1887 / 288 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 08 Dec 1887 18:00:01 GMT) scan diff

120 316, mit anders aufbewahrter mtf mphe 99 178, end- lih mit niht näher bezeihneter Lymphe 1 ; 3

Zur Wiederimpfung waren 1119351 Schulkinder vorzustellen, von denen 629 wegen überstandener natürlicher Blattern, 11 195 wegen schon vollzogener erfolgreiher Wieder- impfung befreit blieben. Von den hiernah der Wiederimpfung unterliegenden Schulkindern wurden 942 205 = 85,07 (gegen 84,67 im Vorjahre) auf je 100 Jmpfpflichtige oder 88,42 (88,14) auf je 100 Wiedergeimpfte mit Erfolg geimpft, 117 774 oder 10,63 (10,82) auf je 100 Jmpfpflihtige ohne Erfolg, 5615 mit unbekanntem Erfolge. Ungeimpft blieben 41 853 Kinder = 3,78 (3,93) Proz., nämlih 14300 auf Grund ärzt- licher Zeugnisse vorläufig zurückgestellte, 9398 wegen Auf- hörens des Besuches einer die Jmpfpflihht bedingenden Lehr- anstalt, 3522, weil nicht aufzufinden oder ortsabwesend, 14633, weil vorschriftswidrig der Jmpfung entzogen. Die

ahl der vorschriftswidrig der Jmpfung entzogenen Kinder im Berichtsjahre 1,32 Proz. der impfpflihtigen Schulkinder) ist seit 1879 (1,99 Proz.) stetig geringer geworden. Von den wiedergeimpften Schulkindern wurden 872 802 (81,91 Proz. sämmtliher Wiederimpflinge gegen 89,29 im Vorjahre) mit Menshhenlymphe geimpft, 188996 (17,74 gegen 10,36) mit Thierlymphe, davon 19247 unmittelbar vom Thiere, 89 820 mit Glycerin - Acne, 79 929 - mit anders aufbewahrter Thierlymphe, endlih 3796 mit nicht näher bezeihneter Lymphe.

Das öffentlihe Impfgeschäft wurde im Allgemeinen im Monat Mai begonnen und bis September bezw. Oktober zu Ende geführt. Die zu den öffentlichen Jmpfungen erforderliche Lymphe wurde zum größten Theile aus den staatlichen An- stalten bezogen, und zwar sowohl in der Form von Menschen- wie von Thierlymphe. Außer den Staatsanstalten beschästigen sih auch viele Privatpersonen, Aerzte und Apotheker, mit dem Vertrieb von Lymphe, besonders Thierlymphe Die mit Thier- lymphe erzielten Erfolge sind außerordentlich ungleich gewesen. Dementsprechend lauten denn auch die Urtheile über die Durch- führbarkeit der allgemeinen Jmpfung mit Thierlymphe in den Berichten sehr verschieden. Die Thierlymphe kam zur Ver- wendung 1) direkt vom Thier, 2) als Glycerinlymphe, in flüssiger oder Emulsionsform, 3) als sogenannte ZJmpfpaste, 4) als Trockenpulver oder an Stäbchen bezw. zwischen Glas- platten eingetrocknet. :

Stärkere Entzündungen in der Umgebung der Jmpf- pusteln sind nicht selten beobachtet worden, ohne daß diejelben indeß eine dauernde Gesundheits\hädigung oder gar einen tödtlihen Ausgang E hätten. Anschwellung und Entzündung der benahbarten Lymphdrüsen und Lymphgefäße sind in den meisten Staaten nur in geringer Zahl zur Beob- ahtung gekommen, ebenso Entzündung und Eiterung des Unterhautzellgewebes, welche übrigens nirgends einen üblen Ausgang genommen haben. Rothlauf hat 8 Todesfälle herbeigeführt, je 2 in Preußen und Baden, je 1 in Sachsen, Württemberg, Sachsen- Altenburg, Schwarzburg-Rudolsiadt. Außerdem führte Verschwärung oder brandige Beschaffenheit der Impfpusteln in 6 Fällen (2 in Preußen, 3 in Sachsen, 1 in Hessen) zum Tode, Blutvergiftung 2 Mal (je 1 Mal in den Regierungsbezirken Magdeburg und Merseburg), akute und chronische Hautausschläge 1 Mal; eine Uebertragung von Syphilis durch die Impfung wurde nirgends beobachtet.

Die Säuglingssterblichkeit im Deutschen Reich während der Jahre 1875 bis 1877.

Von Dr. Arthur Würzburg.

(Arbeiten aus dem Kaiserlihen Gesundheitsamt. Bd. II. Heft 3/5.)

Der vorliegende zweite Theil der Arbeit behandelt oor- nehmlich die Sterblichkeit der Säuglinge nach ihrer ehelichen und außerehelihen Abkunft, E nach Stadt- und Land- gemeinden; ferner den Ablauf der Säuglingssterblichkeit in den einzelnen Abschnitten des ersten Lebensjahres, sowie die Todt- und die Lebendgeburten. j l

Die Sterblichkeit der chelih geborenen Säuglinge (22,02 auf je 100 ehelih Lebendgeborene) zeigt sowohl ihrer Höhe nach, als in ihrer staatlichen Vertheilung nahezu vollkommene Uebereinstimmung mit derjenigen aller Säuglinge (23,23 auf je 100 Lebendgeborene), während die Sterblichkeit der außer- ehelichen Säuglinge (36,03 auf je 100 außerehelih Lebend- geborene) nicht unwesentliche Abweichungen aufweist. Das Maximum der leßteren wurde in Sachsen - Altenburg mit 4127 Proz. erreiht. Zu ähnlihem Ergebniß gelangt man bei Betrahtung der Säuglingssterblihkeit in den preu- ßishen Regierungsbezirken und in den entsprehenden Ver- waltungsbezirfen der anderen Staaten. Bezirke mit geringer Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge gab es nur wenige, nämlich solhe mit weniger als 15,00 Proz.: 1 gegen 11 mit einer derartigen Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge, solhe mit weniger als 20,00 Proz.: 3 gegen 38. in- gegen besaßen 45 Bezirke eine Sterblichkeit der außer- ehelihen Säuglinge von mehr als 30,00 Proz. gegen 7 bei den ehelichen, darunter 10 mit einer Sterblichkeit von mehr als 40,00 und 3 (Oberbayern, Schwaben, Berlin) mit einer solchen von mehr als 45,00 Proz. ; diese beiden lezteren Grade wurden von den ehelichen Säuglingen überhaupt nicht erreicht. Untex Berücksichtigung der einshlägigen Verhältnisse in den einzelnen Kreisen 2c. machen sih Ne in erhöhtem Maße geltend. Gleihwohl zeigt das Beispiel von 20 Kreisen, in alen die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge von derjenigen der ehelihen, wenn meistens auch nur um ein Geringes, überragt wird, daß die außereheliche Abkunft an sich noch niht nothwendig eine ungünstige Prognose für die Lebens- dauer, wenigstens innerhalb des besonders gefährlichen ersten Jahres, bedingt. A

Eine vornehmlih geringe Sierblichkeit der ehelichen un d außerehelihen Säuglinge ist nur für das Fürstenthum S burge Sippe und für die Kreise Tondern und Leer zu verzeihnen. Neben Schaurnburg-Lippe erscheinen das Groß- Vertogthum Oldenburg und ‘die Reg.-Bez. Schleswig und i urih besonders bevorzugt. Diejenigen Kreise, welche eine

höhere Sterblichkeit der ehelihen Säuglinge als 45,00 Proz, ausweisen, gehören ausnahmslos dem südlichen Gebiete höchster Säuglingssterblichkeit (Bayern, Württemberg) an. Kreise mit einer Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge von mehr als 50,00 Proz. dingegen findet man auch in dem sächsis{h- \{hlesishen und in dem U Centrum und selbst außerhalb derselben. Die höchste Sterblichkeit ehelicher Säu linge wurde im Bez.-Amt Krumbach in Schwaben (49,33 Pro) auberehelicher im Oberamt Waiblingen im Necktarkreise (71,1 verzeichnet. : In den Städten war die Säuglingssterblichkeit im All- gemeinen größer, als auf dem Lande, doch fehlt es hier nicht

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)

an zahlreihen Ausnahmen. Bei einer Gesammtzahl von

801 Kreisen 2c. starben bis zu 20,00 Proz. Säuglinge in 42,68 auf je 100 Kreise, 2001 bis 30,00 Proz. Säuglinge in 41,69, und über 30,00 in 15,63 Proz. Kreisen, desgleichen bei einer Sr von 72 Städten mit 20 000 und mehr Einwohnern in 30,5 beziehungsweise 58,33 und 11,11 Proz. Städten. Die Städte hatten also dur{schnittlich weniger dung eine geringe, aber auhch weniger aur fig eine hohe Ge- OR nt Aug Inge terblichkeit, als alle Kreise, während eine solche von mittlerer Höhe in ersteren entsprehend öfter vorkam. Aehnlich verhielt es sich mit der Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge, nur erweisen \sich die Städte noch etwas be- vorzugter. Hingegen spricht die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge ganz auffallend zu Ungunsten der Städte (bis zu 20,00 Proz. Todesfälle in 0 Städten und in 6,24 Proz. Kreisen, 20,01 bis 30,00 Todesfälle in 19,44 Städten und in 36,33 Kreisen; über 30,00 Proz. Todesfälle in 80,55 Proz. Städten und 57,43 Proz. Kreisen). Von den Großstädten mit mindestens 100000 Einwohnern) zeihneten ih esonders Frankfurt a. M. und Hannover durch eine verhältnißmäßig geringe Säuglingssterblihkeit aus; bei einem Vergleih der Säuglingssterblichkeit in den Groß- städten mit derjenigen in sämmtlihen Landgemeinden der einschlägigen Regierungsbezirke 2c. ragen Frankfurt a. M., Hannover, Köln, München, Stuttgart entweder durh eine geringe Sterblichkeit aller, oder doch der ehelichen oder un- ehelihen Säuglinge En E Die besonders hohe Säuglingssterblichkeit im südlichen Cen- trum(Bayern, Württemberg) betraf inStadt- und Landgemeinden sowohl eheliche, als außereheliche Säuglinge. Die hohe Sterb- lichkeit im brandenburgishen Centrum betraf der Hauptsache nach die außerehelihen Säuglinge, und zwar sowohl in den Städten, als auf dem Lande. Fedoch überragte meistens die Säuglingssterblichkeit in den Städten diejenige auf dem Lande. Jm sächsish-shlesishen Centrum erreichte unter sonst gleichem Verhalten auch die Sterblichkeit der ehelihen Säuglinge ziemlih häufig Grade, welche schon als hohe bezeihnet werden müssen. Die Sterblichkeit der außerehelichen Säuglinge war außer in den oben genannten Gegenden noch bei nur ge- ringer oder mäßiger Gefährdung der ehelihen Säuglinge eine hohe oder gar sehr hohe im Osten (Kreise Danzig, Elbing, Marienburg und die südlih sich anschließenden Kreise bis Thorn, der größere Theil der Regierungsbezirke Bromberg und Posen) und im Westen des Reihs (Rheinprovinz).

Frankrei ch. ® Laut ministerieller Anordnung werden die Provenienzen aus

Sardinien in den Hôfen der französishen Mittelmeerküste bis auf

Weiteres einer 3 tägigen Beobachtung unterworfen.

Die 3 tägige Beobahtung, welcher die Provenienzen aus Malta in den nämlichen Häfen bisher unterworfen waren (vergl. Reichs- Anzeiger* Nr. 188 vom 13. August d. J.) ist in eine ärztliche Visitation umgewandelt worden.

Berlin, 8. Dezember 1887.

Von einem dankbaren Schüler erzählt, wie der „B. B. C“ mittheilt, Professor Felix Dahn: in seinen „Gecmanistischen Stu- dien“, Dahn theilt aus einer Schrift, welhe den Aufenthalt des Freiherrn von Stein in Brünn betrifft, mit, daß der Staatsmann aus Brünn den Pädagogen Zeller nah Königsberg sandte; dieser wurde Lehrer der Kinder Friedrich Wilhelms und Lui- sens. Eins dieser Kinder {rieb ihm am 28, Dezember 1809: „Lieber Vater Zeller! Wie befindest Du Dih? Jch danke Dir sehr für all’ das Gute, was ih bei Dir gehört habe, Ich werde „mi bemühen, alles dieses zu befolgen. Vergiß nicht Deinen Sohn Wil i. Dieser dankbare „Wili“ trägt seit dem 18. Januar 1871 die deutsche Kaiserkrone. L

Das Münzkabinet der Königlichen Museen bat in den abgelaufenen Monaten werthvolle Bereicherungen erfahren, be- sonders durch zwei Funde, die für die Geschichte und Kunstgeschichte des frühen Mittelalters von großer Bedeutung sind. Dem Funde von Klein-Rosharden in Adenburg gehört außer einer Anzahl zum Theil seltener Münzen and einigen eigenthümlichen, vortrefflich ge- arbeiteten silbernen Schmuckgegenständen, die dem Muscum “für Völkerkunde überwiescn wurden, ein einseitig geprägtes, von breitem, sorgfältig ausgeführten Filigranrand umgebenes, münzartig silbernes Schmuckfstück an, welches ein für jene Zeit vorzüglich ausgearbeitetes Brustbild König Heinrich's I. mit der Umschrift HEGINRIC REX zeigt. Dieses in seiner Art ganz vereinzelt dastehende Denkmal gehört zu den ehr-

würdigsten Ueberresten des frühen deutschen ‘Mittelalters und ist eine |

kostbare Religuie voa dem großen Herrscher. Historish von großem Interesse ist ein erworbener Fund böhmischer Münzen aus dem Ende des 10. und Anfang des 11, Jahrhunderts, denn er giebt der Geschichte Böhmens um das Jahr 1000 theilweise eine andere Gestalt ; er lehrt, daß der Bruder des h. Adalbert, Sobieslaw, im Südosten Böhmens ein selbständiges Reich mit den Städtén Lubitsh und Malin besessen, daß Otto, der Sohn Boleslaw Chobry's von Polen, als Statthalter im Jahre 1003 ia Prag Münzen geprägt habe, und enthält eine Menge seltener böhmischer Denare jener Zeit, u. A. drei von der in Melnik residirenden Gemahlin Boleslaw's 11, der „Königin“ Emma, welche vor mittelalterlihen Quellen mehrfah erwähnt, von einem der neueren Historiker aber als niht existirend betrachtet wurde.

Der diesjährige Bazar zum Besten der hiesigen armen katholishen Waisen ist heute im Schulhause in der Linden- straße eröffnet worden.

Veber den Großen Internationalen Wettstreit ¡F

Industrie, Wissenschaft und Kunst, Brüssel 1888, unter dem hohen Patronat Sr. Majestät des Königs der Belgier und dem Ebren- Präsidium Sr. Königlichen Hoheit des Grafen Philipp von Flandern wird uns geschrieben: Gerade das Brüsseler Uaternehmen verdient vor Allem eine aufmerksame Würdigung. Schon der Name desselben deutet an, daß wir es mit einer neuen Jnstitution zu thun haben, hier handclt es sih niht um einen Jahrmarkt, um die althergebrachte Darstellung der Erzeugnisse der Völker der Erde, sondern um einen wirklichen, fruhtbringenden Wettstreit der Kunst, Industrien und Wissenschaften aller Kulturvölker. Die Fgenartige Basis und Organisation des Wettstreits hat denselben {hon heute in seinem End- erfolg gesichert, an 100 000 qm sind bereits vergeben, und unter anderem betheiligt sich eben unsere deutsche Industrie in hervorragender Weise, da der Wettstreit zu Brüssel derselben einen Ersay für ihre Verzichtleistung ün der Pariser Weltausstellung bietet und außerdem ih für Deutschland immer mehr die Nothwendigkeit aufdrängt, das neutrale Belgien als Durchgangsland für seinen überseeischen Export zu sihern. Die Leichtigkeit, mit welcher die deutsche Ueberproduktion nah Belgien einen Abfluß findet, und endli die Unterstüßung, welche unseren Suteressenten dur die Anwesenheit deutscher Elemente in der Verwaltung des Wettstreits gesichert ift, bilden die entscheidenden Momente zur Beantwortung obiger Frage. Nur in Brüssel wird ‘der deut{che Gewerbefleiß eine gerechte Beurtheilung und Anerkennung antreffen und an der Seite eben- bürtiger- Konkurrenten den Ruf bewahren, den er ih errungen hat.

Köln, 7. Dezember. Seit einiger Zeit werden, wie die „Köln. Ztg.* mittheilt, vom General-Major Wolf auf Alteburg E rabuagen angestellt, wozu ein staatliher Zushuß bewilligt ist. ieselben haben bereits jeßt zu dem Ergebniß geführt, daß daselbst eine rômishe Befestigung nicht nur nachgewiesen, sondern auch großentheils in ihrem Umfange festgestellt wurde. Sie hatte die Form einer großen abgestumpften Lünette mit abgerundeten Een, deren größte Breite parallel dem Rheinstrome nahezu 400 m betrug, deren größte noh nit genau festgestellte Tiefe senkrecht zum Rheinstrom wahrsheinlich das gleiche Maß hatte. Die Umfassung ist sinnreih konftruirt und giebt neue Aufschlüsse über die römische Befestigungs- weise. Die Ausdehnung der Befestigung und das starke Profil deuten auf ein dort gestandenes röômisches Winterlager. Bereits im Jahre 1872 wurden an dieser Stelle mächtige Ruinen aufgedeckt, welche nah ihrer Lage innerhalb der Befestigung die Reste des Prätoriums waren.

Teplitz, 8. Dezember. (W. T. Et Das Wassserniveau im Victoriaschacht erreihte die Einbruchstelle. Dasjenige der Stadtbadquelle is um 4,30 ecm gesunken. Vorbereitungen zur Verlängerung des Saugrohres der Wasserhebemaschine sind ge- troffen. Der Gisela-Schacht ist wasserlos und fördert noh.

London, 7. Dezember. Die „Allgemeine Correspondenz“ schreibt: „Der Lôwe der Londoner Gesellschaft ist zur Stunde ein Amerikaner, John L. Sullivan, der berühmte Cha mpion- Boxer. Seit seiner Ankunft in England ist dieser Vertreter der Brutalität der Gegenstand der Vergötterung. Die beste Gesellschaft wetteifert mit dem Gesindel, um dem Manne Ehre añzuthun, der mehr Knochen zerbrochen und Augen zershmettert hat, als irgend ein anderer Sterblicher. Als der Champion in Liverpool ankam, wurde ein besonderer Tender gemiethet, um ihn vom Dampfer abzuholen. Seine Fahrt nach London glich einem wahren Triumphzuge. Auf allen Eisenbahnstationen drängten ih Tausende seiner Bewunderer um seinen Wagen, und die Begeisterung Übershritt alle Grenzen, als er die Eustonstation erreichte. Er hat nun sein Quartier in einem der besten Hotels des Westends auf- geschlagen, und alle Sporting-Zeitungen regaliren ihre Leser mit seiner Biographie und einer eingehenden Beschreibung seines Körpers. Seine Armmuskeln haben 16 Zoll im Umfang. Er is} hierher gekommen, um einen ebenbürtigen Gegner zu finden, der mit ihm um den Championgürtel und 2000 £ zu kämpfen bereit ist. Diesen hat er nun auch in dem Preisboxer Mitchell gefunden. Der dies- bezügliche Kontrakt ist bereits unterzeihnet worden, stipulirt jedoch als Einsaß nur je 500 Pfd. Sterl. Der Ort des Kampfes is noch nit genau bestimmt, doh soll derselbe „niht innerhalb 6 Meilen von Whitehall und niht außerhalb eines Umkreises von 1000 Meilen von London“ stattfinden. Inzwischen produzirt sich I. L. Sullivan täglich im Westminster:Aquarium, wo er die „Wissenschaft“ des Borxens demonstrirt.“

Als Gegenstück zu diesem modernen Begriff von „Heldenthum“, den damit eine der ersten heutigen Kulturnationen aufstellt, mag eîne andere Meldung dienen, aus der hervorgeht, was man heute in der englishen Metropole für Ansichten vom „Märt?yrerthum“ hat: „Am Sonntag, den 20, November, wurde auf Trafalgar- Square ein Mann, Namens Alfred Linnell , von berittenen Konstablern, welhe den Play säuberten, zu Boden geworfen und überritten, sodaß er nah dem nahegelegenen Charing Croß Hospital getragen werden mußte, wo er den erlittenen Verleßungen nunmehr erlegen ist. Der „Pall Mall Gazette“ zufolge hat der provisorishe Ausshuß der Rechts- und Freiheitsliga beschlossen, diesem „Märtyrer von Trafalgar-Square*" am nächsten Sonntag ein öffentlihes Begräbniß zu Theil werden zu lassen, und zwar wird der Leichenzug sich von der Stätte, wo Alfred Linnell „von der Polizei getödtet“ wurde, in Be-

wegung seßen. Sämmtliche liberale Deputirte Londons werden ein- .

geladen werden, dem Begräbniz beizuwohnen. Der Bischof von London wird ersucht werden, am Grabe zu funktioniren. Cbenso werden alle liberalen und radikalen Klubs eingeladen werden, dem Begräbniß „des erstenMannes, der von der Polizei in London getödtet wurde bei der Inkraft- seßung eines Edikts gegen die Abhaltung einer Volksversammlung“ bei- zuwohnen. Jeder Versu, am nächsten Sonntag auf Trafalgar- Square ein politisches Meeting abzuhalten, soll im Hinblick auf diese traurège Feier unterbleiben. Alles dies theilt die „Pall Mall Ga- zette*“ in einem von einem Trauerrande umgebenen Artikel an der Spitze ihres Blattes mit. Ob Sir Charles Warren gestatten wird, daß ih die liberalen und radikalen Vereine nächsten Sonnta u ee ähe von Trafalgár-Square versammeln, muß dahingestellt eiben.“

Stockholm, 6. Dezember. (Post- och Inr -Tidn.) Am ver- gangenen Donnerstag, Abends, raste in der Umgegend von Upsala ein orkanartiger Stur m, der große Verwüstungen angerichtet hat. Scheunen und Strohmiethen wourden umgeworfen und die Dächer von dea Hôusern gerissen; die Eisenbahnzüge konnten niht abgelassen verden, weil zahlreihe umgewehte Bäume auf den Schienen lagen, auch die Telegraphenleitungen rourden auf weite Strecken zerstört. In der Umgegend des Eisenwerk3 Lena scheint nah dem Bericht der Zeitung „Upsala“ der Cyklon am furchtbarsten gewüthet zu haben. Gegen 7 Uhr Abeads erhob sich dort im Westen ein dunkles drohendes Gewölk, das \sich mit großer Schnelligkeit näherte; kurz darauf brach der Sturm los. Die Häuser erzitterten in ihren Grundvesten, eine große Menge von Dachziegeln wirbelten in ‘ver Luft und aus dem Walde vernahm man das dumpfe Gekrach der umstürzenden Bäume. Der Cyfklon ging in der Richtung von Westen nad) Osten und hatte eine Breite von 50 Klaftern; innerhalb dieses Weges war die Zerstörung vollständig. Kernfrishe Fichtenstämme

*von Va Fuß Durchmesser waren an der Wurzel abgebrochen und

gedreht wie ein Bohrer; von dem 75 Fuß hohen Schornstein des Hochofens wurde die Hälfte abgerissen. So weit bis jeßt verlautet, find keine Menschen zu Schaden gekommen. Während der Cyklon am furhtbarsten raste, war das Barometer auf 730 gefallen, \tieg aber unmittelbar nachher wieder.

Millöcker's neueste Operette: „Die sieben Schwaben“, welche in Wien so großen Erfolg hat, wird dem Berliner Publikum ‘im Friedri ch- ilhelmstädtiscen Theater als Weihnachtsgabe dargeboten werden. S

Am Sonnabend, den 10. d. M. (74 Uhr), veranstaltet in der Sing-Akademie die Pianistin Fr. Meere Stern ein Concert mit dem Berliner Philharmonishen Orchester unter Leitung des Kapellmeisters Hrn. Gust. Kogel, sowie unter gefälliger Mitwirkung der Concertsängerin Fr. Emilie Wirth.- ]

Der Königlich bayerishe und Herzoglih sächsische Kammersänger

r. EugenGura wird an seinem morgen in.der Sing-Akademie

attfindenden leßten Liedera bend wiederum eine Reihe Löwe? 6

Balladen, darunter den „Nöck“, zum Vortrag bringen, mit welcher

Ballade der Künstler jüngst in Hamburg einen außerordentlichen Erfolg erzielte.

Redacteur: R iedel.

Verlag der Expedition (Scholz).

Druck der Norddeutshen Buchdrudkerei und Verlags-Anstalt, Berlin 8W., Wilhelmstraße Nr. 32.

Fünf Beilagen (einshließli%- Börsen-Beilage).

Berlin:

worden sei.

Erste Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlih Preußischen Staats-Anzeiger.

M 288,

: Berlin, Donnerstag, den §8. Dezember

187.

Nichtamtliches.

/ Preußen. Berlin, 8. Dezember. Jm weiteren Ver- lauf der gestrigen (8.) Sina des Reichstages äußerte bei fortgefekter erster Berathung des Geseßt- entwurfs, betreffend die Es und Er- gänzung der Vorschriften der Strafprozeßord- nung über die Wiederaufnahme des Verfahrens,

fowie die Entshädigung für unshuldig erlittene

Strafen der Abg. Kulemann : Der Reichstag habe zur vorliegen- den Frage si bereits mehrmals geäußert, man wisse aber heute noch nicht, wie die verbündeten Regierungen zu dem Geseßentwurf stünden, den der Reichstag allerdings fast einstimmig in der Session 1885/86 beschlossen habe. Unter diesen Umständen er- scheine es ihm nicht opportun, einen neuen Beschluß zu fassen, bevor man erfahren habe, was aus dem vorigen Beschluß ge- So sympathisch Jedem die Entschädigung un- \{huldig Verurtheilter fei, so seien doch auch eine Menge tech- nischer Schwierigkeiten zu erwägen, ob z. B. die Entschädigung als Billigkeiis- oder als Rehtsanspruch aufgefaßt werden solle Man müsse auch dafür sorgen, daß nicht etwa Leute, die wegen mangelnder Beweise und niht wegen nachweislicher Unschuld freigesprochen seien, nahträglich aus Reichsmitteln eine Prämie erhielten, das würde ein Hohn auf die Recht- sprehung sein. Jn dieser Hinsicht bedürfe der Antrag Munckel durhaus ¿der Verbesserung, und er stehe dem Antrag Rintelen rinzipiell näher. Wenn er auch nicht befürchte, daß aus olhen Spekulationen ein Geschäft werde gemacht werden, so meine er do, man sei verpflichtet, geseßlich solchen Möglich-

keiten vorzubeugen. Geheime Ober-

„Der Kommissar des Bundesraths, Regierungs-Rath von Lenthe äußerte :

Meine Herren! Jch habe mir das Wort erbeten, um die her- vorgetretenen thatsächlihen Zweifel über die Stellung, welche der Bundesrath zu den von dem früheren Reichstage beschlossenen Geseß- entwürfen über Entschädigung für unschuldig erlittene Strafen und über Abänderung und Ergänzung der Vorschristen der Straf- prozeßordnung wegen Wiederaufnahme des Vecfahrens, ein- genommen hat, zu beseitigen. Diese Geseßentwürfe sind dem Bundesrath zusammen mit einem dritien hier beschlossenen Ent- wurf, betreffend Abänderung und Ergänzung des Gerihtsversassungs- gelepes vom 27. Januar 1877 und der Strafprozeßordnung vom 1. Februar 1877 mittelst Schreiben des Herrn Präsidenten des Reichs- tages vom 15. März 1886 zugegangen. Der Bundesrath hat über diese drei eben bezeihneten Entwürfe Beschluß gefaßt, und zwar am 17. März d. I. Die Beschlußfassung binsiGtlich aller drei Gesetzentwürfe ist im ablehnenden Sinne erfolgt. Speziell in Bezug auf den Ent- wurf, betreffend die Entshädigung für unschuldig erlittene Strafen, geht der Beschluß dahin,

diesein Gesetze die Zustimmung nicht zu ertheilen, dabei jedoh das Vertrauen auszusprechen, daß in den Bundesstaaten überall in aus- rcihender Weise für die Beschaffung der Geldmittel Sorge ge- tragen werde, welche erforderlih sind, um den bei der Handhabung der Strafrechtspflege nachweisbar unschuldig Verurtheilten eine billige Entschädigung zu gewähren.

Der Abg. Mundckel bemerkte: Der Abg. Kulemann sage, es würde ein Hohn sein auf die Rechtsprechung, wenn die- jenigen Leute, die wegen eines non liquet Keitefprehen würden, -noch eine Prämie von Reichswegen bekämen. Ein Hohn auf die Justiz sei es, wenn die Leute, die man unret- mäßig angefaßt U feine Entschädigung bekämen. Von einer Prämie jei hierbei gar keine Rede. Bescheiden solle der materielle Verlust, den Jemand erlitten habe, erseßt werden, wenn er in Hast genommen sei, ohne daß man das Recht dazu gehabt hätte. Eine Reinwaschung des Angeklagten werde ohnehin durch ein freisprehendes Urtheil richt immer Ver getr, ebenso wenig wie eine Jnfamirung dur eine Verurtheilung. Habe man denn irgend ein Ver- fahren, das mit der Ertheilung eines Ordens für Verdienst abshließe? Die Fälle, in denen ein non liguet ausgesprochen werde, seien äußerst selten. Nah der Erklärung des Ver- treters des Mons solle gezeigt werden, daß der Deutsche Reichstag eiti Recht des unschuldig Verurtheilten anerkenne, mes es auch der Bundesrath früher oder später anerkennen müsse.

Der Abg. Rintelen meinte: Die Bedenken des Abg. Kule- mann seien schon in den früheren Kommissionen erörtert worden. Wollte man sie alle berücksichtigen, so würde auch in diesem Jahre nihts zu Stande kommen. Das Lo sei ja oft der Feind des Guten. Er bitte, die zweite Lesung gleich im Plenum vorzunehmen.

Die Diskussion wurde geschlossen.

Das Schlußwort erhielt der Abg. Träger: Der Antrag enthalte nur das bescheidenste Maß dessen, was man auf diesem Gebiet verlangen könne. Schon Friedrih der Große A bestimmt, daß der unschuldig Verurtheilte zu entshädioen ei. Demgegenüber habe die nackte und kurze Erklärung der verbündeten Regierungen einen nicht imposanten, sondern verblüffenden Eindruck gemacht. Jn fridericianishem Geiste sei diese Lösung der Frage gewiß nicht aus- gefallen. Das Reih würde si felbst depossediren, wollie es die Regelung dieser Sache den einzelnen Bundesstaaten überlassen. Und wie solle die Sache geregelt werden? So weit werde man wohl nicht gehen, ‘daß man solche unglücklihen Personen, die freigesprohen würden, wieder da- dur zu Verbrechern degradire, daß man sie auf den Gnaden- weg verweise. Dex Nichtschuldige oder Unschuldige habe nicht nöthig, um Gnade zu betteln, wo er ein Recht zu verlangen habe. Der Beschluß der verbündeten Regierungen scheine ihm dar- auf hinauszulaufen, daß die O Verurtheilten angewiesen sein sollten, mit dem Bettelsack bei den einzelnen Staaten herumzugehen. Diesen Standpunkt halte er für einen des Reichs niht würdigen. Das Hauptbedenken habe Hr. Rintelen durch seinen Antrag heute wieder wahgerufen. Gebe man diesen Anregungen nah, dann ershüttere man die Basis des ganzen Geseßes. Ehe man diese juristishen Schulbegriffe von

__„nachgéwiesener Unschuld“, „niht nahgewiesener Schuld“ u. st. w.

aufstelle, lasse man lieber die Sache beim Alten. Die Haltung der verbündeten Re- ierungen sei ihm ganz unerklärlih. Es handele id hier, wie der Abg. Mundckel bereits gesagt habe, um keine Parteifrage. Was hier verlangt werde, erfordere keine großen

kfategorisch

Ausgaben. Die Regierung sei stolz darauf, auf sozial-

olitishem Gebiet einen Anlauf genommen zu haben, und sie ei dabei, das Gebäude zu krönen. So lange sie aber ein solches Gesey_niht gebe, könne von einer Krönung des Ge- bäudes keine Rede sein: es fehle dann noch an dem Fundament und Eckfstein desselben.

Die zweite Lesung des Antrags wird im Plenum erfolgen.

Es folgte die erste Dans des vom Abg: Munckel ein- gebrachten Geésezentwurfs, betreffend die Abände- rung der P. 73 und 80 des Gerihtsverfassungs- ges 08 (Ueberweisung der Preßvergehen an die Schwur- gerichte).

Der Abg. Munckel erklärte: Auch dieser Antrag sei kein Parteiantrag und seine Tendenz sei jo alt, daß ihm in einer konservativen Berliner Zeitung, die sonst für alles Alte eine gewisse Ehrfurcht hege, sogar dieses Alter zum Vorwurf ge- macht werde. Der Antrag wolle die sogenannten politischen und Preßvergehen von der Judikatur der Vit kammern an die Schwurgerichte überweisen. Ein Miß- trauen gegen die Gerichte solle der Antrag nicht enthalten, es würde ihm (dem Redner) am wenigsten anstehen, die Unpartei- lichkeit der Richter anzuzweifeln, aber unleugbar gehe eine gewisse Befangenheit in iectol Dingen durch den Richterstand. Die Deutschfreisinnigen verfolgten mit dem Antrag kein ein- seitiges Parteinteresse, denn dasselbe Verlangen sei schon zur Zeit der Kreisrihterkammern gestellt, wo von liberaler Seite gegen die Richter wenig zu sagen gewesen. Redner führte mehrere Fälle an, welche zur Beweisführung für die Richtigkeit seiner Ansicht dienen sollen. Man sage, je vortrefflicher der Jurisi, desto größer die Bedenken. Die Richter hätten aber so wenig Bedenken, daß er ih s{cheue, daraus auf ihre Vortrefflichkeit Schlüsse zu ziehen. Wo jeßt zwei Leute politishe Dinge erörterten, stehe der Staatsanwalt mitten unter ihnen. Es gehe allerdings jeßt ein konservativer Wind durch die ganze Welt. Anders werde es sein, wenn heute die Geschworenen einen Liberalen und morgen einen Konservativen zu verurtheilen hätten. Hierher gehörten au die Beleidigungen, für die sih die Staatsanwaltschaft inter- essire. Wenn in Folge des großen Apparats, der beim Schwurgeriht nöthi sei, die Staatsanwältie etwas weniger Anträge stellten, so wäre das kein Unglück. Sein Antrag sei kein Attentat auf die jeßige Rehtsprehung, wenn er (Redner) auch nicht mit hr zufrieden sein fönne. Sein Antrag solle ein Schug der Richter sein, sie bei der Ausübung ihres Berufs außerhalb der politishen Strö- mungen zu stellen. Gefahren bringe sein Antrag niht. Daß er durchführbar sei, sehe man an Bayern. Man solle den An- trag niht als Tendenzantrag ansehen und ihn wollwollend aufnehmen.

Der Abg. Dr. Hartmann bestritt dem Vorredner, daß stets ein politisches R in Frage komme, wenn die Staatsanwaltschaft eine Beleidigungsklage im öffentlichen Interesse in die Hand nehme. Er erinnere nur an die zahl- reihen Beamtenbeleidigungsklagen Schußleute, Nahtwächter 2c. Da kämen politische Gesichtspunkte niht in Betracht. Hr. Munckel sage in Bezug auf geheime Verbindungen: Wenn heute zwei versammelt seien, so sei der Staatsanwalt mitten unter ihnen; na, es omme doch darauf an, wer und wie diese zwei seien. Er (Redner) habe in Allem den Eindruck, daß für den Antrag Munckel keine Gründe vorlägen, der Abg. Munckel habe nur das Bedürfniß gehabt, gewisse ihm unangenehme Dinge unter seiner Jmmunität hier vorzutragen, und dazu habe er keinen Anhalt gehabt ; so sei er M seinem Antrag und zu seiner Rede gekommen. Daß im Uebrigen die eine Kammer gelinder, die andere strenger urtheile, das sei immer so gewesen und werde immer so bleiben. Was man ff en die Richter sage, könne man mit demselben eGt au gegen die Geschworenen an- führen. Ziehe man einmal die ganzen Beleidigungsklagen, soweit Beamte in Frage kämen, vor die Geshworenen, dann kämen die Berliner Geschworenen überhaupt niht mehr nach Hause, an Stelle der Berufsrichter hätte man dann Berufs-

eshworene, die Klagen über Ueberbürdung würden das ganze gstitut schädigen, seine Berufsfreudigkeit und Frische gefährden.

3ayern, Württemberg, Baden und Oldenburg hätten heute noch für Preßvergehen ihre Shwurgerichte, aber das ganze Menu, was Hr. Munckel heute biete, sei niht darunter begriffen. Wer wolle garantiren, daß ein Schwurgericht für Preßsachen, wenn es in München, in Stuttgart, in Karlsruhe, in Olden- burg sich bewähre, auch in anderen Großstädten, z.- B. in Berlin, O gut fungire? Erst durch das Gerichtsverfassungs- geseß habe die Presse den ordentlichen Gerichtsstand erhalten, vorher habe sie zum Theil unter Ausnahmegerichten gestanden, die für sie höchst nachtheilig gewesen seien. Seine Partei halte es nicht für O an dieser für die Presse. seit erst 8 Jahren eingetretenen Verbesserung zu rütteln und werde auf den Antrag Mundel nicht eingehen.

Der Abg. Dr. Windthorst äußerte: Die Frage der Ge- \{hworenengerite sei niht von dem Gesichtspunkt singulärer Fälle, sondern von einem höheren politischen Gesichtspunkt zu entscheiden. Er stehe betreffs der Schwurgerichte ganz auf dem Boden englischer und amerikanischer Anschauungen. Man sei leider zu einer Unterbrehung der Rechtsentwickelung ge- nöthigt gewesen, als man einem Veto gegenüber eine Mittel- instanz. als Ausnahme bei der Beurtheilung von Verbrechen tigter 0 habe. Der Kardinalpunkt liege darin: sind die Berufs-

rihter oder die Geschworenengerihte in diesen Fragen die rihtigen entscheidenden Elemente? Menschlihe Unvollkommen- heiten träten selbstverständlih auch in den Geschworenen- erihten hervor. Aber was das Kriminalreht betreffe, so ei es unzweifelhaft in A Grade bedenklich, wenn man sih dauernd mit Kriminalsachen beschäftige. Sie entfremdeten den Richter den Anschauungen des Lebens; der Richter ent- decke überall Verbrechen. Er (Redner) könne über die Sache mitreden, denn er sei Advokat, Mitglied des Kri- minalsenats des höchsten Gerichtshofes, und nachher Schöffe und Geshworener gewesen. Er habe die Erfahrung ge- macht, daß die Herren, welche am längsten im Kriminalsenat gesessen hätten, am meisten geneigt gewesen seien, auf die höchsten Strafen zu erkennen. Das komme davon, wenn man

dauernd handwerksmäßig die Sache mache; der menschliche Geist werde dadurch mehr und mehr abgehärtet. Die alten Deutschen hätten auch vor einem Volksgeriht gestanden, die gelehrten Richter seien erst durch die Römer nah Deutschland ekommen. Nun meine man, die Presse könnte dur ständige ihter besser im Zügel gehalten werden. Er spreche es unverhohlen aus, daß das Rechtsprehen in Preßjachen ihm mehr als einmal ein Grauen erregt habe. Selbst bei den Urtheilen der höchsten Gerichte könnte er seine Zweifel erheben, und habe keinen Anstand, zu sagen, daß bei der Beseßung der Gerichte, namentlich in die leitenden Stellen, ein zu großes Maß staatsanwaltlichen Bluts gebracht werde. Es würde nüglih sein, wenn man die staatsanwalt- lihe Carrière absolut von der ricterlichen trenne. Er be- greife also sehr wohl, daß man beantrage, die Schwurgerichte jo erweitern. Jm Augenblick aber könne ein solher Antrag

ogar gefährlih sein bei der Tendenz vieler mächtigen Stellen, ie Shwurgerichte wesentlih anders zu komponiren. Er möchte sih darauf beschränken, die bestehenden Schwurgerichte zu ver- theidigen, damit in besseren Zeiten das Weitere erreicht werden könne. Jeder Angriff auf die Geshworenengerihte und auf die Oeffentlichkeit des Verfahrens, das Fundament unserer Prozeßordnung, müsse energish zurüdlgewiesen werden. Ohne - kommissarische Berathung genüge diese Anregung, um daran zu erinnern, daß die Sgwur erichte für alle Minoritäten immer und jeder Zeit eine Schußwehr gegen Willkür bilden müßten, und daß man in einer Zeit, wie der jeßigen, nitt genug Schußwehren gegen Willkür haben könne.

Um 41/2 Uhr vertagte das Haus die weitere Debatte auf - Montag 1 Uhr. :

.— Der dem Reichstage vorgelegte Entwurf eines Geseges, betreffend die Zurüdlbeförderung der Hinterbliebenen im Auslande angestellter Reichs- beamten und Personen des Soldatenstandes, hat folgenden Wortlaut :

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen 2c. verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstages, was folgt: Artikel 1.

Die im §. 8 . des Gesetzes, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate 2c, vom 8. November 1867 (Bundes - Geseßbl. S. 137) enthaltene Bestimmung, wonach die Familien der Berufs- konsuln, wenn leßtere während ihrer Amtsdauer sterben, auf Bundes- kosten in die Heimath zurückbefördert werden, wird auf die Hinter- bliebenen sämmilicher aus der Reichskasse besoldeten pensionsberech- tigten Reichsbeamten und Personen des Soldatenstandes, deren dienst- licher Wohnsiß sich im Auslande befindet, ausgedehnt.

Ausgenommen bleiben die Hinterbliebenen solcher Reichsbeamten, welche in Grenzorten oder in dem Zollgebiet angeschlossenen auslän- dischen Gebietstheilen angestellt sind.

Artikel 2. Dieses Gesetz tritt mit dem 1. Januar 1888 in Kraft. Denkschrift.

Den Hinterbliebenen der im Auslande angestellten Beamten wurde früher nach den in Preußen bestehenden Grundsäßen, wenn dieselben in die Heimath zurückehrten, für die Uebersiedelung nach der Heimath eine Entschädigung niht gewährt; die durch den Umzug erwachsenden Kosten waren vielmehr von den Hinterbliebenen aus dom ihnen zustehenden Gnadenquartal zu bestreiten.

Dieser von Preußen auf den Norddeutshen Bund und demnächst auf das Reich übernommene Grundsay hat insoweit eine Einshränkung erfahren, als dur §. 8 des Gesetzes, betreffend die Organisation der Bundeskonsulate 2c., vom 8. November 1867 die Bestimmung ge- troffen wurde, „daß die Familien der Berufskonsuln, wenn leßtere während ihrer Amtsdauer sterben, auf Bundeskosten in die Heimath zurücbefördert werden“.

Hinsichtlich der Hinterbliebenen der übrigen Berufsbeamten im auswärtigen Dienst ist, obwohl dieselben sich in völlig gleicher Lage wie diejevigen der im Auslande verstorbenen Berufskonsuln befinden, eine gleihe Bestimmung bisher niht ergangen.

uch im Wege der Analogie ershien eine Anwendung des &, 8 des Geseßes vom 8. November 1867 auf die bezeihneten Beamten- EDO niht zulässig, da §. 8 als eine Spezialbestimmung an- zuschen ist, deren Ausdehnung auf andere Beamtenkategorien im Verwaltungswege nicht erfolgen kann. Da auch das Reichsbeamten- geseß vom 31. März 1873 in dieser Hinsicht keinerlei Bestimmung ‘enthält, so haben die Hinterbliebenen von Beamten im auswärtigen Dienst, mit Ausnahme der Korsuln, mit ihren bezüglihen Anträgen bisher ablehnend beschieden werden müssen, unter Hinweis darauf, daß die Kosten der. Rückreise aus dem Gnadenquartal zu be- streiten seien. /

Diese verschiedenartige Behandlung der betreffenden Beamten- kategorien entbehrt indessen der sahlihen Begründung und führt in der Praxis zu De U für deren Beseitigung auch der ausnahmsweise Weg Kaiserliher Gnade nicht immer ausreiht. Es erscheint daher geboten, die bestehende rechtlihe Ungleichheit durch Ausdehnung der Spezialbestimmung des §. s auf die übrigen Beamtenkategorien des auswärtigen Dienstes im legislativen Wege zu befeitigen.

Zu diesem Zweck ist der gegenwärtige Geseßentwurf ausgearbeitet

orden.

Nach Artikel 1 soll die Wohlthat des §8. 8 auf die Hinterbliebenen sämmtlicher aus der Reichskasse besoldeten pensionsberechtigten Reichs- beamten Anwendung finden, deren dienstliher Wohnsiß sich im Aus- lande befindet. Es i} mit dieser Fafsung „sämmtlihe . . . Reichs- beamte . . deren 2c." zum Ausdruck gebracht, daß das Geseß LR nicht nur auf die Beamten des eigentlichen auswärtigen Dienstes (die im A und fkonsularishen Dienst, sowie die: in den Schußgebieten angestellten Beamten) beziehen foll, son- dern im weiteren inne auf alle Reichsbeamten, welche ihren dienstlihen Wohnsiy im Auslande haben, Anwendun zu finden hat, insbesondere auf die im Auslande dienstli wohnhaften Kaiserlichen Post-, Telegraphen-, Eisenbahn- und Marine- beamten; niht minder soll die Wohlthat des Geseßes aber au den in gleicher Lage befindlichen Hinterbliebenen im Auslande angestellter deutscher Militär- und Marine-Attachés, sowie etwaiger anderer im Auslande mit Pensionsberechtigung dienstlich wohnhafter Offiziere 2c. zu Gute kommen, was durch den Zusaß „und Personen des Soltaten- standes“ angedeutet wird.

Ausgeschlossen sind dagegen durch den Absay 2 des Artikels 1 diejenigen Beamten, welche in Grenzorten oder in dem Zollgebiet angeschlossenen ausländischen Gebietstheilen angestellt sind; es kommen dabei in Betracht diejenigen Beamten, welhe bei an den Grenzen befindlichen deutschen Eisenbahn-, Post- und Telegraphenämtern, wie beispielsweise in Basel, Bodenbah, Verviers oder im Ressort der Reichs-Eisenbahnverwaltung innerhalb des Großherzogthums Luxem- burg angestellt S die Verhältnisse in diejen Orten und Gebiets- theilen niht wesentlih andere als im Inlande sind.

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