1895 / 20 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 23 Jan 1895 18:00:01 GMT) scan diff

bedürfen, wie eine solhe Steigerung wirken wird auf die grubengare Soh[- [edergerberei in Deutschland, wie sie wirken wird auf die Rothgerberei, die namentlich die Oberleder, die Zeugleder, die feineren Ledersorten herstellt, wie eine solhe Produktionsvertheuerung endlich wirken würde auf unsern Lederexport und auf unsere Shuhwaarenindustrie. Es liegt nämlich die Gefahr vor, daß, wenn man die Produktionskosten dur. Einführung eines Quebrachoholzzolles wesentlich vertheuert, dieser Nutzen zunächst nicht der grobgaren deutshen Sohlleder- gerberei zu gute kommt, sondern dem ausländischen Leder- import; denn durch den belgischen Handelsvertrag ist der Zoll auf Leder bekanntlich von 36 auf 30 pro 100 kg ermäßigt; da aber zur Herstellung von 100 kg Leder etwa 500 kg Gerbstoff gehören, fo hat die Erleichterung - der Produktionskosten im Inlande nur 5 K 50 4, d. i. 2,50 4A für 100 kg Leder betragen, während der Schußzoll gegen den Lederimport um 6 Æ ermäßigt ist; es liegt also eventuell die Gefahr vor, daß an Stelle der stärkeren Entwickelung der einheimischen Lederindustrie, die mit einheimishem Material arbeitet, eventuell ein \tärkferer Lederimport vom Ausland eintritt. Wenn man aber auc von diesen Bedenken absehen wollte, so liegt ferner die Gefahr vor, daß an Stelle der exotishen Gerbe- mittel eventuell die zollfrei eingehenden Rinden und Lohen, namentlich Oesterreih-Ungarns und Frankreichs treten. Die französische . Rinde ist bekanntlich wesentlih feiner und hochwerthiger wie die deutsche, und von den deutschen Lederinterefsenten wird au behauptet, daß die deutsche Rinde minderwerthiger sei wie die öfterreihishe, weil die ausländische Rinde besser. getrocknet und sortiert sei. Würde nun

der Fall eintreten, daß an Stelle des Quebrachoholzes die ausländische / Lohe und Rinde tritt, so würde die wirthschaftlihe Wirkung, die die

Herren für den deutshen Schälwald erreihen wollen, möglicherweise theilweise in Frage gestellt werden können, wenngleich eine Preis- erhöhung der heimishen Rinde immerhin zu erwarten wäre.

Meine Herren, die Sache if also außerordentliß verwickelt und bedarf eventuell einer eingehenden Prüfung. Die verbündeten Regierungen haben diese Frage noch nicht zum Gegenstand weiterer Grörterungen gemacht; ebe sie sih darüber \{lüssig machen sowohl bezüglih etwaiger internationaler Verhandlungen wie bezüglih der Grwägung der Einführung eines Zolls auf ausländishe Gerbestoffe, werden sie zunächst abwarten, wie die Mehrheit dieses Hauses votieren wird. Ich babe es aber für meine Pflicht gehalten, auf die Schwierigkeiten, den Zweck zu erreichen, den Sie eigentlih verfolgen, hon jeßt auf- merksam zu machen. Im übrigen stehen die verbündeten Regierungen durhaus auf dem Standpunkt: ein Arcanum, der Landwirthschaft generell zu belfen, giebt es nit, sondern nur eine wohlwollende Detailarbeit von Fall zu Fall kann den Wünschen der Landwirth- schaft entgegenkommen ; ein solcher an \sih fahlih berechtigter Wunsch ist unzweifelhaft der Schuß des Schälwalds, bei der wirthschaftlichen Bedeutung, die er namenilich für Gebirgsgegenden hat, wo ihm die Aufgabe zufällt, die steilen Hänge festzuhalten, um zu verhindern, daß die unterliegenden Fluren allmählih unter dem Ge- rôlle begraben werden. ;

Wir werden also zunähst abwarten, wie sch die Mehrheit des Reichstags zu der Frage stellt, und dann unsererseits in eine nähere Prüfung der Angelegenheit eventuell eintreten. (Bravo! rets.)

Abg. Wurm (Soz.): Wir werden ganz entschieden gegen die ämmtlichen beantragten Zollerhöhungen stimmen, die nur die ârmere evölkerung belasten ¿ würden. Ebenso werden wir gegen den OQuebrachozoll stimmen. Auch in der Gerberei-Industrie sind Tausende von Arbeitern beschäftigt, und diese Industrie würde \ wer ges{chwächt werden, wenn der Zoll eingeführt würde. Wenn die châlholz- waldungen eingeben, so ift das nur die Folge davon, daß die alte Gerbmethode veraltet ist. Wir stimmen auch gegen die Kommissions- beratbung. : :

Abg. Kröber (südd. Volksp.) wendet fich gegen die Abänderung der Zollbeftimmungen für den olzhandel im Grenzverkehr, die baupt- sächlih die kleinen Schneidemüblen treffen würde.

Um 51/,4 Uhr wird die weitere Berathung vertagt.

Höhe der Schueedecke in Zeutimetern am Montag, den 21. Januar 1895, um 7 Uhr Morgens.

i Mitgethbeilt vom Königlich preußishen Meteorologishen Institut. (Die Stationen sind nah Flußgebieten geordnet.) Oestlihe Küftenflüsse. „Memel (Dange) 7, Tilsit (Memel) 10, Insterburg (Pregel) 10, Heilsberg (Pregel) 5, Königsberg i. Pr. (Pregel) 6. Weichsel.

Groß - Blandau (Bobr, Narew) 10, Cjzerwonken (Bobr, Narew) —, Marggrabowa (Bobr, Narew) 11, Klaufsen (Piffa) —, Neidenburg (Wkra) 12, Osterode (Drewenz) 5, Altstadt (Drewenz) 5, Thorn 9, Koniy (Brahe) 23, Bromberg (Brabe) 12, Berent (Ferse) 3, Marienburg (Nogat) 9.

Kleine Flüsse zwishen Weichsel und Oder. s i. P. (Leba) 4, Köslin (Mühlenbah) 10, Schivelbein a) 9.

Oder.

4 pn Ratibor 5, Beuthen (Klodnit) 3, Oppeln 3, Habelshwerdt (Glater Neisse) 9, Brand (Glatzer Neisse) 62, Reinerz (Glaßer Neisse) 38, Glaß (Glaßzer Neiffe) 14, Görbersdorf (Glayer Neisse) —, Friedland (Glaßer Neiste) 43, Weigelsdorf (Glazer Neisse) 0, Rosenberg (Stober) 0, Breëlau 7, Liegniy (Kaßbah) 3, Fraustadt (Landgraben) 9, Grünberg 9, Krummhübel (Bober) —, Wang (Bober) 49, Eich- berg (Bober) —, Schreiberhau (Bober) 16, Warmbrunn (Bober) 7, Bunzlau (Bober) 10, Görlitz (Lausißer Neisse) 6, Frankfurt 5, Oftrowo Eo 9, Posen (Wartbe) 6, Tremeften (Warthe) —, Samter (Wartbe) 7, Paprotsh (Warthe) 8, Neustettin (Warthe) 15, * Deutsh-Krone (Warthe) 21, Landsberg (Warthe) 5, Stettin f Pammin (Ibna) 6, Prenzlau (Uecker)- 8, Demmin (Peene) 7.

Kletne Flüsse zwishen Oder und Elbe. M (Trave) T Sha (Trave) 7 Gri (Etearta) SASIE g (Trave) 7, Trave) 7, e eêwig Slei) 1, Flensburg 1, Gramm (Fladsau) 10, Westerland vlt —, Wyk auf Föhr 0, Husum 5, Breve L tas Glbe.

Torgau 13, Dessau (Mulde) 5, Rudolstadt (Saale) 6, Jena (Saale) 0, Ilmenau erm —, Stadtilm (Saále) 8, Dingelftädt (Saale) 16, Erfurt ( e) 4, Sonderêhausen (Saale) 9, Nordhausen ima 1% lle (Saale) 5, Klostermansfeld (Saale) 10,

burg (Saale) 8, Quedlinburg (Saale) 10, (Saale) —, Magdeburg 3, Neustreliß (Daves 12, Kottbus ( 3, Dahme (Havel) 2, Berlin (Havel) 0, Blankenburg bei Berlin (Havel) 0,

ndau (Havel) —, Heinersdorf, Kr. Telkow (Havel) —, e burg n Kyritz (Havel) 0, I A , Uelzen (Ilmenau) 0, Lüneburg ( i Neumünster (Stör) 8, Bremervörde (Oste) 4. 7

Leobshütz (Zinna) 0,

Wes ser.

Meiningen (Werra) 14, Liebenstein (Werra) 15, Butne S

Altmorschen Sue) —, Scchwarzenborn (Fulda) Uslar

Gulda) 3,

lsenburg (Aller Göttingen (Aller) 6, Herzberg (Aüer) 6, Klausthal Seesen (Aller) 5, Hannover (Aller) 4, Bremen 0, (Hunte) 0, Elsfleth 0. :

Kleine Flüsse zwishen Weser und Em Jever —. Ems. Gütersloh (Dalke) 0, Münster i. W. 0, Haase) —, Löningen (Haase) 0, Aurich 1, Emden 0. Rhein.

Coburg (Main) 13, Wiesbaden 4,

rankenheim

Darmstadt 0, : eisenheim 0,

(Nabe) 3 (Main) 0,

N 3, Schweinsberg (Lahn) 0, Rauschenberg (Lahn) —, lo L Weilburg (Lahn) 0, Schneifel-Forsthaus (Mosel) 30, B tb Heydt-Grube (Mofel) 0,

itburg (Mosel) —, von der

4, d (Werra) 0, Scharfenstein (Aller) 62, AS, Cd e ier 11, Celle (Aller) 4,

(Aller) E Oldenburg

8.

Lingen —, Osnabrück

(Main) 21, Birkenfeld —, Mar-

Trier

(Mosel) 0, Neuwied 0, Siegen (Sieg) —, Hachenburg (Sieg) —,

Köln 0, Krefeld 0, Arnsberg (Ruhr) —, Brilon Lüdenscheid (Ruhr) 5,

(Ruhr) —, Kleve —, Ellewiek (Yssel) —,

Alt - Astenberg Ga) (Ma E

(Rubr) 3, Mülheim

Der Höbe von 1 cm Swchneededcke entsprachen:

am Januar 1895 in Czerwonken

Marggrabowa Neidenburg

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Celle

Klausthal v.d.Heydt-Grube Neuwied Brilon

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wasser.

Handel und Gewerbe,

Bremen, 22. Januar. (W. T. B.) (Börsen-Schlußbericht.)

Raffiniertes Petroleum. (Offizielle

Upland middl. loko 283

Notierung der Petroleum-Börse.) Fester. Loko 5,30 Br. Baumwolle. 4. Schmalz. Flau. Wilcox 364 ck,

Bremer

Schwach.

Armour shield 354 H, Cudaby 364 4, Fairbanks 30 4. Speck. Niedriger. Short clear middling loko 33, Januar-Februar-Abladung

33. Wolle.

g 86 Ballen. Hamburg, 22. Jan

uar. (W. T. B.) Kaffee (Nahmittags-

beriht.) Good average Santos pr. März 764, pr. Mai 76, pr. Sep-

tember 75}, pr. Dezember 74. Ruhig. Zuckermarkt. (Schlußbericht.) i Basis 88 9/9 Rendement neue Usance, frei an Bord

Nüben-Robzucker 1. Produkt

mburg pr.

Inne 9,174, pr. März 9,224, pr. Mai 9,372, pr. August 9,65. Fe

i ee 22. Januar. (W. T. B.) keine Wollauktion.

An der Küste 1 Weizenladung angeboten.

96% SJTavazucker loko 11} feft, 9x fest. Chile-Kupfer 403, pr. 3 Monat

Manch ester, 22. Januar.

Wegen Schneegestöber

Rüben - Robzucker loko d (W. T. B.) 12r er Taylor 44,

30r Water Taylor 6, 20r Water Leigh 5F, 30r Water Clayton 52, 32r MockX Brooke 5|, 40r Mayoll 6X, 40r Medio Wilkinson 62,

32r Warpcops Lees 54, 36r Warpcops Rowland 6, 36

r Warpcops

Wellington 64, 40r Double Weston 64, 60r Double courante Qua- lität 94, 32“ 116 yards 16x16 grey Printers aus 32r/46r

144. Rubig. St. Petersburg, 22. Januar. (W. T. B.) P markt. Talg loko 52,00, pr. Auguft —.

rodukten.

Weizen loko 8,00.

Roggen loko 5,30. Hafer loko 3,30. Hanf loko 44,00. Leinsaat Iofo 11,00

Amsterdam, 22. Januar. (W. T. B.) Ja good ordinary 523. Bancazinn 371.

va-Kaffee

New-York, 22. Januar. (W. T. B.). Die Börse eröffnete

{wah und mit niedrigeren Kursen und {loß nah v allgemeiner Steigerung wiederum s{chwach. Der Umsaß betrug 135 000 Stü.

e wurden dem Schaß anderthalb Millionen

orübergebend der Aktien

Gold ent-

nommen zur Verschiffung in das Ausland. Die „Fulda“ hat das a erwähnte Gold nicht mitgenommen ; dasselbe wird Ende dieser

ohe verschift werden.

Weizen anfangs s{wach, daun fallend auf Realifierungen und matte Kabelmeldungen sowie auf Verkäufe des Auslandes, später vor- übergebend bessere Stimmung. Schluß s{hwach. Mais fallend während des ganzen Börsenverlaufs mit wenigen Reaktionen auf leb-

hafte Verkäufe für entfernte Termine. Weizen - Verschiffungen der

atlantishen Häfen der Vereinigten

britannien 85 000, do.

Woche von den taaten nah

nach Franfreih 5000, do. nah anderen

Groß-

Häfen des Kontinents 46009, do. ven Kalifornien und Oregon nach

Großbritannien 23 000,

do. anderen Hâfen des 40 000 Qrts. —_ A

Kontinents

Waarenbericht. Baumwolle, New-York 51/16, do. New-

Orleans 52, oleum träge, do. New-York 5,80, do. 9,759, do. robes 6,50 nom., do. Pipe line cert. p. Schmal; West. steam 6,90, do. Robe & Brothers 7,20, behauptet, do. p. Januar 487, do. p. Februar 493, do.

Weizen kaum behauptet, rother Winterweizen 604, do. Weizen 937, do. p. Februar 59, do. p. Mârz 59. - do. p. Getreidefrad : Rio

t nah Liverpool 14, Kaffee fair 7 p. Februar 14,25, do. do. p. April 1 , Kupfer 10."

.

Februar 99, Mais kaum p. Mai 494, H

ai , M4 4,10, Mehl,

der vergangenen Wohe ausgeführten

in Waaten betrug 9 788 484 Dollars gegen Vorwoche.

Chicago, 22. Januar. (W. T. B.) Weizen #\ Ersf g arde va

etwas ab auf allgem

it dem Luftballon „Dhönir* am £ D citichrift für Luftschiffahrt und Physik der

7 616 723 Dollars in der

5 zt

über seine legte bedeutsame

Der am Vorabend sehr böige, lebhafte Ostwind, der die Aug führung einer Hohfahrt in Frage zu stellen schien, legte sich in der Nacht, und um 5 Uhr früh schritten in Staßfurt die en Premier- Lieutenant Groß und Märker bei dem Lichte rafch bergestellter elef, trisher Scheinwerfer zur Füllung des „Phönix“ mit cbm Wasserstoff. Entsprehend den besonderen Zwecken und Umständen dieser Fahrt, nahm Herr Berson einige derungen vor. So wurde der über 80 Pfund s{hwere Anker nicht mit, genommen. Den 200 m langen Sthleppgurt legte er hon vor dem Beginn der Fahrt in der Richtung des Windes auf dem Felde aus, um nicht allein die schwere Arbeit des Herunterlafsens derselbe wiegt 82 kg verrihten zu müssen und die pbysishen Kräfte bereits am Anfang der Fahrt stark anzugreifen. Die Auf- hängung sämmtliher Instrumente und Korbutenfilien wurde nah reifliher Erwägung möglichst derart getroffen, um au bei starker Erschöpfung in großen Höhen die gleichzeitige Führung und Be- berrschung des Ballons und die gewissenhafte Wahrnehmung der wiffsen- schaitlichen Beobachtungen zu gestatten. Um 10 Uhr 28 Minuten ertönte das Kommando: „Los !* Jn einer Viertelstunde waren bereits 2000 m erreiht. Staßfurt war in nordwestliher Richtung überflogen, prachtvoll lag der ganze Harz am Horizont zu den Füßen des Luftschiffers. Es war im allgemeinen dunstig, und dihte Schaaren kleiner Wölkchen bedeckten hin und wieder die Erde. Die Temperatur nabm anfänglih bis in erheblihe Höhen zu; in 1500 m herrs{ten über 5 Grad Wärme. Abwechselnd machte Herr Berfon stets eine doppelte, mat vollständige Reibe von Ablesungen der Instrumente, warf einen Blick auf den Ballon, seine Leinen und die Erde und \{leuderte zwei Sack Ballast mit einem Male über Bord. Eine Stunde nah der Abfahrt waren in dieser Art 5000 m überschritten worden; die Temperatur sank auf —18 Grad, und es wurde fehr trocken. Die Sonnenstrahlung war nur s{wach. Bei 4200 m hatte ih das eríte [eihte Herzklopfen nach Heben der {weren Sand- sâde eingestellt; doch waren nun auch die frei im Korbe auf- gestapelten Sandvorräthe verbraucht. Um 11 Uhr 49 Minuten erreichte Herr Berfon 6000 m, das Thermometer fank auf —25,5 Gr.; über feinen Zustand schrieb er die Notiz: „Leichtes Herzklopfen, leichte Befangenheit, fonst wohl.“ Um 12 Uhr, alfo 1X} Stunden nach der Abfahrt, begann er bei 6750 m und —29 Gr. fünstlich Sauerstoff einzuathmen, mit vorzügliher Wirkung. Sack auf Sack flog über Bord; 25 Minuten nah 12 Uhr überschritt der Ballon 8000 m, bei einer Lufttemperatur von —39 Gr., und hiermit die Maximalböhe vom 11. Mai (7930 m). Unvergleichlih befser war das Wohlbefinden als damals doch durfte von jeßt an die toffathmung nicht auf mehr als ein vaar Sekunden aufgehoben werden, ohne Schwindel und gefährlihes Nachlafsen der Kräfte herbeizuführen. Stetig die künstlihe Athmung fortseßend, verrihtete Herr Berson ständig und mit verbältnißmäßiger Lei@tigkeit alle Arbeiten. Ein einziges Mal fielen ihm die Augen zu; augenblicklich ermannte er sich jedoh mit lautem Sthelten auf seine eigene Schlaffheit. Eigenthümlich dumpf {oll die Stimme in dieser dünnen Luft. Bei 7700 m hatte er die Höhe überschritten, in der Glaisher seine leßte Temperaturablesung vorgenommen; bei 8200 m gedahte Berson der beiden französischen, in dieser Höbe verstorbenen Forscher; bei 8500 m war auch die rößte Erhebung erreiht, die Glaisher am 5. September 1862 an seinem Barometer ablas, um hierauf in tiefe Ohnmacht zu fallen, aus der er erst erwahte, als sein Begleiter den Ballon _in seinem weiteren Steigen aufhielt. Nach kurzer En peafung und Umschau in dem Ballastvorrath wagte Herr Berson den Aufsti noch weiter fortzuseßen. Die Temperatur war indefsen au —42 Gr. gesunken. Bei 9000 m Höhe durhschnitt der Ballon endlich die von Berson schon seit früh boch am Himmel wabr- genommene, nur ganz dünne s{leierartige Schicht von Cirrostratus- wolken. Sie bestanden niht aus Eiskrystallen, sondern aus wohl- gebildeten kleinen Schneeflocken. Um 12 Uhr 45 Minuten, alfo 2x Stunden nah dem Anfang der Fahrt, zeigte das Barometer einen Stand von nur noch 231 mm, was einer rohen Seehöhe von 9600 und einer wahren Höhe von 9150 m entspricht. Das Thermometer war auf —47,9 Gr. gesunken; selbs das Quecksilber im Barometer hatte sich auf —29 Gr. abgekühlt, und das Strahlungsthermometer zeigte in voller Sonne nur —23,8 Gr.

Jeßt hielt der Ballon inne. Es waren nur noch ses grege und ein kleiner Sack Ballast vorhanden, die zur Sicherheit des ab- gebens und der Landung nothwendig waren. Der Ballon war aus der dünnen Schneewolke gestiegen, rein von Wolken, doch nur matt- blau wölbte sich über ihm der falte Himmel. Das Befinden des SoriWers hâtte es sicher gestattet, mit Vorsicht noch um 1000 m öher zu gehen. Allein er durfte es nicht thun, ohne A direft fal]ch zu bandeln und noch am Schluß die gelungene Fahrt zu gefährden. In der größten Höhe von 9150 m fühlte er nch viel wobler als furz vorher. Noch einmal erreichte der ePhönir“ fast dieselbe Höhe, etwa 9100 m, noch einmal las Herr Berson —47 Gr. ab und zog hierauf das kleine Manövrier- ventil. Mäßig schnell begann jeßt der Ballon zu fallen, um hon bei 7500 m von selbst abzustoppen und wieder nah oben umzukehren. Doch brachte ihn ein mehrfacher Zug am Ventil zurück. Indessen wurde in einer Höhe von 8500 m ein Fluß mit A Win- dungen überflogen es war die Elbe, und zwar, wie fh später feststellen ließ, bei Dömitz. Die grimmige Kälte begann nun doch mit der Zeit ihre Wirkung zu äußern Berson zitterte in seinem Pelz an allen Gliedern so stark, daß er fih am Korbrande anhalten mußte. Jn langsamen Wellen ging der Ballon hinunter, sodaß während des ganzen Abstiegs nur ein einziger Sack Ballast in 3500 m zu besei Milderung verbraucht wurde. Dagegen war der „Phönix“ nur dur Ventilziehen von einem rapiden Wiederaufsteigen zurückzuhalten. Die Erde hatte sih indessen ganz mit eiaer geslofsenen Wolkenschicht bedeckt, und jede Orientierung war verloren. Der lang andauernde Abstieg gestattete es, eine voll- ständige zweite Reihe von Beobachtungen auszuführen. Auch jegt wurde die höchste Temperatur in 1400 m mit nur beinahe + 6 Gr.

b gg Bon bier an zur Erde wurde es wieder um 5 Gr. kälter.

eine volle Stunde nach der Kulmination war Herr Berjon in 5200 m, zwei Finger waren ihm erfcoren, doch brahte er sie durch Reiben wieder zum Leben. der Barograph war in der enormen Kälte vorübergehend stehen e blieben. Als es 3 Uhr wurde und der Himmel im Norden bedenklich nah einem „Wasserhimmel“ der Seeleute aussah, beshloß der Forscher, den Ballon zu rascerem Fallen zu bringen. machte er in 500 m auf den unteren Wolken ein paar Wellenbewegungen, auf der Wolkén- oberflähe schwimmend; eine größere Stadt und Dampspfeifen ließen sih vernehmen. In 250 m erschien die graue, von einem trüben immel bedeckte Grèe, am Schleppgurt ü flog der Ballon einen und landete ziemlih leiht mit "Bilfe herbeiéilender Landbewohnert um 3 Uhr 45 Minuten auf einem Sturzacker in Schönwohld, westlich von Kiel, an demselben Abend, an welchem der Stifter des e V Mee ‘Majestät der Kaiser, in- Kiel weilte.

hatte volle drei Stunden, der Aufftieg zwei Stunden -

zwanzig Minuten gedauert. Als wichtigste Ergebnisse sind hon e bervorzubeben: 1) Die Erreichung einer größeren Höhe, als dies

biéher gelungen. 2) Die Feftstellung einer ungemein tiefen Tempe- ratur in diefer Höhe und eine sehr viel ftärkere Tem L

zwischen 1500 m und 9200 m, als man bisher für den Winter je angenommen hat. 3) Temperaturumkehr früh und Abents bis 150900 m. 4) Verhältnißmäßig sehr s{chwahe Es

selbst iîn der größten Höhe im ay zum M v. I. 5) Wohl im Zusammenhang damit verhältn Mee der höchsten Schichten und feiner =

immel bis in enorme Höhen hinauf (über 10000 m). 6) s floFenftruftur der Girroftratuswolfe in 9000 m. 7) Gewaltige Zz- nahme der Windgeshwindigkeit nah oben; bei nahezu -vollkomméz O A A

¿ mm ju , einer 7

167 m in der Sekunde entspricht.

s

Zweite Beilage

\ | zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Slaals-Anzeiger.

M 20.

Berlin, Mittwoch, den 23. Januar

1895.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

4. Sißung vom Dienstag, 22. Januar.

In der fortgeseßten ersten Berathung des Staats- haushalts:Etats (s. den Anfangsbericht in der gestrigen Nummer d. Bl.) nimmt nah dem Abg. Bachem das Wort der

Präsident des Staats-Ministeriums, Fürst zu Hohenlohe:

Der Herr Vorredner hat im Eingang seiner Rede über die Ge- rüchte gefprohen, welhe über Ministerveränderungen kursieren, und hat fein Bedauern darüber ausgedrückt, daß diesen Gerüchten nit entschiedener entgegengetreten werde. Es ist, meine Herren, sehr schwer, den zablreih auftretenden Gerüchten immer entgegenzutreten ; um aber dem Wunsche des Herrn Vorredners in einiger Beziehung zu entsprehen, will ich das Wort ergreifen, um Jhnen meine Ansicht über die bestehenden und kursierenden Gerüchte auszufprechen. Ehe ich das aber ihue, muß ich mich zunähst wenden gegen einige Aeußerungen des Herrn Abg. Richter in der gestrigen Sißung, der ih beizuwohnen zu meinem Bedauern verhindert war. Der Herr Vize-Präsident des Staais-Ministeriums hat bereits gestern darauf geantwortet; indessen glaube ih aber doch verpflichtet zu sein, einige Worte beizufügen, umsomehr, als der ges ebrte Herr Abgeordnete mir eine mebr ornamentale Stellung ange- wiesen hat mit der gewohnten Courtoisie, die ihm eigen ift. (Heiter- keit.) Herr Abg. Richter hat sich beshwert über den Mangel an Solidarität im Staats-Ministerium. Der Herr Vize-Präsident des Staats-Ministeriums hat {on gestern dargethan, wie unbe- gründet diefer Vorwurf ist. Ich habe dazu nur zu bemerken, daß allerdings bei der Uebernahme meines Amts und bei der Bildung des Ministeriums niht nach der in parlamentarish-konstitutionellen Staaten üblichen Schaklone verfahren worden ist. Indessen haben bei meinem Eintritt VespreGungen zwishen mir und den Ministern stattgefunden, die zu demselben Ziele führten und die bewiesen, daß wir in prinzipiellen Fragen in unseren Anschauungen übereinstimmten. Seitdem glaube ih nit, daß die Regierung Anlaß zu der Annahme gegeben hat, sie fei nicht einig und es beständen in ihrem Schooße Meinungsrersciedenheiten. Allerdings können ja in einem Kollegium nit alle Mitglieder der- selben Ansicht sein; aber wir bemühen uns, in den Berathungen des Staats-Ministeriums unsere Meinungsverschiedenheiten auszugleichen, und wenn wir daun mit Beschlüssen an die Oeffentlichkeit treten, so find wix einig geworden.

Der Herr Abg. Richter hat auch von Gerüchten über mögliche Ministerwechsel und Aehnlihes und über die Unsicherheit unserer Zustände gesprohen. Ih muß die Schuld an diesen Gerüchten von mir ablehnen. Jn der That kursieren Gerüchte von Ministerver- änderungen zahlrei, sie treten jeden Tag auf. Wie entstehen nun diese Gerüchte? Ich will Jhnen sagen, wie ih die Sache ansehe. Cs giebt in Preußen viele Staatsmänner oder folhe, die sich dafür halten. (Heiterkeit.)

Diese Staatêmänner, die unbeshäftigten zumal, haben gute Freunde, die nicht begreifen können, daß der ihnen befreundete Staats- mann noch nit die Stelle einnimmt, für die sie ihn geeignet halten, daß, wie die Engländer sagen, the right man noch nit on the right place fige. Das fränft sie, und was thun sie nun, diese Freunde? Sie gehen zu einem befreundeten Journalisten, und wer ist in unserer Zeit nicht mit einem Journalisten befreundet ? (Heiterkeit.) Sie sagen ihm dann nicht etwa: Jh wünsthte , daß mein Freund X Minister oder Botschafter würde, sondern sie sagen: Mein Freund X wird demnähst Minister oder Botschafter. Diese Nachriht fo meinen sie könnte doch einmal an maßgebender, Stelle gelesen werden und cine gewisse Wirkung ausüben. Der befreundete Journalist, dem diese Nachricht gebracht worden ist und dessen Geschäft es mit ih bringt, sensationelle Nachrihhten zu veröffentliGen, eilt dann nah Hause und läßt die Nachricht shleunigst drucken ; denn etwas Sen- sationelleres als die Abshlahtung eines Ministers oder etwa eines Botschafters giebt es nit. (Heiterkeit.) Und so entstehen die Ge- rüchte von Ministerwechseln. Nun glauben Sie niht, meine Herren, daß ih von Vermuthungen sprehe; mir stehen auf diesem Gebiete reiche eigene Erfahrungen zu Gebote. Jch sprehe niht von meiner Thätigkeit als bayerisher Minister. Damals waren die Zeiten zu ernst für Intriguen, und ih bin dur ein mich ehrendes glänzendes Mißtrauensvotum beider Kammern beseitigt worden. (Heiterkeit.) Anders war es schon in Paris. Der Pariser Botschafter- posten is ein sehr gesuchter; ich wurde viel beneidet und hatte zahlreihe Konkurrenten. Diese hatten “nun wieder Freunde, und diese Freunde verbreiteten dann in der Presse, in deutshen und in französishen Blättern, daß der Fürst Hohenlohe alt und müde sei und demnächst seine Entlassung geben werde. Ih muß bemerken, daß das vor 20 Jahren war. (Heiterkeit.) Aehnlich ist es in Straßburg gewesen; in den neun Jahren, die ih in Straßburg amtlih thätig war, sind keine se{chs Monate vergangen, ohne daß in irgend einem Blatte meistens in Berliner Zei- tungen die Nachricht auftauhte: der Statthalter sei alt und müde und würde durch den General X oder den Ober-Präsidenten Y erseßt werden. (Heiterkeit.) Diese Erfahrungen haben zur Folge, daß mi alle Krisengerüchte schr kühl lassen, und ich möchte Ihnen und allen nur wünschen, daß Sie meinem Beispiele folgten und die Sensationsnachrichten von Krisen an sih ablaufen ließen, wie Regen- tropfen am Regenmantel. (Heiterkeit.)

Nun hat diese Sache aber auch eine ernste Seite, und zwar fine bedauerlihe Seite. Der gewöhnliche Zeitungsleser besigt nit den Gleihmuth und die Gemüthsruhe, die mir eigen sind in der Be- urtheilung solcher Krisengerüchte, sondern er glaubt sie, nimmt solche Nachrichten als ernst und folgert daraus Unsicherheit unferer Zustände, und so entsteht Unzufriedenheit, Unruhe und Pessimismus.

Lassen Sie mi s{hließen mit dem Wunsch, daß diese Gerüchte endlih ihr Ende finden und verstummen möchten, und daß es uns ver-

Staatsschulden, alle / an

gönnt fei, mit Ruhe unserer Arbeit okne S?ör 1ng nachgeben zu können zum Wobl des Vaterlandes! (Lebhafter Brifall.)

__ Abg. von Shalscha (Zentr.): Auh ih bin im allgemeinen mit der Steuerreform zufrieden, wenn au über die Einschätzung, namentli bei der Grgänzungésteuer, mancherlei Beschwerden besteben. Diefe leßteren beziehen sich hauptsählich darauf, daß bei Gütern Land und Gebäude einzeln eingeschäßt werden; das ist eine Ungeheuer- lidfeit! Meberbaupt müfsen die fleinen Nörgeleien und Ouälereien bei der Einfchäßung aufhören und die jedeëmalige Lage einer Guts- wirthschaft oder einer Fabrik mehr berücksihtigt werden ; denn auf die Dauer müssen die Vermögenswertbe den Ertragswerthen folgen, und leßtere sinken ja infolae unserer Wirthschaftépolitik mehr und mehr. Wir werden nit feblgreifen, wenn wir annehmen, daß der gesammte Besitz Preußens in Landwirtbschaft und Forsten von 18 bis 19 Milliarden gegenwärtig auf 9 Milliarden vermindert, wie überhaupt das ge- sammte Nationalvermögen seit zebn Fahren um 25 %% zurückgegangen ift. Man nennt das eine Verschiebung des Nationalvermögens; ist es au eine Verschiebung, wenn man dem Fuchs das Fell über die Ohren zieht ? Nachdem die Landwirtbschaft verarmt ist, verarmt allmählich auch die Industrie und das Kapital. Die Verschuldung ift in der Landrwirth- haft progressiv gewachsen, der Verkaufswerth {stetig gefallen. Jm Augenblick können uns alle Maßregeln zur Regelung des Anerben- rechts, zur Hebung des Kredits u. \ w. nichts nügen, das ist alles Zukunftsmusik und leeres Stroh. Schnelle Hilfe ift den Landwirtben nur durch Hebung der Getreidepreise zu bringen und dieses Hilfs- mittel liegt beim Reichstage. Den \{chwerîten Schaden bringt uns die unterwerthige Valuta anderer Länder, die unseren Export \{ädigt, den Import aber begünstigt. Jn dieser Beziehung haben wir die s{limwsten Erfahrungen mit Argentinien mit feiner unterwerthigen Goldvaluta gemacht. Der argent:nishe W-izen beberrsht die Welt, der russishe hat darunter zu leiden. Diesen Verhäitnissen steht Deutschland bilflos und thatlos gegenüber; es läßt sih abzavfen bis auf den leßten Irovfen wie eine wohlerzogene Kuh. Wollte aber auch Deut\chland auf diesem Gebiet etwas thun, es würde der Land- wirthschaft nits nüßen; es fommt ganz darauf an, wie sh Ruß- land dazu verhält, und diesem gegenüber sind uns die Hände durch den Handelsvertrag vollständig gebunden. Eine Remedur der Valuta erscheint also gegenwärtig unmögli. Diesen Ver- bältnifsen {nell und radiïal abhelfen kann nur der Antrag Kaniß. Er i geeignet, den fkünstlibhen Druck, der auf den landwirthschaftlihen Preisen rubt, zu beseitigen. Seine Annahme würde keinen Bru mit dem russischen Handelsvertrag bedeuten; denn Artikel 5 Alinea 2 bestimmt daß von den Bestimmungen des Handelsvertrags diejenigen Gegenstände aus- genommen fein follen, die in einem der Vertragsländer Gegenstand eines Monopols sind oder werden. Diefer Artikel i in meinen Augen der verständigste des ganzen Handelsvertraas. Auf den her- vorragenden Posten, auf denen \ich die neuen Minister befinden, ist die Position oft ret {chwer. Ih möchte aber fagen: Minister wer- den ift eine große Ehre Minister bleiben, unter Umständen nicht.

Abg. Ri ckert (freis. Vag.): Nach der ede des Herrn Minister- Präsidenten wissen wir nun, wo die Staatsmänner sind, die das Be- dürfniß fühlen, fich an die Stelle der genannten Minister zu stellen. Die freifinnige Presse ist es nit, die Krifengerihte in die Welt seßt, es ist eine andere gewisse Presse, die noch beute voliständig auf dem Boden des alten Kurses steht. Der Herr Minister - Präsident hat behauptet, daß im Lande keine Unsicherheit berrschen würde, wenn die Krisengerüchte niht in so beunruhigender Weise verbreitet würden. Die Thatsache der Unsicherheit ist vorhanden. Sie ist aber nicht die direïte Folge von Gerüchten oder von den letzten Minister- weseln, sie stammt vielmehr daher, daß ein Minister, von dem überall berihtet wurde, er befinde sich im Einverständniß mit seinen Kollegen und der Regierung, in kürzester Zeit dana feinen Posten verliezg. Wie ist dies möglich ? fragt man sich überall. Das ist der Grund der allgemeinen Unsiherheit, niht Zeitungsartikel, die uns im übrigen ebenfowenig irritieren werden wie den Herrn Minister-Präsidenten. Wir werden nie die Person, fondern nur die Sache zum Gegenftand unserer Erwägung mahen. Wir haben den Grafen Caprivi bei dem Schulgesez ebenso bekämpft, wie wir ihn bei den Handelsperträgen unterstüßt haben. Ich wende mich zum Etat. Wenn wir diesen fo beurtheilen wollen, wie mein Kollege Bachem, dann würden wir drei Abtheilungen bekommen: eine katholishe, evangelishe und jüdische. Ich habe für folche Fragen, ofen gesagt, kein Verständniß. Konfession ist uns gleichgültig. Jch habe z. B. erst heute erfahren, daß der Herr Justiz-Minister katholish ist. Wir fragen dana, ob ein Minister feinen Plag ausfüllt, nicht nach seiner Konfession. Wenn der Abg. Bachem gesagt hat, die Katholiken seien treue Staatsbürger und würden dem Nufe ihres Königs jeder Zeit Folge leisten, was meint er damit ? Meint er den Krieg, fo ist feine Versicherung überflüssig, da die Katholiken nur eine Pflicht erfüllen, wie jeder andere Staatsbürger. Soll es heißen, daß bei einer Reichétagsauflösung alle Kätholiken im Sinne der Regierung wählen würden? Eine Erklärung wäre hier wohl nöthig, um Mißverständnisse nah oben und unten zu vermeiden. Was den Etat speziell betrifft, so, muß ih sagen, hat mir der Herr Finanz-Minister diesmal damit viel besser gefallen als früher. Der Herr Minister ist sanfter geworden, er sieht ein, daß gegen den Strom niht zu {wimmen is. Die Thatsache steht fest, daß der Nettoübershuß um rund 224 Millionen günstiger - ist. Aller- dings ift ein Defizit vorhanden, aber das is nur ncminell. Wenn der Etat fertig is, wird sich dics anders ausnehmen. Wir" wollen keine indirekten Steuern mehr. Wir müssen endlich damit aufhören und die Lasten auf die stärkeren Schultern laden. Auch wir wollen die Selbständigkeit der Finanzen des Reichs und die Selbständigkeit der gingen Preußens. Aber wir können nicht cine Tabackfabrikatsteuer bewilligen, die Tausende von Arbeitern auf die Straße wirft. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Finanz-Minister Miquel sich auf eine Partikularvertretung stützen werde, um feine Neichs- fteuerpläne durhzuseßen. Was die Kleinbahnen anbelangt, so ist der Staat verpflichtet, Zuschüsse zu zahlen. Er hat es versprochen, als er die Berwaltung der Eisenbahnen in seine Hand nahm. Daß die Eisen- babntarifreform nicht vorwärts kommt, ift beklagenswerth. Das Gegengewicht gegen die Reform bildet der Finanz - Minifter. Die Tarife für Futter und Dungmittel müßten, wie Schulz - Lupiß auch räth, zuerst ermäßigt werden. Bedauerlih war mir der Einblick in den Kultus-Etat ; E oauertidi ist es, daß die Schule mit fo erbärm- lihen Summen arbeiten muß. Damit der Herr Finanz-Minister mir nit wieder sagen kann: Ihr wollt immer neue Ausgaben und wollt keine Einnahmen bewilligen! so erkläre ih mich _ hiermit bereit, einen Zuschlag zur Einkommensteuer von „zwanzig Mil- lionen zu bewilligen. Wie viel könnte der Herr Finanz - Minister ferner auch durch Konversionen sparen! Jeßt wird der Zinsfuß künst- lih aufrecht erhalten, und man s{ädigt doch damit am meisten die Landwirthschaft, der man ebenfalls den Kredit vertheuert. Die Beuns- rubigung in der Finanzwelt wird gerade jeßt begünstigt dadur, daß man nidt weiß, was kommen wird. Auch jeßt hat sich der Herr Finanz-Minister auf eine direkte Frage nicht über die Konversionen ausgesprochen. Vorwärts, Herr Minister, mit den Konvertierungen ! Wir - geben Cra Millionen zu an Zinsen füx unsere

eren Länder zahlen“ nur 24 o oder 3 9% Zinsen. Was die Landwirthschaft und ihre Noth betrifft, so schädigt man durch das ewige Nothgeschrei ebenfalls ihren Kredit. Heute hat das wieder Herr von Schalscha gethan. Die schwierige Lage vieler Landwirthe. erkenne ih an, aber man darf nit übertrejben.

Die Handelsvertragépolitik fit einmal auf zwölf Jahre festgelegt, laffen Sie doh aljo das Rütteln daran! Es wäre aber auch Zeit daß sid die Herren Minifter au im Augenblick noch solidarisch mi dieser Politif erklärten. Was sollen denn die übrigen Mächte von der Stetigfkeit deutscher Politik denken, wenn fortwährend an den vorjährigen Beschlüssen gerüttelt wird? Die Minister müßten auh beute diese Politik noch als eine segensreibe erflären. Auch die Konservativen unter Herrn von Manteuffel haben doch den ersten Sritt zu dieser Politik beim österreihishen Vertrag mitgemacht. Sie dringen nun auf den Antrag Kaniy, und auch hierüber bört man keine Aeußerung vom Regierungstishe. Auch hier ist. die Unsicherheit eine Folge der Laltung der Regierung. Der Graf Caprivi und der Führer der Nationalliberalen haben diesen Antrag für gemein- und staatsgefährlih erklärt. Zweifellos wäre die Annahme des Antrags ein Bruch der Handeléverträge, und auch Graf Caprivi hat fon ge!agt, daf, wenn wir mit solher Bestimmung an den Handeléverträgen rütteln würden, fo würden wir alles Vertrauen im Auslande verlieren. Auch die heutige Regierung muß im Staatsinteresse {nell eine Stellung zu dem Antrage nehmen. Versumpfen darf diese Frage nicht. Bei der früheren Abstimmung war doch nur eine kleine Zahk der Kon/ervativen für den Antrag; „auch heute wird dieser verlorene und vernichtete Antrag keine Majorität finden. Es wäre Wasser auf die Mühle der Sozialdemokraten, die in Konsequenz auch die Verstaat- lihung von Grund und Boden verlangen würden. Ift es patriotish, wenn man gerade jegt die Agitation in das Land trägt und unerfüll- bare Hoffnungen erweckt ? So fördert man die Sache der Sozial- demokraten. Der Graf von Caprivi ist dem Anfturm der Agrarier erlegen, und ih möchte die jeßigen Vertreter der Regierung dringend bitten, jeßt niht zu s{chweigen, fondern eine flare bestimmte Erkläcung abzugeben. Die Herren von jener Seite werden fich mit fleineren Gaben doch nicht zufrieden geben, ehe sie niht so und so viel Mark mehr für den Scheffel Getreide erhalten.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Der Herr Abg. Nickert sagte zuerst: ich will mi um Neichs- fragen bier nit befümmern, es ist durhaus fals, wenn Fragen, die nur im Reich entschieden werden können, bier im Abgeordnetenhause verhandelt werden; er endet aber damit seine Rede, daß cer nichts Anderes verhandelt als NReichsfragen, zugleih aber mir vorwirft, daß ih hier Partikularismus triebe, indem ich Anträge hier im Landtage unterstüße, welhe doh nur im Reich entshieden werden fönnen. Diese Art von Logik und Konsequenz möge ein anderer begreifen, ih fann sie niht begreifen. (Sehr gut! rechts.) Meine Herern, wenn der Herr Abgeordnete hier von uns verlangt, daß irgend eine bestimmte Meinungsäußerung über einen möglicher Weise in den Neichstag gelangenden Antrag fofort von uns hier namens des Staats-Ministeriums abgegeben wird ja, meine Herren, dann hätten wir sehr viel zu thun. (Sehr gut! rets.)

Ich kann mir in diesem Augenblick sehr gut denken, wie das Staats-Ministerium ih zu einem solhen Antrag, wenn er einge- braht würde, stellen würde; ich fühle aber keinen Beruf, diese Er- flärung über einen Antrag, der überhaupt noch nit einge- bracht ist und der, wenn er eingebraht wird, nur im Reichstag ein- gebracht werden könnte, abzugeben. Wird der Antrag Kanitz im Neichstag eingebracht, so bin ih siher: eine bestimmte und deutliche Stellungnahme der Reichsregierung zu demselben wird niht fehlen.

Meine Herren, ih möchte mir gestatten, einen kurzen Rücfblick auf die verschiedenen Reden zu werfen, und da muß ih sagen: ich bin bei dieser Generaldebatte von denselben Gefühlen beseelt, von welhen ih noch beim Schluß jeder anderen Generaldebatte beseelt war. Fast alle Redner haben dasselbe Lied gesungen: Sparsamkeit! Sparsamkeit! gleichzeitig: Geld ausgeben! Geld ausgeben! gleidzeitig vollkommene Dunkelheit über die Art und Weise, wie das Geld herbeigeshaffft werden foll, welches sie fordern. Das ist der Schluß fast jeder Generaldebatte. Jch will auf die einzelnen Reden in dieser Beziehung garnicht eingehen; selbst die stärksten und entschiedenften Männer der Sparsamkeit kommen {ließli doch immer an einen Punkt, wo sie scheitern und sagen: hier muß mehx Geld ausgegeben werden!

Der Abg. Dr. Bachem beispielsweise verlangt das für die Kirche, der Abg. Richter für die Schule, ein Dritter für die Land- wirthschaft, ein Vierter für Kleinbahnen, ein Fünfter für andere Bahnen, es ist immer dasselbe Lied.

Meine Herren, wenn ih nun mit Thatsahen komme, wenn ih nahweise: in den leßten vier Jahren stecken wir im Defizit, und zar sehr erheblih, insgesammt sind {hon über 100 Millionen An- leihen gemacht zur Deckung folcher Ausgaben, die die heutige Generation zu zahlen s{uldig is; wenn ih frage: welche Mittel können mir die Herren angeben, mit denen ich dieses Defizit deden foll, und welche Ausgaben können gestrichen werden ? .— keine Antwort! Wenn ih frage: woher sollen die Einnahmen kommen, wenn die Ausgaben nit vermindert werden können? allgemeine. Bemerkungen! Herr Rickert in seinem guten Herzen ermahnt uns, nur nicht so ungeduldig zu sein, dieses Defizit ruhig weiter gehen zu lassen, die Zeiten werden {hon besser werden. Ja, meine Herren, wenn das die Politik eines »«rusten Finanzmanns ist, dann ist das die Politik, die immer weiter herabrutshen wird- und mit welcher man \{ließlich in den Abgrund kommen könnte.

Der Abg. Richter beispielsweise, der die Kunst versteht, große Fragen zu vershhleiern durch kleine Einwendungen, auf die dann die Aufmerksamkeit gerichtet wird, beklagt si darüber, daß ih das Ver= hältniß Preußens zum Reich verglichen habe unter Benutzung - der Jahre 1892 und 1895/96 als Vergleichungspunkt. Nun, wenn ih weiter zurückgegangen wäre in den Vergleihungen, dann kommen noch ganz andere Zahlen heraus; dann stellt sfi beraus, daß wir nah der Rechnung im Jahre. 1888/89 vom Reiz mehr überwiesen erhielten 41 Millionen, währezd wir jeßt, wie gesagt, nah diesem Etat 20 Millionen bezahlen müssen Differenz von 60 Millionen ; im Jahre 1889/90 Mehrüberweisungen 80 Millionen, im Jahre 1890/91 46 Millionen, - im Jahre 1891/92 noch 41 Millionen und 1892/93 52 Millioner,” Nun bin ih überzeugt, wenn ih diese erstgedachten, Vergleichsjahre ge;ommen hätte, dann würde der Abg. Richter erst “œdt sid auf das hoge Pferd geseßt haben und gesagt haben: das ‘f alles Blendwerk; und heute, wo ih das s{ließlich noh für - diese Ver- gleihung im Sinne des Herrn Abg. Ritter günstige, Fahr 1892/93