1892 / 282 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 28 Nov 1892 18:00:01 GMT) scan diff

die gcseulihe Befugniß, dergleichen Anordnungen zu treffen, die eben in jenem Paragraphen den Landgemeinden gegenüber aus- gesprohen ift, den Gutsbezirken gegenüber fehlt. (Zuruf.) Wenn der Herr Abgeordnete bezweifelt, daß die Bestimmungen der S§S 119 und 120 sih nur auf Landgemeinden , niht aber auh auf Gutsbezirke beziehen, so kann ich ihn nur einladen, \sih den Wort- [aut dieser Paragraphen noch:nals anzusehen, und ich zweifle nit, daß er meiner Meinung beitreten wird, daß dieselben für eine zwangsweise Forderung der Etats- und Rechnungsaufftellung in den Gutsbezirken nicht dienen können. Jh bin also bei Erbebungen in dieser Beziehung auf nihts Anderes angewiesen, als auf eine \ta- tistishe Ermittelung, wie sie eben bereits stattgefunden hat, und zwar mit dem ehrlihen Bestreben, sie so genau zu machen, als es nur immer möglich is; und wenn die wiederholt werden oder periodisch alle Jahre oder in gewissen Zeiträumen wiederkehren sollte, nun gewiß, dann will ich dem Herrn Vorredner zugeben, daß damit eine größere Genauigkeit vielleiht erreißt werden würde. Aber wenn das alles vorhanden wäre, ficher würde er ebenso wie heute mir sagen und fagen können, daß die Angaben größtentheils auf Schäßung beruhen.

Aber ich glaube, daß es zur Beurtbeilung der Sachlage viel weniger hierauf ankommt, als auf eine unbefangene Beurtheilung der Ver- bâltnifse, wie sie in der That liegen. Nun, meine Herren, ih halte es wirklich für unrichtig, zu bestreiten, daß die Gutsbezirke ein hohes und erbeblihes Maß von Communallasten zu tragen haben. Ich bin außer stande, den Procentsaß im Vergleih zu den Gemeinden mit voller Genauigkeit anzugeben, aber ich bin der festen Ueberzeugung, und zwar aus eigener Kenntniß der Verbältnifse in ziemli weitem Umfange, daß die Belastung der Gutsbezirke mit Communallasten binter derjenigen der Gemeinden feineswegs nasteht, und die Beispiele, die in den ersten Tagen der Debatte, ih glaube, es war Herr von Jagow, angeführt hat, daß der Zusammenlegung von Gemein- den und Gutsbezirken in schr häufigen Fällen das Widerstreben der Gemein- den entgegenstehen wird, die größeren Communallasten der Gutsbezirke zu übernehmen, sich feineëwegs auf vereinzelte Fälle, sondern auf ganze Kategorien diefer Fälle erstrecken. Ich gebe zu, daß cs nihts- destoweniger Verhältnifse giebt, in welchen troß alledem von einer Ver- einigung von Gutsbezirken mit Gemeinden niht abgegangen werden kann, und ich will dem Herrn Vorredner gern glauben, daß gerade in den Gegenden, die ihm am nächsten stehen, Unzuträglichkeiten mancher Art eingetreten find. Aber ih bitte ihn zu berücksichtigen, daß diese doch niht für das Ganze maßzebend sind, sondern daß man eben jede Gegend, jedes einzelne Verhältniß individuell be- trachten und danach die Frage stellen muß, ob im öffentlihen Interesse eine Nothwendigkeit der Zusammenlegung vorliegt. Daß übrigens bei den Verhandlungen über die Landgemeindeordnung irgend eine bestimmte Zahl von Gutsbezirken angegeben worden sei, welhe von der BVildfläche verschwinden und mit Gemeinden vereinigt werden müßten, ist mir nit erinnerlich. Ich kann nur wiederholen, daß die -Sache in jedem einzelnen Fall forgfältig geprüft und danah entschieden werden wird, und ich bin gern bereit ich weiß nicht ob verpflichtet aber jedenfalls bereit, die Nachweisungen über die Aus- führung der Landgemeindeordnung Ihnen demnächst mitzutheilen.

Wie dem aber auch sein mag, meine Herren, wenn der Herr Ab- geordnete zurückgetfommen ift auf die Frage der Beseitigung der Grund- und Gebäudesteuer gegenüber den Gutsbezirken, dann glaube ih dies Eine doch noch einmal hier hervorheben zu müssen: Wenn man es für nüßlich und gut hält, daß der Staat auf die Grund- und Gebäudesteuer verzihtet, und zwar in der Art verzichtet, daß er sie außer Hebung fett, dann, meine Herren, halte ich es für ein un- mögliheë Verlangen, hiervon die Gutsbezirke auszuschließen; das würde gegen die erste Grundlage der Gerechtigkeit verstoßen. (Bravo.)

Abg vonTicedemann- Labischin (freiconf.): Es sei von der linken Seite des Hauses über ‘das Uebermaß von Staatsaufsicht in diesem Geseß gesprochen worden. Je weiter man aber die Autonomie der Gemeinden auéëdehne, desto shärfer müsse das Aufsichtsrecht des Staats zur Anwendung gebracht werden. In den meisten kleinen Städten und Landgemeinden finde bei der Umlage der Gemeindesteuern ein heftiger Interessenkampf statt; es bedürfe also ganz bestimmter fester geseblitber Regeln und eines Aufsichtsrechts, das unter Umständen Remedur schaffe. Die einzelnen Steuerzahler würden durch das Geseß entlastet und den Gemeinden eine reibe Steuerquelle ershlossen; der Staat suche den Ausfall auf andere Weise zu decken. Benachtheiligt würden nur die Kreise, die eigentlihen Träger des Communalwesens, infolge der Aufhebung der lex Huene. Diese sei ein theoretisch zweifellos mangelhaftes Gefeß, aber sie habe den Kreisen geholfen, eine Reibe wichtiger cultureller Aufgaben zu erfüllen. Die Kreise hätten im Osten ncch so viele wirthschaftlihe Aufgaben zu erfüllen, daß man ihnen dafür die Mittel - gewähren müße. Die Betriebssteuer sei ihnen überlassen ; man sollte auch die Gewerbesteuer, die Steuer auf den Hâuserhandel und die Hundesteuer ihnen überlassen. Die leßtere würde, wenn man auf jeden Hund eine Steuer von 5 Æ belegen würde, den Kreisen ungefähr die Hälfte von der jeßigen Gebäude- steuer einbringen.

Abg. Meyer (dfr.) suht fich On in eingehender Ausführung egen die Behauptung des Minister zu vertheidigen, daß er, der das eng- lische Communalsteuerwesen als Vorbild empfohlen, niht wisse, daß in England und namentlih in den dortigen county councils, d. h. den Kreigausscüssen, die Beseitigung des bestehenden Communalsteuer- wesens angestrebt werde. Er habe ferner gesagt, die Regierung habe die Tendenz gehabt, durch Aufhebung der Grundsteuer den Grund- besizern zu helfen: damit habe er ihr doch nichts \{lechtes gefagt. Dann habe er das Gemeindeabgabengeseß ein Ornament genannt. Sollte der Ausdruck als unparlamentarisch bezeihnet werden, fo könne er ähnlihe Wendungen aus früheren parlamentarischen Ver- handlungen als Gegenstücke aufführen (wie seitens des Redners ge- fchieht.) Er habe das Gemeindeabgabengesey als bloßes Ornament betrachtet, das dazu bestimmt sei, den beiden anderen Ge- seßen zur Annahme zu verhelfen, und deshalb seine An-

iffe dagegen gerichtet, obgleich er mit vielen Säßen der Motive einverstanden sei; aber er glaube, das Geseß werde, wenn es in die Geseßfsammlung aufgenommen sei, nicht marschiren können. Wenn der Finanz-Minister niht helfen und selbst etwas Besseres schaffen könne, dann werde man die einzelnen Communalsteuern als wecksteuern dur besondere Geseße regeln müssen. Die Miethsfteuer ei allerdings verbesserungébedürftig und die städtischen Behörden besserten auch daran, aber fie ließen die Grundprincipien des Ge- seßes unberührt. Wenn der Minister daraus folgere, daß dieses Gesey wurzelfaul sein müsse, so halte er das wiederum für einen völlig unbegründeten Schluß, Der Minister habe ferner Bauten, er hôâtte ein wegwerfendes Urtheil über das ganze Geseß gefällt. Die grundlegenden Bestimmungen des Ge- seßes in den 20 und 24 habe niemand im Hause fo eingehend analysirt, wie er es gethan; auf diese Analyse aber sei man ihm die Antwort schuldig geblieben. Bis er Antwort darauf erhalte, werde er annehmen, daß er auf streng sahlihem Boden gestanden habe. Der Abg. von Tiedemann habe ihn E: er habe nit das Aufsichtsrecht im allgemeinen angegriffen. L Tiedemann s\age, die Auéübung des Aufsichtsrehts sei nothwendig,

Und wenn Herr von -

Æ

“um dem Nothschrei der Minorität abzuhelfen, so erwidere er, (Redner) man möge do das Geseß so abfassen, daß die Minorität durch das Ges selbst geshüßt sei und so des besonderen Schußes des Aufsichtsrehts entbehren könne. Sein Streben gebe dahin, zu vers büten, daß feine Bestimmungen getroffen werden können, die unbe- rechtigten Sonderinteressen entsprehen, sondern daß das Geseh selbst über alle Interessen wae. Das Geseß enthalte bestimmte Vor- schriften darüber, in welchem Procentsaß Grund- und Gewerbesteuer in ihrem gegenseitigen Verhältniß zu einander herangezogen werden follen; aber diese ganze Klausel werde gegenstandslos, wenn die jeßt bestehende Grund- und Gebäudesteuer in ihrer gegenwärtigen Form aufgehoben werde. Da fei von Zuschlagsprocenten gar keine Rede mehr; es seten selbständige Steuern, und in welhem Verhältniß diese Steuern herangezogen werden sollten, darüber enthalte das Geseß feine Vorschrift. Grundbesitz werde sich gegen Gewerbebetrieb, und Gewerbebetrieb gegen Grundbesiß wehren, und die Majorität werde die Minorität unterdrücken. Hierin liege eine Schwäche des Geseßes, die niht stark genug betont werden könne. Er werde sich in der Commission nicht lediglich auf einen ablehnenden Standpunkt stellen, fondern - versuhen, Abhilfe zu schaffen. Allerdings habe er wenig Hoffnung auf Erfolg derartiger Bestrebungen, und deswegen verharre er bei seiner entshiedenen Opposition gegen das Geseß.

FinanzMinister Dr. Miquel:

Meine Herren! Dem hoben Hause stehen die Vorgänge von gestern noch in voller Erinnerung. Der Abg. Dr. Mever beklagt sich darüber, daß ih ihm einen erbitterten Widerstand entgegengeseßt habe. Das ift durchaus irrig. Ich habe ihn au nit angegriffen; ih habe nur durch milde Vertheidigungêmittel ganz unbegründete und unbe- wiesene persönliche Angriffe gegen mih abgewehrt. (Sehr richtig !) Ich berufe mich in dieser Beziehung auf die Gesammtstimmung des Hauses, ob es nicht geradezu beleidigend is, wenn jemand sih unterfängt, der Staatsregierung oder einem Minister bei einem so großen Reformwerk vorzuwerfen, daß er das lediglich aus Gefällig- keit gegen bestimmte Klassen oder Personen thue. (Sehr rihtig!) Meine Herren, im übrigen aber erinnere ich weiter daran, daß der Herr Abg. Dr. Meyer gestern ausdrücklih ausgesproben hat: an die Stelle dieser bloß ornamentalen, blumenhaften Verzierung eines Geseßes solle man doch die Grundlagen des englishen Com- munalsteuerwesens nehmen. (Sehr rihtig) Ich ftelle fest, daß dies mit dürren Worten gesagt is und natürlih in dem Sinne der ganzen Ausfübrungen seiner Rede: daß man nämlich be- stimmte feste geseßlihe Normen geben müsse und der Individualisi- rung nichts überlassen dürfe.

Nun sagte {hon vor 24 Jahren ein englisher Minister :

Wir haben ein Chaos von Communalsteuern, ein Chaos von Communalsteuerbehörden und ein noch ärgeres Chaos von Com- munalsteuerverbänden.

Warum wir nun in Deutschland dieses Chaos uns zum Muster nehmen sollen, das ift mir völlig unverständlich.

Herr Abg. Dr. Meyer behauptet, diese Bekämpfung des englischen Grundsteuersystems ginge lediglich von den Socialdemokraten aus. Ich habe hier vor mir ich habe alles Material, was mir im Laufe der Zeit durch die Hände gelaufen ist, natürlich nicht im Kopfe den Ausspruch eines der besten Kenner des englischen Communalsteuerwesens in einem von der doch gewiß nit social- demokratischen Londoner statistishen Gesellschaft preisgekrönten Efsay, da drückt sh Mister John Scott so aus:

Wenn die Einführung des bestehenden Systems im Hause der Gemeinen discutirt würde. so würde kein Mitglied den Muth haben, ein solches System vorzuschlagen, selbst wenn es erfindungs- reih genug wäre, um selbst eine complicirte Verschiedenheit von plumpen Einfällen zu schaffen. Lediglich die Thatsache seiner Existenz, „und daß es regelmäßig arbeiten mag, macht die Ein- führung eines ganz neuen Systems nicht rathsam und unzweckmäßig.

Meine Herren, wenn nun eine solche Autorität sagt, es würde kein Mitglied des Unterhauses wagen, dieses System in England neu einzuführen, böchstens fönne sein Bestand gerechtfertigt werden, weil es einmal existire, so ist es eine starke Zumuthung für die preußishe Geseßgebung, daß wir dieses in England so beurtheilte System bei uns nun neu einführen sollen. (Sehr gut! reckts.)

Aber auch deutshe Schriftsteller drücken fich über dies System gerade so aus. Jch citire in dieser Richtung beispielsweise das ver- ehrte Mitglied des Hauses, Herrn Professor Dr. Robert Friedberg. Er fagt auf Seite 22 seiner Schrift über die Besteuerung der Ge- meinden:

Aber selbst für den einen Gedanken, daß die wirthschaftliche Verwaltung der Gemeinde dem Grundbesiß besonders zu gute komme und daß deshalb ihre Kosten auch von leßteren getragen werden müssen, ift die englishe Communalsteuer fein consequenter Auëdruck. Denn sie besteuert niht den Grundbesißer, sondern nur den nußenden Inhaber, also Personen, denen jene Werthsteigerung des Grund und Bodens niht nur nicht zufällt, sondern die sie sogar den Grund- besißern in Form der erhöhten Miethe und Pacht auf ihre Kosten verschaffen müssen.

Meine Herren, ich citire ferner von deutshen Schriftstellern die „Finanzwirthshaft“ von Gustav Schärberg. Da heißt es auf Seite 703 :

Im wesentlichen beruht die Communalbesteuerung Englands in einer Einheitsfteuer. So mannigfahe Vortheile dieser Zustand in formeller und administrativer Richtung darbietet, so {weren Be- denken unterliegt er in materieller Hinsicht hon dadur, daß inner- halb diefes Systems die Wechselbeziehung zwischen der Natur des Bedarfs und der Besteuerungsart nur sehr geringen Spielraum hat. Aber auch im übrigen hat \ich dur jenen Besteuerungs- modus, der ursprünglich als eine Belastung fast aussließlih der Eigenthümer landwirthschaftlich genußter Grundstückde gedaht war, verschoben : die Freilassung der bei den communalen Aufgaben ebenfalls in hohem Grade betheiligten beweglihen Vermögens und die grund- säßliche Heranziehung des Nuters des Grundstücks entsprechen nicht mehr dem gegenwärtigen Stadium der Entwickelung, in welhem die Bedeutung des beweglihen Vermögens vielfa die des Grund- eigenthums überholt hat und in der großen Mehrzahl der Fälle Grundeigenthümer und Nuter niht mehr zusammenfallen.

Das ift eine ganz zutreffende Kritik. Nun aber für uns! Wir haben in einem Stadium der Vorberathungen, wo wir alle Eventua- litäten in Frage zogen, in Beziehung auf die Erfassung des fundirten Einkommens des Grundbesitzes die Frage längere Zeit erwogen, ob es möglich wäre, diese Besteuerung des fundirten Einkommens aus Grundbesiß durch die Besteuerung der Pächte und Miethsbeträge herzustellen. Und da stellte fih denn sehr bald heraus, daß wir in sehr großen Landestheilen, ja in ganzen Provinzen derartige Pacht- preise überhaupt gar niht oder niht ficher ermitteln können, aus dem

einfachen Grunde, weil nur sehr selten Grundstücke oder Grund- ftücke bestimmter Art in Form der Pacht überhaupt genußt werden. Ich glaube, diejenigen, die diese Landestheile kennen und in denselben wohnen, werden mir Recht geben, daß das nicht der Fall ist. In England, wo wir eine ganz kleine Anzahl von Grundeigenthümern haben, wo die Ver- pachhtung eines Grundbesißes eine weit regelmäßigere und verbreitetere ist, mag zur Noth ein solhes System noch gehen. Bei uns würde es ganz unmöglich sein. j

Meine Herren, ih möchte in Ergänzung desjenigen, was ih gestern gegen Herrn Dr. Meyer gesagt babe, noch einiges hinzufügen. Jch habe auêgeführt, daß wir es für unmögliÞh erachtet haben, das Besteuerungssystem durch besondere Steuerarten, infofern als die Zuschläge in den Gemeinden niht beliebt werden, durch eine bestimmte geseßliche Vorschrift zu regeln. Herr Dr. Meyer sagt, man hätte wenigstens doch bestimmte Arten von Besteuerungen geseßlih regeln fönnen und sie gewissermaßen den Gemeinden zur Auswahl präsentiren. Wir würden dann aber doch die Gemeinden an eine dieser Steuerarten binden müssen. Wenn wir das nit gethan hätten, dann hätten wir ja das System der Vorlage. Das wäre aber auch nicht möglih gewesen, weil verhältnißmäßig die Zustände in den Gemeinden in unseren Provinzen \o verschieden sind, daß man selbst dies nicht machen fann; daß aber die sogenannten Steuerparlamente, von denen er gesprohen hat, die Differenzen in dem Maße über die Art der Veranlagung dicser neuen besonderen Steuerform ebensowohl an diese zur Auswahl gestellte geseßlihe Form hätten an- knüpfen fönnen, als wenn die Gemeinde selbs aus eigenem Ver- ständniß sich über eine besondere Steuerveranlagung einigt das bedarf feiner weiteren Auëführung. Jch weiß wohl, daß hier ein Mangel steckt, insofern bin ich mit Herrn Dr. Meyer einig: es wäre mir auch erwünshter gewesen, wenn man in dieser Beziehung einen Schritt shon in diesem Geseß hätte weiter gehen können. Jch für meinen Theil bin aber durh das genaue Studium der Sache zu der Ueber- zeugung gekommen, daß wir damit das größte Unheil anrihten und gegenüber den Traditionen in Beziehung auf die deutshe Selbstverwaltung, auf die freie Bewegung der Gemeinden, auf die freie Bewegung namentlich in Beziehung auf die Gestaltung ihrer Ausgaben die größte Unzufriedenheit in das ganze Land geworfen haben würden; es würden spanische Stiefel ge- worden sein, in die die freie Bewegung unserer Gemeinden eingezwängt worden wäre. Wir haben uns daher im Finanz-Ministerium entschlofsen, einen anderen Weg einzuschlagen, der sih {hon mehrfah tewährt hat, nämlih den Gemeinden und den Gemeindebedürfnissen dadurch zu Hilfe zu kommen, daß wir für die einzelnen Besteuerungsarten verschiedene Regulative aufstellen, die wir den Gemeinden als Musterregulative hingeben, die sie annehmen fönnen oder nicht, an die sie Modificationen anbringen fönnen oder nit. Dadurch werden wir nah meiner Meinung allmählich vielleicht so auf die Möglichkeit kommen, auch das Geseß mehr in Thätigkeit zu feßen und demnägst festere geseßlißhe Normen herbeizuführen. Dieser erste große Schritt, der den Gemeinden ausgiebige Steuerquellen giebt, welher zugleih ein festes System, feste Gesichtspunkte, nah denen die Gemeindebesteuerung sich richten soll, soweit geseßlich feststellt, daß man das Vertrauen haben kann: diese Gesichtspunkte werden im großen und ganzz:n thatsählich zur Anwendung kommen, ift {hon ein gewaltiger Schritt. Wenn wir diesen Schritt ers mal mit vollem Erfolg gethan haben, dann werden wir auf der so gewonnenen Basis weiter arbeiten fönnen.

Meine Herren, ih glaube also gezeigt zu haben, daß meine Be- hauptungen und meine Ansicht über das englishe Communalsteuersystem durchaus nicht bloß von den extremen Parteien, sondern von ganz ge- mäßigten wissenschaftlih gebildeten Männern in England getheilt wird, daß man sih hüten würde, solhes System heute einzuführen, daß man es duldet, nur, weil es besteht. Jch glaube dargethan zu haben, daß, wenn dieses System selbs in England zweckmäßig sein möchte, es für uns jedenfalls in feiner Weise passen würde, und ih werde mi freuen, in formulirten Amendements in der Commission zu hören, wie Herr Dr. Meyer sich nun die thatsählihe Gestaltung dieser theoretischen Auffaffung vorstellt.

Herr Dr. Meyer hat dann gesagt: es ift ein Ornament, wie der Herr Finanz-Minister auch {hon früher als Abgeordneter viele gemacht hat. Er ist da wieder auf die Branntweinsteuer gekommen. Gewiß habe ih gewünscht, daß obligatorish die Reinigung des Branntweins vorgeschrieben würde. Jch habe das lediglich aus sanitären Gründen gewünscht und ih habe es sehr bedauert, daß es beim Ablauf der Frist nach den Erklärungen der Männer der Wiffenschaft nicht zu erreichen war. Damit gebe ih aber diesen Gesichtspunkt noch gar nit auf, die Arbeiten in unserem Kaiserlichen Gesundkeitëamt, diecemis- schen Untersuchungen dauern fort, und ich boffe immer noch: wir werden schließlich das erreihen, was ich damals vorschlug. Meine Herren, sowohl in der freisinnigen Presse mich persönlih berührt das nicht weiter, denn bei jedem Fortschritt, an dem theilzunehmen ich so glüflich war, seit der Einführung der norddeutshen Bundesverfassung, seit der Durchführung der Reichs-Justizeinheit, seit der Durhführung der militärischen Einheit des Reichs, seit der Einführung der Reichs- verfassung selbst, bin ich allerdings immer vorzugsweise derjenige ge- wesen, der “in der freisinnigen Partei am allerheftigsten angegriffen wurde, während hinterher dieselben Herren sich wobl hüten würden, diefe riesenhaften Fortschritte, die ih damals unterstüßte, wieder zu beseitigen und zu bekämpfen; (Zurufe) ich fann mich also darüber wohl beruhigen.

Aber ich möchte doch noch einmal auf die Beispiele zurückommen, die Herr Dr. Meyer angeführt hat, gewissermaßen in persönlicher Be- merkung. Er hat so gethan, als wenn ich für das Branntweinsteuer- geseß eingetreten wäre lediglich er hat von Gefälligkeiten ge- sprohen; das sollte wohl das bekannte Geschenk an die Brenner sein unter dem Vorwand, unter dem Or- nament, daß dann das Volk wenigstens ein gutes Ge- träânk bekomme. Meine Herren, ich babe {hon bei anderer Gelegenheit bier ausgeführt, welhes die Gründe waren, die damals die Mehrheit des Reichstags, meine politischen Freunde einstimmig und mich selbst bewogen, das Branntweinsteuergesez so anzunehmen, wie es sich in den Berathungen herauëstellte. Wir wollten ver- bindern, daß die Consequenzen der englisœen absoluten gleichen Besteuerung dahin führten, daß \{ließlich nur einige wenige riesen- hafte Brennereien übrig blicben und daß die kleinen und mittleren

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Tandwirth\schaftlihen Brennereien zu Grunde gerichtet würden. Wir erblickten in der Thatsache ihrer Existenz ein fas unentbehrlihes Culturmittel in großen ärmeren Landestheilen. (Sehr wahr! rets.)

Wir wollten ferner die Einheitlichkeit der Besteuerung im Reich durchführen, und wir wußten ganz genau, daß, wenn wir den \üd- deutshen Brennereien in keiner Weise Schuß gewährten, die Zustimmung weder der süddeutshen Regierungen noch der süddeutshen Abgeordneten zu erreichen gewesen wäre. Endlich standen wir gegenüber der Nothwendigkeit der Vermehrung der Reichs- einnahmen infolge der steigenden Ausgaben für die Landesvertheidigung, gegenüber der absoluten Nothwendigkeit, neue erheblihe Mittel der Reichskaffe zuzuführen. Das sind keine Gründe, welhe mit der Be- zeihnung „Gefälligfeiten“ belegt werden können, wenigstens nit bier im Landtag; in der Prefse is alles mögli. (Heiterkeit. Sehr gut! rets.)

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann die Garantien, welche damals von mir auch und andern gefordert wurden gegen die finanziellen Gefahren , die aus der Verstaatlihung der Eisenbahnen entstehen könnten, erwähnt. Nun, ich bin noch heute der Meinung, daß, wenn die Garantien, die wir damals forderten, namentli, daß jährlich 1% von der Brutto - Einnahme abgeschrieben oder zur Bildung von Reserve- und Erneuerungsfonds wver- wendet werden sollte, wirkflich durchgeführt worden wären, dann würden wir heute mit unseren Eisenbahnen ganz anders stehen. Dagegen denke ih gar nit daran, die Verstaatlihung der Eisen- bahnen zu bereuen; ich halte sie noH heute für eine ganz rihtige, ja selbst nothwendige Maßregel. (Sehr gut !)

Der Herr Abgeordnete hat nun endlich gesagt, ih bätte behauptet, daß “die Berliner Miethésteuer ein wurm- stihiges Wesen sei, und . daß sie also beseitigt werden müfse. Davon habe ich garnichts behauptet, nicht das Geringste. Fh habe nur gesagt, durch die Ueberweisung so bedeu- tender Realfleuern - wird die Berliner Verwaltung, was in ihrem freien Willen ftebt, in die Lage ktommen, die Frage, ob diese Steuer reformbedürftig ist, unbefangener und unbehbinderter zu prüfen und eine Reform leihter durchzuführen, und dabei bleibe ich ledigli stehen, und es hat auch der Abg. Dr. Meyer anscheinend gar nicht bestritten, daß allerdings diese Steuer reformbedürftig sein fönnte. Die Regierungsvcrlage läßt ja diese Steuer bestehen, sie hat sh gar nicht bemüht, Vorschläge zu maten, nach welchen diese ganze Miethssteuer zu beseitigen wäre, fie erkennt sie ausdrüdcklich an. Ob es aber wünschhenëwerth wäre, diese in Berlin bestehende Steuer nun geradezu zu einer allgemeinen Einrichtung in allen Städtên im Lande zu machen, diese Frage würde tich persönlich verneinen; dagegen das englishe Besteuerungssystem ist im wesent- lichen eine solche Miethsfteuer, und fie zu generalisiren, wird das Haus wahrscheinlich wenig geneigt sein.

Ich habe gesagt, ih bleibe dabei stehen, daß wir in Bezug auf die Selbstverwaltung der Gemeinden nah allen Richtungen durch diese Reform einen ganz eminenten Fortschritt machen, und ih möchte das Haus bitten, nit bei dieser Gelegenheit wiederum, wie das fo viel vorgekommen ift, das angeblich Bessere einen Feind des unzweifel- baft Guten sein zu lassen (Bravo!)

Abg. Herrfurth: Der Abg. Meyer habe in seiner, Gegner- schaft gegen das vorliegende Gesez Bundesgenossen überhaupt nicht gefunden. Er habe die Schwächen des Geseßes sehr erheblich über- chäßt, defsen Vorzüge aber niht nur unterschäßt, sondern vielfach übersehen. Ja, er (Redner) möchte einige derjenigen Theile, die er als Mängel bezeichne, gerade als besondere Vorzüge hervorheben. Da- bin gehörten insbesondere die Bestimmungen der §S§ 20 und 24 bezüglih der Anwendung hoher Gemeindeabgaben von Grundstücken u. f. w. Allerdings enthielten diese Paragraphen feine dispositiven Vorschriften, aber folche Vorschriften auf alle Gemeinden gleich- mäßig anzuwenden, dürfte bei der Verschiedenartigkeit der Ver- hältnisse auch nicht wohl angängig sein. Dagegen meine er, daß selbft für die jeßige Gestaltung der communalen Abgaben, denen der Abg. Mever einen besonderen Vorzug geben wolle, sih ein Weg finden werde, und nur wenn man der freien Bewegung der Gemeinden vollen Spielraum lasse, werde das von ihm ins Auge ge- faßte Ziel erreiht werden können. Er (Redner) stehe auf dem Standpunkt der freiconservativen Partei, wie ihn bier der Abg. von Tzschoppe näher dargelegt habe. Er habe gegen Einzelheiten des Gesetzes {were Bedenken und halte eine Reihe von Aenderungen, Streichungen und Ergänzungen für nothwendig; er glaube aber, daß mutatis mutandis das Geseß eine durchaus geeignete Grund- lage biete für eine einheitlihe, zweckmäßige und gleihmäßige Rege- lung der Communalabgaben, und dies alles sei ein so hoher Gewinn, daß er darin für die Nachtheile, welche mit der Reform verbunden, ein gewisses Aequivalent sehe. Seines Erachtens sei das Com- munalsteuergeseß weitaus der beste und annehmbarste Theil des ge- sammten Reformplanes. Dieser Entwurf habe nah feiner Richtung irgendwie einen agrarisden Charakter, er sei im Gegentheil gerade geeignet, für die Gemeinden in Stadt und Land den agrarischen Charakter, welchen die Reform nah gewissen Richtungen annehme, zu vermindern und abzuschwächen. Wenn der Finanz-Minister in seiner Nachtragsrede vom 22. d. M. den Nachweis führe, daß in der Gesammthaitung die ganze Steuerreform einen plutofratishen Charakter niht habe, so habe der Minister gegen eine Aeußerung polemisirt, welche er (Redner) nicht gethan habe: er babe nicht die Steuerreform in ihrer Gesammt- wirkung als eine plutofkratische bezeichnet; er babe auch nit gesagt, daß die Interessen der Minderwoblhabenden gegenüber den Interessen der Besigenden s{lechthin hintenangestellt würden. Er habe vielmehr gesagt, daß nach einer gewissen Richtung hin, namentli binsichtlih der Bevorzugung des Ita tige in den Ostprovinzen, diese Re- form einen agrarischen Charafter trage: eine Behauptung, welche der Finanz - Minister bisher nicht widerlegt und für welde der Abg. Sombart sich selbst als ein Beispiel aufgeführt habe. Er (Redner) habe sodann gesagt, daß in der Rück- wirkung auf das Wahlreht eine vlutokratishe Einwirkung dieser Reform zu befürchten sei; die Richtigkeit dieser Behauptung habe der Herr Finanz-Minister anerkannt. Wenn der Finanz-Minister ge- sagt habe: die Einen bezèihneten den Gang der Reform in - ibrer Gesammtwirkung als einen agrarishen, die Anderen als einen urba- nischen, die Einen als einen plutokratishen, die Anderen als das Gegentheil, er könne dazu nur läheln, so habe der Minister ja darin recht, wenn man nur die Gesammtwirkung ins Auge fasse und diese mit einem Wort carakterisire. Er glaube aber, diese Wider- sprüche lösten sich, wenn man die einzelnen Wirkungen ins Auge fasse. Man könne sehr wobl sagen: in ihrer Wirkung auf den größeren Grundbesiß der Ostprovinzen _ wirkten sie agrarish, in der Bevorzugung der großen Städte mit höherer Gebäude- und Gewerbesteuer urbanisch, in der Rückwirkung auf das Wabhlrecht Pplutokratisch, und er (Redner) meine, die Bevor- zugten hätten zu einem Lächeln der Befriedigung vielleiht mehr Ver- anlaffung als der Herr Finanz-Minister. Er (Redner) halte den vorliegenden Communalstcuer-Gefeßentwurf für eine geeignete Grund- lage zu einer einhbeitlihen und gleihmäßigen Regelung des ge- sammten communalen Abgeintiens, jedo nur dann, wenn in dem F 75 die obligatorishe Contingentirung der Kreissteuern mit Auf- nabme finde, weil nur darin eine Si

alle Vorschriften dieses Geseßzes auch auf alle

ung dafür h tiv daß

zu

communalen Zwecken Anwendung fänden. Die Vorlage bekunde ferner einen Fortschritt, însbesondere soweit es Kch darum handele, den Gemeinden freie ‘Bewegung zu gestatten zur Ausgestaltung ihrer Steuern. Allerdings sei das staatlihe Aufsichtsre{t über die Communalbesteuerung unentbehrlich und fönne in den bisherigen Grenzen unmöglich beschränkt werden. Aber der vorliegende Gesezentwurf enthalte allerdings einen Eingriff in die berechtigte Autonomie der Gemeinden. Nach S 49 müßten die Gemeinden in drei Monaten einen Beschluß gefaßt haben über die Aufbringung

-

ihrer Steuern, und wenn -diefer Beschluß nicht gefaßt oder demjelben die Genehmigung versagt werde, habe eine ftaztlich Regelung ein- zutreten. Diese Bestimmung sei durchaus zweckmäßig, aber auch ausreihend. Die Octroyirung von Steuern seitens der Aufsichts- behörden halte er nit für nothwendig. Der Finanz-Minister habe das von ihm fingirte Beispiel, womit er die Tragweite dieser Be- stimmungen in seiner ersten Rede illustrirt habe, nämlich die Octroyirung einer Biersteuer in Spandau als ungeschickt bezeihnet. In § 62 würden aber indirecte Abgaben aufgeführt, deren Einführung der Aufsichtsbehörde anheimgegeben werde. Nah den Motiven liege es nicht in der Absicht des Gesetzes, in allen Gemeinden indirecte Steuern einzuführen, aber wiederum nach § 62 habe sich die Aufsichtsbehörde nicht bloß zu balten an die Vorschriften des Gesetzes, fondern auh an die Leistungsgrundsäße, und dazu gehöre, daß be- hufs Erleichterung der directen Steuerlast indirecte Steuern eingeführt würden. Wenn er sich in diesem Punkte geirrt haben sollte, so wäre das in hohem Grade erfreulich; die Schuld liege. aber niht an ihm, son- dern daran, daß der Text der Motive nicht ganz ges abgefaßt sei. Der Zufammenhang des Geseßes mit dem Wahlreht sei auch nach dem Finanz-Minister ganz klar, der Minister meine nur, es sei nicht nöthig, diesen Zusammenhang so {rof hervorzuheben. Es liege, nah des Redners Ansicht, ein großer Unterschied darin, welche Se rungen man aus der Thatsache dieses Zusammenhangs ziehe; ihm genüge niht die Anerkennung - des materiellen Zusammenhangs, sondern er verlange einen formellen Zusammenhang. Er erachte es als erforderlich, daß das Wahlgesey einen integrirenden Bestandtheil der A rigelebe ausmahe, daß es nit in Krast treten könne ohne diese. Die Aufgabe, die diefem Wahlgeseß gestellt werde, sei gerade dur die Art und Weise der Reform eine überaus shwierige. Man werde auf zwiefahem Wege Ab- bilfe suchen müssen: einmal dadurch, daß man als Ersaß für den Wegfall der Grund- und Gebäudesteuer bei der Bildung der Urwähler- abtheilungen für den Landtag sowohl wie für die Communalvertretun- gen in derselben Weise, wie dies son jeßt bei den Wählerabtheilungen zu den Communalwahlen in den östlichen Provinzen geschehe, die Communalsteuern und Kreisfteuern mit in Ansaß bringe; fodann, weil dadurch allerdings eine Pplutokratishe Verschiebung eintreten würde, durch Festseßung von Mindestzahlen für die Zugehörigkeit zur ersten und zweiten Klasse. Das Problem fei ein schwieriges, aber es fönne gelöft werden. Dhne Wahlgesey keine Steuerreform!

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Meine Herren! Gestatten Sie mir nur noch zwei Werte der Erwiderung.

In dem Communalsteuergesez is nirgends der Grundfaß auê- gesprochen, daß jede Gemeinde neben directen Steuern au indirecte haben muß; folglich fann au feine Staatsregierung fagen: das be- stehende Steuersystem der Gemeinden oder cine beschlossene Steuer- ordnung, welche keine indirecten Steuern hat, verleßt die Grundsäße dieses Gesetzes, und wenn nur bei bestimmtem Widerspruch gegen geseßliche Vorschriften oder gegen in diesem Gesetze enthaltene Besteuerungsgrund- säße das Einschreiten der Aufsichtsbehörde möglich ist, so ift die Gefahr, die der Herr Abg. Herrfurth befürchtete, daß man zwangsweise indirecte Steuern einführen könnte, nah meiner Meinung hier in keiner Weise vorhanden. Sollte dieses aber nit klar ausgedrückt sein, nun, dann sind wir doch bloß verschiedener Meinung über die Fassung, dann wird es ja sehr leiht sein, daß bei Uebereinstimmung zwischen der Staatsregierung und dem Landtage diese Fassung verändert wird. Ich glaube daher, ih war deshalb mit meiner Bemerkung gegen das von dem Herrn Abg. Herrfurth angeführte Beispiel nicht im Unrecht.

Meine Herren, nun ift der Herr Abg. Herrfurth wieder darauf zurückgekommen, daß zwar der ganze Reformplan niht mit dem Aus- druck „agrarisch* oder „plutokratisch“ bezeihnet werden fann; i glaube aber doch, daß in der ersten Rede ih habe das Stenogramm nicht vor mir Herr Herrfurth diese Bezeihnung dem ganzen Neform- plan beigelegt hat. Er sagt jeßt: das ist nur nah der einen oder der anderen Richtung der Fall: plutokratisch für große Städte, agrarish für den Großgrundbesiß. Meine Herren, ih möchte wobl wissen, wie eine Umformung des gesammten Staats- und Communal- steuerwesens möglich ist, ohne daß man nachweisen fan, daß an der einen oder der anderen Stelle irgend eine Besißform oder irgend eine Perfon größeren Vortheil hat, als die andere, dieses Kunststück is überhaupt niht zu lösen. Wenn ih aber zu grunde lege und ih bitte, in dieser Beziehung mir einen Augenblick zu folgen die Vorschläge, die der Herr Abg. Herrfurth gema&t, we- nigstens angedeutet hat, dann glaube ich, man könnte mit viel mehr Recht sagen: in denselben liegt eine ungerechtfertigte Begünstigung des Großgrundbesizes. Denn was würde herauskommen? Die vierzig Millionen sollen an die Gemeinden vertheilt werden ; daran participiren do die Gutsbezirke auch, und man könnte diese Form der Zuwendung viel eher ein Geschenk nennen. Zweitens bleibt die lex Huene bestehen; sie wird umgelegt zu F nah der Gebäudesteuer. Aber die Verwendungen aus der lex Huene, namentlich in den öftlihen Pro- vinzen, wo der Großgrundbesiz stark ist, kommen dcch wesentli auh dem Großgrundbefiß zu gute, während er nah unserem System in Zukunft an den Steuern des Kreises sich betheiligen muß.

Endlich läßt das System der Vorlage auch den Großzrundbesit, der doch verhältnißmäßig nah der Meinung des Herrn Abg. Herrfurth sich in der besten Lage befindet, auch verhältnißmäßig weniger ver- schuldet sein soll, beranziehen zur Vermögenesteuer. Dagegen läßt das System Herrfurth denselben von der Vermögensfteuer frei.

Weiter! wer wird denn bei diesem System wesentlih bevorzugt ? Das ist der Großgrundbesitz, während alle anderen Klassen, die unter derselben Ungerechtigkeit, nah unserer Auffassung der . Realsteuern [eidên, belastet bleiben wie bisher. Und nun können Sie bei diesem System die Ausgleichung, die der Herr Abg. Herrfurth selbft aner- kannt hat, die in einer anderweitigen Organisation des Gemeinde- steuerwesens liegt, gatniht genügend erreichen.

Ich glaube daher, wenn man mal nah sclchen Schlagworten oder allgemeinen Bezeichnungen, um es milde auszudrücken, sucht, so würde man mit viel mehr Erfolg gegen die Vorschläge des Abg. Herrfurth die Bezeichnung „agrarisch“ anwenden können als gegen das System der Vorlage, wo jedenfalls die Begünstigung des einen oder anderen nur die unvermeidlihe Folge großer, durhgreifender Gesichtspunkte ist.

Ich kann also au heute diese Bezeihnungen in keiner Weise anerkennen, wie denn au die große Zustimmung im ganzen Hause, selbst bei solhen Abgeordneten, die gewiß nicht indem Verdachte stehen, bloß aus Gefälligkeit gegen den Großgrundbesiß zu handeln,

B au defsen Befreiung von der Realsteuer als nothwendige und gerechte Consfequenz anerkannt hat.

Abg. Eberty (df.): Auf die englishen Communalsteuerverhält- nisse wolle er nit eingeben ; diese hâtten sich in Jahrhunderten ent- wickelt, aber er glaube nit, daß ein englisher Staatsmann sich dazu verstehen würde, diefes Co:nmunalsteuerwesen auszutauschen gegen eine bureaufratische Codification des Communalsteuerwesens. n die Berliner Miethsfteuer niht schneller reformirt worden sei, so liege das daran, daß die Genehmigungen der Behörden nah lang- wierigegy Verhandlungen nicht ertheilt worden seien. Er habe den Ein- druck, daß die Vorlage mehr den Charakter einer Instruction als eines Geseßes habe, und wolle hoffen, daß die Commission dasselbe so gestalte, daß den Communalverwaltungen dadurch die Wege zur Arbeit im Interesse der Gesammtheit eröffnet würden, ohne daß fie an die Instruction von Aufsichtsbehörden gebunden sei.

Abg. von Czarlinski (Pole) bemängelt die?Æestimmungen des § 22, wonach Waldungen in geringerem Grade als fonstige Liegenschaften, und Liegenschaften, welche an einer Baufluchtlinie belegen sind (Baupläte), in höherem Grade als die übrigen Liegenschaften zur Grundsteuer herangezogen werden können. Im allgemeinen enthalte der Entwurf eine große Steuerautoromie, und die Gemeindevertreter hätten ein s{öônes Feld für ihre Thätigkeit. Möchte es ihnen nur gelingen, den Interefjenstreit, den solche Steuerfragen meistentheils in Gemeinden hervorrufen, möglichst aus der Welt zu schaffen. Nöthig sei es, auf die verschiedenen Berent der einzelnen Pro- vinzen Rücksicht zu nebmen; eine Gkleichmäßigkeit in allen Provinzen bei der Besteuerun wäre nichts weniger als gerecht. Sonst laufe man Gefahr, daß der Grundbesiß, nament- lch der fleine Besiß in industriellen Bezirken, . wiederum im Wege der Conmmunalsteuern zu stark belastet werde. Der Ge- sezentwurf befinde sich auf richtigem Wege, es komme aber auf die Ausführung an. Die Commission müsse Bestimmungen treffen, daß bet diesen shwerwiegenden Fragen überall Gerechtigkeit geübt werde. Werde das Communalsteuergeseß von der Annahme der Ver- mögensfteuer abhängig gemacht, so wisse er allerdings nicht, ob es zu stande kommen werde. Das polnische Volk wolle am allerwenigsten neue Lasten, denn es sei {hon viel s{lechter gestellt, als die deutsche Bevölkerung; es zahle ebenso Staats- und Communalsteuern wie die deutsche Bevölkerung und habe noch besondere Abgaben für seine nationalen Eigenthümlichkeiten. Von der Vermögenssteuer mit all ihren fiscalishen Plackereien wolle seine Partei nihts wiffen.

Darauf wird die Discussion geschlossen.

__ Nah einer längeren Geschäftsordnungs-Debatte, in welcher die Abgg. Graf Limburg-Stirum (cons.), von H?eereman (Centr.) und von Huene (Cenir.) für die Ueberweisung sämmtlicher Steuervorlagen an eine cinzige Commission von 28 Mitgliedern sprechen, während die Abgg. von Tzschoppe (freiconj.) und Vopelius (freicons.) den Antrag der frei- conservativen Partei, für das Communalsteuergeseß eine be- sondere Commission von 21 Mitgliedern einzuseßen, befür- worten, wird dieser Antrag abgelehnt und es werden sâmmtlihe Steuervorlagen einer Commission von 28 Mitgliedern überwiesen. :

_ Präsident von Köller: Für Plenarsitzungen liege" augen- blicklih Tein anderes Material vor als ein Rechenschaftëberiht über die Consolidation preußisher Staatsanleihen und ein erst soeben eingegangener Geseßentwurf über die Aufhebung der Stol- gebühren in der evangelish-reformirten Kirhe in der Provinz Han- nover. Es erscheine nt angezeigt, vor Weihnachten noch Plenar- sißungen abzuhalten, fondern zweckmäßig, die Zeit ausf{ließlih zur Verfügung der Commission zu laffen. Er erbitte deshalb die Ermäch- tigung, die nähste Sißzung je nach Umständen anzuberaunen und auch die Tagesordnung festzuseßen, und ferner die Ermäch- tigung für den Fall, daß aus der Steuercommission ein oder das andere Mitglied auszuscheiden wünshe, das Haus dazu niht einberufen zu brauchen, sondern eigenmähtig die betreffende Abtheilung zur Ersaßwahl zu veranlassen. (Zustimntüng.) Da sich dagegen fein Widerspru erhebe, sei ihm die Ermächtigung dazu ertheilt. Er werde den Mitgliedern möglichst früh Mittheilung über den Tag der nächsten Sitzung machen.

Schluß gegen 32 Uhr.

Statiftik unnd Volkswirthschaft.

Von der „Zeitschrift des Königlich preußischen Statistishen Bureaus“

ist soeben das 1V. Vierteljahrsheft des dreißigsten Jahrgangs 1890 und das I[I. und I1V. Vierteljahrsheft des etnunddreißigsten Jahr- gangs 1891 erschienen. Das erstgenannte Heft (1V., 1890) enthält eine Anzabl Nekrologe aus der Feder des Geheimen Ober-Regie- rungs-Raths E. Blenck über Wladimir Besobrasow, Erwin Nasse, Joseph von Held, Karl August Fabricius, Isaak Scchlockow, Sir Edwin Chadwick, Otto Lackner, Lorenz von Stein, Matthäus von Jodl[l- bauer und Antoine Beaujon. Weiter wird darin das Inhalts- verzeichniß der bis jeßt erschienenen dreißig Jahrgänge (1861 bis 1890) der „Zeitschrift des Königlich preußischen Statistishen Bureaus“, von Dr. G. Lange bearbeitet, veröffentlicht.

Das IIl. und IV. Vierteljahrsbeft 1891 bringt eine Uebersicht der Hypothekenbewegung im preußishen Staat während der Rechnungsjahre 1886/87 bis 1890/91 ; das endgültige Ergebniß der Volkszählung vom 1. Dezember 1890 für den preußischen Staat, dessen Provinzen, Negierungsbezirke, Kreise und Städte; die Geburten, Ebeschließungen und Sterbefälle in Preußen während des Jahres 1890; die Thätigkeit der deutshen Ge- sellschaft zur Rettung Sqiffbrüchiger in den Jahren 1865 bis 1891, von E. Blenck (von diesem Auffay is auch ein Sonderabdruck erschienen); Preußens Ernte nah den Schäßungen der landwirthschaftlihen-Vereine in den Monaten August und Sep- tember 1891; statistishe Untersuhungen über den Zu- LEN Ren bang der Preise von Roggen, Roggenmehl im Groß- und Kleinhandel und Roggenbrot in vier deutschen Städten während der Jahre 1881/1889, mit vier graphischen Darstellungen, von Aug. SŸÿnider; eheliche Fruchtbarkeit bei den ver- schiedenen Religionsgemeinschaften in Preußen 1875 bis 1890: zur Lohnstatistik der Berufsgenossenschaften, von G. Evert; die Stadt Königshütte in Oberschlesien, ein statistisher Abriß und ein Beispiel, von Karl Brâemer ; Nefkrologe über Thorold Rogers, Franz. Lindig. Jean Baptiste Liagre, Don Carlos Jbanez, Ernst Tramnit, AgostinoMagliani, Giuseppe Sacchi, Martin Christian Dippe, Alexander von Wesselowski, Alexander Wilken, Robert Simson und Paul Hunfalvy, von E. Blenck. Zum Schluß sind die in der „Statistishen Correspondenz“ im Jahre 1891 veröffentlichten Aufsäße wiedergegeben.

Heft 1 und 2 der „Zeitschrift des Königlich sächsishen Statistischen Bureaus * enthält außer dex bereits in Nr. 281 des „R.- u. St.-A.* erwähnten Aufsäßen über die „Bewegung der Bevölkerung" und über „Beiträge zur Statistik des Dee eta eine Statistik der Damp ee, im Königreih Sachsen vom Regierungs- Rath Morgenstern, einen Aufsaß von öhmert über den „gegen- wärtigen Stand und die neuen Aufgaben der Lohnstatistik“, sowie einen Aufsaß über „lohnsftatistishe Untersuchungen in der Cigarren- fabrikation“. Die ift erscheint in der Buchhandlung von R. von Zahn und Jaensch in Dresden und kostet jährlich 3 M

L Zur Arbeiterbewegung. Aus Fürth schreibt man der „Frkf. Ztg.“: In der biesigen Brauerei Evora u. Meyer wurden vor kurzer Zeit einige