1890 / 95 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 17 Apr 1890 18:00:01 GMT) scan diff

Der Chef des Generalstabes der Armee, General der Kavallerie Graf von Waldersee, General - Adjutant Sr. Vilajestät des Kaisers und Königs, ist vom Urlaub hierher zurückgekehrt.

Der General-Lieutenant von Kropff, Commandeur der 15. Divifion, i| mit Urlaub hier angekommen, desgleichen der General-Lieutenant Freiherr von Willisen, Com- mandeur der 7. Division.

S. M. Kanonenboot „Jltis “, Kommandant Korvetten- Kapitän Ascher, ist am 15. April in Hongkong angekommen.

Sachsen.

Dresden, 16. April. Nath hierher gelangten Nachrichten werden Jhre Majestäten der König und die Königin Mentone am 21. d. M. verlassen und über Savona nah Turin reisen, woselbst der König bei Jhrer Königlichen Hoheit der Herzogin-Mutter von Genua seinen Geburtstag zu ver- bringen gedenkt. Das Wiedereintreffen Jhrer Majestäten in Dresden steht, den jeßigen Bestimmungen zufolge, zwischen dem 26. und 28. April zu erwarten. :

Se. Königlihe Hoheit der Prinz Georg und Familie sind, wie das „Dresd. Journ.“ meldet, heute früh von dem am 8. d. M. nah dem Harze unternommenen Aus- fluge wieder hierher zurückgekehrt.

Württemberg.

(+) Stuttgart, 15. April. Heute Nachmittag um 11/¿Uhr sind Jhre Königlichen Hoheiten der Herzog von Edinburg und der Prinz Georg von Großbritannien und JFrland Ersterer als Gemahl Fhrer Kaiserlichen Hoheit der Großfürstin Marie von Rußland, ein Neffe Jhrer Majestät der Königin, Leßterer zweiter Sohn des Prinzen von Wales von Coburg kommend, hier eingetroffen. Se. Königliche Hoheit der Herzog ist von Jhrer Majestät der Königin von Groß- britannien und Jrland beauftragt, Sr. Majestät dem Könige den Hosenband-Orden zu überbringen und Allerhöchstdenselben damit zu investiren. Zur Begleitung des Herzogs bei dieser Mission hat die Königin Victoria den Prinzen Georg befohlen. Außerdem is der Herzog begleitet von dem englishen Geschäftsträger in Coburg Vir. Milbanke und dem Stallmeister Kapitän Hon. D. Monson, der Prinz Georg von seinem Adjutanten, dem Obersten Russel. Von Sr. Majestät sind zum Ehrendienst befohlen bei dem Herzog von Edinburg der Flügel - Adjutant Oberst - Lieutenant Graf von Scheler und bei dem Prinzen Georg der Flügel- Adjutant Oberst-Lieutenant Freiherr von Reischach. : :

Die englischen Prinzen wurden bei ihrer Ankunft auf dem Bahnhof von Sr. Hoheit dem Prinzen Hermann zu Sachsen-Weimar, dem Königlichen Stallmeister Freiherrn von Reitenstein und dem Ehrendienst sowie von dem interi- mistishen Königlich großbritannishen Geschäststräger am hiesigen Hofe, Lord Vaux von Harrowden empfangen und sofort in das Königlihe Schloß geleitet, wo sie von Sr. Königlichen Majestät aufs Herzlichste begrüßt wurden.

Um 5 Uhr Nachmittags fand die feierliche Jnvestitur statt. Se. Majestät der König, welcher bci dieser Gelegenheit feine anderen Ordens-Fnsignien angelegt hatte, empfing die Deputation im Thronsaal, vor dem Throne stehend, umgeben von der Königlihen Familie mit der Prinzessin Wilhelm zu Schaumburg-Li ppe, Hoheit, dem Minister des Königlichen Hauses, den Oberst-, Oberhof- und Hof-Chargen, dem Kabinets - Chef und dem Ordens - Sekretär, sowie den General-Adjutanten, dem Königlihen Flügel-Adjutanten und den Hofstaaten der Königlichen Prinzen und Prinzesfinnen. D feierlihem Zuge, in welchem das Gefolge des englischen

trinzen die Jnsignien des Hosenband-Ordens auf Kissen von rothem Sammet trug, erschien die Deputation unter Vortritt des Königlichen Oberst-Kammerherrn Freiherrn Thumb von Neuburg und des Kammerherrn, Reisemarschalls Freiherrn von Brusselle und gefolgt von dem Ehrendienst, im Thron- saale, zu welchem die Shloßgarde-Compagnie Spalier bildete. Se. Königliche Hoheit der Herzog von Edinburg näherte sich darauf dem Throne und richtete an Se. Majestät den König eine den Zweck seiner Sendung erläuternde Anrede, auf welche Se. Majestät mit Worten des Dankes für Jhre Majestät die Königin von England und der Erinnerung an die seit langer Zeit zwischen den beiden Königlichen Häusern bestehenden freundschaftlihen und verwandtschaftlihen Beziehungen er- widerte. Hierauf wurde dem Herzog das Hosenband überreiht und von Höchstdemselben Sr. Majestät unter dem linken Knie angelegt. Demnächst wurde das Band mit dem St. Georg dem Herzog dargereiht, Höchstwelcher es über die linke Schulter Sr. Majestät des Königs legte, nah rets unter dem rechten Arm ordnete und den Stern auf die Brust heftete. Hierauf erfolgte die Aushändigung der Ordenskette an den König, welcher solhe dem Flügel- Adjutanten vom Dienst übergab.

Nach Beendigung der Jnvestitur verließen Fhre König- lichen Hoheiten mit dem Gefolge Se. Majestät den König und be- gaben sich in demselben Zuge, wie sie eingetreten, in ihre Gemächer zurüdck.

An die feierliche Jnvestitur {loß sih sodann im Spiegel- saal des Königlichen Schlosses eine Galatafel zu Ehren der Deputation an, zu welcher außer den Mitgliedern der leßteren die Königliche Familie und die sämmtlichen bei der Fnvestitur jugegen gewesenen Personen eingeladen waren. Während des Mahles erhob sich Se. Majestät der König und brate ein dreifaches

och auf Jhre Majestät die Königin von Großbritannien und Srland aus, worauf Se. Königliche Hoheit der Herzog von

dinburg auf das Wohl Jhrer Majestäten des Königs und der Königin trank. Ï

Nach Aufhebung der Tafel begaben sich Fhre Majestäten mit den Gästen in den anstoßenden Saal, wo Allerhöchst- dieselben noh längere Zeit Cercle machten.

Abends fand bei Sr. Hoheit dem Prinzen und FJhrer Königlihen Hoheit der Prinzessin Hermann zu Sachsen- Weimar-Eisenah zu Ehren der englishen Prinzen eine Soirée statt, an welcher Jhre Königlichen Hoheiten der Prinz und die Prinzessin Wilhelm mit Jhrer Hoheit der Prinzessin zu Schaumburg-Lippe, Se. Königlihe Hoheit der Herzog Albrecht, der Fürst Carl von Urach sowie der Fürst von Hohenlohe-Bartenstein Theil nahmen und wozu auch An- gehörige des diplomatishen Corps mit ihren Damen u. A. eingeladen waren.

Die heutige Sißung der Kammer der Abgeordneten wurde von dem Präsidenten von Hohl, dem „Schwäb. Merk.“ zufolge, mit folgender Ansprache eröffnet:

„Meine Herren! Ich heiße Sie nah neunmonatlicher Vertagung alle berzlich willfommen. In die Zeit unserer Vertagung fällt ein Ereigniß, von welchem das ganze württembergishe Volk \{merzlich ergriffen worden ist: ter Anschlag auf das Leben unseres Königlichen Prinzen Wilhelm. Der ständishe Ausschuß hat sich sofort im Namen der Vertreter des württembergischen Volks den aus allen Kreisen desselben kommenden Kundgebungen innigster Theilnahme und den herzlichen Glückwünshen zur Errettung aus drohender Lebensgefahr in Adrefsen an Se. Majestät den König und an Se. Köniolihe Hobeit den Prinzen Wilhelm angeschlossen. Die huldvollen s\{chöônen Dankeêworte Sr. Königlichen Majestät und Sr. Königlichen Hoheit sind veröffent- lit worden. Beruhigung bat es unserem Heimathlande, unjerem biederen, mit seinem Königshause zu allen Zeiten dur das feste Band der Treue und Liebe geeinigten Volke gebracht, daß die Unthat, wie nun feststeht, im Zustande völliger Geistesftôrung verübt worden ist. Beim Beginne des neuen Jahres ging die Trauerkunde turch die deutschen Lande daß Kaiserin Augusta geschieden, die treue erhabene Lebensgefährtin un}eres vor ibr beimgegangenen Kaisers Wilbelm I., unter tessen Führung die Einigung des deutschen Vaterlandes sich vollzogen, an desten Selke Sie gestanden als die erste Deutsche Kaiserin, als leuhtendes Vor- bild hoher Fürstliber und wcibliher Tugenden, als leuhtendes Vor- bild edelster nie rubender werkthätiger Menscenliebe in den \hweren Kriegszeiten wie in den folgenden glücklichen Friedensjabren. Das Anderken der Hochsinnigen Fürstin, die mit unserem Königshause durch das Band der Verwandtschaft geeinigt war, das Andenken unserer ersten Kaiserin, das wir heute in unserem Haufe ehren, wird fortleben im ganzen deutschen Vaterland, wird fortleben in der Ges \chichte der großen Zeit, mit der auch Ihr Name für immer ver- bunden bleibt.“ / ;

Der Präsident gedachte sodann des Todes zweier Mit- glieder der Kammer, des Kanzlers von Rümelin und des Schultheißen Uhl, und gab scließlich eine Uebersicht über die vorliegenden Geschäftsgegenstände, worauf fich die Kammer vertagte.

Vaden.

Karlsruhe, 15. April. (Karlsr. Ztg.) Gestern Abend traf der Chef des Generalstabes der Armee, General der Kavallerie Graf Waldersee, aus Ober-Ztalien kommend, hier ein, wurde am Bahnhof von dem Flügel - Adjutanten Major Müller im Namen Sr. Königlichen Hoheit des Groß- herzogs empfangen und nach dem Großherzoglichen Schlosse geleitet, woselbst der General eine Wohnung bezog. Gestern und heute verkehrte Se. Königliche Hoheit mehrere Stunden mit dem Grafen Waldersee, welher dann heute Nachmittag 2 Uhr na Berlin weiterreiste. i

Die Zweite Kammer trat in ihrer heutigen Sißung sofort in die Berathung des Berichts der Budgetkommission über das Budget des Ministeriums der Justiz, des Kultus und Unterrihts, Tit. I—IV, XI und XI1I der Ausgaben und Tit. 1 der Einnahmen, ein. Die Einnahmen beziffern si für ein Jahr auf 4230 754 M, die Ausgaben auf 5 824 982 M, sodaß sich ein Uebershuß an Ausgaben von 1594 027 Æ, ein Mehr gegen das Vorjahr von 130691 ergiebt. Verlangt werden für das Ministerium 270 562 H für beide Jahre zusammen in Ausgabe; Tit. TT Ober-Landes8- geriht 359 202 #, Tit. IIT Landgerichte 1491 624 M; Tit. 1V Staatsanmaltshaft 389350 A; Tit. V Amts- gerihte 3897286 F; Tit. VI allgemeine Rechtspflege jährli 1249659 Im außerordentlißen Etat der Ausgabe wird die Summe von 325005 #4 bean- tragt, wozu noch an Unterstüßungen und verschiedenen Aus- gaben für jedes Jahr 36 548 4 kommen. An ordentlichen Einnahmen der Justizverwaltung erscheinen jährlih 769692 M, in Einnahme 15000 ( Nach längerer Diskussion wurde Tit. T der Ausgaben nah den Anträgen der Kommission an- genommen. Zu Tit. 11 (Ober-Landesgericht) lag bei 8. 1a (Gehalte der Richter) ein Antrag der Abgg. Frank, Wittmer und Kriecle vor, zwei Richterstellen als „künftig wegfallend“ zu erflären. Der Antrag wurde abgelehnt und Tit. IT nach den An- trägen der Kommission angenommen. Bei Tit. Ik. (Land- gemeinden) knüpfte sih, nahdem der Abg. Wittmer einen auf Nichtbewilligung der geforderten zwei neuen Direktorstellen ge- stellten Antrag zurückgenommen, an §. 1a. (Gehalte der Richter) eine längere Debatte, worauf der Titel nah den Anträgen der Kommission angenommen wurde. Die Becathung wurde sodann abgebrochen.

Hefen.

Darmstadt, 16. April. (Darmst. Ztg.) Die Zweite Kammer beschäftigte sich in ihrer gestrigen und heutigen Sizung, nah Erledigung zweier Fnterpellationen von nur lokalem Interesse, mit der Berathung über die Ergebnisse der Erhebungen über die Lage der Landwirthschaft und nahm \chließlih einstimmig nachstehenden Antrag des Sonder- ausschusses an:

„Die Kammer wolle beschließen, sowobi Großberzoglicher Staats- regierung als aut allen kei den amtlichen Erhebungen über die Lage der Landwirtbschaft im Großherzogthum Hessen betheiligten Kräften, insbesondere allen dafür bestellten und thätig gewesenen Kommissären ihren Dank auszusprechen für die Herstellung dieser umfassenden und werthvollen Arbeiten.“

Sachsen-Coburg-Gotha.

Coburg, 17. April. (W. T. B.) Jhre Kaiserliche Hoheit die Herzogin von Edinburg hat sich mit ihrer Tochter Beatrix heute nah Mainz begeben, um mit ihrem daselbst eintreffenden Gemahl nach England zurückzureisen.

Reuß ä. L.

(+) Greiz, 16. April. Der Prinz und die Prin- zessin Heinrich zu Schönaich-Carolath, welche seit vorgestern am hiesigen Fürstlichen Hofe zu Besuch weilten, sind heute Mittag wieder abgereist.

Elsaß - Lothringen.

Straßburg, 15. April. Der Landesausschuß trat heute wieder zusammen. Dir Präsident Dr. Schlumberger widmete zunächst dem verstorbenen Abgeordneten Baron Zorn von Bulach (Vater) einige herzlihe Worte der Erinnerung, worauf das Haus zu der ersten Berathung des Gesezentwurfs, betreffend die Einrihtung von Grundbüchern, über- ging. Der Eatwurf, welchen der Staatssekretär von Putt- tamer begründete, wurde nach längerer Debatte an eine Spezialkommission von 12 Mitgliedern überwiesen. Der Ent- wurf eines Gesetzes, betreffend die Kosten in Grund- buhsacen, wurde derselben Spezialkommission überwiesen wie das Geseg über die Grundbüer. Den leßten Gegenstand der L bildete die zweite Lesung des Entwurfs eines Gesezes zur Ausführung des Geseßes, betreffend den Schutz von Vögeln, vom 22. März 1888. Die Vorlage wurde nach den Vorschlägen der Kommission angenommen.

Dem Landesaus\{huß is nachstehender, von 27 Abgeord- neten unterzeihneter Antrag zugegangen:

Der Landesaus\chuß wolle beshließen: die Regierung zu er- suben, die Verordnung des Herrn Unter-Staatsfekretärs für die Abs» theilung des Innern, vom 22. Mai 1888, betreffend den Paßzwang, aufheben zu wollen.

Oesterreich-Ungarn.

Wien, 16. April. (W. T. B.) Jn der heutigen Sißung der Ausgleihs-Konferenz wurde das Kuriengeseß durchberathen. Beim Schluß der Sizung konstatirte der Minister-Präsident Graf Taaffe, daß über die von der Regierung vorgelegten Geseßentwürse, betreffend den Landeskulturrath, den Landesshulrath, die Minoritätsshulen und die Landtagskurien volles Einverständniß erzielt sei. Der Minister-Präsident drückte ferner seine Absicht aus, bis zum Beginn der Maisession des böhmischen Landtages einen neuen Geseßzentwurf über die Wahlordnung für den Allodial- Großgrundbesig unter Berücksichtigung der von beiden in der Konferenz vertretenen Theile vorgebrahten Argumente und Anschauungen vorbereiten zu lassen. Der Minister- Präsident dankte sodann den Mitgliedern für ihre Theil- nahme an den Berathungen und {loß die Konferenz. Plener und Rieger dankten dem Minister-Präsidenten für die Wiedereinberufung sämmtlicher Mitglieder der Konferenz. Von beiden Seiten wurde mit Anerkennung hervorgehoben, daß die Regierung durch die Vorlage fertiggestellter Geseß- entwürfe die Arbeit des künftigen böhmischen Landtages 0 ersprießlih gefördert habe. :

Jung Bunzlau, 16. April. (W. T. B.) Bei der heute stattgehabten Reichsrathswahl wurde der Jung- czehe Spindler mit 1461 Stimmen gegen den Altczehen Tonner gewählt, auf welchen 1369 Stimmen fielen.

Großbritannien und Frland.

_ London, 16. April. (A. C.) Die Königin be- absihtigt ihren Aufenthalt auf dem Festlande um 14 Tage zu verlängern, in Folge dessen die Rückehr des Hofes nah Windsor nicht vor dem 26. d. M. erfolgen dürfte.

Der Herzog und die Herzogin von Edinburg treffen Ende nächster Woche mit ihren Töchtern wieder in Clarence House, ihrem Londoner Palais, ein und werden bis Mitte Juni in England verweilen. i

16. April. (W. T. B.) Gladstone is leicht erkältet; man glaubt, daß er niht vor Mitte nächster Woche an den Debatten im Unterhause werde theilnehmen können.

Frankreich.

Paris, 17. April. (W. T. B.) Der Präsident Carnot traf gestern Mittag in Aix ein und wurde von den Spigen der Behörden empfangen. Beim Betreten der Stadt wurden 101 Kanonenshüsse gelöst. Die Bevölkerung bereitete dem Präsidenten einen sehr warmen Willkommen. Bei dem Empfang im Stadthause stellte der Erzbischof die Geistlichkeit vor und gedahte in der dabei gehaltenen Ansprache der Pflichten des Präsidenten, indem er sagte, der Präsident der Nepublik fei der erste Diener Frankreichs. Präsident Carnot antwortete, er sei nur als Bürger ge- fommen, und danke dem Erzbischof, welcher in ihm, wenn nicht den größesten, so do den ergebensten Bürger begrüße. Abends “erfolgte die Ankunft in Marseille, wo der Präsident troß des Regenwetters. von einer zahlreichen Volkêmenge be- grüßt wurde.

Der Minister des Jnnern Constans hatte gestern eine Berathung mit dem Seine-Präfekten und dem Polizei- Präfekten über die bevorstehenden Munizipalwahlen und die für den 1. Mai zu treffenden Maßregeln. Aus den Departements, sowie aus Algier werden Vor- bereitungen zu größeren Demonstrationen unter Theilnahme sozialistischer Deputirten gemeldet.

Chevalier, der franzöfishe Kommissar bei der Staats3- fasse in Kairo, triff demnächst hier ein; eine neue Be- sprechung der egyptischenDelegirten mit dem Minister des Auswärtigen Nibot über die Konvertirung foll erst nach der Besprehung Ribot's mit Chevalier erfolgen.

Ftalien.

Rom, 16. April. (W. T. B.) Das heute veröffentlichte Grünbuch über Bulgarien enthält 309, vom 15. No- vember 1886 bis 12. November 1889 reichende Dokumente, aus welchen hervorgeht, daß in allen Phasen der bulgari- schen Frage ein beständiges, vollflommenes Einvernehmen zwischen den Kabinetten von Rom, London und Wien geherrs{cht hat.

Portugal.

Lissabon, 16. April. (W. T. B.) Die portugie- sischen Afrikareisenden Serpa Pinto, Andrade und Cordon sind hier angekommen; alle drei hatten sih jeden öffentlihen Empfang verbeten.

Amerika.

Vereinigte Staaten. Washington, 15. April. (A. C.) Der Befehlshaber des amerikanischen Kriegsschiffes „Alliance“ wurde angewiesen, in Gibraltar auf den Konsul Matthews, den neuen Vertreter der Vereinigten Staaten in Marocco, zu warten und ihn nah Tanger zu führen.

16 republikanische Mitglieder des Repräsen- tantenhauses haben dem Finanzausshuß einen Protest gegen die Zucker- und Wollzölle in der Tarifvorlage überreicht.

: 16. April. (W. T. B.) Die vom Finanzauss{chu§ß des Repräsentantenhauses befürwortete Tarifvorlage sezt Häute und Zucker unter 16 holländisch Standard sowie Melassen auf die Liste der frei einzuführenden Waaren, be- steuert dagegen raffinirten Zucker über 16 holländish Stan- dard mit 4/19 Cents und gewährt dem heimischen Zucker für 15 Jahre eine Prämie von 2 Cents per Psund.

Afrika.

Egypten. Kairo, 15. April. (R. B.) Prinz Albert Victor von Wales stattete heute Morgen dem Khedive einen Abschiedsbesuch im Abdin - Palast ab und fuhr darauf nach dem Bahnhofe. Um 10 Uhr trat der Prinz, begleitet von Sir Evelyn Baring und den Kapitänen Holford und Harvey, die Weiterreise nah Alexandrien an.

Parlamentarische Nachrichten.

Jn der heutigen (42.) Sißung des Hauses der Abgeordneten, welcher der Reichskanzler und Präsident des Staats-Ministeriums von Caprivi, der Minister der geist- lihen u. s. w. Angelegenheiten Dr. von Goßler, der Minister des Jnnern Herrfurth und der Handels-Minister Freiherr von Berlepsh beiwohnten, stand auf der Tagesordnung die gortsequng der dritten Berathung des Geseßentwurfs, etreffend die Feststellung des Staatshaushalts- Etats für das Fahr vom 1. April 1890/91.

Zunächst gelangte der Rest des Justiz-Etats zur Be- rathung. 4

Auf eine Anfrage des Abg. Dasbach erklärte der Regierungs-Kommissar Geheime Justiz-Rath Eichholz, daß die Auswahl der Blätter für die Veröffentlichung gerichtlicher Bekanntmachungen Sache der Gerichte, nicht der Justizverwal- tung sei, worauf der Abg. Dasba chch bedauerte, daß vielfach nicht die geeigneten Blätter gewählt würden.

Abg. Shumacher wünschte, daß die Strafvollstreung ausgeseßt werde, wenn durch diejelbe für den Bestraften und seine Familie oder einen Dritten eine Schädigung entsteht, die mit der Strafe nichts zu thun hat.

__ Der Regierungskommissar Geheime Justiz-Rath Lucas jagte eine Erwägung dieser Frage zu.

__ Abg. Ricert brachte die Behandlung von Redacteuren in den Gefängnissen zur Sprache und wies insbesondere auf den Fall Bölger in Herford hin.

Der Regierungs - Kommissar Geheime Ober - Justiz- Rath Starcke erklärte, daß die Anstalt in Herford nit zum Ressort des Justiz-Ministeriuums gehöre, der Minister des Znnern Herxrfurth, daß ihm die Sate nicht bekannt sei, er sie aber untersuchen werde.

Abg. Dr. Windthors wünschte, daß die Untersuhung sih nicht auf den einen Fall beshränke; es müsse eine generelle Anordnung in dieser Beziehung getroffen werden. Der Straf- vollzug müsse ein einheitlier sein, jeßt {heine große Willkür zu herrschen.

Die Abgg. Rickert und von Eynern schlossen si diesen Ausführungen an.

_Abg. Bödiker beklagte, daß dem Geist der Gerichts- verfassung zuwider die Vertheilung der Geschäfte an den mit mehreren Amtsrichtern beseßten Amtsgerichten niht nah Be- zirken, sondern nah Gattungen der Gerichtsgeschäfte erfolge.

Der RNegierungs-Kommissar Geheime Justiz-Rath Eich-

holz bemerkte, daß die Geschäftsvertheilung auf einer An- ordnung von 1879 beruhe. Bei den mit zwei Richtern be- seßten Amtsgerichten, welche die Mehrzahl der Gerichte bildeten, würden die Geschäfte geographisch vertheilt, bei den mit drei oder mehr Richtern besezten Amtsgerihten je nah den Ver- hältnissen nach geograpischen Bezirken oder nah Gattungen oder nah beiden Rücksichten gemeinsam. Klagen über diefes Verfahren seien bisher niht laut geworden. __ Abg. Dr. Windthors bedauerte, daß man von dem Einzelrichtergedanken immer mehr zurückomme. Jn mehreren Ober-Landesgerihtsbezirken sei die Geschäftsvertheilung unter die Amtsrichter nah geographischen Bezirken vollständig beseitigt. Die Art, wie hier in Berlin die Rechtspflege gehandhabt werde, sei keine Justizsprehung, fondern eine Justizfabrik. Das Au S in Berlin müßte in mehrere Theile getheilt werden.

Abg. Bödiker erwähnte noch, daß ihm zwei Ober- Landesgerichtsbezirke bekannt seien, in denen in Folge des Ey des Präsidenten die Vertheilung nach Materien durch- geführt sei.

Abg. Czwalina beshwerte sih darüber, daß zu Offizial- vertheidigern niht die bei dem Geriht vorhandenen Rechts- anwälte, sondern Referendare bestellt würden. Weder Rüd- sihten der Sparsamkeit noch der Ausbildung der Referendare fönnten ein folhes Verfahren rechtfertigen.

Der Justiz-Minister Dr. von Schelling bezeihn-ete es als wünschenswerth, daß die Referendare sih mit der Ver- theidigung eifrig be\chäftigten, um sih in der freien Nede zu üben, aber die Bestellung von Referendaren zur Vertheidigung sollte immerhin die Ausnahme bleiben, wie das Geseß das vorshreibe. Sparsamkeit könne hierbei selbstverständlich nicht maßgebend fein. Die Schöpfung des Amtsgerichts I Berlin sei in der That eine monströse und keine sehr glück- lihe gewesen. Auf die Vertheilung der Geschäfte an den Amtsgerichten habe der Justiz-Minister keinen Einfluß, sie sei Sache des Landgerichts-Präsidiums.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum sprach sih ebenfalls für die Beschäftigung der Referendare als Offizialverthei- diger aus.

Nach weiteren kurzen Bemerkungen der Abgg. Dr. Windt- horst und Czwalina wurde der Etat der Justizverwaltung genehmigt.

Bei dem Etat des Ministeriums des Jnnern wies der Abg. Lückhoff auf die von Jahr zu Fahr steigende Zahl der verwahrlosten Kinder, welche in Zwangserziehung genommen würden, hin. Man follte mit der Zwangserziehung niht warten, bis die Kinder ein Verbrechen begangen hätten. Neben der Staatsthätigkeit müsse auch die Privat- wohlthätigkeit und die Thätigkeit der Gemeinden hier ein- greifen. Die große Mehrzahl der Gemeinden halte fich von dieser Arbeit noch fern. Die großartige Thätigkeit der Er- ziehungsvereine und Erziehungshäufer verdiene die materielle Unterstüßung der Regierung. :

Der Minister des Jnnern Herrfurth erklärte fih mit den Zielen des Vorredners einverstanden, bezeichnete aber die Dinge als nicht innerhalb seines Ressorts liegend. Kinder, die noch kein Verbrechen begangen, in Zwangserziehung zu nehmen, widersprehe dem Geseße und würde wohl den lebhaften dider- spruch aller Provinzialverbände erwecken, denen daraus eine große Mehrbelastung erwachsen würde. Aus den Mitteln zur Er- ziehung verwahrloster Kinder könne den Erziehungsvereinen feine Beihülfe gegeben werden, wohl aber aus dem Dispositions- fonds des Gefängnißwesens, wie dies bisher bereits geschehen.

Abg. Stöcker brahte das Unwesen der Prostitution zur Spraße und erörterte im Besonderen einige Punkte der polizeilihen Sittenkontrole. _Es liege eine roße Gefahr darin, wenn mehr als 50000 weibliche

ersonen, über ganz Berlin zerstreut, von der Prostitution lebten. Bei den unglücklihen Miethsverhältnissen Berlins müßten auf diesem Wege die Familien angesteckt werden. Die Kontrole, wie sie jeßt gehandhabt werde, mae, ohne daß man es wolle, den Eindruck der Konzessionirung. Die Behandlung der Minorennen bei der Kontrole sei be- denklih. Bei Konslikten von Mädchen mit der Sitten- polizei müßte den Eltern Mittheilung gemacht, bei

ihrer Entlassung aus dem Gefängniß oder Kranken- hause müßten fie vor der Rückehr zu ihrem früheren Gewerbe geshüßt werden. Die Säuberung der Straßen Berlins von den Dirnen sei anzuerkennen, aber die Ge- legenheitsmacherei habe sich in die Cafés und die Lokale mit weibliher Bedienung zurückgezogen. Auch das Wohnungswesen müßte gebessert werden. Der Kampf auf diesem Gebiet müsse ernftilich aufgenommen werden. (S{hluß des Blattes.)

(Der S(lußbericht über die gestrige Sißung des Hauses der Abgeordneten befindet sih in der Ersten Beilage.)

_— Jn dem Hause der Abgeordneten ist der nah- stehende Antrag von dem Abg. Dr. Windthorst und dem Centrum eingebraht worden:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen:

Die Königlihe Staatsregierung aufzufordern, dem Landtage baldigst den Entwurf eines Gesetzes vorzulegen, dur weles den Kirhen und ihren Organen in Betreff des religiösen Unterrichts in den Volks\{ulen dicjenigen Befugnisse in vollem Umfange gewährt werden, welche die Verfafsungsurkunde im Artikel 24 denselben durch den Saß:

„Den religiösen Unterricht in der Volks\{ule leiten die be-

_ treffenden Religion®gefsells{aften“ zugesichert hat, und datei, dem ursprüngli@en Sinne diefer Zu- sicherung entspreend, insbesondere auf Feststellung folgender Rechte Bedat zu nehmen:

_1) In das Amt des Volks\hullehrers dürfen nur Personen be-

rufen werden, gegen welce die kirchlihe Behörde in kir{lih-religiöser Hinsicht keine Einwendung gemaht hat. Werden später solhe Ein- wendungen erboben, so darf der Lebrer zur Ertheilung des Religions- unterrihts nit weiter zugelaffen werden. L 2) Dicjenigen Oreane zu beftimmen, welche in ten einzelnen Bolks\{ulen den Religion8unterricht zu leiten berechtigt sind, steht auss{ließli den kirhliwen Obern zu. i __ 3) Das zur Leitung dcs Religionsunterrichts berufene kirchlie Organ ift befugt, nah eigcnem Ermessen den s{ulplanmäßigen Reli- gionsunterriht selbst zu ertheilen, oder dem Religioneunterri®t des Lehrers beizuwobnen, in diesen einzugreifen und für d¿fsen Ertheilung den Lebrer mit Weisungen zu versehen, welche von Leßterem zu be- folgen sind. :

4) Die kir&li®den Behörden bestimmen die für den Religions- urterricht und die religis!e Uebung in den Schulen dienenden Lehr- und Unterrihtsbüer, den Umfang und Inkbalt des s{ulplanmäßigen Ie Unterrichtsstofes und defsen Vertheilung auf die einzelnen

assen.

Zu der dritten Berathung des Ekats des Ministeriums der geistlichen, Unterrihts- und Medizinal-Angelegenheiten für das Jahr vom 1. April 1890/91 ist von dem Abg. von Strombeck folgender Antrag eingebracht worden:

Das Haus der Abgeordneten wolle beschließen :

Im zweiten Absaß des „Vermerks* zu Kap. 124 Tit. 2 Zeile 2 und 3 die Worte „nach Ablauf einer weiteren Dienstzeit im Pfarr- amte“ dur die Worte „nach Ablauf einer weiteren Dienstzeit im Amte“ zu erscten.

Statistik und Volkswirthschaft.

Zur Arbeiterbeweguna.

Ueber die bier \ck{on erwähnte große Arbeiterversammlung, welche in Fischbach (Kr. Saarbrücen) am 13. d. M. stattfand, brngt die „Köln. Ztg.* eine ausführlichere Mittheilung. Die Versammlung wurde dur den Maurerpolier Roll mit einem Ho auf Se. Majestät den Kaiser eröffnet. Betreffs des ersten Punktes der Tagesordnung: „Der 1. Mai als Feiertag“, erklärten sich Roll und der Vorsitzende des Reitéschutzvereins Thome gegen die Arbeitsrube am 1. Mai. Letzterer wies treffend darauf hin, daß April und Mai genug Feiertage enthielten, daß es also ein Ursinn sei, sich dur einen weiteren Feiertag selbft zu s{ädigen, zumal ja an dem vorher- gehenden Tage, dem Büß- und Bettage, niht gearbeitet und auf einer an diesem Tage im Freien stattfindenden großen Bergarbeiter- versammlung Jedem Gelegenheit geboten würde, seine Meinung kund- zugeben. Außerdem, so führte ebenfalls Thome aus, sei der Arbeiter- feiertag am 1. Mai eine f ozialdemotratische Veranstaltung ; die Bergleute seien indeß keine Sozialdemokraten und mit deren Pro- gramm durchaus nit einverstanden; sie vertrauten vielmehr fest auf unseres Kaisers Worte und Absichten. In gleicher Weise sprachen sh mehrere weitere Redner aus. Die Abstimmung ergab einstimmige Ablehnrng der Arbeiterfeier am 1. Mai, Bon den weiteren Bes{lüssen der Versammlung sind noch folgende bervor- zubeben: An der Forderung des achtstündigen Arbeitstages für Gruben- und Fabrikarbeiter, für erster: eins{ließlich Ein- und Ausfahrt, wird festgehalten; für die Bauhandwerker wird eine zebnstündige Arbeits- zeit mit zwei Stunden Mittagspause und 40 4 Stundenlohn, alfo für den Tag 4 M, gefordert.

Aus Saarbrücken wird der „Rh.-Westf. Ztg,“ unter dem 15. d. M. geschrieben, daß in allen Versammlungen der Berg- arbeiter in der ganzen Umgegend beschlossen wurde, den 1. Mai nit zu feiern. Ueberhaupt leuttete auch in den übrigens ichwach besuhten Versammlungen ein ganz friedlihes Benchmen heraus, und man giebt sstch Mühe, mit den Beamten in gutem Einvernehmen zu leben.

Der „S@hlcf\. Ztg.“ geht von der Graf Henckel von Donners- marck’\{chen Güter-Direktion unter dem 14. April folgende näbere Mittheilung über den obne jede Verbandlung bereits wieder beendigten Ausstand auf Radzionkau-Grube zu: Nach Beendigung der am Sonnabend abgehaltenen Löbnung erschien eine Anzahl Arbeiter bei dem Betriebëführer der Grube und verlangte, unter der Bebauptuna, daß die ihnen im Mai v. I. versprochene 10 9% Lobnzulage nit gezablt worden sei, deren Naczahlung vom 1. Mai v. Ï. ab unter der Androhung, daß sie anderen- falls die Arbeit niederlegen würden. ThatfächliÞ sind die Löhne der Grube seit dem 1, Mai v. J. nicht um 10, fondern um mehr als 20 9/0 ert ôht worden, und es sind namentli die Löhne der fast stets im Gedinge arbeitenden Häuer und der Stlepper an dieser Steigerung besonders hervorragend betheiligt. Die Verwaltung ist denn auch nit in der Lage, der ganz unbere{chtigten Forderung der Arbeiter nachzugeben, hat aber, um dem beschriebenen Unwesen zu teuern, denjenigen Arbeitern, welhe regelmäßig anfahren, eine Prämie von 3 bis 6 M pro Monat versprochen.

In Breslau befinden sih von den etwa 2500 Tifchler- gesellen der Stadt seit vorgestern rund 2000 im Ausftand. Mit den strikenden Malern, Anstreichern und Lackirern feiern also gegenwärtig in Breslau nabezu 3000 erwachsene männlite Arbeiter.

In Görlitz beshlossen die Shuhmacer, nach gesemäßiger Kündigung am 29. April die Arbeit einzustellen. In Bunzlau sind, wie die „Köln. Ztg.“ mittheilt, die Schuhmacher aus- ständis, weil eine geforderte Lohnertöhung abgelehnt wurde.

Der Ortéverband der deutschen Gewerkvereine (Hirsc- Duncker) in Halle bat sich, der „Magd. Ztg “, zufolge gegen jede Kundgebung am 1. Mai, als gegen die Prinzipien der Gewerkvereine erklärt ; er erblickt das Heil der deutschen Arbeitershaft nit in gewalt- famem Vorgehen, sondern in dem friedlichen Zusammenarbeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und bôlt jedes Feiern und Abhbalten von Versammlungen an diesem Tage nit für angebracht. Die Kefsel- \chmiede der Wernidke' {hen Maschinenfabrik in Halle, 70 an der Zahl, haben die Arbeit eingestellt.

In Trier haben am 15. d. M. von 250 Maurern der Stadt

200 die Arbeit niedergelegt. Die Baumeister boten einen Tagelohn von 3 # 60 S bi 10éftündiger Arbeitszeit, worauf aber die Arbeiter nicht eingingen. Etwa die Hälfte der Ausftändishen ift nach auêwärts abgereist, wo ihnen Gelegenheit zur Arbeit geboten ift. In Hannover soll, wie dem „Hamb. Corr.“ aus Berlin telegraphirt wird, am 8. Juni ein Kongreß aller nicht- gewerblichen Arbeiter stattfinden, um zum Normalarbeitstag, zur Sonntags-, Frauen- und Kinderarbeit 2c. Stellung zu nehmen. M 14. d. M. fand in Leipzig eine öffentlihe Ver- fammlung der Kürschnergebhülfen ftatt, in welher Berit erstattet wurde über den an den Osterfeiertagen in Hamburg abge- haltenen Kongrcß der Kürschner Deutschlands; hierbei wurde mitgetheilt, daß daselbst cin Verband und ein Faczorgan der Kürsbner gegründet, die CEinführüng eines neun- stündigen Maximalarbeitstages, jowie die Regelung der Haus- arbeit und die Beseitigung der Ueberstunden- und Sonntags- arbeit bes{loffen worden sei. In Leipzig \{cint ein Ausstand der Swhubmachhergebülfen bevorzustehen, da die Meister, wie der „Chemn Anz.“ berichtet, die gestellten Forderungen der letteren, zebnstündige Arbeitszeit und einen Minimal-Stundenlohn von 25 s, nicht bewilligen. E Die ftändige Deputation d:s Innungs8-Ausschusses ver- einigter Innungen in Berlin rihtet an die Vorstände der Innungen ein Shreiben, in welchem die Stellung der Innungs- meister zu dem geplanten Feiertag der Arbeiter am 1. Mai beleuchtet wird. Es heit in dem Schreiben: Der Innungs-Aus\{huß fann es nit unterlafsen, die in folhem Vorhaben der Arbeiter liegende Frivolität als eines tüchtigen Handwerksgefellen niht würdige Handlungsweise zu kennzeibnen; und erfucht deëbalb die Mitglieder der Innungen, ihre Gesellen vor einem Sicheirlafsen auf folche ver: fübrerishe Lockungen zu warnen und Diejenigen, welche dennoch auf guten Rath nicht höres, unnatsittlich von der Arbeit aus- zushließen. Es ergeht deshalb an die geehrten Vor- stände nit nur derjenigea Innungen, welche direkt dem gemeinsamen Innungs8autschusse angehören, sondern an sämmt- lihe Vorstände die Bitte, in geeigneter Weise auf die Innungs- genossen dahin einzuwirken, daß in Berlin ausnahmêlos der Bußtag als Feiertag beilig gehalten werde und in unseren Werkstellen die Arbeit ruhe. Sodann ist darauf zu halten, daf, wer von den Ge- sellen in einer Werkstelle wider di? Ordnuxig am Donnerstag, den 1, Mai d. F., aus der Arbeit fortbleibt, das Recht verwirkt, weiter darin Arbeit zu finden. Kündigt der Meister feinen Gescllen recht- zeitig (d. bh. unter Berücksihtigung der Kündigungsfrist) vor dem 1, Mai an, daß das Wegbleiben von der Arbeit an diesem Tage die Entlaffung aus dem Arbeitsverhältniß zur Folge baben würde, so wird jo mancher Geselle nadenklich werden und der sih ihm auf- drängenden Verlockung widerstehen. _ Auf den Gräflich Wilczek'’schen Kohlengruben zu Polnisch-Oftrau brach am 15. d. M. ein aligemeiner Strike aus. Die Arbeiter des Emmaschachtes zogen zu den übrigen Shäcten und zwangen die dortigen Arbeiter auszufabren. Bis gestern Nach- mittag waren, wie „W. T. B.“ aus Mäßhrish-Ostrau meldet, in dem dortigen Bergwerksdistriki teine Ausschreitungen vor- gekommen. Bei Hermannsgildschacht bielt Militärmacht die Ordnung aufrecht, sodaß der Weiterbetrieb der Bergwerke ?r-

moglicht war, bei

71!

1 i verschiedenen Schäcten is WMilitärmann'caft stationirt. Die Behörden warnten in Plakaten vor AuLschreitungen; d Srubenbesiter erklärten in Veröffentlihungen ihre Bereitwillizkeit zu Unterbandlungen. Vom beutigen Tage berichtet nun das Wolff iche Bureau: Nach Tausenden zählende Arbeiterbanden erzwangen geftern Abend in allen biesigen Gruben und Fabriken, die sich dem Strike noch nit anges{loîsen hatten, die Arbeitseinftellung. Sodann zogen die Stcikenden nah Witkowitß und nötbigten au dort die Arbeiter zum Anschluß an den Strie, welcher immer größere Dimensionen annimmt. In die Nordbabnscbäcbte bei Zaburek waren die Aufwiegler eben eingedrungen, als Militär beranrüdckte, die Eindringlinge verjagte und die Schähte besetzte. Nach Witkowiy sind 2 Compagnien Militär abgegangen.

Kunft und Wissenschaft.

Der General-Konsul William Sch{hönlank hierselbst, welhem die öffentlihen Sammlungen und Fnstitute bereits reihe Zuwendungen an wissenshaftlihen und Kunstschäßen verdanken, hat kürzlih seine fördernde Theilnahme für die Interessen der Wissenschaft von Neuem dadurchbethätigt, daß er dem Kultus-Minister eine größere Anzahl von Exem- plaren des werthvollen Werkes von A. E. von Norden- jfióld: „Facsimile-Atlas till kartografiens äldsta historia“ für wissenschaftlihe Zwecke zur Verfügung ge|stellt hat. Das Werk des berühmten Gelehrten und Reisenden bezieht sich auf die interessanteste Periode in der Geschichte d2r Ausbreitung der räumlichen Kenntniß von der Erde, diejenige von 1460 bis 1600, in welcher der Fortschritt von nebelhasten Vorstellungen zu tlarem Erfassen und von rohen Versuchen der bildlichen Darstellung zu mathematish scharf begründeten Methoden fich mit rashen Schritten vollzogen hat. Nordensfkiöld hat nah längeren Studien in den Bibliotheken von Ftalien, Deutsch- land, Frankreih, England und Schweden und mit Aufwand bedeutender Mittel photographishe Nachbildungen der ihm wichtig erscheinenden Karten aus dieser Zeit anfertigen lassen und dieselben in dem Facsimile-Atlas nicht nur zu der ersten größeren Sammlung der ältesten gedrudten Karten vereinigt, sondern sie auch mit einem ausführlichen, gelehrten und lehr- reihen Text begleitet. Es. Legt. jomit in dem Nordenskiöld'shen Facsimile-Atilas ein Quellenwerk ersten Ranges vor, welhes als grundlegend für die Erforschung jener so tief in die Kulturgeschichte der Menschheit eingreifenden geographishen Entwidelungs- periode von allen Sachkennern mit Freude begrüßt zu werden verdient.

Die von Herrn Schönlank geschenkten Exemplare sind der Akademie der Wissenschaften, den Universitäten, der Gesellschaft für Erdkunde und anderen wijssen- schastlihen Anstalten überwiesen.

Handel und Gewerbe.

Nach dem in der 24. ordentliGen Generalversammlung der Preußischen Lebens- und Garantieversiherungs- Aktien-Gesellschaft Friedri Wilhelm erstatteten Bericht bat das vergangene Jabr einen Gewinn von 178 890 # ergeben, von welchen 94171 Æ auf die mit Gewinnantheil Versicherten entfallen, 84 719 „# den Aktionären zur Verfüaung gestelt werden. Der Ver- siherungsbestand ift im Jahre 1889 auf 196 198 Policen mit 78 679 547 Æ Kapital und 8209 M4 jährlihe Rente geftiegen, hat also eine Vermehrung um 34 998 Policen mit 6 613 159 #4 Kapital und 5812 Æ jäbrlihe Nente erfahren und dementspre{end ift die Prämien- einnahme auf 2758 844 M gestiegen. Von den Versicherten starben in dem abgelaufenen Geschäftsjahre 2690 Personen mit einer Sterbe- fallsumme von 1195 624 Æ; an 110 auf den Erlebensfall versicherten Personen wurde das fällig gewordene Kapital von 123 845 F aus- gezahlt ; während des 24 jährigen Bestehens der Gefellschaft gelangten fomit bis Ultimo 1889 14 109 771 M von den versicherten Kapitalien zur Auszahlung. Die Garantie-Kapitalien und Reserven betragen 13 747 500 4. Die Versammlung beschloß dem Vorschlage des Auf- sihtéraths gemäß die Vertheilung einer Dividende an die Aktionäre von 89/0 der Einzahlung und ertheilte dem Vorstand und dem Auf- sihtêrath Decharge. Die mit Antheil am Gewinn Versicherten er- halten eine Dividende von 173 °/% der Jahresprämie.