1895 / 43 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 18 Feb 1895 18:00:01 GMT) scan diff

das Silber zu Hilfe genommen wird. Die ectlogal- Zeitung hat kürzlich in ibrem Handelstheil bemerkt, wenn man die Einwirkungen der russischen Regierung auf den Rubelkurs, welche jede Berechnung der Industrie über den Laufen würfen, vorausgesehen hätte, so würde man {ih vielleicht nicht auf den Handelsvertrag eingelassen haben. Darin liegt doch das Aner- kenntniß, daß die Valutadifferenzen für die Industrie nachtheilig sind. Die beantragte Konferenz braucht nicht sofort zum Bimetallismus zu führen; es wird hon außerordentlih viel gewonnen sein, wenn man fih über gewisse Normalvorshläge zur Hebung des Silberpreises verständigt. Ih würde allerdings verschiedene erter für unerläßlih halten, nämlich daß das alte Werthverhältniß des Silbers zum Golde und nicht ein unverhältnißmäßig hohes zu_ Grunde gelegt werde, und ferner, daß an der Nothwendig- keit der Betheiligung Englands festgehalten werde. Es scheint mir allerdings kaum glaublih, daß England sich einer allgemeinen Verein- barung widerseßen werde. Im Interesse von Landwirthschaft, Ju- dustrie und Handel wünshe ih, daß wir zu einer solhen Verein- Zang gelangen, und darum empfehle ich Ihnen die Annahme des ntrags.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Der Herr Abg. Richter glaubte, aus ‘der Er- flärung, die gestern der Herr Reichskanzler gab, einen heftigen Angriff gegen ihn herleiten zu müssen. Vergegenwärtigen Sie si, bitte, die gegenwärtige Situation der Münz- und Währungsfrage. Inner- halb der von dem früheren Herrn Reichskanzler berufenen Silber- Fonferenz wurde auch von den Monometallisten anerkannt, daß der sinkende Werth des Silbers für unser Erwerbsleben ernste Schäden mit sich bringe. (Hört, hört!) Es ift unbestritten, daß der gesunkene Werth des Silbers zunächst einen nachtheiligen Einfluß auf unsere innere Fabrikation und Erxportverhältnisse ausübt. (Sehr richtig!) Gegenüber dieser Behauptung wendet man ein, daß statistisch unser Export nah den Silberländern ein minimaler wäre und deshalb gegenüber den gesammten wirthschaftlichen Interessen der Nation niht ins Gewicht fallen könne. In dieser Beschränkung ist die Behauptung nur zum theil eine rihtige; denn unzweifelhaft leiden auch die englishe Produktion und der englische Export wesentlih durch den gesunkenen Silberpreis in ihrem Verkehr mit den Silber- ländern. (Sehr richtig! rechts.) Durch die Stagnation aber, die her- beigeführt worden ist einerseits für die englishe Fabrikation, anderer- seits für den englischen Export, wird auch eine latente Rückwirkung auf die deutshe Fabrikation und den deutshen Export nach den Silberländern geübt; ein Faktor, den man zu leiht geneigt ist, außer Acht zu lassen. (Sehr richtig! rechts.)

Es ist ferner unzweifelhaft, daß unser heimisher Bergbau die allerschwersten Verluste erleidet durch den gesunkenen Silberpreis. Sie mögen dem heimishen Bergbau einen Werth beimessen, in welhem Umfang Sie wollen es ist notorisch, daß es ein alter tra- ditioneller Erwerbszweig ist, der eine große Anzahl Arbeiter beschäf- tigt, daß eine Verlegung dieses Betriebs der Natur der Sache nach nicht stattfinden kann, und daß durch den Rückgang der Prospe- rität unserer Silberbergwerke die Existenz einer großen Anzahl Ar- beiter thatsächlich gefährdet ist. (Sehr richtig! rets.)

Und dann noch ein dritter Gesichtspunkt, der auch von den Mono- metalliften anerkannt wird. Es is unzweifelhaft, daß ein wesent- liher Mißstand in der erheblichen Unterwerthigkeit des umlaufenden Silberhartgeldes liegt. Wir haben bis jeßt erst einen Fall feststellen Fönnen, daß im Ausland eine echte Nachprägung von ausländischen Silbermünzen faktisch stattgefunden hat; daß aber die gleihe Möglich- keit und Gefahr für unsere Münzen vorliegt, das, glaube ih, fann man nit bestreiten, wenn ein Thaler nur den Werth von 1,40 A hat.

Nun vergegenwärtigen Sie fich ferner, daß in der von der Ge- sammtbevölkerung 42% betragenden ländlißhen Bevölkerung Deutschlands in weiten Kreisen jeßt der Glaube wver- treten is, unsere bestehenden Währungsverhältnisse wären Schuld an dem Nükgange der Preise der landwirthschaftlihen Pro- dukte und daß dieser Glaube getheilt wird auch von einer wachsenden Anzahl Industrieller (sehr rihtig!), die in ihrem Export geschädigt find. Wenn Sie ferner erwägen, daß der Zweifel an der Güte der Goldwährung auch in anderen Ländern eine mächtige Bewegung hervorgerufen hat; wenn Sie erwägen, daß der Vertreter der Regie- rungsgewalt eines anderen Staats in einer offiziellen Rede (sehr richtig !) hervorhebt, die Goldwährung wäre {chädlich, man müßte zum Bi- metallismus zurückehren, und den beginnenden Preisfall des Silbers darauf zurüdckführt, daß Deutschland mit der Goldwährung vorgegangen ist (fehr rihtig!); wenn Sie endlich bedenken, daß hier die Majorität des Hauses sih zu einem Antrage vereinigt, dahin gehend, eine Münz- konferenz zu berufen, um nohmals zu untersuchen, was ist an diesen Vorwürfen gegen die Goldwährung berechtigt und was nicht ? meine Herren, i glaube, dann würde der Reichstag äußerst verwundert ge- wesen sein, wenn der Herr Reichskanzler sich auf die Erklärung beschränkt hätte: „Unsere Währung ist zu Recht eingeführt, ih halte sämmtliche Klagen für unbegründet und lehne es ab, irgendwie auf diesen Wunsch einzugehen.“ (Sehr richtig !) Meine Herren, ih bitte, doch nur eins zu bedenken: wie viel Anregungen kommen hier an das hohe Haus wegen Fragen, die aus viel kleineren Kreisen der Be- völkerung hervorgehen; wir sollen gewisse Enquêten veranstalten, die Ursachen gewisser Mißstände, die hervorgetreten sind, untersuchen. Und wie viele folhe Anregungen übermittelt das hohe Haus seiner- seits dem Herrn Reichskanzler! Man kann auf dem s{hroff\ten monometallistishen Standpunkt stehen und wird doch nit bestreiten können, daß die Währungsfrage eine fehr tiefgehende Frage ist (sehr richtig!) eine Frage, man mag sie akademisch entsheiden, nah welcher Seite man will, von ungeheurer Bedeutung für unser gesammtes wirthschaftlihes Leben. (Sehr richtig!) Ich glaube, gegenüber dieser Bewegung, wie fie jeßt durch Deutschland geht, wie sie in zahlreihen Petitionen an die Reichsregierung ihren Ausdruck findet, kann man si niht nur ablehnend und achselzuckend verhalten mit der Erklärung : es ist alles gut, es liegt gar kein Grund vor, die Frage weiter zu vertiefen. Und was hat denn der Herr Reichskanzler erklärt? Der Herr Reichskanzler hat erklärt: ih will mit den verbündeten Regierungen erwägen, ob die Bedenken, die gegen die bestehende Reichswährung erhoben sind, die Bedenken, die hergeleitet werden aus dem wachsenden Unterschied in der Werthbemessung der beiden Edel- metalle, ob diese Bedenken kräftig genug sind, daß sie uns veranlassen Töônnen, mit den Regierungen anderer Länder, wo gleihe Bestrebungen hervorgetreten sind, die Frage zu erörtern: wie ist diesem Uebelstande abzuhelfen? Auch die Monometallisten erkennen ja an, daß der ge- sunkene Goldwerth des Silbers ein Nachtheil ift (sehr rihtig! rechts) und gewisse Uebelstände im Gefolge hat. Diese Untersuchungen

können dazu führen, rein theoretisch gedaht, daß man das Silber remonetisirt; sie brauchen aber niht dazu führen; es sind in der Silberkommission auch Vorschläge gemacht worden, die {ih dafür aus\prehen, zunächst auf nationalem Gebiet dur die voll- werthigere Ausprägung unserer Silbermünzen, durch die Ge- währung einer größeren Zahlungskraft an die Scheidemünzen wenigstens zu versuchen, den Werth des Silbers wieder zu heben.

Ich resümiere mich dahin: die Frage ist eine tiefgehende, eine Frage, von deren Lösung ein großer Theil der landwirthschaftlichen Bevölkerung Deutschlands fih einen Vortheil verspricht (fehr richtig! rets), und gegenüber der Vertretung, die diese Frage hier von einer überwiegenden Majorität des Reichstags gefunden hat, war es Pflicht des Herrn Reichskanzlers, eine weitere ernsthafte, wohlwollende Prüfung der Sache zuzusagen. (Lebhafter Beifall rets.)

Die Debatte wird E

Abg. von Kardorff (Rp.): Wenn Abg. Barth sagt, die Unterzeichner des Antrags seien nicht alle Bimetallisten, so frage ih ihn, ob er der Meinung e daß alle diejenigen, die mit ihm stimmen, die Fyrungelrage verstehen. Die Zahl der Leute, die sich mit der Währungsfrage beschäftigen, is auf unserer Seite viel größer als auf Ihrer. Wir haben zu wählen, ob wir die deutsche Landwirthschaft erhalten wollen oder die Goldwährung. Bisher sagte man, die deutsche Landwirthschaft soll entzwei gehen; jeßt haben sih aber die Anschauungen geändert. Die Sozialdemokratie ist gegen den Bimetallismus, weil sie weiß, daß der Bauernstand einen festen Damm gegen fie bildet. Die Steigerung der Gold- roduktion wird die Nachfrage nah Gold niemals erreichen können; des- balb können wir auf die Dauer das Silber als Währungsmetall nicht entbehren. Es ift eine Chrenaufgabe unserer Regierung, die Jnitiative auf diesem Wege zu ergreifen. Bei seinen Kollegen wird der Reichskanzler keinen Widerstand finden, wenn er Verhandlungen anbahnt, wohl aber bei seinen Geheimen Räthen ; denn die Geheimen Räthe lernen nihts und können von ihren veralteten Theorien nicht lassen. Wenn in der Währungsfrage nicht energisch und in beschleunigtem Tempo vor- gegangen wird, wird der Antrag Kaniß sih mit elementarer Gewalt Bahn brechen.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky:

Meine Herren! Der Herr Abg. von Kardorff hat erklärt, er habe gestern bemerkt, daß bei der Erklärung des Herrn Reichskanzlers die Herren Geheimen Räthe eine \tillmißbilligende Haltung einge- nommen hätten. Meine Herren, ih muß das entschieden be- streiten. Nach dem deutschen Staatsreht is es Sitte, daß nur die Chefs der Ressorts verantwortlich sind, und wie die Stellung der Chefs zu den Beamten ihrer Ressorts is, hat jeder Beamte selbst- verständlih die Pflicht und das Necht, innerhalb des Referats, was er bearbeitet, seine Bedenken au seinem Chef gegenüber geltend zu mahen. Er hat aber auch die Pfliht, nach den Anweisungen seines Chefs zu arbeiten, und es ist in den deuts{en Verwaltungen niht die Sitte und es wird niht geduldet, meine Herren, daß Ge- heime Räthe eine besondere Politik treiben. (Zuruf rechts.) Wenn troßdem der verehrte Herr Abgeordnete glaubt, daß in einem Ressort eine von der Auffassung des Chefs abweichende Politik getrieben wird, so würde er nur die Shwäche des Refsorthefs dafür ver- antwortlißh machen können. Jch halte es in jedem Fall nit für unbedenklih, über den Ressorthef hinweg seine nahgeordneten Be- amten zum Gegenstande von Angriffen zu machen.

__ Durch das Eingreifen des Staatssekretärs ist die Debatte wieder eröffnet.

Abg. Dr. e er, Dae (fr. Vg.) wendet sih gegen die Aus- führungen des Abg. Dr. Friedberg. Bei jeder Veränderung der Wäh- rung haben die Shwachen Schaden, darum müsse im Interesse der Schwachen für möglichste Stabilität auf diesem Gebiet gesorgt werden. Trete eine folhe Konferenz, wie sie der Antrag wolle, zu- sammen, bei der jeder einen anderen Vorschlag in der Tasche habe, so fomme ihm das so vor, als wenn zwanzig Per- sonen mit leerer Tasche sich um. einen Spieltisch seßten und jeder glaube, er werde cine folofsale Summe gewinnen können. Freilih leide der Silberbergbau, aber auch noch manche andere Jn- dustrien. Wenn ein irriger Glaube im Lande verbreitet sei, dürfe man sich nit zu falschèn Maßregeln verleiten lassen. Wir wollen unsere Kräfte niht an ein hoffnungsloses Unternehmen wenden. Die Regierung könnte \sih ein großes Verdienst erwerben, wenn sie diesen Agitationen den Boden Gee

Abg. von Kardorff (Np.): Jch erkenne dem Sekretär des Reichs-Schaßzamts die Berechtigung zu, seine Beamten in Schuß zu nehmen, müßte aber dann auch bitten, daß diese Beamten nicht dur Mienen und Gesten hier Parteien verleßen. Wenn übrigens in der Diskussion gesagt wurde, man wisse niht, was eigentlih auf der Münzkonferenz vorgeshlagen werden solle, so erinnere ih doch an die praktishen Vorschläge, die u. A. von Dr. Schrant und Dr. Arendt gemacht sind. Bezüglih der Sozialdemokratie möchte ich doch noch darauf aufmerksam machen, daß sie diesen Kampf an der Seite der Plutokratie und für dieselbe führt; ferner darauf, daß verschiedene Sozialdemokraten, die heute so laut für die Goldwährung eintreten, früher Doppelwährungs- leute waren, darunter die Abgg. Schippel und Schönlank.

Damit ist die Diskus ton geschlossen, und der Antrag gelangt mit erheblicher Mehrheit zur Annahme. /

Es folgt der Bericht der Geschäftsordnungskommission über die thr zur Vorberathung überwiesene Resolution der Abg. Adt und Genossen bezüglich der Verstärkung der L P Ra DETRONITS des Präsidenten des Neihs-

ags.

__ Die Kommission hat sih über einen bezüglihen Vorschlag nicht einigen können; ein dem Reichstag zu unterbreitender Antrag ist wegen Ablehnung aller in der Kommission gestellten Anträge nicht zu stande gekommen. Die Abgg. Roeren, Graf von Holstein, Gamp und Dr. Pieschel beantragen nunmehr, den § 60 der Geschäftsordnung wie folgt zu fassen:

ie Aufrehterhaltung der Ordnung in den Sißzungen liegt dem Präsidenten ob.

__Wenn ein Mitglied die Ordnung verleßt, so wird es vom

Präsidenten mit Nennung des Namens zur Ordnung gerufen.

_Im Falle gröblicher Verleßung der Ordnung kann das Mit-

glied durch den Präsidenten von der Sißung ausge-

\chlossen werden. Leistet derselbe der Aufforderung des

N et „zum Verlassen des Saals keine Folge, so

at der Präsident in Gemäßheit des § 61 dieser Geschäfts- ordnung zu verfahren. Wenn während der Dauer der Aus- s{ließung in anderen als Geshäftsordnungsfragen eine Abstimmung erfolgt ist, bei welher die Stimme des ausge/dlossenen Mitglieds den Ausschlag hâtte geben können, so muß die Abstimmung in der nächsten Sitzung wiederholt werden.

Das ausgeschlossene Mitglied is berechtigt, spätestens am folgenden Tage a En Einspruch zu erheben, auf welchen der Reichstag, jedoch nicht vor dem darauffolgenden Tage, ohne Dis- kussion darüber entscheidet, ob der Ordnungsruf oder die Ausweisung gerechtfertigt war.

_ Präsident von Leveßow giebt den Vorsiß an den Vize- Präsidenten Freiherrn von Buol ab.

Berichterstatter der Geschäftsordnungskommission Abg. Träger de Vg.): Von allen Seiten wird unserem Präsidenten die größte

erehrung und das unbedingteste Vertrauen entgegengebraht. Das

eigte sih au in der Kommission. Es wurde in der Kommission darauf Pingewiesen, daß die äußere Veranlafsung zur Ma (a An Adt nicht erst den Wunsch nach einer Erweiterung der i8ziplinargent herbeigeführt habe. Der Ton im D sei gegen früher stark herabgemindert und halte Schritt mit der ersGleWterung des Tonz im öffentlichen Leben. Von den verschiedensten Seiten wurden Ap, träge zur Erweiterung der Disziplinargewalt gestellt, alle aber ah, gelehnt ; die Kommission überläßt es dem Hause, selbst Stellung ¡u der Frage zu nehmen. :

Abg. NRoeren (Br): Der Antrag des Staatsanwalts auf Verfolgung des Abg. Liebkneht hat mit dem vorliegenden Antrag nichts zu thun. Der Reichstag muß dem Präsidenten die nôthigen Mittel in die Hand geben, die Ordnung aufrecht zu erhalten. Der Ordnungsruf genügt nit als Korrektiv bei offenen Verleßungen der ersten Regeln des Anstandes. Jch bitte Sie, unserm Antrage zuzu- stimmen, der den PE eun für jeden Fall ihr Stimmrecht wahrt

Abg. Singer (Soz.): Nach unserer Ueberzeugung ift der Ane trag verfehlt. Die Möglichkeit seiner Einbringung weist auf einen Verfall des freien Bürgerthums hin. Die Herabdrückung des Tones

eschieht viel mehr durch Mitglieder der rechten als von dieser Seite

enn Aenderungen getroffen werden sollten, hätte man eber die Mit. glieder des Hauses vor Aeußerungen der Mitglieder des Bundesraths schüßen follen, wie sie z. B. durch den Staats\ekretär von Puttkamer und den Vertreter von . Mecklenburg gebraudt worden sind. Als die Rechte gegen die Regierung stand hat sie die Nedefreiheit auch benußt. Ich erinnere an die Adreßdebatte im Abgeordnetenhause im Jahre 1863. Auch im Rei 8. tag sind viele sehr starke Aeußerungen gefallen. Der Geist die es Antrags ist der Geist, von dem die Ümsturvorlage beseelt ist. Die Geschäftsordnungskommission hat es niht über sih vermocht, einen Knebelungsvorshlag zu machen, hinter den Kulissen einigte man sich zu diesem Antrag. Mit dem Hinausweisen der Abgeordneten fängt man an, dann werden andere Maßregeln folgen; darum heißt es: Prin- cipls obsta. 5

Bundesraths-Bevollmächtigter für Mecklenburg, Minister von ODerßgzen:

Meine Herren! Herr Singer hat hier die Frage aufgeworfen, oh in einem fremden Parlament ein Vertreter der Regierung \o auftreten könnte, wie hier der Vertreter Mecklenburgs. Solche fremden Parlamente, meine Herren, würden mir leid thun, denen es an Männern fehlte, die sih für ihre Regierung energish zu wehren ver: stehen. Was hat denn Herr Singer an meinem Auftreten auszuseßen? Meine Herren, ih brauhe die Immunität nicht, die Sie forgfältig hüten. Ich sage und thue hier in diesem Hause nicht mehr, als wie ih draußen vor meinem Monarchen, meinen Nächsten und meinem Gewissen zu verantworten in der Lage bin. (Lebhaftes Bravo rets.)

Präsident Abg. von Leveßow: Mit dem Antrage eines Staats anwalts hängt die Sache nicht zusammen. Nach der ersten Sizunz sprah ih miti meinen Kollegen, wie man sih vor groben Ordnungs- verleßzungen {hüten könne. Wir hätten eine formale Vorlage ein- ras wäre der Antrag Adt nicht (uma, Ich bitte, dem Antrag

oeren beizustimmen. Sie überheben mich dann der Erwägung, ob ih nit den mir von Ihnen anvertrauten Präsidentenposten niederlegen soll. Nichts liegt mir ferner, als die Redefreiheit zu beeinflussen, jede Freiheit aber bedarf der Selbstbeshränkung. Das Privilegium der Immunität wird am besten gewahrt, wenn es nit oft gebraucht wird. Gern hätte ih auch gesehen, daß die Ziffer der Beschlußfähigkeit herabgeseßt würde, doch ih will mi bescheiden. Nehmen Sie den Antrag an, Sie nügen damit dem Reichstag, und so auch dem Vaterlande.

_ Abg. Dr. Pieschel (nl.) tritt für den Antrag Roeren ein und weist darauf hin, daß ebensowenig wie gegen eine Partei, der Antrag sich gegen die Sozialdemokraten richte.

Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) erklärt im Namen seiner Fraktion, daß diese troß des Bedauerns darüber, daß der Präsident die Kabinets- frage gestellt habe, als Vertreter des freien Bürgerthums gegen den Antrag stimmen müsse.

__ Abg. Bebel (Soz.): Der Antrag richtet sih gegen uns; man will uns treffen, wenn wir bei einem Hoch auf den Kaiser sigen bleiben. Nirgends ist die Redefreiheit so beschränkt, wie hier im Reichstag. Ich wurde zur Ordnung gerufen, weil ih den Deutschen Bedientennatur vorwarf. Der Präsident hat nicht die Pflicht, das, was er unter Ehre der deutschen Nation versteht, einem Abgeordneten gegenüber in Schuß zu nehmen. Auch auf der rechten Seite wird viel gesündigt.

Präsident von' Leveßow: In den Worten des Abg. Bebel, wegen welcher ih ihn zur Ordnung gerufen, hat eine sehr {were Beleidigung der deutschen Nation gelegen. i

Der Antrag wird mit großer Mehrheit angenommen.

Schluß 53/4 Uhr.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

22. Sißung vom Sonnabend, 16. Februar. Die zweite Berathung des Etats des Ministeriums des JFnnern wird fortgeseßt.

Ueber den Beginn der Sigzung is vorgestern berichtet worden.

Nach dem Abg. Freiherrn von Richthofen nimmt das Wort

Minister des Jnnern von Köller:

Meine Herren! Jch verkenne nit, daß die Klagen, die der Herr Abg. Freiherr von Richthofen vorgetragen hat, wenigstens \foweit es sih um ländlihe Gemeindebezirke handelt, eine gewisse Begründung haben. Es ist richtig, daß eine Menge Standesbeamter, welhe als Gutsvorsteher geseßlih wverpflidtet sind, das Amt zu übernehmen, durch die Uebernahme dieses Amts in ihren Berufsgeschäften häufig und in lästiger Weise gestört werden. Aber, meine Herren, es steht dem Gedanken, den der Herr Abg. von Richthofen aussprah, größere Bezirke zu bilden und damit die Last, die derartigen Standesbeamten auferlegt wird, von einzelnen abzu- nehmen und nur in größeren Bezirken um so viel weniger Standeê- beamten aufzuerlegen, ein großes Bedenken gegenüber, das. ist das: wenn man große Standesamtsbezirke mahen will und infolge dessen weniger Standesbeamte nöthig hätte, und infolge dessen au leichter geeignete Personen finden würde, so würde die Last für das Publikum, welches weite und beschwerlihe Reisen und Gänge zu machen hätte, um zum Standesamt hinzukommen, glaube ih, au Veranlassung zu vielen lauten Klagen geben. (Sehr richtig!) Ih kann wenigstens bestätigen, daß mir eine Menge Klagen und Ve- s{hwerden in der Richtung vorliegen, daß Einwohner von Gemeinden stellenweis bis zu 6, 8, 10, 12 km zu wandern haben, um in ihr Standesamt zu kommen, um dort die nöthigen Angaben über Geburten, Todesfälle und Eheschließungen zu machen. Es muß also bei Erórte rung dieser Frage, die ih durhaus niht ablehnen will, und bei- der ih gern bereit bin, in nähere Verhandlungen einzutreten, do al! diesem Gesichtspunkt, daß das Publikum nicht zu sehr belästigt wird dur weite Gänge und Reisen, entshieden Rechnung getragen werden Es ift ja auch richtig, daß in manchen Standesamtsbezirken si bit oder da eine Persönlichkeit finden wird, welche geeigneter ist, das s{chwierig€ Geschäft des Standesbeamten zu führen, als der dazu verpflichtete Gut vorsteher. Aber Sie wissen ja, daß in den Fällen, wo eine nit

verpflichtete Perfönlihkeit zum Standesbeamten ernannt wird, die Kosten auf die Staatskasse übernommen werden, und wenn das in großem Maße geschehen follte, würden wir der Staatskasse bei etwa 12000 Standesämtern \erheblihe Mehrkosten aufzuerlegen in der Noth- wendigkeit fein. :

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat einzelne Fälle vor- gebracht : zunächst, daß bei einer Revision, die ein Mitglied des Kreis- aus\chusses vorgenommen hatte, der Revisor dieselbe nicht im Standesamt, sondern zu Hause vorgenommen hätte. Meine Herren, ih darf doch wohl annehmen, daß es sih da niht um eine Revision von solchen Standesamtsbüchern gehandelt hat, die bereits für das vergangene Jahr abges{lossen und nunmehr der vorgeseßten Behörde zur Revision eingereiht find; denn eine Revision der Standesamts- bücher, die noch furrent find, darf niemals anders als in loco erfolgen.

l Meine Herren, der Fall, daß ein Standesbeamter bestraft ift wegen Urkundenfälshung, weil er einige Blätter herausgeschnitten hatte, die beschmußt waren, is ja sehr travrig, aber der Standes- beamte hätte doch auch das Gefühl und das Bewußtsein haben müssen, daß man aus folhen Büchern nit unerlaubt Blätter heraus- nehmen und heraus\chneiden darf; er hätte besser gethan und vor- sihtiger, wenn er erst zur Aufsichtsbehörde hingegangen wäre und sich vergewissert hätte, wie er sih zu verhalten habe; dann würde er jedenfalls nit in die traurige Lage gekommen sein, bestraft werden zu müssen. *

Meine Herren, die Begrenzung der Standesamtsbezirke ist generell dem Ober - Präsidenten übertragen worden aus dem, glaube ih, sehr verständigen und richtigen Grunde, daß der Ober-Präsident, der den örtlihen Verhältnissen näher steht, richtiger und besser beurtheilen kann, wie die Standesämter abzu- grenzen sind. Da sprechen bekanntli die Grenzen der Pfarren wesent- lich mit, die Persönlichkeiten, die geeignet sind u. \. w., und ih glaube, es würde das entschieden eine Vershlechterung sein, wenn man die Grenzen der Standesämter durch das Geseh oder durch die Zentral- stelle feststellen wollte.

Der Herr Abgeordnete hat am Schluß seiner Ausführungen dann angeregt, ob man nicht dem Gedanken näher treten könnte, den Standesbeamten zwar die Eintragung der Geburten und Todesfälle zu überlassen, dahingegen die Eintragung von Eheschließungen von den Standesämtern fortzunehmen und sie vielleiht an die Amtsgerichte zu überweisen. Ich weiß nicht, ob sich prinzipielle Bedenken irgendwie laut mahen würden. Ich gebe zu, daß eine gewisse Berechtigung diesem Gedanken zu Grunde liegt; aber es muß auch erwogen werden, daß wir nur 1200—1300 Amtsgerichte, dagegen 11——12 000 Standes- amtsbezirke haben, also etwa die zehnfache Zahl. Es würde also der Umstand, den ih vorhin andeutete, in erhöhtem Maße eintreten, daß diejenigen, welhe vor dem Standesamt eine Ehe {ließen wollen, niht wie bisher es bequem haben, zu dem nicht fern liegenden Standesamt ¿u gehen, sondern gezwungen werden, zu dem Amtsgericht, welches unter Umständen viel weiter ist als das Standesamt, zu gehen, um dort die Eheschließung vorzunehmen. Es ift das ein Gesichtspunkt, der meines Erachtens bei dieser Frage sehr ins Gewicht fällt.

Endlich sagte der Herr Abg. Freiherr von Richthofen, es wäre zu erwägen, ob es nicht möglich sei, für das Formen- wesen einige Erleichterung zu schaffen, wodurch die Standes- beamten in die Lage geseßzt würden, eher zu vermeiden, daß sie hier und da einmal bestehende Vorschriften verleßen. Diese Sorge i unausgeseßt seitens der;Behörde im Auge behalten worden, und es snd {hon thatsählich bei den Formularen für Geburten und fir Sterbefälle Aenderungen angeregt worden, welhe eine leihtere Uebersicht der Eintragungen in die Standesregister ermög- lien. Die Staatsregierung wird jedenfalls Veranlassung nehmen, diesen Angelegenheiten ihre weitere Sorge angedeihen zu lassen.

Wie der Herr Abgeordnete zu Anfang sagte, is es richtig, daß es eine \{chwere Belastung für viele Leute im Lande ist, Standesbeamter zu sein. Aber die betreffenden Herren s\ollten doch anderer- seits fich damit zu trôsten suhen, daß ihnen ein sehr verantwortungsvolles Amt seitens des Staats übertragen ist (Heiter- keit), und mit der Pflichttreue, die wir gerade von den Herren, die auf dem Lande leben, auch in dieser Beziehung gewohnt find. (Heiterkeit.)

Abg. Seyffardt - Magdeburg (nl.) \priht sein Bedauern dar- über aus, daß man die Gelegenheit der Novelle zum Unterstüßungs- C Vesep nicht benußt habe, um dieses Geseß wenigstens auf Elsaß-Lothrigen auszudehnen, wenn es auch aus politischen Gründen niht gelingen follte, das Reservatrecht Bayerns zu beseitigen. Der iefige Minister des Innern kenne ja die elsaß-lothringishen Verhält-

nisse aus eigener Erfahrung; für unsere Landgemeinden würde ein

er Vortheil damit verbunden sein, wenn das Ünterstüßungswohnsitz-

p ejeß überall bestände.

Minister des Jnnern von Köller:

Meine Herren! Die Klage, die der Herr Abg. Seyffardt hier soeben vorgebraht hat, hat, wie er rihtig erwähnte, das hohe Haus im vorigen Jahre auch beschäftigt, und ih habe die Verhandlungen mit Interesse gelesen mit um so größerem Interesse, als ih bisher in meiner amtlichen Stellung ja vielfach mit dieser Frage zu thun ge- habt habe, die für das Land Elsaß - Lothringen von der größten Be-

* deutung ist.

Es ist rihtig, das Geseß über den Unterstüßungswohnsig gilt zur Zeit in Elsaß-Lothringen nicht, und Bayern hat sich ja bekauntlich res erviert, daß es das Geseß nit übernehmen und für Bayern gültig lassen werden will. Die Uebelstände, die der Herr Abg. Seyffardt hervorgehoben hat, sind allerdings rihtig. Wenn jemand aus den hiefigen Landen nach Elsaß-Lothringen verzieht und verarmt, dann wird er dort niemals êine Berechtigung zur Unterstüßung erwerben; denn Elsaß-Lothringen hat eben fein Armengeseß und kennt den Begriff der geseßlichen Unterstüßung des Armen nicht. Es ist auch in der That in Elsaß- Lothringen für ein folhes Geseß, vom elsaß-lothringen Standpunkte aus angesehen, kein Bedürfniß. Wir mit unserer Armengeseßz- gebung haben viele Arme. Das Land Elsaß-Lothringen ohne Armen- geseßgebung hat keine Arme, höchstens in ganz vershwindenden Fällen. Dort wird die Armenpflege im Wege der freiwilligen Unterstüßung geleistet, und die armen Elsaß-Lothringer stehen ih dabei viel besser, als die Armen hier zu Lande.

Nun ist es ja, vom Standpunkt der Gegenseitigkeit aus gesehen, gewiß theoretisch sehr rihtig, daß wir sagen: wenn unsere Armen

orthin kommen und da keinen Unterstüßungswohnsig erwerben können, so ist das unrecht. Denn, wenn ein Elsaß - Lothringer

in das übrige Deutschland zieht, so erwirbt er nah ¿weijährigem Auf- enthalt an ein und demselben Ort ein geseßliches Recht, bei etwaiger Verarmung von dem betreffenden Armenverband unterstüßt zu werden.

Elsaß-Lothringen wird, soweit ich die Stimmung des dortigen Landesaus\ufses kenne, sih unter allen Umständen weigern, \o- lange es fann, daß das Gesey über den Unterstüßungswohnsiy auch dort eingeführt wird, und zwar aus dem Grunde, weil in Elsaß- Lothringen kein Bedürfniß hierzu besteht. Die Begründung, von der man in Elsaß-Lothringen hierbei auszugehen pflegt, ist einfah die und ih glaube, diese Begründung wird auch bei Ihùen als berechtigt angesehen werden : es steht statistisch fest, daß ungefähr auf 100 Leute, die vom Osten nah dem Westen, nah Elsaß - Lothringen, verziehen, einer aus Elsaß-Lothringen über den Rhein verzieht. Wenn Sie also das Geseß, das hier gilt, auf Elsaß-Lothringen anwenden wollen, dann würde Elsaß-Lothringen in 100 Fällen die Gefahr tragen, daß der aus dem Osten nah dem Westen Verzogene dort verarmt, und Elsaß-Lothringen ihn unterhalten muß, während nur in dem einen Fall Elsaß-Lothringen den Vortheil hätte, einen Verarmten los zu werden. Unter diesen Verhältnissez werden Sie es den Elsaß- Lothringern niht verdenken können, daß sie si, so lange fie können, gegen die Uebertragung des Gesetzes, betreffend den Unterstüzungs- wohnsiß auf Elsaß-Lothringen, wehren. Der Landesaus\{uß in Elsaß- Lothringen, der wiederholt mit der Sache beshäftigt worden ist, hat sih übrigens bereit erklärt wenn auch nicht in aller Form, fo doch wiederholt ausgesprochen, daß das Land viel eher geneigt sei, diejenigen Kosten, die dadur entstehen, daß über den Rhein gewan- derte Elsaß-Lothringer dort verarmen, zu erstatten, als das Gesetz über den Unterstüßungswohnsitz bei ih einzuführen.

Der Herr Abg. Seyffardt hat hervorgehoben, 46 900 A hätte die Rheinprovinz jedes Jahr für dort verarmte Elsaß-Lothringer zu zahlen gehabt. Ja, die Rheinprovinz ist überhaupt wohl die einzige Provinz, die erheblich in Frage kommt, in welhe Elsaß-Lothringer ziehen. Da sind die gegebenen Verhältnisse ähnlih denen zu Hause. Sonst hält der Elsaß-Lothringer sehr eifrig an seiner Scholle fest. Ich glaube, in den östlichßen Provinzen wird, mit Ausnahme des einen Falls in Mohrungen, der wohl auch das Haus beschäftigt haben wird, kaum der Fall eingetreten sein, daß Elsaß-Lothringer verarmt sind.

Meine Herren, troßdem die Verhältnisse so liegen, so hat der Abg. Seyffardt ganz recht, daß ih in meiner jeßigen Stellung als preußisher Minister des Innern versuchen muß, darauf hinzuwirken, daß Rechtsgleichheit geschaffen werde, daß Preußen nicht \{chlechter in dieser Frage Elsaß - Lothringen gegenüber, als Elsaß - Lothringen Preußen gegenüber stehe. Aus dem Ausgeführten werden Sie aber erselben, daß &©& nt leiht ist glethes Reht zu schaffen, weil die Voraussezungen eben nicht gleiche find. Auf 100 Deutsche, die nah Elsaß-Lothringen : wandern, wandert eben ungefähr ein Elsaß-Lothringer nach Deutschland, und wenn der Landesaus\{uß in Elsaß-Lothringen ih bereit erklären sollte, in geeigneten Fällen hiesigen Armenverbänden helfend entgenzukommen, fo glaube ich, daß dadurch die Sache leiht und unter Befriedigung beider Theile ihre Erledigung finden würde.

Abg. vom Rath (nl.): Infolge der füheren großen Ueberwei- sungen an die Kreise haben diese dauernde Ausgaben übernommen, für welhe nunmehr die Deckung fehlt. Es muß nun an Kreissteuern gas werden, die man im Westen bisher nicht kannte. Eine andere

S würde besser sein, so wäre z. B. eine Erhöhung der Gebühren für Jagdscheine auf vielleiht durchschnittliÞch 20 M zu empfehlen. Eine anderweitige Regelung der Sonntagsruhe, soweit der Verkauf von Zeitungen auf den Bahnhöfen in Frage kommt, wäre wünschenswérth.

Minister des Jnnern von Köller:

Wenn ih zunächst auf die zweite Frage des Herrn vom Nath eingehe, so hat er vollständig rihtig geschildert, wie die Situation liegt. § 105 der Gewerbeordnung hat über die Sonntagsruhe be- stimmt, daß Ausnahmen von den Bestimmungen zulässig sind, und daß die höheren Verwaltungsbehörden diese Aus- nahmen zu genehmigen haben. Der Erlaß vom 10. Juni 1892, welchen der Herr Abgeordnete ebenfalls zitierte, und welher vor meiner Amtszeit gezeichnet ist von den Ministern des Innern, für Kultus und für Handel und Gewerbe, schränkt die Befugniß der oberen Verwaltungsbehörden erheblich ein. Es war gerade die Frage über die Zeit, wann der Verkauf der Zeitungen auf den Bahn- höfen stattfinden dürfe, in dem Erlaß niht weiter berührt, und es war infolge dessen eine verschiedene Praxis bei den verschiedenen Regierungs-Präsidenten entstanden. In einzelnen Bezirken wurde der Verkauf von Zeitungen besonders gestattet, in anderen niht. Dieser Uebelstand wurde zur Sprache gebracht, und es wurde infolge dessen von den drei betheiligten Ressortministern im Sommer 1894 übrigens während der Abwesenheit meines Herrn Amtsvorgängers eine Verfügung erlassen, nah welcher der Zeitungs- verkaufauf den Bahnhöfen, also auch in Frankfurt, während der Sonntags- Nachmittagsstunden untersagt wurde, undes nur, wie der Herr Abgeordnete richtig ausführte, gestattet ist, derartige Verkäufein den Vormittagsstunden vorzunehmen. Jch gebe vollständig zu, was der Herr Abg. vom Nath ausgeführt hatte, daß das eine große Belästigung ist, und ih gebe vollständig zu, daß das Publikum, welhes Nachmittags in Frankfurt auf dem Hauptbahnhofe ankommt, nicht in der Lage gewesen ift, Morgens früh desselben Tags sich in Frankfurt Zeitungen und noch dazu die alten Zeitungen vom vorigen Tage zu kaufen. Meine Herren, ih kann Jhnen aber leider keine andere Zusage machen als die, daß ich versuchen werde, ob meine beiden Herren Kollegen geneigt sein werden, in dieser Beziehung Nemedur zu schaffen; das Bedürfniß erkenne ich

an. (Sehr gut!)

Meine Herren, die zweite Frage, die der Herr Abg. vom Rath berührt hat, betrifft die Erhöhung der Jagdschein- gebühr. Es ist durhaus richtig, was er am Anfange seiner Aus- führungen erwähnte, daß unsere Kreise jeßt, wie man \ich trivial ausdrüdckt, jeden Groschen zusammenhalten sollten, um in diesen {weren Zeiten nicht höhere Kreis - Kommunalsteuern erheben zu müssen. Und ih glaube, daß der Herr Abg. vom Rath sich den Dank der Kreise erwerben würde, wenn er seinen Ausführungen nun auch die nothwendige Konsequenz folgen ließe dahin, daß wir binnen kürzester Frist einen Antrag des Herrn vom Rath auf dem Tisch dieses hohen Hauses sehen, welcher dahin geht, den § 14 des Geseßes vom 7. März 1850 zu fassen, wie folgt: Die Abgabe, welhe an die Kreis-Kommunalkasse fließt, für jeden Jagdschein, wird auf das Jahr statt, wie es jeßt lautet, auf 1 Thaler auf 20 # festgeseßt. (Bravo!) Ich

glaube kaum, daß in diesem hohen Hause ein großer Wider- spruch - dagegen laut werden würde. Denn, meine Herren, das Jagen is mal ein Vergnügen, und wer \sich das Ver- gnügen leisten will, mag auch die Kosten davon. tragen und zahlen. (Sehr richtig!) Es kommt dazu, daß die Jagdscheingebühr in den verschiedenen Provinzen, wie der Herr Abg. vom Rath fehr rihtig. hervorgehoben hat, so verschieden normiert ist, daß man von einem einhbeitlihen Recht in dieser Beziehung in Preußen überhaupt niht mehr s\prehen kann. Meine Herren, in dem Lande, dem ih, ehe ih hierher gekommen bin, fünf Jahre angehört habe, kostet der Jagdschein 24 #, und das wurde - gern bezahlt; denn das Jagen wurde dort eben als ein Vergnügen angesehen, welches die Leute, die es \sih leisten wollen, au bezahlen. Und nit bloß das:

‘In Elsaß-Lothringen kostet der Iagdschein 24 4; wer aber in Elsaß-

Lothringen Jäger is, wer in Straßburg wohnt, ift gleichzeitig Jäger in Baden kostet 20 #4; gleichzeitig in Württemberg, kostet 15 M; gleichzeitig in Hessen kostet 12 A Meine Herren, ih habe jedes Jahr 97,50 4 für meinen Jagdschein ausgegeben, (Heiterkeit) und ich habe es gern bezahlt, weil i ein passionierter Jäger bin; und ih würde das auch hier bezahlen, wenn es sein müßte. ¿u i

Nun will ich damit nicht gesagt haben, daß Herr vom Rath seinen Antrag etwa dahin stellen sollte, für den Jagdschein eine Abgabe von 109 #4 zu zahlen. Das würde ich für zu boch erachten. Ih glaube abex, soweit es. an mir liegt werden Sie keine Schwierigkeit finden, wenn Sie einem solchen Antrag stattgeben und die lex Rath annehmen, welhe für ganz Preußen die Kosten des Jagdscheins auf 20 A erhöht. Wie das Staats-Ministerium sich zu dieser Frage stellt, kann ih ja selbft- redend jeßt nicht sagen.

Es ift au rihtig, was Herr vom Rath angeführt hat, daß jeßt beabsichtigt wird, den Iagdschein etwas höher zu belasten dadur, daß der neue Stempelsteuer-Geseßentwurf für denselben dem Fnländer einen Stempel von 5 #4, dem Ausländer von 10 A auferlegt. Aber ih glaube, das kann ein Jagdschein, selbst wenn er auch 20 M für die Kreis-Kommunalkasse kostet, noch vollauf tragen. Also ic stelle Herrn Abg. vom Rath anheim, seinen Worten und Ausführungen in Gestalt eines Antrags Ausdruck zu geben. (Bravo !)

Abg. Wamhoff (nl.) bemängelt die Abfassung der Polizei- verordnungen im allgemeinen, die von den Regierungsbeamten, nament- lih den Landräthen, ohne jede Fühlung mit den Volkskreisen erlassen würden. Die Beamten müßten angewiesen werden, sich vor dem Erlaß einer Polizeiverordnung mit den betreffenden Gemeindevorstehern ins Einvernehmen zu seßen. Redner bringt zum Beweise seiner Be- hauptung mehrere Beispiele aus seiner Heimathprovinz Hannover bei.

Minister des Jnnern von Köller:

Meine Herren! Jch bin ja sehr gern bereit zu prüfen, inwieweit etwa in der Provinz Hannover und speziell im Regierungsbezirk Osnabrück Polizeiverordnungen erlassen sein sollten, die, wie der Herr Abg. Wamhoff eben meinte, über das Ziel hinaus\schießen, die mehr bestimmen, als nach der Ansicht des Herrn Abgeordneten für den Zweck nöthig is, den sie erfüllen sollen. Aber, meine Herren, ih glaube, zunächst find im Geseß do Kautelen geschaffen, daß keine Polizeiverordnungen erlassen werden, welhe dem Bedürfniß nit entsprehen. Wenn in der Pro- vinz Hannover ein Landrath eine Polizeiverordnung erlassen will, welche für den ganzen Kreis gelten soll, so hat er si der Zustimmung des Kreisausshusses zu versichern, und ich meine, daß in den Kreisausshüssen Leute genug sißen werden, die die Verhältnisse kennen und einem Landrath, der vielleiht gerade nicht in dieser oder jener Sache orientiert is, mit Rath und That zur Seite stehen. Meine Herren, will“ ein Landrath nun eine Polizeiverordnung erlassen, welhe nur für eine Gemeinde Gültigkeit hat, so muß er den Vorsteher dieser Gemeinde anhören, und dann ist diesem Gelegenheit gegeben, seine Bedenken ‘gegen den etwaigen Entwurf zur Geltung zu bringen. Das Gleiche gilt, wenn es sich um Polizei- verordnungen für mehrere Gemeinden handelt; da ist der Landrath verpflichtet, die Vorsteher sämmtlicher Gemeinden, für welche die Polizeiverordnung erlassen werden soll, zu hören. Das sind genügende Kautelen, daß der Landrath insbesondere über die Polizeiverordnungen, die er für den ganzen Kreis erlassen will, stets vorher Leute von Fah hören und ihre Zustimmung ein- holen muß.

Ich glaube nun, daß die Annahme nicht richtig ist, die, wie der Herr Abg. -Wamhoff sagte, in seiner Gegend verbreitet sei, daß die Landräthe und Regierungs - Präsidenten von den Ministern an- gewiesen würden, mit übermäßig scharfen Polizeimaßregeln vor- zugehen, und wenn dieser Glaube verbreitet sein sollte, fo würde der Abg. Wamhoff sich ein Verdienst erwerben, wenn er zu Hause bei seiner demnächhstigen Wahlrede mittheilen wollte, daß ich diese Thatsache für unrichtig erklärt habe. Dagegen werden allerdings mitunter, wie das in der Natur der Sache liegt, von oben her Anregungen zu Polizeiverordnungen gegeben, und ebenso wird vielfa vom Negierungs-Präsidenten den Landräthen gegenüber verfahren. Der Auffassung ferner, daß die Räthe eines Ministeriums oder einer Regierung auf ihren Kopf für \ich derartige Maßnahmen treffen möchte ih den Herrn Abg. Wamhoff bitten entgegenzutreten. Denn der Chef jeder Behörde is verantwortlih für die Sache, und es kann kein Regierungs-Rath oder Rath eines Ministeriums auf seine eigene Verantwortung Verfügungen erlassen ; für diese hat jederzeit der Chef die Verantwortung zu tragen, und ih erwarte und bin des gewiß, daß jeder NRegierungs-Präsident voll und ganz die Verantwortung tragen wird für das, was unter seinem Namen in das Land hinausgeht.

Der Herr Abgeordnete hat dann einen Say ausgesprochen, für den ih ihm dankbar bin. Er sagte, es wäre wünschenswerth, daß die Landräthe und Assessoren sh rechte Kenntniß vershafften, wie es draußen im Lande bei den Bauern und sonstigen Ge- werben, Industrie und Handwerk, aussieht. Meine Herren, das ist auch mein größter Wunsch; ih hasse nichts mehr, als wenn die Landräthe von Montag Morgens bis Sonnabend Abends im Bureau fißen und von der Wirklichkeit im Lande keine Ahnung haben. Die Landräthe gehören in ihren Kreis hinein, fie sollen die Bevölkerung, die Bedürfnisse der Bevölkerung kennen lernen und sollen nah den Erfahrungen, die sie dort gesammelt haben, ihren Kreis leiten, nicht klommandieren und regieren. (Sehr richtig !)

Der Herr Abgeordnete hat dann einzelne Verordnungen hervor- gehoben und bemängelt. Die Verordnung über Radfelgenbreite, welhe 1901 erft in definitive Wirksamkeit treten soll, ist hier nicht bekannt. Die Verordnungen werden niht alle hierher eingereiht ;