1893 / 64 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 15 Mar 1893 18:00:01 GMT) scan diff

R Ai Simi Pir da ArPE O Er R p eni bew E Ee Em E Lew e E Ae ECeT

daß die Verzollung nach Ansicht der kompetenten höheren Instanz unrichtig war, und wenn dann gegen d.n Betreffenden cine Nach- forderung von. Zöllen geltend gemacht wird.

An Versuchen, diese Unbequemlichkeit aué der Welt zu shaffen, hat es ja nicht gefehlt. Die verschiedenen im Reichstag gemachten Vorschläge, soweit sie in Form von Resolutionen oder Anträgen den verbündeten Regierungen überwiesen sind, haben die verbündeten Regierungen forg- fältig geprüft, und ih habe auch in Bezug auf den jetzt vorliegenden Antrag den verbündeten Regierungen die Prüfung vorbehalten. Der Wuns, diese Unbequemlichkeiten zu beseitigen, wenn cs möglich wäre, wird von uns vollkommen getheilt; tenn es ift wahrlich auch für die verbündeten Regierungen kein Vergnügen, den Leuten Unbequemlichkeiten zu machen. Wir haben nur pflihtmäßig darüber zu wachen, daß die Zollgeseße rihtig gehandhabt werden, daß allerdings niemand mehr abgenommen wird, als er nah dem Gefe zu zahlen hat, daß aber auch niemand von einem ihm geseßlich obliegenden Zolle frei bleibt, und dadur die Nothwendigkeit eintritt, diesen Ausfall “auf irgend - einem anderen Wege den Steuer- zahlern im Reiche abzunehmen. Nun liegen die Schwierigkeiten, die all’ diesen Negelungen entgegenstanden, în der Verfassung Deutschlands, die geschihtlich überkommen ift, und die wir niht aus der Welt schaffen können. Auch einem folchen Auskunftsamt, wie es die Herren Antragsteller beabsichtigen, stehen folhe Schwierigkeiten bis zu einein gewissen Grade entgegen. Der erste Herr Antragsteller hat auédrücklich und ich glaube, wenn das Ding Wirkung haben foll, mußte er dies fordern für die Entscheidung tes Tarifamts die Kraft der authentishen Interpretation verlangt. Authentische Interpretationen eines Gesetzes oder ciner Verwaltungsvorschrift können nur gegeben werden für die Gesetze von den geseßzgebenden Factoren, für die Ver- waltungsvorschriften von derjenigen Instanz, welche verfassungsmäßig zum Erlasse derartiger Berwaltungsvorschriften befugt ist. Es würde sih also, da leßtere Befugniß in Bezug auf das amtliche Waarenverzeihniß, überhaupt in Bezug auf die Ausführung der Zollgeseße . den verbündeten Regierungen zusteht, um eine theilweise Delegation der Nechte der verbündeten MNegierungen, ja, es würde sich sogar um eine gewisse Delegation von Souveränitätörechtten der einzelnen Staaten handeln, und darin wird, wie ih fürchte, die praktishe Schwierigkeit liegen, an der auch dieser Versuch der. Beseitigung der bestehenden Mißstände möglicherweise scheitern kann.

Ich habe mir eine Aeußerung dcs Herrn Abg. Scipio notirt, weil sie mir chcharakteristisch dafür erschien, wie leiht man im Gefühl der Unbequemlichkeit des bestehenden Zustandes ge- neigt ist, die Schwierigkeiten zu übersehen, welche sih einer Aenderung entgegenstellen. Der Herr Abgeordnete wies darauf hin, daß sein Antrag keineswegs eine Aenderung der Verfassung bezwecke, sondern daß er beabsihtige, die Anwendung der Zollgesete, des Zolltarifs und des Waarenverzeichnisses vollständig als Verwaltungsfache bestehen zu lassen. Er wählte abcr dabei den Ausdruck, es bleibe dies Verwal- tungssache der verbündeten Regierungen. Gerade darin liegt aber die Schwierigkeit, daß die verbündeten Negierungen als solche Verwaltungsbefugnisse auf dem Gebiet der Zollerhebung verfassungs- mäßig nicht haben, sondern die Einzelregierungen, und die meisten Einzel- regierungen würden, wie ih fürchte, niht geneigt sein, ihr verfassungs- mäßiges Necht und ihre verfassungsmäßige Pflicht, auch in ihrer höchsten Instanz über die richtige Anwendung der Neichs-Zollgesetze zu entscheiden, zu Gunsten eines derartigen neu zu s{haffenden Amts aufzuzeben.

Aber ih wiederhole: beschließt der Neichstag die Resolution, so wird sie bei den verbündeten Regierungen einer sorgfältigen Prüfung unterliegen, und der Wunsch, wenn es möglich ist, einen Auêëweg aus diesem Labyrinth zu finden, wird von den verbündeten Regierungen getheilt.

Abg. Sc ipio (ul.): Unser Antrag bezweckt niht im mindesten, an der Verfassung oder an der Competenz der Einzelstaaten irgendwie zu rühren.

Staatssecretär Freiherr von Malßahn:

Der He r Abgeordnete sagt, die von ihm gewünshte Behörde folle nihts weiter fein als eine Stelle, welche cine Completirung des amtlichen Waarenverzeichnisses kundgiebt. Dann müßte also doch in dem Falle der Präsentation irgend einer Waare diese Behörde erst an den Bundesrath gehen, denn nur der Bundesrath kann das amt- lihe Waarenverzeichniß completiren. Es würde also immer eine ge- raume Zeit vergehen.

Nun entstehen aber sehr viele Beshwerden auf dem Gebiet dcr Zollverwaltung dadurch, daß die bestehenden Bestimmungen nicht eine Lücke enthalten, sondern daß über ihre Anwendung Zweifel entstehen. Gesetzt den Fall, eine neue Waare würde vorgelegt, und die von dem Herrn Antragsteller gewünschte Behörde hätte den Bundesrath be- fragt, und es wäre also ad hoc eine Ergänzung des amtlichen Waaren- verzeihnisses publicirt worden, die übrigens der Herr Abg. Broemel erst nah acht Wochen in Kraft treten lassen würde —, wenn dann vielleicht eine ganz ähnliche, aber nicht völlig gleihartige Waare ein- geführt wird, dann entsteht sofort die neue Schwierigkeit: fällt diese Waare unter die jeßt vom Bundesrath getroffene Bestimmung oder niht ? Ich will damit nur auf die Schwierigkeiten hinweisen, die der Sache entgegenstehen. Aber wie gesagt, wenn der Reichstag die Nefolution beschließt, werden die verbündeten Negierungen sich der Prüfung der Frage nicht entziehen und dabei auh prüfen, ob etwa ein anderer Weg gangbar erscheint. Bisher ist es zu unserem lebhasten Bedauern niht möglich gewesen, einen derartigen Weg zu finden, und die Hinderungsgründe [iegen eben daran, daß die Zollverwaltung den einzelnen Staaten ver- blieben ist, daß der Reichskanzler gar keine Zollverwaltung hat, der Bundesrath aber nur anordnend und in Beschwerdefällen revidirend eingreifer kann.

Abg. Siegle (nl.): Der Bundesrath hat die zollfreie Ver- wendung von Petroleumdestillaten für alle gewerblichen Zweige zu- gelassen, v:rlangt aber amtlihen Mitvershluß für die betreffenden Waarenvorräthe. Durch diese strenge Bestimmung wird die In- dustrie sehr beengt und wünscht Erleichterung.

Königlich preußischer Bevollmächtigter zum Bundesrath, Geheimer Negierungs-Nath Henle: Der Bundesrath hat bezüglich der Zoll- behandlung der Petrolcumdestillate beschlossen, ihre“ zollfreie VBer- wendung zu gestatten. Um diefe Industrie in die Lage zu versetzen, ihren Bedarf nicht ausschließlich aus dem Auélande einführen zu müssen, hat er zugleih beschlossen, die Nohprodukte an die chemischen Fabriken, welche die Destillate herstellen, zollfrei abzugeben. Dieser Beschluß erging aber nicht zu Gunsten dèr Fabriken, sondern der ge- werbliden Betriebe, welche dieser Fabrikate benöthiaen. 1891 hat tann

* der Bundesrath den Petrolcumraffinericen, welche Rohvetroleum- eit-

führen, dieselbe Vergünstigung eingeräumt, mit der Maßgabe, daß U D 3

Benzin, MeiruuMtes can die gewerblichen Betriebe im Inlande für gewisse Zwecke und unter gewissen Bedingungen zollfrei abgegeben werden dürfen. Ein Unrecht ist den Benzinindustricen also nicht ge-

schehen. Abg. Siegle (ul.): Das habe ih auch nicht behauptet. That-

sählih aber werden die Benzinfabrikanten benachtheiligt und ih kann nuc nohmals bitten, ihnen möglichst erttgegenzukommen. Í

Abg. Broemel (dfr.): Wenn den Beschwerden der badischen Anwohuer der schweizerischen Grenze so eifrig Abhilfe zu bringen versucht worden ift, daß sogar ein eigener badischer Commisjsar nah der Schweiz geschickt wurde, so darf man doh im Interesse der Gerechtigkeit das gleihe auch für die übrigen deutschen Gewerbe- treibenden verlangen. Jm weiteren bedauert Nedner, -daß dem Neichstag diesmal keine Nachweisungen über die Voranschläge aus den Zoll- einnahmen vorgelegt sind, au nit einmal die vorläufigen Ermitte- [lungen der laufenden Einnahmen bis zum Dezember des Etatsjahres. Die Zolleinnahmen sind auf 341 122 000 Æ oder auf 1 671 000 mehr als im laufenden Jahre veranschlagt. Redner glaubt, daß damit ungefähr das Richtige getroffen sein wird. Der Ausfall an Einnahmen infolge der Handelsverträge werde die veranschlagte Höhe nicht erreichen. Schließlich fragt Redner, ob denn die angestellten Ermittelungen endlih zu einer Entscheidung über die Frage wegen des Petroleums- faßzolles geführt haben.

Staatssecretär Freiherr von Malßtahn:

Ich möchte dem Herrn Abgeordneten zunächst auf die letzten Aus- führungen antworten, die sih auf die Frage des Petroleum-Faßzolles bezogen und auf die Frage, was aus der den verbündeten Regierungen überwiesenen Nesolution des Reichstags geworden is. Dieser Nefolution zu entsprehen, war für die verbündeten Regierungen bekanntlih nit ganz leiht; fie bezweckte die Berücksichtigung der überwiesenen Petitionen. Diese aber beabsichtigen theilweise die Be- feitigung des bestehenden Petroleum-Fafßzolles, theilweise die Aufrecht- erhaltung desselben. Beides zu berücksihtigen war selbstverständlich unmögli. Die verbündeten Regierungen sind in die Erwägung des Gegenstandes eingetreten. Die Correspondenz darüber und die Prüfung der Angelegenheit selbst hat eine geraume Zeit in Anspruch genommen, hauptsählich deswegen, weil auf Grund der Verhältnisse, wie sie durch den bekannten Beschluß des Bundesraths entstanden waren, in Deutschland neue industrielle Unternehmungen ins Leben getreten waren, deren Interessen die Beibehaltung des einmal ein- geführten Verfahrens wünschenéwerth erscheinen ließen. Nach genauer Prüfung der Angelegenk;,eit ift jedo jeßt eine Vorlage an die ver- bündeten Regierungen gelangt und licgt in den Ausschüssen des Bundesraths, welche bezweckt, von einem zu bestimmenden Zeitpunkt ab den früßercn Bundesrathsbes{hluß aufzuheben.

Der Herr Abzeordnete hat ferner sein Bedauern darüber aus- gesprohen, daß die Zahlen über die Zolleinnahmen der leßten Monate, welche dem Neichêtag gedruckt noch nicht zugegangen sind, ihm diesmal überhaupt nicht bekannt geworten wären, weil der Zoll-Etat nicht an die Budgetcommission überwiesen worden ist. Jch möchte den Herrn Abgeordneten darauf aufmerksam machen, daß diese Zahlen für die Monate November, Dezember und Januar der Militär- commission gegeben sind. Er wird bei den Mitgliedern der Militär- commission, wenn er die Zahlen zu kennen wünscht, die nöthige Aus- funft erhalten fönnen. Sie der Budgetcommission mitzutheilen, hatten wir keinen Anlaß, weil dieser Gegenstand in derselben niht zur Ver- handlung gelangt ift.

Auf Anfrage des Abg. Scipio (dfr.) bemerkt der

Staatssecretär Freiherr von Malgzahn:

Die foecben von dem Herrn Abgeordneten geschilderten Verhält- nisse haben auh die Aufmerksamkeit der Neichsregierung auf si ge- zogen, und die Angelegenheit wird voraussihtlih in kurzer Zeit ihre Erledigung finden.

Was die Frage der Behandlung des Baumwollensamenöls betrifft, so bedingt eine Abänderung der bestehenden Zollbehandlung dieser Waare eine Aenderung unseres Tarifs. Es ist nun eine Tarif- novelle in Vorbereitung, welche einige wenige Aenderungen unseres Tarifs in Vorschlag bringt; eine darunter bezieht si auf das Baum- wollensamenöl. Jh nehme an, daß diese kleine Vorlage den Herren in der nächsten Zeit, spätestens kurz nah Ost:rn, zugehen dürfte.

Was die andere Angelegenheit betrifft, diejenige der gleich- mäßigen Behandlung geshälter und ungeschälter Erdnüsse, so gehört die Regelung dieser Frage zu den Befugnissen der Verwaltung, in letzter Instanz des Bundesraths. Zwecks Regelung dieser Angelegenheit werden zur Zeit vorbereitende Maßnahinen seitens der einzelnen Zoll- verwaltungen zur Ausführung gebracht.

Abg. Broemel (dfr.) ist erfreut, daß die Frage des Petroleumfaß- zolles sch endlich ihrer Grledigung nähert, und bittet, künftig die Nachweisungen über die Zolleinnahme wieder der Budgetcommission zuzuweisen. i

Die Einnahmen aus den Zöllen werden darauf bewilligt. Der Antrag Scipio-Goldshmidt wird angenommen.

Die Einnahmen aus der Tabacks-, Zucker, Salz-, Branntwein- und Brausteuer, den Aversen, den Stempel- abgaben werden genehmigt, desgleichen die Einnahmen des Etats des Neichs-Schaßamts.

Vei dem Ausgabetitel „Staatssecretär 24 000 6“ bemerkt

_Abg. Merbacch (Np.): Die Entwerthung des Silbers ist keine bloß agrarische ¿Frage. Wer nah Silberländern exvortirt, wird davon sehr nahe berührt. Auch Veutschland is cin Silber producirendes Land und hat an der Remonetisirung des Silbers das größte Jn- teresse, in erster Linie aber die Silberbergwerke. Der Abg. Kayser war, fo lange er Vertreter des Kreises Freiberg war, ein Silber- währungsmann, nachher erst, als er mit dem Wahlkreise nihts mehr zu thun hatte, war er zur Goldwährung übergegangen. Der Abg. I)r. Bamberger kennt die Verhältnisse in den Bergbaudistrikten über- haupt nicht; fein Urtheil hat also nur schr bedingte Autorität. Unser Bergbau ift alt, unsere Schächte sind tief, die Productionusfosten also hoh. Anders in Amerika und Australien. Die Zeit, wo man auch dort die reichen Erze ershöpft haben und zu ärmeren über- zugehen gezwungen sein wird, liegt noch fern. Es steht damit ebenso, wie mit dem Nath des Abg. Dr. Barth an die Landwirthschaft, die amerikanische Concurrenz niht zu fürchten, da do der Raub- blau in Amerika bald zu Ende sein müsse. Wenn wir darauf warten sollen, ist uns niht gehelfen. Bis dahin ist der deutshe Bergbau längst todt. Der Bergmann wird brotlos werden, aber er wird nicht cinschen, daß er einer Natur- nothwendigkeit, ciner Umwandelung unterliegt, die unvermeidlih war. Wenn nach dem Staatssecretär Freiherrn von Maltzahn die verbündeten Negierungen den Bestrebungen zur Hebung des Silberpreises sym- pathisch gegenüberstehen, so dankt der bescheidene Bergmann auch fitr dicses kleine Entgegenkommen. Mögen die Regierungen kein Mittel unverfucht laffen, die s{chweren Schädigungen, welche die Silber- entwerthung bringt, dem deutschen Bergmann fern zu halten. Es it das keine agrarische Agitation, fondern der Hilferuf einer dem Unter- gang entgegeneilenden Industrie!

Abg. Graf MirLach (deons.): Die Währungéfrage \teht jetzt derart im Vordergrunde, daß wir sie auch bei diefer Gelegenheit zu be- rühren verpflichtet sind. Der Reichskanzler hält ihre Lösung ohne England nicht für möglih, Wir sind der Meinung niht. Der Kern

der Währungsfrage ist gar niht s{wer, hat der Reihs-Schaßsecretär mit Recht erklärt, wahrend dcr Reichskanzler die Frage zu den schwierigsten rehnet. Jedenfalls hat der Abz. Dr. Bamberger mit seiner Erklärung, der Bimetallismus fei todt, kein Glück gehabt. Wie wenig er todt ist, zeigèn sowohl unsere Verhandlungen hier, als auh die Ereignisse im englishen Unterhause, wo Gladstone eine Niederlage erlitten hätte, wenn ihm nicht die Iren zu Hilfe gekommen wären. Auch die Ecklärung des Vertreters Englands auf der leßten Muünzconferenz mögen die Goldwährungsmänner beachten. Selbst die „Freisinnige Zeitung“ giebt zu, daß ein Heben der Preise die Wirkung der Doppelwährung fein würde. Endlich beziehe ih mich auf die neulichen Aeußerungen des Abg. Friedberg, der ein Profeffor und alles Andere eher, als ein Agrarier ist. MRedner verwahrt sich dann gegen die Zusammenstellung der bimetallistishen und antisemitischen Agitation, wie sie der Neichskanzler beliebt habe. Die Juden seten als Vertreter des internationalen Kapitals zu- dessen Vertheidigung berechtigt, aber das Dominiren des internationalen Kapitals fei für die nationale Arbeit s{ädlichck Bei den Handelsverträgen habe man nach der Meinung der Regierung rechtzeitig das Angebot machen müssen, um den wirthschaftlihen Ruin zu verhüten. Genau so liege cs auf dem Gebiete der Währungsfrage; auch hier sollten die Negierungen ihr Angebot machen. Die Landwirthschaft verlange diefen Standpunkt unbedingt. Zunächst werde beantragt werden, eine Enquête zu veranstalten, sodann werde die Regierung vor die Frage gestellt werden, wie sie sih eine Lösung der Währungsfrage ohne England denke.

Abg. Büsing (nl.): Zu einer Aenderung der Währung liegt feine Veranlassung vor. Die Lehren der Bimetallisten sind eine Kette von Widersprüchen. Die Einführung der Goldwährung in Deutsch- land hat die Entwerthung des Silbers nicht verschuldet. Für jeden Unbefangenen ift es doch sclbstverständlich, daß cs richtiger ist, die Wäh. rung auf ein Metall, und zwar auf das kostbare zu stüßen, als auf zwei, deren Relation sich auf dem Weltmarkt jeden Augenblick andern kann. Die üblen Folgen der Doppelwährung aus Anlaß der Ueberproduction an Silber sind ja in Amerika augenscheinlich. Auf die Dauer is es eben unmöglich, zwei Metalle nebenein- ander zum Maßstabe aller anderen Werthe zu machen. Was der Abg. Graf Mirbach erklärte, licß die Deutung zu, daß die Doppelwährung einzig im Interesse des Großgrundbesitzes liegt. Ueber die russishe Währung ist Deutschland nicht Herr. Die Schwankungen der russishen Valuta werden bleiben, gleichviel, welche Währung wir haben. Die Schwankungen würden aber erheblich geringer werden, der Nubelcurs erheblih steigen, wenn der Abg. Graf Mirbach und seine Freunde dem Handelsvertrage mit Nußland zustimmen wollten. Anerkannt muß werden, daß zur Zeit in Deutschland eine starke bimetallistishe Strömung vorhanden ist, ein praktischer Versuch auf diesem Felde könnte aber sehr leiht das Unreelle an die Stelle des Soliden seßen; auf keinem Gebiet verbieten sich Experimente fo sehr als auf diesem.

Abg. von Kardorff (Rp.): Mit so allgemeincn Bemerkungen, wie: „cs ist sonnenklar, es leuchtet jedem Unbefangenen ein, daß die Goldwährung das cinzig Richtige ist,“ können wir nichts anfangen. Auch die Goldwährungsleute in England haben zu- gegeben, daß durch die Silberentwerthung ein Druck auf die Preife ausgeübt ist. Nach der Aufdeckung der fkaliforuishen Goldfelder stieg die Goldproduction um das Vierfache und der Gedanke wurde damals ernsthaft erwogen, Gold zu demonetisiren und Silber zum einzigen Währungsmetall zu machen. Der Abg. Büsing hat ein großes Interesse an der Goldwährung, weil die Banken und die Banquiers ein großes Interesse an ihrer Aufrechterhaltung haben. Daß wir unsere Zustimmung zur Militärvorlage von dem Eingeben der Negierung auf die Doppelwährung abhängig machen, wie behauptet worden ift, muß ih zurückweisen. Man behält sich bis zur dritten Lesung bekanntli alles vor.

Abg. Dr. Bamberger (dfr.): Ich halte solhe Währungs- debatten nah wie vor für ganz zwecklos, da Controversen, welche feit 20 Jahren und länger mit allen Finessen der Gelehrsamkeit diëcutirt werden, hier nicht entschieden werden können. Die Herren erklären die Sache immer für so leiht, daß sie auch der Bauer verstehen könne; ein andermal wieder berufen sie sih auf die gelehrtesten Autoritäten, wie den Professor Cernuschi und jeßt den Abg. Fried« berg. Bauer oder Professor an wen sollen wir uns denn nun halten? Wer giebt denn dem Abg von Kardorff die Unfehlbarkeit, den Werth dieser Autoritäten zu entscheiden? Auth ih könnte ihm eine Reihe von Autoritäten zur Stüßzung meiner Meinung citiren. Dem Abg. Merbach will ih die Freude an seiner Berg- mannsrede durch meine Kritik niht verderben; cs war eine hbsche Nede, die aber zur Lösung der Währungsfrage in der Welt nicht beitragen wird. Der Abg. Graf Mirbach ist gewiß des guten Glaubens, daß er mi persönlich sehr an- standsvoll behandelt. Er hat geglaubt, ich hätte mich seiner Zeit für die Einführung der Goldwährung im Deutschen Reiche bestimmen lassen durch die besondere Qualität, die ih als Jude hätte. Jch habe die beste, günstizste Meinung von seinen Absichten. “Aber wenn ih die deutshe Sprache verstehe, fo sagte er: Die Juden sind natürlich für ‘die Goldwährung; der Abg. Dr. Bamberger ist Jude; folglich für die Goldwährung. Ich habe noch selten in confessionellen Fragen hier das Wort genommen, aus einem einfahen Grunde. Wenn inan hier von Juden spricht, so ist das entweder die Frage der religiösen Ueberzeugung oder Agitation. Es is meine unerscütterliche An- sicht, daß Erörterungen über religiöse Ueberzeugungen hier fehr ge- \{chmadcklos sind. Das i} eine Thatsache des inneren Bewußtseins. Man sollte hier niht darüber sprehen, ob jemand an das Alte Testament glaubt oder nicht. Nun frage ih den Abg. Grafen Mir- bah, ob er glaubt, daß jemand, wenn au nur unbewußter Weise, hier unter einem gewissen Druck handelt, indem er die Interessen einer besonderen Klassen- oder Glaubensgemeinschaft vertritt. Hält der Abg. Graf Mirbach eine solche Meinung für anständig und hält er einen Vertreter des Volkes für unzurehnungsfähig, hier sein Amt auszuüben, wenn er sih niht Nechenschaft geben kann, wie weit er von O Motiven in solchen Dingen getrieben wird? Was mich persönlich betrifft, so bin ih seit 25 Jahren neun, mal in den Reichs- tag gewählt. Meine Wähler haben aber nie daran gedacht, ob ich als Jude oder Christ gewählt bin. Ih bin als Deutscher von Deutschen gewählt. Die große Mehrzahl meiner Wähler sind nicht einmal Juden. Wie kommt der Abg. Graf Mirbah dazu, zu glauben, daß ich mich betrahte als gewählt für die Vertretung der Interessen des Judenthums? Jch bin auf dem Wege der Erfahrung nah einem weiten Bildungsgange zu meinen An- shauungen in wirthschaftlihen und politischen Dingen gekommen. Glaubt der Abg. Graf Mirbach, daß in diesen Dingen es eine jüdische und cine nichtjüdishe Wissenschaft giebt 2* Ih muß mich wundern, daß ein Herr seines Berufes cinem Collegen, den er seit langen Jahren kennen müßte, Gedanken unterschiebt, die ih nur als außerordentlich niedrige bezeihnen kann. Der Kampf für und gegen die cinfache Goldwährung datirt aus dem Jahre 1867. Unter Napoleon Ul. wurde ein freier Congreß nah Paris berufen, der von Vertretern ver- schiedener Staaten beshickt war. Der Congreß erklärte ih charakte- ristish für die Goldwährung, von einer Unterscheidung zwischen Juden- thum und Christenthum war gar keine Rede. Wer mir damals in Deutschland gesagt hätte, daß im Jahre 1893 nah 25 jähriger Thätig- keit im Reichstage, mir jemand vorwerfen würde: ih, der i) doch keine materiellen Vortheile suchte, noch zu gewinnen vermochte, hätte gegen meine wissenschaftlihe Ueberzeugung und in meinem Stammesberoußt- sein für die Goldwährung gestimmt, den hätte ih für den thörichtesten Lügner gehalten. Ich danke Gott, daß ih damals davon noch keine Ahnung gehabt habe. Wie doch die Zeiten in Deutschland zurück- gehen! Wenn ih damals gewußt hätte, welche bittere Enttäuschung mir noch bevorstehen würde dadurch, daß ih hier in dieser bohen Ver- sammlung, nachdem ih mich fo lange bemüht habe vielleicht bin ih manchmal einigen Herren zu heftig zu nahe getreten, aber ih habe cs immer wieder gutzumachen gesuht —, wenn ih jemals gedacht hätte, daß ih nach so langer Zeit, wo ih unabhängig und unbe- fümmert um irgend sonst etwas in der Welt mich bemüht hatte, mir so etwas an den Kopf geworfen würde in dieser

me'ner Lieblingsfrazge, in der ich _mich biéher mit besonderer Neigung und eifrigen Studien bemüht babe, daß mir fo eng- herzige Motive untergelegt würden: ih bätte die {hönsten Jahre zmeines Lebens vor Eintritt dieser verderblihen Richtung nicht ge- nossen. Worin hat es ih denn gezeigt, daß hier specifish jüdische Interessen im Spiele sind? Der Abg. Graf Mirbach hat gcsagt, die Suden haben den größten Theil des beweglichen Vermögens. Nun, in der ganzen Welt giebt es fünf bis sieben Millionen Juden. Ein fehr hoher Prócentsaß der Juden ledt in Rußland, and es ift dies die ärmste und unglücklichste Bevölkerung, die es giebt. Ju Deutsch- land wohnen 500 000 bis 600 000 Juden, auch eine Anzabl reicher Juden, ih will zugeben, verhältnißmäßig mehr als unter den andern Confessionen; aber daß die größere Anzahl der Juden arm ift, wird nir kein Mensch befkreiten, Gehen Sie nur aufs Land hinaus und sehen Sie, wie sih die armen Juden plagen müssen; oder fragen Sie einmal na, wie viel arme Juden in Berlin sind. Wie verhält sich aber das Judenthum zu dieser Agitation ? Jch bin vielleicht der einzige Jude, der fo entschieden für die Goldwährung eingetreten ift. Das große Haus Nothschild êist entschieden bimetallistisch gesinnt, und es hat immer für die Doppelwährung gearbeitet. Als ¡h im Jahre 1879 gegen die Sistirung der Silkerverkäufe spra und darauf an- spielte, daß der englishe .Gencral-Konsul Herr von Bleichröder bimetallistisch gesinnt sei, antwortete mir Fürst Bismarck: er gebe zu, Bleichröder sei Bimetallist, aber das habe auf ibn gar keinen Einfluß. Große Firmen, welche mit Edelmetallen handeln und ein viel größeres Inkeresse an der Doppelwährung haben als dic Be- amten, sind jüdische Häufer. Und Moritz Levi, für dessen Borschlag der Abg. Graf Mirbach eingetreten, ist doch au Jude. Selbst die Gegner geben zu, daß Deutschland seiner Zeit zur Goldwährung übergehen mußte, wenn ihm nicht andere Staaten zuvorkommen follten. Als 1891 in Amerika mit den kolofsalsten Anstrengungen eine Erhöhung des Silberpreises erreicht wurde, schrieb der Abg. Graf Mirbach in einer öffentlichen Erklärung: durch das Borgehen Amerikas sei die Frage gelöst, und er sah sich schon im Geiste, wie er als alter Makn sih auf feine Güter zurückzog und si freute, daß nun die Doppelwährung auf beiden Hemisphären gelte. Die fonderbarsten Widersprüche hören wir hier von gden Bimetallisten. Jch erinnere nur an den Widerspruch des Abg. Grafen Kanitz mit sich selbst in der Frage, ob Deutschland mit der Dopyelwährung allein vorgehen sollte oder nicht, auf welchen ihn der Abg. Dr. Barth an der Hand der Erklärungen des Abg. Grafen Kaniß in dem Blatte „Der Kampf um die Währung" festnagelte, sodaß ihm der Abg. von Kardorff mit dialektisch geschickten Zusfammenstellungen von Wenn und Aber zu Hilfe kommen mußte. Jüngst behauptete Abg. Arendt im Abgeordnetenhause, die Sistirung der Silberverkäufe 1879 durch den Fürsten Bismarck sei nicht durch eine Agitation der Bimetallisten erfolgt, sondern diesem ganz über- raschend gekommen. Derselbe Dr. Arendt hat aber 1389 auf dem Wüährungscongreß in Pa1is, wo er erschien, um im Namen des Abg. von Kardorff Erklärungen abzugeben oder, wie cr auch manchmal sagte, im Namen Deutschkands erklärt, wenn die Doppel- währung eingeführt würde, sei Deutschland bercit, den Freihandel einzuführen, und die Sistirung der Silberverkäufe als ein Berdienst der Bimetallisten in Anspruch genommen. Die Frage hier in theoretishen Colloquien zu lösen, ist vergeblihe Mühe. Die Brüsseler Conferenz war keine bimetallistishe, sondern eine Zu- fatnmenkunft, welche das' Problem der Hebung des Silberpreises löfen wollte. Was jeßt im englischen Unterhause geschehen ift, hat mit einem Umschwunge der öffentlichen Meinung in England oder mit einem Siege des Bimetallismus nichts ¿u schaffen. Die Agrarier find von Hause aus - gar niht Silberfreunde; sie find eingespanut tworden von den Silberleuten. Die Bewegung is von Amerika aus- gegangen und ist über Frankreih nah Deutschland gedrungen. Die Silberleute haben es hier crsst mit der colonialen Bewegung und dann, als es damit nichts war, mit den Agrariern versucht. Die Einführung eines um 25 9% entwertheten Metalls wäre gleihbedeutend mit dem freiwilligen Staatsbankerott! Wir haben schon verschiédene Staatsbankerotte erlebt; aber freiwillige Staatsbankerotte sind in der Weltgeschihte noch nicht dagewesen. :

Abg. Dr. von Frege (deons.) führt aus, daß Nothschild's Bimetallismus nicht gegen, sondern für die Bestrebungen der deutschen Dopyelwährungsleute \prehe; Rothschild habe immer nur gute (Heschäfte gemaht. Wenn nicht bald mit der Goldwährung ge- brochen wird, bricht die Katastrophe über Deutschland herein und stürzt scine ganze Landwirthschaft in den Abgrund. Werden denn die Herren nie aus der Geschichte lernen? Sehen Sie nicht, daß die ganze argentinishe Krisis eine Folge der Goldwährung ist? Wenn die Silberentwerthung weitergebt, wird die Krise nachtheilig auch auf Deutschland zurückwirken. Der Abg. Dr. Bamberger stellt es fo dar, als ob die Agrarier hier die Interessen amerikanischer Silberminenbesitzer vertreten, während er sich gleichzeitig dagegen: ver- wahrt, die Interessen des internationalen Kapitals zu vertreten. Nicht wir tragen die Klagen über die Silberentwerthung in das Land hinein, fondern die Klagen dringen überall immer verstärkter aus dem ganzen Deutschen Neich zu uns! Aus der kleinen agrarischen Vereinigung von früher is jeßt der großartige Bund der Land- wirthe geworden! e

Damit schließt die Discussion. Ln

Das Gehalt des Schaßsecretärs wird bewilligt. |

Um 61/4 Uhr wird die weitere Berathung auf Mittwoch | Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 52. Sißung vom 14. März.

Das Haus set die zweite Berathung des Gesehß- entwurfs über die Aenderung des Wahlverfahrens fort. Ueber den Beginn der Sißung ist in der Nummer yom

Dienstag bcrichtet worden. Jm weiteren Verlaufe der Be- rathung nimmt nach dem Abg. Freiherrn von Huene (Centr.), über dessen Nede bereits berichtet worden ist, das Wort

Abg. Parisius (dfr.): Wenn die Herren vom Centrum wirklih die plutokratishen Wirkungen der Einkommensteuer ver- hindern wollen, dann hâtten sie für unseren Antrag stimmen follen ; in die erste Klasse 5, in die zweite Klasse 15% der Wähler zu nehmen. W«as der Abg. Francke angeführt hat, sind ja curiose Dinge ; aber es is niht weiter {limm, wenn die Minister in der dritten Klasse wählen, vielleißt werden sie dadurch zu Gunsten der allgemeinen dirccten Wahl umgestimmt. Die (apacitätswahlen sollen ganz Europa bewegt haben. Doch nur in den Gelehrtenstuben und bei solchen Leuten, die die allgemeine Gleich- berechtigung niht anerfennen. Freilih wäre es ja sehr bequem, wenn man die höheren Beamten, Landräthe, Dzalerundad rästdenten u. f. w. in die erste Abtheilung brächte, vielleiht noch die Ab- geordneten mit Ausnahme der Freisinnigen und Socialdemokraten. Cs wäre gar fein Unglück, wenn ein paar Socialdemokraten hier er- Mienen; dann fönnten wir einmal die Klagen der nothleidenden Arbeiter mit den Klagen der nothleidenden Fideicommißbesißzer ver- gleichen. Wenn ih troßdem für die Streichung des § 2a bin, so liegt das taran, daß die Annahme zu einer ganz unbeschreiblichen Wahlkreisgeometrie führen würde. Es würde mögli sein, die ge- nehmen Wähler in den einen, die unangenehmen Wähler in den anderen Wahlbezirk zu bringen.

Präsident des Staats-Ministeriums, Minister des Jnnern Graf zu Eulenburg:

Meine Herren! Gestatten Sie mir, daß ih anfangen darf mit der Beleuchtung des Punktes, ven der leßte Herr Vorredner gegen Î 2a ins Feld geführt hat. Jch glaube, er befindet sih dabei doch in einer niht ganz zutreffenden Würdigung der Verhältnisse, die dabei

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in Betracht kommen. Er will für die Streich1.nz des § 2a stimmen deshalb, weil durch die Beibehaltung desselben die Möglichkeit gegeben würde, in tendenziöser Weise die Abgrenzung der Urwahlbezirke ein- treten zu lassen. Jch will mih in weitere Erörterungen, imvieweit das überhauxt geschehen ist oder in Zukunft geschehen könnte, nicht ein- lassen, sondern nur darauf hinweisen, daß nah dein bestehenden Regle- ment die Abgrenzung der Urwahlbezirke in Gemeinden von 1750 und mehr Seelen von tenfelben Behörden ges{Gießt, welche die Auf- stellung der Abtheilungen zu machen haben , also von den Gemeinde- behörden. (Sehr richtig! rets.) Wenn der Herr Abgeordnete diesen eine besondere Geometriekunst bei der Abgrenzung der Urwahlbezirke zutraut oder unterstellen will, so muß ih ihm das überlassen. Jh würde aus diesem Umstand eine besondere Besorgniß nicht herleiten. Fch glaube nämli, daß eine Abgrenzung der Urwahlbezirke in fünst- liherer Weise, als es nah den gegenwärtig bestehenden Vorschriften {hon der Fall scin könnte, nicht geshehen wird, und auch kein be- sonderer Anreiz dazu vorliegt. Im Gegentheil, ih möchte glauben, daß, so lange die Bestimmung besteht, daß ausnahmsweise, wo nah der Abtheilungsbildung ein Wähler erster oder zweiter Klasse nicht vorhanden ist, eine besondere Drittelung eintreten muß, der Anreiz viel größer ist, von vornherein die Urwahlbezirke so zu bilden, daß solhe Fälle niht vorkommen. Also den Grund würde ich für durh- greifend niht erachten.

Es fommt nun darauf an, was im übrigen für und gegen den S 2a angeführt worden ist. Es ist gewissermaßen der Regierung ein Vorwurf daraus gemacht worden, daß sie diese Bestimmung in das Gesetz aufgenommen hätte. Denn der § 2a erscheint gegenüber der Regierungsvorlage nur als eine Abänderung der Gestalt; in der That war er in der Negierungsvorlage enthalten, weil die Regierungs- vorlage davon ausging, die Bestimmungen des Gesetzes vom 24, Juni 1891 aufreht zu erhalten, deren eine eben der Inhalt des § 2a ift. Nun, meine Herren, was war der Grund, warum die Regierung diese Bestimmung aufgenommen hat? Es ift geschehen, weil sie sich fagen mußte und dies ist auch als ‘richtig von dem Herrn Abg. Frauke anerkannt worden daß es eine gleich wirksame Bestimmung kaum giebt, um in den großen Städten eine Herab- ininderung des überwiegenden Einflusses der ganz großen Vermögen herbeizuführen, und da dics nach der Lage der Sache und nach den Intentionen dieses Gesetzes der hauptsächlich zu verfolgende Zweck war, so hat die Regierung geglaubt, bei der Bestimmung dcs Geseßes vom 24. Juni 13891 ftehen bleiben zu müssen. Jch bin auch der Meinung, daß die Folgen, welche sih aus dem Gesetze ergeben, allerdings die sein werden, daß die Ungleichmäßigkeiten, welhe in der Abgrenzung der Abtheilungen in den großen Städten hervortreten, sh noch steigern werden: aber neu schaffen weiden sie dieselben nicht; sie bestehen bereits in ganz gleicher Weise da, wo in einzelnen Urwahlbezirken nach der allgemeinen Abtheilungsbildung Urwähler erster oder zweiter Klasse sich nicht befinden und danu die Drittelung in den Urwahlbezirken, wie sie im 8 2a allgemein vorgesehen ist, erfolgen muß. Und das will ih noch hervorheben: gerade das sind die krassen Fälle nah der einen Rich- tung hin, die der Abg. Franke hervorgehoben hat; das sind die Stadt- theile, in denen größtentheils nur minder bemittelte Bevölkerungs- flafsen leben, und in denen infolge dessen Urwähler erster und zweiter Abtheilung nicht vorhanden sind und die Nothwendigkeit der beson- deren Drittelung eintritt. Jch will zugeben: nah der anderen Rich- tung hin werden diese krassen Fälle, hinsihtlich deren die Minister, welhe in der dritten Abtheilung wählen, als eclatante Beispiele angeführt werden, \sich noch vermehren. Das läßt sich nicht leugnen: die Fälle, daß in dem einen Urwahlbezirk jemand mit einem hohen Steuerbetrage in der zweiten Klasse zu: wählen hat und in einem anderen Bezirke jemand mit einem viel geringeren Steuerbetrage in der ersten Abtheilung, werden sih etwas vermehren ; und ih gebe zu, daß das niht wünschenswerth ist. Jch kann auch nicht für richtig halter, daß man dies auf gleiche Linie stellt mit den großen Ungleichmäßigkeiten, welche die Durchführung des geltenden Wahlsystems überhaupt herbeiführt; denn da besteht der sehr große Unterschied, daß es dort verschiedene Gemeinden sind, in welchen die Ungleichheiten sih ergeben, während in diefem Fall es ein und die- selbe Gemeinde ift, in der solhe großen Berschiedenheiten eintreten. Ich gebe vollständig zu, daß es wünschenswerth und erstrebenswerth ist, diesen Uebelstand zu beseitigen. Dazu würde aber nicht allein ge- hören, daß man den § 2a streiht, sondern man würde dann noch cinen Schritt weiter gehen müssen und die Bestimmung beseitigen, wonach in den bereits von mir angeführten Fällen eine nahträgliche Drittelung der Urwahlbezirke stattfinden muß; eine solle müßte dann in Zukunft niht mehr stattfinden und statt dessen man si damit be- gnügen, daß in der einen oder anderen Abtheilung die Wahlen nicht stattfindèn können und die Wahlmänner ausfallen. Also ganz genügen würde die Streichung des § 2a nicht, wenn ih auch zugebe, daß eine Besserung eintreten würde. Aber umgekehrt würde die Streichung herbeiführen, daß die Herabminderung des Einflusses der großen Ver- mögen in geringerem Maße eintreten würde.

Meine Herren, man kann üker das Maß der Wirkungen nach der einen oder anderen Seite verschiedener Meinung sein; es läßt sich das sehr {wer gegen einander abwägen. Jn meinen Augen würde aber dieses Moment nicht das entscheidende sein. Wäre es möglich, über die Frage: ob der § 2a beibehalten werden foll oder nit, eine allgemeine Verständigung herbeizuführen und dadurch zu erreichen, daß für das ganze Geseß mit einer sehr großen Majorität die Zustimmung erfolgte, dann würde ih die Frage : ob nach der einen oder anderen Richtung dieser Punkt entschieden wird, für untergeordnet * und das andere Resultat für bei weitem werthvoller halten.

Meine Herren, es ist nun viel darüber gesprohen worden, ob man durch ein Compromiß von vor zwei Jahren oder dur eine Abmachung von heute nach der einen oder anderen Nichtung gebunden sei, Soviel ih sehen kann, besteht cine absolute Bindung in dieser Beziehung nicht, fondern es würde möglich sein, au auf einer anderen Basis zu einer Einigung zu kommen, vorausgesetzt, daß die Herren die Absicht dazu haben. Ich glaube deshalb, es ist niht nüßlich, daß man sich in der Weise Vorwürfe macht, ob die Zustimmung oder Ablehnung zu § 2a eine Abweichung von der Abmachung sein würde.

Meine Herren, dies führt mich auf das Letzte, was ih zu sagen habe. Es is au von dem letzten Herrn Vorredner in sehr nicht- achtenden Ausdrücken von der ganzen Arbeit gesprohen worden, welche hier gegenwärtig vorliegt, und der Herr Abg. Freiherr von Huene hat dem geseßgeberishen Werk, an dem wir arbeiten, nur einen ganz proviforishen Charakter beigelegt. Nun, meine Herren, wir elbst haben in der Begründung des Geseyzentwurfs darauf hingewiesen, daß

in der Entwickelung unserer Gefeßgebung Momente vorliegen, welche dazu führen, daß wir namentlih in Beziehung auf die Anrehnung der Communalsteuern nicht mit voller Sicherheit die Wirkungen, die das Geseg haben würde, übersehen können. Aber ich hoffe der Herr Freiherr von Huene wird mir darin beistimmen, und der leßte Herr Vorredner wird es \{chwerlich bestreiten können —, wir werden dur den legislativen Act, den wir zu machen im Begriff stehen, etwas bestimmen, was weit hinausgeht über eine provisorische Maßregel. Wir werden eine von einer sehr großen Majorität ge- gebene Kundgebung dafür haben, daß wir auf dem Boden unseres bestehenden Wahlsystems stehen bleiben wollen. (Bravo! ‘rechts.) Auf dieser Grundlage, meine Herren, kann man nah. der einen oder anderen Richtung Modificationen machen „und diesen einen mehr oder weniger provisorischen Charakter beilegen wollen ; die Hauptsache bleibt der Beschluß, den ih bezeichnet habe. Und, meine Herren, wenn man die Sache so auffaßt, dann; glaube ih, darf man nit in gering- shäßendem Sinne sprehen von elendem Flickwerk oder, höflicher ausgedrückt, von Neparaturarbeit. Wenn man ein Gebäude der Neparatur für werth hält, dann seßt man damit seine Standfestigkeit voraus, und es kommt nur darauf an, daß die Reparaturen \o ge- macht werden, daß das Gebäude niht verunstaltet, sondern in seiner Standsfestigkeit gestärkt wird. Jn diesem Sinne bitte ih Sie, Ihre Beschlüsse zu fassen. (Bravo!)

Abg. Dr. Bachem (Centr.): Wir haben in der Commission den Antrag eingebracht: in die erste Klasse 10, in die zweite 2099 der Wähler zu nehmen; aber der Vertreter der freisinnigen Partei hat dreimal gegen den Antrag gestimmt. Hier im, Plenum wird aver Uner Antrag von __ den Freisinnigen aufgenommen. Zu Wahlkreisgeometrien wird der § 2a allerdings Anreiz geben, aber niht auf dem platten Lande, fondern nur in ‘den großen Städten und namentlih in Berlin. Nicht die Landräthe werden Wahlkreiëgeometrie treiben, sondern die freisinnige Stadtverwaltung. Die Freisinnigen haben also Gelegenheit, zu beweisen, daß sie so gerecht - sind, daß sie die Gelegenheit versäumen, Wahlkreisgeometrie zu treiben. Daß in den größeren Städten Krefeld oder Köln u. \. w. jeßt hon die Gefahr naheliegt, daß Socialdemokraten gewählt werden, kann ich nah meiner Kenntniß der Berhältnisse nicht glauben. Und wenn wirkli ein Socialdemokrat gewählt werden follte, wir verzichten darauf, auf dem Wege des Wahlgeseßes die Socialdemokraten zu bekämpfen; das muß geschehen dur die Aenderung der socialen Verhältnisse des Landes. Wir werden uns durch solche Persvective nicht veranlaßt fühlen, etwas zu unterlassen, was wir für vernünftig halten, was seit Jahren besteht und dazu gedient hat, das Wahlrecht der unteren Klassen zu stärken. Wir werden an dieser Bestimmung festhalten müssen, bis ein neues, grundlegendes Wahlgeseß kommt. : i :

Abg. von Eynern (nl.) bleibt dabei, daß die Bestimmung des §2a im Einkommensteuergeseß nur eine provisorische gewesen fet; und auch die Regierung habe den Wunsch, diese Bestimmung verändert zu sehen. Gegen die plutokratishen Einflüsse sei die Steuergrenze von 2000 A cingerihtet; dadur würden cine Menge Wähler dritter Klasse in die zweite, und zweiter Klasse in die erste Klasse ge- braht. Der Z 2a folle die Herrschaft der Centrumspartei in gewi jen Wahlkreisen befestigen; aber er glaube, die Sachen vershöben fich hon jeßt so, daß die Centrumsherrschaft bald von den Socialdemo- kraten werde zerstört werden. Medner glaubt, daß seine Freunde bereit sein würden, die Steuergrenze von 2000 4 zu genehmigen, wenn dafür der § 2a beseitigt würde. Darüber würde wohl eine Einigung zu erzielen sein. Wenn das Centrum aber ein Wahlgeseß machen wolle, das einen parteipolitishen Anstrich habe, so werde seine Partei nicht dazu mithelfen, U i

Abg. Freiherr von Zedlitz (freiconf.): Der § 2a durhbricht den Grundgedanken des Dreiklassenwahlsystems, daß în der ersten Ab- theilung die Neichsten, in der zweiten Abtheilung der Mittelstand, in der dritten Abtheilung die minder Wohlhabenden wählen follen. Bei der Schaffung der provisorischen Maßregel wollte der Abg. von Huene die plutokratishen Wirkungen der Einkommensteuer beseitigen. Jeyt wird dafür eine andere Maßregel vorgeschlagen : die Steuer- grenze von 2090 4 und die anderweitige Eintheilung der Klassen niht nach drei gleichen Steuertheilen, sondern nah verschiedenartigen Steuertheilen. Dem gegenüber auch noch die besondere Klassenein- theilung in den Urwahlbezirken aufrecht zu erhalten, ist doch wohl nicht angänglih, Welche Ziele das Centrum verfolgt, “hat seine Zu- stimmung zu dem freisinnigen Antrage wegen Einführung des all- gemeinen direkten Wahlrechts gezeigt. Es handelt sich hier nur um eine Abschlagszahlung und zwar nur für eine kurze Zeit, denn der Abg. von Huene hat ja davon gesprochen, daß wir bald zu einer grund- fäglihen Aenderung des Wahlsystems kommen werden.

Abg. Parisius (dfr.) weist darauf hin, daß der Antrag des Centrums, den der freifinnige Vertreter in der Commission abgelehnt haben soll, dahin ging, daß in Stadtgemeinden und in Landgemeinden über 10 000 Einwohner in der ersten Klasse und zweiten Halle fo und so viel Wähler sein müssen, Gegen einen solhen Antrag hätten alle Freisinnigen gestimmt, weil sie keinen Unterschied zwischen Städten und dem platten Lande wollen. Eine Wahlkreisgeometrie für Berlin habe Redner niemals befürchtet, wohl aber in anderen Gemeinden. j ; L | :

Jn namentlicher Abstimmung wird § 2a mit 182 gegen 142 Stimmen angenommen. Dafür stimmen die Conservativen, das Centrum und die Polen, dagegen die Freisinnigen, Nationalliberalen und Freiconservativen.

S 3 lautet:

„Jn den Stadt- und Landgemeinden, in welchen die Bildung der Wählerabtheilungen für die Wahlen zur Gemeindevertretung nach dem Maßstabe directer Steuern stattfindet, werden diese Ab- theilungen fortan allgemein in der durch die 8 1 bis 2 für die CAIE N zum Hause der Abgeordneten vorgeschriebenen Weise ge- ildet."

Abg. Freiherr von Zedlitz Co) beantragt, den Schluß des § 3 folgendermayen zu fassen :

„mit der Maßgabe gebildet, daß mit Ausnahme des in § 2 gedachten Falles die Eintheilung in die Abtheilungen nah Maßgabe der zu entrichtenden Staats-, Gemeinde-, Provinzial- und Kreis- steuern erfolgt.“ L

Ferner soll hinzugefügt werden:

„Unberührt bleiben die Bestimmungen der Gemeindeverfassungs- gefeße, nah denen die Ausübung des Wahlrechts an die Entrichtung bestimmter Steuersätze geknüpft werden kann.“ -

Abg. Graf Clairon d'Haussonville (cons.): Der zweite Theil des Antrags von Zedlitz füllt eine Lücke im Gesetz aus, die au in der Commission empfunden wurde, und drückt aus, daß das be- stehende fubjective Wahlrecht für die Communalwahlen nicht geändert werden foll. Für LaO Theil des Antrags werden wir also stimmen, nicht aber für den ersten Theil, der für die Communalwahlen sowobl die Marimalgrenze von 2000 & , wie die fictiven Steuerbeträge be- seitigt. Diesem Gedanken können wir nicht folgen, er widerspricht auch der ausgesprochenen Absicht der Regierung, politishe und com- munale Wahlen nach gleihen Grundsäßen zu regeln. Wir bitten deshalb um eine getrennte Abstimmung über beide Theile des Antrags.

Abg. Dr. Bachem (Centr.): Der erste Theil des Antrags von Zedlitz bedeutet au nah meiner Auffassung, daß alle DLnegan gegen das Plutokratishe Uebergewicht, welche die Regierungsvorlage übrig ließ, weggestrihen werden sollen. Wenn Nationalliberale diesen Antrag mitunterzeichnet haben, so bedeutet das, daß ihre Partei mit an der Spitze für die Plutokratie marsehirt. Für den zweiten Absatz Natue fann* ih hingegen stimmen, da er lediglich declarativer Natur ift.

Abg. Freiherr von Zedliß (freicons.) empfiehlt seinen Antrag,

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