1907 / 285 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 Nov 1907 18:00:01 GMT) scan diff

zu den 80 Millionen die Mehrausgabe für Beamtengehälter, Alottengelett, Kolonien ; kurz, neue Steuern müssen um jeden Preis troy des Anleihebetrages von 260 Millionen eingeführt werden. Warum spürt nun der Staatssekretär den Ursachen der ungeheuren Steigerung der Ausgaben nit nah? Gerade dort, wo die Haupt- ausgaben verlangt werden, die diese Steigerung verursachen, wird nicht nage, denn hier soll oder kann angeblih nit gespart werden. Der Finanzminister hat ih energish gegen direkte Reichs- steuern gewendet, und es ist nun sehr charafteristisch, welche geteilte Stimmung in der Beziehung unter den Blockbrüdern vorhanden ist. Wenn diese Differenz weiter bestehen bleibt, werden wir das Ende des Blocks vielleicht noch viel früher erleben, als man sonst annimmt, und die Rechte und das Zentrum gehen wieder Arm in Arm. Die beiden passen auch viel besser zu einander. Wenn Sie im Lande herumreisen und Programmreden halten, wenn Sie da erklären, es geht nicht mehr ohne direkte Reichs\teuern, die müssen wir haben, wenn ih dabei voraussege, daß ih es mit Männern zu tun habe, die eine politishe Ueber- zeugung auch festhalten, dann ist meine Befürchtung, die ih vorher über die Dauer des Blocks ausgesprochen habe, wohl nicht ganz unbegründet. Dem Abg. Bassermann galt doch heute in erster Linie die Polemik des preußishen Finanzministers. Das Zentrum ertlärte ih gegen jede direkte Steuer, auh gegen Monopole. Was foll denn nun da herauskommen? Darauf möchte ih Antwort haben. Etwa eine Wehrsteuer? Die verlangt ja der preußische Finanzminister wieder energisch. Die Wehrsteuer würden wir mit aller Macht bekämpfen, aber ärgern würden wir uns über die Einführung nicht, denn sie bringt Wasser auf unsere Mühle. Was den Soztal- demokraten nüßt, werden Sie doch auf keinen Fall tun, hat doch der Minister von Nheinbaben auch heute gesagt, wo er uns wieder als Wauwau hinstellte. Auf welhem Gebiete werden wir denn übrigens nit als Wauwau hingestellt ? Selbst der Abg. Naumann gehört zu denen, die zeitweise dadurch R werden. Das Zentrum hat jeßgt keine Auf- gabe, nah Steuern zu suchen. Hätte es doch diese uffassung vor 9—3 Jahren betätigt! Damals hat aber gerade die Reichstagsmehr- heit vollständig ihren Willen durhgeseßt gegen die Regierung in be- zug auf die neuen Steuern. Die Situation wird nun durch die ge- \chäftlihen Krisen noch ganz besonders verschletert. Die Krise ist da, das kann nicht bestritten werden. Die Zahl der Arbeitslosen über- haupt beträgt in Berlin {on 30—40 000! Die Fahrkartensteuer Haben wir aufzuheben beantragt. Der Abg. Paasche erklärte in Wies- baden, diese Steuer sei in der möglihst dümmsten Weise durch- geführt worden. Und doch hat seine Partei eifrig dafür gearbeitet! Der Abg. Büsing, der Nationalliberale, aber hat für diefen Steuernstrauß eine donnernde Rede gehalten und fe für eine nationale Frage erklärt! Jeyt also will man die Steuer au auf die ärmsten, auf die vierten Klassen ausdehnen; eine neue Frucht des Blo*s! Danken Sie den Göttern, daß die Wahlen im Januar und &ebruar dieses Jahres gewesen sind und nit im Janucr und Februar nächsten Jahres stattfinden! Die Profite der Unternehmer sind in den leßten Jahren un- glaublich gewachsen, die Herren haben Vermögen in den Schoß geworfen bekommen. Der Kolonialstaatssekretär hat erklärt, daß Deutschland in den leßten Jahrzehnten um 830 000 Millionen reiher geworden ist. Die Landwirtschaft ist in den leßten 20 Jahren ganz besonders begünstigt worden. Der frühere Abg. von Kardorff hat in dieser Richtung die vorteilhafte Wirkung des Be auf die Erhöhung der Preise der landwirtschaftlichen Produkte gerühmt, und der Abg. Paasche fragte in Wiesbaden bereits, ob die Preise niht zu schr gestiegen seien. Die Bäkerwaren werden immer kleiner. Sehen Sie sich dieses Brötchen an. (Der Redner hält ein Bröthen hoh.) Mir wird gesagt, dies Brötchen sei noch groß. Ein Brot, das vor ein paar Jahren noch 44 Pfund wog, wiegt jeßt kaum 3, also eine Verteuerung um rund 50 9/0 Glauben Sie, daß die armen Leute, bei denen Kartoffel und Brot die Hauptnahrung ift, das auf die Dauer ertragen können ? Wenn Sie wüßten, welhe Wirkungen solhe Teuerung hat, so würde diese rage eiwas ernster behandelt werden. Man sagt, daß die Preise für

chweinefleish, das im wesentlichen die Fleischnahrung der arbeiten- den Klassen ist, gesunken seien. Es ist ein altes Geseß, daß, je teurer das Brot wird, desto billiger das Fleis, weil eben durch eine Brotteuerung der Fleishkonsum zurückgeht. Nach einer Nottz im „Vorwärts“ hat man an Direktoren der Gemeindeshulen h mit der Frage gewendet, wie viele Schüler vorhanden seien, die kein Mittagessen bekämen. Oa ist festgestellt, daß die Zahl dieser Kinder auf 4841 gestiegen is und von Tag zu Tag zunimmt. Von 4038 Familien wird bei 3267 gar niht gekocht. Eine große Anzahl von Kindern erhält zum Mittagessen nur Brot und Kaffee. Im Spefsart, im Erzgebirge, im Gulengebirge usw. sind noch \{chlimmere Dinge festgestellt. (Zuruf des Abg. Grafen Carmer: Wenn die Leute auf dem Lande bleiben würden, würden sie es besser haben.) Bei meinem Zustande bin ih nit in der Lage, Ihnen auf diese Einwendung zu antworten; ih spare mir das für ein anderes Mal auf. Aber wenn die Leute glaubten, daß sie es auf dem Lande befser hätten, so würden fie dort hingehen. Durch die be- absihtigte Erhöhung der Gehälter geben Sie es, ohne es zu wollen, selbst zu, daß die Teuerung keine vorübergehende ift, denn fon würden Sie keine dauernde Zulage gewähren wollen. Fn der Tat is es mit den niedrigen Preisen in Deutschland vorbei. FKartelle und Ringe sorgen durch ihre Preistreibereien dafür, daß das Publikum gar*niht mit niedrigeren Preisen rechnen kann. Was von sozialdemokratisher und damals auch von linksliberaler Seite vorausgesagt wurde, daß nämlich die höheren Zölle mit Not- wendigkeit eine bedeutende Steigerung der Boden- und Pachtpreise im Gefolge haben würden, is eingetroffen. Die Güter sind zum Teil um hundert und mehr Prozent gestiegen. Die Weltmarktpreise find in die Pee gegangen, und infolgedessen auch die FInlandspreise, aber wir haben in Deutshland die höchsten Preise der Welt. Angesichts des Wohlstandes und Reichtums in höheren Klafsen, der zahlenmäßig nachgewiesen werden kann, werden sich hoffentlih die bürgerlihen Parteien thres Versprehens beim Flottergeseß erinnern, daß ein weiterer Ausbau der Flotte über dies Geseß hinaus nicht auf Kosten der minderbemittelten Volkskreise er- folgen solle. Man \chägt ja einen guten Christen viel weniger nah seiner Gesinnung als nah seinen Taten. So sollte es auch bet den Patrioten sein. Aber wenn man bei den Rieseneinkbommen von über hunderttausend Mark die Einkommensteuer von 4 auf 5 9% erhöhen will, so mag das s{chwierig sein. Ih meine, man fönnte ruhig auch auf 1099/6 gehen. Wie man die Behauptung aufstellen kann, die Erbschafts\teuer sei keine direkte Steuer, ist unbegreiflich. Das kann nur jemand, der sich in der allergrößten Verlegenheit be- findet. Die Erbschaftssteuer is eine direkte Steuer. Sie können eine Reichceinkommensteuer niht mehr mit der Begründung ablehnen, E sie direkt und daher grundsäßlih zu SeGerimn sei. Wenn ih gefragt würde, ob mir das republikanishe Frankreich oder das monarchische England lieber wäre, ih glaube, ich würde sagen : das monarhische England. Aber möchte doch der Reichskanzler -— der Republikanismus is ja immer der Zankapfel zwishen ihm und mir dafür sorgen, daß wir eine englishe Monarchie bekommen. Die Ausgaben für Militär und Flotte haben eine ganz folossale Summe erreiht, die noch bedeutend durch die neue Flottenvorlage erhöht werden soll. Auf die neue Flottenvorlage werde ih bei der Spezialdebatte zurückommen. Die Flotte kostet jährlich 90 Millionen. Glauben Sie, daß wir 1917 keine neue Flottenvorlage bekommen ; ih wette, daß wir in drei Jahren eine neue bekommen. Das ist ja in anderen Staaten ebenso. Der Staatssekretär von Tirpiß sagte ja, man müsse in bezug des Lebensalters der Schiffe den anderen Staaten nachkommen. Also diese Ausgaben werden wachsen, ebenso wie die übrigen Ausgaben des Reichs. Wenn jeßt hon diese Ausgaben so. wachsen, woher wollen Sie die Deckung für einen Krieg finden, wo jeder Tag 40 Millionen Fostet? An eine Beantwortung dieser Frage denkt niemand. Die finanziellen Aussichten find für uns also sehr traurig, aller- dings auch für andere Staaten. Die ganze bürgerlihe Welt befindet fich in dieser Beziehung im Stadium der nzurechnungs-

æ

Dasselbe gilt von Sa so gut wie von England, daher hier das Drängen auf Abrüstung, daher die sogenannte Friedenskonferenz, Ich sage P tens Auch auf der ersten Friedenskonferenz wurde eLUORgERODen daß die Rüstungen nicht auf die Dauer so weiter gehen könnten. Und das Resultat ? Daß von 1900 bis 1907 die Militärausgaben der aht Großmächte, ein GUeLLE Fapans, um Milliarden ae sind. Am 30. April haben sämtlihe Redner mit dem Reichskanzler erklärt, daß man ih auf der Konferenz auf eine Debatte über die Abrüstung nicht einlassen werde. Es wurde die Befürhtung ausgesprochen, diese Debatte könnte den Frieden ören. Der Kanzler hielt es für klüger, ih an einer solchen Da nicht zu beteiligen. Troßdem hak sih der Freiherr von Marschall daran beteiligt , sogar die erste Geige gelpielt. Was hat diesen Umschwung herbeigeführt ? Jh will dem Freiherrn von Marschall keinen Vorwurf Baden, im Gegenteil, aber es ist doch auffällig, daß gerade das Gegenteil von dem geschehen ist, was früher für rihtig gehalten wurde. An einen solchen Zickzackkurs sind wir ja gewöhnt. Man hat eine Humanisierung des Krieges auf der Konferenz empfohlen, eigentli ein Widerspru in sich, ‘aber doch zu begrüßen. Während des Sommers waren so viele Fürsten- und lehr lere O wie nie zuvor. Die Herren sind so zusammengedujelt. Nach jeder Zusammenkunft hieß es: der Friede ist gesicherter wie je. Früher befürchtete man nah einer solhen Zusammenkunft einen Krieg. Ueber manhe Begegnungen hat die offizióse Presse sehr böse Urteile gefällt. Jch erinnere an die Zusammenkunft in Gaëta, an die Zusammenkunft des Königs von Gngland und des Königs von Spanien. Da hat die Kölnische Zeitung einen bemerkenswerten Artikel ge- braht: „Ohne Deutschland“. Man hat edo daß aus Windsor das Heil kommen würde, daß allerhand günstige Wirkungen für Deutsch- land si daraus ergeben würden. Es scheint nicht so. Jedenfalls hoffe ih, daß der Reichskanzler uns darüber Auskunft geen wird. Das Resultat der Haager Friedenskonferenz ist, bis auf die erwähnten Punkte, daß in dem Augenblick, als der Deutsche Kaiser und der englishe König sih trennten, von der englischen und amerikanischen Presse die Vermehrung ihrer Kriegsschiffe verkündigt wurde. An demselben Tage, als der Deutshe Kaiser von Windsor abreist, erscheint die deutshe Flottenvorlage. Die Friedenskonferenz ist weiter nihts als eine Komödie, um der Welt Sand in die Augen zu streuen. Nur \{chône Worte, denen keine Taten folgen; eines Tages kann jemand sagen: Lieber ein Ende mit Screcken als ein Schrecken ohne Ende. Wohin, glauben Sie, daß wir und andere Nationen kommen, wenn die Ausgaben so wahsen? Die „Times“ haben son die Konsequenzen unserer neuen Flotten- vorlage in Aussicht genommen. Situationen wie der englis. russische Vertrag sind unheimlich für uns. Die Beseßung von Kiautschou war ein gewaltiger Fehler, ohne sie wäre der Boxeraufstand nit ge- fommen ; unsere Schuld is es auch, daß infolge des cinesisch- japanishen Friedens\{lusses der russish - japanische Krieg ge- fommen ist. Wir haben alle Veranlassung, uns mehr um die auswärtige Politik zu kümmern. Wem foll die Flottenvermehrung gelten, was soll sie bedeuten? Der Flottenverein wünscht die Ver- mehrurg der Flotte aus Rücksiht auf England. Der Staatssekretär von Tirpiy hat gestern versucht, von dem Flottenverein etwas abzurücken. Aber zu dem Flottenverein gehören sehr hohe und reihe Leute. (Der Redner zitiert eine Broschüre des Admirals Galster und das Gedicht eines Kadetten, worin die Stelle vorkommt: Wir schießen für unseren Kaiser!) Das bekannte Wort des Kaisers, daß die Rekruten auch auf Vater und Mutter schießen müßten, ist vom Proletariat niht vergessen. Auf allen Seiten wird zum Kriege gegen England geheßt. Sogar ein Seekadett hat es in Versen getan. Was nun die innere Politik betrifft, so ist gestern von der Kamailla die Rede gewesen. Der Reichskanzler hat gestern bestritten, daß eine Kamarilla in Deutschland bestehe. Dazu hat er das gute Necht, wir aber haben das Recht, ihm zu sagen, daß seine Behauptung nicht richtig ist. Fürst Bismarck war es, der immer mehr sih über Opposition aus Kreisen beshwerte, die mit der Politik nichts zu tun hatten. Er hat eine hohe weiblihe Person genannt, die er als den Mittelpunkt der Hintertreppenpolitik anfah. Es wurde später eine andere sehr hohe Dame genannt. Fürst Bis- marck war es, der von den „Hintermännern“ tach, die den Kaiser beeinflußten. Diese Leute hatten eine gegenseitige Versicherung abge- {lossen und hatten immer die Meinung des regierenden Herrn; der Kaiser sah um 0 immer nur anbetende Gesihter. Das is doch also Kamarillahintertreppenpolitik; und wen beshuldigt er? Die Liebenberger, denselben Eulenburg, der jeßt endlich vor einigen Monaten abgesäat worden ist. Weiter wird in den Hohenlohe- Memoiren das Militärkabinett bezeihnet als an der Absägung Caprivis arbeitend, und wiederum steht der Fürst Eulenburg im Hintergrunde. Derselbe Eulenburg habe für Marschalls Ernennung zum Staatssekretär gewirkt; und als im Prozeß Ledkert - Lüßow Taush, der Vertrauensmann Gulenburgs, so \{chlecht abgeshnitten, da sollte Marschalls Nachfolger der egenwärtige Kanzler werden. Was sagt nun Harden darüber ? a, das mögen Sie niht hôren; wenn es Ihnen nicht paßt, gehen Sie hinaus! (Viepräsident Paa s che ersuht den Redner, allgemein zu sprehen.) Bülow befand sch sehr wohl in Rom und seine Frau Gemahlin au. Diefe reist nach Wien und beschwört Eulenburg; sie möhte von Rom niht weg; er sagt: Bernhard muß nach Berlin! So kam Bülow ins Auswärtige Amt. Ginige Jahre später schien es, daß die Liebenberger Bülow nicht mehr recht grün waren. Es wird auch behauptet, daß die unab- lässige Wühlarbeit nahe daran war, Erfolg zu haben, wobei Bülow die Verbindung mit dem Zentrum zum Vorwurfe gemacht wurde ; da erfolgte der Krieg mit dem Zentrum und die Auflösung des Reichstages. Das ift gestern bestritten worden. Die Verhältnisse, die nah den gestrigen Erklärungen des Kanzlers den Grund für die Auflöfung bildeten, waren vorher noch viel {limmer da; und das Zentrum hätte ganz gewiß, wenn man ihm Zeit ließ, zwischen zweiter und dritter Lesung eine Verständigung gesucht und gefunden. Der Guammen eon zwishen Dernburg und Roeren bedeutete auch nichts. as waren alles keine Gründe; fie mußten aber um jeden Preis geschaffen ‘werden; es waren allerlei neue Ein- rihtungen ¿u treffen, und da war denn der Streit um die paar Millionen genügend, um den Krieg vom Zaun zu brechen. Das eine steht fest, ein solher Zustand der Dinge in Deutschland ist außer- ordentlih beshämend. Eine folhe Hintertreppenwirtschaft i in einem parlamentarisch regierten Lande niht denkbar. Die Stellung des Reichskanzlers in Deutschland ist geradezu eine traurige, er weiß gar niht, ob er den nähsten Tag noch auf dem Stuhle sit; er muß die Augen hinten und vorne haben; er weiß ja gar nicht, wo überall er mit einer Vorlage Anstoß erregen fann. Und nun hat der Kaiser einem Interviewer erzählt, an der ganzen Geschihte sei kein wahres Wort. Daß folche Interviews überhaupt {tattfinden können, ist {hon sehr bedentlih. Ja, die hohen Herren, die da umsponnen waren, merkten gar nicht, daß fie E waren; fie hören ja, immer hat der Betreffende ret, er ist der alles Könnende, der alles Wissende, mit einem Wort der Allmächtige. Gs gibt sehr wenig Menschen, die dem widerstehen können, besonders die Selbstbewußten, die glauben, sie könnten und wüßten alles am besten. Die Dinge, die in breitester Weise im Prozeß Harden erörtert sind, sind hier im Reichs- tag nicht einmal etwas Neues. Ih habe s{chon 1897 aus- eführt, wenn alle diejenigen, die gegen § 175 verstoßen, Fi allein in Berlin, zur antworaung ge eaen werden sollten, reichten zwei neue Gefängnisse von der Größe Plögensecs niht aus. Darunter sind Personen, die den höhststehenden Kreisen der Gesell- haft angehören. Ich habe ferner gesagt, wenn die Polizei, die alle diese Dinge kennt, von ihrer Kenntnis Gebrauch machte und alle diese Feen zur Anklage brächte, so würde ein Skandal ausbrehen, gegen den der Panamaskandal, die Dreyfus- und die Tausch-Affäre ein Kinderspiel wären. Ih habe in der Kommisfion diese Dinge wiederholt. Die Kommission bels auf meinen An- irag, daß ein Polizeibeamter aus diesem Ressort darüber gehört

fähigkeit.

\cheidt-Hüllessem würde erscheinen, aber Graf kam. Ich habe meine Beschuldigungen wiederholt, ich habe gesagt, die Sache betrifft nicht nur Männer, sondern auch Damenkreise. Darauf erklärte Graf Püdler, daß er alles- bas bestätigen könnte. Der Abg. Kruse sagte: Kollege Bebel hat nicht übertrieben, er hat zu wenig gesagt. Wie man angesichts dieser Dinge noch streiten kann, ist mir unerfindlih. Man wehrt sh gegen die Behauptung, daß ganze Kavallerieregimenter verseucht seien. Warum hat man ‘denn in Potsdam den Befehl erlassen, daß die Mannschaften nicht mehr in weißen Lederhosen und hohen Stiefeln ausgehen dürfen ?

mich hat der Prozeß den Beweis erbracht, und id habe mit Schrecken

werden üese ob ih übertriebe oder niht. Ih Poft von Meer- er

diese Subjekte, die sich als männliche rostituierte verkaufen, nicht etwa die Polizei fürchten, sondern die olizei fürchtet diese Subjekte. So weit ist es bei uns gekommen! Der An find alle Namen bekannt. Eine ganze Menge Unglüds- fälle sind dur diese Dinge verursacht, eine ganze Reihe von Offizieren ist in den Tod gegangen, um von den Erprefsungen erlöst zu werden. Nur dadur, daß nichts vertusht wird, kann eine Besserurg eintreten. Aber die Polizei fürchtet, daß diese Subjekte die Namen ausschreien von N Herren, von ale aus regierenden Häusern. Viele von diesen nd geradezu von Verachtung gegen die großen Massen erfüllt und be- trachten das Volk nur als für thre Zwecke vorhanden. Wie muß also eine solhe Aufdeckung gerade, auf die großen Massen wirken! Der Reichekanzler sollte sich einmal die sachkundigen Personen der P kommen lassen, von Tresckow und andere, und fie be- ragen. Er hat in seinem eigenen Prozeß erklärt, daß ihm manches zu Ohren gekommen sei, von dem Fürsten Eulenburg a erdings nichts, aber es ist doch von einer ganzen Reihe anderer Herren gesprochen, von Lynar und Hohenau. Daß gegen diese etwas vorlag nach der Richtung hin, konnte dem Kanzler nit unbekannt sein, denn diese Herren sind ja auf Grund von solhen Beschuldigungen entlaffen worden, allerdings mit Pension. Keine Anklage auf Grund des §175, nicht einmal ein Ehrengeriht! Der § 175 in seiner heutigen Gestalt ist unhaltbar, aber man sollte endli einmal hier gründlich aufräumen, mit glühendem Eisen ausbrennen und jeden, der ih \chuldig macht, ver- folgen. (Der Redner wird im Laufe seiner Ausführungen wiederholt unter- brohen, was dem Vizepräsidenten Paa\ ch e Veranlassung gibt, mehrmals um Ruhe und Unterlassung von Störungen zu bitten.) Während man vergeblich den § 175 zu beseitigen sucht, bleibt § 836 (Vorbereitung zum Hochverrat) eine der festesten Stützen des Deutschen Reichs. Es handelt ih hier niht um Taten, sondern um Met- nungen. Er hat einen Tendenzprozeß zur Folge gehabt gegen den Genossen Liebkneht wegen seiner bekannten Broschüre. Der Prozeß Liebkneht war der Prozeß des Allerhöchsten Kriegsherrn. Der Ober- reih8anwalt soll sich geweigert haben, die Klage zu erheben, und es heißt, die Anklage sei im Kriegsministerium ausgearbeitet. Der Reichsanwalt hat gegen seine Ueberzeugung die Anklage erhoben. (BVizepräsident Dr. Paasche: Ich bitte, einem hohen Beamten nit einen solchen Vorwurf zu machen!) Ich klage ihn ja nicht an, ich entshuldige ihn; er mußte die Anklage erheben. Mit dem- selben NReht wie den Genossen Liebkneht könnte man jeden Oppositionsmann wegen Vorbereitung zum Hochverrat mit 14 Fahren Festung bestrafen. Gegen diese Entscheidung gibt es keine erufungsinstanz, die sonst einem {weren Verbrecher offenfteht. In Fragen des § 86 gibt es nur eine Instanz; der Verurteilte kann gegen die Entscheidung nihts machen, auch wenn es ein Febliprus auch nach der Meinung vieler Juristen ist. Ein solher Fehlspruh stellt die Juristen bloß. Diesem ungeheuerlihen Zustand müssen wir ein Ende machen. Drei Monate hat es gedauert, bis L‘ebkneht über- haupt das \riftlihe;Urteil erhielt. Der Geheime Kriegsrat Romen hat die Anklage gemaht. Sein Bruder ist zu einem Jahr Gefängnis wegen Verleumdung verurteilt worden; feine Strafe wurde in Festung verwandelt; noch heute läuft er frei herum. Liebknecht mußte sofort seine Festungsstrafe antreten. Ich komme nun zur Sozial- politik. Graf Posadowsky wurde gestürzt, weil er ein selbständiges Urteil in bezug auf Sozialpolitik hatte, und die Scharfmacher ibn nicht wollten, nahdem er seine Meinung geändert haite. Man bezeichnete ibn als Werkzeug der Sozialdemokratie, obgleih wir ihn bekämpften. Wäre er ein freier Mann gewesen, so wäre er aller- dings wohl weiter gegangen. Wie lange der Minister von Bethmann den Herren da oben genehm sein wird, bleibt abzuwarten. Der Zentral- verband der deutshen Industriellen hat ja auch den Minister von Berlepsh gestürzt. Als ih einmal Boetticher fragte : was find Sie denn anders als der Verwaltungsausshuß der herrschenden Klasse, da sagte er mir leise: Sehr richtig! Eine Hand wäscht die andere. Der Minister von Breitenbach hat dafür gesorgt, daß bei den staat- lihen Betrieben fremde Arbeiter verwendet werden, um den Herren efällig zu sein. Auch sonst werden Uy und Niedere mit ver- chiedenem Maß gemessen. Ich brauche bloß an die Haftpflicht über Automobilunfälle zu erinnern. Diese Rechtsunsicherheit für die unteren Klassen muß Unwillen erregen. Führen Sie Ihr Programm nit durch, so arbeiten Sie für uns.

Preußischer Kriegsminister , von Einem:

Meine Herren! Ich möchte zunähft mit wenigen Worten dem Herrn Abg. Bebel entschieden darin widersprechen, daß der Wirkliche Geheime Kriegsrat Nomen meines Ministeriums die Klageschrift gegen Liebknecht angefertigt hätte. Der Herr Abg. Bebel ist in dieser Beziehung fals berihtet. Es ist nicht wahr! Herr Romen hat mit dieser Angelegenheit nicht das geringste zu tun.

Sodann, meine Herren, muß ih in einem anderen Punkte dem Herrn Abg. Bebel recht geben. Das Uebel, von dem er gesprochen hat, ist allerdings in den leßten Jahrzehnten in Berlin erheblich ge- wachsen. Darauf hat \sich au das bezogen, was Herr Harden in seinem Prozeß gésagt hat, daß ganze Regimenter verseucht wären. Es mag darin eine mehr oder weniger große Uebertreibung liegen ; aber die Tatsache steht allerdings fest, daß unsere Soldaten #ch nur mit Mühe der Angriffe erwehren, die von den Buben aus Zivilkreisen auf sie gemacht werden. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ih habe bisher niemals etwas über diese Dinge gelesen. Sie waren mir fremd, und sie waren mir ekelhaft, ih habe aber Ver- anlassung genommen, jeyt einiges über diese Frage in Broschüren und wissenschaftlihen Schriften zu lesen, und daraus geht denn allerdings hervor, daß die Männer, die mit diefer Leidenschaft behaftet sind, sch diejenigen Männer aussuchen, die ihnen die starken, die vollklommenen an Manneskraft erscheinen, ¿. B. sollen Lastträger, Rollkutscher, Bierkutsher ganz besonders Objekte threr Lust sein, und einer der berühmtesten Lehrer in dieser wissenschaftlich“ medizinischen Frage, Herr Dr. Moll, hat geschrieben, daß diesen Leuten in dem Soldaten, in der Uniform gewissermaßen die Tapferkeit, die Kraft entgegentreten, und die gerade suchen fle.

Nun, meine Herren, gegen dieses Uebel kämpfen die Regimenter seit langer Zeit und es ist nit wahr, wenn gesagt wird, daß erst in der letzten Zeit, nachdem diese unglücklichen Verhältnisse im Moltke- Harden-Prozeß zur Sprahe gekommen wären, hier eingeseßt worden wäre. Der Befehl, daß Kürassiere in der bekannten Tracht mit dem Waffenrock, weißen Hosen und langen Stiefeln in der Dunkelheit niht ausgehen “dürfen, datiert niht von einigen Wochen, t datiert s{chon vor langer Zeit. (Hört, hört! bei den Sojzial- demokraten.) Er war nötig, um die Leute vor den Angriffen der pervers veranlagten Teile des Zivilpublikums zu shühen-

(Fortseßung in der Zweiten Beilage.)

esehen, daß diese Dinge seitdem gewaltig s{limmer geworden sind; ; nd so \{limm, da

General der Kavallerie

\

(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)

Meine Herren, für diese Sachen trifft niht die Armee die Schuld, die Schuld liegt ganz wo anders (Sehr rihtig! rechts), und ih von meinem Standpunkt aus könnte nur den Wunsch hegen, daß hier, wenn es irgend möglih wäre, mit eisernem Besen ausgekehrt würde. (Bravo! rets.)

Meine Herren, ich fürhte mich vor keinem Skandal, auh vor feinem Skandal, der etwa die Armee berühren könnte; denn wenn sich in der Armee derartige Leute finden, dann müssen ste heraus! (Lebs- hafte Zustimmung rets.)

Meine Herren, ih komme nun nach diesen kurzen Worten, denen i nur noch hinzufügen möchte, daß ih mi gefreut habe, daß der Herr Abg. Bebel diese leidige Frage in einer so ruhigen und sachlichen Meise behandelt hat (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten), zu demjenigen, was ich über den Moltke-Harden-Prozeß zu sagen habe. Meine Herren, ich werde hier in aller Freimütigkeit, sowie ih die Dinge weiß, wie ih sie durch Nachfragen ermittelt habe und wie ih sie aus persönliher Erfahrung kenne, Ihnen vortragen.

Meine Herren, es muß zunächst festgestellt werden, daß von den Vorgängen in der sogenannten Adlerpilla, die übrigens gar nicht die Adlervilla ist, sondern sie liegt daneben, vor dem Moltke-Harden-Prozeß weder in Kameradenkreisen noch in Vorgeseßtenkreisen jeßt oder früher jemals etwas bekannt geworden ist.

Meine Herren, ih \preche hon jeßt, obgleich die Untersuhung, auf die ich noch kommen werde, noch nicht abgeschlossen ist, die sichere Behauptung aus, daß in dieser Villa sich nur einzelne Fälle ak- gespielt haben können. Es ist unmögli, daß dort ein Treiben hat statlfinden können, wie es zum Teil geschildert ist, und wo an- genommen ift, als ob diese Villa ein Freudenhaus wäre; denn ein solhes Treiben hätte niemals, weder der Polizei, noch der Frau des Hauses, noh den Dienstboten jemals verheimliht werden können, es hätte auch unmögli den Kameraden entgehen können, das ist ganz ausgeschlofsen. Und wenn es überhaupt stattgefunden hat, fo kann es #ch nur auf wenige Einzelfälle beschränken.

Erst in der Verhandlung über den Moltke-Harden-Prozeß ist dur die Aussage des Zeugen Bollhardt dieses bekannt geworden. Bis dahin hat kein Mens eine Ahnung davon gehabt. Nur die Be- teiligten sind Wissende gewesen, und diese haben ihre Wissenschaft mit Aengstlichkeit gehütet. Wer die Beteiligten gewesen sind, das, meine Herren, steht auch heute noch nit fest. Der Bollhardt hat den Grafen Lynar und den Grafen Hohenau genannt. Es ist möôg- lih, daß sie shuldig sind; erwiesen ist noch nichts. Er hat noch ¿wei andere Leute genannt. Er hat gezeigt auf den Fürsten Eulenburg und auf den Grafen Moltke. Es steht unzweifelhaft fest, daß diese beiden Männer niemals in der Villa gewesen sind. (Hört, hört ! rets.) Es läßt ich ferner {hon jeßt feststellen, daß die beiden Herren, die der Mann dort gesehen haben will, unter keinen Um- ständen Offiziere des Regiments der Gardes du Corps gewesen sein können; denn der dort dienende Mann, der dem Regiment angehörte, hâtte sie unzweifelhaft kennen müssen.

Wenn man daran festhält, daß über diese Dinge nihts bekannt geworden is, dann wird man das Handeln der Kommandobehörde bei der Zurdispositionstellung des Grafen Hohenau und bei der Ver- abs{hiedung des Grafen Lynar verstehen. Beides hat nichts mitein- ander zu tun, und keins von beiden steht in irgend einem Zufammen- hang mit den Orgien, die in der Villa gefeiert sein follen.

Meine Herren, die Kenntnis der angeblichen Vorgänge durch den Moltke-Harden-Prozeß hat Veranlassung gegeben, sofort eine kriegs- geritlihe Untersuhung einzuleiten gegen den Grafen Hohenau und den Grafen Lynar. Der Graf Hohenau is zur Disposition gestellt, er untersteht den Militärgerihten. Der Graf Lynar ist verabschiedet, aber sein Vergehen is im Dienste begangen, und er steht daher auf Grund des § 10 der Militärstrafgerihts- ordnung au heute noch unter den Militärgeseßen. Ih hoffe, in Nück- iht auf diese beide Herren selbst sowie auf ihre Familien, und ih hoffe zur Ehre der Armee, daß sie beide ersheinen und \ih stellen werden, und daß sie das büßen, was sie der Armee Bôöses getan haben, und was sie selber angerichtet haben, wenn sie es getan haben! Bis jeßt, meine Herren, wenn ih das kurz erwähnen darf, hat die Vor- untersuchung weiter nihts ergeben als Gerüchte, die niht bewiefen sind, der einzige Zeuge, der einzige Belastungszeuge ist Bollhardt. Niemand sonst weiß von diesen Dingen, die Bollhardt bekannt hat.

Nun, meine Herren, es is in den Blättern die Rede davon gewesen, es sei eine ehrengerihtliche Untersuhung eingeleitet. Das konnte nicht sein, denn der Zeuge hat die beiden genannten Herren eines Vergehens beschuldigt, das rah § 175 N.-Str.-G.-B. strafbar ist, Es muß dies Vergehen auf Grund des Strafgeseßbus bestraft werden, das Ehrengeriht wird folgen.

Meine Herren, die Verabschiedung des Grafen Lynar hat also ih wiederhole es mit seiner Beteiligung an Vorgängen in der bekannten Villa, die der Bollhardt auch jeßt in seinen Aussagen, wie ih hôre, auf die Jahre 1895 und 1896 verlegt hat, nichts zu tun. Das Vergehen, dessentwegen er verabschiedet ist, ift das gewesen, daß er einen Burschen unzüchtig berührt hat. Er hat nichts weiter getan, als ihn anzufassen. JIch bitte Sie, dieses „nihts weiter“ auf- fassen als den Gegensay zu dem, daß bisher viel Schlimmeres angenommen ist. Der Bursche hat am nächsten Tage die Sache sofort gemeldet, der Wachtmeister hat es unverzüglih weitergegeben. Vor den Regimentskommandeur geführt, hat Graf Lynar zugegeben, den Burschen angefaßt zu haben. Auf die Bitte des Burschen : „mih rit berühren“, ist nihts weiter erfolgt, kein Zwang, kein Mißbrauch der Dienstgewalt. Von dem § 175 des Allgemeinen Strafgeseßbuchs und vom § 114 des Militärstrafgeseßbuhs kann nicht die Rede sein. Meine Herren, der Kommandeur hat die Dienstausfassung gehabt, auf die Bejahung seiner Frage dem Major zu sagen: du hast dich un- würdig gema@t, der Armee anzugehören, reiche sofort deinen Abschied tin! Der Kommandeur hat seinen Vorgeseßten Meldung davon ge-

Zweite Beilage

macht, das ordnungsmäßig vorgelegte Abschiedsgesuh ist von Seiner Majestät genehmigt worden. Da ein Grund vorlag, dem Major die Dienstunfähigkeit bescheinigen zu können, ist die Verabschiedung mit Pension erfolgt.

Meine Herren, in der Erregtheit der Stunde, in der Erregtheit der Zeit sollte man nicht vergessen, daß diejen Vergehen eine mehr als 2% jährige gute und, wie man bis dahin geglaubt hat, untadlige Diensizeit gegenübersteht. Nun, meine Herren, die Untersuhung, die, wie ih {on sagte, eingeleitet ist, wird ja lehren, ob von irgend einer Stelle au gegen § 147 des Militärstrafgeseßbuchßs gefehlt worden ist. Ist das der Fall, dann wird das Weitere {ih ergeben.

Meine Herren, ich komme nun zu den Verfehlungen, die si der Graf Moltke, bezw. Graf Hohenau haben zu shulden kommen lassen sollen. Die Kenntnis davon is zurückzuführen auf Artikel der „Zu- kunft". Wer diese Artikel liest, gewinnt ohne weiteres die Ansicht, daß sie offensihtlih den Fürsten Eulenburg beshuldigen, direkt oder indirekt, ofen oder mit verblümten Worten, sich homosexuell be- tätigt zu haben oder doch eine Neigung dazu zu haben. Dieses, meine Herren, hat mihch, hat den Kommandanten des - Hauptquartiers, hat den - Chef des Militärkabinetts veranlaßt, an maßgebender Stelle nahzufragen, ob irgend etwas gegen den Fürsten bekannt wäre, sodaß man darauf hin in der Lage wäre, Seiner Majestät darüber eine Meldung zu erstatten. Die Antwort, meine Herren, is durhaus negativ ausgefallen, sie besagte : es liegt nihts vor, ‘es sind gar keine Beweise da, und es ift ausges{lofsen, über diesen Fall irgend wie Seiner Majestät Mitteilung zu machen. Neben Fürst Eulenburg wurden unter anderem auch Offiziere in dem Artikel genannt. Jn dem Artikel vom 17. November heißt es:

Fürst Eulenburg hat für alle seine Freunde gesorgt, ein Moltke ist Generalstabshef, ein anderer, der ihm noch näher fteht, Kom- mandant von Berlin.

Dann kommen einige nach meiner Meinung unverfängliche Mit- teilungen über musikalische, politische , spiritistishe Veranlagungen, freundschaftlihen Verkehr usw. Meine Herren, das steht fest, daß der Fürst Eulenburg mit der Besetzung der beiden genannten Stellen dur die beiden Moltke gerade so viel zu tun hat, wie Herr Harden, das heißt gar nihts, und der ganze Artikel gab keine Veranlassung, Seine Majestät damit bekannt zu mahen. Dann ist der nachträglih berühmt gewordene Artikel mit dem Nachtgespräh zwishen dem Harfner und dem Süßen gekommen. Ih lese hin und wieder die „Zukunft“, aber die Artikel, die bezeihnet sind: „Gespräch zwischen dem Harfner und Süßen“ habe ich nit gelesen, dazu habe ich auch gar keine Veranlassung gehabt, denn ih hatte keine Ahnung, wer damit gemeint sein könnte. Es folgen die Artikel vom 8. Dezember 1906 und 30. März 1907, die wohl direkte Beleidigungen oder den Vorwurf verwerflichen Tuns kaum enthalten haben, ih brauche sie wohl nicht vorzulesen, bis endlich der Artikel vom 13. April 1907 er- hien: „Blik auf die Tafelrunde: Philipp Eulenburg, Lecomte, Kuno Moltke, Hohenau, des Kanzlers Ziviladiutant von Below, die träumen nicht von Weltbränden, die haben es hon warm genug“, der meiner Meinung nach eine direkte Beleidigung enthielt. Der Name des Grafen Hohenau, möchte ih bemerken, ist hier in all den Artikeln zum ersten Male genannt. Der Artikel liest fich ganz harm- los, aber die Technik der Sprache hat doch einen Begriff geschaffen, der hier angewandt wird und nah meiner Meinung {wer beleidigend ist. In späteren Artikeln, im Prozeß, in seinen neuesten Artikeln hat Herr Harden ausdrücklih gesagt, es wäre ihm nicht in den Sinn ge- kommen, etwas derartiges, als wie es vielfa in der Oeffentlich- keit aufgefaßt ist, \chreiben zu wollen, es hätte ihm ganz fern gelegen, die Offiziere in dieser Weise beleidigen zu wollen. Ich be- dauere, daß Herr Harden das nicht gleich gesagt hat (Sehr rihtig! rechts), als er merkte, daß es in der Tat öffentlih vielfa mißverstanden worden ist; dann wäre uns vieles erspart geblieben! Denn nit allein die fonstigen Behauptungen, sondern gerade diese sind ja mit die Ursache gewesen von allem, was gekommen ist.

Meine Herren, Seine Majestät der Kaiser hat Sih damals, wie dieser Artikel kam, mit Seiner Umgebung in Homburg aufgehalten. Dort ist der Artikel hingeshickt und ist gegen Ende des Monats April dort bekannt geworden. Der Kommandant des Hauptquartiers, der gestern ja hier auch mit in die Debatte gezogen wurde, und der Chef des Militärkabinetts haben si beide überlegt, daß nunmehr Seiner Majestät von diesem Artikel Mitteilung gemaht werden müsse. Sie find aber übereingekommen, das nicht eher zu tun, als bis mit den beiden betroffenen Offizieren bei der Rückkehr in Berlin gesprochen wäre. Die Rückehr nah Berlin ist am 30. April oder am 1. Mai Morgens erfolgt. Am 1. Mai Morgens hat die Unterredung des Generals von Plessen mit den beiden Offizieren stattgefunden. Graf Hohenau hat gesagt, daß er es erwartet hätte, daß fein Vorgeseßter ihn wegen derartiger Behauptungen in Schuß nehme; er hat fih solidarisch erklärt mit dem älteren General, dem Grafen Moltke, er würde sch dem anschließen. Der Graf Moltke hat jeglihe homosexuelle Betätigung oder auch nur Neigung weit von sich gewiesen. Aber, meine Herren, diese beiden Offiziere waren Generale à la suits Seiner Majestät, gehörten zur näheren Umgebung des Kaisers, und da erschien es besser, daß, da beiden derartige Dinge nahgesagt waren, da außerdem gesagt war, sie hätten Hintertreppenpolitik versuht, fie aus diesem Verhältnis aus- chieden. Das ist der Grund gewesen, warum nicht glei, sondern später, als der Prozeß mit Harden kommen mußte, Seine Majestät auf die am 3. Mai eingereichten Abschied8gesuche eingegangen ist. Um sie von seiner Person zu trennen, um sie vom Hofe freizumachen, um, wie der Graf Moltke im Prozeß gesagt hat, ihm Freiheit zu geben, seine Sache zu vertreten, hat Seine Majestät eingewilligt, sie mit Penfion zur Disposition zu stellen, in dem Gedanken, sie, wenn fie ch gereinigt hätten, wieder anzustellen.

Meine Herren, ih will hier die Frage streifen, die aufgeworfen werden könnte, warum nun, nahdem der General Hohenau nicht geklagt hat und niht gegen Harden vorgegangen ist —, warum nun

I zum Deutschen Reihsanzeiger und Königlih Preußischen Staatsanzeiger.

Berlin, Sonnabend, den 30. November

1907.

nicht gegen ihn das ehrengerihtliche Verfahren eröffnet ist, Das hat Seine Majestät niht getan, weil Er den Prozeß abwarten wollte ; Er wollte sehen, was aus diesem Prozeß würde. Die ehrengerihtliche Untersuchung läuft nit fort, meine Herren !

Der Graf Hohenau ist also mit Pension zur Disposition gestellt worden, ehe man wußte, daß ein Vergehen derart, wie das, dessen er jeßt bezihtigt wird, vorliegt. Man hat die Anschuldigung in der „Zukunft“ nicht als eine Klage angesehen, . man hat sie angesehen als eine Beleidigung. Es wäre eine verkehrte Welt, wenn in irgend einem &Fournal derartige Dinge behauptet werden, den Betreffenden sofort vor Geriht zu ziehen. (Sehr rihtig! rechts). Es handelt sich zuerst darum, daß die Beleidigung klargestellt, wettgemaht wird ; dann kann man weiter sehen. Graf Hohenau ist mit Pension zur Disposition gestellt worden, vollständig geseßlich und rihtig. Wenn Sie es ver- meiden wollen, daß unter allen Umständen, nahdem die Pensions- bewilligung erfolgt ist, niht einem Offizier nahgesagt wird, er habe zu Unrecht seine Pensicn bekommen, dann müssen Sie so vorsichtig sein, ihm vielleiht ers nach 20 Jahren die Pension zu geben, noch besser vielleiht nah dem Tode, nahdem festgestellt is, daß gar nichts vorgekommen ist. (Bewegung links.)

Nachdem dieser Artikel, von dem ih gesprohen habe, im April erschienen war, habe ih persönli mich wieder an die maßgebende Stelle gewandt, ob gegen den Grafen Hohenau etwas vorläge. Es ist erwidert, es wäre vor vielen, vielen Jahren ein Verdacht gegen ihn gewesen, aber er stände vollständig rein da. Das ist die Er- widerung, die ih bekommen habe, es läge nichts gegen ihn vor. (Bewegung.)

Nach dem Prozeß hat ein jeder die Vergehungen natürli längst gckannt. Es ging wie nah jeder ersten großen Waffenentscheidung; da hat jeder gewußt, wie es kommen würde. Derjenige, der siegt, hat genau gewußt: natürli, wir mußten siegen und wer geschlagen wurde, da wußte naher das ganze Volk, daß etwas faul war, und es wird „Verrat“ geschrien. Das haben wir überall erlebt. Wenn es wahr ift, daß überall über diese Dinge gesprohen wurde, dann ist wieder einmal das richtig, daß eine Menge Menschen die Ehre ihrer Mitmenschen durch die Zähne gezogen haben, ohne irgend welche Beweise dafür zu haben. (Sehr richtig! rechts.) Bei mir ist z. B. ein Richter gewesen und hat mir gesagt: ih fönnte Ihnen etwas erzählen. Ih habe ihm geantwortet: tun Sie das und Sie sind sicher, es wird zugegriffen. Er hat mir erwidert: ich will es lieber niht tun, ih habe gar keine Beweise. Damit kann man nihts machen. Ih könnte Ihnen eine Menge Sachen erzählen, - z3. B. daß in bestimmten Kreisen über diese Dinge gesprochen wurde. Ein Mann if aufgetreten und hat gesagt : Meine Herren, der Graf Hohenau is mein Freund, jeßt heraus mit den Beweisen, oder hören Sie auf, davon zu \prehen! Sofort ist Stille eingetreten, und kein Mensch hat irgend etwas beweisen können.

JIch und andere sind ja nun au als die wahren Schuldigen be- zeichnet worden, da wir von dem, wäs wir hätten wissen müssen, geschwiegen hätten, Ih sehe darin einfah eine niederträhtige Be- hauptung, die Pflichtvergessenheit und Feigheit zur Vorausfeßung hat und beides habe ih mir im Leben nicht zuschulden kommen lassen. Ich muß es ablehnen, meine Kenntnisse aus den Berliner Kneipen zu holen; ich muß es ablehnen, auf Gerüchte, auf Getratsch, auf NRaunen, auf Geschichtenerzählen irgend etwas zu geben, aber das versichere ih Sie: ih habe noch niemals ver- sagt, wenn jemand zu mir gekommen is und mir Mitteilung gemacht hat: das und das liegt vor, da mußt du gegen vorgehen. Ich habe stets sofort eingegriffen! Das war regelmäßig der Fall und wird regelmäßig der Fall sein. (Bravo!)

Wenn nun gesagt ist: alle Welt hat es gewußt —, \o ist das doch wohl nit rihtig. Ich kann mich hier beziehen auf die hier zur Stelle befindlihen Departementsdirektoren, von denen zwei hier in Berlin jahrelang an Stellen gestanden haben, wo die Fäden des militärishen Lebens zusammenlaufen; fie haben nihts von allen diesen Sawen, von diesen Gerüchten über die beiden Männer gekannt. Ich fann mi berufen auf den Chef des Generalstabes der Armee, der lange Zeit in Potsdam gewesen ist und mir versichert hat, es wäre nihts, auch nit das geringste von diefen Sachen ihm zu Ohren ge- kommen. Jh kann mich beziehen auf meine beiden Adjutanten, jüngere Offiziere, die ihre Dienstzeit in Potsdam verlebt haben, mit denen ih eingehend über die Sache noch heute morgen gesprochen habe, und die mir gesagt haben : nihts derartiges is überhaupt jemals an uns beran- getreten, wir haben au nie etwas darüber flüftern hören. So steht die Sache, von der es heißt, überall war sie bekannt, die Spaßen haben es von den Dächern gepfiffen. Meine Herren, ih muß fagen, es wäre do geradezu blödsinnig, wenn der Chef des Militärkabinetts einen Mann in die Nähe Seiner Majestät brächte, von dem er wüßte, daß er solhe Neigungen hätte und \sih dieser Neigung entsprehend be- tätigte; er würde sich zum Verbreher an Seiner Majestät machen. Ic sage, nur ein Kranker, ein Verrückter würde fo handeln können.

Fch muß also die Annahme, daß irgend einer von uns Kenntnis von diesen Dingen gehabt hätte, auf das entshiedenste zurückweisen.

Nun, meine Herren, es ist dann während des Prozesses immer wieder an den Grafen Moltke die Frage gerihtet worden: ja, mein Gott, du mußt die Neigung des Grafen Hohenau do kennen, du bist doch immer mit ihm zusammen gewesen. Das ist, als ob die Herren das ausplauderten, wenn sie diefe Neigung haben, oder als ob sie diese Neigung an der Stirn trügen. Es gibt ja kluge Leute, die behaupten, sie könnten einem das gleih ansehen. (Heiterkeit.)

Jedenfalls haben aber zu diesen klugen Leuten eine Menge Menschen nit gehört, auch Aerzte. Ich habe noch als Minister die Ehre gehabt, den langjährigen Leibarzt Seiner Majestät des Kaisers, den Generalarzt Dr. von Leuthold als Generalstabsarzt bei mir zu sehen. Er hat mit mir über viele Dinge gesprochen, er war ein sehr fluger Mann und kannte die Umgebung Seiner Majestät ganz genau; er war auch fskeptisch in maachen Dingen; aber daß er in der heute verhandelten Richtung irgend einen Verdaht auf einen