1893 / 161 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 08 Jul 1893 18:00:01 GMT) scan diff

wand, daß die allgemeine Wehrpfliht in einer das Volk \{chädigenden

__ Weise durhgeführt werde, kann nicht mehr festgehalten werden.

: Es ist uns dann vielfah der Einwand entgegengetreten: aber wenn ihr uns versichert, daß die äußere Lage keine gespannte sei, warum die Eile? Wartet doch noch, bis es so weit sein wird! Es ift das ein Argument, das im Wahlkampf vielfah verwerthet worden ist. Ich glaube nit, daß es den Herren, die es verwerthet haben, ernst damit gewesen ift. Wir wollen jährlich mehr Rekruten ein- Fellen, um einen stärkeren Beurlaubtenstand zu haben, damit wir, wenn wir die Armee brauchen, über stärkere Kräfte verfügen können. Es ift oft genug gesagt worden, wir wollen vorbeugen und deshalb die Cadres vermehren. Wenn gesagt wird: wartet, so ist das un- gefähr so, wie wenn Menschen, die in der Nähe eines Flusses wohnen, der von Zeit zu Zeit gefährlih wird, nachdem sie gehört haben, daß außerhalb ihrer Grenze sich Wassermassen ansammeln, sagen wollten : wir wollen warten, bis das Wasser zu uns kommt, dann wollen wir den Damm verstärken. Jch glaube nicht, daß das klug, und auch nicht, daß das billig sein würde. Wir können niht warten, bis die Fluthen von außen her über unsere Grenzen einbrehen. Wir haben die Pflicht, Deutschland zu s{chüßen, und wir können das nur, wenn wir bei Zeiten Vorsorge treffen.

Es if dann einer der übrigen Einwände gegen die Vorlage ge- wesen: die verbündeten Regierungen gewährten zwar die zweijährige Dienstzeit, aber diese sei nicht festgelegt. Die verbündeten Regierungen Haben sich von Hause aus auf den Standpunkt gestellt, daß sie eine Nerfassungsänderung zu Gunsten der zweijährigen Dienstzeit abweisen müßten. Es sind die Gründe dafür hier und in der Commission oft genug angeführt worden; Gründe dahin gehend, daß die Verfassung Rechte und Pflichten nur im allgemeinen begrenzt, . daß die Dienstzeit eine sehr vielgestaltige bei uns i} und diese Gestaltung in einem Werke, wie die Verfassung, \chwerlich zum Ausdruck gebracht und bis ins einzelne normirt werden fann. Die Vorlage, wie sie Ihnen gemacht wird, ist ein Beweis dafür, daß der Play für Festlegung der veränderten Bestim- mung unmöglich die Verfassung sein kann. Denn wenn Sie sich das ansehen wollen, so werden Sie finden, daß das mit wenigen Worten nicht zu erledigen ist. Da waren Bestimmungen nöthig über die Be- Handlung des dritten Jahrgangs, Auswanderung, über alle möglichen Dinge, die zweifellos nicht in die Verfassung gehören. Soviel ih sehen fann, ist der Ruf nah Uebernahme der Veränderuug in die Berfassung aber auch erheblich s{chwächer geworden und findet nur noch wenige Stüßen.

Dagegen hat man „geseßlihe Festlegung“ als Stihwort auch bei den Wahlen gebrauht. In der ersten Vorlage, die die verbün- deten Regierungen machten, haben sie {hon die Absicht gehabt, gescßz- lih zum Ausdruck zu bringen, daß sie gewillt wären, auf fünf Jahre an der zweijährigen Dienstzeit festzuhalten. Es hieß da: dieser Dur(hschnittsstärke liegt die Vorausseßung zu Grunde, daß die Mannschaften der Fußtruppen im allgemeinen zu einem zweijährigen activen Dienst bei der Fahne herangezogen werden sollen. Man hielt diese Fassung für zu unsicher, zu fließend und verlangte eine größere Präcisirung. Es is zuzugeben, daß die Ausdrucksweise in einem [egislatorishen Werk eine ungewöhnlihe war, und die verbündeten Negierungen sind unbedenklich darauf eingegangen, ihren Absichten cinen festeren Ausdruck in geseßliher Form zu geben, indem sie in die neue Vorlage aufgenommen haben :

Während der Dauer der Dienstpfliht im stehenden Heere sind die Mannschaften der Cavallerie und der reitenden Feld-Artillerie die ersten drei, alle übrigen Mannschaften die ersten zwei Jahre zum ununterbrochenen Dienst bei den Fahnen verpflichtet.

Klarer, bestimmter kann meines Dafürhaltens nicht ausgedrüdkt werden, daß auf fünf Jahre die zweijährige Dienstzeit bei den Fuß- truppen geseßlich festgelegt ist. Aber den Herren, die den Nuf nach geseßlicher Festlegung am lautesten werden ließen, kam es hierauf au weniger an; sie hatten den Wunsch, die zweijährige Dienstzeit auch über fünf Jahre hinaus festzulegen.

Es if das nah meiner Ansicht eine Frage von theoretischhem Werth; denn, wenn, wie die verbündeten Regierungen mit Sicherheit annehmen, die zweijährige Dienstzeit sh bewährt, unter Gewährung der Compensationen, die wir gefordert haben, so wird keine Regierung daran denken können, nah fünf Jahren auf die dreijährige Dienstzeit zurückzugehen; denn wir würden dann den Zweck dieses Geseßes, die Verstärkung unserer Wehrkraft, selbst wieder annulliren. (Sehr richtig !)

Auf der anderen Seite kann nach meinem Dafürhalten keine Volksvertretung, wenn wider alles Erwarten dieses Geseß nicht die Wirkung haben sollte, die wir vorausfeßen, wenn sih tehnisch-mili- tärishe Schwierigkeiten herausstellen sollten, die die Sachverständigen zu dem Urtheil führten : mit der zweijährigen Dienstzeit geht es nicht, fann keine Volksvertretung dann noch behaupten: die zweijährige Dienstzeit muß aufreht erhalten werden. (Sehr richtig! rechts.) So vaterlands\hädigend kann keine Volksvertretung handeln. Es würde dann also von neuem zwischen den verbündeten Regierungen und Ihnen in Berathung eingetreten werden müssen, wie dann die Sache zu ändern wäre.

Solche Dinge, wie die, ob sich die zweijährige Dienstzeit bewährt oder ob sie sich niht bewährt, kommen bei unserer Wehrverfassung zur Kenntniß so vieler Kreise, daß au die Besorgniß, die Regierung Tönne dann vielleicht niht ganz offen gegen Sie sein ein Einwand, zu dem die Regierung Ihnen, glaube ih, noch keinen Anlaß gegeben hat —, nit begründet ist, Es würde eben offenkundig werden: es geht oder es geht nicht.

Also, ob das auf fünf Jahre gegeben wird oder niht, hat nah meinem Dafürhalten für keine Partei auch nur den mindesten prak- tishen Werth. Was aber für uns praktishen Werth hat, das ift, daß wir die Compensationen, die wir gefordert haben, haben müssen? wenn die zweijährige Dienstzeit weiter dauern soll. Wir können die aweijährige Dienstzeit, wie das unzählige Male erörtert worden ift, nit geben ohne diese Compensationen.

Wir haben den Zeitraum auf fünf Jahre beschränkt, Wir hatten ein Septennat; einige Parteien würden gern an dem Septennat fest- gehalten haben. Wir find auf fünf Jahre übergegangen einmal der Gleichheit der Perioden der Sitzungen dieses Hauses wegen, der Volks- z¿ählungen wegen, dann aber auch, weil wir der Meinung waren : fünf Jahre sind das mindeste , dessen wir bedürfen, damit die neuen Maß- xegeln sich einleben und in das Blut der Armee und der Bevölke- rung übergehen. Ich sehe also niht ein, wie man so großen Werth darauf legen kann, eine geseßlihe Regelung vorzunehmen, die Yber fünf Jahre hinaus die Verhältnisse vorsehen und bestimmen soll,

und ih bin der Meinung: das, was die verbündeten Regierungen hier geboten haben, reiht für jede Partei vollständig aus. (Sehr gut! rets.) :

Ich wende mi nun der Deckungsfrage zu. Es ist bekannt, daß die verbündeten Regierungen die Vorlage von drei Steuergesezen unternommen hatten: der Börsen-, der Bier- und der Branntwein- steuer. Diese Gesetze sind zu einer gründlichen, abshließenden Berathung während der vorigen Session niht gekommen ; sie wurden an die Militär- commission gewiesen; sie sind lose behandelt, gestreift worden, der Gegenstand war- nit ers{chöpft. Indessen ‘es ließ sih wahrnehrnen, daß in der öffentlichen Meinung gegen einige dieser Steuern eine starke Opposition eintrat; die Opposition wuchs während der Wahlen. Ich kann nicht gerade sagen, daß wir neue Motive gehört Hätten; wir sahen aber, man mag diese Steuern nicht, und es ist ja zuzugeben, daß in Bezug auf die Besteuerung die öffentlihe Meinung ein erheb- lihes Gewicht in Anspru nehmen kann.

Wir haben diese drei Geseßentwürfe nicht wieder vorgelegt. Damit existiren sie niht mehr; sie gehören einer vergangenen Zeit an. Wir mußten uns aber sagen, daß nun es unsere Pflicht war, nach neuen Vorlagen zu suchen, nah anderen Steuerquellen; und im engsten Verein mit der preußischen Finanzverwaltung, Hand in Hand mit ihr, ist die Neihs-Finanzverwaltung vorgegangen und bestrebt gewesen, andere Steuerquellen zu finden. a

Wir haben drei Grundsätze hingestellt. Einmal wollen wir ver- suchen, die Börsensteuer, an der auch allerlei Bemängelungen gemacht waren, anders und ergiebiger zu gestalten. (Bravo! rets.)

Dann wollen wir versuchen, die Steuern, deren wir bedürfen, auf die leistungsfähigsten Schultern zu legen, die {chwächeren Kräfte zu \{honen. (Bravo! rets.)

Und endli wollen wir angesichts der {chwierigen Lage, in der die Landwirthschaft sich befindet, dana trachten, das landwirthschaftliche Gewerbe von neuen Steuern freizulassen. (Lebhaftes Bravo rechts, Lachen links.)

Nach diesen Richtungen sind wir vorgegangen.

Es ist ja begreiflih, daß bei dem complicirten Mechanismus des Reichs und bei der Schwierigkeit des Gegenstandes wir noch nicht in der Lage sind, Ihnen jeßt andere Vorlagen zu machen. Es werden noch Monate vergehen, bis wir so weit sind, daß ich im stande wäre, zu sagen: die verbündeten Regierungen haben die und die Absichten. Wir können darauf mit der Militärvorlage niht warten, weil die Zeit uns drängt; aber wir können Ihnen die Versicherung geben, daß wir thun werden, was wir thun können, um die Sache zu fördern. Wir können uns nit, und ich als Mensch, als Einzelner, als Beamter fann mich nicht über die Projecte jeßt äußern; denn ih weiß nicht, was der Bundesrath beschließen wird. Jh kann wohl wissen, was ih will; ich weiß, was die Verwaltungen wollen, die ih gehört habe; aber ih bin niht im stande, im Namen der verbündeten Regierungen, die jeßt einem Steuervacuum gegenüberstehen denn die alten Vor- lagen existiren nicht mehr, weil sie-nicht wieder eingebraht sind —, zu sagen, was sie wollen werden. Da könnten Sie mir sagen: dann sage Du uns doch, was Du denkt. Aber auch das kann ih nicht. Denn wenn ih das sagte, so würde wir haben ja da die Er- fahrung in reichlichstem Maße für uns bei jedem Wort, bei jedem Substantiv, was ih in Bezug auf Steuern als mögliche Quellen, nennte, das einen Sturm hervorrufen, der die Sache gerade \o ershlüge, wie er die vorige ershlagen hat. (Bewegung.) Also ih muß mir das versagen. Jch kann nur an Ihr Vertrauen appelliren, an Ihren guten Willen und an Jhren Glauben an uns. Nur auf diesem Wege können wir mit der Deckungsfrage weiter kommen.

Wir haben aber das dringendste Interesse, s{hnell vorwärts zu fommen, und zwar zunächst ein militärishes. Sie wissen, daß das Septennat abläuft, und wir stehen vor einem Vacuum am 31. März nächsten Jahres, wenn nihts zu stande fommt.. Wir find nicht einmal im stande, für den Etat 1894/95 eine Basis zu finden, wenn die jeßigen Zustände noch länger dauern. Wir würden, wenn wir die diesjährige Rekruteneinstellung, die im Oktober oder November erfolgt, versäumen, einen ganzen Jahrgang verlieren. Es ist den Herren ja bekannt, daß unsere Kriegsstärke aus einer Summe von Jahrgängen besteht, die bis in den Land- turm hinein sich aus einigen zwanzig zusammenseßt. Der künftige Jahrgang foll jeßt um rund 50000 Rekruten erhöht werden. Fallen uns diese 50000 Mekruten in diesem Jahte aus, so seßt sih ein Manco von 50000 Mann im Beurlaubtenstande fo lange fort, bis der nächste Jahrgang dermaleinst aus dem Beurlaubten- verhältniß ausscheidet. Also es würde ein Nichtzustandekommen der Vorlage in dieser Session gleihbedeutend sein mit einer erheblichen Schwächung unserer Wehrkraft.

Aber auch nah einer anderen Richtung würde die Wehrkraft ge- \{chwächt werden. Denn es ist einer der oft wiederholten, oft wider- legten Irrthümer, daß diese Vorlage nihts dazu thäte, um unsere Mehrkraft {on in der nächsten Zeit zu verstärken. Die älteren Herren, wenigstens die älteren preußischen Herren, werden fich entsinnen, daß früher Mobilmachungen bei uns damit anfingen, daß man zuerst eine Kriegsbereitshaft eintreten ließ: man kaufte Pferde für die Artillerie, man zog Beurlaubte ein, man erhöhte die Friedenspräsenzstärke, man schaffte Cadres für Ersaßbataillone, für Neuformationen. Genau das macht die Vorlage: sie schafft Cadres für vierte Bataillone, sie erhöht unsere Friedenspräsenzstärke, sie ver- mehrt unsere Artillerie, sie vermehrt unseren Pferdebestand.

Also ih habe das {hon einmal bemerkt, ich wiederhole es nur, weil diese Behauptung zu denen gehört, die unaufhörlih wieder- kehren und immer wieder mit demselben Aplomb vorgebracht werden es ift falsch, daß unsere Wehrkraft nicht sofort gewönne. Sie gewinnt; vierzehn Tage, vier Wochen, nahdem die Vorlage von Jhnen angenommen is, würden wir, wenn uns ein Krieg aufgezwungen werden sollte, anders in denselben eintreten, als ohne diese Vorlage.

Wir haben dann das Motiv, um eine baldige Erledigung der Vorlage zu bitten, daß die Bewegung, welche im Lande durch die Vorlage entstanden ift, endlich zur Nuhe kommt. (Sehr gut!) Wir stehen im Innern vor mancher s{hweren, sehr {weren Aufgabe (hört! hört!) und haben kein Interesse wenigstens die staatserhaltenden Parteien haben kein Interesse (Bewegung links), diese Unruhe zu ver- mehren. (Lebhafter Beifall rets.)

Wir haben ferner ein. wirths{chaftlißes Interesse, was uns wünschen läßt, mit der Sache zu Ende zu kommen. Denn unser Er- werbsleben gedeiht keineswegs unter der Unsicherheit über unsere Zu- kunft, unter der Unsicherheit, die mit der Frage verbunden ist: was wird aus der Militärvorlage werden? Im Gegentheil, diese Un-

siherheit hat die Folge, daß das Erwerbsleben {wer leidet ; und ih glaube, daß man nicht zuviel sagt: Das, was im Erwerbs- leben geopfert worden is durch die Unsicherheit, in der wir in Bezug auf die Militärvorlage leben, in der auch das bestellende Ausland in Bezug auf die Militärvorlage lebt, diese Unsicherheit wird uns ungefähr {hon so viele Millionen gekostet haben, als- die Annahme der Militärvorlage auf ein Jahr kostet. (Hört, hört! und Sehr richtig! rechts.)

Und nun endlich die leßte Rücksicht, die uns wünschen und bitten läßt, Sie mögen diese Vorlage bald annehmen, ist die Nücksicht auf das Ausland. Das wird niemand behaupten wollen, daß unser An- sehen im Ausland dur die Weise, wie die Verhandlungen über die Militärvorlage getrieben worden find, gewonnen hätte. (Sehr richtig !)

Dafür kann ih gewichtige Stimmen anführen. Das Ausland kennt die deutshe Art wenig; es weiß nicht, daß der Deutsche da, wo es sich nicht um Heimatkbsgefühle, sondern um Staatsgefühle handelt, langsam von Entschluß zu sein pflegt. Man legt uns ohne weiteres alles das, was hier geschieht ‘und was die Sache in die Länge zieht, als Shwäche aus; man legt es so aus, als hätten wir den Glauben an uns selbst verloren.

Ich bitte Sie deshalb, meine Herren, vereinigen Sie sih mit den verbündeten Regierungen, machen Sie diesem Zustand ein Ende und geben Sie Deutschland das, was es braucht, sich ruhig seines Daseins freuen und mit sicherem Blick in die Zukunft sehen zu können. (ŒÆbhafter Beifall.)

Abg. Payer (Vp.): Die Stellung der Volksvertretung zur Militärvorlage ist heute genau dieselbe wie vor zwei Monaten. Es wäre ein schwahes Compliment für die Regierung, wenn man sagen wollte, daß alles, was an Unsicherheit, Erwerbsshädigung, Haß und Aufregung in den leßten Monaten sich abgespielt hat, ‘vergeblich ge- wesen sein sollte; die paar Stimmen, auf die es heute ankommt, hätte man bei einigem Geschick auch vor zwei Monaten ebenso zu- sammenbekommen können, wie heute. Ein glänzendes Resultat für die Regierung ist bei der Abstimmung niht zu erwarten. Die Entscheidung des Volkes is nicht in ihrem Sinne ergangen, sondern in Uebereinstimmung mit der Haltunge des auf- gelösten Reichstags. Wer will bestreiten, daß die Mehr- zahl der Wähler sich gegen die Vorlage ausgesprochen hat? (Wider- spruch rechts.) Wer will bestreiten, daß die Mehrzabl der Gewählten

egen die Vorlage is ? (Widerspruch rehts.) Die Wenigen, die der Reichskanzler noch für die Vorlage gewinnen wird, find nicht für. sie, weil sie von ihrer Nothwendigkeit E find, sondern aus Gründen höherer Staatsklugheit und Weisheit. ie Regierung hat fi der JIllusion hingegeben, , daß aus einer Auflösung nothwendig ein Reichstag hervorgehen müsse, gefügig, der Regierung zu Willen in allen Dingen für eine lange Reihe von Jahren. Aber nie hat sie sich mehr getäuscht als diesmal. Die Regierung kann ja die Schlacht noh mit knapper Noth gewinnen , aber das politishe Spiel im ganzen hat sie verloren. Eine Summe lehrreicher Erfahrungen kann sie jedoh aus dem Wahlkampf entnehmen, aber ihre Neigung wird shwerlich groß sein, aus ihnen auch die rihtigen Consequenzen zu ziehen. Bei dem Wahlkampf ist eine scharfe Verbitterung gegen den neuen Curs zum Ausdruck gekommen, und zwar niht nur bei den Gegnern der Vorlage, sondern noch viel schärfer und deutlicher bei ihren Freunden. ill die Regierung aus dem Wahlkampf etwas lernen, so muß sie ihren Blick auch auf die scharfen Aus- drücke des mehr oder minder T gan, Bart ewartemus rihten, die ohne jahrelange tiefe Unzufriedenheit mit ihrer Haltung nicht mög- lih wären. Ich mache es den Einzelstaaten zum Vorwurf, den süd- deutschen vor allen, daß sie so garnihts gethan haben, um dem vorzu- beugen, was von ihrem Standpunkte beklagenswerth ist. Anstatt allen Vorschlägen vom Norden zuzujauchzen, hätten sie im Kreise der verbündeten Regierungen mit Ernst darauf hinweisen müssen, daß auch andere nicht unberechtigte Strömungen im Reiche vorhanden sind, die Beachtung fordern. Den Hauptgewinn des Wahlkampfes haben nur die Vertreter der Standesinteressen, die Socialdemokraten und die Vertreter der wirthschaftlihen Interessenpolitik in die Tasche gesteckt. Diese einseitige Interessenpolitik wird in den nächsten fünf Jahren unserer Politik den carakteristishen Stempel auf- drücken. Hat doch der Reichskanzler hon die Zusicherung gegeben, daß das landwirthschaftlihe Gewerbe von neuen Steuern frei zu halten sei. Die Conservativen werden den Reichskanzler, wenn er ihnen niht schr willfährig ift, hart be- drängen. Die Nationalliberalen haben zwar bei der Wahl einige Mitglieder gewonnen, aber si, an ihrer Tradition und früheren An- shauungen gemessen, vershlehtert. Wer sih seinen Siß mit Preis- gebung der wirthschaftlihen Anshauung seines ganzen Lebens retten muß, der hat ihn theuer bezahlt, theuer für seine Person und Ver- angenheit für feine Partei. Es wird gut sein, wenn die National- beraten den agrarischen Einfluß niht übermäßig bei \sih werden: lassen. Es fragt sich, ob die Tactik der Auflösung eine richtige war, die innerhalb des Parlaments die verbündeten Regierungen der Stütze derjenigen Elemente beraubt hat, die in der selbstlofesten Art für ihre Wirthschaftspolitik eingetreten sind. Auch die Frucht dieser Auflösung, die Durchbringung der Meiilitär- vorlage, ist noch nicht gesichert. Noch sind zahlreiche Bedenken in den Kreisen derer zu überwinden, welche im großen und anzen geneigt sind, der Vorlage zuzustimmen. Ein {hwerer Stein des Anstoßes für die, welche für fie stimmen wollen, werden die heutigen Erklärungen des Reichskanzlers sein, nahdem sie sich ihren Wählern gegenüber festgelegt haben. Nicht jeder wird fo leicht seinen Ausführungen über die geseßliche Fellegena der zweijährigen Dienstzeit folgen können, nahdem er sich noch neuerdings an die Roroee gebunden hat: ohne dauernde Festlegung der zweijährigen

ienstzeit keine Militärvorlage. Wer dieser Ansicht ist, der muß sich sagen, daß jeßt oder nie die Zeit gekommen ist, in der man auf die verbündeten Regierungen thatsählich einen Einfluß ausüben fann. Wenn jeßt die Festlegung auf fünf Jahre Tol: ist die zwei- jährige Dienstzeit nicht, wie der Reichskanzler hofft, für alle Zeiten esihert. Soweit es auf seinen guten Willen ankommt, wird er sein zersprechen halten; aber der Mensch ist \terblih, und in Parlamenten zweimal sterblih. Deshalb sind wir angewiesen, bei allem O A Vertrauen uns auf persönliche Zusicherungen nicht einzulassen. In der neuen Militärvorlage macht es den Eindruck, als ob der Kauf- preis für die künftige Herabseßung der SBLEpORUEE, auch für weitere Frist angedeutet sei. Eins darf man der Militärvorlage nachrühmen: die Keime einer gedeihlihen Entwickelung trägt sie unver- kennbar in sih. Die Halbbataillone werden äuf die Dauer nicht existiren können. Die Halbbataillone schreien förmlich nach ihren anderen und hoffentlich besseren Hälften. Außerdem ist fe t etwas zu Tage getreten, was wir den ganzen Winter nicht gew aben. Meer hieß es, daß man die Anforderungen an die Tauglichkeit der Auszuhebenden werde herabseßen müssen, um ausreichende Mannschaften zu bekommen ; jeßt steht es schwarz auf mi daß wir sogar ein Plus von 90 bis 100 000 überzähligen Tauglichen haben. Diese 90- bis 100 000 Mann werden nicht Ruhe geben, wenn fie es niht nah Ablauf von späte- stens ft Davtes soweit gebracht haben, daß sie des Königs Rock tragen. An die Deckungsfrage können die verbündeten L noch nicht herantreten. Etwa zwei Dußend Millionen werden für das nächste Pian auf die Matrikularbeiträge N werden ;, bis jeßt hat noh niemand behauptet, daß eine solhe Lösung den kleinen Mann vershonen werde. Der Reichskanzler verlangt Glauben und Vertrauen. Das haben die Herren auch von uns verlangt, als sie die Branntwein- und Bierstetter von uns verlangten, die n der Reichs- kanzler unter den Tisch fallen läßt. Wenn man die Thronrede vor- urtheilsfrei Liest, so ergiebt fi, aas die Regierungen geneigt sind, alles zu nehmen, was man ihnen überhaupt bringt. Die Herren im Reichs-Schatamt haben bis jeßt wenig Productives auf diesem Ge-

Lebens-Versicherungs-Gesellschaft Tab. A. I. Nr. 57165

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V biet geleistet: es geht die Sage dur das Land, daß man \sich nach einer andern ise umsfehen werde, nah einem Mann, der {on andern geholfen hat. Man sagt, daß die Reichsregierung si die Unterstüßung des Mannes im preußishen Finanz - Ministerium verschreiben werde, den man nah seinen Erfolgen den Lieblin der Götter, aber leider auch den Liebling der Agrarier nennen darf. Wenn der Mann \sich mit unserer Steuerfrage befaßt, wird er sid nicht. mit unerreichbaren Dingen herumplagen. Wo er es nimmt, wer kann das heute sagen ? ie Einen sagen, er nimmt es den Einzelstaaten, die Anderen reden yon einem Rohspiritusmonopol ; wahrscheinlich weiß er es selber noch nit. Aber das weiß er und das weiß jeder, der ihn kennt: was er u, wird er auch finden, und was er findet, wird er im großen finden. “ien von der Deckungs- frage, wird bei der Militärvorlage noch der Widerstand derjenigen zu überwinden sein, welche sich für militärishe Reformen festgelegt haben. Wer die Militärmißhandlungen beseitigt wissen will, wer die Militärprozeßordnung reformirt, wer den Mißstand im Pensions- wesen igt wissen will, der wird jeyt einseßen müssen. Wir unsererseits find geneigt, jeden Vorschlag, der von anderer Seite in dieser Richtung ergeht, dankbar aufzunehmen und ihn nah besten Kräften zu unterstüßen. Im übrigen haben wix, da sich so wenig eändert hat, dieselbe Stellung gegenüber der Militärvorlage wie früher. Wir sind von der ersten Stunde an principielle Gegner der Militär- vorlage gewesen, nicht bloß aus technischen und finanziellen Gründen, sondern auch aus politischen Gründen, weil wir überzeugt sind, daß ein Kampf um die Macht vorliegt, den das deutshe Volk zu seinen Gunsten durhzuführen alle Veranlassung hat. Draußen bei den Wahlen hat es sich gezeigt, daß wir vollständig im Sinne unserer Wähler gehandelt haben. Wir werden jeßt erst recht einen Stein der Militärvorlage entgegenstellen. Dabei wird uns nicht stören, wenn der Reichskanzler halb und halb die Gegner der Vorlage auf die Bank der nicht fs\taatserhaltenden Elemente geseßt hat. Wir sind auch nicht ängstlih, daß wir nach Ablehnung der Militärvorlage im Areopag der Völker keine Geltung mebr haben werden: wir werden dann erst recht Einfluß haben. ir lassen uns auch dur das Wort Miliz nicht \{chrecken. Was wir im vorigen Reichstag als Ersa geboten haben für die Einführung der zweijähri- gen Dienstzeit und was wir heute wieder bieten, is das gerade Gegen- theil von Miliz, Uns i} niht Angst vor einer neuen zul elung, Wir überlassen es ruhig den verbündeten Regierungen, ob fie von einem formellen Recht Gebrauh machen wollen gegen das, was der Geist der Verfassung von ihnen verlangt. Sie werden dann in eine Sadgasse hineinrennen, aus der sie ohne Schaden für das Vaterland niht herauéêkommen können. Wir halten eine neue Commissions« berathung, nahdem wir eine solche so lange gehabt haben, deshalb nicht mehr für nothwendig, weil wir überzeugt sind, daß derjenige, der seit dem leßten November die Tragweite dieser Vorlage und die Bedeutung der Frage nicht erkannt hat, sie in den nächsten vierzehn Tagen bis drei Wochen auch nicht erkennen wird. : Abg. Freiherr von Manteuffel (dcons.): Die Stellung Deutschlands im europäischen Areopag wird sih nicht bessern dur die Ablehnung der Vorlage, wie der Vorredner behauptet hat. Während er sons manche Behauptung zu begründen versucht hat, ist er bei dieser wihtigen Behauptung die Begründung s{uldig geblieben, weil sie niht begründet werden kann. Der Vorredner befürchtet, daß die Vorlage sh noch weiter ausroachsen würde, daß die Halbbataillone ihre bessere Hälfte finden würde, wozu die noch übrigen 90000 taug- lihen Mannschaften bestimmt sind. Früher meinte der Abg. Payer, daß zu wenig Mannschaften vorhanden find, jeßt {einen ihm zu viel zu sein. Mir und meinen politischen Freunden wäre es lieber gewesen, wenn die verbündeten Regierungen niht den Antrag Huene als Wakhlparole proclamirt, sondern an ihrer Vorlage festgehalten hätten, zumal die Verhältnisse sich inzwishen noch wesentlih zu unseren Ungunsten verschoben haben. Wenn durch solche geringen Vorkommnisse in Paris, durch Studentenkrawalle cine Regierung wie die französische sih ershüttern lassen kann, wie kann man da auf die Stetigkeit der Verhältnisse vertrauen? Bei den Wahlen hätte sich die Sachlage kaum ungünstiger gestaltet, wenn man die ursprüngliche Vorlage aufrecht erhalten hâtte. Wir haben unsere Bedenken gegen den Antrag Huene Ten lassen, weil uns die Sicherheit Deutschlands und die Aufrechterhaltung des europäischen Friedens höher standen als unsere besonderen Bedenken. Nun muß ih mich noch einige Augen- blicke mit der Deckungsfrage beschäftigen. Wir haben jeßt keine Vorlagen, und die Jahreszeit ift auch so weit vorgeschritten, daß es s{wierig ei würde, einen beshlußfähigen Reichstag auf die Dauer festzuhalten. Wir müssen nothwendig im Herbst die Mittel bewilligen und müssen uns für jeßt mit Matrikularumlagen behelfen; ih würde es freilih vorziehen, im Wege der Anleihe die Mittel zu beschaffen; dadur würde eine gerechtere Vertheilung erfolgen. Auf die Dauer können wir die Matrikularumlagen aber nicht aufreht erhalten. Wir sollen jeßt den verbündeten Regierungen gewissermaßen einen Blancowechsel geben für die Deckung der Koften, dessen Einlösung uns nachher recht Ein folhes blindes

unbequem sein kann. Vertrauen auf die

L. Untersuhungs-Sachen.

2, O a ustellungen u. dergl.

3. Unfall- und Invaliditäts- 2c. Versicherung. 4. Verlau Verpachtungen, Verdingungen 2c. 95, Verloosung 2c. von Werthpapieren.

Regierung wird ein großer Theil unserer Wähler nit ver- stehen. ie Wahlparole war gerade in Bezug auf die Steuerfrage eine ziemli scharfe. Die Conservativen haben keinen Zweifel darüber gelassen, daß sie sih in Bezug auf diese Frage als eine von der Regierung vollständig unabhängige Partei erweisen werden. Die Conservativen verdanken ihre Stimmen nit allein dem Eintreten für die Militärvorlage, sondern auch ihrem Verhalten in Steuerfragen. Die confervative Partei ist auch die Angige ee gewesen, welche für das Kleingewerbe und den Mittelstand überhaupt eingetreten ist, und sie wird an diesem ihrem Standpunkt festhalten. die Börsen- steuer stärker herangezogen werden \oll, ist für uns erfreulih. Jch kann dabei auf die Nede des leider nicht mehr dem Reichstag an- gehörenden Fraktionsgenossen Mehnert verweisen. Daß die Bier- steuer und die Branntweinsteuer von der Bildflähe ver- {winden werden, hoffe ich nach der Ausführung des Reichskanzlers. Jh will nicht ein Steuerbouquet vorführen. Ich habe ja auch wie jeder andere eine Lieblings\teuer, z. B. die Inseratensteuer. Ih will darauf ebensowenig eingehen wié der Reichskanzler. Seine Erklärung hat meine Freunde mit besonderer Genugthuung erfüllt, näientlich daß die Reichsregierung in engster Verbindung mit der preußischen Finanzverwaltung vorgehen will. Fch hoffe, daß der preußishe Finanz-Minister die Vorlage mit Glück ver- theidigen wird. So \{chwere Bedenken wir au gegen die Vorlage haben, fo werden wir doch für die unveränderte Vorlage eintreten, weil wir die Sicherheit des Deutschen Reichs und des europäischen Friedens für nothwendiger halten als alles Andere, und weil wir hoffen, daß nun wieder Frieden im Deutschen Reiche eintreten wird.

Abg. Liebkneht (Soc.): Der Reichskanzler hat die früheren Steuervorlagen verleugnet, in der Thronrede selbst werden sie aber noch als rihtig anerkannt. Das beweist, daß die Reichsregierung selbst nicht weiß, wie pie sih helfen soll. Die Vermehrung der Armee wird gar nicht gefordert dem Auslande gegenüber, sondern die herrschenden Klassen wollen sich \{chüzen, wollen ihre herrshende Stellung im eigenen Lande verstärken gegenüber den unteren Volksklassen. Da wir gegen die Militärvorlage grundsäßlih eintreten, - so hat das Urtheil der Militärtehniker für uns kein Gewicht; diese Techniker kommen erst in Frage, wenn es die Durchführung der Vorlage gelten sollte. Der Reichskanzler sagt: Wir sind Frank- reih gegenüber gewachsen, aber niht einem Krieg mit zwei Fronten. Wenn Frankreih und Rußland zusammengehen, dann haben wir doch den Dreibund für uns, der während der ganzen Militärdebatte in einer Versenkung verschwunden zu Len scheint. England würde auch eingreifen müssen und Deutschland hätte dann die See frei. Uebrigens ist die russishe Armee stets nur auf dem Papier sehr stark gewesen. Die allgemeine Wehrpflicht wird mehr durch die Miliz als durch die Vorlage durchgeführt werden können. Wer von früher Jugend an im militärischen Dienste ausgebildet wird, wird ausdauernder und geübter scin, als jemand, der nur zwei oder drei Jahre dient. Früher waren die süddeutschen Demokraten auch für die Miliz, heute ist der Abg. Payer es nicht mehr. Man will nicht, daß das Volk bewaffnet ist, daß es Gewehr und Patronen führen darf. Man denkt niht an die Franzosen und Kosaken, sondern an die inneren Verhältnisse. Sie (reis) sind die Offiziere und bekommen die neuen Offiziersstellen, die Arbeiter müssen dienen und die Steuern bezahlen. Sie (rechts) würden nicht die Vertreter herrschender Klassen sein, wenn Sie niht Ihre Macht auénütßten, um die Steuern auf andere als Ihre eigenen Schultern zu legen. Wollen Sie sich als Patrioten erweisen, dann verzichten Sie auf die Liebesgabe! (Zuruf rechts: Börse!) Bei der Besteuerung der Börse werden wir Jhnen helfen ; wir werden Ihnen aber auch beweisen, daß der Kornwucher, den Sie treiben, ebenso eine Ausbeutung ist, wie das Börsengeshäft. M von Leveßow ruft den Redner wegen dieser Aeußerung zur

rdnung.) Die Sachlage i} fast genau dieselbe wie vor zwei Mo- ngten, nur die Lage der Regierung is etwas ungünstiger geworden. Beim Wahlkampf sind die Leidenschaften auf das heftigste erregt worden, troßdem niht mit dem rothen Gespenst und mit dem Kriegs- gespen\t wie 1878 und 1887 hantirt worden ist, wenigstens niht von der Regierung ; die Parteien haben das aber redlih nahgeholt, nament- li durch die Enns der Arbeiter . . . (Präsident. von Le- veßow bittet den Redner, bei der Sache zu bleiben.) Das deutsche Volk hat in seiner Mehrheit sih gegen die Militärvorlage erklärt (Widerspruch); wenn das hier im Reichstag nicht hervortritt, so liegt das an der Wahlkreiseintheilung. Man hat im Wahlkampf mit der Beschränkung des allgemeinen Wahlrechts gedroht. Das all- gemeine Wahlrecht ist aber ein Grundrecht des deutschen Volks, das beste Neht im ganzen Reichc. Wir lieben unser Vaterland eben so wie Sie (rechts), wir wollen es niht durch den Militarismus ruiniren lassen; die immer wachsenden militärishen Rüstungen müssen e lih zum Kriege führen, den man dur die Vorlage vermeiden will. Frankreich würde jeßt auf die Abrüstung eingehen. Weist es den Antrag zurü, dann hat die deutshe Regierung viel mehr militärishes An- schen erobert, als durch zwanzig ähnlihe Militärvorlagen. Wir werden gegen die Militärvorlage stimmen. Wir handeln dabei im

Interesse der Civilisation, welhe dem Menschen andere Aufgaben de gewiesen hat, als sich vorzubereiten auf den Massenmord. ie Drohung mit der zweiten Auflösung shreckt uns nit, denn die Mehr- heit des Volks hat sich auf unsere Seite gestellt. Wenn man die Stimmen zählt, dann haben wir eine Mehrheit von einigen Hundert- tausenden; wenn aber die Stimmen gewogen werden, fo haben wir ein noch viel größeres Uebergewiht. Wir lehnen die Vorlage ab; für Compromisse sind wir nicht zu haben. bg. Freiherr von Stumm (Rp.): In einer Zuschrift an den „Vorwärts“ heißt es, daß der rihtige Socialdemokrat Vaterland und Dynastie nicht anerkennt. Bringe ich das in Verbindung mit dem Vorschlage, Elsaß-Lothringen an Frankreich abzutreten, mit der unter dem Jubel der Protestler erfolgten Wahl des I Bebel in Straß- burg, so ist es selbstverständlich, daß wir uns bei der Frage nach dem, was für das Wohl des Reichs nothwendig it, nicht an die Rath- {läge der Socialisten halten. Wer hat in Preußen die progressive Einkommensteuer geschaffen und die besißlose Klasse von der Steuer befreit ? Doch die besißenden Klassen! Denn im preußishen Abgeord- netenhause \fißt kein Socialdemokrat. Die Socialisten sprehen immer von zwei Volksklassen : yon den Ausbeutexn und Ausgebeuteten. Wenn eine Revolution ausbrechen solle, so würde die Armee auch in der jeßigen Verfassung zehnmal stark genug sein, um sie niederzushlagen. Jn Er- kenntniß dessen, daß es so ift, ist auch die Revolution unterblieben. Frankrei stellt den leßten Wehrfähigen ein, deshalb müssen wir auf unserer Seite weiter als bisher gehen. Meine Freunde stehen voll und ganz auf dem Standpunkt der Regierungsvorlage, aus mili- tärischen, politishen und wirthschaftlihen Gründen. Die vierten Bataillone sind nothwendig, um die Mobilmachung zu fördern, weil wir jeßt keine Offiziere für die Cadres in genügender Anzahl haben. Auf die Vorfälle in Paris lege ih nicht so viel Gewicht; aber aus dem Ton der französishen Presse geht hervor, daß die Franzosen nur darauf warten, daß sie Revanche nehmen fkönngn. Der Dreibund is allerdings vorhanden; aber wenn die Vorlage abgelehnt wird, dann wird unsere Stellung in demselben ebenso ges{chwächt, wie sie verstärkt wird, wenn die Vor- lage angenommen wird. Durch die Ablehnung der Militärvorlage ist der gewerblihe Aufshwoung, der ih im vorigen Jahre ein- gestellt hatte, wie mit einem Schlage vernichtet, und wenn die Ver- hältnisse niht weiter zurückgegangen find, so verdankt das Erwerbs- leben das nur dem energishen Entschluß der Regierung, welche den bg auflöste. Als die Wahlen so ausfielen, daß die Annahme der Vorlage gesichert schien, befestigte sich die Zuversicht auf Besse- rung, und es wird von Ihnen (links) abhängen, ob die Besserung erhalten wird. Man hat der Regierung vorgeworfen, daß sie unnöthiger Weise den Reichstag aufgelöst hätte; das is aber nit richtig, denn nach allen Berehnungen wären dur die areEe Festlegung der zweijährigen Dienstzeit nur 20 Stimmen vielleicht gennes worden, während die conservative Partei dann gegen die orlage gestimmt hätte. Die Wahlen haben für die conser- vativen Parteien eine Zunahme mit \ih gebraht. Die Wahlen sind zu Gunsten der Militärvorlage ausgefallen. Jch spreche nit von den großen Verlusten der freisinnigen Partei. Glauben Sie aber, daß alle diejenigen, welche für einen Socialdemokraten oder einen Centrums- mann ihre Stimmen abgegeben haben, damit gegen die Militär- vorlage gestimmt haben? Man hat vielfa den Zusammenhang der Partei für wichtiger gehalten und deshalb die Militärvorlage mehr in den Hintergrund gestellt. Man fprach von der Gefährdung des allgemeinen Stimmrechts, von der Reaction, von der Erneuerung des Culturkampfes u. |. w. Die Erzählungen von den \chauderhaften Wahlbeeinflussungen kommen bei jeder Wahlbewegung vor. In meinem Wahlkreise hat eine förmlihe Begeisterung für die Militärvorlage geherrsht. Wenn wir im Herbst wieder zusammenkommen, so hoffe ih, daß wir Steuern finden, welche die Börse und den Luxus belasten, welhe aber die Landwirthschaft und die breiteren Volks\chichten thunlichst frei lassen. Nachdem die Militärvorlage jeßt erledigt sein wird, werden wir uns in Ruhe über die Steuervorlagen vereinbaren können. Eine \{chleunige Erledigung der Militärvorlage ist dringend wüuschenswerth. Nach der gründlichen Berathung im auf- gelösten Reichstag kann man von einer Ueberstürzung niht mehr sprehen. Es kommt darauf an, das Vertrauen unjerer Verbündeten wieder zu kräftigen und das Vertrauen des Erwerbslebens wieder zu heben. Das mobile Kavital hat am allerwenigsten Interesse gehabt, gegen einen feindlihen Einfall geschüßt zu werden, denn die Werth- apiere kann man mit seiner eigenen Person in Sicherheit bringen. Znteressirt an der Vertheidigung des Vaterlandes sind allein die Land- besißer, die Geschäftsleute, bie ihre Erwerbsstätte niht verlassen wollen. Ich kann die Hoffnung niht unterdrücken: Möge der Genius Deutschlands mit neuer Kraft seine Shwingen erheben und über Me Lou {weben zur Ehre und zum Ruhm unseres deutschen aterlandes!

Darauf wird um 41/2 Uhr die weitere Berathung auf Sonnabend 11 Uhr vertagt.

Kommandit-Gesellsaften auf Aktien u. Aktien-Gesellsck, i

6. Oeffentlicher Anzeiger. | | Lätiug m twa

10. Verschiedene Bekanntmachungen.

1) Untersuchungs-Sachen.

Es . Württ. Amtsgericht Backuang. Zurückgenommen wird der unterm 18. März ds. Is. gegen Fr. Müller von Kleinaspah wegen Betrugs erlassene Steckbrief. Den ‘6. Juli 1893. Stv. Amtsrichter Wagner.

e

2) Aufgebote, Zustellungen und dergl.

[67717] Aufgebot.

Es ist das Aufgebot folgender Urkunden:

1) der dem Herrn Rudolf Lehmann, hier von dem Komtor der Reichs-Hauptbank für Werthpapiere er- theilten Depotscheine mit dem Paßwort 12 290

a. Nr. 615 285 über 200 Pfund Sterling 6 9/0 Mexikanische äußere Anleihe Interims-Scheine von 1890 mit Zinsscheinen, O 1 Jae nuar 1891 und folgenden, d. d. Berlin, den 2. Dezember 1890, :

. Nr. 590574 über 140 Pfund Sterling 6 %/o confolidirte äußere Merikanishe Akleihe von 1887/88 mit Zinsscheinen, fällig 1. Oktober 1890 folg. und Anweisungen, d. d. Berlin, den 9. Ruli 1890,

bon dem Herrn Rudolf Lehmann, hier, A 2) des dem Lehrer Hermann Jacobsen Krichau in rdersleben von der Direction der Berlinischen bens-Versicherungs-Gesellschaft ertheilten Depot-

scheines über die verpfändete Police der Berlinischen

hier,

hierselbst,

mit einer versiherten Summe von 2000.4, d. d. Berlin, | Löwenstein hier,

den 4. ä C D in m ârz 1892, von dem Lehrer H. I. Krichau

3) der Actie Nr. 298 des Actien - Vereins des

Zoologischen Gartens über 100 Thaler Pr. Crt., ausgestellt für Herrn Dr. Abbot, 4. d. Berlin, den 1. August 1871, eingetragen im Stammregister Fol. 150, von Frau Caroline L. Abbot, geb. Fay,

9) des auf den Namen des Arbeiters Friedrich Müffke in Pankow ausgefertigten Os als Vormund des minderjä Nr. 27 265 der Niederbgrnimer Kreis-Sparkasse über ein Guthaben von 474,04 #4, von dem Kaufmann Hugo Loew, hier, a al

6) der von der Lebenspyersicherungs- Anstalt für die Armee und Marine zu Berlin au l n d Königlichen Kasernen - Inspectors Julius Heinrich Knoechel in Straßburg i. E. ausgestellten Police

9) der auf den Namen des Bauunternehmers riedri Hermann Becker in Laußigk Age Lebensversichherungspolice Nr. 92 287 der

in Laußigk,

gefertigten

gen. Both,

den Namen des

noec ugust Berndt in Cassel, und den minderjährigen

theilten Empfangs - Quittun eines Nr. 431 208 über in Lauenburg i. Pom.,

Kaufmann Leonor Glaser hier,

erg L. in Koblenz ausge Marine 4. d.

ictoria,

Allgemeine Versicherungs - Actien - Gesellschaft zu Berlin über 2000 4, d. d. Berlin, den 26.[Juni 1891, von dem Bauunternehmer Friedrich Hermann Becker

i : / f 10) folgender 2 Sparkassenbücher der städtischen

4) des der Frau Rubin, geb. Klostius, später | Sparkasse zu Berlin verehelihten Freytag, bei ihrer am 19. Juni 1852 erfolgten Aufnahme in die große Berliner Sterbe- kasse Nr. 10 von 1841 ausgehändigten Statuten- eremplars der gedachten Sterbekasse mit der Aufnahme- b. des für den Schriftseßer Carl Barbier aus- pelieinigung Nr. 2799, von der Armen - Direction

a. des für den Klempnerlehrling Carl Both ausgefertigten Sparkassenbuhes Nr. 245 553 mit einem Guthaben voa 842,61 M.

Sparkassenbuches Nr. mit einem Guthaben von 660,60 Æ, von dem Schuhmachermeister ermaun Pilz hier

rigen Carl Barbier

h

11) des dem Herrn August Berndt in Cassel von dem Komtor der Reichs-Hauptbank für Werthpapiere | sellshaft „Prometheus“ in Berlin, d. ertheilten Depotscheines Nr. 726 330 mit Paßwort 16178 über 2500 M 314 % Preußische consolidirte Staatsanleihe mit Zinsscheinen fällig 1. April 1893, i folg. und Anweisungen, d. d. Berlin, den 13. De- Nr. 3805 über 300 , d, d. Berlin, den 1. Juli 1875, gee 1892, von dem landwirthschaftlihen Beamten von den Erben des O Aen Knoechel, der Lehrerin Luise Knöche t Ludwig und Julius Knoechel, leßtere beiden vertreten dur ihre Mutter Wittwe Knöchel als geseßliche | Berlinishen Le Vormünderin, sämmtlih zu Schlettstadt,

7) des dem Kaufmann von dem Komtor der Reichs-Hauptbank für Werth- papiere ertheilten Depot 500 M 33 9% Berliner Stadt-Anleihe von 1886 mit Zinsscheinen fällig 1, April 1888 folg. und Anweisung, von dem

8) der auf den Namen des Kaufmanns Hermann Löwenstein hier ausgestellten Police Nr. 231 384 widri Gerd Hans, Askan. Freiert von der Preußischen Lebens-Versicherungs-Aktien-Gesell- chaft zu Berlin über 5000 Æ, 4d. d. Berlin, den | der 11. Januar 1889, von dem Kaufmann Hermann

12) der dem Herrn Kreisgerihts-Rath Albert Wilhelm von Zen von der Direction der | Register sub Fol. 6, d. d. Berlin, den 1. Juli 1874, ens - Versicherungs - Gefellschaft er- i 1 d. d. Berlin, den | Fräulein Clara Wa errn Leonor Glaser hier | 9. März 1878 über die übergebenen A der

Berlinischen Lebens-Versicherungs-Gesellschaft Tab. B. Nr. 687 und 688 über 2000. Thaler, von dem

Amtsgerihts-Rath Albert Wilhelm von Haxthausen

13) der auf den Namen des Königlichen Second- Lieutenants im 4. Garde-Grenadier-Regiment Königin

ellten Police ebensversicherungs-Anstalt für die Armee und erlin, den 1. Juli 1880, über 500 , von dem Hauptmann im Nebenetat vom großen Generalstab Günther von Hardenberg hier

14) der auf den Namen des Kaiserlichen Corvetten- T Capitäns Herrn Franz Carl David

clever in Wilhelmshaven ausgestellten Police Nr. 2423 der Lebensversicherungs - Anstalt für die Armee und Marine 4d. d. Berlin, den 1. Juli 1874, über 300 Æ, von dem Lieutenant zur See a. D. F. Kistner in Hamburg,

15) des Herrn Rittergutsbesißer Otto Freiherr von Houwald in Leibchel von der Kur- und Neu- märkischen Ritterschaftlihen Darlehnskasse ertheilten Depotscheines Nr. 1232b. d. d. Berlin, den 6. Februar 1892 über 16950 (6 Brandenburger 49/9 Rentenbriefe mit Coupons Nr. 3—16 und Talons April—OÏttober, von dem Rittergutsbesizer Otto Freiherr von A auf Leibchel,

L der auf den Namen des Carl Alfred Keyser u Berlin ausgestellten Police Nr. 10966 der

ebens- Invaliditäts- und Unfall-Versicherungs-Ge-

d. Berlin, den 23. November 1886, über 600 4, von dem Vor- stand des Vereins ur Ergehung sittlih verwahrloster Kinder im Templiner Kreise, vertreten dur die Wittwe Keyser zu Berlin,

17) des unkündbaren Pfandbriefes der Preußischen Hypotheken-Actien-Bank Ser. IV. Litt. K. Nr. 11705 über 50 Thaler, zu 5 9/0 verzinslich, eingetragen im

336 293

von dem Gerichtsassessor a. D. Georg Walch, dem

i und dem Fräulein Helene allenstein als Erben der verstorbenen Wittwe Juliane ilers aus Schönebeck beantragt.

Die Inhaber der Urkunden werden aufgefordert, spätestens in dem auf den 23, September 1893, Mittags 12 Uhr, vor dem unterzeihneten Ge- richte, Neue Friedrichstraße 13, Hof, Flügel B., Saal 32, anberaumten Aufgebotstermine thre Rechte anzumelden und die Urkunden vorzulegen, widrigen- ens die Kraftloserklärung der Ürkunden erfolgen wird.

Berlin, den 17. Januar 1893.

Königliches Amtsgericht 1. Abtheilung 81.

arden: r. 8575

elix Hasen-