1892 / 68 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 Mar 1892 18:00:01 GMT) scan diff

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Folgen, und zwar solher Aerzte, welche die Kasse anstelle. Durch An- nabme des Antrags Möller würde man erzielen, daß in streitigen Fällen der Mann sein Recht nicht durch das Gericht, sondern dur den Kassenarzt bekomme; das wolle seine Partei nicht. j

Abg. Dr. Meyer (dfr.): Alle Aerzte wollten soviel wie meglid) die Natur walten lassen. Hierin liege der Gegensaß nicht, sondern ¿wischen den Wissenden und Nichtwissenden. Darum allein handele es si, ob der Staat Nichtwissenden Rechte einräumen folle, die er nur Wissenden einräumen dürfe. Mit der Erklärung des Abg. Möller in der Commission sei er völlig einverstanden; diese Besprehung babe aber gezeigt, daß eine große Anzahl von Mitgliedern des Hauses niht damit einverstanden sei und die Gelegenheit benußen wolle, den Naturheilkünstlern freien Raum für ihre Thätigkeit zu schaffen. Zu seiner Freude sei der größere Theil dec Coniervätibeu derselben Ansicht wie er; er möchte aber nahelegen, ob es gerathen sei, das ganie Geseß anzunehmen, wenn der r Sulen- burg abgelehnt werde. Die heutigen Aeußerungen des Ministerial- Directors Lohmann im Anschluß an die Nede des Abg. Freiherrn von Wendt ständen niht in Einklang mit der früheren Erklärung des Staatssekretärs Dr. von Boetticher, daß niemand daran dächte, Nichtärzte als Kassenärzte zuzuziehen. Der Staatsfecretär Dr. von Boetticher sei nur wegen des Specialfalls der Halligen gegen den Antrag Schulenburg gewescn. Der Ministerial-Director Lohmann dagegen meine: „Die reichen Leute ziehen die Naturärzte zu, wenn es ihnen paßt; warum soll man es den Armen verwehren ?“ Es folle niemandem verwehrt werden, sih an einen nicht approbirten Arzt zu wenden, er solle es aber niht aus Kassenmitteln thun.

Ministerial-Director Lohmann: Was der Abg. Dr. Meyer über seine Erklärung sage, sei nit richtig. Er habe sih von den Aeußerungen des Abg. Freiherrn von Wendt nur diejenige angeeignet, das e nicht der Ort sci, um die eigentlih grundlegende Frage zu veirrechen.

Abg. Dr. Endemann (nl.) spricht si für die Anträge Schulen- burg und Möller aus und meint, daß ihre Annahme für die Kranken- kassen selbst von größtem Vortheil sein werde.

Darauf wird der Antrag Möller mit 130 gegen 107 Stimmen, der Antrag von der Schulenburg mit derselben Mehrheit, der Antrag Hirsh-Gutfleisch mit großer Mehr- heit abgelehnt, dagegen der vom Abg. Stumm beantragte Zusaß und mit diesem § 55a angenommen.

Die 88 56—74 werden mit einigen redactionellen Aende- rungen angenommen. : i

Eine erheblichere Besprehung knüpft sich nur an die SS 58 und 74. : ;

Beim § 58 beantragt der Abg. Heine im Namen der Socialdemokraten, die Frist für die Bewilligung von Er- stattungsansprüchen von zwei auf vier Wochen zu verlängern, um den Mitgliedern der Krankenkassen genügende Zeit zu geben, ihre Ansprüche gehörig zu begründen und die erforder- lichen Nechtsmittel anzuwenden.

Geheimer Ober-Regicrungs-Nath von W oecdtke erkennt an, daß in einzelnen Fällen die zweiwöchige Frist nicht ausreiche, giebt aber zu bedenken, ob es richtig sei, in der dritten Lesung eine solche Aenderung des Gesetzes vorzunehmen. i |

Nachdem auch der Abg. Dr. Gutfleisch (dfr.) die theil- weise Berechtigung des Antrags Heine anerkannt hat, wird er angenommen.

Bei S 74 bedauert

Abg. Stötzel (Centr.), daß die Wünsche der Mitglieder der Knaypshaktskassen durh die Vorlage nicht erfüllt seien. Die Ein- richtungen der Knappschaftskassen seien durchaus nicht fo außerordentlich

ut, wie man es immer dargestellt habe; namentlih sci es mit der

Frage der Aerzte sehr \{lecht bestellt, troßdem ohne große Kosten eine Besserung herbeigeführt werden könnte, wenn man nur die Aerztewahl etwas freigeben wollte. Krupp in Essen habe seinen Arbeitern zur Auswahl eine große Anzahl von Aerzten zur Ver- fügung gestellt. Bei den Knappschaftskassen bestehe aber ein großer Zwang in dieser Beziehung, was zu Streitigkeiten und Beschwerden geführt habe. Eine Acnderung würde Befriedigung hervorrufen.

Abg. Leuschner (Np.): Versuche, eine freiere Arztwahl herbei- zuführen, seien in Westfalen gemacht worden, aber sie seien un- befriedigend verlaufen, namentlich auch in finanzieller Beziehung. Die Erhöhung der Beiträge würde die Unzufriedenheit vergrößern.

Abg. Möller (nl.): Wenn Beschwerden vorlägen, so möge der Abg. Stößel sich an die Direction der märkishen Knappschaftskassen wenden, und zwar unter Namensnennung; die einzelnen Fälle würden dann untersucht werden.

Abg. Stößel (Centr.) führt unter Nennung des Namens einen Fall an, in dem ein Mitglied einer Knappschastskasse nah wieder- bolter Aufforderung erst dann ärztliche Hilfe erhalten habe, als er be- reits mit den Sterbesacramenten versehen worden sei.

Abg. Szmula (Centr.): In Oberschlesien beständen dieselben Ee über die Knappschaftskassen, wie sie der Abg. Stößel vorge- bracht habe, namentlich werde über die s{chlechte, grobe Behandlung seitens der Aerzie geklagt.

Abg. Leuschner (Rp.): Der Beseitigung solher Aerzte, welche die Leute grob behandelten, ständen die Knappschaftsstatuten nicht im Wege.

Abg. Dr. Hirsch (dfr.): Allgemein habe man die Empfindung, daß die Einrichtungen der Knappschastskassen nicht dazu beitrügen, den Frieden zwischen Unternehmern und Arbeitern zu fördern. Die Unter- nehmer sollten an ernstlichere Reformen denken, che es zu spät werde.

Zum S 75 (freie Hilfskassen) liegt ein Antrag Hirsch- Gutfleish vor, wonach durch Statut der freien Hilfskassen bestimmt werden kann, daß den Mitgliedern an Stelle der freien ärzlihen Behandlung die Hälfte des ortsüblichen Tage- lohnes ihres Beschäftigungsortes gewährt wird; eventuell sollen die freien Kassen wenigstens denjenigen Mitgliedern gegenüber, welche daneben noch ciner Zwangskasse angehören, das Recht haben, durch Statut statt der freien ärztlichen Be- handlung die Hälfte des ortsüblichen Tagelohnes ihres Be- schäftigungsortes zu gewähren.

Abg. Dr. Hirsch (dfr.): Im § 75 handele es sih um Kassen, denen die Arbeiter niht gezwungen, sondern freiwillig beiträten, und in denen sie nur so lange blieben, wie die Leistungen ihnen genügten. Unter diesen Umständen und bei den Klagen, die oft über die Zwangs- fassen laut würden, sollte man die freien Kassen niht auf den Aus- sterbeetat seten, das thäte man aber, wenn man § 75 in der Fassung der zweiten Lesung genehmige. Das sei keine Uebertreibung; schon jeßt habe eine der größten freien Hilfskassen in der Erwartung, ces die Beschlüsse der zweiten Lesung Geseß würden, sich des Charakters der freien Hilfsfkasse zu entkleiden und si in eine Zuschuß- fasse umzuwandeln beschlossen, und viele andere große Hilfskassen würden ebenso verfahren. Das entspreche niht den Gesinnungen der Regierung, den freien Kassen keinen Schaden bereiten, sondern nur Licht und Schatten gleihmäßig vertheilen zu wollen. Dies zu bewahr- beiten, sei hier die bts Gelegenheit. Man brauche ja nicht einmal die den freien Kassen früher gewährten Rechte aufrecht zu erhalten, sondern man möge nur die vorzunehmenden Aenderungen mildern ; diesem Zweck solle der vom Abg. Dr. Gutfleish gestellte Antrag dienen. Er- entspreche einem {hon bei § 55a für die Zwangskassen gestellten, dort aber abgelehnten Antrag ; aber was man dort, bei den Zwangskassen, für unannehmbar gehalten habe, könne bei den freien Kassen noch sehr brauchbar sein. Er bitte also dringend, diesen Antrag hier anzu- nehmen; die Antragsteller hätten, um ihn annehmbar zu machen, die äußersten Zugeständnisse gemacht, die für Arzt und Medizin zu leistenden Beträge im Vergleich mit dem Antrag zu §55a ver- doppelt. Es handele sih bei den freien Kassen um einen sehr bebeu- tenden Theil der Arbeiterbevölkerung; nah der amtlichen Statistik hätten im leßten Jahr die freien Kassen, denen 900 000 Arbeiter angehörten, 14 Millionen an Krankcngeldern verausgabt und hätten

dabei noch ein Vermögen von 123 Millionen. Ihre Leistung für den Kopf der Versicherten betrage mehr als das Doppelte dessen, was die Zwangskassen zahlten. Allerdings nähmen die freien Kassen nicht

tutarishen Pflihten niht nahkomme, auszus{ließen, ohne Rücksicht auf Wechsel der Arbeits\telle oder des Wohnorts, auf höheres Alter oder etwa eintretendes Siechthum; die Zwangskassen entließen jeden älteren Arbeiter, der aus seiner Arbeitsstelle entlassen werde. Wolle man nun aber den Krankenkassenmitgliedern nicht im allgemeinen die beantragten Rechte geben, dann gebe man sie doch wenigstens denen, die zugleich einer Bang male angehörten. Er bitte nochmals dringend, den Principalantrag anzunehmen.

Abg. Molkenbuhr (Soc.): Würde § 75 nah den Beschlüssen der zweiten Lesung angenommen, so würde ein großer Theil der freien Hilfskassen niht mehr bestehen können. Wenn man die freien Kassen verpflichte, an Stelle des Krankengeldes freien Arzt und Medizin zu liefern, so würde sofort eine Ungleichheit eintreten, da für die Mitglieder, die vereinzelt an einem Orte wohnten,

rößere Aufwendungen gemaht werden müßten. Auch den Medizinkassen würde man mit Annahme des § 75 in der Fassung der zweiten Lesung den Lebensfaden unterbinden. Die freien Kassen fönnten sih allerdings ihre Mitglieder ausfuchen; dasfelbe thäten die Fabrikherren auh. Die freien Kassen seien Einrichtungen, die von den Arbeitern selbs geschaffen seien, Wenn fie Mängel hätten, fo müsse es den Mitgliedern selbst überlassen werden, diese zu verbessern.

Ministerial-Director Lohmann: Der Antrag Hirsch werde dahin führen, daß die Mitglieder in kleinen abgelegenen Orten für die Zuziehung ärztlicher Hilfe die geringste Entschädigung er- hielten bei den größten Kosten, in den großen Städten würde es umgekehrt sein. :

Abg. Dr. Gut fleisch (dfr.) empfiehlt eine Reihe redactioneller Anträge der freien Commission. In Bezug auf den von ihm und dem Abg. Dr. Hirsch gestellten Antrag, an Stelle der ärztlichen Be- handlung den halben cortsüblichen M zu gewähren, bemerke er, daß hier bereits am 3. Dezember über dieselbe Frage verhandelt sei und daß damals der Staatssecretär Dr. von Boetticher nah Ausweis des stenographischen Berichts erklärt habe, daß ein Antrag nach diefer Richtung hin seinen Beifall haben könne. Der Staatssecretär Dr. von Boetticher habe damals mit Recht betont, daß man dafür forgen müsse, daß das gewährte Krankengeld auch wirklich zu dem gedachten Z3weck verwendet würde. Die Erfahrungen bei den freien Hilfskassen hätten gezeigt, daß dies nicht der Fall sei. Demnach hätten die Antrag- steller eine Formulirung getroffen, die einen Mißbrauch verhindere. Man müsse den freien Kassen aber das Net gewähren, diesen Ersaß den Mitgliedern zu geben, die zugleih Mitglieder einer Gemeinde- Krankenversicherung oder einer anderen Zwangskasse seien.

_ Geheimer Ober-Negierungs-Rath von Woedtke: Es solle den Mitgliedern der freien Hilfskassen das Geld gegeben werden, damit sie ih dafür Arzt und Arznei beschafften. Vor allen Dingen komme es doch darauf an, daß die Beschaffung eines Arztes u. f w. auch gewährleistet und dasjenige erreiht werde, was das Geseh als Minimum der Krankenunterstüßung ansehe. Er bitte, den Antrag abzulehnen, weil er dasjenige, was die Regierung vorschlage, in ganz erheblichem Maße abshwäche. . | i

Damit schließt die Besprehung.

Die redactionellen Anträge werden angenommen, ebenso der Antrag Hirsch-Gutfleisch, den der Abg. Dr. Gutfleish zuleßt empfohlen hat.

Darauf wird die weitere Berathung um 51/2 Uhr bis Freitag 12 Uhr vertagt.

jeden auf, aber gi seien geseßlich gehindert, ein Mitglied, das seinen \ta-

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Hause der Abgeordneten sind die Nechnungen der Kasse der Ober-Rechnungskammer und des Rechnungshofes des Deutschen Reichs für das Jahr vom 1. April 1890/91 sowie eine Denkschrift über die Durhführung des Großschiffahrtsweges durch den Breslauer Stadtbezirk zugegangen.

In der Volksschulge)eßcommission des Hauses der Abgeordneten wurde, wie wir den Morgenblättern entnehmen, E Nachmittag die Berathung der §§ 65—67 (Stadtschul- ehörde) fortgeseßt. Abg. Dr. Porsch (Centr.) führte aus: Wenn die vom Abg. Nickert erwähnten {lesis{hen Städte hätten ahnen fönnen, welhen Gebrauch und Mißbrauch man von ihren Beschlüssen machen werde, würden die Beschlüsse wohl anders aus- gefallen sein. Es seien in der s{hlesischen Versammlung nur Städte über 10000 Einwohner vertreten gewesen. Er ziche es vor, anstatt des Lehrers den Stadt-Schulinspector in die Schuldeputation zu bringen. Abg. Hobrecht (nl.): Es liege eine erdrückende Zahl von Beweisen vor, daß die drei Parteien nur die Crhaltung bestehender Rechte für eine große Zabl von Städten beabsichtigten, während der Entwurf und die Anträge der Conseryativen und des Centrums die bestehenden Rechte zerstören wollten, Nach seiner Erfahrung hätten die \tädtishen Schul- deputationen den confessionellen Su niht alterirt, man möge doch Beweise für das Gegentheil bringen. Eine maßvolle Ver- einigung von Rechten und Pflichten innerhalb der städtishen Schul- verwaltung solle man doch nicht zerstören. Die beabsichtigte Doppel- bildung in der Verwaltung werde nicht allein das Recht und die Entwickelung der Gemeinden zerstören, sondern auh die Schule selbst schädigen. Gbenso verkehrt sei es, die Lehrer unter zwei Herren zu stellen, die tüchtigen würden unter solcher Doppelherrschaft ewige Pein leiden und die weniger tüchtigen würden es verstehen, zwischen beiden hindur zu {lüpfen. Abg. Dr. von Heydebrand (conf.) erklärt, daß seine Partei bei ihrer ablehnenden Stellung den Anträgen der drei Parteien gegenüber, die gegen die Grundprincipien des Ge- seßes verstießen, verharren werde. Abg. Dr. Ritter (freiconf.): Man könne die Bestimmungen über den Schulvorstand für das flache Land mit den von freiconservativer Seite beantragten Aenderungen mnehmen. Anders \tehe es aber bei großen Landgemeinden mit starker Industriebevölkerung, wie in großen Fabrikbezirken und bei Vororten großer Städte. Dort sei es ungerecht, die Schullast nach ihrem Census gemäß der Landgemeindeordnung aufzulegen und sie in Schulsachen abhängig zu machen von einer Hausväterwahl, wo die Hauspâter in der Mehrzahl nicht steuerten, oft ihren Wohnsiß wech- selten und daher kein S Interesse für die Schule haben köunten. Sie könnten aber aus politischen Gründen bedenklichen Einfluß auf die Schule ausüben. Die Zahlengrenze von 3000 sei vorzuzichen, weil auch in zahlreihen Städten unter 10 000 Einwohner {hon Schuldeputationen eingerichtet seien. Abg. Rickert (dfr.) führt aus, daß die Minoritäts- N den Conservativen und dem Centrum Qo oan eien, was aber seitens dieser niht geschehen sci. Er halte es für verwerflih, die Hausväter an Stelle der Gemeinden zu seßen. Die Conservativen hätten doch im vorigen Jahre denselben Standpunkt vertreten, wie heute die drei Parteicn. Als Socialdemokrat würde er eine diabolische Freude über die Mitwirkung der Hausväter bei der Wahl des Schulvorstandes empfinden. Abg. Freiherr von Zedliß: Der Cultus-Minister habe erklärt, daß er die am Rhein bestehenden Organisationen in der Schulverwaltung im Entwurf zum Ausdruck gebracht habe. Er (Redner) müsse hervorheben, daß am Rhein der Schulvorstand ganz anders zusammengeseßt sei, als der Ent- wurf es wolle. Das Organ der Hausväter kenne man dort nicht, dieser Begriff sei überhaupt ganz neu, und führe man ihn jeßt ein, so sei damit die Art an die Wurzel der Gemeinde- verfassung gelegt. Er halte es überhaupt für ganz verkehrt, die in besonderen Verhältnissen entwickelte Organisation nun auf das ganze Land übertragen zu wollen. Dem Pr. Porsch gegenüber müsse er bemerken, daß, troßdem in Breélau die Geistlichen niht Mit- glieder der Schuldeputation seien, ein Angehöriger des Centrums sich für Grhaltung des gegenwärtigen Zustandes ausgesprochen habe. In Breslau habe jede der beiden christlichen Confessionen ihren besonderen

Stadt-Schulinspector. Der *confessionelle Schuß sei also vor

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (E enn man pg sehr die Rechte der Communen betone, fo stehe man auf einen anderen Standpunkt als bei der E anderer Geseke Ueber die Rechte der Gutsbezirke sei man bei den betreffenten Gesetzen ohne Bedenken fortgegangen. "Es unterliege aber feinem Zweifel daß die Tendenz der Zeit für die confeliianelle Schule sei was seit dem Elbinger Fall immer mehr zu Tage getreten sei, Die Consequenz davon [i deshalb au , daß man diesem Umstanp durch Einrichtung confe!sioneller Schulvorstände Rechnung trage selbst wenn es durch Einschränkung der Gemeinderehte geschehen müsse. Die Wahlen der Schulvorstände durch die Hausväter seien keine geheimen, sie seien direct und mit gleihem Stimmrecht, Die Schulvorstände würden nur über Fragen gehört, die die directesten und unmittelbarsten Interessen der Familie zur Schule beträfen Wenn der conservative Antrag die Einrihtung von Schuldeputationen bei Städten von 10 000 Einwohnern porsGlage, so sei do die Uebertragung dieser Einrichtung auch auf kleinere Städte ofen ge- lassen, sodaß bezüglichen Bedürfnissen Rechnung getragen werden fönne. Ein Boden zur Verständigung dürfte damit ge, geben sein. Abg. Dr. Porsch (Centr.) hielt daran fest daß in manchen \{lesishen Städten die Schuldeputationen den confessionellen Verhältnissen niht die gebührende Rüt- sicht hätten angedeihen lassen, deshalb bleibe er dabei, daß den Haus- vätern er lasse mit sih reden, daß die Väter der Schulkinder darunter zu verstehen seien die Möglichkeit gegeben werde, ihre Wünsche bezüglih der Schule zu äußern. Abg. Rintelen (Centr.): Die Gemeindevertretung sei nicht überall die wahre Vertretung der Bevölkerung, das zeige deutlih der Fall in Hörde, wo bei fast gleicher evangelischer und fatholischer Bevölkerung nur zwei Katho- liken in der Gemeindevertretung sich befänden, die von der Mehrheit einfa majorisirt würden. Wenn die Gegner den principiellen Standpunkt den sie zum Schulvorstand einnähmen, nicht verließen, sei eine Ver- ständigung niht möglih. Durch die Bildung des Schulvorstandes, wie der Entwurf vorschlage, werde cin Element geschaffen, welches auch nach der confessionellen Seite Garantien gebe. Abg. Dr. Enneccerus (nl.): Die Nichtahtung, welche der Minister den bestehenden Schul- deputationen entgegenbringe, berube darauf, daß er sie ledigli auf die Instruction von 1811 zurüc{führe, aber als auf rechtlicher Grund- lage basirend nicht anerkenne. Nedner sucht zu beweisen, daß diese Instruction sich auf die Städteordnung gründe und als eine Ausführung derselben anzuschen sei. Seit 50 Jahren habe diese Rechtsanschauung bestanden, wie könne man jeßt den Scul- deputationen die geseßlihe Kraft bestreiten? Sie verwalteten die inneren und äußeren Ängelegenheiten der Schule, ständen unter dem Magistrat und verkehrten zwar nicht direct, aber durch den Magistrat mit der Regierung. Die drei Parteien feien mit ihrem Antrage nit so weit gegangen, die städtishen Schuldeputationen in ihrer vollen rehtlichen Stellung aufrecht zu erhalten, sie seien mit ihrem Compromiß so weit gegangen, daß sie Städte unter 3000 Einwohner ausschließen wollten, obgleih sie diese Einrichtung am liebsten für alle Städte wünschten, und daß sie ferner die Schuldeputationen niht dem Magistrat, sondern dem Regierungs-Präsidenten unterstellen, also die Anwendung des § 59a gestatten wollten. Die confessionellen Verhältnisse seien genügend im Geseß geschüßt, dazu brauhe man nicht die Schul- deputation. Die Hausväterwabl sei für ihn unannehmbar, da sie nah seiner Ueberzeugung Streit untd Zwiespalt in die Gemeinden bringen werde. Abg. Dr. Weber - Halberstadt (nl.) trat diesen Ausführungen bei und bemerkte dem Abg. Grafen zu Limburg-Stirum N daß sein Vorgehen eine Rückentwickelung der Landgemeindeordnung bedeute. Abg. Seyffardt- Magdeburg (nl.): Der Minister habe den Städten cin Mißtrauen entgegen gebracht, welches nicht berechtigt sei, und habe ihnen fogar den Vorwurf gemacht, sie wollten Herr in der Schule sein und den Staat nur dulden. Er habe in seinem langjährigen Verkehr mit den Vertretern des Ostens davon nichts gemerkt, und auch bezüglih des Westens müsse er, der lange Jahre mit der städtischen Verwaltung in Connex gestanden, diese Anschauung als eine zu pessimistishe bezeichnen ; die städtischen Schuldeputationen hätten si stets nur als ausführendes Organ des Staats betrachtet. Hausväter hätten bis dahin nur insoweit an der Schulverwaltung si betheiligt, als sie auf Abkürzung des Schulbefuchs hingedrängt hätten. Diesen eine folche Mitwirkung bei der Wahl des Schulvorstandes ein- zuräumen, halte er niht für angezeigt. Auf eine Anfrage des Abg. Grimm (nl.) bemerkt der Negierungscommissar Geheimer Ober-Regierungs-Rath von Bremen, daß auch nah dem neuen Gesetz die Stadt-Schulinspectoren (Stadt-Schulräthe) widerruflich mit den Geschäften der Kreis-Schulinspection betraut werden könnten. Die Abgg. Dr. Enneccerus (nl.) und Dr. Friedberg (nl.) constatirten, daß der Cultus-Minister als Vertreter der Staatsregierung sich zu den heutigen Anträgen nicht habe erklären können, da er dienstlich ver- hindert sei. Sie müßten darauf bestehen, daß der Minister vor der Abstimmung Stellung zu den vorliegenden Anträgen nehme. Sie beantragten daher die Vertagung der Sißung. Gegen 5 Uhr wurde der zum dritten Male gestellte Vertagungsantrag von den Conservativen und dem Centrum abgelehnt. Bei der Abstimmung wurden alle wesentlichen Anträge der Minoritäts- parteien abgelehnt. Die 88 65 und 67 blieben nach der Vorlage unverändert; S 66 wurde mit dem bereits mitgetheilten confervativen Antrage (Schuldeputationen für Städte über 10 000 Einwohner U. \. w.) angenommen; auch einige von den drei Parteien beantragte Abände- rungen von nicht principieller Bedeutung wurden zu diesem Para- raphen genehmigt. Die weitere Berathung wurde sodann auf E raltag Abend vertagt.

Entscheidungen des Ober-Verwaltungsgerichts.

Nach § 98 b Abtheilung 3 der Gewerbeordnung kann die Geneb- migung cines Innu ngsstatuts versagt werden, wenn in dem dur dasselbe vorgesehenen Innungebezirke bereits eine Innung für die gleihen Gewerbe besteht. Daß die Bezirke der neu zu bildenden Innung und der bestehenden Innung si vollständig decken, und daß bezüglih der in der neuen und in der bestchenden SInnung vertretenen Gewerbe daë- selbe der Fall is, wird nicht erfordert; es genügt, daß 1n einem Theile des Bezirks der neuen Innung für eines der in ihr vertretenen Gewerbe |chon eine Innung borlianbin ist. Ob von der Befugniß, dem Statute die Genehmigung zu versagen, Gebrauch zu machen ift, unterliegt dem pflihtmäßigen Ermessen der Behörde, welche die Genehmigung zu ertheilen hat, also nah § 124 des Zust.- Ges. des Bezirksaus|chusses. Die von diesem getroffene Entscheidung fann in der Revisionsinstanz nur dann aufgehoben werden, wenn der Bezirksauëshuß die Grenzen jenes Ermessens überschritten hat oder wenn die von ihm zu Grunde gelegten thatsächlihen Feststellungen der nöthigen Unterlage entbehren. (Erk. vom 11. Febr. 1892 III. 145.)

i S Der § 2% Abs. 4 des Krankenversiherungsgeseßes autet :

Durch das Kassenstatut kann bestimmt werden, daß Mitgliedern, welche sih die Krankheit vors äßlich . . . zugezogen haben, das statutenmäßige Krankengeld garniht oder nur theilwel]e zu gewähren ift. - :

_ Naqh diefer Vorschrift tritt der Verlust des Krankengeldes nicht {on dann ein, wenn die Krankheit durh eigenes Verschulden des Mitgliedes herbeigeführt ist, oder wenn das Mitglied das shädigend? Ereigniß vorsäßlih herbeigeführt hat, obwohl es hätte überzeugt sein müssen, daß cs sich dib dasselbe die Krankheit zuziehen werde, sondern erst dann, wenn die Absicht des Mitgliedes darauf gerichtet war, sih die Krankheit zuzuziehen; der Wille des Kassenmitgliedes muß auf Herbeiführung der Krankheit erichtet sein. . Fehlt es an diesem Willen und geht der Wille nur dahin, daß das Bars eintritt, welches die Krankheit zur Folge hat, so ist zwar das förpers O Son aber niht die Krankheit vorsägli

herbeigeführt. Auf leßteres fommt cs allein an. Vorliegend wa,

tali orsäßlich aus dem Fenster gesprungen und hatte e Mi va Cvung die Krankheit, einen Kn elbruch, iugezogen ; sud ar aber nit behauptet, daß es sih den Knöchelbruch absichtlich es en habe. Das O.-V.-G. hat daher in dem Urtheile vom une ruar 1892 IIT 143 die Krankenkasse verurtheilt, dem fklagenden L -téarmenverbande die Kosten für Kur und Verpflegung zu erstatten.

pr

Statistik und Volkswirthschaft.

Ausstellung derCentralstelle für Arbeiter- Wokblfahrts-Einrichtungen.

Wie {on erwähnt, veranstaltet die Centralstelle für Arbeiter- Mohlfahrts-Einrichtungen am 25. und 26. April d. I. eine Conferenz von Mitgliedern und Sachverständigen, für welche als Verhandlungs- egenstände die Arbeiterwohnungs- und die Arbeiter - erholungsfrage in Ausficht genommen sind. Die Verhandlungen über beide Gegenstände werden dadurch vorbereitet, daß berufene Referenten den gegenwärtigen Stand derselben darstellen. Die ge- druten Referate gelangen einige Wochen vor der Conferenz in die Hände der Vieilneburer. Für die Verhandlungen selbst haben hervor- ragende Kräfte auf den erwähnten Gebieten ihre Theilnahme zu- gesagt. Das Ergebniß der Verhandlungen soll in cinem gedruckten Be- “icht zusammengefaßt und den Interessenten zugänglich mitgetheilt werden. “" Auf Veranlassung der Centralstelle sind“ ferner Delegirte der Centralstelle, sowie des Vereins Deutscher Ingenieure, des Berliner Architekten-Vereins, der Vereinigung Berliner Architekten, des Vereins zur Beförderung, des Gewerbefleißes und des Bundes der Bau-, Maurer- und Zimmermeister zu Berlin zusammengetreten, um in Rerbindung bezw. in Anlehnung an die Conferenz eine die dort zu bchandeluden beiden Gegenstände, namentlich die Wohnungsfrage ¡llustrirende Ausstellung von Plänen, Skizzen, Modellen u, st. w. zu veranstalten. (Anmeldungen zu dieser Ausstellung sind an den Geschäftsführer der Centralstelle, Professor Dr. Post, Berlin W., Leipzigerstraße 2, zu richten.) Den Vorsiß des zu diesem Zweck ge- bildeten Comités hat der Wirkliche Geheime Rath, Staatssfecretär a. D. Herr Dr. von Jacobi, Beklin, übernommen. Die Ausstel- lung will sich nicht in erster Linie an das große Publikum wenden, sondern den Schöpfern von Wohlfahrtseinrichtungen sowie denjenigen Gesellschaften und Vereinen, welche den Bau von kleinen Pas unternehmen, Muster vorführen, deren Nachbildung sich empfiehlt. Ebenso sollen auf dem Gebiete, dem der zweite Verhandlungsgegen- stand entnommen is}, Einrichtungen und Gegenstände vorgeführt werden, die zur praktishen Lösung hierher gehöriger Fragen die An- regung geben fönnen. Dahin gehört u. a. die Vorführung dem Iweck entsprechend ausgewählter Arbeiterbibliotheken, von Anschauungs- material der verschiedensten Art, Projectionsapparaten, Erzeugnissen des Handfertigkeitsunterrichts, der Vlumenpflege u. |. w. Den Theil- nehmern an der Conferenz wird ferner durch die Freundlichkeit des Herrn C. Bolle, Berlin, Gelegenheit gegeben fein, an einem Familien- Ünterhaltungsabend der Angehörigen feiner Meierei in Moabit theil- zunehmen. Die Conferenz dürfte auf diese Weise den Theilnehmern dur die Darlegung und den Austausch der Ansichten und die An- shauung der ausgestellten Gegenstände Anregendes und auch Neues

bieten.

Conferenz und

Lehrlingshorte. : :

Die „Woblfahrts-Correspondenz“ der Centralstelle für Arbeiter- Wohlfahrtéeinrihtungen schreibt : Daß Jugendhorte und Kinderheime, welche die ganz unbeaufsichtigten Knaben und Mädchen während der Schulferien in den Nachmittagsstunden in Obhut nehmen und vor den Gefahren des Straßenlebens bewahren, von nicht unerheblichem Einfluß . auf die Besserung der Volkserziehung sind, wird immer mehr anerkannt, und es dürfte wenige größere Städte und stark- bevölkerte Fabrikortshaften geben, welhe niht schon derartige Anstalten aufzuweisen hätten. Da man nun auf diese Weise cine größere Anzahl Knaben zu guter Kameradschaft zusammen- gebracht hat, so liegt es nahe, diesen Verband auch über die Con- firmation und Schulentlassung hinaus thunlichst aufreht zu erhalten, also an die Knabenhorte besondere Lehrlingshorte anzuschließen. Namentlich in München und Stuttgart hat man in den beiden leßten Jahren in dieser Richtung vielversprehende Erfahrungen gemacht. Die früheren Zöglinge der Knabenhorte kommen gern an den Sonntag- Nachmittagen und -Abenden zusammen und bringen auch wohl andere befreundete Lehrlinge mit, welche natürlich fehr willkommen sind. Sie versammeln sich gewöhnlih in einem der Sonntags nicht benußten Knabenhorträume und verbringen hier ihre Mußestunden mit Spiel, Gesang und dem Lesen guter Bücher und Zeitschriften. In der Negel wird auch von dem zur Leitung stets anwesenden Lehrer oder einem anderen Herrn ein furzer belehrender und unterhaltender Vortrag gehalten, an den sich meist ungezwungen eine lebhafte Be- sprechung anknüpft. Meist {ind diese Veranstaltungen nur Jur das Vinterhalbjahr getroffen; in München wird alljährlih zur Sommer- zeit mit den Zöglingen ein größerer Ausflug unternommen. Es be- steht für die Besucher der Lehrlingshorte keine weitere Verbindlichkeit, als das Versprechen, die Hausordnung zu respectiren und sih an den freien Sonntag-Abenden, wenn sie niht bei den JIhrigen bleiben, im Horte einzufinden. Die Kosten werden von den Knabenhorct- vereinen bestritten; doch dürfte es sih empfehlen, den Lehrlingen aud) cinen kleinen Beitrag aufzuerlegen, um dadurch wenigstens die baaren Auslagen für die ganz einfahe Erfrishung, die ihnen gereicht wird, zu begleihen. In Stuttgart werden die beiden Lehrlingshorte von je 50 bis 60 Zöglingen VISE: wenn es aber auch nur 10 bis 20 sein sollten, werden solche Vereinigungen, wenn richtig geleitet, von großem Segen sein, namentlih da, wo auf andere Weise sür etne gute Sonntagsunterhaltung der Lehrlinge nicht ausreichend gesorgt ist.

Zur Arbeiterbewegung. _ Der Congreß der socialdemokratishen deut schen Geweptfhatten in Halberstadt hatte vorgestern Nachmittag die Berathung über die Organisationsform aus- geseßt, um den einzelnen Berufszweigen Zeit zu geben zu be- sonderen Verhandlungen über die vorliegenden Anträge. Jn der gestrigen Vormittagssizung wurde zunächst auf Antrag der Merionecomn der Generalcommission der Ge- werkschaften für die Kassenverwaltung die Entlastung ertheilt. Alsdann wurde über die Ergebnisse der Conferenzen der ein- zelnen Berufszweige berihtet und in die Specialdiscussion über die Organisationsfrage eingetreten, die auh in der Nachmittagssizung fortgeseßt wurde. Bei der endlichen Ab- stimmung wurde die Resolution Feder-Berlin: A Der Congreß erklärt, jede Form der Arbeiter-Organisation S „Fleichberechtigt anzuerkennen und keinerlei Dictatur ausüben zu wollen; mit überwiegender Mehrheit abgelehnt. Angenommen wurde mit 149 gegen 37 Stimmen die Resolution der Holzarbeiter, die folgendermaßen lautet : R Der Congreß erklärt sich für die Annäherung der verwandten Verufe durch Cartellverträge. Die Entscheidung der Frage: ob die spätere Einigung der Branchen - Organisationen zu Unionen oder Sndustrieverbänden stattzufinden habe, ist der weiteren Entwickelung E Organisationen infolge der Cartellverträge überlassen. Der Congreß is der Ansicht, daß, wo die Verhältnisse die Industrie- verbände zulassen, diese vorzuziehen sind ; wo sie aber durch die Ver- ¡Hiedenheit der Verhältnisse nit durhführbar sind, foll durch Bil- ung von Unionen diese Möglichkeit ge]haffen werden. Ferner wurde beschlossen : h N Fus E der Organisation betrahtet der Congreß die in liche înden centralisfirten Berufs-Organisationen und empfiehlt sämmt- aen Arbeitern, sih den bestehenden Centralisationen anzuschließen. Jeder Centralverein hat in allen: Orten, wo eine genügende Anzahl

Berufsgenossen vorhanden sind und keine geseßlichen Hindernisse im Wege stehen, Zahlstellen zu errichten, eventuell wird das Vertrauens- männersystem empfohlen. 20 : : 5

Die Vertreter der Localvereinigungen reichten hierauf einen Protest ein und erklärten, daß sie an den weiteren Berathungen nicht theilnehmen werden. E

Jn Berlin agitiren die Socialdemokraten eifrig für cine Nachwahl zur S S ars Jn einem Aufruf im „Vorwärts“ wird jeder Parteigenosse ur Agitation aufgefordert, wo sih Gelegenheit bietet : in

erkstätten, Verkehrslocalen, Versammlungen, oder wo er sich sonst befinden mag. Die Puzzer Berlins und der Um- gegend verhandelten in einer Versammlung am Sonntag Uber die Frage: Wie lassen sich unsere gesunkenen Lohn- verhältnisse wieder aufbessern? und nahmen folgende vom „Vorwärts“ mitgetheilte Refolution an: S _ Die Versammlung erklärt, den im Februar 1889 im König- städtischen Casino gefaßten Beschluß: bei neunstündiger Arbeits- zeit einen Abschlaglohn von 7 Á6 zu fordern, unter allen Um- ständen festzuhalten. Ferner beschließt die Versammlung, um diese Errungenschaft dauernd zu behaupten, sich dem Central- verband deutscher Maurer anzuschließen.

In Stettin fand gestern eine Ansammlung von Arbeitslosen statt; die Arbeiter forderten, wie der „Frkf. Ztg.“ telegraphirt wird, vom Regierungs-Präsidenten Arbeit. Der Schloß- hof wurde gesperrt.

Die Ausstandsbewegung der Kohlengruben- arbeiter in England scheint, in dem bisherigen Umfange wenigstens, am nächsten Montag schon zu Ende zu gehen. În der gestrigen Conferenz der Delegirten des Bergarbeiter- verbandes wurde nämlih beschlossen, daß alle dem Verband angehörigen Bergleute am Montag die Arbeit wieder auf- nehmen Pillen, da der Zweck der Arbeitseinstellung erreicht sei. Die „Frkf. Ztg.“ macht aber darauf aufmerksam, daß der Bezirk von Durham durch diesen Beschluß nicht berührt werde. Jm übrigen liegen folgende neueren Wolff schen Meldungen vor: :

Eine gestern Nachmittag bei West-Stanley auf freiem Felde abgehaltene Versammlung von etwa 6000 Bergleuten von Durham beschloß, an dem Strike festzuhalten. Die Versammlung zeigte sich sehr feindselig gegen die Vertreter der Presse und vertrieb mehrere von ihnen von dem Zusammenkunftsort. Ein Journalist war ge- zwungen, sich in ein Privatgebäude zu flüchten. Es kam zu {weren Ruhestörungen, die das Einschreiten der Polizei erforderli machten. :

In ciner Versammlung der Kohlengrubenbesißer von Lan cashire und Cheshire wurde gestern beschlossen, den Betrieb am Montag wieder aufzunehmen, weil befürhtet wird, daß der Strike in Durham, wo die Grubenarbeiter wegen der Lohnherabseßung die Arbeit eingestellt haben und nicht nur zu dem Zwecke, die Production zu vermindern, aufrechterhalten bleibt. . L

Infolge des Kohlenmangels für die Schiffe sind zahlreiche Arbeiter der Londoner Docks arbeitslos. Der Minister des Innern hat Maßregeln getroffen, um etwaige Ruhestörungen zn unterdrücken. Der Preis für Kohlen in London sank gestern Nachmittag um 5 Shilling per Tonne für den Detailverkauf. Troßdem befürchtet man, daß \ih in London in der nähsten Woche ein Mangel an Kohlen herausstellen werde, weil die augenblicklih vorhandenen Borräthe ver- braucht sein würden, ehe man fie ergänzen könne. i

Nach den Berichten, die der Londoner Conferenz des Bundes der Bergleute vorlagen und von der „Allg. Corr.“ mitgetheilt werden, haben 313 032 Mitglieder des Bundes die Arbeit eingestellt. Rechnet man die 92 000 Ausständigen in Durham in Schottland hinzu, so beträgt die Zahl 405 890. Natürlißh muß eine große Menge Arbeiter, die nicht dem Bunde angehören, nothgedrungen mitfeiern. Dem englischen Parlament ging am Mittwoch Morgen ein amtliher Ausweis zu, dem zufolge die Gesammtzahl der in und an den Berawerken des Vereinigten Königreihs und Irlands be- schäftigten ersonen im Jahr 1891 704411 betrug, worunter 6112 Frauen. _ h :

Wie der „Magdb. Ztg.“ aus Paris gemeldet wird, fand im Vorort Levallois-Perret in der Nacht zum Mittwoch eine ge- heime anarchistische Versammlung statt, die in ein blutiges Handgemenge ausartete. Zwei Anarchisten wurden dur Messerstiche getödtet, fieben verwundet. Mehrere Anarchisten sind verhaftet worden.

Aus Bern wird der „Köln. Ztg.“ telegraphirt: Das social- demokratische Begehren, betreffend das Recht auf Arb eit, hat in der Urabstimmung des Arbeitervereins Annahme gefunden. Bern gab den Ausschlag.

Kunft und Wissenschaft.

Die Paramenten-Ausstellung im Königlichen Kunstgewerbe-Museum.

Es steht außer Frage, daß bei der gegenwärtig so reg- amen Bauthätigkeit auf kirchlihem Gebiet und bei dem Be- treben, ältere Gotteshäuser in den Formen ihres ursprüng- lichen Stiles zu restauriren und im Fnnern auszustatten, cine Ausstellung nach vielen Seiten hin nüglihe Anregungen dar- bieten kann, welche einen Ueberblick über die heimishe Pro- duction auf einem wichtigen Felde der kirchlichen Jnnen- einrihtung, dem der Textilkunst, giebt. Das ist die Aufgabe der kürzlich eröffneten Sonderausstellung im Kunstgewerbe- Museum. Sie soll gleichzeitig neue und gute s der für die Kirche arbeitenden O Kunstweberei in weiteren Kreisen bekannt machen und dadurch die Abhängig- feit vom Ausland, speciell von der Lyoner Seiden- weberei, zu vermindern suhen. Die Ausstellung, welche den ganzen Lichthof des Museums füllt, besteht aus drei Abtheilungen. Die umfangreichste enthält alle textilen Aus- stattungsgegenstände für evangelische Kirchen, vorwiegend Altar- decken, Mi gendlen und Kanzelbehänge, ausschließlich durch Stickerei verziert, ferner farbige Stickereien auf Leinen. Die Arbeiten für katholishen Gebrauch sind prachtvolle Luxus- gewebe in Seiden- und Sammetbrocaten, Brocatellen, Seiden- damasten in ganzen, unverarbeiteten Bahnen oder Abschnitten und aus diesen Stoffen mit Hilfe der Stickerei hergestellte Meßgewänder. Außerdem sind aus der Stoffsammlung des Museums die besten Kirchengewänder , Prachtstoffe und Stickereien aus dem frühen Mittelalter bis in die Zeit des Nococo ausgewählt worden und, mit einem reihen Abbildungs- material aus der Bibliothek vereinigt, als mustergültige Vorbilder hinzugefügt. Die E edit Gewänder und Stoffe, in den drel Fabriken von Th. Gogzer, Duygenberg und M. Frelings in Krefeld gearbeitet, sind in jeder Beziehung als tadellos zu bezeihnen. Die Gewebe sind mit wenigen Ausnahmen enaue Nachbildungen alter Originale. Schon vor vielen ahren hatte man in Rheinland begonnen, die bis dahin un- beachteten Ueberreste mittelalterlicher Kunstwebereien zu sammeln und vorbildlih wieder zu verwerthen. Diese Bestrebungen fanden namentli in der Textilfabrikation von Krefeld eifrige und praktische Förderung. Sie wurden dort ‘unterstüßt durch die Thätigkeit der Königlichen Webeschule. Durch genaues Studium und ausdauernde Arbeit gelang es, die Vorzuge der soliden alten Stoffe in den Bindungen, dem Webematerial

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und den Färbungen zu erreichen. Eine Fülle verwendbarer Muster boten der Industrie die Königlihe Gewebesammlung und die Kirchenshäße des Landes. Ein Vergleich der Krefelder Chormäntel, Caseln, Dalmatiken mit den Originalen zeigt deutlich, daß die modernen Erzeugnisse hinter ihren Vorbildern weder in künstlerischer noch materieller Hinsiht zurück- stehen. Die Sammtbrocate aus der ersten Blüthezeit der oberitalienijhen und burgundischen Textilkunst, die mit den groß entworfenen, strengen und würdigen Granatapfelmustern verziert sind, werden als Vorbilder am meisten bevorzugt. In der That sind sie, wohl die kostbarsten Producte der europäischen Luxusweberei, für den kirhlihen Gebrauch durchaus passend, wenngleih sie früher keineswegs ausdrüdcklih dafür gewebt wurden. Man hat sie im 15. und 16. Jahrhundert eben so wohl als Tapeten und Möbelbezüge wie als profane und liturgishe Gewänder verarbeitet. Auch heute liegt kein Grund vor, ihre Verwendung auf die Kirhe zu beshränken. Auch dem früheren Mittelalter, in welchem die *Textilmuster des Abendlandes noch vollständig von der muhammedanischen Industrie abhängig waren, . hat man verschiedene Dessins für Seidenbrocate entnommen. Jhre Verwen- dung für christlihe Zwecke wurde dadurch gefördert, day man den die Muster bildcnden stilisirten Jagddarstellungen und Thierbildern biblishe Erklärungen von symbolischer Be- deutung untershieben konnte. Die Meßgewänder bedürfen außer schweren und prächtigen Grundstoffen noch eines weiteren Schmues durh Besaßstücke, die aufgelegten Kreuze, Stäbe und Kappen. Zum theil sind diese, wie in alter Zeit vor- wiegend, in Stickerei“ hergestellt. An den ausgestellten Priester- gewändern ist leßtere im Franziskanerinnenkloster in Krefeld und von den Schwestern vom armen Kindlein Jesu in Simpel- veld vortrefflih ausgeführt. Zum größeren Theil sind auch diese Besaßstücke Copien, und zwar nah den schweren gold- grundirten, gewirkten Kölner Borten des 15. Jahrhunderts. Mit Sorgfalt ist darauf geachtet worden, daß die aus starken Köperleinen oder solider Tussahseide gewebten Futterstoffe mit Mustern derselben Stilperiode bedruckt sind, dem das Dessin des Oberstoffes angehört. :

Gegen die goldglänzenden und in den herrlichsten Farben prangenden liturgishen Gewänder fallen die Stickereien der evangelishen Kirchen einigermaßen ab. Als Grundstoffe überwiegen hier einfarbige, dunkle, vielfah glanzlose Gewebe. Auch in der künstlerishen Verzierung macht sih eine gleiche Monotonie bemerkbar, die wohl dadurch verursacht ist, daß sie bei einer großen Anzahl der ausgestellten Stücke von derselben Hand in immer wenig veränderten Formen entworfen ist. Die Zeichnung dieser Arbeiten ist correct und sauber, aber sie nimmt zu wenig Nücksiht auf die Wirkung in die Ferne. Diesem Mangel kann auch die sorgfältigste und ausgezeichnetste technische Ausführung der Stickerei, die fast überall hervorzu- heben ist, niht abhelfen. Eine lobenswerthe Ausnahme davon machen unter anderem die Arbeiten der Kunststickerei-Anstalt von Bessert und Nettelbeck in Berlin. Hier hebt sih die Zeich- nung breit und kräftig vom Grunde ab, sodaß sie auch in einer weiträumigen Kirhe noch erkennbar bleibt. Die Ausführung der evangelishen Stickereien lag in den Händen der Paramenten - Vereine von Ludwigslust in Mecklenburg, Marienberg bei Helmstedt, des Henrietten-Stifts in Hannover, des Elisabeth-Krankenhauses in Berlin, des Diakonissenhauses in Dresden, ferner der Kunststikereianstalt der Gebrüder Stoffregen in Hannover, die meist nah Ent- würfen von Mittag gearbeitete Gegenstände ausgestellt hat. Für die Wahl der Farben und des Stoffmaterials sowohl, wie der künstlerishen Verzierung können gerade in dieser Ab- theilung die Vorbilder älterer Zeit noch von Bedeutung sein.

Gegenüber in der leßten Zeit in der Presse laut gewordenen Erörterungen über die Veränderungen an den alterthümlichen Befestigungswerken von Nürnberg erklärte Bürgermeister Dr. Schuh dem „Schwäb. Merk.“ zufolge in der Magistratssizung vom 11. d. M., daß die Stadtgemeinde keineswegs nach Zufälligkeiten, sondern nah einem gewissen Plane ihre dahin gehenden Beschlüsse ge- faßt habe. Man sei in der Hauptsache einig, daß man nur in wirk- lih dringenden Fällen eine Aenderung vornehme. Die ganze Stadt- mauerpartie auf der Nordseite bezw. Nordwestseite solle erhalten bleiben. Der malerische Anblick der Partie bei der ersten Hohen- zollernburg bleibt also unangetastet.

Handel und Gewerbe.

In der Neichsbank fand heute Vormittag 10 Uhr eine Sitzung des Centralausschusses statt. Jn dem einleitenden Vortrage bemerkte der Vorsißende, Reichsbank - Präsident Dr. Roh, daß die Lage der Bank sch eit der lezten Versammlung am 22. v. M. nicht erheblich ver- ändert habe. Der R A A Ae daucre fort. Der Metallvorrath betrage 978 Millionen, das gleiche wie nah der Wochenübersicht vom 23. v. M., ungefähr 100 Millionen mehr als 1891, 145 Millionen mchr als 1890. Das Gold habe sich allerdings gegen den23.Februar umca. 5 Millionen vermindert, die vermuthlih ins Ausland geflossen seien. Die Anlage sci n geradé niedrig, 40 Millionen höher als 1891, 64 Millionen höher als 1890. Jndessen seien die fremden Gelder unge- wöhnlih hoch gegenüber allen Vorjahren 635 Millionen gegen 463 im Jahre 1891. Daher seien die Banknoten mit Metall um 130 Millionen überdeckt. Eine Aenderung im ginefubß sei nicht angezeigt. Ohne weitere Debatte ging die Versammlung demnächst zu den Wahlen über. Die bis- herigen Deputirten wurden wiedergewählt. Zu Stellvertretern wurden die bisherigen und statt des ausgeschiedenen Stadtraths Sarre der Commerzien-Rath Ernst Mendelssohn -Bartholdy gewählt. Endlich erklärte sich der Centralaus\chuß mit der Yulassung einiger Stadtobligationen zur Beleihung im Lombard- verkehr Tavellanden

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Ruhr und in Oberschlesien, An der Nuhr sind am 17. d. M. gestellt 9487, nit rechtzeitig gestellt keine Wagen. : : In Oberschlesien sind am 16. d. M. gestellt 3064, nickt rechtzeitig gestellt keine Wagen.

Zwangs-Versteigerungen.

Beim Königlichen Amtsgeriht 1 Berlin standen am 17. März 1892 die nachverzeihneten Grundstücke zur Versteigerung ; Stepbaristraße 20, dem Maurermeister Max Klein hier gehörig, Mindestgebot 73 026 4; die Actiengesellshaft in Firma Baugesell- schaft am kleinen Thiergarten wurde bei 195 000 M Er- steherin. Friesenstraße 12 und Fidicinstraße, dem Maurermeister Ioh. Friedr. Kaschke hier gehörig; Nußungswerth 16 700 M ; Mindestgebot 206 500 4; für das Meistgebot von 211 000 6 wurde die Frau Emmy Heinburg und die minorennen Georg und Elfa Heinburg, Megerstraße 35, Ersteher.