1890 / 51 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 25 Feb 1890 18:00:01 GMT) scan diff

E alle Leichen, an welchen deutliche Zeichen von Verwesung wahrnehmbar sind, niht über den vierten Tag, d. i. 4 mal 24 Stunden, von der Stunde des eingetretenen Todes an, im Sterbehause belassen werden dürfen, sondern aus dem leßteren spätestens mit Ablauf der gedachten Frist entfernt werden müssen, um entweder beerdigt oder den Todtenhallen übergeben zu werden.

Beide Kammern hielten heute um 12 Uhr Mittags Sigzungen ab. Die Sißung der Ersten Kammer wurde vom Präsidenten, Wirklichen Geheimen Rath von Zehmen, mit einem dem jüngst verstorbenen Sekretär, Bürgermeister Löhr, gewidmeten warmen Nachruf eröffnet, in Verfolg dessen sid die Kammer auf Aufforderung des Redners zum Ausdruck des ehrenden Andenkens an den Ver- ewigten einmüthig von ihren Pläßen erhob. Hiernach bewilligte die Kammer auf Antrag ihrer 2. Deputation einstimmig und ohne wefentiüiche Debatte in Uebereinstimmung mit den Beschlüssen der Zweiten Kammer eine Reihe von Titeln des außerordentlichen Etats allenthalben nah der Vorlage. Die Zweite Kammer verwies das Königliche Dekret Nr. 29, einen Nachtrag zu Kap. 92 des ordent- lihen Staatshaushalts - Etats (Polytehnikum zu Dresden) betreffend, an die Finanz-Deputation A und bewilligte sodann auf Antrag der Finanz-Deputation A die von der Staatsregierung zum Bau eines nsuen Gebäudes für das Finanz-Ministerium geforderte erste Rate von gemeinjährig 1250000 &, nachdem Abg. Ublmann (Stollberg) bezüglih der Ausführung dieses Baues einige Wünsche ausgesprochen und Geheimer Rath Meusel die Erfüllung des vom Abg. Philipp geäußerten Wunsches, daß das Modell und die Pläne des Gebäudes eine Se lang dem Publikum zugänglih gemacht würden, zugesagt

atte.

Sachsen-Weimar-Eisenach. Weimar, 24. Februar. Th. C.) Am Großheczoglihen Hofe traf heute der Landgraf lexander von Hessen zum Besuch ein.

Reuß ä. L. (+) Greiz, 24. Februar. Se Durch- laut der regierende Fürst, welcher sich am 21. d. M. mit Pvrer Dur@&lau§t der Fürstin und den Prinzessinnen Emma, Marie und Karoline nah Bückeburg zu einem Besuch deë dortigen Fürstlichen Hofs begeben hatte, traf gestern hier wieder ein.

Oefterreih-Ungarn. Wien, 24. Februar. (W. T. B.) Jn der Sizung des Budgetausschusses erklärte der Minister- Präsident Graf Taaffe, daß die Anregung, den Vertretern Oesterreih- Ungarns im Auslande technishe Sach- Ene als Attachés beizugeben, reiflihst erwogen werde.

Pest, 24. Februar. (W. T. B.) Der Finanzaus- \chuß des Abgeordnetenhauses nahm die Vorlage, betreffend die Errichtung eines Denkmals für den Grafen Julius Andrassy auf Staatskosten a n.

Großbritannien und Frlaud. London, 24. Februar.

(A. C.) Der Bericht der Parnell-Untersuchun gs - Kommission steht noch immer im Vordergrund der Er- örterung in der Tagespresse wie auf der Rednertribüne. Am Sonnabend urtheilten zwei Mitglieder des Kabinets über den Bericht : Mr. Chaplin, der Minister für Landwirthschaft, in Cambridge und Mr. Raikes, der General-Postmeister, in Bristol. Erstgenannter spottete über die Behauptung der „Daily News“ und des „United Jreland“, daß der Bericht eine triumphirende Freisprehung der irischen Partei bilde. Er behauptete, daß Parnell und seine Freunde die Werkzeuge in den Händen der Clan-na-Gael seien, und daß, wo immer die Landliga am eifrigsten sei, die Zahl der Agrarverbrechen sich furchtbar mehre. Die „Times“ verdiene den Dank aller recht- affenen Leute im Lande, daß sie jene große Vershwörung ßgestellt habe. Mr. Raikes drüdckte die Meinurg aus, “daß, wenn das englishe Volk den Bericht der Parnell-Kom-

“mission sorafältig studirt habe, im Lande ein Gefühl des Ab-

Theues und Entsezens entstehen werde für jene ehemaligen Minister der Krone und deren politishe Genossen, welche es gewagt, Verbrechen und Verrath niht nur zu entschuldigen, Fondern zu verberrlichen. i

Dem Vernehmen nach wird die Opposition zu dem

*— Antrage des Ersten Lords des Schayzamts in Bezug auf den

“Bericht der Parnell-Kommission das Amendement be- antragen, daß das Haus den Nichtern für ihren Beridt Dank sage, aber es ablehue, - denselben auf die Tagesordnuna seßen zu lassen aus dem Grunde, weil die Kommissäre niht befugt gewesen seien, die politishen Asp-ekte der ihnen vorliegenden Fragen, insbesondere der Landliga-Bewegung zu prüfen. Gleichzeitig wird das Amendement Befriedigung darüber ausdrücken, daß die irischen Führer von den wider fie erhobenen {hweren Anschuldigungen ereinigt worden seien. Die Debatte über die ministerielle esolution ist nunmehr auf Montag, den 3. März, an- beraumt. :

An Stelle des in den Ruhestand getretenen Richters on wurde der Königliche Rath Mr. F. C. Lawrance zum

ihter der Queens Bench-Abtheilung des Obersten Gerichts- hofes ernannt. Lawrance hat in Folge seiner Ernennung zum Richter sein Mandat für die Vertretung von Stamford, Lincolnshire, im Hause der Gemeinen niedergelegt, und es muß zu einer Ersagz wahl geschritten werden, für welche die konservative sowie die Gladstone'she Partei bereits Kandidaten aufgestellt haben.

Eine neue englishe Briefsmarke im Werthe von 10 Pence ift erschienen. Sie ist in zwei Farben, carmoisin- roth und violett gedruckt, trägt den Kopf der Königin und u beiden Seiten desselben die großen Ziffern der Werth-

ezeihnung.

Das Amendement der Regierung zu der Vorlage, welche die französishe Sprache als Amtssprache in dem nordwesilihen Territorium von Canada ab- schafft, wurde, wie ein Telegramm aus Ottawa meldet, in der Sizung des canadischen Hauses der Gemeinen vom 21. d. M. nach einer siebentägigen, zuweilen sehr erregten Debatte mit einer Mebrheit von 99 Stimmen angenommen. Nah der Abstimmung ereignete sih ein sensationellec Austritt: das Haus sang die englishe Volkshymne, in welche der Premier und die übrigen Minister miteinstimmten. Das Amendement läuft auf einen Kompromiß hinaus und überläßt es der Legis- [atur von Vianitoba, nach den Wahlen die Frage zu lösen, Aa als Amtssprache beibehalten werden soll oder nit.

Aus Montreal, vom 22. Februar, wird telegraphish

berichtet : : an Klub National wurde gestern eine weitere stark besuchte

mmlurg abgehalten, in welter der Antrag zu Gunsten Q: Disna ier CNAhEN ngigen Nationalität in Britisch- Nord-Amerika fast einstimmig angenommen wurde In der am 8. d. abgehaltenen Versammlung war dieser Antrag nah kurzer Erörterung zurückgezogen E a i L 24. Februar. (W. T. B. n der heutigen Sizung des N E zeigte Mo-ley an, daß Gladstone den von dem ersten Lord des Schaßes Smith angekündigten Resolutionsantrag, betreffend die rihterliche Parnell- Kommission durch einen U nterantrag df rve Vot werde, in welchem erklärt würde: daß es Pflicht des Hauses sei, seine Verdammung der falschen, gegen Abgeordnete und besonders gegen Parnell auf Grund von Verleumdung und Fälschung erhobenen Anklagen gröbster und abscheulihster Art zu fonstatiren, und in welhem neben der Genugthuung über die Bloßlegung dieser Verleumdungen erklärt würde, daß das Haus das durch die flagrante Bosheit zugefügte Unrecht und die dadurch verursahten Leiden und Verluste bedauere. Jm Laufe der alsdann fortgeseßten Adreßdebatte brachte Graham (Gladstonianer) ein Amendement ein, in welchem er die Erörterung, betreffend die Beschränkung der Arbeits- stunden auf der Berliner und Berner Konferenz, beantragt. Der Unter-Staatssekretär Fergus son erklärte: da die Regierung Einladungen zur Theilnahme an den Kon- ferenzen von Deutschland und der Schweiz erhalten habe, fönne das Amendement jeßt nicht in Betraht gezogen werden, indem noch weitere Unterhandlungen N seien und die Einladungen einer Modifizirung unterworfen werden fönnten. Die Schweiz habe Angesichts der beabsichtigten Berliner Konferenz das Abhalten der Berner Konferenz vershoben. Die Regierung habe auf die Einladung Deutschlands in keinem un- sympathishen Sinne geantwortet, sie sei jedoch ge- nöthigt, das Amendement zu bekämpfen, da die Annahme desselben die Hände der Regierung binden würde. Sghließlih wurde Graham's Amendement mit 198 gegen 87 Stimmen abgelehnt.

Frankreich. Paris, 25. Februar. (W. T. B.) Fn der gestrigen Sißung der Deputirtenkammer stand die Berathung des Antrags Baudin's, betreffend die Am- nestie der in Folge der Strikes verurtheilten Ar- beiter, auf der Tagesordnung. Der Bericht des Comités beshließt die Abweisung des Antrags. Moreau (Sozialist) bekämpfte den Beshluß und appellirte an das Gerechtigkeitsgefühl der Kammer. Der Berichterstatter Hel y d'Oissel erwiderte, die Amnestie könne augenblicklich durch Nichts gerechtfertigt werden, die Begnadigungsakie dürften nit periodish werden, da sie sonst einer Unterdrückung der Gerechtigkeit gleihkämen. Da Moreau auf seiner An- fehtung des Comitébeschlusses bestand, erklärte der Justiz- Minister Thevenet, daß nur Vergehen gegen das Gemein- recht niht begnadigt worden seien. Moreau behauptete, cs handele sich darum, die Opfer des Hungers, diejenigen, welche Anspruh auf Leb:nsunterhalt machten, zu begnadigen, wenn die Regierung heute strenge sei, könne fie morgen nicht Milde ausüben. Der Antrag Baudin's wurde {ließli mit 325 gegen 190 Stimmen abgelehnt. Jm weiteren Verlaufe der Sißzung nahm die Kammer den Geseßentwurf, betreffend die Versorgung von Paris mit Quell- wasser, an. 2

Im Gemeinderath verlangte gestern der Präsident Rousselle Aufklärung über das Verhalten der Polizei- beamten, welche am Mardi gras auf den Boulevards seinen Wagen angehalten und sich dabei auf die Dienstinstruktion berufen hätten. Der Gegenstand wurde nach einigen Bemerkungen des Polizei-Präfekten verlassen und der Zwischenfall damit für erledigt erklärt. Der Präsident RNousselle erahtete sich dadurch verleßt und gab seine Entlassung. Des Weiteren nahm der Gemeinderath mit 33 gegen 13 Stimmen cine Resolution an, in welcher gegen jeden Akt der Gnade für den Prätendenten protestirt wird, während Republikaner wegen Vergehen gegen das Vereins- und Preßgeseß verurtheilt seien, und in welcher eine sofortige Amnestie für alle Vergehen gegen das Vereins- und das Preßgeseß, sowie für Strikevergehen gefordert wird. Der Seine-Präfekt machte in Betreff dieser Resolution sein Vorbehalten. s i

Der Herzog von Orleans ist nah dem Gefängniß von Clairvaux überführt worden.

Der Unter-Staatssekretär der Kolonien erhielt gestern eine Depesche von dem Gouverneur vonSenegal, nah welcher 500 reguläre Truppen des Königs von Dahomey die französischen Posten in Kotonou angriffen und von den- selben mit einem Verlust von 60 Mann in die Flucht ge- schlagen wurden.

Jtalien. Rom, 24. Februar. (W. T. B.) D der Deputirtenkammer brachte der Minister für Land- wirthschaft heute einen Geseßentwurf ein, betreffend die Errichtung eines Grundfkredit-Fnstituts, mit einigen Modifikationen, welche die Beschleunigung der Berathung O Zweck haben. Der Minister beantragte die Dringlihhkei t, welche das Haus bewilligte.

Ueber die Lage in Abessynien berichtet eine Corre- spondenz der M. „Allg. Ztg.“:

Wie der Drabt gemeldet hat, ist es dem General Orero ge- lungen, die seit langem in Kampf und ZwietraGt mit einander lebenden Häupter der kleinen Stämme um Arafali, Zula und im Asfíaorta-Lande auszusöhnen und zur Aufaeburg der Raubzüge sowie zur Anerkennung der italienishen Sc{ußherrsbaft zu bewegen. Da die betreffenden Stämme in nächster Näbe von Massovah wobnen, so ist cs selbstverständlich cin Voctheil für die Italiener, wenn der Anarchie und den Unruhen unter denselben ein Ende gcmadt wird, was die fiühcren Kommandanten von Mafsovah schon scit 1886 mit nur zeitweisem Frfolge versudt baven. Die vershiedenen Stämnm? dec Ufsaorta, welche M Se südli und südwestlih von Massovab, pom Haddaétflusse bis zur Grenze des abessynishen Hochlandes bei Halai haben, find Mubamedaner, geschworene Feinde der Abesspnier, und daber \chon bei Beginn der Ofkkupation Massovahs auf die Seite der Italiener getreten, ohne daß diese jedo si dauernd und vollständig auf sie verlafsen konnten. Zum Theil war dies allerdings auf die Urfähigkeit des italienishen Kommandos zum ausreihenden Stute der auégedebnten und {wer zugängliden Stammesgebiete zurückzuführen. Son 1886 batten die Assaorta viel von aktessynischen Raubzügen zu_ leiden und mußten die abesiynisGe Oberhoheit anerkennen. Speziell war es Ras Alula, der mit Eifolg die Italiener auch von dieser Seite beunruhigte, während nur ein kleiner Theil der Afjaorta bei ibnen ausbielt, vornehmlih um si eine Zuflucht für die Familien und Heerdex zu sichern. Nach der Blokade-

Erklärung boten die meisten Stämme zwischen dem Hohlande und der Küste ihre Unterwerfung an, da sie nunmehr für alle überseeischen Bedürfn.fe auf Arkiko angewiesen nare«n. Am %. Mai 1887 ersbienen der Vcaib Osman und fünf oder sechs „Schums* fvon den Lelish, Affakeri, Fakrattá, Alfsoblisan u. a, sowie der Kadi JIZbrabim vor dem Sekcetär für die inncren Angelegenheiten zu Massovah, stellten Geifeln und unterwarfen si der italienischen Herrschaft, worüber am _ 9. Mai eine Konvention abgeschlossen wurde. Die verschiedenen Affaortastämme zählen ungefähr 15 000 Einwohner mit 1200 Gewebren, 14c0 Lanzen, 1100 Pferden und 12000 Stück Vieh Die Stämme von Zula und Arafali ¿âblen 3000 Seelen mit 100 Flinten, 600 Lanzen, 5000 Stück Groß- und Kleinvieh, 3€0 Kameclen und ebenso vielen Pferden und Maultbieren. Zula hat si freiwillig dem Kommando unterworfen ; Arafali wurde gleichzeitig mit Arkiko und Makulu okkupirt .

Spanien. Madrid, 24. Februar. (W. T. B.) Der A ist leiht erfältet und hütet in Folge dessen das Zimmer.

Schweiz. Bern, 23. Februar. Die Einnahmen der eidgenössishen Postverwaltung für 1889 betragen, dem „Bund“ zufolge, 22 823 496,36 Fr, die Ausgaben 20 530 654,92 Fr.; somit ergiebt sich ein Ueberschuß der Einnahmen 2 292 841,44 Fr.

24. Februar. Ueber die Arbeiterschußkonferenzen ¡schreibt der „Bund“ neuerdings: „Deutschland if entschlossen, die Konferenz auf Mitte März einzuberufen, und zwar mit einem Programm, welhes auch die Punkte des vom sc{hweizerishen Bundesrath aufgestellten Programms umfaßt. Da die Mehrzahl der Staaten, welhe die Einladung des Bundesraths zur Konferenz nach Bern angenommen, auch ihre Theilnahme an der Konferenz in Berlin zugesagt haben, so liegt auf der Hand, daß, wenn beide Konferenzen stattfinden würden, die zweite (s{hweizerishe), welche bekanntlich auf den 5. Mai angeseßt i\t, je nah den Resultaten der ersten, nämlih der Berliner Konferenz, gegenstandslos sein könnte, Unter diesen Umständen und um der guten Sache selbst nicht zu schaden, ist es wahrscheinlih, daß der Bundesrath zur Zeit darauf verzichtet, der Jnitiative, welhe er in der Angelegenheit bekanntlih ergriffen, weitere Folge zu geben.“

Serbien. Belgrad, 24. Fbruar. (W. T. B.) Die Skupschtina lehnte mit großer Mehrheit einen von Gjuric gestellten Antrag ab, wonach gewaltsame oder andere Versuche, die Ausführung von Beschlüssen der großen Skupschtina zu verhindern, mit der Todesstrafe zu belegen wären.

Bulgarien. Sofia, 24. Februar. (W. T. B.) Einer Mittheilung der „Polit. Corresp.“ zufolge hat der Ministerrath die Auszahlung der rückständigen Kosten der russishen Okku- pation Bulgariens beschlossen. Der „Agence Balcanique“ zufolge, betragen die nunmehr an Rußland auszuzahlenden rüständiaen Ofkkupationskosten 3600000 Papier- rubel. Die Forderung wegen verschiedener Lieferungen von Waffen und Munition an Bulgarien werde nach Prüfung der bezüglichen Rechnungen in gleiher Weise be- glihen werden.

Schweden und Norwegen. (F.) Stockholm 22. Februar. Die höheren Schulen Schwedens werden zur Zeit von 14 417 Schülern besucht; davon kommen auf 36 Gym- nasien 10 795 Schüler, auf 22 fünfklassige Pädagogien 2558 Schüler, auf 19 dréeiklassige Pädagogien 709 Schüler, auf 9 zweiklassige Pädagogien 206 Schüler und auf 9 einklassige Pädagogien 149 Schüler. Von den Gymnasialshülern ge- hörten 6959 der sogenannten gemeinshafilihen Linie, 4325 der klassishen und 2778 der Reallinie an. Die Pädagogien haben keine getrennten Linien.

__ Amerika. New-York, 22. Februar. (A. C.) Der Eisenbahn-Aus\schuß der pan-amerikanisckchen Kon- ferenz hat sich zu Gunsten eines kontinentalen Eisenbahn- systems zur Vereinigung der verschiedenen Nationen Amerikas geäußert.

Parlamentarische Naczrichten.

Jn der heutigen (16.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Minister des Jnnern Herrfurth und der Justiz-Minister Dr. von Shhelling nebst Kommissarien beiwohnten, stand auf der Tagesordnung die Fortseßung der zweiten Berathung des Entwurfs des taats- haushalts-Etats für 1890/91 und zwar zunächst der Etat des Ministeriums des Jnnern.

Bei Tit. 1 der Ausgaben, „Gehalt des Ministers“, wies der Abg. Sombart auf die Nothwendigkeit einer Reform der Landgemeinde:Drdnung für die sieben östlihen Provinzen hin, und bat den Minister um eine Erklärung über den Stand der Vorarbeiten. Es sollte den Gemeinden gestattet werden, auch wirthschaftlihe Aufgaben zu übernehmen. Dur die Rentengüter werde es möglih sein, auch in den selb- ständigen Gutebezirken Landgemeinden zu bilden. Die Tage- löhner mit dem Gutsbesißer zusammen könnten keine Ge- meinde bilden. Es müsse ein Stock von Grundbesizern geschaffen werden. Die Schaffung von kleinen Besigern habe einen erheblichen sozialpolitishen Werth.

Abg. Lucius (Erfurt) fragte, warum die Bestätigung des neu gewählten ersten Bürgermeisters für Ecfurt volle vier Monat si verzögert habe.

Der Minister des Jnnern Herrfurth, erklärte diese Zeit als zur Orientirung über die gewählte Person für noth- wendig. Die Vorarbeiten für die Landgemeinde-Ordnung seien noch niht abgeschlossen. Es werde zunächst geprüft, wie weit es mögli sei, mit den vorhandenen Geseßen den Mißständen zu En. Die Erfahrung in einzelnen Provinzen sprehe dafür. Es habe sich ergeben, daß viele Gutsbezirke, die es in Wirklichkeit niht seien, als solche be- handelt würden. Ferner sei es möglich, die zahlreihen Guts- bezirke, welhe parzellirt seien, vollständig aufzulösen. Es seien auch kleine Gemeinden und Gutsbezirke freiwillig mit größeren Gemeindeverbänden vershmolzen. Wo Gutsbezirke und Gemeinden in unwirthschaftlicher Weise im Gemenge lägen, könnte au Hülfe durch die Bildung geno}senschaftlicher Verbände geschafft werden. Solche Verbände beständen namentlich für die Armenpflege schon in verschiedenen Provinzen. Geringere Fortschritte seien auf dem Gebiet der Gemeindevertretung ge- macht; nur 1850 Gemeinden hätten ‘eine gewählte Gemeinde- vertretung. Wenn auch nicht alle, so könnten doch viele der bestehenden Mißstände durch die geltenden Geseße beseitigt werden. Eine wichtige Rolle spiele hier auch die Frage der Ueber- weisungen an die Gemeinden. Die Verhandlungen darüber

seien noch nicht so weit gediehen, daß {on Mittheilungen ge- macht werden könnten. kleiner der Bezirk, an welchen die Ueberweisung erfoige, desto ungleicher sei die Ueberweisung, desto mehr trete die Beoorzugung der großen Städte vor den kleinen, der wohlhabenden Landestheile vor den minder wohl- habenden hervor. Die Schullasten seien in den östlichen Pro- vinzen rechtlich keine Kommunal-, sondern eine Sozietätslast. Durch alle diese Erwägung?n werde die geseßliche Regelung der Landgemeinde: Ordnung verzögzrt.

Abg. Zelle frazte nah dem Schicksal der Petilion wegen Erhöhung der Hundesteuer, welhe das Haus der Regierung zur Berücksichtigung überwiesen habe.

Der Minister des Junern, Herrfurth, erwiderte, daß die Petition sich auf eine Frage beziehe, welhe nur durh Gesetz geregelt werden könne; aus diesem Grunde sei bisher keine Antwort ertheilt worden. Die Erwägungen seien -noch nicht abgeschlosse¿u. Es sei in Frage, ob die Steuer nicht eine Kreissteuer werden solle.

Abg. Bork wünschte eine Verbesserung der Gemeinde- ordnung für Nassau. :

Abg. von Czarlinski führte Beschwerde, daß die polni- hen Or1s- und Familiennamen verdeutsht würden, daß die amilihen Kreisblätter Wahlaufrufe der Regierungeparteici brächten, die and»rer Parteien aber zurückwiesen und daß noch Gta Ausweisungen aus den östlihen Grenzprovinzen statt- änden.

Der Minister des Junern Herrfurth bemerkte, daß die Schreibung der polnishen Familiennamen nat der früheren Verfügung des Staatë-Miristeriums erfolge. Eine Aenderung in der Shhreibung der Ortsnamen finde nur statt, wo es

elte, ein polnish:s Buchstabenzeichen, dem kein deutsches ent- Peede: zu erseßen; sonstige Aenderungen erfolgten nur mit Allerhöchster Genehmigung auf Antrag der Gemeindevertretung. Bezüglih der Aufnahme oder Zurückweisung von F1seraten Seitens der Kreisblätter müßte fich der Vorredner an die Re- daktionen wenden. i: |

Abg. Wirth wünschte eine Aenderung der Gemeinde- gesezgebung für den Regierungsbezirk Wiesbaden. i

Abg. von Strombeck wies darauf bia, daß noch keine Entscheidung darüber getroffen sei, wie die Bescheinigungen für die Arbeiter über die Arbeitsdauer ertheilt werden sollen, welche für die Uebergangszeit bei der Jnvaliditätsversiherung nothwendig seien. ©

Der Minister des Jnnern Herrfurth bemerkte, daß nicht die Landräthe, sondern die Gemeindebehörden und Orts- Polizeibehörden als zuständig für die Ertheilung dieser Be- scheinigungen erflärt werden würden.

Abg. Bachem brachte zur Sprace, daß der Nhein- brohler Glockenstreit in der zweiten Jnstanz zu Gun- sten der Kirchengemeinde entschieden worden sei; es sei anerkannt word:n, daß die Civilgemeinde nicht berecktigt gewesen si, die Glocken für Kultushandlungen einer anderen Konfession zu benußen. Es sei jeßt nur zu wünschen, daß die Kosten des großen Prozesses der Civil- gemeinde, die dazu nur durch die Staatsbehörden gezwungen worden sei, erseßt würden. L

Der Minister des Jnnern, Herrfurth, gab zu, daß der Prozeß zu Ungunsten der bürgerlichen Gemeinde ent- schieden sei. Der Rechtsirrthum der bürgerlihhen Ge- meinde sei aber verzeihlih, da die Kirhe aus Gemeinde- mitteln auf einem Gemeindegrundstück gebaut sei. Wenn der Abg. Bachem gleihsam als Mandatar der Gemeinde, die Erstaitung der Prozeßkosten verlange, so handle er nicht im Sinne der Gemeindevertretung, welhe sich ausdrücklih dagegen verwahrt habe, daß diese Frage überhaupt noch ein- mal im Hause zur Sprache gebracht werden solle.

Abg. von Eynern hob hervor, daß der Abo. Bachem in den früheren Verhandlungen die Glockenaffaire benußt habe, um in unerhöcter Weise unter Mißbrauch der Rede- freiheit den Bürgermeister Conrad einen bescholtenen Menschen zu nennen. Dem gegenüber habe das Haus Hrn. Conrad freigesprochen. Uebrigens sei der Civil- gemeinde in Rheinvrohl das Recht zugesprochen worden, die Glocken bei Kaisers Geburtêtag zu benugen. Das sei bis- her eine sehr bestrittene Frage im Rheinland gewesen. (Schluß des Blattes.)

Das dritte Verzeichniß der dei dem Hause der Ab- geordneten eingegangenen Petitionen is erschienen. Dasselbe umfaßt 174 Nummern, von denen 58 der Kom- mission für die Petitionen, 16 der Kommission für die Agrar- verhältnisse, 2 der Kommission für das Justizwesen, 8 der Kommission für das Gemeindewesen, 68 der Kommission für das Unterrichtswesen und 22 der Kommission zur Prüfung des Staatshaushalts überwiesen wurden.

Wahlergebnifse.

Da das amtliche Wahlresultat erst im Laufe des heutigen Tages festgestellt wird, werden wir erst morgen im Stande sein, es zu publiziren. Jm Hinblick hierauf verzichten wir für heute auf weitere von „W. T. B.“ gebrachte Mitthei- lungen und nehmen nur von einzelnen bemerkenswerthen Vor- gängen Notiz:

Jn Berlin hat die konservative Gesammtvertretung be- \hlossen, in den Wahlkreisen, wo Freisinnige und Sozial- demokraten sih in der Stichwahl gegenüberstehen, ihren Ge- sinnungégenossen Stimmenthaltung zu empfehlen.

Der Vorstand des Vereins der Centrumspartei in Breslau hat, wie die „Schlej. Ztg.“ mittheilt, in seiner gestrigen Sizßung einstimmig beschlossen, an alle Gesinnungs- genossen die dringende Aufforderung zu richten: bei der am 1. März d. dort stattfindenden Stichwahl aus- nahmslos an der Wahlurne zu erscheinen und unter Bei- seitesezung aller Bedenkei nur den beiden antisozialistishen Kandidaten, im Osten dem Ober-Präsidenten von Seydewiß, im Westen dem Redacteur Vollrath, die Stimme zu geben und die Wahl dieser beiden Herren mit allen Kräften zu unterstüßen. Dieser Beschluß trägt in seiner schriftlichen Ausfertigung folgende Unterschriften: Graf Ballestrem, Ee Dr, Porsh, Geistlicher Rath Meer, Kuratus

eumann.

Für die Stichwahlen hat die sozialdemokratische Parteileitung folgende Parole ausgegeben: | „Der Parteitaz in St. Gallen beschloß, bei Stichwahlen die Stimmenthaltung zu empfehlen. Allein wie sih die Lage unter der Herrschaft der Kartellmehrheit und durch den Antrag der verbündeten Regierungen auf Verewigung des Sozialistengeseßes

gestaltet hat, erahten wir es im Interesse der Partei für absolut nothwendig, soweit es in unserer Macht liegt, zu verhindern, daß sib im künftigen Reichstage eine Mehrheit für das Ausnahmegeseß zusammensindet. Unsere Losung muß daher sein: Nieder mit dem volkéfeindlihen Kartell! Fort mit den Verewigern des Sozia- listengeseßeë! Unter diesen Umständen fordern wir unsere Partei- genoffen auf, überall, wo se nicht selbst bei den Stihwahlen be- theiligt sind, für den Kandidaten derjenigen gegnerishen Partei zu stimmen, welcher die bindende Erklärung abgiebt, im Falle sciner Wahl: 1) gegen jedes, wie immer geartete Ausnabmegeset, 2) gegen jede Verschärfung der Strafgeseße, 3) gegen jete Verkümmerung des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts zu stimmen. Weigert \sich ein Kandidat, diese Erklärung abzugeben, so ist unter Angabe der Gründe öôfentlich zur Wahlenthaltung unferer Genofsen aufzufordern.“

Die Sozialdemokraten in Breslau sind jedoch anderer Meinung; das dortige sozialdemokratische Blatt schreibt :

„Wo nur Gegner si btekämpfen, Üben wir, entsprehend dem Beschiuß, ‘von St. Gallen, absolute Stimmenthaltung;z; aber es ift erfordaulih, die Waktlzeit agitatorish und propagandifstish durch Einberufung von Volksversammlungen, Vertheilung von Flug- blättern 2c. aus¡unußen. Das Volk muß darüber aufgeklärt wcrden, weshalb wir uns nit an der Stibwahl der Gegner betheiligen, weê- balb wir jeder bürgerlichen Partei unversöhnlih gegen- überstchen, weshalb die Gesammtheit der gegnerisben Parteien für uns eine einzize kapitalittisch reaktionäre Mafse bildet, in der auch der traurige Deutschfreisinn seinem Sickfal üterlassen wird. Keine Stimme dem Freisinn, keine einemanderen Gegner.“ *

Betresss des Wahlergebnisses in Bayern schreibt die Münchener „Allgemeine Zeitung“:

„Die Soziaidemokratie *hat zu ihrem bisherigen Mandat für Nürnberz noch dasjenige für München 11 gewonnen und steht für Würzburg, Fürtbh-Erlangen und Kronach in der Stichwahl. Die Freisinnigen, biëher nur im Besiy eines einzizen Mandats, haben für zwei oder drei günstige Aussichten urd sind mit bedeutend größeren Stimmzahlen în mehreren Wabl- freisen hervorgetreten, wo sie bei den leßten Wahlen auf eine selbständige Kaudidatur verzitet hatten. Die Nationalliberalen haben von ihren bisherigen zwölf Sißen zunächst nur sechs behauptet und werden au in den Stichwablen nicht wieder zu dem vollen Besiß: stande von 1887 gelargen. Nur beim Centrum gleicht sch ein ver- einzelter entschiedener Verlust durch einen anderweitigen Gewinn aus uno selbft die Stichwablen können ibm keinen wcsentlihen Eintrag mehr thun. Besonders \{chmerzli für die Gegner des Centrums ift der abermalige Verluft des Algäus, und mit Recht erheben die dortigen Preßorgane Klage und Tadel darüber, daß der Verlust des beiß um: strittenen Kreises durch die Saum/'eligkeit einer geringen Anzaéël Lt iee E von Kempten und Lindau herbeigeführt worden ist.“

Heitungsfstimmen.

Das Wahlergebniß bietet den Blättern immer noch Stoff zu Betrachtungen. So schreibt das „Dresdener Journal“:

„Forscht man na den Ursachen dieses im höchsten Grade be- klagenéwerthen Ergebnisses der Wablen, so kann man si der Ueber“ zeugung nicht entschlagen, daß in viclen Wahlkreisen die Uneinigkeit unter den Anbängern der Kartellparteien den Gegncrn den Sicg fehr erleichtert hat. Statt einmüthig gegen - den gemeinsamen Feind zu- sammenzustehen und die Nücksi@t auf das Wotl der Gesammtheit jeder anderen voranzustellen, gefid man #sch im fartell- parteilihen Lager vielfach darin, in fkleinlihster Weise an der Person der aufgestellten Kandidaten herumzunörgeln. In Fol c dieser Tur;sihtigen, von wverblendetstem Parteifana- tisèmus diktiirten Taktik kam es beispielsweise in der Reichs- bauptftadt dahin, daß in zwei Wahlkreisen überhaupt keine Kartell- Kandidaten aufgestellt waren, und daß sih fast die gesammte kon- servative Wählerschaft Berlins am Tage der Abstimmung von der Wablutne fernhielt. Jedenfalls hat dann au die von den sozial- dewokratiscken und deutschfreisinnigen Führern in die Welt geschleuderte Behauptung, daß das Steigen der Preise der Lebensmittel cinzig und allein der Wirihsckaftspolitik der Reichsregierung zuzuschreiben sei, ihces Eindrucks auf die aroße Masse der Wähler nit verfeblt. Der gemeine Mann, der nit näher nah den Ursachen einer Ersbeinung focst, nimmt c3 ohne Weitercs für boare Münze, wenn ihm gesagt wird, daß durch die Gctreide'ôlle das Brot vertheuert werde. Er nimmt si nicht die Mühe, die statistishen Tabellen, welche ihm klar und un- widerleglich das Gegentheil beweisen, durchzulesen. Ihm genügt es zu bören, daß auf Getreide und anderen Bedarfsartikeln Zölle liegen, um weiteres kümmert er sih nicht. Es ließ sich darum auch mit ziemnliher Bestimmtheit vorautsehen, daß den Oppositionéparteien bei den diesmalicen Wahlen eine erheblich çrößere Anzahl von Sigten zufallen würde, als bei den Wahlen von 1837, Daß das Ergebniß freilid so ausfallen würde, wie es thatsächlich geschehen, ließ sich kaum erwarten Dicser ungünstige und im Interesse der gede!blien Weiterentwickelung unseres Vaterlandes im höchsten Maße beklagens- werthe Ausgang war ersi in Folge des inneren Zwistes im Lager der Kartellparteien niöglich. ä

Der Sieg, den die OppositionEparteien errungen baben, ift freilid, wie andererseits hervorgehoben werden muß, kein soicher, daf die Anhänger der Ordnungsparteien {hon zu verzagen brauchte, Die gewählte Opposition stelit eher alles andere, denn eine geschlossene Reichstagsmehrheit dar. Die Parteien, aus denen fie n iluiRten]est, find in ibren Grundanschauungen so durchaus voncinander verschieden, daß an ein Zusammerngehen derselben in fast allen withtigen Fragen gar niht zu denken ist. Eine aus solchea Elementen bestehende Mehrheit kann unmögli besondere Achtung cinflößenz sie wird jedenfalls s{chon bei den ersten Vorlagen der Regierung auseinanderfallen und den deutschen Wählern zeigen, wohin es führt, wenn eine niht dem wirkli{en natio- nalen Bedürfniß entsprungene Parteimehrheit über die Gescicke der Nation entscheiden soll. Jn diesem Umstand liegt die Hoffnung, daß si in unserem inneren Parteileben doch \{hließlich noch ein Umschwung vollzieht und daß sih alle staatéerhaltenden Parteien einmütbig um das nationale Banner zusammenscharen, statt fich in verderblichen inneren Zwistigkeilen gegenseitig aufzureiben. Hat sich in folher Ums&{wung aber erst vollzogen, stehen alle wahrhaft national gesinnten Elemente fest zusammen, so darf man das zuversichtlihe Vertrauen begen, daß die gegnerischen Parteien si ibrer diesmaligen Erfolge niht lange zu erfreuen haben werden, und daß namentlich dem weiteren Anwachsen einer Parket, wie der sozialdemokratishen, welche den Umsturz alles Bestebenden auf ihre Fahne geschrieben hat, für die Folge ein wirksamer Riegel vorgeschoben wird. Am dringendsten nötbig ist es freilih zunächst, daß bei den Stichwahlen die staatserhaltenden Parteien ihre ganze Kraft zur gemeinsamen Bekämpfung der umstürzlerishen Elemente aufbieten. Denn wenn es au nicht mehr mögli ist, den Sieg noch zu erringen, so läßt si doch wenigstens noch ein Theil der begangenen Febléer wieder gut machen.“

n „Hannoverschen Courier“ heißt es: :

eW-rn auch das Stärkeverhältniß der Parteien im neuen Reihs- tage sih erst nach Beendigung der Stichwahlen überblicken lafsen wird, so wird man si do nicht täuschen in der Annahme, daß der neue Reichstag wesentlich dieselbe Physiognomie tragen wird, wie der von 1884, Gerieth damals auch die Gesey- gebungémashine bisweilen ins Stocken, so fand die Regierung doch wieder in wichtigen Fragen oft genug eine Mehrheit, indem ein Theil des Centrums den regierungéfreundlihen Parteien sich zugesellte ;

die Freisinnigen und die Sozialdemokraten erhielten nur dann eine Be- deutung, wenn Hr. Windtbori#t der Regierung scine Macht füblbar maden wollte, in allen übrigen Fällen waren sie zu fruchtloser Oppo- sition verurtbeilt. Um so bedeutender war der Einfluß des kleinen Häufleins der Nationalliberalen: sie waren für die Bildung einer Regierung8mebrheit gewöhnli unentbehrlih, und waren dadurch au meist in der Lage, illiberale Bes{lüsse zu verhindern Und in diesem Sinne werden sie aub im neuen Reichstage zu wirken bestrebt sein. So is zu hoffen, daß auh der neue Reichstag, so wenig uns dessen Zusammenseßung gefällt. großen Schaden nit anzuri®ten im Stande fein wird; Dank der Fürsorge, welche der vorige **eihstag auf finanziellem und militärisbem Gebiet ge- troffen, wird man den Thaten des neuen mit großer Ruhe entgegen- sehen dürfen. Auf eine sehr fruchtbare, \{öpferii he Thätigkeit desselben ist freilich während der nächsten fünf Jahre faum zu renen“.

In der „Straßburger Post“ lesen wir:

„Die Parteien, welche sib vor allen Dingen als die Vertreter des Volts und als Anhänger des d-mokratishen Prinzips des allge- meinen Stimmreck{ts geberden, die Demokraten und Freisinnigen baben diesen Volkswillen, sobald er sib gegen se wandte, nie anerkannt: für sie ift cben das Volk rur mit Ret fouverän, wenn es ibren Willen tbut. Heute nun aker erkennen fie diese Souveränetät des Volks um so rüdbalté- und rüdsittslojar an und pre'sen si: boch E: kommt aber niht nur darauf an, wer im Wablkampf gesiegt bat, sondern viel mehr darauf, wie die nunmebr auss{laggebende Mehrheit ibre Stellung zu behaupten vermag.- Es wird fi nun zu zeigen haben ob die bisherigen Helden der Opvosition aub zu positiver Mitarbeit die Fähigkeit und den guten Willen besigzen, ob sie arbeitsfroh, opfer- bereit und au das ift ¿u erwähnen monarbis® genug sind, um mit der Regierung unseres Kaisers an dem Wohle unseres Voiks an deni Heile unseres Landes thatkräftig mitzuarbeiten.* i

n welchem Lichte einem Theil der französischen Presse das Ergebniß der deutshen Wahlen erscheint, ergiebt sih aus einer der „Norddeutschen Allgemeinen

eitung“ entnommenen Zusammenstellung; das genannte Blatt schreibt:

„Die französishe Prefse zeigt c sebr ungeduldig, die Result ite der deutshen Reichstagéwablen zu erfahren. Inébsontere lamentirt „Figaro“ über die Langs1mkeit, mit welcher ibm die Wahlergebnisse zur Kenntniß gelang-n. Cr fiebt sich in Folge dessen ein weilen be- müßigt, die „ihm fkonverir:nden Auszüge aus deutschen Zeitungen, meist freisinniger Färbung, zu bringen, und fügt dem nur \chaderfroh binzu, es sei caraftcristisck, daf in einem Wablkrei'e von Berlin der Professor Vircow mit cinem vclnishen Schneider in die Stichwahl komme, der niht cinmal ordentli deutsch verstehe und nur deshalb eine große Anzahl Stimmen auf si vereinigte, weil ec die sozialistische Idee repräsentire.

Im „Temvs*“ wird das Wakblresultat als ein über alle Er- wartungen gün!tig für die Sozialisten bingestelli und die parla- mentarische Scbilderbebung der Bebel, Liebknect, Grillenberger und Konforten als eine Folze der Kaiserli&en Erlasse er*lärt. Die Biêmard'\che Politik bâtte einen Riß bekommen, die Arbeiter wollen sih mit ihrem Kaiser direkt verständigen oder revolutioniren. Aller- dings sei die Mögli&keit nit auëges{lossen, daß sich die bürgerlichen Parteien noch für die Stihwahlen aufraffen und zu'’ammen gegen die Sozialdemokratie Front maden, aber es sei fragiih, ob die Frei- sinnigen gereigt fein würden, die Kartellpacteien zu unterstüßen, da sie sih dadur die Möglichkeit nebmen, selbst eine Rolle im Parla- ment zu spielen, Wi-cktborft und das Cz:trum roürden nur durch hohe, werthvolle Versvret ungen zu gewinnen sein.

2 »Patrie“ it außer ih tor Freude. Der Ausfall der Reichs- tagêwablen, meint die'es Blatt, lehre, daß Fra:kreih unter keiten Umständen die Berliner Arbeitershutz-Konferenz b:\chicken dürfe, man müsse Deutsélard in feinem fozialistis@en Fett \{morcn lassen, denn „die Wablen zeizstin mit ciner Offenkundigkeit, die Hrn von Bismarck zum Nachdenken iwingt, wie gebrech{lich das Werk von Eisen ist, das er mit seincn verbaßten Händen geschmiedct hat. Der Tag ift vielleiht nicht fern, da dieses ganze, nur auf Blut und Trünmimecrn ruhende Gebäude unter der Wucht des sozialen Elends, das er nicht zu lindern verstand, zusammenftürit*. Der Ausfall der Wabi in Elsaß-Lothringen, der übrigens in allen Blättern einfach gefälscht ist, entlockt der „Patrie* ¿um S&luß den hboffnungsfreudigen und vieldeutigen Scchmerzentsbret: „Wann endlih wird Frankreich sich an den Thaten jen'eit dcr Vogesen aufrihten und dur die Versöhnung aller Patrioten seine Eâre und seine Würde, die es verloren, wiederfinden ?* 2

Nebrli& schreibt die „France“: „Die Siege der SozialisteW

sind nit dazu angetban, uns zu mißfallen, wir werden nicht vergefsên,

daß sie ftets Gegner der Einverleibung Elsaß-Lothringens waren, und"; daß sie erst in diesem Jabr ofen ihren Einspruh dagegen wiederholt? "“"

baben, Sie sind zudcin Feinde der tyranniswen Gewa"t- und Bru- talitätévelitik, die Bismarck verkörpert. Darum sind ße unsere Freunde ... . Die bewundern8werthe Treue der Frankreich geraubten Provinzen und das Erwachen der Opposition8ansichten in Deutschland geben uns Hoffnungen für die Zukunft. Die deutshen Wähler baben einen hübschen Stri in den Frankfurter Vers trag gethan, der am Ende ganz auseinanderreißen wird.“

Der Eindruck, welchen die Wahlen in Rußland gemacht haben , spiegelt sich in folgender Bemerkung der deutschen „St. Petersburger Zeitung“ wider:

„Die deutshen Reichstagêwahlen haben wiederum einmal den Be- weis geliefert, daß der Deut]he als solcher keinen wirklih politischen Sinn bat. Wenn große Gefahren, wenn {were Bedrohungen und An- feindurgen, wenn Angst und Noth ihn bedrücken, erwacht zwar der Geist der Eint:at und Einhcit und das deutshe Volk bildet dann eine Macht, vor der au die stärksten Völker Europas allen Respekt baben müssen. Aber in Friedenszeiten prävalirt der \{liume Parteigeist, die alten Instinkte des Partikularismus und sogar Separatismus regen sich und der Deutsche vergißt, daß er nur stark, mädhtig und einflußrei ist, so lange der nationale Sinn ihn leitet und die Einigkeit und Eingeit erhalten bleiben. Die leßten Wahlen, deren Ergebnisse freilih erft zum Theil bekannt sind, werden den deutschen Patrioten, der sein Vaterland wahrhaft liebt, mit Be- trübniß und Sorge erfüllen, aber alle Gegner Deutshlands und an denen feblt es tem jungen Kaiserreih wahrlih nit atßer- ordentlih erfreuen und in hohem Maße befriedigen.“

Amtsblatt des Reichs-Postamts. Nr. 6. Inhalt:

Verfügungen: vom 16. Februar 1890, Neue Ausgabe der Abtheilung 3 des Abschnitts V der Allgemeinen Dienstauweisung.

Centralblatt der Bauverwaltung. Herausgegeben

im Ministerium der öôöffentlihen Arbeiten. Nr. 8. Inhalt: Amtliches: Personal-Nachrihten Nichtamtliches: Die St. Marien-Domkirhe in Kolberg, Ueber Profilmaßstäbe und über den Genauigfeitsgrad bei der Erdmafsen-Ermittlung. Die Viadukte der Eisenbahnlinie Tabor-Pisek. Die Regulirung der Stromverhältnisse der Weichsel und Nogat. Aulage neuer Eisen- bahnlinien in | Mert Vermischtes: e eiverdung um ein Squlhaus in i

Silospeichers in Riga. Preisbewerbung um die Trinitatiskirche in Dreéden. Wettbewerbung für die architektonishe Durchbildung des gußeisernen Gehäuses für einen Straßenbrunnen in Berlin. Etrus- fishes Pompeji. Internationaler Eisenbahnkongreß. Mitthei- lungen über Baumeister Eduard Tiy.

angensalza. Preisbewerbung für den Bau eines