1885 / 7 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 09 Jan 1885 18:00:01 GMT) scan diff

seinem Lande verhindert, und er glaube, die Reihsregierung müßte ebenfalls Mittel finden, dem Sklavenhandel mit den Mädchen einen Riegel vorzuschieben.

Der Abg. Hasenclever erklärte, er mög&te lieber für den Kommissar sür das Auswanderungswesen cine noch größere Summe bewilligen, wenn damit auch seine Funktionen er- weitert würden, Schon am 5. Februar 1883 kätten die Abgg. Dr. Kapp und er ein Gesetz über das Auswanderungs- weten beantragt. Es sei auch damals gesagt, daß ein solches Geseh in Vorbereitung sei, seitdem höre man davon aber gar ichts mehr. Er vermisse ferner einen offiziellen Bericht des Auswanderungskommissars und au Warnungen, die derselbe gegen die Verführung zur Auswanderung erlassen sollte. Zwar habe die Auswanderung wegen der mißlichen wirth- fchaftlichen rhâltnijje Nordamerikas abgenommen, das sei aber in Grund dafür, daß die Verführung nicht ebe wie früher stattfinde. Aus den statistishen Nachweisungen gehe hervor, daß nur etwa 20 pCt. der Auswanderer nicht verlockt würden. Nun um diefe 20 pCt. etwa habe sih auch nur die deutshe Auswanderung reduzirt. Die Regierung sollte häufiger und energischer vor der Auswande- rung warnen. Statt den jeßigen Kolonialphantomen nachzu- jagen, sellte man lieber die Mittel schaffen, um dem Arbeiter bier genügend Arbeit zu verschaffen, damit er nicht veranlaßt werde, auszuwandern. Man sollte lieber nicht in die Ferne shweisen, hier in Deuts&land gebe es genug zu kolonisiren. Dann könnte eine Sozialreform durchgeführt werden, wie er sie der Regierung bestens empfchle.

Hierauf ergriff der Bevollmächtigte zum Bundesrath, Staats-Minister von Boetticher das Wort:

Ich bin mit dem Herrn Vorredner darin einverstanden, daß es wünscwenswerth ist, daß sich die Auêwanderungsziffer vermindere:: ich [che es ebenfalls als einen Verlust an, wenn Leute, deren Arbeitskraft und deren Vermögen dem Vaterland zu Gute kommen kann, das Land verlassen, um si anderwärts ein neues Heim zu gründen. Die Frage der Kolortialpolitik und der auf diesem Gebiete von deutscher Seite bereits inscenirten Unternehmungen hat damit zunächst gar nichts zu thun. Jch glaube, daß wir diese Frage hier, wo es i darum handelt, wie wir die Auswanderung zu behandeln haben,

ot diskutircn können, daß wir sie besser an eine andere Frage, die uns ja demnächst beschäftigen wird, knüpfen. Ih gehe, wie gesagt, von der Meinung aus, daß jede Arbeitskraft, die dem Lande entzogen ird, cin Verlust für das Land ift; ih hoffe aber, daß die deutschen irbeitsfräfte, die in deutschen Kolonien thätig find, für das Vater- fruchtbar bleiben werden.

Nun, meine Herren, was das Auswanderungsgesetz arlangt, so ann ih ja das Bedauern theilen, daß bisher der Entwurf eines

es dem Reichstage noch nicht vorgelegt ift ; es liect das

daß die Verhandlungen über den Entwarf noch nit abge-

sen sind, daß si gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen den

etheciligten Stellen ergeben haben, die noch der Erledigung harren.

Aber ich kann auch heute das erklären, was ih früher bereits über

diefen Gegenstand erklärt habe, daß die Reichsregierung na wie vor

die Absicht hat, ein Reichsgeseß über die Regelung des Auswan- derungswesens zu erlassen.

Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner in dicsem Jahre die Vorlage eines Berichtes des Kommissars für das Auswande- rungêwesen vermißt hat, so made ich ihn darauf auf- werkfsam, daß der leßte dem Reichstage vorgelegte Bericht

5 Kommiffarius für das Auswanderungstwesen ih auf

as Jahr 1883 bezog, daß dieser Bericht unterm 8. März 1884 demn Reichêtage vorgelegt worden ist, und daß er die Güte wird haben müssen, noch zu warten, bis das erst vor Kur:em beendigte Jahr 1884 vom Neichs-Kommissarius vollständig in seinen einzelnen für die Beur- theilung des Auêswanderungêwesens in Betracht kommenden Daten ver- arbeitet sein wird. Es versteht sich ganz von selbst, daß die Regierung, ihrer Gewohnheit treu, auch für das Jahr 1884 dem Reichstage den Bericht des Reichs-Kommissarius vorlegen wird, für jeßt ist sie aber noch gar nit im Besiß dieses Berichtes.

Meine Herren! Was nun den der Regierung wenn auc nur

[e gemachten Vorwurf betrifft, daß fie nit aktiv genug sei in

zerhinderung der Auswanderung nah solchen Territorien, wo der deutsche Auswanderer einer \{lechten Behandlung und seinem wirth- schaftlihen Ruine entgegen geht, so ist dieser Vorwurf in der That ganz unbegründet. Sowie uns Thatsachen berichtet werden, namentli von unseren Organen im Auslande, von unseren Konsuln, die darauf {ließen laffen, daß Auéwanderungsunternehmungen im Gange find, welche den deutschen Auswanderern keine Möglichkeit einer Pro}pecilät fichern, fo wird von Seiten der Regierung vor folchen Auswanderungen ge- warnt, und es werden alle Mittel in Bewegung geseßt, um den deuts- {en auêwanderungslustigen Mann davon zurüczuhalten, daß er si solden Auswanderungsuntecnehmungen überläßt. Das wird auch in Zu- Tunft geschehen, etwas Weiteres können wir aber nicht thun. Wir können namentlich nicht was der Herr Vorredner anzudeuten {hien uns in die Gerichtsbarkeit fremder Territorien einmischen, wir können nicht jedem Auswanderer einen Schußmann mitgeben , der darauf sieht, daß ihm im Auslande kein Unrecht gescieht. - Die aligemeinen Klagen, die Über die Behandlung der deutshen Auswanderer im Auslande durch die Presse laufen, find wie fich nun aber herausgestellt hat au vielfaÞch übertrieken, und es würde viel wirksamec sein, wenn diese Klagen in irgend einer glaubhaften und zuverlässigen Form der Reichsregie- rung mitgetheilt würden, damit auf diesem Wege cine geordnete Prüfung des aktuellen Zustandes eintreten kann und damit die Reichs- regierung in die Lage gesetzt wird, dur ihre diplomatischen Agenten auf eine Abänderung der s\oweit sie vorliegen gewiß beklagens- wertben Mißstände hinzuwirken.

Wie gesagt, cs nützen in dieser Beziehung weder die Deklama- tionen der Presse noch die Deklamationen hier im Reichstage, wenn fie noch dazu si in so allgemeinen Ausdrücken bewegen, wie folche der Herr Vorredner angewendet hat, wenn nit bestimmte vpositive Thatsachen angeführt werden, die greifbar sind und die sih eben zur Feststellung dur die Organe der Reichsregierung eignen.

Dem Hrn. Abg. Dr. Lingens, der ja cin warmes Interesse für den Schuß der Auswanderer von jeher bekundet hat, kann ih ver- sidwern und i glaube, wenn er den Bericht des Kommissarius für das Aus8wanderungswesen beurtheilen wird, wird er diese Ueber- zeugung au theilen, daß von unserer Seite alles geschehen ift, was nach Maßgabe der Geseßgebung und nach Maßgabe unseres verfassungsmäßigen Verkältnisses zu den einzelnen Bundesstaaten ge- {chehen kann, um die Auswanderer in cine möglichst gute und gün- stige Situation auf dem Wege ins Autland zu verseßen. Auch hier habe i zu ktemerken, daß die Klagen, welche Über mangelhafte Be- handlung der Auswanderer auf den Auswanderungsschiffen an uns g¿langt sind, sofort die erforderliche Untersuchung erfahren haben, und daß der Neichskommissarius selber, dem ic tn dieser Beziehung das beste Lob ertheilen kann, bemüht ist, bci jedem Auswanderungs- 1e genau zu fkontroliren, ob die Bedingungen für die Ueberfahrt folcbe sind, wie sie den bestehenden Vorschriften entspre{ben und wie sie nothwendig sind, um dem Auswanderer eine leidliche Existenz auf der Ueberfahrt zu sichern.

Wenn der Hr. Abg. Lingens vorges{lagen hat, man möge do den Reichsfommissarius, um sih davon zu überzeugen, daß nicht blos im Hafen alles in Ordnung ift, sondern daß auch auf der Reise alles inr Ordnung bleibe, mit den Auswandercrschifffen bis nah England mitfahren lassen, fo möchte ih glauben, daß dieses Desiderium doc etwas zu weit geht. Einmal würde der Reicskommissarius nit ir: der Lage sein, am Ausgangshafen die Kontrole jo sorgfältig vor- zunehmen , und auf allen Schiffen vorzunehmen, wie er s Mo Jeb hut, - wenn -- e genöthigt wäre, mit eiiem oder dem arderen Schiffe si nach England zu begeben.

4

]

1 y

Sodann aber würde die Kortrole, die er unterwegs ausübt, auf der Fabrt bis nach England ja gar ri&t ausgreien. feinen binreibenden Scbußz gewähren, denn wer steht ihm dafür, daß, fowie er das Schiff verlassen hat, nicht alle die Uebelstände eintreten, die der Hr. Aba Lingens durÞþ cine Kontrole des Reich3- Tommifsarius vermieden zu schen wüns@&t? Ih bin aub der Meinung, daß die Regierung das ihrige thut, wenn fie darauf sieht, daß das Sciff niÞbt mit mebr Passagieren abgeht, a!s wofür es berchnet ift, daß es gut verproviantirt ift und daß die übrigen Bedingunagcn, die im Juteresse dcs Au®wanderers den Aus- wanderunçcéunternehmern vorgeschrieben find, beim” Auslaufen des Scbiffes aus dem Auégangshafen erfüllt sind.

Verkbältnißmäßig find die Klagen über \{le{te und ungenügende Versorgung der Auswandererschife doc sehr selten und, wie gesagt, wo sie an uns herangetreten sind, da haben wir sie geprüft und, fo- weit sie begründet waren, abgestellt.

Sine Behauptung des Hrn. Abg. Lingens möchte ih dann au nit unwidersprochen lassen, und das ist die, daß die englischen Sciffe besser scien als die deutschen. Sür das Gegentheil dieser Behauptung haben wir die vollgültigsten Beweise, Es ergiebt sich dies unter Anderem daraus, daß die englischen Passagiere mit Vorliebe unsere deutsGen Auswanderersciffe benutzen, weil sie im Allgemcinen sehr viel mehr Komfort gewähren und sehr viel besser eingerichtet sind, als die englischen. In dieser Beziehung ist also der Herr Vorredner nicht aut unterrichtet. Er hat übri2en3 anerkannt, daß namentli in Bremen schon sehr viel zur Bcsseruna der Lage der Auswanderer, namentlich auch in Bezug auf die Einrichtung der Logirchäuser ge- \cehen ist, und ih gebe mich der Hoffnung bin, daß, wo in dieser Beziehung in Hamburg noch Mängel bestehen, das Zusammenwirken des Reichskommissarius mit den hanseatis{en Behörden das ibrige thun werden, um auch dort einen befriedigenden . Zustand herzustellen.

Wenn dann der Hr. Abg. Linzens die Aufforderung aut sprechen zu sollen gemeint hat, daß, man, um dem Strome der deutschen Aus- wanderung, der sich über Antwerven und über. die hol- ländisden Häfen ergießt, einen Damm entgegen zu seten, und diesen Strom, soweit er überhaupt nit zu unterbinden ist, über die deutschen Häfen zu lenken, ih sage: wenn er ¿u diesem Ende empfohlen hat, die Vergünstigungen, welche die holländischen Eisen- bahnen für die Auswanderer gewähren, auc in Deutschland zu zu- billigen, so möchte ih ihnen doch entgegenhalten, daß jede Begünsti- gung in dieser Beziehung aub eine Begünstigung der von ihm so sehr beklagten Auswanderung selbst ist, und ih möchte ihm weiter entgegenhalten, daß bei einem Wettrennen in der Begünstigung zwischen Holland und uns gar kein Ende abzusehen ist, daß wir, wenn wir .uns auf ein folces cinließen, {wert jemals einen Zustand erreichen würden, in dem wir die Auëwanderer günstiger stellen, als wie es die Holländer thun können; und weshalb tönnen,„sie dies thun ? Weil die Einrichtung der holländischen Linien die Verpflegung und die Unterkunft der Auswanderer auf denselben vielfach jehr viel mangel- hafter ist, als wie auf deutschen Schiffen. Meine Herren, es ist eine schr beklagenswerthe Erscheinung, daß sich der deutsche Auswan- decer noch häufig durch gewisse kleine Vortkeile, die ihm von den Agenten geboten werden, dur leere Versprechungen bestimmen läßt, die ausländische Linie zu wählen; die Reue kommt oft zu spät, und vielfach verspriht der Auêwanderer, nacbdem er cinmal mit der aus- ländischen Linie gefahren ift, es in feinem Leben niht wieder zu thun.

(Während dieser Rede war der Reichskanzler in den Saal getreten.)

Der Abg. Meier (Bremen) erklärte, der Abg. Lingens behaupte , die weiblihen Auswanderer müßten unter weib- liher Aussicht stehen. Das lasse sih nicht dur{chführen. Der Norddeutsche Lloyd sorge in seinem eigensten Jnteresse für das Wohl seiner Passagiere, aber der Lloyd habe erfahren, daß fich die Einführung der weiblichen Bedienung nicht bewerkstelligen lasse. Die Bedienung müsse bei der Seekrankheit doch, auch bei Frauen, von Männern besorgt werden, was nußze denn da der anderweitige Ersaß dur weiblihe Kräfte? Der Lloyd habe cs dur seine Bemühungen dahin gebrackt, daß er trogz des Ausfalls der Auswanderung durch den Personentransport von Amerika in der Personenbeförderung Zuwachs habe. Der Lloyd habe im leßten Jahre 20000 Personen von Amerika mehr befördert, als sonst. Der Kommissarius habe mit seiner bisherigen Beschäftigung vollauf zu thun, und derselbe habe seine Pflicht gethan. Die Klagen über die Verlockung zur Aus: wanderung seien übertrieben. Man lese davon in den Heis tungen, doch könne man nicht alles glauben, was in den Zeitungen stehe! Gegen die Verlockungen, wo sie vorge- lommen seien, gehe die Regierung sehr strenge vor. Durch die strenge Kontrole seien allerdings die Agenten gezwungen, die Geschäfte durch sch{chwer kontrolicbare Winkelagenten besorgen zu lassen, und hier sei ein wunder Punkt, der \sih durchch ein Auswanderungsgeseß wohl reguliren ließe. Jn Bezug auf die Kolonisation werde sich das, was über dieselbe in den Köpsen spuke, niemals realisiren lassen. Auf sôlhe Sachen dürfe ih der Reichskanzler nicht einlassen, aber in dem beschcänkten Maße, wie der Kanzler es wolle, könne der Reichstag wohl zustimmen, Wenn dann «emand auf eigene Verantwortung doh in jene Kolonien gehe, um etwa Aderbau zu treiben, so sei er sein freier Herr, der Reichstag kfônne ihn dur fein Geseß daran hindern. Die Enttäuschung bleibe natürlih dann nicht aus. «n der Weise aber, wie der Reichskanzler die Kolonialfrage behandele, habe derselbe nah wie vor seine (des Nedners) Sympathien.

Der Abg. Dr. Windhorst erklärte, er fei durhaus fein Freund der Auswanderung; wenn sih dieselbe aber als noth- wendig erweise, so müsse man Sorge tragen, daß sie in der rechten Weise geleitet und behandelt werde. Er sei deshalb auch der Meinung, daß man im Prinzip der Auswanderung entgegenarbeiten solle; so müsse jedenfalls, wer auswandern wolle, erst seine Pflichten gegen das Vaterland erfüllt haben, che er anderswo eine Heimath suchen und finden dürfe. Die Jdee der Kolonisation werde wesentlih von dem Gedanken getra- gen, Arbeitsfräfte, die hier überschüssig seien, anderswo zu verwenden; doch wolle er hier diese Frage nit erörtern, da sih dazu noch besonders Gelegenheit bieten werde. Aber einer-

jeits Kolonien schaffen und andererseits feindlich gegen die Auswanderung sich verhalten, sei ein Widerspruh, Die Ver- shiedenheit, die der Staatssekretär von Boetticher konstruiren wolle, könne er niht zugeben. Kolonien nähmen im Allge- meinen dem Vaterlande gegenüber die Stellung ein, welche die Deutschen in Amerika auch hätten. Es sei vollständig falsch, daß Deutschland erst jeßt zu kolonisiren anfange. Das deutsche Volk habe \fich in Nordamerika bereits sehr weite Kolonien geschaffen und der deutsche Einfluß sei daselbst von großer Bedeutung geworden. Der amerikanische Kongreß habe den Vorstellungen des Nafael-Vereins ein gencigtes Ohr ge- schenkt; auch im Volke in Deutschland finde bertelbe Beifall, nur bei der - Regierung nicht. Die Regierung habe den Verein als einen Auswanderungs-Agenten be- trachtet und verklagt, während derselbe nur begrün- det si, um den Auswanderern Auskunft zu er- theilen. Die Staatsanwaltschaft und leider auch das Berliner Kammergericht hätten freilich entschieden, daß der Verein eine Aus3wanderungsagentur sei Und deswegen einer Konzession bedürfe. Hätte man dem Verein freie Hand gelassen, so würde

er den Auswanderern auch haben rathen fönnen, was , (Nedner) gleichfalls allen seinen Landsleuten rathe, ÿz, Bremen und Hamburg anstatt über holländische Häfen ibr, Weg zu nehmen. Der Anregung des Abg. Lingens, füz V, weiblihen Passagiere auch weibliche Bedienung auf Schiffe zu shaffen, habe der Abg. Meier widerfproen, di

ch

n,

Nothwendigkeit aber nit widerlegt. Auf englischen & i ei

habe man dieselbe, und es werde auch wohl möglich # a auf deutschen einzuführen. Auch die Kl gen über Hawh; seien durch die Ausführungen des Abg. Meier nicht hinfälliz gemacht worden. Was der Abg. Lingens über die Passagier: häuser in Hamburg gesagt habe, werde ihm von anderer Seit bestätigt. So lange diese Mißstände nicht abgestellt seien rathe er seinen Landsleuten: nicht über Hamburg, sondern über Bremen zu gehen. /

Der Abg. Bo (Gotha) machte das Haus Hackfeld allein verantwortlih für die Mißstände, mit denen die Auswanderer in Honolulu zu kämpfen hätten. Die Reichsregierung sollt ihren Einfluß dahin geltend machen, die Schuldigen zur Ver: antwortung zu ziehen. Die Arbeiter hätten niht nur von gefallenem Vieh essen müssen, sondern seien auch körperlig mißhandelt worden.

of

Der Abg. Dr. Lingens meinte, daß, wenn der Neis: | D ,

kommifsar in Hamburg nicht selbst bis nach England au Auswandererschiffen mitfahren könne, derselbe doch cine trauensperson dazu finden könnte.

Der Abg. Dirichlet erklärte, daß von einer Abnahm: der | Auswanderung keine Nede sein könne, allerdings sei eine | kleine Abnahme von 1884 gegen 1883 z1 tonstatiren, sonß |

sei aber die Auswanderung nach 1879 fünfmal fo stark ge: |

wesen als vorher. Daran sei der Zolltarif {chuld. Der Abg. von Kardorff bemerkte, diese Behauptung des

Abg. Dirichlet sei doch gewagt; der Zoltarif von 1879 fi | nicht der Grund der stärkeren Auswanderung, diese Nede | hâtte derselbe sih sparen können. Wie würde nch die Aus: |

wanderung gestaltet haben ohne den Zolltarif, wenn die

vndustrie auf dem Wege des Nückganges geblieben wäre! | Die Elsenindustrie sei z. B. durch den Zolltarif vor |

dem Verfall bewahrt worden. Ohne denselben würde di Auswanderungsziffer die jeßigen Zahlen weit überschreiten, Daß die Auswanderung fünfmal fo stark sein tolle, als vor

1879, sei durhaus nit rihiig. (Abg. Dirichlet : «Fawoßÿl) Der |

Abgeordnete greife vielleicht irgend einen Ausgangshafen her:

aus oder irgend ein einzelnes Jahr, da könne wohl einmal | die Auswanderung so stark gewesen sein, im Durchschnitt sei

es jedo nicht der Fall. Die Auswanderung sei auch nit allein auf die wirthschaftlihen Verhältnisse hier in Deu!sch: land zurückzuführen, der Abg. Meier habe schon früher cinmal ausgeführt, daß lediglih die wirths{astlihen Verhältnisse Amerikas dafür n:aßgebend seien. Wenn in Amerika die Arbeitslöhne vielversprechend seien, werde man die Auswan:

derung in keiner Weise hindern können. Die Verhältnisse in |

Deutschland spielten nur eine untergeordnete Rolle hierbei,

Der Abg. Dirichlet bemerkte, wenn seine Aeußerungen | gewagt jeien, so seien die Kombinationen des Abg. von Kar: | dorff, wie es erst gekommen wäre, wenn der Zolltarif F

nit eingeführt es mindejtens tollkfühn. Das Kaiserliche Sta- tistishe Amt weise nah, daß die Auswanderung in den cFahren

1880, 81, 82, 83 zwischen fünf- bis sechsmal so stack gewejen |

sei, als vorher. Und die Steigerung der Auswanderung sei

nit allmählih gewesen, die Zahlen betrügen rund im «Jahre |

1879 33 000, 1880 106 000, 1881 210 000.

Hierauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck E

das Wort:

Ich kann wie Jedernzann die Anführungen des Herrn Vorredners über die Ziffern der Auswanderung in den verschiedenen Jahren ja nur für richtig anerkennen, rur über den Kausalnerus bin i ganz verschiedener und entgegengesetzter Meinung wie er. Er nimmt an, daß die Auswanderung eine Folge des Druckes sei, den das 1878 eingeführte Schußzzoll\ystem auf unsere Woblhabenkbeit geübt habe so habe ich wenigstens verstanden das Resumé der früheren

Diskussion, der ih niht beigewohnt habe. Jch erwidere ihm | darauf: die Ziffer der Auéwanderung i} ein ganz genauer |

Maßstab für das Steigen unseres Wohlstandes; je besser

es uns geht, desto höher ist die Ziffer der Auäwanderung, |

und daß die Ziffer der Auswanderung 1880/81 höher

war, ist der Beweis, daß der Schutzoll scine Wirkung auf unsere | Indusirie gethan hat, und daß es viel mehr Leute in dem Jahre | gab, die das Geld für die Ueberfahrt und den Landankauf drüben | besaßen. Das ift allein der Maßstab, nach dem fich die Auswande- |

rung rihtet. Jn den Jahren der Anämie, des Blutmangels, in dem wir uns unter dem Frethandel befanden, schwand die Ziffer der Auswanderung, sie ging herunter, weil die Leute das Geld der Ueber- fahrt und des Ankaufs drüben nit erschwingen konnten, In dem Jahre 1871/72, wo ja bei uns alles im Golde der Milliarden sih rei fühlte, fanden fich wiederum sehr viel mehr Leute, die bereit waren, auszuwandern. :

Ich gebe zu, daß unter Umständen die Neigung, si dem Militär- dienst, bei den Bauern die Neigung, fih den Grundsteuern und den boben Kommunallasten zu entziehen, dabei mitwirken tann, aber im Ganzen ist die steigende Aus8wanderungsziffer jedenfalls ein unwider- leglicher Beweis des steigenden Vermögens und Erwerbes im Lande, und wenn die Herren das nicht wissen und nicht glauben, dann kennen sie das Geschäft einfah nicht, über das sie hier diskutiren. Jeder Sachkundige, jeder Auswanderungsverständige, Jedermann, der in der Provinz lebt und die Dinge mit unbefangenem, nicht von Erbitterung gegen die Regierung und von dem Bedürfniß, zu tadeln, befangenemn Auge ansieht, wird mir Recht geben: nur wohlhabende Leute wandern aus, nur die besseren Arbeiter, diejenigen, die so viel verdienen. Nah dem Gut, wo viel Verdienst ist, ziehen sie hin aus weitem Umkreis, weil sie sagen: da kommen wir rasch so weit, daß wir uns drüben in Amerika cine selbständige Hufe kaufen können. Durch die Ge- feßgebung, dureh die thörihte Abschaffung der CGrbyacht ist es außer ordentlih erschwert worden, daß die Leute sich selbständig machen fönnen. Außerdem ist der Druck der Kommunalabgaben, der Gemeindelasten, der Kreislastea, der Grundsteuer, alles desjenigen, was an Abgaben und sonstigen Verpflichtungen bei uns dem Landwirth die Ausbeutung seiner Scholle erschwert, so viel größer als in Amerika, das an sich anzieht; aber nur die Privilegirten unter den Arbeitern, vie etwas verdient haben, die gute Cinnahmen haben, die besseren, sparsameren Arbeiter, die etwas zurückgelegt haben, die wandern aus, die anderen, das find die paupers, die in Amerika zurückgewiesen und die vielleidt weggeschickt werden. Es sind nit die Elenden, die auswandern, tas ist ein vollständiger Irrthum und eine Umkehc der ganzen Sah“ verhältnisse, wie sie wirklich liegen.

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, die Aeußerungen des f Hrn. Reichskanzlers ständen mit den thatsählihen VBerhält- | nissen in Widerspruch. Jn den leßten Jahren seien nament: | lich große Scharen von Taba@arbeitern von Hamburg aus | e Das fei nicht als ein Symptom dex steigenden |

;lhabenheit dieser Leute anzusehen, sondern es sei ge: | schehen, weil die Tabacindustrichz durch die mannigfachen | Beunruhigungen derart ruinirt roorden sei, daZ die L&te ge | zwungen seien, auszuwandern, Wenn dem gegenüber dann |

Wo

gefagt werde, diese Arbeiter würden durch die guten Ver

in Amerika se sei auch hier das Um- gekehrte der Fall. Jn Folge der Auswanderung der Tabac- [ei folhe Konkurrenz in Amerika entstanden, Auswanderung Auswanderung, Neichskanzle i steigenden Wohlhabenheit doch aus den Gegenden am stärfsten sein, wo die Sie finde aber thatsägli Westpreußen, Mecklenburg, Pommern, Posen, sachen s{chlügen den Reichskanzler vollständig.

dann behaupte, daß die Leute auëwanderten, welche \ih ein Gewisses gespart hätten, so sei zu entgegnen, daß die Aus- wanderungskosten meist niht von den Auswanderern selbst be- zahlt würden, sondern von den Verwandten und Freunden in Amerika würden die Gelder dazu häufig hergeschickt. Unterstüßungen verstärkten die Auswanderung. Kommwunallasten und die Grundsteuer Zur dann müßten diejenigen Gegenden, ten seien, die meisten aber hierbei die großen Gutsbezirke Früher habe freilich der Reichskanzler Grund anerkannt, daß

behaupte,

Wohlhaben- ur; E Diese That-

Wenn derselbe

Trieben die Auswanderung, wo diese Lasten am größ- Auswanderer liefern. Es überwögen namentli) Meckl jelbst als den reten uêwanderung am stärksten fei in jeven Gegenden, wo es erschwert sei, zu einem selbständigen Be- nisse in einem kleinen Besiße an- Ov V nrnn Y p Ls G0 h 4 ck v A G «n DBorpommern ei niht nur der Groß stark, sondern viel Besiß liege auch in tädte, der Universitäten, Stiftungen und Schulen, und dadur sei die Zahl der kleinen Besißungen, welche fäuf- lich seien, ganz außerordentlich vermindert. Militärverhältnisse auch cine erhebliche Holle; das gehe daraus and in jedem Jahre über 10 000 Auswanderung obne der Militärverhältnisse Dieses Moment habe nun in den Jahren 1872 und 187: nderung besonders zu steigern. ih nit steigende Wohlhabenheit gewesen, sondern es habe eine allgemeine Befürchtung bestanden, daß ein neuer Krieg entstehen würde, das sei sogar amtlich konstatirt wor- den. Fn dem Maße, wie man dann gefunden habe, daß der ¡d'luß Dauer babe, sei nah 1872 die A gejunken, bis sie 1880 wieder zu steigen begonnen habe. sage dies Alles nur, um darauf hinzuweis sei, zu sagen post hoc, ergo propter hoc. Die Thatsachen bewicsen doch, daß die großen Segnungen, die man si von der neuen Wirthschaftspolitik versprochen habe, als solche vom Volke niht empfunden worden scien. Sonst würden die Leute, wenn geglaubt hätten, was man ihnen in Aussicht gestellt hätte, eher einen Antrieb darin gefunden haben, zu- nächst unschlüssig zu werden und abzuwarten, überhaupt gerade jeßt niht soviel von den Segnungen der ehen. Der Zuckerkrach sci so groß, daß man alle Ursache hätt», von diesen Segnungen zu s{weigen.

Demnächst nahm der Reichskanzler Fürst von Bismarck

sie zu kommen, seine Erspar | grundbesiß todter Hand, in der

Hand der S Dann spielten die

daß in Deutsch Untersuchungen Berücksichtigung

mitgewirkt, die sei es wahrl

uswanderung

wie mißlih es

sie dics Alle Man ‘sollte

Wirthschaitëpo:itik spr

Dec Herr Vorredner hat, soviel ib gehört habe, gar nit ein- mal den Versuch gemacht, meine Behauptung zu widerlegen, daß die Auëwanderungszahl einen Maßstab für die steigende Wohlhabenheit und für die wirthscaftlihc Kraft in unserer Bévölkerung bilde. Er ist darum herumgegangen na setner gewöhnlichen Art, hat Eitnzelnes heraus8gerissen, etwas, was ih gar nit bestritten Ba als ob ich es bestritten bâtte, und zwingt mich da, seiner Fährte cin klein wenig nahzugehen. :

Gr hat also zuerst a iderlegung desscn, daß die Fähigkeit auêszuwandern und das Passagegeld zu bezahlen ein Zeichen von ver- gleih8wciser Wohlhabenheit sei, angeführt, cs seien nah den Tabc- steueranträgen cine erhebliche Anzahl lange glaube ih, ausdrückte von Tabacarbeitern ausget Arbeiter müssen doch immer die Mittel gehabt Wenn sie diese gehabt haben, Behauptung, Außerdem glaube zusammenhbängt.

meine Herren, diese haben, ihre Ueberfahrt zu bezahlen. widerspricht das

Wohlhabende auswanderten, Tabcackversuchen

chon die Flucht über die Sce ergriffe, um sich davor zu retten nah einem Lande hin, wo der Taback 20 Mal oder zehn- oder sech8mal, ich weif als bei uns, und wo das ganze Tabackgeschäft unter cinem Druck und einer Kontrole sich vollzieht, von der man in Deutschland kei Daß das Eldorado für die Tabackarbeiter gerade Amerika sein sollte, habe ih mir bisher nicht denken können. L: ist ein ganz außerordentlich unglücktlih gewähltes Beispiel von Hen. ( Tabadarbeiter unter der amerikanischen Gesetz- gebung Schutz suchen läßt, nachdem er Deutschland verlassen hat. Das {webt also vollständig in der Luft.

ute feien ausgewandert, weil sie wurden, weil ihre Zukunft verkümmert wurde. inen ( f veil der Bevölkerung als richtig gelten lassen kaun, Die sehen, wenn sie noch nicht ruinirt daß sie bei der Fortdaver des gegenwärtigen Ruine entgegen gehen und daß sie am besten thun, zu i eben anzufangen.

einer Form der Tabalksteuer

nit, wieviel höher besteuert ift,

Richter, daß cr

Wenn ich seinen Saß auf icgend einen Tk fo ift es für die Landwirthe. doch vor Augen, Zustandes dem verkaufen, was sße noch haben, um drüben ein neues Damit fällt denn l Argumenten unbegreifliche Herr Abgeordnete mih anführte, Auswanderung sie aus den wohlhabenderen Gegenden weniger zahlrei (fr ß aus den westliden Provinzen, aus den dichter bes völkerten Provinzen, aus denen, wo eine blühende Industrie cristirt, Da, wo blos die Landwirthschaft den Haupterwerbszweig bildet, ist sie sehr viel stärker. Was zeigt denn das, wohin weist dieser We( strie zu \{ützen und handen ist, einzuführen.

landwirthschaftlichen zahlreichsten

deren Worten, da die Auêéwanderung geringer ist.

Dahin, unsere Jndu- zu entwideln und dort, wo fie bisher nicht vor- Wo Industrie und“ Landwirthschaft sich ein- ander unter die Arme greifen, wie in Westfalen und am Rhein, wo die höheren Kornpreise sind, die Sie immer fürchten, da sind di hinreicbend in der Lage, um auf die Auswanderung zu verzichten, da leben sie ruhig und zufricden. Der Industrielle und der Handwerker kaufen dort für sehr erheblih höhere Preise, als die Schwankungen betragen, die bei uns überhaupt vorkommen, dem Landwirth seine Produkte ab, und der Landwirth ist der kauffräftige Abnet mer für die Da ift das Gleichgewicht der verschiedenen In den rein der Herr Vorredner hat West-

weiser uns?

industriellen Produkte. Zweige des Erwerbes und der Thätigkeit hergestellt. landwirthscaftlihen Provinzen, 1 preußen angeführt, er kann auh noch Pommern, Posen und Medlen- burg anführen da zeigt es sich überall, wie der Landroirth fühlt, daß er allmählid unter der deut Ir entgegengeht und er wendet sih dahin, wo die Segnungen des Schuh- ¿olls, wie der Herr Vorredner ironisch sagte, viel höher ausgebildet sind, nämlih nah Amerika, wo jede Arbeit ges{üßt wird; er flüchtiet fih dort gegen die Nawirkungen des Frethandelssystems, die bei uns noch find, er \2%t si unter den Schub der amerikaniscen Zölle zu flühten; Arzcrika \chüßt die nationale Arbeit, ob zu hoch oder zu gering, lasse ih dahingestellt sein. Bei uns ist sie vielleiht noch zu niedrig ge\{chüÜßt wir werden ja d Ullem aber kann er in

schen Geseßgebung der Verarmung

avon noc sprechen können. Amerika einen lohnenden Ackerbau betreiben z

ob er das bei uns roh kann, ift sehr zwcifelßaft ŒE8 wäre cine sehr { thut der Herr Vorredner, als ob die Gegenwart ibm aanz

große Kalamität, wenn bei uns die Preise für Getreide so weit sinken würden, daß für dieselten Getreide bei uns unter unseren Stener- und Schuldverhältnissen überhaupt niht mehr gebaut werden könnte ; es wäre cin großes nationales Unglück, das größte, was uns betreffen fönnte, weil es die zablreiste Erwerbéklasse im Lande treffen würde. Dieser Kalamität sich zu entziehen, wan- dern hauptsäblich die kleinen Bauern, die kleinen Besitzer nach Amerika aus, wo die Landwirthschaft noch rentirt, obs{on die Preise woohbl- feiler find. Aber man hat für das amerikanische Korn wenigstens deutsche Abnehmer, und deshalb ift das ja ganz natürlich und die Konfequenz der Febler in unserer Gesetzaebung, die i bekämbpfe und die der Hr. Abg. Richter zu vertreten pflegt, daß aus den lardwirth- \caftliben Provinzen die Auswanderung am zahlreisten ist und aus den industriellen, die in Folge der früheren Scbutzzölle in den günstigen Verhältnissen noch im Stande sind, sib und Andere zu ernähren, ges ringer. Jh bin dem Hrn. Abg. Richter für die \{lagenden Argu- mente, die er in dieser Beziehung für meine Meinung angeführt hat, sehr dankbar. :

Er hat ferner gesagt, die Keommunallasten in den genannten Landestheilen feien nicht am hêéchsten. Die Kommunallast ift es ja nit allein. Ich habe sie vorber genannt, i habe nit die Gewohnheit, in dem Maße, wie der Herr Vorredner, öffentlich zu sprechen, ih habe deshalb niht in demselben Maße den Ueberblick über Alles, was man sagen könnte, weil ih ‘nidt in der Lage bin, dieselben Reden häufiger und an anderen Orten auch zu halten, ich sage, was mir augenblicklich einfällt. FIch habe allerdings die Kommunalabgaben allein genannt. Jch bätte mich richtiger ausgedrüdt, wenn ic statt dessen gesagt hätte, der Mangel an Schuß für das Gewerbe, was der Landwirth überbaupt betreibt, und die über- mäßigen Lasten, die gerade auf dieses Gewerbe allmähli abgeschoben sind von allen Seiten her; in erster Linie cine Schullast von einer für manche Gemeinden kaura erträglichen Höhe für die die Staatshülfe dringend nothwendig ift, ‘die Wegebaulast, die Grund- steuer ich will blos von den Lasten sprechen, die in den leßten Zeiten aufgelegt worden sind kurz Alles das, was der Staat für gut findet aus Nütlicbkeitegründen oter aus Popularitätsbedürfniß im Allgemeinen dem Säckel der Unterthanen aufzulegen es ist das außerordentlichß bequem und einfa, diese Lasten auf die Kommune abzuscieben, da braucht man nicht für jedesmal die Bewilligung des widerstrebenden Landtages und Reichstages. So sind alle die drüdcken- den Lasten, die im Grunde Staatslasten sind, weil unsere Gesetze sie geschaffen haben, auf die Gemeinden abgeschoben neuerdings, und in den alten landwirthschaftliben Provinzen ebenso gut wie in den industriellen. Nehmen Sie die Armenpflege. Dieselbe ift geschaffen durch Staatsgescte, ste liegt also in der Hauptsache dem Staate ob, der Staat kann sie dur die Gemeindeorgane, durch die Gemeinden als feine staatlichen Organe ausüben lassen, aber er hat sie ganz aus\{ließlich und in einzelnen Fällen bis zu der drückendsten Ungerechtigkeit den Gemeinden in die Schuke geschoken. Ebenso die Schullast; ter Staat hat befohlen, es foll Jedermann lefen und schreiben kö:inen; die Gemeinden: haben dafür zu sorgen, wie das auszuführen ift, einige mit Beçuemlichkeit, andere mit Kummer und Sorgen. Es is meines Erachtens ein Fehler in der Geseßgebung: der Staat müßte einen größeren Antheil daran tragen und die Gemeinden entlastet werden, und darin liegt der Kern des Steuerdruckes im Baucr- und im Arbeiterhause, der unter Umständen die Leute zur Auswanderung bringt und den sie glauben in Amerika niht wiederzufinden. Das wird zum Theil Jrrthum sein, sie wissen es aber nicht vorher, uxd die Agenten sagen es ihnen au nit. Es find dann die neuesten Eins ribtungen, die wir gehabt haben, also die lokalen VBerwaltunçs- behörden, die Amtêverwaltung, die Standesbuchführung, mit ihren neuen Laften, mit einer zahlreichen kleinen Schreiberwirth\{chaft das Alles ift abgeschoben auf die kleinen Gemeinden, die das nun

noch als Zuscbläge zu ihren sonstigen Ausgaben aufbringen müssen. Daß alle diese Sacen zusammen auc in den landwirth schaftlichen Provinzen eine Kommunallast bilden, die den zum Theil fkärglichen Grundftücken, auf denen die Landwirthschaft betrieben wird, nicht ab- zudrücken ift, daß in Folge dessen Einer leichter wie früher bei der Leichtigkeit des Transports auf den Gedanken kommt: ich wills über See versuchen, ob ichs da besser haben kann, das liegt wohl außer- ordentlih nahe.

Wir kommen aber dadur, daß jeder folgende Redner und ih natürli auch mehr auf den Vorredner antwortet, als fich an die Sache, an das thema probandum bält, gänzlich ab von der Frage, die uns hier ursprünglich beschäftigte: ist die Zollgeseßgebung von 1879 ein Grund, daß die Auswanderung sich gesteigert hat oder nicht ? Und ih sage: sie ift unter Umständen Grund, aber dadurch, daß sie die Wohlhabenheit vermehrt und mehr Leute in den Stand gesetzt hat, auêwandern zu können. Wenn Sie das behaupten, haben Sie ganz Recht, wenn Sie aber sagen: deshalb, weil die Leute, dur den Schußzoll bedrükt, ¿zur Verzweiflung an den beimiscen Zuständen getrieben werden, greifen sie zum Wanderstabe wenn Sie das behaupten ich kann kaum annehmen, daß Sie selbst daran glauben, was Sie sagen, aber wenigstens bezeuge ich, und die Meisten im Lande werden es mitbezeugen: daß es durch und dur objektive Un- wahrheit ift.

Der Abg. Dirichlet erklärte, die gesteigerte Auswanderung sei nah dem Reichskanzler cin Beweis für die gesteigerte Wohlhabenheit der Bevölkerung, Da in dem letzten Jahr die Auswanderung hinter der der früheren Jahre zurücgeblieben sei, so würde das auf einen Rückgang in unserer Wohl- habenheit {ließen lassen. Er wisse aber niht, was für Ver-

‘änderungen in unserein Tarif vor s\ih gegangen seien, die

einen solhen Rückgang rechtfertigen könnten. Der Neichs- kanzler stehe übrigens mit sciner Auffassung der Auswanderung allein da. Selbst ein Organ, wie die „Norddeutsche Aligemeine Zeitung“, die der Kanzler nah seinem eigenen Geständniß oft und mit Nußen zu lesen pflege, habe vor Kurzem in einem längeren Artikel den Rückgang der Aus- wanderung als Zeichen unseres wachsenden Wohlstands angeführt, und gegen diese Argumentation habe er (Nedner) sih gewendet. Wenn dann behauptet sei, daß die Uebernahme der Schhullasten und der Armenpflege auf die Gemeinden zur Auswanderung Veranlassung gegeben habe, so müsse er konstatiren, daß diese Behauptung für Preußen nicht zutreffend sei, weil die Uebertragung jener Lasten auf die Gemeinden viel älteren Datums sei. Die Uebertragung der Schullasten sei bereits unter Friedrih Wilhelm I. erfolgt, wo von einer Auswanderung nicht die Nede gewesen sei. Dem Reichskanzler müsse er noch eine Bemerkung machen in Bezug auf die Lage der Landwirthschaft. Alles was die Nehte zum Nutzen _der- selben durch Erleichterung der Grundfteuer und dergleichen schaffen könnte, sei vershwindend gegen die Erleichterung dev Zinslast, welche die liberale Wirthichaftspolitik, die Politik der sogenannten Auspowerung der Landwirthschaft gebracht habe. Während der Landwirth früher 6 Proz. zu zahlen gehabt habe, könne er jeßt Geld zu 4 Proz. erhalten, und das Alles in Folge jener auspowernden Wirthschastspolitik. Die Rechte sei vielleicht in der glücklichen Lage, überhaupt keine Zinsen zu zahlen.

Darauf ergriff der Reichskanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Um zunäst an die leßten Worte des Herrn Vorredners anzu- Inüpfen, so hemerke ich, daß ih Landwirthschaft seit bald fünfzig Jahren treibe, aber noÞ nie in meinem Leben 69/9 Zinsen bezahlte, jondern früher 45 und jeßt, so weit ich Schulden habe, 49/6 bezahle ; also der Uyterschied ist so sehr groß nicht, und die Erleichterungen, die er uns dabei ins Buch schreibt, fallen in keiner Weise ins Ge- wicht gegen die Zunahme der Lasten. In Bezug auf diesen Fall

unbekannt wäre, und nur mit ver Vergangenkeit ift er vertraut. Von tor Zeit Friedri Wilhelm T. weiß 2x, was man an Kommunal- lasken bezahlt hat. Wenn er jeßt die Auétschreibungen unter dem Minister von Goßler vergleihen wollte, so glaube i, daß er auf etrvas wie 1000/6 und darüber hinaus fommen würde, nament- lih in den leßten Jahren. Jch verweise Sie auf die erhöhten An- forderungen an Lehrergebältern, ih finde diefelben ganz berechtiat, aber der cinzelnen Gemeinde fie aufzuerlegen, das finde ich unbere- tigt, der Staat sollte sie bezahlen; dazu müßte der Staat aber Geld haben urd das verweigery Sie ibm. Ebenso ift es mit den Armen- lasten; wie hoc beliefen ih die Armerlaften früber und wie bo belaufen sie sich jeßt. Der Herr Vorredner schiebt mir unter, als hâ!te ich den Grund der Auêswanderung bei uns in den seit 200 Jahren bestehenden Lasten gefucbt. Ih habe ihn aber nit einmal in dem Anwachsen gerade diefer Lasten ge]ut. Ih habe angeführt, daß täglick neue auf Kosten der Gemeïnden zugefügt werden, und da kommt fchliecßlih der Moment, wo das orientalisbe Sprichwort gilt; es kommt der Strok{;- halm, der dem Kameel den Nacen bricht, das Feißt, der den Bauer zur Auswanderung zwingt. Wir haben den Fall gehæbt, daß in Folge der Lasten, welche nwperrime aufzrlegt wurden, ganze Gemetin- den chne Ausnahme eines einzigen Bauern i glaube, es war im deutschen Theil von Posen, sich zur Auswanderung entschloffen baben, weil sie allein durch die Scbullasten zum Konkur gebracht- waren. Also fo ganz unberechtigt war dckse Ausföhrung dob nit. Ich wöchte doch den Herrn Vorredner bitten, wo wir von der Gegen- wart fpreden, doch nit mit fo reakticnären Aeminiszenzen von Friedrih Wilhelm I. zu kommen. Es könnte ihre bet feinen Wählern schaden, wenn er vorzugsweise in die Zeit fh cinleben will.

Der Herr Vorredner hat ferner gemeint. ic müßte in der Kon- sequenz meiner Ansicht aus der Thatsache, daß in ven alleretzten Jahren die Auswanderung zurücgegangen, nun w#der den Sblufz zieben, daß unsere Wohlhabenheit wieder gesunken sci: Es {ft ja mögli, daß fie einen kleinen Rükschritt gemaht hat in den lezten Icahren ih will darüber nit entscheiden. Die statistischen Ermittelungen werden das ja ergeben. Aber das würde den Herrn Vorredner doch noch: nicht berecbtigen, mir cine folche Konsequenz mziner Keußerung unter- zuschieben, daß nun in jedem Jahre, vielleicht in jedem halben Jahre,. vielleicht in jeder Woche mit de steigenden Wa3hihabenheit die Aus- wanderuna sofort gleiden Schritt halten foll. Außerdem ift: die Wohlhabenheit aub nicht das einzige Moment, w3s zur Aus- wanderung treibt. J kenne eine Menge reiber Leute bei uns, die gar nicht an Auswanderung denken, und auf diese Weise meinen Worten eine Deutung unterzuklegen, die sie gar nit gehabt haben können, ift doch nit ganz geradfinnig verfahren von Seiten des Herrn Vorredners. Außerdem können auf die Vermehrung oder Ver- minderung der Lust zur Auêëwanderung doch die Zustände in Amerika auc erheblich zurückwirken. Oder ist es dem Herrn Vorredner denn noch gar nit eingefallen, daß die Leute ih doch einigermaßen befragen bei ihren zurückehrenden Kameraden, die dort nit aefunden haben, was sie gesubt haben, nit das Eldorado, was ihnen von den Agenten vorgespiegelt ist, daß einzelne kopfs{becu werden, wenn sie hôren, daß Amerika doch au Zeiten hat, wo dort das Unterkommen nit so leicht ist, wie es vielleicht noch vor zehn Fahren oder no vor vier Jahren war. Also es ift do nicht ganz fair von dem Herrn Vorredner mir gegenüber gehandel+t, wenn er gar feine anderen Aus- wanderungêmotive außer dem einen, das ich bier in der Geschwindig- keit gerade angeführt habe, gelten lasen und mich nun beim Wortke halten will, daß, ih möchte fazen, mit jedem Kurs8zettel, der bei uns zurückgeht, auch gleih die Auswanderung zurückgehen muß. Das ift do eine Uebertreibung, gegen die ih mi verwahren muß vor dem Publikum; hier in diesem Raume wird sie keinen Anklang finden.

Ich finde weiter in den Aeußerungen des Herrn Vorredners keinen Anlaß zur Erwiderung.

Der Abg. Dr. Lingens wandte sih gegen die Bemerkung des Fürsten Bismarck, daß die Auswanderung mit der ge- steigerten Wohlhabenheit der Bevölkerung im Zusammenhang stehe Der Grund für dieselbe sei aber richtiger in unseren schablonenhasten Einrichtungen, vor allem aber in dem un- seligen Kulturkampf zu suchen, der eine große Zahl glaubens- treuer Katholiken vaterlandslos gemacht habe.

Wiederum nahm der Reichslanzler Fürst von Bismarck das Wort:

Icb erwidere dem Herrn Vorredner, daß ic durchaus nit ges sagt habe, bei den Irländern fei die Wohlhabenheit der Antrieb zur Auswanderung gewesen, die ja bekanntlih massenhaft stattge*unden hat. Ich habe hier nur von Deutschen gesprochen. In Irland mögen die Sachen anders liegen. Jch gebe aber dem Herrn Vorredner doch zur Erwägung: es wird ihm ebenso gut wie mir bekannt sein, daf die Irländer im Großen und Ganzen weriger ausgewandert sind, als ausgewandert worden find. Sie sind auf fremde Kosten über See gcschickt und würden heutzutage von den Amerifanern zum großen Theil als paupers, obwohl fie anständige Leute find, zurü&gewiesen werden.

Die Übrigen Bemerkungen des Herrn Vorredners" gehören nicht zur Diskussion; über den Kulturkampf mich heute auszulaFen, lehne ich ab. :

Der Abg. von Kardorff fühvte aus, der Abg. Richter habe die Zuckerkrisis mit dem Zoütarif des Jahres 1879 in Verbindung gebracht, der mit dieser Erscheinung gar nichts zu thun habe. Erinnere man sih doch, daß: das Zulersteuergeseß. aus einer viel früheren Zeit hervühre. Jm Uebrigen, wenn jeßt so viel gegen die Zuckerindustrie gesprochen werde, so solle man doch nicht vergessen, daß jede Aenderung an der bestehen- den Zuckersteuer auh den Konfumenten betreffen würde, der- jeßt den Zucker um einen um das Vierfache geringeren Preis. beziehe, als in früheren Jahren. Habe die Linke denn. gar kein Herz für den armen Konsumenten? E

Der Abg. Richter (Hagen) erklärte: Unser deutsher Kon- sument würde auch bei einer anderen Zu@erpoliti?zureh&ommen,, er wolle nur nicht den Nusländern es ermöglichen, solche: nationalen Erzeugnisse billiger zu liefern, wie man es. hier im Lande könne. Das nenne man nationale Politik! Er habe nicht gesagt, die Zuckerpokitik dative von 1879, sondern : die Rechte solle si ihrer Wikthschaftspolitik nicht rühmen Ange- sihts der Lage der Zuckerindustrie, die auf denselben falschen. Grundanschauungen beruhe wie die Wirthschasts- und Finanz- politik überhaupt. Auf die persönlichen Spitzen, die dex Reichs= kanzler gegen ihn gebraucht habe, wolle ex nit antworten z er tonstatire nur, wie {wer 2s sei, mit dem Kanzker ohne alle persönlichen Bemerkungen zu diskutiren. Er habe keine Veranlaßung dazu, durch eine persönliche Bemerkung an seine Person gerichtet, gegeben. Seine Partei habe überhaupt bei. diesem Titel gar keine Debatte begonnen, weil folche allge- meinen akademischen Betrachtungen zu nichts führten. Nachdem der Herr Reichskanzler abex behauptet habe, daß die steigende Auswanderung ein Zeichen fteigender Wohlhabenheit sei, würde es doh dem Lande gegenüber unverständlich fein, wenn darauf niht eine Aniwort erfolgte. So sehr auch fonft jedes Wort des Herrn Reichskanzlers im Lande Beachtung finde, fo glaube er do, daß diese Behauptung auch unter seinen sonstigen-Freunden viel fah Kopffchüiteln erregen werde. Denn wäce sie rihtig, dann würde zuleßt, wenn die Wohlhabenheit auf dem Gipfel angelavgt sei, eigentli Niemand mehr ret vorhanden sein, um auészuwandern. Die starke Auswanderung aus Jrland sei wahrlich kein Zeichen von Wohlhabenheit, sondern beruhe auf der Schwierigkeit, Besiß zu erwerben, in der Nothlage

l der Pächter gegenüber den Besißecn. Der Reichskanzler