1884 / 64 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 14 Mar 1884 18:00:01 GMT) scan diff

sein sollte, sobald ich meine Ueberzeugung aus\preche. Ih habe so gut wie jeder andere Preuße im Lande das Ret, meine Meinung durch Druckt, Schrift und Bild zu vervielfältigen und kund zu geben, und glaube, daß ich namentli von der zar 2Zoxÿ» freifinnigen Partei eine achtungsvolle Berücksichtigung dieses meines preußischen Grundrechtes in diesen Räumen beanspruchen darf, und ic bemerke das auf die Töne, die meine Worte begleiteten, wie i zum ersten Male davon sprach, daß ich dem Abg. Lasker keinen Dank \{uldig bin, daß ih der nationalliberalen Fraktion diesen Dank \{huldig zu sein glaube, und daß ich ihm hauptsächlich die Schuld der Entfremdung gebe, die im Jahre 1878, gerade da, als ich mit Hrn. von Bennigsen in Unterhandlung war über seinen Eintritt in das Ministerium, stattgefunden ‘hat; diese Entfremdung sehe ich hauptsächlich als das Werk des früheren Abg. Lasker und seiner näheren Ee an. Auch die ganze Bekämpfung unserer wirthschaftlichen, urz und gut unserer gesammten Politik is sein Werk gewesen, und Sie werden nicht verlangen, daß ih mi ruhig an den Triumph- wagen eines Verstorbenen anspannen lassen soll, der mir das Leben in dem Wenigen, was ich für Deutschland habe thun können, saurer gemacht hat, als irgend ein Anderer.

Ich war Ihnen und namentlich unseren auswärtigen Beziehungen Ich hatte darauf gerecnet, über diese Frage, wie die Zeitungen das in Ausficht gestellt hatten, inter- pellirt zu werden, und hatte mich darauf gefreut, ungezwungen Ge- legenheit zu haben, um mich über die Motive auszusprechen, die omni exceptione majoris den Saß beweisen, daß zwischen uns und einer Verstimmung,

diese Auseinanderseßzung \{uldig.

Amerika dies weder das Ergebniß irgend noch eine Ursache zur Verstimmung sein kann, und daß mein Wunsch und meine Bestrebungen, die intimen Beziehungen zwischen diesen beiden seit hundert Jahren befreundeten Nationen aufrecht zu erhalten, dieselben find vorher wie naher. Nur ein Mißbrauch ist es, der mit diesem unter exceptionellen Umständen stattgehabten Zwischenfall getrieben worden ist, und der seinen Gipfel in dem Versuch fand, mich felbst zum Boten eines Desaveus meiner eigenen Politik zu machen, ja mich dem Kaiser gegenüber in eine Stellung zu bringen, wo Se. Majestät bâtte sagen müssen: Wie können Sie ungelesen so etwas weiter be- fördern? Hat Lasker diese Verdienste gehabt, so würde Se. Majestät sagen, dann haben Sie und Jch selbst den Fehler begangen, diesen Mann nicht längst in die Regierung zu berufen, anstatt seine Opposition zu bekämpfen. Es werden Viele von Ihnen sein, die sich dessen erinnern, daß die Uebereinstimmung zwischen Lasker und mir, wenn je vorhanden, doch fast ausnahmslos in dem Zu- stande der Trübung sich befunden hat, und daß zwischen jener Stelle, wo er saß, und dieser hier, wo ih stehe, häufiger, als mir lieb ift, die unfreundlichsten Reden von beiden Seiten gewechselt sind, kurz, daß er Oppositionsmitglied zar Eo» war, und ich kann nur die Versicherung geben, daß, wenn in einem fremden Lande ein Oppositionsmitglied einmal stirbt, ich mi vorher sicher erkundigen werde: wie steht es zur Regierung? und wenn etwa bei uns das Herrenhaus beispielsweise seine Sympathien kundgeben wollte über den Tod cines konservativen Oppositionsmitgliedes gegen das heutige Ministerium in England, so würde ih sicherlih nit den deut- schen Botschafter in England beauftragen, den Minister Gladstone zu ersuchen, er möchte das Lob dieses Gegners dem dortigen Parla- mente amtlic kundgeben. Daß hier Aehnliches gesehen ist, ist, wie gesagt, niht die Sculd des amerikanischen Repräsentantenhauses, von dem ih nichts Anderes annehme, als daß es ein Wohlwollen für Deutschland zum Ausdruck bringen wollte, über dessen herzliche Er- widerung unserseitig ih keinen Zweifel zu lassen wünschte, und haupt- \ächlich deshalb habe ih diese Worte gesprochen.

Nach dieser Rede bat der Abg. Dr. Hänel um das Wort.

Der Präsident von Leveßow fragte den Abg. Hänel, ob er das Wort zur Geschäftsordnung wünsche.

Der Abg. Dr, Hänel entgegnete, er wünsche das Wort, zu den Bemerkungen des Reichskanzlers.

Der Präsident erklärte, nah der Geschäftsordnung würde er eine Debatte nicht zulassen können. Er begreife den Wunsch des Abg. Hänel, auf die eben gehörten Ausführungen zu erwidern, vollkommen, möchte denselben aber bitten, im «nteresse der Geschäfteordnung diesem Wunsche durch einen Antrag oder eine Jnterpellation Erfüllung zu bereiten.

Der Abg. Dr. Hänel bemerkte (zur Geschäftsordnung), der Präsident werde wohl selber fühlen, daß die Situation eine ungewöhnliche sei. Der Reichskanzler habe in diesem Augenblick Worte gesprochen, welhe gerade auf Seite - der Linken Gefühle erwecken müßten, die des Ausdruckes bedürftig seien. Der Reichskanzler habe das Recht, zu jeder Zeit das Wort zu ergreifen, jedes Thema in die Geschäftsordnung hin- einzuwerfen ; wenn derselbe aber dieses Recht habe, dann sei es auch im Sinne der Geschäftsordnung, daß man bei einem A, Gebrauche auch der interessirten Seite ein freies Wort gestatte.

Der Präsident erwiderte, es sei freilich von der Ge- shäftsordnung schon öfter abgewichen worden, und er würde, wenn das Haus damit einverstanden wäre, auch heute davon i müßte aber vorher dieses Einverständnisses sicher ein.

__Der Abg. Dr. Hänel erklärte (zur Geschäftsordnung), der Präsident habe ja dem Reichskanzler vor der Tagesordnung das Wort ertheilt, das sei eine außerordentlihe Ermächtigung, die zu ertheilen dem Präsidenten zustehe. Habe der Reichs- kanzler es bekommen, so habe der Präsident auch die Befugniß, einem Abgeordneten das nämlihe Recht einzuräumen. Wie er es anstellen sollte, auf die Ausführungen des Reichskanzlers in einem Antrag oder einer JFnterpellation zurückzukommen, sei ihm vollkommen unerfindlih. Er glaube, im Jnteresse der Redefreiheit, welche do die erste Regel der Geschäftsordnung sei, darauf Anspru erheben zu dürsen, ein Paar Worte zu erwidern.

Der Präsident erklärte, der Reichskanzler habe das Wort erhalten, nicht kraft seiner geshäftsordnungsmäßigen Befugniß, sondern weil derselbe es zu jeder Zeit verlangen könne. Be- merkungen vor der Tagesordnung seien ja auch {hon öster und über die verschiedensten Themata gemacht worden, doh habe si eine Debatte geshäftsordnungsmäßig nicht daran knüpfen dürfen. Er erkenne aber, wie er wiederhole, die besondere Lage des Falles an, und sei für seine Person geneigt, dem Abg. Hänel das Wort zur Sache zu ertheilen. Er habe Wider- spruch hiergegen aus dem Hause nicht vernommen, und er- theile dem Abg. Hänel nunmehr das Wort zur Sache, indem er zugleich konstatire, daß er damit von der Geschäftsordnung abweiche.

Der Abg. Dr. Hänel erklärte, das Haus werde nicht er- warten, daß er auf das Urtheil des Reichskanzlers über den Abg. Lasker hier eingehe. Er halte es niht für rihtig, hier ein Todtengericht über den Abg. Lasker zu halten, und hätte auch gewünscht, der Reichskanzler häite es niht gethan. Er glaube auch niht, daß der Reichskanzler gerade berufen sei, über Diejenigen, die derselbe sehr unbegründeter Weise für seine Feinde halte, ein objektives Urtheil abzugeben. Er möchte im Gegentheil sagen, die ganze Art und Weise, wie der Reichskanzler gerade die Persönlichkeit Laskers hier in so ganz einseitiger Weise geschildert habe, sei ein ekla- tanter Beweis dafür. Wenn der Reichskanzler von dem Ver- storbenen kein Wort habe für die von demselben geleisteten

lichkeit, die derselbe mehr als einmal der Person des Reichskanzlers ausgesprochen habe, wenn der Reichskanzler nur die seiner Ueberzeugung nach feindselige Stellung Laskers gegen den Reichskanzler habe hervorheben können, dann sei vielleiht Jemand auf der äußersten Rehten des Reichstages, aber der Reichskanzler sei nicht berufen, irgend welches Urtheil über die Politik, die Persönlichkeit, den Charakter Laskers abzugeben. Er fürchte, daß dieses sein Urtheil selbst in sol- chen Kreisen sich Bahn brechen werde, bei welchen der Reichs- kanzler vielleicht eine beifällige Aufnahme seiner Rede voraus- geseßt habe. Der Reichskanzler habe sich auf gewisse Jnter- viewer berufen, die in amerikanischen Zeitungen ihr Wesen getrieben hätten, als der Abg. Lasker drüben geweilt habe. Warum berufe derselbe sich auf derartig gänz- lich unglaubhafte FJnterviewer, die bekanntlich immer lediglich der Sensation dienten, in Zeitungen amerika- nischen Styls, deren geringe Glaubwürdigkeit bekannt sei? Der Reichskanzler hätte sich auf Deutsche berufen können, auf einen Augenzeugen und Zuhörer einer der leßten Reden Laskers ; es sei Paul Lindau. Dieser habe in dem Feuilleton der National-Zeitung ein kurzes Nahwort für Lasker geliefert. Paul Lindau habe dort eine seiner leßten Reden geschildert, die derselbe als eine besonders begeisterte und shöne vorführe. Da- mals sei Lasker noch in der Lage gewesen, in einem leßten Auf- flammen des Genius mit Entschiedenheit und Nachdruck auf- zutreten, und zwar darum, weil ihm aus der Gesellschaft vor- geworfen sei, er sei ein prinzipieller Gegner des Reichskanzlers. Da habe Lasker aufgewallt, und sich gegen diesen Vorwurf vertheidigt, indem derselbe gesagt habe: „Nicht gegen die Verdienste des Reichskanzlers, nicht gegen die Person desselben sei er feindlich gesinnt gewesen, sondern nur einzelne Phasen seiner Politik habe er be- kämpft.“ Das sei das deutshe Zeugniß eines Mannes, der mit der Parteirihtung Laskers nichts zu thun habe. Wie komme es, daß dem Reichskanzler ein solches Zeugniß, das ihm viel näher gelegen habe, nicht aufgestoßen sei, daß er nihts anzuführen habe, als die Berichte von amerikanischen «Fnterviewern zweifelhafter Bedeutung und Glaubwürdigkeit. Er (Redner) könne sich nicht helfen, er finde diese Methode nicht angemessen gegenüber einem doch noch fast offenen Grabe. Wenn er im Uebrigen die Worte des Reichskanzlers einer kurzen Kritik unterziehe, so könne er in einer Beziehung nur seine Genugthuung aussprehen. Der Reichskanzler habe aus- drüdlih hervorgehoben, daß die Art und Weise, wie er gegen- über den Beschlüssen des Repräsentenhauses von Amerika verfahren sei, s{hlechterdings nicht in einem Sinne der Un- freundlihkeit gegenüber dem amerifanishen Volke erfolgt sei. Der Reichskanzler habe dies hier mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, und er sei gewiß, daß dieser Theil seiner Rede auf allen Seiten des Hauses lediglich Beifall finden werde. Jm Uebrigen freilih sei die Begründung des Reichskanzlers eine recht schwache. Derselbe habe selbst ausdrücklich anerkannt,daß, wenn der Beschluß des Repräsentantenhauses niht mehr bedeutet hätte als den Ausdruck eines Beileids, er keinen Anstand ge- nommen haben würde, diese Beileidsadresse an den Reichstag zu befördern. Dann unterschäße wieder der Reichskanzler das, was einfah menshlich sei. Das Repräsentantenhaus habe in dem Augenblicke, wo die Todeskunde es betroffen habe, eine kurz hingeworfene Resolution angenommen. Der Reichskanzler erkenne ja selbst an, es könne von Seiten einer solhen Ver- sammlung gar nicht die Absicht obwalten, ein endgültiges Urtheil über die Verdienste und die Politik des Abg. Lasker auszusprehen. Es sei eine Motivirung wie jede andere, im Sinne des Reichskanzlers vielleiht etwas mehr oder weniger geshickt. Darum allein handele es sih: die leyte Absicht des Repräsentantenhauses sei nicht etwa, irgend welches Urtheil über die Politik des Reichskanzlers oder die definitiven Verdienste Laskers auszusprehen; das sei sonnenklar, es unterliege gar keinem Zweifel. Sei dies richtig, warum dann an dem einzelnen Worte mäkeln, warum nicht die Sache nehmen, wie sie gemeint gewesen sei, eben als eine einfache Beileidsbezeigung, warum sich nicht an das“ einfache menschlihe Gefühl halten, das jeder Andere sonst habe, über einen Todten könne man wohl etwas zu viel sagen? Wenn das nicht geschehen sei, wenn der Reichskanzler sih nicht an dieses einfahe und natürliche menschlihe Gefühl gehalten habe, dann könne derselbe sih freilih niht wundern, wenn man von der Linken dieses Hauses seiner Methode besondere Motive unterschiebe. Erstens das Motiv, einem Todten noch nachträglich ein Urtheil nahzurufen, was seiner Ansicht nah nur hätte ausgesprochen werden sollte gegenüber einem Lebenden, der sih noch vertheidigen könne. Zweitens das Motiv, dieser Versammlung hier die Möglichkeit zu entziehen, ihrerseits die entsprehende Aeußerung des Dankes dem Repräsentantenhause auszusprechen, was wiederum etwas ganz Natürliches und Einfaches gewesen wäre. Nach dem Reichs- kanzler sei es eine republikanishe Auffassung, wenn man diplomatische Angelegenheiten von Parlament zu Parlament ordnen zu können vermeine; er gebe dem Reichskanzler da vollkommen Recht. Ebenso habe der Reichskanzler mit vollem Recht hervorgehoben, daß gar nicht in dem technischen staats- rehtlihen Sinne das Parlament der Vereinigten Staaten, sondern nur eine einzelne legislative Körperschaft, das Repräsentantenhaus, gesprochen habe; der Reichskanzler hätte hinzufügen können, daß gerade dieses Haus gar niht an erster Stelle berufen sei, auf die auswärtige Politik der Union einzuwirken. Bekanntlich seien nah der amerikanischen Ver- fassung die auswärtigen Angelegenheiten eins{chließlich der Personalbestellung wesentlich Sache des Senats. Sei das der Fall, so sehe man auch hier wiederum, wie es sich um eine ganz unoffizielle, wirklih persönlihe Beileidsbezeigung ge- handelt habe, und wie alle Gesichtspunkte von dem Einmiscyen in die innere Politik Deutschlands nur ein künstlih auf- gebauschtes Gebäude jeien, was näherer Untersuhung nicht Stand halte. Sei dem so, was hâtte es dann verschlagen, wenn der Reichstag dem amerikanischen Repräsentantenhause durch Vermittlung des Reichskanzlers oder in der Weise einer einseitigen Resolution den Dank dafür ausgesprochen hätte, daß das Repräsentantenhaus für gut befunden habe, einem Mitgliede dieses Hauses, welches auf amerikanishem Boden gestorben sei, ein Paar Worte der Anerkennung zu verleihen ? Wenn man mit einfachem, natürlichen Gefühl diesen Vorgang

betrachte, so bleibe nihts anderes übrig, als die Vermuthung, daß es dem Reichskanzler durchaus darum zu thun gewesen sei, die Politik, deren Repräsentant nun einmal der Abg. Lasker sei, selbst noch an dem Tobten zu verfolgen, daß der Reichskanzler sih uicht damit begnügt hätte, die lebenden Reprä- sentanten dieser Politik hier anzugreifen, jondern daß der Reichskanzler, einer allgemeinen humanen Sitte entgegen, nicht

Dienste, für die Freundschaft, für die Gefühle der Anhäng-

einem Feinde von ihm zu zollen vom rein menschlichen Stand- punkt aus sih bewogen finde.

Hierauf nahm wiederum der Reichskanzler Fürst von

Bismarck das Wort:

Der Herr Abgeordnete hat die Motivirung meiner Ablehnung eine {wache genonnt. Nun, meine Herren, Jedermann giebt, was er hat, und ein Selm, der mehr giebt. Jch will dem Herrn Ab- geordneten das Kompliment nit erwidern, ich will im Gegentheil ibm gern einräumen, daß seine Erwiderung cine ganz außerordentli dur{schlagende und treffende gewesen ist, und das wird sih ja au in der Oeffentlichkeit gewiß zeigen; er hat Alles widerlegk, was i gefagt habe. Jb bin einmal \{wach und muß um Ihre Nachsicht und um die Nachsicht des Herrn Abgeordneten bitten. Vielleicht ist das alles Irrthum, daß der Hr. Abg. Laéker der Opposition angehört hat, daß er mit mir \{chwere Kämpfe gehabt hat, daß er die Politik des Kaisers nit gebilligt hat. Vielleicht habe ich mi darüber getäuscht. Verläßt mich da vielleibt mein Gedächtniß? Ich berufe mi auf das der Versammlung. Wenn aber der Herr Abgeordnete sagt, i hâtte ein Todtengeriht über Lasker hier aufgerufen, so ist das doch eine Uebeitreibung, die eigentlib gar nit hierher gehört, wo wir nücbtern die Geschäfte behandeln. Ih habe das nicht aufgerufen, sondern diejenigen, die den todten Lasker mir gegenüber ausgespielt haben. Meine Herren! Ich bin ein Christ, ater doch als Reichskanzler niht so, daß, wenn ih eine Ohrfeige auf die eine Bake bekomme, ic die andere hinhalte und sage, ist dir nicht die zweite gefällig? Wenn man mib angreift, so wehre ib mi; aber das ehrlihe Recht der Selbstvertheidigung bei dem ersten Beamten des Reiches, wenn er in seiner Politik mit gewandten, aber nicht ganz ritterlihen Waffen angegriffen wird auf diese Weise, indem die Todten gegen ihn ins Feld geführt werden und Zeugnisse des Auslandes gegen seine inländische Politik aufgeführt werden, wenn man das als die Herausforderung eines Todtengerihts, wenn man das als eine Art von unmenschliher Rücsichtslosigkeit auf Grab und Tod hier bezeihnen will: ja, meine Herren, dann sche ih gar nicht ein, wozu ich hier nöthig bin. Jh bin hier, um die Geschäfte zu besprechen, aber nit um Sentimentalitäten auszu- tauschen. Der Herr Abgeordnete hat bedauert und mir gewisser- maßen vorgeworfen, daß ih in meiner Herzenshärtigkeit für die An- hänglikeit des Hrn. Aba. Lasker gar keinen Sinn gehabt hätte und keine Erwiderung des Dankes. Meine Herren! Für eine solche Anhänglichkeit danke ib, die mich öffentlich lobt und anerkennt, um dem Tadel und der Opposition gegen mih einen nur um so stärkeren Nachdruck zu geben, indem man sagt: ich bin ja gar nicht der Feind dieses Mannes, ih bin sein Freund, ih bin gar nicht blind für seine guten Eigenschaften, aber so Übel, wie er sih aufführt, da muß selbst ih, sein #Freund, gegen ihn auftreten ; wenn ih sein Feind wäre, so wäre mein Zeugniß verdäcbtig, aber weil ih sein Freund und Anhänger bin, so wird meine Opposition viel mehr Gewicht haben Das war die Politik, die wir von der Seite hier auch erlebt haben ; man getraute sih noch nicht, stch offen von mir loszusagen ; es wurde auch bei den Wahlreden immer eine gewisse Anhänglichkeit und Freundschaft mit mir zur Schau ge- stellt. Das Publikum war früher noch nicht reif, in eine Verurthei- lung meiner Persönlichkeit so voUständig einzustimmen, wie bei den leßten Wahlen; deshalb bedurfte man noch des Sceines, als wenn man mit mir befreundet wäre. Aber das könnte doch höcbstens den Vorwurf, den ih Lasker nie gemacht habe, den Vorwurf der Doppelzüngigkeit, gegen ihn involviren, und von dem spreche ih ihn ganz frei; er hatte nur je nah seiner Impressionabilität nicht mehr am Donnerstag denselben Cindruck wie am Montag, und wenn er ge- fragt wurde, und seine Meinung gehört wurde, so sah er die Sache günstiger an, als wenn er nicht gefragt wurde; er war impressionabel im höchsten Grade und deshalb niht immer gleich. Aber daß ih mi daran kehren sollte, deshalb meine eigene politische Ehre und Würde in die Schanze {lagen sollte, weil der verstorbene Lasker unter Um- ständen nach dem Zeugniß von Paul Lindau von Anhänglichkeit zu mir gesprochen hat, da verkennen Sie den Ernft der politischen Stellung, die ich einnehme; mit solhen Einwendungen kommen Sie mir pit. Prinzipiell war er mein Freund, thatsählich mein Geg- ner; Eins {loß das Andere nicht aus; er hat mi gelobt, aber be- kämpft, und wenn mi Einer unter den größten Lobeserhebungen auf der politishen Mensur über den Haufen |ticht, so kann ih ihm natür- lih nicht dankbar sein. Sodann hat der Herr Abgeordnete und da habe ih seine sonst so s{lagende Hermeneutik der Entwickelung der Ideen vermißt er hat mir vorgeworfen, daß ic das selbst gesagt hätte, wenn es sich nur um eine Beileidsbezeugung gehandelt hätte, also um das rein Menschlihe; dann würde ich gar nichts gethan haben, das wäre aber gerade der Fall. Daß zufällig noch mit ein paar Wor- ten eine scharfe Kritik meiner und der Kaiserlichen, der Regierungs- politik interpolirt war, das ändere ja an dem allgemein Mensch- lichen, an dem rein Menschlichen gar nichts. Für den Herrn Abge- ordneten mag die Politik, die Opposition, die Verurtheilung des Gegners zu den Erfordernissen des „allgemein Menschlichen“ und des „Herzens“ gehören; ih habe dieses Gebiet der Gemüth- lichkeit so weit nicht ausgedehnt; gerade das Künstliche dieses Zusaßtes, eingeflo&ßten in die Beileidsbezeugung, das gab e O erse die politische Bedeutung. Der Herr Abgeord- nete scheint mir niht mit der Aufmerksamkeit, mit der ih ihm zugehört habe, meiner Verlesung zugehört zu haben. Darauf habe ich ja gerade gesagt, ih würde gar kein Bedenken tragen, wenn dieser über das rein Menschlibe hinausgehende politiswe Zusaß nicht ge- wesen wäre, der für meine hiesige politische Stellung, für die Politik und für die Interessen des Reichs nachtheilig is, wenn ich ihn ohne Kritik gehen laffe.

Der Herr Abgeordnete hat mir in demselben tragischen Tone vorgeworfen, daß ich dem Todten Lästerung oder ih weiß nicht was nachrufe. Das ist ja gar niht der Fall, man hat den Todten citirt gegen mich und hat ihn reden lassen; Sie haben Spiritismus gespielt mit Lasker, mir gegenüber citirt, als wenn er redete; und wenn Sie glauben, daß Sie mir durch den Mund des Todten alle möglichen Injurien sagen können, ohne daß ich darauf reagire, so irren Sie sih ; mögen Sie in eigener Person sprechen, oder den todten Freund gegen mich reden lassen, das ist mir völlig einerlei. Der Herr Abgeordnete hat ferner den Gedanken, daß ein Volk mit dem andern von Parlament zu Parlament in politishen Verkehr treten könne, als einen „verrücten“ bezeichnet. Jch habe mi fo stark nit ausdrücken wollen, weil ih mir nit ganz klar war, ob nicht bei den ganz zweifellosen Aeußerungen, die ih darüber in der Presse gelesen habe, irgend Jemand betheiligt sein könnte, den mit einem so harten Wort zu kränken mir meine amtliche Stellung ver- bietet; aber ih erinnere mi noch sehr genau und alle die Herren, die hier fißen, werden es gelesen haben —, daß in Berliner Blättern, die keiner anderen Partei als der fortschrittliwen angehört haben können, die Klage darüber stand, daß die richtigen Mittel des Völkerverkehrs von Parlament zu Parlament noch nit gefunden wären, habe ih mich darin getäusht? Hat mich auch darin mein Gedächtniß ver- lassen ?2—Wenn der Herr Abgeordnete aber dieses zugeben muß, dann bitte ib, daß er in seinem Namen die „verrückten“ Zeitungen, die das geschrieben haben, desavouirt.—Jch bin im Stande, sie vorzu- legen, nur im Augenblick nicht.—Man hat über die Sache seit vier- zehn Tagen eine ganz andere Anschauung bekommen. Meine Hoffnung, daßSie dieSachein Form einerInterpellation zurSprache bringen würden, hat sich nicht verwirkliht, weil Sie sih Überzeugt haben, daß eine unpatriotishe Prcsse wieder einmal viel zu früh Lärm geschlagen; und wer hindert den Herrn Abgeordneten, der mir den Vorwurf macht, daß ih dem amerikanishen Repräsentantenhause den Dank ver- kümmern wollte, das kann ih niht, heute noch mit feiner zahl- reichen Klientel von 110 Freunden den Antrag zu stellen auf Beschluß- fassung einer Dankadresse ? Stellen doch Sie das zur Diskussion, aber verlangen Sie nicht von mir, daß ih das thue. Sie kennen ja die ganze Sache.

Ich habe auf die Bemerkungen des Herrn Abgeordneten erwidert,

einmal die Anerkennung vertrage, die man, wie er meine,

was! mir der Augenblick eingab und was mir meine immer noch

E

L L E E Ea au TC B B R C r e i G R GP E H N R O E Ai T R I is I Cer 0E, N t A L C T E R I T _————— E E E E C R L R foi al ieg E Ae R E S Sr 2E E M A S Sa T A S E e Ez 2s N E: L U 0 S A i R R G e E G R R R A E N D R A S A E e V Gui ias S S A E D

nicht vollständig hergestellte Kraft erlaubt. Wenn ih aber au hierbei wiederum s{wach gewesen bin, so bitte id den Herrn Abgeordneten um seine Nachsicht, und es würde jedenfalls Liebens- würdiger von ihm sein, wenn er mir diese Schwäche nicht so vor versammeltem Kriegsvolke vorwerfen würde.

Da sich Niemand weiter zum Wort gemeldet halte, er- kflärte der D I Rene für erledigt und das aus trat in seine Tagesordnung ein. G Der Rairae des Abg. Mayer (Württemberg) und Ge- nossen wegen Sistirung des gegen das Mitglied des Reichs- tags Köhl bei dem Amtsgericht T zu Würzburg s{webenden Strafverfahrens wurde hierauf ohne Debatte angenommen. Es folgte die erste Berathung des Entwurfs eines Ge- seßes über die Unfallversicherung der Arbeiter. Der Abg. von Vollmar bemerkte, er hätte gewünscht, daß andere betheiligte Kreise vor ihm zum Worte gekommen wären, s{hon "”’oarum, weil es für ihn interessant gewesen wäre, ihre Auffassungen zugleih mit der Regierungsvorlage in seiner Rede zu fkritisiren, und er beklage fehr, daß dies nit der Fall gewesen sei. So könne er die Ausmerksamkeit des Hauses nur erbitten als erster Redner der Partei, welche die Anstifterin der ganzen sozialreformatorischen Bewegung gewesen sei. (Rufe: Sehr gut!) Man rufe: Sehr gut! Jn der That würde ohne die sozialdemokratische Bewegung namentlih des Jahres 1878 weder die Regierung noch dieses Haus die Reformpolitik einges{hlagen haben. Es gebe ein altes Sprichwort : „Was lange währt, wird gut.“ Aber dieses Sprichwort fände auf die Sozialpolitik der Regierung keine Anwendung. Je länger die Vorlage des Unfallgeseßes hinaus- geschoben sei, desto {limmer sei diesecbe geworden. Wie eine Seeschlange sehe man dieselbe seit 1878 sich hinguälen von einer Thronrede zur andern, von einer Kommission zur andern, und immer seien die Vorlagen kurzath- miger geworden. Als im Fahre 1878 das Sozialisten- gesey erlassen sei, sei in der Thronrede die Dringlichkeit der Sozialreform hervorgehoben. Auch bei der Berathung des Sozialistengeseßes habe eine große Anzahl von Rednern ihr zustimmendes Votum von der Bedingung abhängig gemacht, daß es nicht bei der Repression verbleiben dürfe, sondern die Sozialdemokratie auch in positiver Weise bekämpst werden müßte. Nun, das Geseß sei gemacht, die unbequeme Kon- kurrenz der sozialdemokratishen Partei sei beseitigt, man habe vollkommen freie Hand gehabt. Aber was sei geschehen ? Nach Erlaß des Sozialistengeseßes habe man 2!/» Jahre die Versprechungen vergessen. Man müßte denn als eine Er- füllung dieser Versprehungen die Belastung des Volks mit neuen Steuern hinstellen wollen. Erst im März 1881 sei die erste sozialpolitische Vorlage erschienen, und wieder sei in der Thronrede auf die Wichtigkeit der Sozialreform hingewiesen worden. Als jener Entwurf in die Hände der Mitglieder dieses Hauses und der Presse gelangt sei, sei man nicht wenig erstaunt gewesen, über die sonderbare Art von Sozialpolitik, die hier von der Regierung getrieben werde. Mit rhetorishem Schwunge werde von Dingen gesprochen, die man sonst nur gewöhnt sei auf Seite der Sozialdemokraten zu hören: von dem Volkselend, der Unzulänglichkeit aller Unterstüßungsmittel, von einer Gefahr für die bestehende Ordnung der Dinge und daß der Staat nothwendig etwas thun müsse, um den Arbeîi- tern die Jdee zu benehmen, daß der Staat nur für die bevor- zugten Klassen da sei. Es habe ihm geschienen , als ob die Regierung aus der sozialdemokratischen Literatur Belehrung geschöpft habe. Ja man habe sich nicht gescheut, ausdrüdcklich dem Sozialismus Anerkennung zu zollen, Auch die Mittel der Verwaltung, die Ordnung des Versicherungswesens hätten eine sozialistishe Färbung gehabt. Kein Wunder darum, daß jenes Geseh gefallen sei. 1882 sei dasselbe in wesentlich anderer Gestalt wiedergekehrt. Aber auch in ihr sei zu viel von sozialistishen Gedanken enthalten gewesen, und darum sei ihr ULO) Den Franckensteinshen Antrag ein Begräbniß bereitet worden. Nun sei die dritte Vorlage gekommen, und auch sie in veränderter Gestalt. Wenn er die Art betrahte, wie diese Verwandlung si vollzogen habe, so falle ihm unwillkürlich der Mann ein, der sih einen großartigen Plan über den Bau eines Palais gemacht habe, dem aber das Geld dazu gefehlt habe, als es zum Bau gekommen sei. Es seien deshalb auf dem Plan die Thürme und die Kuppel gestrichen, die Façade geändert, bis nur ein gewöhnliches bürgerliches Häuschen übrig geblieben sei. Gerade jo sei es mit der Unfallversiherung gegangen. Die hochfliegenden staatssozialistishen Gedanken, die in der ersten und zweiten Vorlage noch vorhanden gewesen seien, seien jeßt vollkommen vershwunden. Man sei von dem hohen Roß gestiegen und gehe jeßt zu Fuß der Bourgeoisie ent- gegen. Deutlich zeige das vorliegende Geseß, daß man vor dem Kapitalismus zurückgewichen sei. Wie zähe sei man sonst gewesen, wenn man ehrlich vorwärts gewollt habe. Selbst nah Jahren habe man Geseye, die bereits einmal abgewiesen seien, in ihrer ursprünglihen Gestalt wieder vorgelegt. Unwillkürlich frage man deshalb nah den Gründen, wenn man sehe, wie auf dem Gebiet der Sozialpolitik die Regierung stets nachgegeben habe. Er finde als Hauptgrund das Bestreben, in dieser Session noch irgend etwas zu Stande zu bringen. Man habe in der Regierung das Gefühl, daß man zu viel versprochen habe, daß man in Mißkredit zu gerathen drohe. Und dieses Gefühl wirke jeßt doppelt unangenehm, wo man vor einer weiteren Verlängerung des Sozialisten- geseßzes stehe. Auch die Wahlen kämen ins Spiel. Unmöglich fönne sich die Regierung jeßt bankerott erklären mit ihrer Sozialreform. Er könne hier niht auf alle Einzelnheiten des Gesetzes eingehen und wolle nur einzelne Grundzüge fritisiren. Da möchte er ganz besonders hervorheben, daß die- selbe Regierung, welche von dem Momente an, wo sie Sozial- politik zu treiben angefangen habe, nie genug Schlechtes über das bestehende Hastpflichtgeseß habe sagen können, an leßterem überhaupt kein gutes Haar gelassen habe, dem Hause nun doch das merkwürdige Schauspiel biete, daß sie bei dieser Vorlage an das von ihr perhorreszirte Gescß anknüpfe, ja dasselbe viel- fah zum Fundament für den gegenwärtigen Entwurf nehme. So enthalte dieser Entwurf auch ganz besondere Ausnahme- bestimmungen, so zunächst beim Baugewerbe. Obwohl gerade hier besondere Gefahren beim Betriebe obwalteten, seien die Arbeiter in diesem Gewerbe von der Aufnahme in die Unfall- versicherung ausges{hlossen worden. Als einzigen Grund dafür habe man angeführt: „es beständen Schwierigkeiten, es gehe niht“, Dann bleibe auch bei den Eisenbahnarbeitern eine ganze Menge von Unfällen ohne Entschädigung. Allerdings hätten es ja auch die Eisenbahnverwaltungen chon früher sehr gut verstanden, eine Menge von Unfällen von

das Haftpflichtgesez sei diese Kategorie von Arbeitern nit gedeckt, und au in dieser Vorlage sei wieder eine Aus- nahme für die Eisenbahnarbeiter geshaffen. Und doch wäre es wahrlih ganz besonders geboten, die Eisenbahnarbeiter aufzunehmen, und gerade der Staat, der die Verstaatlihung der Eisenbahnen bewirkt habe, sollte sich der Sorge für die Eisenbahnarbeiter am wenigsten entziehen dürfen; der Staat sollte die viclfah geltende Ansicht widerlegen, daß er als Arbeitsgeber viel s{limmer für den Arbeiter sei, als der pri- vate Arbeitsgeber. Was wolle man ferner mit der sonderbaren Grenzziehung zwishen Handwerks- und Fabrikbetrieb besagen ? Also bei neun Arbeitern, die etwa ein Gewerbsbetrieb umfasse, solle eventuell eine Entschädigung für Keinen der Arbeiter existiren, dagegen {on dann eintreten, wenn 10 Per- sonen in dem Betriebe beschäftigt seien. Die Grenze zwischen Handwerk und Fabrikbetrieb sei aber gar nicht zutreffend zu ziehen. Es erscheine vielmehr geboten, alle diejenigen Arbeiter, welche dem Zwange der Krankenversiherung unterlägen, au unter die Unfallversiherung zu bringen. Sodann seien in den Entwurf die Forst- und Landarbeiter niht aufgenommen, ob- wohl selbst der deutsche Landwirthschastsrath diese Aufnahme verlangt habe. So müßten auch die beim Land- und Wasser- transport beschäftigten Arbeiter sowie überhaupt Feder auf- genommen werden, der sich im Dienste eines Anderen befinde. Bedenklih sei auch die Bestimmung des Entwurfes, daß die Frau und die Kinder eines Arbeiters dann von der Entschädigung ausgeschlossen würden, wenn die Ehe erst nach Erleiden des Unfalls geschlossen worden sei. Also man betrachte in solhem Falle die betreffenden Kinder als unehelih, was allerdings ein sonderbares praftishes Christen- thum dokumentire. Obwohl nun eigentlih das gesammte arbeitende Volk Objekt der Unfall-Versicherung sein müßte, fo sei doch {hon aus den Motiven des Geseßes zu ersehen, daß dur leßteres höchstens zwei Millionen Arbeiter beglückt wer- den sollten. Wie habe man nun so frage er darüber so große Worte vorher machen können. Welch? ein armseliges Mäuslein habe der kreisende Berg doch wieder einmal ge- boren! Also hon wegen des unbedeutenden Umfangs bder für die Versicherung in Aussicht genommenen Kreise sei diese Vorlage für seine Partei unannehmbar. Nun noch in Bezug auf die Höhe der Entschädigung einige Worte. Nach seiner Ansicht müßte der Arbeitgeber., falls volle Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters durch einen Unfall ein- getreten sei, um so mehr den vollen Schaden tragen, als die Arbeitskraft des Arbeiters dessen alleiniges Kapital bilde. Aber auch für die zur Hälste oder zum vierten Theil invalid ge- wordener sei die Entschädigung zu gering bemessen. Wenn der Tagelohn eines solchen Arbeiters nur etwa 1 H 80 H betragen habe, so könne man doch nicht verlangen, daß derselbe nun mit der Hälfte oder dem Viertel dieses Betrages leben solle. Ein Vergleih mit den Verhältnissen des Beamten- und Offizierstandes ziehe hier nicht; die Beamten seien näm- lih durchschnittlich weit höher besoldet als die Arbeiter, und ein Offizier, der auf dem Schlachtfelde von einem Unfal be- troffen werde, erhalte mit der Verwundungs- und Verstümme- lungszulage oft nach dem Abgang aus dem Dienste mehr, als er vorher an Gehalt gehabt habe. Wenn nun die Re- gierung sage, daß die Entschädigung deswegen „nicht voll gewährt werde, weil anzunehmen sei, daß Frau und Kinder des Verunglücften noch arbeiten könnten, so seien das doch wohl für eine soziale Reform sehr nichtige Gesichts- punkte. Sodann solle ein Arbeitslehrling im Falle der Ver- unglückung höchstens 200 s an Entschädigung beziehen dürfen, obwohl doch in Betracht zu ziehen sei, daß ein solcher Mensch, der meist unter zwanzig Jahre alt sei, noch sehr lange, vielleicht noh bis zum Alter von sehszig Jahren zu leben habe. Eine inter- nationale Fabrikgesezgebung sei eine alte von seiner Partei gestellte Forderung, auf die seine Partei immer wieder zurüd- kommen müsse. Der Organisation an und für sich, wie sie im Gesetze verlangt werde, könne seine Partei zustimmen, aber man hätte dieselbe hon früher vornehmen müssen, sie solle jeßt hauptsächlich vorgenommen werden , um dem Kapital und den verkrahten Genossenschaften zu Hülfe zu kommen. Man fange also wiederum beim Kapital an zu organisiren, während man jede Organisation der Arbeiter unterdrücke. Es handele sich hier um die Fortseßung des Kampfes gegen die freien Hülfskassen, bei welchen die Arbeiter die gewichtigste Stimme hätten, und do seien es gerade die Arbeiter, welche das Hauptinteresse an derartigen Geseßen hätten. Ferner seien viele Bestimmungen im Gesetze ein Eingriff in die Privatinduftrie und nur aroße Kapitalträfte der Fndustrie würden im Stande sein, die Lasten diejes Gesetzes zu tragen, man wolle also das Kapital noch mehr konzentriren. Geradezu ein Skandalosum sei es, daß man die Verunglückten auss{hließen wolle, welche durch eine strafrehtlih verfolgbare Handlung des Fabrikherrn verunglückt seien. Seine Partei habe von vornherein erklärt, daß die Regie- rung nicht die Kraft und den guten Willen haben werde, eine soziale Reform durchzuführen, eine Reform, die durch Thronreden und andere Staatsaktionen mit so viel Geräush angekündigt sei. Der Erfolg sei von seiner Partei immer vorausgesagt worden. Man sei an die Reform ledigli aus taktischen Gründen, um die Organisation der Arbeiter zu zerstören, gegangen, nicht aber um dem Volke wahrhaft zu helfen. Spiele man nicht mit dem Feuer! Für die Sozialdemokraten sei“ das Feuer ein befreundetes Element, der Majorität dieses Hauses aber könne es leicht passiren, daß sie sich das Haus über dem Kopfe an- stecke. Die Sozialdeniokraten hâtten ses Jahre der Unter- drüCung hinter sich, jeßt sei die sozialdemokratishe Jdee den- noch mehr ausgebreitet, als vorher. Die Position feiner Partei sei fest; seine Partei sehe mit Befriedigung und Schaden- freude auf die vergeblihen Bemühungen der Regierung. Wenn seine Partei Bosheitspolitik treiben wollte, so würde sie allen diesen Reformgeseßen zustimmen. Seine Partei aber wolle für das Wohl der L Bes en eintreten, und deshalb werde sie gegen solche Geseße summen. } i ba Ába. he, von Malßahn-Gülß erklärte, seine Partei sei mit der Regierung nah besten Kräften bemüht gewesen, für das Wohl der Arbeiter Geseße zu vereinbaren, die nach der Meinung seiner Partei heiljam seien. Dabei sei nun nicht ausgeschlossen, daß die sachliche Kritik, welche der Vorredner geübt habe, von seiner (des Redners) Partei aufs Eingehendste geprüft werde; aber darauf glaube seine Partei verzichten zu müssen, sih jemals grundsäßlih über das, was den Arbeitern heilsam sei, mit dem Vorredner zu verständigen. Das Haus stehe heute der dritten Vorlage der verbündeten Regierungen gegenüber; sie im Einzelnen durchzugehen, müsse der zweiten Lesung vorbehalten bleiben. Nach der Ueberzeugung seiner

früher auch unter den Freunden der Vorlage gezeigt hätten,

auch bei dem vorliegenden Entwurf noch beständen, werde si in der Kommisjion zeigen. Hier würden sich auch einzelne Bestimmungen, gegen welche man Einwendungen machen könne, mit Leichtigkeit diskutiren lassen, dem Zustandekommen des Geseßes würden sie hoffentlich nicht hinderlih sein. Seine Partei wolle niht, wie der Vorredner meine, unter allen Umständen etwas annehmen, seine Partei hoffe aber auf Grund von Vereinbarungen dem Gedanken nahe zu kommen, der ihr vorschwebe. Seine Partei habe das Ziel vor Augen, die Arbeiter gegen die Folgen der Unfälle zu versichern. Der Versicherungszwang habe ja nun schon allgemeine Anerkennung gefunden. Damit ende aber au die Uebereinstimmung des größten Theiles des Hauses. Seine Partei sei mit den Nationalliberalen darin einverstanden, daß die Hauptlast der Versiherung den Arbeitgebern auferlegt werden müsse. Seine Partei unterscheide sich nur darin, daß die Nationalliberalen die Privatversiherungsgesellshaften in das Geseg hineinbringen wollten. Ein anderer Unterschied bestehe mit dem Centrum; tasselbe habe sich niht entschließen können, dasjenige Maß von Einfluß dem Staat und den Behörden zuzubilligen, welches der Meinung seiner (des Redners) Partei nach nöthig sei. Auf die Einzelheiten des Entwurfs wolle er nicht speziell und ausführlih eingehen, sondern nur einige wesentlihe Punkte hervorheben. Zunächst halte er die Definition des Begriffes „Fabrik“ in 8. 1 etwas zu mechanish, wenn als solche: Betriebe ohne Anwendung von elementarer Kraft bezeihnet würden, in welchen wenigstens 10 Arbeiter beschäftigt seien. Sache der Kommission werde es sein, diesen Punkt ernstlih zu erwägen. Redner sprach seine Zweifel darüber aus, ob die ausgedehnte Organisation der Berufsgenossen- schaften über das ganze Reich hin geeignet sei namentli für die Aufnahme kleiner Betriebe; in dieser Beziehung biete der 8. 9 vielleicht mit seinen Organisationen für die Einzelstaaten die geeignete Abhülfe; der Aufbringungsmodus entspreche nit ganz den Wünschen, welche die Kommission des Reichstages im vorigen Jahre ausgesprochen habe. Am wesentlichsten seien die Veränderungen, welche der gegenwärtige Entwurf bezüglich der Organisation gegenüber dem vorjährigen enthalte. Man habe hier Berufsgenossenschasten, freiwillig organisirt, aber unter obrigkeitlicher Aufsicht. Dagegen habe er aber einige Bedenken, ebenso wie gegen den Zuschuß des Reiches, der in dreifacher Beziehung in Anspruch genommen werden solle. Einmal würde der Betriebsfonds der Post, welhe doch die Aus- zahlung der Entschädigungen 2c. zu besorgen haben würde, er- höht werden müssen, dann würden mit der Errichtung des Reichs-Versiherungsamtes und der größeren Anzahl neu zu \chaffender Beamtenstellen größere Ausgaben erwachsen. Daß der Schwerpunkt der Verwaltung mehr ins Reich verlegt werden solle, freue ihn überdies sehr. Drittens werde das Reih nah dem Entwurf auch noch in Anspruh ge- nommen, wenn es die Verpflihtungen und Rechtsansprüche leistungsuvfähig gewordener Genossenschaften übernehmen müsse. Auch hierauf werde die Kommission ihr Augenmerk zu rihten haben. Wenn seine Partei deshalb auch keineswegs ohne Bedenken an die Vorlage herangehe, fo scheine dieselbe doch wohl geeignet, den Anfang zu einer geseßgeberishen Ordnung dieses Gebietes zu machen. Wenn sich die Mehrheit des Hauses davon überzeuge, daß es möglich sei, hier einen Anfang zu machen, um die Verhältnisse der arbeitenden Bevölkerung etwas zu bessern, dann solle man nicht das Bessere des Guten Feind sein lassen, sondern wenn man etwas Brauchbares und eine weitere Ausgestaltung Ermöglichendes schaffen könne, es zu Stande zu bringen suchen. :

Der Abg. Oechelhäuser betonte, es werde der Versicherung wohl nicht bedürfen, daß sowohl er als seine Parteigenossen ihre Aufgabe, ja ihren Stolz darein seßten, an dem Zustande- kommen eines brauchbaren Unfallversicherungsgeseßes mitzu- wirken ; er gebe auch die Hoffnung, daß es zustandekomme, noch nicht auf, namentlich nah der Rede des Abg. von Malgahn, der die Bedenken seiner (des Redners) Partei gegen die Vorlage, wenn auch in milder Form, ausgesprochen habe. Die Regie- rung sei in dem wesentlihsten Punkte, dem Reichszuschuß, dem Hause entgegengekommen, wenn derselbe auch in be- \chränktem Maße noh wiederkehre. Zum andern sei es eine mehr negative Basis, worauf er seine Hoffnung gründe, näm- lih weil die Organisation und das damit verknüpfte Ver- fahren der Aufbringung der Lasten theils \o verfehlt, theils so unmöglih sei, daß man auf anderer Basis die Lösung versuhen müsse. Der §. 1 schränke die Zahl der versicherungs- pflichtigen Betriebe dem Krankenkassengeseß gegenüber sehr ein, während die allgemeine Stimmung eine Erweiterung wünsche. Mit der 13wöchentlichen Karenzzeit werde die Linke wohl nicht einverstanden sein. Er gehe davon aus, daß auch die über 13 Wochen Erwerbsunfähigkeit hervorrufenden Un- fälle, welche nur drei Prozent aller Unfälle ausmatten, selbst- verständlih unter Vergütung den Krankenkassen überwiesen würden. Denn man habe es bei dem ganzen Organismus nur mit den Unfällen zu thun, die entweder den Tod oder die Invalidität herbeisührten. Von diesen Unfällen seien jährlich 1680 Jnvaliditätsfälle und 1986 Todesfälle zu ver- zeihnen, von den leßteren komme ein Drittel gar nicht in Betracht, weil keine berehtigten Descendenten oder Ascenden- ten vorhanden seien. Es handle sih also etwa um 3000 Fälle, die künftig in dem Geseß zu behandeln sein würden. Das Gesey schließe die Versicherungsgesellshaften aus. Er sei der Meinung, daß die Gesellschaften niht nur fortbestehen könnten, sondern daß ihr Fortbestehen im höchsten Grade zweckmäßig und nothwendig sei. Deswegen müsse er aufs Entschiedenste den übertriebenen Behauptungen entgegentreten, welhe von verschiedenen Seiten und auch in den früheren Motivirungen zu dem Unfallversicherungsgeseß den Aktiengesellschaften gemacht seien. Er gebe zu, daß von einzelnen unverantwortlih gefehlt worden sei, daß sie în selbstsühtigem Jnteresse die Beiträge erniedrigt hätten, um möglichst viele Mitglieder heranzuziehen. Aber derartige Ge- sellschaften seien doch immer sehr wenige. Es seien auch von Seiten der O e le Ta I n Derartige Prozesse hätten ni 0s in der Zeit a men, font ne hätten auch bei den soliden Gesellschaften über- haupt nur einen unbedeutenden Umfang gehabt. Die Kom- mission des vorigen Jahres habe sih entschieden dagegen aus- gesprochen, die Gefahrenklassen zur Grundlage der berufsgenossen- \chaftlihen Bildungen zu machen ; das sei auch die Ansicht des Centralverbandes der Jndustriellen. Der vorliegende Entwurf gehe nunmehr von der außerordentli anerkennenswerthen Einsicht aus, daß die Organisationen im Wege der freien Selbstbestim- mung si bilden sollten. Das sei aber nur ideell, denn in der Praxis werde es kaum möglih sein, auf Grund freiwil-

der Entschädigung auszuschließen, und etwaige Ansprüche mit der Berufung, auf das Reglement zurückzuweisen. Auch durch

Partei und der Regierung werde der Entwurf den Arbeitern wirksam zu Hülfe kommen. Ob die Gegensäße, welche sich

liger Bildungen leistungsfähige Genossenschaften zu Stande zu