1908 / 292 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 11 Dec 1908 18:00:01 GMT) scan diff

zuführen, als es unter normalen Verhältnissen vielleiht der Fall sein würde. Meine Herren, es ift darauf hingewiesen, daß man doch vom Standpunkt der Staatsregierung aus bestrebt sein müsse, die Aufträge, die wir zu verteilen haben, nicht in die Zeit der Hohkonjunktur, sondern in die Zeit der weichenden Konjunktur zu legen. Meine Herren, das ist rihtig, das ist ja eine Erwägung, zu der uns \{hon die uns anerzogene Sparsamkeit (Heiterkeit), die Abneigung des Fiskus, mehr Geld aus- pes auf der anderen Seite

würde wahrscheinli in diesem hohen Hause sehr verwunderten Gesichtern S N ih auf die Forderung, mehr Kohlen zu \{affen, in der Zeit der Hoch-

ugeben, als nötig ift, führen müßte. liegt doch auch eine Schwierigkeit vor.

Tonjunktur erklären wollte: ja, in der nähsten Hochkonjunktur ; denn ih werde die nächste Tiefkonjunktur benutzen,- um diejenigen Maschinen anzuschaffen, welche eine entsprehende Förderung gestatten. Aehnlich Liegt es auf dem Gebiete desjenigen Ressorts, welches die meisten Arbeiten dieser Art zu vergeben hat, nämlich im Ressort des Minifteriums der öffentlichen Arbeiten. Auch dies ist abhängig von den Bedürfnissen der jeweiligen Konjunktur, und wir sind gar nicht in der Lage, mit unseren Aufträgen beliebig {halten und walten zu können, wie wir es vom Standpunkte der Sparsamkeit und der Fürsorge für eine eventuell eintretende Krisis etwa als wünschenswert und notwendig erachten könnten.

Abgesehen davon, handelt es sich, wenn Staatsaufträge vergeben werden sollen, um eine Reihe etatsrehtlih vershieden zu behandelnder Aufträge. Es handelt \sich zunähst um diejenigen Fälle, in welchen die Arbeiten aus Anleihemitteln zu leisten sind. In diesen Fällen ist die Königliche Staatsregierung völlig frei; sie kann sich ihre Bau- raten auf die einzelnen Jahre nach ihrem Ermessen verteilen. Die einzelnen Refsorts müssen sich bloß mit dem Finanzminister über die Flüsfigmahung der erforderlichen Gelder vorher verständigen, und wir alle find das liegt ja in der Natur der Dinge bestrebt, in der Zeit der weihenden Konjunktur so viele Aufträge wie irgend möglih herau8zubringen, weil wir fie im allgemeinen dann sehr viel schneller und billiger erfüllt bekommen, als wenn wir damit in die Hochkonjunktur hineingehen. Jh kann also, was diesen Punkt betrifft, versihern, daß in meinem Ressort alles ge- schehen ist, was überhaupt mögli war, um die Neuanlagen im NRuhrrebier, die aus Anleihemitteln gebaut werden, so forciert zu betreiben, wie es nur irgend menshenmöglih ift. (Bravo!) Sie werden der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten wird ja nachher die Einzelheiten behandeln, soweit sein Refsort in Frage kommt hôren, daß auch in den anderen Refsorts, und speziell im Ressort des Herrn Ministers der öffentlihen Arbeiten, nah denselben Grundsätzen verfahren ist.

Meeine Herren, es handelt {ih dann um eine möglihst intensive Vergebung derjenigen Aufträge, für welhe die Mittel in dem Etat für tas laufende Jahr enthalten sind. Es hat eine Besprehung der sämtlichen beteiligten Ressorts stattgefunden, und da hat si ergeben, daß die etatsmäßigen Mittel naturgemäß gegen Ende des Etats- jahres bereits stark erschöpft waren. Immerhin sind in einzelnen Refsorts noch Mittel ofen, und es soll darauf Bedaht ge- nommen werden, diese Mittel so rasch und so weit zu ver- wenden, wie es irgendwie nah Lage der Verhältnisse möglich ift.

Weiter handelt es sich um Aufträge, die bereits in ein weiteres Etatsjahr übergreifen. Meine Herren, hiér müssen Sie unterscheiden ¿wischen solchen Arbeiten, für welche die exsten Raten bereits be- willigt find, und solhen Aufträgen, bei denen dies noch nit der Fall ift. Hinsichtlich derjenigen Bauten, für welche die ersten Raten bereits bewilligt sind, befteht ja eine gewisse Freiheit des Handelns, und es besteht, soviel ich unterrihtet bin, zwischen dem Finanzminister und den unmittelbar in Betraht kommenden Ressorts das Uebereinkommen, daß auch zukünftige Raten bei den Vergebungen {hon berücksihtigt werden können, soweit Ersparnifse bei anderen Titeln desselben Baus zur Verfügung stehen.

Anders liegt es mit denjenigen Fällen, wo es sch um Bewilligungen handelt, für welche die ersten Raten erft im Gtat des folgenden Jahres zur Verfügung stehen. Es ist hier großer Weri tarauf gelegt worden, einen Weg zu finden, um die Vergebung derartiger Arbeiten {on jeßt zu ermöglihen. Mir ist es im hohen Maße ¡weifelhaft, ob dieses hohe Haus \sich ent- shließen wird, der Staatsregierung die ErmäYhtigung zu „geben, Bauten, deren Projekte Sie noh gar nicht gesehen haben, deren Not- wendigkeit und Nüßlichkeit Sie noch gar niht haben prüfen können, bereits in Angriff zu nehmen und damit, wenn ih mich so ausdrüdcken darf, auch die Endsummen für die herzustellenden Bauten und sonstigen Anlagen festzulegen. Das erscheint mir sehr zweifelhaft; und ih muß auch sagen, ich würde es mir als Minister niht einmal wünschen, in eine derartige unklare Wirtschaft hineinzukommen. (Sehr richtig! rechts8.)

Aber, meine Herren, es ist au nicht notwendig; und selbst wenn Sie Ihr Gewissen beschwichtigen und derartige Beschlüsse fassen wollten, würden Sie die Sache dadurch nicht erheblich fördern. Meine Herren, es i ja im allgemeinen üblih, daß erste Raten so eingeseßt werden, daß sie gerade die Mittel für die Vorarbeiten, die Mittel für Anschläge, die Mittel für die allererflen Aufträge gewähren. Diese Sachen pflegen dann so weit vorbereitet zu sein, daß in dem Augenblicke, wo der Etat herauskommt, der betreffende Auftrag erfolgt. Wenn Sie aber jeßt bon den einzelnen Ressorts verlangen wollen, sie sollten sich Bauten und Arbeiten ausdenken, die im Laufe der nähsten Jahre hergestellt werden sfollen, dann würden wir troßdem, und wenn Sie uns die Mittel zur Verfügung stellten, gar niht in der Lage sein, die ent- \sprehenden Aufträge am 1. April oder gar vorher herauszugeben, weil die Sachen ja nicht durhgerechnet find, weil die speziellen Kosten- anschläge nit vorliegen, weil die Unterlagen für eine Verdingung überhaupt niht vorhanden sind.

Alo, meine Herren, ih glaube, wir brauen uns über die etats- rechtliche Zulässigkeit einer derartigen Maßnahme niht den Kopf zu zerbrehen, weil sie nah meiner Auffaffung tatsächlich ziemlich wirkungslos sein würde, jedenfalls niht eine Wirkung haben würde, die es rechtfeitigen könnte, mit unseren etatsrechtlihen Ueberlieferungen und Grundsäßen jetzt zu brechen.

Mteine Herren, damit ift ja in der Hauptsahe der Umkreis dessen, was von Staatswegen geshehen kann, erschöpft. Ih glaube auf das, was die einzelnen Ressorts auf diesem Gebiete zu leisten noch in der Lage find, niht eingehen zu brauen. Ich habe bereits darauf hin- gewiesen, daß von der Bergverwaltung alles geschehen ift, um die

Der Herr Minister der öffentlihen Arbeiten wird Ihnen eine ähnliche Mitteilung mahen. Bei den andern Ressorts handelt es fih im wesentlihen um Hochbauten; es kommt hier in erster Linie, glaube ih, das Justizministerium in Frage, das im laufenden Etat im ganzen über eine Summe von etwa 94 Millionen verfügt und im näthsten Jahre, falls der Etat Gesey wird, wie er Ihnen vorgelegt wird, etwa die gleiße Summe zu verwenden haben wird. Hier ift vergeben, was nach Lage der Verhältnisse zu vergeben war. Im übrigen haben alle Refsorts dahin Anregung gegeben, daß Aufträge aus dem nächst- jährigen Etat so vorbereitet werden, daß unmittelbar nach der Ver- abshiedung des Etategesezes auh die erforderlihen Verträge getätigt werden können. Nun, meine Herren, sind eine Reihe von Einzelfragen erörtert, die eigentlich nicht mein Ressort betreffen, und die ich deshalb wohl mit Ihrer gütigen Erlaubnis nur kurz zu streifen brauhe. Die eine ist die Frage der Gefangenenbeshäftigung. Der Herr Abg. Trimborn hat ja schon auf die Schwierigkeitrn hingewiesen, in denen ih die Staatsregierung auf diesem Gebiete befindet. Die Arbeit der Ge- fangenen ist ein wesentliher Teil unserer Strafvollstreckung. Wir können also auf eine Beschäftigung der Gefangenen nit verzichten, wenn wir nit unserer Strafvollstreckung das Ziel der Besserung grund- säßlich nehmen wollen. Nun sind ja die Gefängnitverwaltungen, die beiden in Be-

tracht kommenden Ressorts der Justiz und des Innern, hier den Wünschen aus den Kreisen der Gewerbetreibenden soweit wie irgend möglich entgegengekommen. Die Unternehmerbeschäftigung if ein- gestellt. Die Gefangenenanstalten beschränken ih auf ganz bestimmte Betriebsarten, Weberei, Tischlerei und noch einige andere, und sie arbeiten dabei in erster Linie für sich selbft, und zwar, meine Herren, um eben keine Konkurrenz zu machen. Sie arbeiten in diesen Be- trieben für fi selbst, soweit sie für si selbst arbeiten müssen, weil bei Reparaturarbeiten und Ausbauten in. den Gefängnissen aus be- trieblihen Gründen die Beschäftigung fremder Arbeiter niht möglich ist, und fie arbeiten für si selbst, soweit dieses hohe Haus das gebilligt hat. Denn, meine Herren, die Kostenanschläge, die Jhnen vorgelegt werden, sind bemefsen, je nachdem im einzelnen Falle Gefangenarbeit oder die Arbeit freier Arbeiter vorgesehen ist. Es ist also nah Lage der Sache felbstverftändlich niht möglich, daß jeßt für im Gange be- findlihe Bauten, deren Anschläge auf Gefangenarbeit basiert sind, auf vie Gefangenarbeit verzihtet wird und freie Arbeiter hinzugezogen werden. Wohl aber kann ja die Frage erwogen werden, ob da, wo es die örtlihen Verhältnisse erfordern, insoweit auf Gefangenarbeit ver- zihtet werden kann, als die betreffenden Arbeiten noch nicht in An- griff genommen sind, und andere Titel des betreffenden An- {lags Ersparnisse aufweisen. Hierüber würden ih die betreffenden Ressorts mit dem Herrn Finanzminister zu verständigen haben. Alles in allem meine Herren, is das Maß der Gefangenenbeshäftigung niht derartig, daß man von seiner Beseitigung etwa eine wirkliche Besserung im großen Stile erwarten kann. Es ist eine Reihe von Fällen namhaft gemacht worden, in denen zum Schaden freier Arbeiter Gefangenarbeiter beschäftigt werden sollen. Jh glaube auf diese Fälle hier niht eingehen zu brauen. Meine Herren, ich bin damit annähernd am S#lufse meiner Ausführungen angelangt. Es ift s{chon vorhin erwähnt worden, daß auh die Kommunen in der Lage wären, ähnlih wie der Staat, den Arbeitsmarkt durch die Vergebung von Aufträgen zu beleben, und ih kann mih au hier den Ausführungen des Herrn Abg. Trimborn nur dahin anschließen, daß im allgemeinen unsere großen Kommunen auf dem Gebiete der fozialpolitischen Fürsorge Musterhaftes leisten, daß sie in vieler Beziehung geradezu bahnbrehend gewesen sind, daß wir das Maß von Erfahrungen, über die wir heute verfügen, dem opfer- willigen Einspringen unserer großen Städte verdanken. Wenn der Herr Minister des Jnnern und ih gleihwohl Veranlaffung genommen haben, nohmals eine entsprechende Anregung an die Kommunen ergehen zu lafsen, so geshah es, damit die Kette von Maßnahmen, die wir glaubten ins Auge fassen zu können, des leßten Gliedes niht entbehre. Ih hoffe, meine Herren, Sie haben aus meinen Ausführungen entnommen, daß die Königliche Staatsregierung, was die Arbeiter- fürsorge betrifft, fich nicht von rechtsphilosophischen Theorien leiten läßt, sondern lediglich von dem Gesichtspunkte, daß der Staat das größte Interesse an dem Wohlergehen seiner sämtlihen Bürger hat, und daß der Staat mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, immer eingreifen muß, wenn es gilt, \{chwierige Verhältnisse ganzer Bebölkerungsklassen zu lindern. Ih hoffe, der Herr Abg. Trimborn hat aber auch aus meinen Ausführungen entnommen, daß die Königliche Staatsregierung in einer ganzen Reihe von Punkten völlig einer Meinung mit ihm gewesen ist, und er hat ferner aus meinen Ausführungen entnommen, daß wir alles das getan haben und wie ih hinzufügen möchte, getan haben, ehe die Anregung aus diesem hohen Hause kam, was nah unserer Auffaffung zu tun überhaupt möglich war. (Bravo !)

Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenbach: Meine Herren! Es3 is der Erwartung Ausdruck gegeben worden, daß der größte Arbeitgeber im Staate, der Minister der öffentliWen Arbeiten, in Zeiten, wie wir sie jezt durchleben, des wirtshaftlihen Stillftands, teilweise auh des wirtshaftlichen Rückgangs, soweit es an ihm liegt, belfend und fördernd eingreifen soll. Dieser Erwartung, meine Herren, habe ich {on früh Ausdruck gegeben und ihr ent- sprochen. Jch habe bereits im Januar d. J. die Baubehörden des Staates sowie die Staatseisenbahnbehörden angewiesen, Arbeits- gelegenheit zu s{affen, soweit es in ihren Kräften stehe, bei Neus- bauten und Unterhaltungsarbeiten. Der Anweisung ist alsbald und mit Erfolg entsprohen. Jh will nur erwähnen, daß es alsbald in drei Eisenbahndirektionsbezirken gelungen ist, ganze Arbeitergruppen, die in der Industrie arbeitslos geworden waren, bei unseren Bauten einzustellen. Aber es ist mit Recht darauf hiygewiesen worden, daß zwischen einem Erlafse des Minifters und der Feststellung seiner Ausführung ein großer Unterschied zu machen ist, und ich glaube den Nachweis, daß der Erlaß im ganzen Bereiche meines Ressorts nahdrücklich|t be- folgt ift, nur badurch führen zu können, daß ih einige Zahlen bekanntgebe, die jüngst bei einer gleihartigen Verhandlung im Reichs- tage der Herr Staatssekretär des Innern dem Reichstage bereits zum Teil mitgeteilt hgt. Noch zu keiner Zeit hat eine solche Bautätigkeit der Eisenbahn- verwaltung ftattgefunden wie im Jahre 1908, Wir werden in diesem

vorhandenen Mittel so rasch wie irgend mögzlich nußbar anzulegen.

ih lege besonderen Ton hierauf niht weniger als 338 Millionen verbauen. (Bravo!) Ih darf einen Irrtum des Herrn Abg. Trimborn berihtigen, daß uns nur 338 Millionen an Krediten zur Verfügung jtehen; nein, wir werden diese Baumittel wirklih veraus- gaben. Die Größe dieser Summe wird ohne weiteres daraus erkenn- bar, wenn ih anschließend mitteile, was wir in frühren Jahren ver- baut haben, in Jahren, in denen wir glaubten, \chon eine besondere Tätigkeit entwickelt zu haben: im Jahre 1907 waren es 295, 1906 200, 1905 171, 1904 164 Millionen. Wir werden also im Jahre 1908 genau das Doppelte verbauen von dem, was wir im Jahre 1904 geleistet haben. Diese Bauleiftung seßte nicht nur voraus, daß wir die E erheblich vermehrt , sondern daß wir unseren ganzen Bauapparat, die ganze Organisation un stark verdichtet haben. / p S In den Summen, die ich eben nannte, sind die ungewöhnl hohen Mittel für die Beschaffung von Betriebsmitteln r A aus S E werden wir im Jahre 1908 für 239 Mil- nen beschaffen, etwas weniger als im Ee S ou g Jahre 1907, erheblich mehr Aber nicht allein die Tätigkeit der Staatéteisenbahnverwaltung auf dem Gebiete des Bauwesens war außergewöhnlih, sondern auch diejenige der Allgemeinen Bauverwaltung, obwohl es ih hier nicht um fo große Summen handelt. Wir werden in der Allgemeinen Bauverwaltung 54 Millionen verbauen und haben verbaut im Jahre 1907 40 Millionen und 1906 30 Millionen. Wenn ih fummiere, was wir in der Allgemeinen Bauverwaltung und in der Eifenbahn- mie Le A für Betriebsmittel verwenden werden, fo er- geben olgende Zahlen: îm Jahre 1906 427, 1 631 Millionen Mark. N S S Es ift der Auffassung Ausdruck gegeben Herr Abg. Palnicke war es, und ich bia ihm dankbar dafür —, daß die Staatseisenbahnverwaltung troy der eben nachgewiesenen außerordentliGen Bautätigkeit an dieser oder jener Stelle mit ihren Aufträgen zurückhalte; es ist sogar in der Presse ausgeführt, es geshehe, um zu fparen. Dieser Auffassung muß ich hier und gerade bei dieser Debatte nahdrücklihst entgegentreten. Eine solhe Sparsamkeitspolitik treiben wir durchaus nicht. Die Mitteilungen beruhen offenbar darauf, daß wir nit die ungewöhnlichen Quantitäten an Oberbaumaterial, das find Schienen, Schwellen und Kleineisenzèug, verwenden konnten wie im Vorjahre 1907. Wir werden in diesem Jahre davon nur 746 000 t verwenden, während wir 1907 849 000 t, 1906: 595 000, 1905: 548 000 t ver- brauhten. Das Jahr 1907 stellt für den Verbrau von Oberbau- materialien ein Rekordjahr dar, weil in diesem Jahre die Verlegung IL., IIL. und TV. Gleise auf den Staatseisenbahnen ihren Höhepunkt erreihte. Es entfprach ja einem Wunsch des hohen Hauses, daß die Staatseisenbahnen gerade dadurch ihr Net [eistungsfähiger ge- ftalteten, daß fie ‘eine Zahl von Linien mit zweiten Gleisen aus- statteten. Das ift 1906 und 1907 im weitesten Maß geschehen, ge- sieht auh heute noch, und au noch in den folgenden Jahren. Aber diese Bauausgaben müssen mit Erfüllung des Bauzweckes alls mählih forifallen, infolgedefsen nehmen die Bestellungen ab. Wir können dafür niht Ersaß schaffen,” obwohl wir in toto eine unge- wöhnlihe Bautätigkeit entwickeln. Wir können aber aus dem Ordinarium des Etats auch in diesem

für die Arbeitershaft im ganzen Lande verwendet werden, weil dem Ordinarium des Etats erheblich mehr Mittel als 1907 und 1908 zur Verfügung stehen. An Mitteln, um die Arbeiterschaft zu beschäftigen, fehlt es weder der Staatseisenbahn-, noch der Staatsbauverwaltung ; in beiden Verwaltungen haben wir außerordentlih hoh: Kredite aud- stehen, die in steigendem Maße Verwendung finden, namentlich in der Staatsbauverwaltung, wenn im nächsten Jahre die großen Kanals bauten, der Nhein—Hannover- Kanal, der Großschiffahrtsweg Berlin— Stettin, in vollen Bau kommen werden. Wir werden dann ten Voraussetzungen, die hier wiederholt und von den verschiedensten Seiten zum Ausdruck gebraht wurden, voll entsprehen können.

Wenn ih auf die von dem Herrn Abg. Rahardt angeregte Frage eingehe, ob es zulässig sei, und ob wir niht imstande seten, durch Vor- bewilligung von Mitteln vor geseßlicher Feststellung des Etats Arbeitsgelegenheit zu schaffen, so muß ih sagen: wir werden irner- halb meines Ressorts gar kein Bedürfnis für eine folche Vor- bewilligung haben, weil die Mittel in reihem Maß zur Verfügung stehen, und die Behörden im Land angewiesen find, alles fo vcer- zubereiten, daß jeden Augenblick eingegriffen werden kann. Es wäre im übrigen außerordentli erwünscht, wenn wir der Anregung. des Herrn Dr. Pachnicke entsprehend unsere Bauausführungen“ auf die einzelnen Jahre gleihmäßiger verteilten. Die Staatsbauverwaltung sowie die Staatseisenbahnverwaltung ist bestrebt, diesem Wunsch, den wir zu etnem Grundsaß erheben möhten, zu entsprechen. Aber, meine Herren, wir stoßen uns doch immer wieder an den Tatsachen: wir konnten die Verkehrsentwicklung in den Jahren 1905, 1906 und 1907 niht übersehen, ebensowenig wie alle diejenigen, die uns in der Frage, in Handel und Industrie beraten, es konnten. Eine so un- gewöhnlihe Steigerurg des Verkehrs und der Betriebsleiftungen konnte nit vorausgesehen werden. Wir mußten in diesen Jahren eine urgewöhnli@e Bauleistung aufweisen, hätten wir tas nicht, hätten wir niht unsere Absicht bereits in den Jahren 1906, 1807 und 1908 in die Tat umgesecßt, so wäre unser Betrieb auf das E in viel höherem Maß, als es {hon geschehen ift, gestört orden. Meine Herren, ich darf dann noch kurz übergehen auf die Verwendung von ausländishen Arbeitern in unseren Arbeits- stellen. Da muß ih auch für mein Ressort in den Vorder- grund ftellen, was der Herr Handelsminister bereits gesagt hat: in den flaatlihen Betrieben sind die ständig beschäftigten Arbeiter aus\{ließlich Inländer. Bei den \taatlihen Bauten sind es ganz überwiegend Inländer. Es ist der Grundsaß gerade in diesem Jahre wiederholt sehr {haf ausgesprohen worden, und zwar nicht nur zur Nachachtung für unsere Baubehördcn, sondern auch für das Unter- nehmertum, welches durch Verträge verpflihtet wird, geeignete in- ländische Arbeiter unter allen Umständen den ausländischen vorzuziehen und die Baubehörden des Staats, sowohl. der Staatseisenbahn- wie der Bauverwaltung, sind diesen Anweisungen strikle nahgekommen. Daß wir austländishe Arbeiter für bestimmte Leistungen überhaupt niht entbehren können, ift Hier bereits wiederholt überzeugend nah- gewiesen worden. Es sind bestimmte Tätigkeiten, die der inländische

Jahre aus tem Extraordinarium des Etats und aus der Anleihe

Arbeiter aus erkennbaren Gründen nit leisten kann, zum Teil, weil

Jahre größere Mittel zur Verfügung stellen, die wieder nutzbringend -

".

ihm die körperlihe Leistungsfähigkeit mangelt, zum Teil, weil er sich nicht dieses ist noYŸ nicht erwähnt worden \— einem Zwang unterwerfen will, wie das beim Tiefbau namentlich Wasserbauarbeiten notwendio ist; er will nit in das Barackenleben hinein, er will nit die Einengung seiner Persönlichkeit dulden, wte sie das Barackenleben mit sich bringt. Wir werden also stets mit einer Minderzahl ausländischer Arbeiter au bei Staats- bauten, namentlich bei Unternehmerbauten rechnea müssen, wenn wir au an dem Grundsatz, daß die inländische Arbeitskraft, und gerade in so kcitishen Zeiten wie jeßt, eine Bevorzugung erfahren muß, festhalten.

Es if nun hingewiesen worden, daß die Staatsbauverwaltung sich veranlaßt gesehen hat, im Vorjahre eine stark einschränkende Be- {timmung wegen Verwendung inländisher Arbeitskräfte bei den MWasserbauten zu treffen. Es handelte sich um eine Anordnung für den Großschiffahrtsweg Berlin—Stettin, ber der Handel®minifter \{on Erwähnung tat, um eine Sperrverfügung, auf Grund deren Arbeiter, vie innerhalb einer bestimmten Zone im Zuge der Kanal- trace ihren Wohnsitz hatten, inländische Arbeiter, die mindestens 3 Monate innerhalb dieser Zone arbeiteten, von den Unternehmern niht ange- worben werden sollten. Diese Verfügung enthtelt von Anbeginn an die Er- mächtigung, daß Ausnahmen nach dem Ermessen der Vorstände der Bauämter gewährt werden follten. Von dieser Ermächtigung ist Gebrauch gemaŸht. Zu Beginn dieses Jahres ist sie teilweise bereits für bestimmte Baubezirke außer Wirksamk-it gesezt worden, und im Herbst dieses Jahres ift sie bis ins Frühjahr nähsten Jahres, wo weitere Entscheidungen getroffen werden sfollen, suspendiert. Die Verfügung ist seinerzeit unter Zustimmung dieses hohen Hauses er- lassen wocden. Sie wurde erlassen, weil gleihmäßig Industrie und Landwirtschaft diese Beschränkung forderten, da, gerade die für In- dustrie und Landwirtschaft geeigneten Arbeitskräfte zu den Kanalbauten abz"zogen warden, während geeignete ausländishe Arbeitskcäfte zur Verfügung standen. Dem Zuzuge ausländischer Arbeiter wird die größte, sorzfältigste Prüfung zugewendet. Daß unsere Anor)nungen in dieser Beziehung von Erfolg begleitet find, möge daraus erkannt werden, daß nach ciner mir vorliegenden zahlen- mäßigen Mitteilung die Zahl der dem Rückkehrzwange unter- liegenden ausländishen Arbeiter bei der Staatseisenbahnverwaltung troy Vermehrung der Bauarbeiten von 7621 im Jahre 19097 auf 3700 im Jahre 1908 zurückgegzangen is. Die Zulassung ausländischer Arbeiter erfolgt von Fall zu Fal dur den Herrn Minister des &Fnnern nah Anhörung des Ministers der öffentlichen Arbeiten, und {ch kann hier nur bestätigen, daß in diesen kritishen Zeiten in vielen Fällen die Zulassung ausländischer Arbeiter abzelehnt worden ist.

Meine Herren, ih kann nur mit der Versiherung {ließen, daß die Staatseisenbahnverwaltung und Staatsbauverwaltung auf das äußerste bemüht .sein werden, die Shwierigkeiten der wirtschaftlichen Sttuation, der Arbeitslosigkeit vorzubeugen. (Lebhaftes Bravo!)

Abg. Borgmann (Soz.): Es ist dech ein Widerspru, wenn der Herr Eisenbahnminister in einem Atem sagt, die einheimischen Arbeiter seien nicht für die Kanalbauten geeignet, er habe aber den Erlaß, der die einheimischen Arbeiter auss{ließt, teilweise suspendiert. Die Quellen der Arbeitslosigkeit liegen in der inter- nationalen großkapitalistishen Wirtschaftsweise; ers wenn diese durch den Sozialismus überwunden is, wird auch die Arbeitslosigkeit auf- hôren, ‘eher nicht. Im Reihe wird eine Wirtschaftspolitik unter Feten des Bundes der Landwirte getrieben. Im Reichstage sagte der

bg. Dr. Hahn, daß infolge unserer Wirtschaftspolitik die Arbeits- losigkeit bei uns nicht so {limm fei wie in Eagland und Amerika. Aber England is Freihandeleland und Amerika Hohschußtzzolland, und doch vergleiht der Abg. Diederich Hahn diese beiden Länder mit uns. (Präsident von Kröcher: Es ist hier niht üblih, die Vornamen der Abgeordneten zu nennen.) In Amerika zeigt sich jeßt nah dem Abschlusse der Präsidentenwahl eine Besserung der Verhältniffe ; aber wir haben den Höhepunkt der Krisis roch niht überschritten, die Arbeitslosizkeit wird in vershiedenen Industrien noch größer werden. Wir haben leider noch keine genügenden Unterlagen für die Beurteilung des Umfangs der Arbeitslosigkeit. Die Arbeits- losenzäblung in Berlin ist auch nur mangelhaft gewesen, denn es ist niht jedermanns Sache, sih als arbeitslos auf öôffentlichen Märkten zu melden ; außerdem sind viele Arbeiter, die in der Hoch- konjunktur in Berlin gearbeitet haben, aber hier nicht wohnen, nach ihrem f\tändigen Wohnort wieder zurückgekehrt. Im Jahre 1997 wurden in Berlin durch die freien Gewerkschaften 1,4 Mill. Mark an Arbeitslosenunterstüßungen gezahlt, in den ersten drei Viertel- jahren 1908 auch {on 1,4 Million, und in dem laufenden Viertel- jahr und im ersten Vierteljahr 1909 ist eine weitere Steigerung zu erwarten, sodaß für 1908 auf üb:r 2 Millionen zu rechnen ijt. Schon lange vor der sozialpolitishen Geseßgebung im Reiche haben die Gewerkschaften Invaliden- und Krankenunterstützungen gehabt. In der De ist behauptet worden, daß auf dea städtischen Riesel- feldern die Rüben erfroren seien, weil es an Arbeitern fehlte, und daß in Berlin die Arbeitélosen zu derselben Zeit die Unterstüßung des Magistrats gehabt hätten. U. a. brate die „Deutsche Tages- zeitung“, die allerdings ‘zu wenig landwirtschaftlihe Kenntnisse hat, diese Notiz. Die Sache lag so, daß “plôglich ein Wetter- fturz von 20 Grad Wärme auf 7 Grad Kälte eintrat, sodaß nicht nur auf dem Berliner Felde, sondern au anderwärts Früchte erfroren. In der Presse hieß es, daß von Berlin alles Mögliche getan werde, um Berliner arbeitslose Arbeiter rah den Rieselfeldern zu bringen. Das ift nicht der Fall. Von der Rieselfelderverwaltung ist der städtische Arbeitsnahweis niht für die Beschaffung von Arbeitern in Anspru genommen worden, und außerdem war der Boden so hart

efrcren, daß nit gearbeitet werden konnte. Für den Augenblick kann Arbeit geschaffen werden durch die Ausführung der öffentlichen Bauten ; Hunderte von Shulgebäuden im Lande sind fo s{lecht, daß neue aufs geführt werden sollten ; der Staat sollte den Gemeinden dazu Bau- darlehen geben. Eisenbahnschienen und Schwellen verderben nit, der Staat könnte 20 bis 30 Millionen für solhe Zwecke sofort ausgeben, damit die Werke beschäftigt werden. Jn dieser Zeit hat aber gerade die Gisenbahnverwaltung die Löhne und Akkordsäße für die Arbeiter auf den Berliner Bahnk öfen, ¿. B. auf Bahnhof Grunewald und in Schöneberg, herabgeseßt, und die Bergverwaltung im Saarrevier hat den Fahreslohn der Bergarbeiter von 1100 auf 950 4 h-rabgedrüdt, und zwar gerade jeßt, wo neue indirekte Steuern eingeführt werden follen. Führen Sie doch eine progressive Notstandssteuer ein, die bei Einkommen von 5- oder 6000 4 anfargen und bet den böchsten Ein- kommen bis zu 10 9/0 steigen könnte. In Berlin W. find die Diners mit einem Kuvertpreise von 50 4 gar nihts Seltenes, und \olhe Leute würden diese Steuer fehr gern zahlen, und jene, die fie nit gern zablen wollten, müßten sie doppelt bezahlen. (Der Redner verliest das Menü eines solhen opulenten Diners mit Schildkröten- [uppé, Scnepfen usw.) (Zwischenruf.) Wenn Sie, Herr Kollege, o viel in Ihrem Leben gehungert hätten wie ih, so würde ich Sie bedauern. Diese Herthaflen gehen dann im Winter an die Riviera, nach Korfu usw., fie können doch wirklich etwas für die Arbeitslosen tun. Dafür einzutreten, ist die Pflicht des Volkésvertreters.

Minister der öffentlihen Arbeiten Breitenba ch: Meine Herren! Der Herr Vorredner hat behauptet, daß die

-

\haftsperiode die Löhne herabzuseßen und damit der Industrie zu

folgen, die genötigt if, der wirtshaftlihen Lage fi anzupafsen und

die Löhne zu reduzieren. Diese Behauptung trifft niht zu. Wie es

ih erklärt, daß nah den Mitteilungen des Herrn Abgeordneten auf

dem Bahnhof Grunewald eine Lohnminderung eingetreten ist, kann

ih selbstverständlih, ohne in eine Prüfung der Sachlage einzutreien,

hier nicht aufklären. Nur das will ih bemerken: es handelt sich ofen-

bar um eine Hauptwerkstatt, in der zu Akkordlöhnen çcearbeitet wird.

Diese Akkordlöhne müssen einer ständigen Revifion unterworfen werden,

insbesondere, sobald neue mashinelle Anlagen geschaffen werden, ist

eine Nachprüfung der Akkordlöhne erforderli (sehr richtig !); da kann

es dann vorkommen, daß mal ein paar Pfennige weniger oder au

ein ‘paar Pfennige mehr verdient werden. Der Herr Abgeordnete hat

aber nicht erwähnt das möchte ih denn do hier festftellen —,* daß die Staatseisenbahnverwaltung, obwohl fie an vielen Stellen des

Staatsbahnenbereihs zur Zeit eine erheblihe Verminderung des Ver-

kehrs aufzuweisen hat, an keiner Stelle dazu übergegangen ist, Arbeiter

zu entlassen; fie bält den ganzen Arbeiterstamm. Sie hat auch nah

dem 1. Oktober, wie in anderen Jahren, die von der Fahne zurück-

kehrenden Mannschaften im weitesten Umfange wieder eingestellt (hört,

hört !), obwohl fie an vielen SteDen einen Uebers{uß hatte.

Dann hat der Herr Abgeordnete die Gelegenheit benußt ih

glaubte, es würde bcim Etat geschehen —, die Verwaltung in ein-

zelnen Einrichtungen einer Kritik zu unterwerfey. Er hat den Be-

triebsmittelpark, den Wagenpark, den wir auf den Nebenbahnen

dem Verkehr zur Verfügung stellen, in seinen gesamten Einrichtungen

bemängelt, namentli auch was die Reinlichkeit betrifft. Nun, meine

Herren, im großen ganzen haben wir bisher günfligere Beurteilungen über die Einritungen der Staatsbahnen von dritter Seite erfahren; (sehr richtig!) Die preußische Staatseisenbahnverwaltung, das kann immer wieder festgestellt werden wird nit bloß im deutschen Publikum, fondern auch im ausländischen in ihren Einrichtungen in g?wisser Beziehung als mustergültig hingestellt, (lebhafte Zustimmung) und ich glaube, es dient wenig dem allgemeinen Interesse, wenn sie aus solchem Anlaß hier heruntergeseßt wird. (Sehr wahr!)

Dann noch eins. Der Herr Abgeordnete begann damit, daß er mir einen Widerspruch nach@zuwei)en suchte. Jch habe darauf hin- gewiesen, daß inländishe Arbeiter für gewisse Arbeiten es sind insbesondere Tunnel- und Wasserbauarbeiten wenig geeignet ers scheinen als ausländishe. JIch habe felbstverständlih nicht sagen dürfen und wollen, daß kein inländisher Arbeiter \ich für eine solhe Tätigkeit eignet; ih darf bemerken, daß diese Eignung pro- vinziell außerordentli verschieden ist. (Sehr richtig!)) Wir haben erft vor kurzer Zeit an der unteren Oder festgestellt, daß Arbeiter aus Pommern bei den Wasserbauarbeiten verblieben, Arbeiter aus der Mark dagegen weggegangen find, weil sie ihnen zu \{wierig waren, und durH Ausländer erseßt werden mußten. Damit will ich durchaus nit behaupten, daß jeder Arbeiter in der Mark für solhe Arbeiten ungeeignet sei. Aber, meine Herren, das bitte ih zu berüdcksihtigen: der wiederholt erörterte Syerrerlaß wegen der Be- schäftigung inländischer Arbeiter beim Großschiffahrtsweg ist zu einer Zeit erfolgt, wo unsere inländisGe Landwirtshaft und Jn- dustrie allergrößte Not litt (lcbkafte Zustimmung) und auf das äußerste bemüht \ên mußte, geeignete Arbeitskräfte heranzuziehen. (Sehr richtig) Um also Landwirlshaft und Jn- dustrie in solher Zeit niht zu \chädigen, ist eben die Verfügung er- gangen, daß innerhalb einer gewissen Sperrzone inländische Arbeiter am Kana!k nicht bes§äftigt werden sollen, (sehr gut!) auch wenn, wie vorauszusehen war, nur ein bestimmter engerer Kreis von inländischen Arbeitern verwendet werden konnte. (Bravo !)

Minister für Handel und Gewerbe Delbrüd:

Meine Herren! Der Herr Abg, Borgmann kat der Ansicht Autdruck gegeben, daß, wenn von meiner Seite die Versicherung ab- gegeben worden sei, daß in den zu meinem Ressort gehörigen Betrieben eine Reduktion der Löhne nicht eingetreten \ci, diese Mitteilung mindestens auf einer unzutreffenden Information meinerseits durch die nahgeordneten Behörden beruhen müßte. Er hat die Behauptung aufgestellt, daß im Saarrevier die Jahreseinnahme der Arbeiter von durschnittlich 1100 A auf 900 4 zurückgegangen fei. Ich weiß nit, woher der Abg. Borgmann diese Zahlen hat; ich nehme an: aus dem „Vorwärts“, (Heiterkeit.) Ih habe die betreffende Notiz des „Vorwärts“, sowie sie in meine Hände kam, obwohl ich von vorn- herein annehmen konnte, daß sie niht zutreffend war (sehr richtig), nah Saarbrücken ges{chickt und darauf die Antwort bekommen, daß die Schichtlöhne gegenüber denjenigen im vergangenen Jahre unver- ändert seien, und daß die Gedinge \sich im allgemeinen auch nit verändert hätten. (Hört! hört! rechts.) Ich kann mich auf die Einzelheiten der Fehler, die sich in der Berechnung des „Vorwärts“ befanden, niht mehr besinnen; soviel steht aber fest, daß die Annahme, daß die Gedinge derartig heruntergegangen wären, daß der Jahres- verdienst im Saarrevier von 1100 auf 900 4 heruntergegangen sei, unzutreffend is. Die Gedinge follten gehalten werden und werden sich auch im allgemeinen gehalten haben. Daß es immer Kamerad- schaften gibt, die Unterverdienst machen, der dann zur Grundlage für derartige sensationelle Berehnungen in der Prefse gemacht wird, das wissen die Herren eben so gut wie ih. (Sehr richtig! rechts.)

Abg. Malk ewiß (kons.) : Auf dem Lande im Osten und Westen wird man \ich wundern, wie wir uns hier die Köpfe zerbrehen über die Arbeitslosigkeit, während auf der anderen Seite im Herbst Millionen von landwirtschaftlihen Werten in der Erde bleiben mußten, weil es an Arbeitern fehlte. Woher der Abg. Borgmann ite daß die „Deutsche Tageszeitung“ nicht genügende landwirtsaftli Kenntnisse habe, weiß ih niht, aber es wird jeder Kenner bestätigen können, daß diese Millionen landwirtshaftliher Werte hätten erhalten werden können, wenn Arbeiter vorhanden gewesen wären. Die Sozialdemokratie is durch ihre Agitation unter den Arbeitern mit

chuld daran. Der Abg. Dr. Hahn hat im Reichstage den Zusammen- n mit unserer Wirtschaftspolitik richtig dargestellt. In Amerika haben die Trustbildungen, die großen Kapitalsansammlungen mit beigetragen zu der Krisis. Es fragt sich für- uns nur : wie hat die Krisis auf das Freihandelsland England und auf Deutschland gewirkt ? Die Arbeiter \trömten in Deutschland nach den großen tädten, weil man seinerzeit den gleihen Shuß für Industrie Landwir! haft aus den Augen verloren hatte. Hätten wir nit in den leßten Jahren darin eine Aenderung eintreten lassen, so würde heute die Krisis für uns viel {limmer sein. Der „Vorwärts* selbft kat im August festgestellt, daß die Krisis in England fo {wer sei, daß Lohnredukiionen Vorgenommen und daß eventuell Fabriken geschlofsen werden müßten. o ift bei uns davon die Rede? Die Fabriken bemühen si alle, ihre Arbeiter zu behalten. Daß die Krisis in England \{limmer ist, beweist auch der Umstand, daß der

und /

[

Die Sozialdemokraten können doch nicht bestreiten, daß in den pi Jahren bei uns die Verhältnifse der Arbeiter fich wesentli gebessert haben; Herr Calwer, der allerdings jeßt aus der Partei ausgeschlossen werden . soll, hat nachgewiesen, in welch roßem Maße die Lebenshaltung der Arbeiter bei uns gestiegen fai: Fn England macht sich ein®& immer stärkere Bewegung für die Schuzzollpolitik geltend, je mehr die Arbeitslofigkeit steigt, das wird der „Berliner Morgenpost“ aus England gemeldet. Die englischen Arbeiter haben die Üeberzeugung gewonnen, daß ein Scutzoll niht zum Nachteil, sondern zum Vorteil der Arbeiter dient. Die Krisis hat nicht nur die Arbeiter ges{ädigt, sondern auch unseren ganzen Gewerbestand; auch die Zahl der be- \chäftigungslosen Handlungsgehbilfen if erschreckend. Das Hand- werk wird weiter ges{hädigt durch die Gefängnisarbeit, und mit Recht wird in Breslau über die Konkurrenz der großen Gefängnisbuhbinderei geklagt, bei der zahlreihe Behörden arbeiten lassen. Deshalb verdient der Oberftaatsanwalt in Breslau unseren lebhaften Dank dafür, taß er in einem Schreiben an die Handwerks- kammer in Oppeln erklärt hat, daß er von dem Rundschreiben der Gefangenenverdienstkafsen in Breslau keine Kenntnis gehabt, daß er nun aber diesen Wettbewerb mit dem freien Handwerk untersagr habe, und dgß er sein Bedauern überein solches Versehen eines Beamten ausspreche. Ich möchte “Wünschen, daß überall die Handwerker in dieser Weise ges{hüßt werden. Man hat aber sogar ganze Druckereien in den Zuchthäusern erri&tet, selbst dem Kunstgewerbe wird durch die Gesängnisarbeit Konkurrenz ge- macht. Ein Krebsschaden is es, daß große öffentliße Bauten an einen Generalunternehmer vergeben werden, der seinerseits die Handwerker annimmi; so ist es nicht ausges{lossen, daß die Handwerker sogar bei Staatsbauten ihr Geld verlieren. Der Staat sollte selbst den Handwerkern die Arbeit übertragen. Ferner follte die Erteilung des HulMages Hei Lieferungen \{neller erfolgen ; die Firma Schwarßkopff beshwert \ih z. B. darüber, daß auf etn Angebot vom 8. Oktober d. J. bis jeßt noch keine Ant- wort- erteilt sei. Ueber die Sache der Berliner Nieselfelder bätte die Berliner Stadtverwaltung längst eine Aufkiärung geben follen. Alle Bemühuvgen, die Arbeiter vor dem Zuge nah der großen Stadt zu warnen, verhöhnt die Sozialdemokratie und führt fie, wie die „Leipziger Volkszeitung*, auf den Egoismus der Landwirte zurück. Trotz der Arbeitslosigkeit finden immer - noch Streiks statt. Durch den Stettiner Nieterstreik, der niht einmal die Billigung der Gewerkschaften fand, sind Tausende von anderen Arbeitern mit auf das Pflaster geworfen worden. Die Berliner Gesindevermittler klagen darüber, daß junge Leute, die eben nach Berlin gekommen find und keine Arbeit finden, nicht sofort wteder auf das Land zurülckgeschickt werden können, weil fie keine Dienstbücher haben und 8 Tage darauf warten müssen, bis ihnen die Polizei eins ausgestellt hat. Der Minister des Innern follte in dieser B?ziehung für Beschleunigung sorgen. Der Reichskanzler ermahnte zur Sparsamkeit, aber hoffentlich fängt man nicht wieder am falshen Ende an und läßt das Handwerk darunter leiden. Wir erkennen dankbar an, daß die Regterung, noh ebe die Anträge an das Haus kamen, ihrerseits alles getan hat, um die Arbeitslosigkeit zu lindern; wir meinen au, daß die Kommunen mehr und mehr ermahnt werden müssen, die notwendigen Arbeiten aus- zuführen. Allerdings werden die Kommunen die bloß wünshenswerten Arbeiten niht ausführen können, denn auch die Kommunen sollen sparen. Ferner dürfen nicht Arbeiten an das Ausland gegeben werden, die wir im Inlande sebst machen können ; das gilt nament- lich von unserer Schiffsbauindustrie, die durchaus leistungsfähig ist. Wir müssen auch den berechtigten Ausgleih zwischen Land- wirtshaft und Industrie \chafffen; die treibhausartige Ent- wickelung der Industrie ift auf Kosten der Landwirtschaft erfolgt. Die fortgeseßte Heterei der Sozialdemokratie gegen das Land ist eine der Hauptursahen, daß den Arbeitern das Land verekelt wird. Es ist nit nôtig, daß die Verhältnisse sich ändern, aber Sie (zu den Sozialdemokraten) sollten sich ändern. Helfen Sie dazu in diefer Weise, daß etne Besserung geschaffen wird, dann werden wir die Krisis überwiñden können. gh

Kommissar des Justizministers, Geheimer Oberjustizrat Pla schke: " Ich kann mitteilen, daß die Justizverwaltung seinerzeit Le gefreut hat, den Entscheid des Oberstaatsanwalts in Breslau bestätigen zu können, da eine Konkurrenz des Handwerks durh die Gefängnisarbeit durchaus nicht in ihrer Absicht liegt. Jm gleihen Sinne ist auch auf einen Beschluß des Hauses hin davon Abstand genommen worden, die Formulare in den Gefängnifsen drucken zu lassen. Ebenso ist die Gefängnisarbeit -eingeshränkt worden, die die Glaßzer Weberei hätte \chädigen können, ein erneuter Antrag der betreffenden Interefsenten, die Arbeitskraft der Gefangenen ihnen zur Verfügung zu stellen, ift abgelehnt worden.

Darauf vertagt sich das Haus. räsident von Kröcher \{chlägt vor, die nächste Sißung am 12. Januar abzuhalten und auf die Tagesordnung zu seßen : Ent- egennahme von Vorlagen der Regierung (Etat), Fortseßung der Seiptedana der Interpellation über die Arbeitslosigkeit und Interpellation Roeren wegen der öffentlihen Nacktdarstellungen.

Abg. Roeren (Zentr.) bittet, morgen eine Sißung abzuhalten, um auch die leßtere Interpellation, die shon am 23. Oktober eingebracht sei, erledigen zu können.

Abg. Dr. von Heydebrand und der, Lasa (konf.) bemerkt, daß vor allen Dingen morgen die Fraktionen über die Kommissions- beshlüfse zu den Besoldungs- und Steuervorlagen beraten müßten, damit in der Kommission die zweite Lesung dieser Vorlagen noch vor Weihnachten beendigt werden könne. Er möchte deshalb dem Abg. Noeren ans Herz legen, seinen Wunsch zurückzustellen. / :

Abg. von Dirk} en (freikonf.) erklärt sih aus denselben Gründen für den Vorschlag des Präsidenten, obwohl seine Partei zur Arbeitslosen- interpellation noch nicht zum Worte gekommen set.

Abg. Borgmann (Soz.) empfiehlt, zur Gorlepung der heutigen Beratung am Sonnabend noch eine Sißung abzuhalten ; dann könnten morgen die Fraktionen beraten. Die Sache der Arbeitslosen fei so wichtig, daß sie eingehend besprohen werden und jede Partei Ge- legenheit haben müfse, fd darüber zu äußern.

Gegen die Stimmen des Zentrums, der Polen und der Sozialdemokraten beschließt das Haus nah dem Vorschlage

des Präsidenten. Schluß 41/3 Uhr. 11 Ube:

Nächste Sißung 12. Januax 1909, (Entgegennahme von Vorlagen der Regierung; Fnterpellation Trimborn wagen der Arbeitslosigkeit; Jnter-

pellation Roeren wegen der Nacktdarstellungen.)

Land- und Forstwirtschaft.

Getreidemarkt in Genua während des Monats Oktober 1908.

Weichweizen: Italien hat seine Weizenkäufe im Auslande fortgesetzt, wenn auch in geringerem Maße als im Monat September. Die Umsäße waren deshalb etwas beschränkter, und es machte ih eine gewisse Ermüdung bemerkbar, die darin zum Ausdruck kam, daß die Wiederverkäufer Ware zu niedrigeren Preisen als die Ursprungs- forderung zum Kaufe ausboten. Die Umsäße beschränkten sih haupt- \ählich auf Dónau- und Plataweizen, da die Preise der russischen Weizen zu hoch befunden wurden. Die italienishen Landweijen sind weiter im Preise gestiegen, dagegen sind die Meblpreise infolge von Konkurrenzmanövern der Müller niedriger als im Vormonat. Die Etnfuhr ausländischen Weizens hat, wie vorauszusehen war, im

Berichts8monat stark zugenommen. h Hartweizen: Die von den Käufern in Süditalien während des

Monats Oktober beobahtete Zurückhaltung hat das Geschäft in süd- russishem Hartweizen wieder auf eine gesündere Grundlage gebracht.

Staatseisenbahnverwaltung im Gegensay zu den Ausführungen des Herrn Handelsimninifters dazu übergegangen sei, in der jeßigen Wirts

englishe Export viel mehr zurückgegangen if als der unserige.

Die Preise sind so weit zurückgegangen, daß sie wohl immer noch als