1906 / 34 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Feb 1906 18:00:01 GMT) scan diff

ihn gerichtet hat, in einer Denkschrift, seinem sogenannten politischen Testament, hierüber gesagt hat.

Ih sage also, es liegt eine Dissonanz in dieser Ver- \{hiedenheit des Wahlrechts im Reih und in Preußen, und es läßt sich gar nicht vermeiden, daß die Majorität, mit der eine Regierung zu rehnen hat, auch ihren Einfluß auf die Re- gierung übt und üben muß, wenn sie praktische Arbeit leisten will. (Hört, hört!) Gewiß, meine Herren! Ih gehe fogar weiter : ein solches vershiedenes Wahlreht hat sogar die Wirkung, daß \ih bisweilen den Eindruck habe ih, vielleicht ist mein Eindruck aber ein irrtüm- licher auch die Parteien nit ganz konsequent sind, daß ih in der Haltung derselben Parteien in dem einen Parlament und dem andern sehr merkbare Unterschiede in der politischen Auffaffung geltend machen (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten). i

Was das allgemeine Wahlrecht im Reiche betrifft, so bestehen meine Bedenken gegen das allgemeine Wahlrecht nicht darin, daß ih glaube, es Fönnte jemals hier im Reichstage eine Partei die Mehrheit erwerben, die auf dem Standpunkt der äußersten Linken steht. Ich halte die Grundlagen, auf denen die Sozialdemokratie ihre Agitation und ihr ganzes politisches System aufbaut, politisch und staatsrechtlich für viel zu chwach, als daß es möglich wäre, daß diese Partei jemals in diesem Hause eine Majorität erhielte.

Die Bedenken, die ih gegen das allgemeine Wahlrecht habe, sind psychologischer Natur, es ist die Einwirkung, die sich dadur auch auf die bürgerlichen Parteien fühlbar macht.@Bei dem allgemeinen Wahl- recht, wo man von den Massen gewählt wird, muß man mit großen Effekten arbeiten, man muß, ähnlich wie in der Malerei, impressionistisch malen, um auf die weit entfernten Massen durch grobe Effekte zu wirken. Deshalb liegt, wie vor kurzem ein Redner der konservativen Partei in einer Versammlung ausgesprochen hat, in dem allgemeinen Wahlrecht für die bürgerlichen Parteien allerdings eine ziemli große Gefahr. Es gehört ein hohes Maß von Selbständig- keit des Charakters dazu, \ich nicht den Wünschen der Massen zu fügen, sondern die Massen zu leiten (sehr richtig! rets), das ‘ist aber die Aufgabe jedes Volksvertreters!

Nun if von dem preußisGen Wahlrecht ih vertrete nit das preußishe Wahlreht, ih erkenne seine {weren Mängel an (hört, hôrt! bei den Sozialdemokraten) gesagt worden, es trage der Fntelligenz keine Rechnung. Ja, meine Herren, da gestatten Sie mir doh die ganz; bescheidene Frage: Trägt denn das allgemeine Wahl- recht der Intelligenz Rehnung ? (Sehr gut! rechts.) Trâägt das allgemeine Wahlrecht der Intelligenz mehr Rehnung als das preußische Drei- kflassenwahlsystem mit allen seinen Schwächen? Wollen Sk wirklich theoretisch verteidigen, daß irgend ein hodgebildeter Mann der Wissenschaft niht mehr Intelligenz besißt für das, was dem Staate notwendig if, als ein Mann, der Tag für Tag dieselbe Arbeit an derselben Maschine mechanisch verrihtet? Würde beispielsweise der Herr Abgeordnete Bebel nit ein unendlich viel höheres Maß der Intelligenz für sch in Anspruch nehmen als irgend ein Handarbeiter, der auf der Straße arbeitet? (Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Also der Einwand, daß das allgemeine Wahlreht der Intelligenz mehr Rechnung trägt als das Dreiklassenwahlsystem, ist, glaube ich, nicht vertretbar.

Das allgemeine Wahlreht hat deshalb darüber dürfen wir uns nit zweifelhaft sein, in der Politik ist Offenheit die beste Sache viel ofene und sehr viel geheime Gegner, und was der Abg. Menck seinerzeit gesagt hat ih bewundere den Mut dieses Mannes —, das denken schr viele in ihrem innersten Herzen, weil allerdings das allgemeine Wahlrecht Erscheinungen zutage gebraht hat, die Fürst Bismarck jedenfalls von ihm nit erwartet hatte. Meine Herren, das allgemeine Wahlrecht, wie wir es in Deutschland haben das dürfen Sie auh niht vergessen it das radikalste Wahlrecht, das in der Welt cxistiert. Ich habe mir einmal die Arbeit gemacht, die vershiedenen Wahlrechte zusammenstellen zu lassen und zu prüfen. Es ist deshalb das bedingungtloseste Wahlrecht und kann deshalb auch mit den Wakhlre(hten, die die süddeutschen Staaten eingeführt haben, niht verglichen werden, \{hon deshalb nicht, weil das Reichstagswahlrecht das Wahlreht an gar keine Frist des Wohnsißes knüpft. Es ist nur der Aufenthalt notwendig und die Eintragung in die Wahlliste; deshalb sind Fälle mögli gewesen ich betone diese Schwäche des Neichstagswahlrehts —, daß die- selben Personen bei derselben Hauptwahl in verschiedenen Orten ihr Wahlreht ausgeübt haben. Wir haben einzelne solcher Fälle festgestelt; aber bei dem jeßigen System, wo das Wablrecht niht eine bestimmte Zeit tes Aufenthalts zur Voraus- sezung hat, ist eine ausreihende Kontrolle der gegenseitigen Wahl- listen fast unmögli. Bei dem Reichstagswahlreht hat eben jeder, der ih in einem Orte aufhält und nahweist, daß er ein Deutscher ist, das Recht, sih in die Wahlliste eintragen zu lassen. Das süd- deutshe Wahlrecht, speziell das bayerische, verlangt eine ganz bestimmte Aufenthbaltsfrist, und das is gegenüber den Mißbräuchen, die bei dem Reichstagswahlreht möglich sind, eine wesentlihe Kautel.

Nun die \taatsrehtlidhe Seite des Antrages: wie ist die deutsche Reichsverfassung entstanden? Die deutsche Reich2verfassung besteht zunächst aus einem Bunde, den die deutshzn Fürsten miteinander geshlossen haben, der aber demnähst dur die Geseßgebung der Einzelstaaten sanktioniert worden ist. In der Einleitung der Reichs- verfassung beißt es:

Seine Majestät der König von Preußen usw. {ließen einen ewigen Bund zum Schutz des Bundesgebietes und des inners- halb desselben gültigen Rechtes.

Daraus folgt, meine Herren : niht die Bundetftaaten find geshaffen vom Reich, von der Reichtinstanz, sondern die Reichs- instanz is im föderalistishen Staate geshafffen von den BundeS- staaten und unter der Bedingung des innerbalb derselben gültigen Rechtes; cine Ausnahme hiervon ift nur in dem §4 gestattet, wo die Kompetenz des Reiches gegenüber dem Landesrecht ausdrüdcklih festgelegt ist. Nun wollen Sie jenen Spicß umdrehen! Während das Deutshe Reich die Föderation der Bundesstaaten ist den Bundetstaaten in der Reichsverfassung aus- drücklich der Shuß des geltenden Rechts zugesichert ist —, wollen Sie jet, daß das Reih den Hebel anseßt, um die innere Ver- fassung der Bundesstaaten zu ändern, um das verfassungsmäßige Verhältnis zu ändern zwishen Regierung und Volksvertretung! Das würde aber dem föderalistischen Prinzip s{nurstracks entgegenlaufen. (Sehr rihtig ! rets.)

Erlauben Sie mir, no auf cine andere Seite der Frage zu kommen.

über das Recht zu Straßendemonstrationen gegeben. In der sozial- demokratishen Presse habe ich immer gelesen: wir brauchen keine äußeren Mahtmittel ; unsere Partei wird siegen durch die Matt des Gedankens! Die Straßendemonstrationen scheinen mir aber niht eine Demonstration der Macht des Gedankens zu sein, sondern ledigli eine Demonstration der physishen Masse. Und wenn der Herr. Abg. Bernstein bei dieser Gelegenheit gesagt

* hat, in England dulde man die Straßendemonstrationen, die dortige

Polizei \sperre nur den Verkehr ab, um für die Demon- stranten die Straße frei zu halten, dann irrt er. Als jeyt die Arbeitslosen in England eine Straßendemonstration inszenieren wollten, wurde diese von der englishen Regierung verboten. Weiter hat der Herr Abg. Bernstein erklärt, man ginge in England sogar so weit, unter Umständen Minister in offigio zu hängen oder zu verbrennen ja, meine Herren, das ist so eine Sache, wenn man einmal anfängt, Minister in effigie zu hängen oder zu verbrennen, so seht das immeretwas wie eine Demonstration auf Abschlag aus (Heiterkeit), und außerdem, die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn. (Heiterkeit. Zuruf links.) Die verbündeten Regierungen stehen fest auf dem verfassungëmäßigen Grundsay des allgemeinen Wahlrechts, wie es besteht, und werden sich dur keine Agitation von links oder rechts von diesem verfassungsmäßigen Boden abbringen lassen. (Bravo!) Aber Preußen gegenüber liegt die Sache anders. Meine Herren, Sie haben uns in zahllosen Erklärungen in Ihrer Presse und hier im Reichstag versichert, Jhr Ziel gehe dahin, den bürger- lihen Staat, den monarchishen Staat zu beseitigen; Sie haben \sch ofen als Republikaner bekannt; aus allen JFhren Aeußerungen geht hervor, daß Sie den bestehenden Staat nur dulden, sozusagen auf - Kündigung, bis Sie die Macht haben, entsprechend Ihren Grundsätzen, diesen monarchischen, bürgerlihen Staat zu beseitigen. Troydem verlangen Sie, daß das Wahlrecht in Preußen in der Weise geändert werde, damit Sie im preußischen Abgeordnetenhause dieselbe Stellung bekommen, die Sie im Reichstage haben. Die preußishe Regierung soll die Hand dazu geben, in dem preußishen Staat, der auf dem armen, mageren nord- deutshen Boden, in dem ungünstigen Klima si entwickelt hat, unter einer Herrscherfamilie, die so viele staatsmännische Talente besessen hat, so viele Staatsmänner, wie wenige Herrscherfamilien in der Welt, in dem Staate, von dem man \cerzend gesagt hat, er habe sih großgehungert dur seine Beamten, in dem Staat, den seine Armee mit dem Schwert geschaffen und der die Bewunderung der ganzen Welt erregt hat, die Regierung, sage ih, soll also die Hand dazu bieten, daß eine Partei in die Volksvertretung dieses Staats ihren Einzug hält, die erklärt, ihr Ziel sei die Beseitigung des bestehenden Staats. Ich muß Ihnen ofen sagen, ih bedauere, daß die Arbeiter nicht auch in genügender Zahl im preußischen Parlament vertreten sind, ih bedauere es auch oft, daß manche Parteien im preußischen Abgeordnetenhause bisweilen eine Politik vertreten , die nah meiner politischen Auffassung mit den notwendigen Aufgaben der Regierung nicht übereinstimmt. Aber eines muß ih Fhnen sagen: wenn Sie unter diesen Verhältnissen in das preußische Abgeordnetenhaus einziehen und hoffen wollen, daß das Wahlgeseß in Preußen in einer Form geändert wird, die au den Arbeitern und unteren Volksklassen die Beteiligung an der preußishen Geseßgebung ermögliht, dann müssen diese Klassen noh politisch unendlich viel reifer werden, fie müssen ihre Forderungen ermäßigen auf das, was wirtshaftlih mögli ist, sie müssen ben bestehenden monarchischen Staat und die bestehende bürgerlihe Gesellschaft ehrlih anerkennen, und sie müssen endlich auch Männer in den Reichstag schicken zu ihrer Vertretung, die auf dem gleihen Standpunkt stehen. (Zuruf links.) Aber, meive Herren, wenn wir unter den jeßigen Ver- hältnissen auch in Preußen sans phrase das allgemeine Wahlrecht einführen wollten, um der sozialdemokratishen Partei im preußischen Parlament die Stellung zu geben, die sie im Reichstag hat, um ibr die Wege zu ebnen für ihr Ziel, den preußishen Staat, dieses wunderbare Gebilde der Geschichte, zu vernihten, wenn fie die Majorität besäße, da fände das Wort wirklich Anwendung: Nur die allergrößten Kälber, geh'n zu ihrem Schlächter selber. (Heiterkeit. Bravo!)

Abg. Dr. Arendt (Rp.): Bisher war es doch Gepflogenheit

der Mitglieder des Bundesrats, ih bei Jnitiativanträgen im ‘Reichstage an der Beratung nicht zu beteiligen; nahdem dies heute dennoch gescheben ist, nehme ih an, daß sich diese Beteiligung nit bloß auf sozialdemokratische Anträge beschränken wird, Wunderbar kommt es mir vor, daß der Staatssekretär seine Rede gehalten hat zu einem Antrage, der von den meisten Parteien des Hauses abgelehnt wird, und besien praktische Undurhführbarkeit für die Antragsteller selbst feststeht. Daß wir zur« Sicherung des Wahlrechts betrügerische Magenschaften auszuschließen haben, wie es der Staatssekretär er- wähnt, halte au, ich für einen wihtigen Punkt. Der Staats: sekretär meinte dann, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts würde der Sozialdemokratie im Abgeordnetenbaufe zu derselben Stellung verhelfen, die sie hier im Reithstage einnimmt; da nehme ih doch zur Chre des preußishen Volkes an, daß das richt der Fall sein wird ; im Reichstage haben wir preußishe Sozialdemokraten nur als ein vershwindendes Häuflein, Bezüglih der ftaatsretlichen Auéfübhrungen stimme ih dem Staatssekretär zu; wenn er aber dabei hervorbob, daß er fest stehe auf dem allgemeinen Wahlrecht für den Reichêtag gegen Agitationen von links und rets, so möchte ih be- tonen, daß wir weder in Reden now in Abstimmungen jemals auf einem anderen Standpunkt gestanden baben. Es gibt überbaupt feine Partei bier im Hause mit Ausnahme der Sozialdemokratie, die gegen das geltende Reichstagswablrecht ist. „Ihr Antrag und Ihr Parteiprogramm rütteln ja eben an dem bestehenden Reichstag8wablreht. Das mag Ihnen unangenehm sein, aber es ift eine Tatsahe. Die Einführung des Frauenstimmrechts und die Herabseßung des Wahlalters ist doch auch eine Cirshränkung des Wahlrechts aller gegenwärtigen Reichstagëwähler. Allein das Frauenstimmrecht bringt das Stimmrecht jedes jetzigen Wählers auf die Hälfte herunter. Sie bringen hier einen Antrag ein, der von Reichs wegen in das Wahlrecht der Einzelstaaten eingreift ; wenn nun nach diesem Muster cine ande1s gesinnte Mehrheit sagen de, die Landtage sollen Wablrehte haben, die an ein Wahlalter von 30 Jahren ebunden sind, wohin würden wir dann kommen ?“ Der Abg. Bernstein

ann allerdings mit Methusalem in die Schranken treten, wenn er

erklärt, er würde mit dem Antrag wiederkommen, bis er an- genommen if. Wenn anterseits ein Einzelstaat, z. B. Württem- berg, das Frauenstimmreht niht annehmen wollte, sollen wir dann mit der Armee “dort einrücken und es zur Durchführung bringen ? Dieser Antrag hat lediglih dem Agitationebedürfnis der Sozial- demokratie entiprohen, und ich muß nochmals meine Verwunderung auésprehen, daß der Graf Posadowsky aus solchem Anlaß mit der bis- berigen Gepflogenbheit des Bundesrats gebrohen hat. Ih hoffe, daß wir nun auch bei anderen Dingen, so bei der Frage der Gewährung der Veteranenbecihilfe, die Herren fih beteiligen hören werden.

Der Herr Abgeordnete Bernstein hat uns eine Auseinandersegung

die Sozialdemokraten dienen mit ihrem Antrag lediglich der Agitation,

Die Parteien haben unser Initiativrecht vershieden wahrgenommen;

die Konservativen treiben praktische Sao indem sie als ersten ihrer Anträge die Verbesserung der Lage der bedürftigen Kriegs, teilnehmer Vhnen unterbreiten. Wir {ließen urs der Erklärun des Abg. von Normann an, sind aber mit dem è Bassermans darin e daß wir auch für jeden deutshen Bundes, staat ein konstitutionelles System für wünschenswert und nôtig erahten, aber nit, indem man nach Art des fozialdemokratishen Antrages zwingend auf die Bundesstaaten einwirken foll. Jy Preußen ift doch die bestehende Berlalang ver König beschworen ; wenn der preußische Landtag die ihm vom Reiche ¡ugemutete Wahl, reform ablehnt, der Landtag aufgelöst wird und das Volk dieselbe Mehr. heit wählt, soll der König die preuf Ide Verfassung brehen ? Dag ist doch eine vollkommene Unmöglich eit. Also nit einmal dur, dacht ist der Antrag, mit dem wir hier die Zeit Be verbringen müssen. In die Einzelheiten einzugehen, halten wir daher für über, flüssig. Ih bin immer für eine Reform des preußishen Wahlrechts ewesen, aber im jeßigen Augenblick würde mir eine durchgreifende eform als eine Verbeugung vor der Sozialdemokratie infolge der Agitation der Straße erscheinen. Nichts ist , einer Erweiterung der Volksrehte so entgegen wie die Agitation der internationalen Sozial, * demokratie. Aber auch diese Kinderkrankhett des Wahlrechts wird e rie aid werden, und wir werden mit der Sozialdemokratie fertig werden.

Stellvertreter des Reichskanzlers, Staatssekretär des Jnnern,

Staatsminister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der Herr Abg. Arendt hat es für angezeigt gehalten, mir eine Art von Lektion dafür zu geben, daß ich heute das Wort ergriffen habe. Zunächst befindet er \sih in einem vollkommenen Jrrtum. Fürst Bismarck hatte den Grundsay aufgestellt, daß die verbündeten Regierungen \sih bei Jnitiativanträgen nur, vertreten lassen sollen, wenn es im Interesse der Regierungen liegt; und wenn ih heute das Wort zu diesem Jnitiativantrag genommen habe, so lag es gegenüber den Agitationen, von denen Sie alle Zeuge gewesen sind, im dringenden Interesse der Reichsregierung, ihre Stellung zu dieser Frage klarzulegen. (Sehr richtig! links. Zurufe.) Jm übrigen ist der Herr Abg. Arendt in volllommenem Irrtum, wenn er annimmt, die Regierung hätte sih bei Jnitiativanträgen noh nit vertreten lassen. Jh erinnere nur an die Erklärung, die ih namens des Herrn Reichskanzlers bei Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Aufhebung des Jesuitengeseßes, abgegeben habe. Jm übrigen, meine Herren, wird die Regierung selbst ermessen, wenn sie es für gut bält, hier das Wort zu ergreifen und, Erklärungen abzu- geben. Darüber läßt sie sih von keinem Abgeordneten eine Vorschrift machen. (Bewegung.)

Abg. Schrader (fr. Vgg.) tritt der Auffaffung des Staats. sekretärs gegenüber dem Nbg. Arendt bei. Jn der Sache erklärt er, ihm

sei bisher nit bekannt gewesen, daß Fürst Bismarck die Anregung zu dem allgemeinen Wahblreht aus Frankreih mitgebracht habe ; tatsäblih

blieb ihm, um mit Oesterreich fertig zu werden, nichts als das allge: *

meine Wahlrecht übrig. Die Behauptung, daß die Verfassung selbst dem Antrage entgegenstehe, könne nicht stihhalten; wiederholt fei dur die Gesetzgebung die Verfassung in ganz wichtigen und wesentlichen Dn geändert worden; über die Kompetenz tes Reichstags stehen keine Zweifel. Es müsse immer und immer wieder zu den bösesten Konfliften führen, wenn in Deutschland und in dem führenden Staate Vectretungen mit ganz verschiedenem Wahlsystem und ganz verschiedener Zusammenseßung beständen. Preußen beherrse faktish den Bundesrat, und das preußtish?2 Staat3ministerium sei tatsädhlih auch zugleich Reichsregierung. Mit dem bloßen Worte eDerfassu” allein sei es freilih nit getan, wie der Abg. Bassermann gemeint habe, denn dann E selbst die mecklenburgishe Verfaffung eventuell als die Erfüllung seiner Forderung anerkannt werden, sobald man jede Einflußnahme auf die Regelung diefer Frage in dem Einzelstaat ablehne. Die Ausdehnung des Wablrehts sei eine einfahe Forderung der Gerechtigkeit, eine Forderung, deren deter 20g (0 mit jedem Jahre fih steigere; die Notwendigkeit sei niht mehr abzuweisen, den unteren Klassen das Wahlrecht zuzugestehen, * sonst handle man gegen die Gerechtigkeit, das Fundament der Staaten. Die endlosen Diskussionen des N über sozialpolitishe Fragen seien deshalb fo unfrutbar, weil dem Reichstage die Geseßgebung, den Einzelstaaten - aber die Ausführung der Geseße obläge. Die sehr wihtige Rede des Abg. E von gestern bätte ganz und gar ins preußi!he Abgeordneten- aus gehört. Die Arbeiter seien ungerecht behandelt worden, zuerst durch das Sozialistengeses, das der Sozialdemokratiz die Hert- haft über die Arbeiter in die Hand spielte; die sozialpolitishe Geseß- ebung babe ihre Wirkung versagt, weil man eben nicht Wohsltaten, ondera Gerechtigkeit verlangte. Werde vielleicht das Urteil der Sozialdemokratie über die Sozialreform günstig beeinflußt, wenn di? Vertreter der Rechten immerfort über die Belastung klagen, die ihnen damit auferlegt sei, und die Beseitigung v:rlangen ? Man müsse dazu bereit sein, die sozialdemokratishe Partei als das, was sie tatsächlich fei, zu bes bandeln, als eine große, angesehene Partei. Aus diefer Erwägung sei das Zusammengehen der Sozialdemokraten mit den Nationalliberalen in Baden entiprungen, das dort die Zentrumsherrschaft abgewehrt habe. Abg. Kulersfi (Pole): Aus welhen Gründen die Sojial- demokratie ihren Antrag eingevraht hat, it uns gleichgültig. Wir betrachten ihn sahlich, und ih babe zu erklären, daß er uns im Piinzip angenehm und sympatbisch ift. Ueber die Einzelheiten wäre in zweiter Beratung ?u reden. Die Könservativen können si selbstverständlid für eine Aenderung des Dreiklassenwahlsystems nicht enthusiaëmieren, denn es fichert ihnen die Herrschaft, und die Nationalliberalen sagen bald fo, bald so, ihnen ift es s{ließlich auch rcckcht. Der Fürst Bismarck hat dies Wahlsystem das elendeste genannt ; ob sih mit dem Gedank-n getragen hat, es zu ändern oder nit, fan uns gleihgzültig sein. Das preußishe Wahblrecht is eine Eni- rechtung weiter Volkskreise; cs führt zu einem Terrorismus und mat Preußen in den Augen der Welt zu dem rückständigsten Staat, den es gibt. Wenn Fürst Bülow gefagt hat: Preußen in Deutschland voran! so war das im Hinblick auf das Wahlsystem eine ungerehte Ueber- bebung. Wir Polen baben uns am meisten über das System iu klagen. Untec einér wirklihen- Volksvertretung wäre es niemals zl einer solhen flagranten Verleßung der Reichsverfassung gekommen, wie c das neueste Kolonisationsgeses ist. Wenn einmal d? russische Duma unter dem allgemeinen, gebeimen und direkten Wahzlsystem gewählt werden sollte, wird vielleicht au für die Stunde \{lagen. | Abg. Graf Reventlow (wirtsch. Vgg.): Wir lehnen den

Antrag a limine ab, weil er den föderativen Gedaufen des Reit

zu erihüttern geeignet ist. Sahlih könnte man den Antrag damtt! abtun, daß man sagte, die Gewährung des Stimmrehts an Zwanzlß' jährige und Frauen würde außerhalb dieses Hauses feinem normalen Ptenshen jemals in den Sinn fommen. Der Ar.trag per- steht fi - besser, wenn man die Vorgänge in Hamburg und de" roten Sonntag in Berlin berücksichtigt. kurzes Licht werfen. In der „Norddeutschen Allgemeinen“ Zeitung ha! ein Offiziosus s dem rubigen Verlauf des roten Sonntags del Sozialdemokraten seine unumwundene Anerkennung augesprohen-

spra von der Disziplin. Ist das richtig, dann muß man sagen, wv

Blut geflofsen ist, ift es die Schuld der Führer, die die Disziplin nit aufreckt zu erhalten gewußt haken. Der Abg. Bernstein spra von einigen zerbrochenen Fensterscheiben, unter diesen Fenstersheiben befanden ih aber auch Schutzleute, die beinahe totgeschlagen wurden. Das maß allerdings auf Leute keinen Eindruck machen, bei denen der Blaufolle ein berechtigtes Lebensprinzip ist. Au wir find geneigt, theoretisd zuzugeben, daß das preußishe Wahlrecht niht auf dem Gipfel d Nollkommenheit steht. Aber in den 60er Jahren bestand einc rf finnige Mehrheit, die jeden nationalen Fortschritt hintanzuhalten

(S@luß in der Dritten Beilage.)

Darauf möchte ih in

M 34.

(Shluß aus der Zweiten Beilage.)

so jeden praktischen Inhalts entbehrende Anträge chen Abgeordnetenhause kaum wmöglich sein, wie sie hier eingebraht werden, und auch niht so lange Reden. Die größte Verwunderung hat hier wohl die Erklärung des Zentrums erregt, die eine ret tiefe E vor der durch die Sozialdemokraten beeinflußten öffentlichen einung madhte. Mir lehnen den Antrag ab, und wir glauben, er wird immer wieder hier abgelehot werden. Selbst wenn der Abg. Bernstein Arm in Arm mit seinem Stammesgenossen Ahasverus das Jahrtausend in die Schranken fordern sollte, so wird er die’ Erfolge feiner Ziele in feiner Weise erleben. Delsor (Els.): Mit 20 Jahren bin ich unter der

franzésifhen Herrschaft Wahlmann gewesen, aber ih kann nicht sagen, daß ih die edahtsamkeit gehabt habe, die man von einem Wähler fordern kann. Ih muß also nach meinen persôn- lichen Erfahrungen das Wablrecht für Zwanzicjährige ablehnen. Außerdem is es nicht angängig, das Wahlrecht in die Kasernen zu tragen. Was das rauenwahlrecht betrifft, so glaube ih, es würde manher von uns stimmen, wie die Frau will. So ganz rechtlos sind denn die Frauen doch niht. Der rote Teil der Frauenwelt bildet do eine ganz geringe Minorität. "Die Sozialdemokraten haben einen großen Beweis ihrer Uneigennügigkeit gegeben, indem fie d28 Stimmrecht der Frauen in ihren Antrag aufnahmen. An Landesange- legenheiten hat nur der ein Interesse, der einen Wohnsiß im Lande hat. Deshalb haben wir in unseren Antrag im Elsaß eine Frist- bestimmung für den Aufenthaltsort aufgenommen. Ih m entschieden dagegen Verwahrung einlegen, daß uns von \ozial- demokratisGer Seite und von einem Teil der liberalen Partei in Elsaß-Lothringen vorgeworfen wurde, wir hätten unsern Antrag nit ernst gemeint. Wir in Elsaß-Lothringen haben auf das allgemeine Wakhlrecht gewissermaßen ein historisches Recht; wir haben jeßt ein durhaus rückftändiges Wahlsystem. Das Anwachsen der Sozialdemokratie, wenigstens bei uns, ist nicht zurückzuführen auf das allgemeine Stimmrecht, sondern . auf den Egoismus der Bourgeoisie und auf die Blockpolitik, die die Sozial- Ee gegenüber dem Klerikalismus für das geringere Uebel ausgibt.

Nach einer längeren persönlichen Bemerkung des Abg. Bernstein tritt Vertagung ein.

Schluß gegen 63/4 Uhr. Nächste Sißung Donnerstag, 1 Uhr (Fortseßung der Beratung des Etats des Reichsamts des Jnnern).

So ziellose , würden im preußis

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 19. Sigung vom 7. Februar 1906, Vormittags 11 Uhr. (Bericht von Wolffs TelegraphisGem Bureau.)

Ueber den Beginn der Sißung is in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet worden.

Das Haus seßt die zweite Beratung des Staatshaus- g etais für das Etatsjahr 1906 im Etat des

inisteriums des Jnnern bei dem Kapitel „Polizei- verwaltung in den Provinzen“ fort.

Abg. Wolgast (fr. Volksp.): In Kiel hat die Unsicherheit auf den Straßen selbst am Tage ganz bedenklich_ zugenommen ; in der Däâmmerung und am Abend darf man ewisse Straßen überhaupt nit betreten, ohne allerlei Unannehmlihkeiten zu riskieren. Es ist

N damit dargetan, daß eine Königliche Polizeiverwaltung nit un-

bedingt eine größere Sicherheit verbürgt als eine städtishe. Wir Kieler haben uns ja mit der Königlichen Polizeiverwaltung abfinden müssen; wir erheben auch gegen die einzelnen Beamten und gegen die Polizeikommissare an sih keinen Vorwurf, die Bevölkerung seßt vielmehr großes Vertrauen in diese Persönlichkeiten. Die Schwierigkeiten aber, welhe den Beamten, namentlich den Polizei- offizieren, gegenüber einer so eigenartig gemishten Bevölkerung wie der Kieler erwahsen, find bei uns gewiß niht geringer als in anderen Großstädten, als selbst in Berlin; von einer Abstufung der Schwierigkeit des Dienstes in den einzelnen Städten, wie sie in der Berwaltung vorgenommen zu w.rden scheint, kann man also doh eigentlih niht reden. Namentlich in den etwas entfernter liegenden Vorstädten Kiels hat die Unsicherheit in den leßten Wochen in einer alles Maß übersteigenden Weise zugenommen. In Gaarden sind in einer belebten Straße die Kandelaber quer über dieselbe gelegt und ist alles irgend Zerstörbare zerstört worden; ein Ueber- fall und Raub hat stattgefunden, oùne daß von der Polizei etwas zu erblicken war. Wir erwarten, daß der Minister diesen Zuständen seine Aufmerksamkeit shenken und Abhilfe hafen wird.

N Korfanty (Pole) berihtet über #älle angeb- liher Beschränkung des Vereins- und N Ung Tee in den bolnishen Landesteilen, insbesondere in Oberschlesien. Es sei für die volnishe Bevölkerung gar nicht mehr möglich, Versammlungen ab- zuhalten ; die Behörden nähmen gar keine Rücksicht mehr auf den wed, zu welchem die Versammlung einberufen fei; unter nihts- agendten Vorwänden würden die- Versammlungen verboten. Selbst

hloersammlungen abzuhalten, sei äußerst \{wierig ; er (Redner) abe nur eine einzige Wahlversammlung abhalten können. Die Be- beinigung über die Anmeldung werde einfach verweigert und die Wirte würden durch die Polizei direkt gezwungen, die Säle niht herzugeben, eventuell drohe man ihnen die s{limmsten E e an. Der olizeipräsfident von Posen, von Hellmann, lasse die Mitglieder- berzeihnifse der polnishen Straz - Vereine drucken und an alle olizeibehörden verteilen, welhe dann die Jagd auf die Mitglieder zu maten haben. Handle es sich um einen Arbeiter, so werde der Arbeit- ber von Polizeibeamten aufgesuht, und bald fliege der Arbeiter aus

Arbeit hinaus. Dem Minister werde das Vorgehen des Herrn von j ann nit unbekannt sein. Nicht nur untergeordnete Polizeiorgane, Buder auch die Landrâte selbst beteiligten \sich an der direkten eeinflufsung der Gastwirte, die Ueberlafsung ihrer Säle zu ver- weigern; ein Landrat verbot, als er in Strzoda auf einen Wirt dien der sich zur Verweigerung des Saales nicht verstehen wollte, E Versammlung aus Gründen der öffentlihen Ordnung. Ein Saal, fas nah den in Berlin geltenden Polizeivorshriften 300 Perfonen fassen könnte, habe nach der Meinung desselben Landrats nur um für 25 Personen geboten, deshalb sei die für diesen Ü l angemeldete Versammlung verboten worden. Auch vor direkten pahrheiten sheue man nicht zurück, indem die Versammlungs- s ote mit angeblihen Saalverweigerungen begründet würden, die Me, den betreffenden Wirten gar niht ausgesprohen worden seten. E der Landrat einen Gastwirt, der hon für die Hergabe des ges ein Draufgeld oder Bezahlung L / B habe, auffordere, î abgeshlofsenen Vertrag zu brehen, so sei das doch eine kriminell ftrafbare Handlung; jedenfalls entgehe ein Arbeiter, der das gleiche le, seiner Strafe nicht. Eine andere Art kleinliher Schikane sei

Dritte Beilage zum Deutschen Reichsanzeiger und Königlih Preußishen Staatsanzeiger.

Berlin, Donnerstag, den §. Februar

die ordnungsmäßig eröffnet waren und ihre Verhandlungen begonnen hatten. Wahlen, die unter solhen Umftänden zu stande gekommen seien, müßten doch unter allen Umständen kassiert werden. Gerade in aufgeregten Zeiten, ‘wo die Unzufriedenheit der Berg- . arbeiter terart stieg, daß der Streik in Sicht kam, hätte man das Sicherheitsventil der Versammlungen weit öffnen sollen, tatsählich habe man es aber geschlossen ; jeder Gastwirt, dessen Saal man für eine Versammlung mieten wollte, habe zuvor eine Bescheinigung des zuständigen Amtsvorstehers verlangt, daß er gegen die Versammlung nihts einzuwenden habe. Eine besondere Spezialität sei die Ent- deckung baupolizeiwidriger Beschaffenheit des Saales, wenn es sich um darin zu veranstaltende polnishe Versammlungen handle. Es kämen Fälle vor, in denen die Staatsbeamten wissentlich die Staats- geseze überträten. (Vizepräsident Dr. Krause: Sie dürfen einem preußischen Beamten nicht vorwerfen, daß er wissentlih die Staats- geseße übertrete.) Der Redner [liest mit der dringenden Aufforderung an den Minister, ihm auf seine Beshwerden zu antworten.

Minister des Jnnern Dr. von Bethmann-Hollweg:

Die Herren Abgg. Oeser und Wolgast haben übereinstimmend sich über Angelegenheiten beschwert, welhe die Organisation König- licher Polizeiverwaltungen betreffen. Beide Herren baben ihren Aus- führungen hinzugeseßt, daß es ihnen fern läge, irgendwie Perfönlih- keiten oder Einrihtungen, welhe speziell auf Frankfurt a. M. und Kiel Bezug bätten, in abfälligem Sire kritisieren zu wollen. Sie haben ihre Beshwerden im wesentlichen darauf gegründet, daß die Königlichen Polizeiverwaltungen niht überall zahlreich genug beseßt seien. Jh muß dies leider zugeben. Namentlich haben wir hier in Berlin und Frankfurt a. M. noh wesentlicke Vakanzen in den Shußmann- \hafts\tellen; allerdings sind dies die beiden einzigen Orte, wo noch ‘derartige Vakanzen bestehen, und ih kann nur wiederholen, was ih gastern gesagt habe, daß es mein ernstes Bestreben sein wird, soweit wie mögli, diesen Mißständen abzuhelfen. Jh werde sehr nach- haltig in diesem meinem Bestreben dadur unterstüßt, daß ih hier in diesem hohen Hause zu meiner großen Freude nah allen Richtungen hin die Ansicht vertreten finde, daß die Shußmänner in ihren finanziellen Bezügen einer weiteren Aufbesserung bedürfen werden. (Bravo!) Ich bin Ihnen dankbar für diese Hilfe, die Sie mir in der Vertretung meines Ressorts damit leisten. Sie wissen aber auch weiter, daß wir unseren preußishen Etat nah den Grundsägen der Sparsamkeit einzurihten haben und werden deshalb begreifen, daß ih bisher noch nicht mit allen Anträgen habe durchdringen können.

Des weiteren ist erneut die ungleichmäßige Stellung der Polizei- kommifsare in den Provinzen und der Polizeileutnants in Berlin mit dem Hinzufügen beanstandet worden, daß meine gefirigen Ausführungen über die Gründe der unterschiedlißen Behandlung niht \{lüssig gewesen seien. Wenn ih den Herrn Abg. Wolgast ret verstanden habe, hat er sogar gemeint, ih wäre dafür eingetreten, überhaupt die Polizeimannschaften Königlicher Behörden in den Provinzen anders zu behandeln als in Berlin. Das habe ih niht gesagt. Eine derärtigë untershiedliße Behandlung besteht bezüglih der Schußleute tatsählih niht sie werden glei behandelt. Auch möchte ih bitten, ja niht etwa zu meinen, daß ih die Tätigkeit der Shußmänner in den Pro- vinzen gegenüber der Tätigkeit der Berliner Shußmänner irgendwie untershäge. Der Herr Abg. Wolgast hat, meiner Ansicht nach völlig zutreffend, auf die Schwierigkeiten des Polizei- dienstes gerade in einer Stadt wie Kiel hingewiesen. Zu weit aber s{heint er mir gegangen zu sein, wenn er Untaten der letzten Zeit, die ih mit ihm lebhaft . bedauere, für unvereinbar erklärt mit der Ehre einer Königlihen Polizei. Man kann das einzelne Verbrechen am liebsten würde ih sie alle unterdrücken niht gut mit der Ehre einer Königlichen Polizeiverwaltung in Ver- bindung bringen. Uebrigens hat man sich gerade in Kiel bei Ein- richtung der Königlichen Polizeiverwaltung Mühe gegeben, die Stärke der Polizei so zu bemessen, daß sie dem dortigen s{chwierigen Dienst gerecht werden könne. Die Königliche Polizeiverwaltung in Kiel hat ledigli die Sicherheitspolizei wahrzunehmen, und ist bei ihrer Einrichtung etwa doppelt so hoh bemessen worden, wie -die ehemalige kommunale Polizei.

Was die unterschiedliche Behandlung ver Polizeikommissare in den Provinzen und der Polizeileutnants in Berlin anlangt, so glaube ih, recht gehabt zu haben, wenn ih auf die Verschiedenheit der An- stellungs- und Annahmebedingungen hinwies. Allerdings fordert auch Frankfurt am Main ein Examen, das dem hiesigen durchaus ähnlich ist; aber es werden dort nicht die 18 Monate Wartedienst oder wie ih es nennen soll, vor der definitiven Anstellung gefordert. Daß die Polizei- leutnants in Rixdorf und Schöneberg ebenso behandelt werden müssen wie in Berlin, is selbstverständlih, und aus dieser notwendigen Konsequenz, welhe man für Nixdorf und Schöneberg von Berlin aus hat ziehen müssen, können Sie nicht das ganze Prinzip, welches ih zu begründen versuht habe, als hinfällig bezeihnen. Wenn die Herren mir im übrigen die Mittel verschaffen wollen, um die Gehälter der Polizeikommissare in den Provinzen zu erhöhen, so werde ih Ihnen dankbar sein. (Heiterkeit.) Ebenso werde ih dankbar sein, wenn Sie mir Mitiel vershaffen, um die Polizeisekretäre in den Provinzen, die der Herr Abg. Wolgast speziell behandelt hat, befser zu stellen.

In bezug auf die Frankfurter Polizeiverhältnisse darf ih noch ein paar Einzelheiten hinzufügen. Die Kriminalbeamten sind bezüglich ihrer Auslagen auf ein Paushquantum niht durchweg angewiesen ; nur für gewisse Kleinigkeiten wird ihnen ein Paushquantum gewährt ; darüber hinaus liquidieren sie, und von der Zentralbehörde ist jeden- falls keine Anweisung dahin ergangen, daß sie die Notwendigkeit solcher Dienstgeshäfte vor ihrer Verrichtung begründen müßten. Das wäre selbstverständlich in vielen Fällen unmöglich; darin gebe ih dem Herrn Abg. Oeser vollständig recht. Ebensowenig sind von der Zentralbehörde aus Vorschriften über die Diensteinteilung erlassen worden. Wenn sie in Frankfurt eine unzweckmäßige sein sollte, ih werde die Sache prüfen lassen —, so werde ih, soweit ih kann, Remedur eintreten lassen. Daß die Stellenzulagen au von mir nur als ein Notbehelf angesehen werden, habe ih gestern bereits gesagt.

Zu den Ausführungen des Abg. Korfanty bemerke i, daß mir,

1906.

{werden über eine Verkümmerung des Versammlungsrehts in den Provinzen Schlesizn, Posen und Westpreußen zugegangen sind. Jn der einen Beshwerde ist ein materieller Bescheid nicht erlassen, weil gleichzeitig Klage beim Oberverwaltungsgeriht eingelegt war, ih also zu einer Entscheidung überhaupt nit befugt war. In der anderen Angelegenheit ist ein materieller Entscheid getroffen, und die Be- {werde ist abgewiesen worden. Ich glaube niht, daß es die Geschäfte dieses Hauses förderte, wenn ih Ihnen die Einzelbeiten dieser Angelegenheit hier mitteilte (sehr rihtig! rechts), die Akten sind im übrigen zur Stelle. Andere Beschwerden sind niht an mich gerihtet worden. :

Was soll es denn helfen, wenn hier darüber geklagt wird, die Versammlungsfreiheit werde in den Ostmarken niht gewährleistet! Da verlange ih bestimmte Beshwerden. Allerdings hat neulich ein Fraktionskollege des Herrn Korfanty gesagt: nein, an den Minister wenden wir uns nit, wir wenden uns an das Oberverwaltungsgericht. Nun gut, dann müssen die Herren die Entscheidung des Oberver- waltungsgeriht abwarten. (Sehr richtig! rechts und bei den National- liberalen.) Aber wenn Sie an den Minister niht mit Beshwerden berantreten, kann ich auf derartige allgemeine Behauptungen, wie der Abg. Korfanty sie vorgebracht hat, gar niht eingehen. (Zurufe bei den Polen. Rufe réchts: Ruhe! Heiterkeit.) Inwieweit es angemessen ist, wie es in der zuleßt gehaltenen Rede geschehen ist, hier Einzelfälle zu erörtern es sind eine ganze Reihe, die der Abg. Korfanty vorge- bracht hat, und daran Angriffe gegen Landräte, Amtévorsteher und Regierungspräsidenten zu knüpfen, die der Herr Präsident dieses Hauses nit für vereinbar mit den Vorschriften für die Behandlung der Gegen- stände im Abgeordnetenhause erklärt hat, das überlasse ih Ihrer Ents- scheidung. Es ist sehr billig, hier in einer folhen Weise Vorwürfe zu machen, wenn der oberste Chef der Verwaltung gar niht in der Lage gewesen ift, die Angelegenheit zu prüfen. (Sehr rihtig! rechts.) Es bleibt mir nur übrig, die Behauptung des Abg. Korfanty, daß unausgeseßt Gesetßesverleßungen vorkämen, für unrihtig zu erklären. Auf seine spezielle Frage, ob ih bereit wäre, die Behörden anzuweisen, keine ‘Gesezwidrigkeiten zu begehen, keine Schikanierungen vorzunehmen, kann ih nur antworten, eine derartige Anweisung is unnötig (sehr richtig! rechts und bei den Nationalliberalen), alle meine Beamten wissen, daß sie eine Geseßwidrigkeit nicht zu begehen haben, und ebenso wissen sie aus verschiedenen Aeußerungen von mir, daß ich kein Freund von Schikanen bin.

Wenn der Abg. Korfanty es ferner für nötig befunden hat, mih an meinen Staatsdienereid zu erinnern, so hat er ih einer ganz un- nötigen Mühe unterzogen. „(Heiterkeit.) Was der Eid der Treue, den ih meinem König geleistet habe und mit dem ih die Verfaffung beschworen habe, bedeutet, das weiß ich allein (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen), und diesen Eid werde ih halten. Einen Hinweis darauf verbitte ich mir. (Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

Wenn \chließlich der Abg. Korfanty so weit gegangen ist, so- weit ih ihn recht verstanden habe, zu sagen, er befürhte, Geseßes« verleßzungen würden mit meinem Wissen begangen, \o fehlt mir leider ein mit der Würde dieses Hauses vereinbarer Ausdruck, mit dem ih diese Aeußerung qualifizieren könnte. (Lebhaftes Bravo! rechts und bei den Nationalliberalen.)

_ Abg. Dr. von Dziembowski (Pole): Wir beshweren uns bei dem Minister, weil uns das ewige Denunzieren gegen die Beamten nit angenehm ist. Der Minister jagt, die Ausführungen des Abg. Korfanty seien unrichtig. Er beshuldigt ihn also, daß er wider besseres Wissen seine Behauptungen aufgestellt habe. Das entspricht niht der Würde dieses Hauses. (Vizepräsident Dr. Krau se: Die Würde des Hauses zu wahren, is Sache des Präsidenten. Wenn ih in den Ausführungen des Ministers Ausdrücke gefunden bâtte, die einem Abgeordneten zu nahe träten und feine Ehre verleßten, so würde ih dagegen eingeschritten fein; das ist aber niht der Fall gewesen.) Jh fann auch eine ganze Reihe von Fällen von Geseßzesverleßungen mitteilen. Es kommt darauf an, ob bei uns fo wichtige Geseßze toie das Vereins, und Versammlungsrecht gewahrt werden. Bedenken Sie doch, welhe Erregung in die polnishe Bevölkerung getragen wird, wenn ohne Grund Versammlungen verboten werden. Bei uns ist der Glaube verbreitet, daß die Beamten, welche Ver- sammlungen verbieten, eine nationale Heldentat zu tun glauben. Ja, die Beamten rühmen sih nahher: in meinem Bezirk habe ih keine polnishe Versammlung stattfinden lassen. Der Minister sollte in einer allgemeinen Verfügung die Behörden darauf hinweisen, daß das Oberverwaltungsgeriht davon ausgeht, daß Versammlungen im voraus wegen Gefährdung der öffentlihen Ordnung und Sicherheit nicht verboten werden fönnen.

Vizepräsident Dr. Krause: Der Abg. Korfanty hat gefagt: „Ich behaupte, daß der Regierungspräsident die Bevölkerung scika- nieren will, daß er wissentlich die Sage ehe übertritt.* Darauf habe ih diesen Vorwurf als unzulässig erklärt. Dabei hat sich der Abg. Korfanty nicht beruhigt, sondern nah dem mir jegt vorliegenden Stenogramm gesagt: „Der Ordnungsruf hilft das unterstreihen, was ih gesagt habe.“ Hierin liegt eine Wiederholung seines Vorwurfs, anderseits aber auh deutlih die Absicht, der Ordnung des Hauses zuwiderzuhandeln, die eben seitens des Präsidenten gewahrt ist. Wegen dieser Bemerkung rufe ih den Abg. Korfanty zur Ordnung.

Unterstaatssekretär v on Bischoffsbausen: Der Abg. von Dziembowdski sagt, daß das Präventivverbot von Versammlungen un- zulässig Ln iese Behauptung ist unrichtig. Das Oberverwaltungs- eriht hat ausdrüklih ausgesprochen, daß sehr wohl Fälle vor- ommen können, wo ein Präventivverbot zulässig sei. Cs ift also durchaus unrichtig, daß ein solhes Präventivverbot eine Geseßzes- verlegung der Behörden bedeutet.

(bg. Broemel (fr. Vgg.): Es werden hier nicht bloß die Interessen der polnishen Fraktion, sondern die des ganzen Hauses berührt. Es ist für jeden Abgeordneten s{hwer, hier Beschwerden vorzubringen, wenn er die vollen juristishen Beweise dafür im Augenblick nicht vorbringen kann. Wenn dem Minister ein solhes Bündel von Beschwerden vorgelegt wird, ohne daß er sofort darüber orientiert sein kann, L fann man thm niht verdenken, wenu er die Beshwerdew zuxückweist; denn es ist sein gutes. Reht, an das geleplidhe Verhalten seiner Beamten zu glauben, bis ihm das Gegenteil bewiesen ist. Aber wenn er die Beschwerden einfach als unrichtig bezeichnet, so war das vielleicht etwas zu viel gesagt. Jeder Abgeordnete hat das Recht, hier Be-

die plôglihe und ohne Grund oder unter den nichti gsten Vorwänden durth die Polizeikommifsare erfolgende Auflösung von Versammlungen,

seitdem ih mein Amt angetreten habe, sage und schreibe, zwei Be-

[Amerden vorzubringen, sonst würde uns eines unserer wi igen echte genommen. Es wird sih in diesen Fällen oft um polizeiliche