten Problemaebieten, nämlih eine1)cits den westliben Pro- blemen und andererseits den öftlihen Problemen, angepaßt ift und ter unter Berücksichtigung der Ver\ch'edenheit der Lage im Westen und Osien eine Verstärkung der Friedenégarantien bewweckdt. Diese Ein- gliederung - des neuen Vertrags)yflems in den Rahmen des Völter- bunds läßt zugleich noch einen anderen Gesichtépunfkt von grund- legender Bedeutung hervortreten. Eine umtassende internationale Nechts- und Friedengordnung, wie sie das leßte und höhsle Ziel des Völkerbundes bildet, kann nicht nur auf die bestehenden Zustände abgestellt sein, sondern muß auch Raum tür die Entwicklung des Völkerlebens schaffen. Den Frieden sichern heißt vor allem die friedlihe Entwicklung sichern Ein Versuch, das Völkerleben in einen Zustand der Eritarrung zu versezen, könnte zu richts anderem a!s zu einer gewalt)|amen Sprengung der unnatürlichen Fesseln führen. Nur darum kann es sih handeln, die Entwicklung aué den Bahnen der Gewalt in die Bahnen deé Nechts zu leiten. Dem sucht auch die Völkerbundssagung Nechnung zu tragen, insbe} ondere dur den bekannten Saß, daß Verträge, die unanwendbar geworden sind, und internationale Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden fönnte, einer Revision unterzogen werden müssen. Man mag die praftische Verwirklichung dieses Satzes, der für alle Arten von Verträgen vnd für alle Arten internationaler Verhältnisse gilt, zurzeit auch noch skeptish beutteilen, so kommt es bei uuseren gegen- wärtigen Betrachtungen do in erfter Linie auf das Prinzip an, und dieses Prinzip steht außer Zweifel; es hat mithin auch für den ge- samten Fragenkomplex zu gelten, auf den sih das Vertragswerk von Lecarno ersireckt. Auch das Selbsibestimmungsrecht der Völker ist in keiner Weise eingeshränkt.

Meine Damen und Herren! Damit ist der Tatbestand, der das unmittelbare Ergebnis der Konterenz von Locarno darstellk, in seinen ! wesentlidien Zügen wiedergegeben. Ich fann, wie ih nohmals betonen möchte, nicht für berehtigt halten, an diesem Tatbestand felbst zu zweifeln oder thn durch Hineintragung von Gedanken zu verdunkeln, zu denen weder der Wortlaut noch ter Zufammenhang der Bestimmungen irgendeinen Anlaß gibt Es is kein Beweis gegen die Richtigkeit meiner Wiedergabe des Tatbestandes, wenn er in irgendwelhen Presseäußerungen des In- und Auslandes anders dargestellt wind. (Sehr richtig! in der Mitte.) Es ist ebenfowenig

autoritativerer Bedeutung nicht mit den gleihen Worten und Wendungen umschrieben wird. Es liegt auf der Hand, daß auch ein eindeutiger Sachverhalt ohne Verleßung der objektiven Wahrheit in verschiedener Betonung seiner einzelnen Bestandteile geschildert werden kann, je nah dem Interessenstandpunkt, von dem aus diese einzelnen Bestandteile angesehen werden. Das follte bei der Prüfung von Anslassungen dieset Art nicht vergessen werden.

Meine Damen und Herren! Ueberblickt man das Gesamtergebnis von Locarno, wie es hiernah jeßt zur Entscheidung vorliegt, o be- deutet die Annahme des Vertragöwerks den Ents{luß zu positiver Mitarbeit im Völkerleben. Nach meinex Ueberzeugung ist die politische Gesamtentwicklung der Welt jeßt so weit fortgeschritten, daß Deutsch- land durch folhe positive Stellungnahme seine eigenen Interessen fördert und der politishen und wirtschaitliGen Gesamtentwicklung dex Welt dient. Die Auswirkung des Entschlusses auch gerade zugunsten Deutschlands wird um so stärker sein, mit je festerem Schritte das deutihe Volk die neue Entwicklungéslufe betritt. Deéhalb hat die MNeichsregierung ihr Bestreben unentwegt darauf gerichtet, eine möglichst große Mehrheit des Neichstags auf die Zustimmung zum Werk von Locarno zu vereinigen.

Selbstverständlich bedeutet jeder positive Entschluß gleichzeitig eine Bindung. Jch vermag aber nicht zu erkennen, inwieweit sich ein Wachsen der deutschen Kraft, das die Vorauésezung jeter für Deutschland und die AUlgeweinheit aüßlihen deutschen Betätigung im Völkerleben ist, dur Abjseitebleiben von der Völferentwiklung vollziehen sollte. (Lebhafte Zustimmung in dex Mitte) Ih sehe auf dem Wege des Wiederaufstiegs Deutschlands. zurzeit nur die eine große Notwendigkeit vor mir, daß Deut|chland gesünder und stärker werden muß. (Sehr gut! in der Mitte.) Dazu gehört felbst- versländlih, daß die Bewegungétreiheit Deutschlands nicht in einer Weise eingeengt wird, die folGe Entwicklung hemmt.

Wenn behauptet worden ist, Deutschland gebe durch den Eintritt in den Völkerbund seine Souvetänität auf, so ist dies sicher eine völlig schiefe Auffassung. Dazu ist zunächst zu bemerken, daß jeder Vertrageabshluß eine Cinschränkung der Souveränität bedeutet. Es kommt also allein darauf an, welcher Art dieie Einschränkung ist. Nun unterwirft fich Deutschland beim Eintritt in den Völkerbund nur denfelben Beschränkungen. denen. die. anderen Völferbundsmächte einschließlich der Großstaaten felbst unterliegen. (Widerspruch rechts.) Gewiß ergibt sich hier ein tat\ächlicher Unterschied durch die militärische Machtlage. (Aha! rechts.) Aber, meine Damen und Herren, inwie- fern wirft fich dieser Machtunterschied geringer zu Deut}{lands Nach- teil aus, wenn Deutschland dem Völkerbund fernbleibt? (Sehr richtig! in der Mitte.)

Was soll ferner die oft gehörte Behauptung bedeuten, wir würden innerhalb des Völfkferbundes zwangläufig in die Gefolgiha!t anderer Staaten geraten? Die Dinge liegen nicht im entferntesten so daß es im Véikerbunde einen alle anderen Mitglieder üiberraaenden Staat oder eine geschlossene Grupyue von Staaten gäbe, die einem s{hwadhen Deutschland die politiihe Betätigungmöglichkeit ohne weiteres nehmen Der Punkt, in dem uns unjere geographische Lage und die

nötigten, war der Artikel 16. Nachdem diefer Punkt befriedigend getlärt ist, muß der andere Gesichtspunkt überwiegen, daß uns die | Zugehörigkeit zum Völkerbund Mösalichkeiten eröffnet, die wertvoller sind als diejenige Art von Selbständigkeit, die in Wirklichkeit nichts ist als Jsolierung und Paisivität. (Sehr richtig! bei der Mehrkeit.) Soweit sih Be\chränkungen gegenüber den ni{t zum Völfkerbund gehörenden Staaten ergeben, sind sie auch nit derart, daß sie real- politisch für Deutichland von nachteiliger Bedeutung wären. Deutsch- land wird selbstverständlich das größte Gewicht darauf legen, auch mit den niht zum Völkerbund gehörenden Staaten, an die es natür- lihe Interessen binden, die besten Beziehungen zu. pflegen und zu entwickdeln. Was zum Beispiel das Verhältnis Deutschlands zu Nußland anbetrifft, so hat Deuf!chland unmittelbar vor der Abreise der Delegation nah Locarno dw ch Abschluß des deutsh-russichen aus dem Abichluß des Locarnovertrags keinerlei Trübung seinex freund|chaftlihen Be-

ein Beweis gegen die Richtigkeit, wenn erx in Auslassungen von !

Das Deutshe Reih wird, wenn die Zustimmung des hoben Hau'es erfolqt, den Vertrag von Locaino in der testen Absicht ab- schiießen, auf! dem dadmch eröffneten Friedentwege mit aller Kraft voranzushieiten UÜngeachlet der großen grundsäglihen Bedeutung, die ih dem Vertragêwert von Locarno beilege, erwarte ich nicht, daß die Dinge der Welt. die Deutschland angehen, mit einem Male ihre Gestalt völlig ändern. Uebertriebene Hoffnungen na tieser Richtung könnten uns nur von dem feflen Ents{luß ablenfen, in ununter brochener Arbeit und Hingebung an das Vaterland die Mühsal des deutshen Au!stiegs weiter zu ertragen. Die Arbeit der deutscen Neichsregierung, der Länderregierungen und aller anteren öffentlichen O1gane Deutschlands, intonderbeit ter Volksvertretungen, wird in Gemeinschaft mit dem ganzen deutschen Volke auf der Grundlage von Locarno darauf abzuzielen haben, daß wir sowohl auf politischem wie auf wirtscha|tlihem Gebiet in immer steigendtem Maße Nutzen aus der Herstellung eines wirklichen Friedens in Europa ziehen. (Lehs hafter Beitall bei der Mehrheit. Ziicen bei den Völfitchen )

Präsident L ö b e teilte mit, daß von. den Kommunisten ein Mißtrauens3antrag gegen die Reichsregiecung eingebracht worden sei. i

Die Verhandlungen wurden darauf auf Dienstag, Vor- mittags 10 Uhr, vertagt.

Schluß 124 Uhr.

PVarlaurentarische Nachrichten.

Der Auswärtige Ausschuß des Reichstags, der gestern nachmittag unter dem Vorüt des Abg. Hergt (D. Nat.) usammentrat, behandelte laut Bericht des Nachrichtenbiiros des ereins deutscher Zeitungsverleger im Rahmen der Beratung des Locarno-Abkommens zunähst die U U rHS srage, zu der die Vertreter dex verschiedenen zu- Pen Ministerien Stellung nahmen. Alsdann beschäftigte fich er Auss\huß mit den Auswirkungen des Locarnos- Abkommens auf das besegte Gebiet. Die Redner derx einzelnen Parteien gingen ausführlich auf die vorgetragene Materie ein. Am Schluß der ausgedehnten Debatte sprah Reichs- minister des Aeußern Dr. Stresemann. Es wurde dánn noch verkündet, daß das Gutachten der Reichsregierung darüber, ob das Locarno- eses ein verfassungänderndes sei oder nicht, den Mit- liedern des Ausschusses mit größter Beschleunigung in gedruckter Form zugeleitet werden wird, so daß shon in den nächsten Tagen der Auswärtige Ausschuß über diese Frage beraten wird.

Der Reich8tagsS8ausschuß für Soziale An- de legenheiten behandelte gestern Fragen der Erwerbs- osenfürsorge. ie Sozialdemokraten beantragten nah dem Bericht des Nachrihtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger, die Unterstüßungen der Erwerbslosen in aus- reichendem Maße entsprehend der gegentvärtigen Notlage der Er- werbslosen zu ie Den Kurzarbeitern soll eine entsprechende

. Unterstüßung gewährt und die Unterstüßungsdauer so weit ver-

längert werden, wie es gegenwärtig notwendig ist. Der Vers treter des Zentrums erklärte, daß das Zentrum grund- säplih auf dem Standpunkt des sozialdemokratishen Antrags s: dessen rFnhalt einem Beschlusse des Casseler Parteitages ent- prehe. Ebenfalls in zustimmendex Weise sprachen sih die Vex - treter der demokratischen, der deutshnationalen und der deutschen Volkspartei aus, wobei fie allerdings ertlärten, daß sie mit ihren Fraktionen wegen der Anträge noch niht Fühlung hätten nehmen können. Die Kommunisten ver- langten sofortige Verdoppelung der Erwerbslosenunterstübung, die e Le! an alle Erwerbslosen für die ganze Dauer der ‘rwerbstosigteit zur Auszahlung gebraht werden soll. Geheimrat Weigel (Reichsarbeitsministerium) hielt es in Anbetracht d+x großen finanziellen Auswirkungen der vorliegenden Anträge füc geboten, daß sich zunächst der zuständige Ausshuß des Ver- ivaltungsrats des Reichsamts für Arbeitsvermittlung, der noch im Laufe dieser Woche zusammentreten werde, mit den Anträgen beshäftige. Dex Vorjitßende des Ausschusses, Abg. Esser (Zentr.), tellie das allseitige Fnteresse an der baldigen Regelüng dieser ragen fest und warnte uiitex Hinweis auf einen Vorgang dec egten Tage vor der übereilten und üverflüssigen Entsendung von Deputationen aus dem Lande nah Berlin. Jn den meisten Fâller genüge eine shriftlihe Unterrihtung der Abgeordneten. Hierauf vertagte sich dex Aus\{uß. 5 Ver I E IF agf fA ul für Jugendshus

und Jugendpflege begann gestern die Beratung des Ge'eh- entivurfs über den SchußyderFugend veiLustbarkeiten. Zur Berichterstatterin wurde die Abg. Klara Men d e (D. Vp.' ges wählt. Dem Nachrichtenbüro des Vereins deutscher Zeitungs verleger zufolge beionten die Abgeordneten D, Mumm (D. Nat.) und Paula Müller - Otfried (D. Nat.) in der Ansfprache die Notwendigkeit einer Ordnvng dieser Fragen und eine wirffamere Kontrolle als bisher. Aba. Dr. Marie Lüders (De.) wies auf die shweren Mißstände ianerhalb der sogenannten Rummelpläße hin, wobei sie besonders auf Vorgänge in Magdebur« Bezug nahm. Von den Abgg. Margarete Bohm-Sch u ch (Soz.) und Mathilde Wurm (Soz.) wurde die Notwendigkeit erwogen, einmal in all- gemeiner Weise diesen und ähnlichen Schäden entgegenzutreten. Mit dem Schugalter von achtzehn Jahren waren alle einver- standen. Von den Vertretern der Reichsregierung Oberregie=- rungsrat De. Becker und Geheimrat Höri ck wurde auf An- fragen mitgeteilt, daß das Filmgesey im Reichsrate bêreits .vor- liege; der Abschluß der Beratung aber noch nicht zu übersehen fei. Das Geseß sehe vor, daß die Ansführungsbestimmungen nux durch die Landesregierungen erlassen werden sollten. Reichéausführungs» bestimmungen könnten erst in Frage kommen, wenn von den Ländern der ide dazu besiche odex [ih sonst die Notwendigkeit für eine einheitlihe Reichsausführung ergebe. Die Ausführungs- bestimmungen hingen im übrigen von der Gestaltung des Geseßzes ab, das sih noch nicht übersehen lasse. Ein geschlossener Rummel- plaÿ, wie z. B. der Lunapark falle unter das Geseß, andere Pläße wieder nicht; es käme vor, daß beispielsweise jolhe Plätze ver- schiedenen Besißern gehörten und an verschiedene Schausteller ver- mietet würden, so daß sie vom Gese nicht ohne weiteres als ein- heitlihes Ganzes betrachtet werden könnten. Hierauf vertagte ti der Aus\chuß. . Der Geshäftsordnungs3ausschuß des Reihs- tags beriet gestern vormittag über den Antrag der kommunisti- schen Fraktion, die im Laufe des Sommers bef dex Beratung der Zollvorlage für zwanzig Sißungstage ausgeschlossenen kommunistiz \hen Abgeordneten sofort wieder zuzulassen, obwohl diese zwanzig Sißungstage noch niht abgelaufen sind. Der Geschäftsordnungs- ausschuß einigte fich darüber, daß erst die Fraktionen sih mit diejer Frage befassen sollen, und vertagte sich für die Weiterberatung auf eute.

Gesundheitéwesen, Tierkrankheiten unnd Absperrungs- maf;regeln.

Der AusbruchG der Maul- und Klauenseuckce ist vom Sclachtviehhot in Stuttgart am 19, der Ausbruch und dasErlölchen der Maul- und Klauenteuche vom Schlachtviehho! in Plauen am 2, tas Erlöschen der Maul- und Klauenseuche von den Schlachtviéhhöfen in Leipzig und Mannheim am 21. November-1920 amtlich ges meldet worden.

oberste Justanz für die Entscheidung über die Durh}ührung jener Ver-

e i ai e i O i i C S R O T E C B S E B i E E L A R I i R G C A R S G

E F L-L HTHHIHTETIT G T F y

ziehungen zu Rußland entstehen zu lassen.

Em Ar A en aat M MA