1895 / 80 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 01 Apr 1895 18:00:01 GMT) scan diff

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F baben, und wo i ibnen entgegenkommen kann, auch wenn sie es mit ]

der Abgrenzung ter Befugnisse nit zu genau nebmen, thue ¿d es mit Freuden. - Aber, meine Herren, alles hat seine Grenzen. Wir baben ein Disciplinargeseß für die Volksschullehrer. Jeßt kommt die Faädtishe Schuldeputation in Breélau und will die Disciplinarunter- suchung gegen Lebrer einleiten. Das widerspricht direkt dem Geseÿ. Das Gesetz bestimmt: die Einleitung der Disciplinaruntersuhung wird verfügt von dem Vorsteher der Behörde, welche die entscheidende Dis- ciplinarbeßörde bildet. Die entscheidende Disciplinarbehörde ist aber nicht die städtishe Shuldeputation, sondern das ift die Königliche Regierung. Ich kann das nicht zugeben und werde das nicht zugeben; beim besten Willen darf ih das niht, und ih halte es- nicht für ein ritiges Vorgehen der ftädtishen Behörden, den Staats8bebörden diese Dinge aus der Hand nehmen zu wollen. Die Wahrnebmung der Disciplin über die Lehrer if wabrlih eine der schwersten Aufgaben der Staatêregierung. Uad wir haben beute mebr als je alle Veran- lassung, es damit sehr ern zu nehmen. Das darf ih nicht aus der Hand geben. Ich muß die Hand darüber balten auch foléhen An- sprüchen gegenüber, wie sie die Stadt Breslau erhebt. Im übrigen erfenne ih an, daß Breslau fehr viel für sein Sulwesen gethan bat, ater id hofe au, daß die Stadt anerkennen wird, daß wir fo wenig wie möglich darin eingegriffen baben. Ich will nicht, daß der Staat einer ftädtishen Schulverwaltung ihre Befugnisse verkürzt, will au nicht jede Schulaufsiht den Städten abschneiden, aber ih babe die ftaatlihe Sculaufsiht aufrccht zu erhalten; das muß ih tbun, denn sonst würde ih dem künftigen Volksshulgeset präjudizieren, das darf ih nit. Das ift der Standpunkt, den ih im großen und ganzen prinzipiell gegenüber der Schuldeputation in Breslau einnebme, mit voller Anezkfennung der Verdienste, die die Stadt sich um das Schul» wesen erworben bat, aber au mit dem vollen Bewußtsein, daß mir staatlide Pflichten obliegen, die ih durch bloße Gefälligkeitsrüctsichten gegen die städtis&e Schulverwaltung nicht verlegen darf. ch Ober-Bürgermeister Bender erwidert, daß die Schuldeputationen nur das Recht haben wolle, den Lehrern Verweise zu ertheilen. D Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Ich will nur ganz kurz erwidern. i E Der Herr Ober-Bürgermeifter Bender bat die große Güte, der Regierung das Recht zuzusprehen, daß sie einen Kreis-Schulinspektor als Kommiffar pro informatione in die Städte s{icken kann. _Ih bin ibm dafür sehr dankbar, daß er das anerkennt, aber das muß ih sagen: was dem Staat damit gedient sein würde gegenüber einer städtischen Sculbehöärde, die etwa einmal ihre Schuldigkeit nicht tbâte, wenn ein Kreis-Schulinspektor ledigli pro informatione bin- fäme, das begreife ih nicht. Nein, meine Herren, wir haben Kreis- Schulinspektionen, das sind geordnete Organe der Kreisschulaufsidt, mit denen müffen ih die städtishen Schulbehörden ins Benehmen setzen, und das gebt in den meisten Städten ganz auêgezeihnet, wenn man ‘nur will, dann müssen sie fch an den Kreis-Sculinspektor wenden, und der wird dafür sorgen, daß die Autorität und das An- seben der städtishen Shulbehörden aufrecht erhalten wird. Nun sund ih will das zugeben einheitliche Kreiss{ulbebörden und ein- beitlide Siadtswulbehörden ideale Zukunftsbilder, die auch mir vor- weben, und sobald ih die gefetlih erreichen kann, werde ih nit unterlassen, Vorsbläge den gesetzgebenden Faktoren nah dieser Rih- tung bin zu machen. Aber wir haben fie nur jeßt noch nit, wir müssen jeßt rechnen mit den Organen, die wir haben, mit den ge- ordneten Organen der staatliden Schulaufsicht, den staatlichen Kreis- Sgulinsvektoren, au in den Städten, und damit müssen die Städte nd bis auf weiteres abfinden. Im übrigen wollen wir ibnen an ibren Rechten nichts vzrkürzen ; wir wollen aber au nicht, daß sie über die NReekte, die ibnen bisher zugestanden baben, binau8greifen und jeßt den Versuh maten, uns das Heft aus der Hand zu winden; das werde

Ober - Bürgermeister llmann wüns{cht Gleichstellung der

böberen Mädchenschulen und ihrer akademischen Lehrer mit den. böberen Knabenichulen und den an diesen angestellten akademischen Lebrern. Die Bestimmung, daß dem Direktor eine Æbrerin als Gehilfin zur Seite gestellt werden solle, werde nur eine Quelle des Unfricdens werden. Sebr zu bedauern sei die Einführung der neunklaffigen böberen Mädchenfschule ftatt der bisherigen zzbnfklaisigen. Auch in den ftädtishen Mädchenschulen müsse der Normal-Etat eingeführt und die Lebrer dana besoldet werden. Ueberbaupt sei es wünschenswerth, sämmilice böberen Mädchensulen den Provinzial-Schulkollegien zu unterstellen.

Minisier der geiftlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Meine Herren! Zu einer prinzipiellen Rechtfertigung der Maße regeln, die ih wegen der bößeren Mädchenschule getroffen habe, ift es eigentlib noch zu früh. Die Maßnahme besteht erst seit vorigem Mai, und die Zeit ift noch zu kurz, als daß man jeßt {on sagen ! fi fommen bewährt, oder in ZeT b, Aenderungen zu treffen. ß, wenn ih mich überzeuge, daß wirklich igen Mißgriffe gemacht sein follten, ih u bessern ; denn die Anordnungen sind sondern lediglich, um unsere tigen und gesunden Boden zu stellen i araus auf einen gesunderen, als der war, der in fehr vie : Mödthenschulen Geltung erlangt batte. Nun bat Herr Ober-Bürgermeister Möllmann sich darüber be- Mlagt, daß ih fiatt der zehnstufigen zehnklassigen, wie es richtiger beißen muß Höheren Mädchenschule die neunstufige zur Grundlagz e. Das ift rihtig. Ih will voraus bemerken, als ich in das Ministerium trat, kamen die Wünsche, endlich einmal auf dem Gebiet des höheren Mädchenshulwesens cine einheitliche Ordnung, gewisse Normen, Anhaltspunkte herzustellen, an die sh die städtishen Ver- rwoaltungen und au Privatshulen ans&ließen könnten, in fo großer Zahl an mi beran, daß ih mi diesem Andringen gar nicht vershließen konnte, und daß ich also, nah Anbörung von vielen, vielen Sach- verständigen, Verzinen und einzelnen Sachverständigen, endlich au daran geaangen Bin, die Sache zu machen, und ic kann versihern, mit einer Vorsicht und mit einer Aengftlihkeit haben wir gerade auf diefem Gebiet, wo auch ein Mann, der fich für die Shule interessiert, do immerhin fih sagen muß, daß Mißgriffe außerordentilih LIeiht find, die neue Ordnung geschaffen, wie vielleiht kaum je tine andere ähnlihe Maßregel vorbereitet worden ift. Jh habe auch noch in Tegter Stunde darauf gedrungen, daß noch einmal Direktoren und Lehrer von höheren Mätchenshulen und namenilih au Lehrerinnen und Borfteterinnen solder Shulen, also sachverftändige Leute, darüber gzhôrt word:n find. J bin auch feft überzeugt, daß im ganzen und

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unendlich vielen Zuschriften, die ih bekomme, und die voll von Dank find für diese Maßnahmen, die jet endlich getroffen worden find. : Was nun die Frage anlangt: neunklasüg oder zehnklassig, so ift, wie Herr Ober-Bürgermeister Möllmann ja rihtig gesagt bat, von mir gleih an die Spiye geftellt worden: da, wo zehn Klassen sind, können sie rubig weiter bestehen. Ja, meine Herren, mebr kann man do nit thun. Im übrigen habe ich mich aber überzeugt, es ift für eine gesunde Mädchenausbildung, namentlih au aus bygienishen Gründen, sehr viel besser, wenn man sih mit einer neunklafsigen Schule begnügt (sehr rihtig!), und wenn man den Mädchen nah ihrem fünfzehnten Jahre, wenn sie die Schule verlassen, einmal ein Jahr frei läßt; da sollen nun wahlfreie Fortbildungsurse in der Schule stattfinden, Kurse, an denen fich die Mädchen betheiligen können. Das Mädchen muß in dieser Zeit seines Lebens au einmal einen Rube- punkt finden, wo es nit fortwährend mit zum theil au weit über das Ziel der Schule binausgehenden Disziplinen gequält wird, wie sie in unseren böberen Töchtershulen in den ersten Klassen sebr oft mißbräuchlih gehandhabt werden, (1ehbr rihtig!), und aus diesem Grunde, der mir von 2llen Sachverständigen, von allen, ohne Auf- nahme, die ih bis jeßt darüber gehört habe, bestätigt worden ist, habe ih mih schließlich ents{lofsen und gesagt: gut, wir wollen als Norm die neunklassige Schule festhalten, aber wo zehn Klassen be- steben, da sollen sie nah wie vor bestehen bleiben. Also darüber Éönnen sih die Städte gar nit beklagen.

Was nun das Schreckbild bétrifft, das uns Herr Ober-Bürger- meister Moellmann in der Gehilfin bingestellt hat, ja, meine Herren, das is sehr wohl überlegt; Mädden in dem Alter, wie sie sch in den höheren Klassen der böheren Mädchen- schulen befinden, bedürfen in gewissen Dingen durhaus einer zarten, sehr delifaten und im Grunde nur von weiblicher Hand und auf Grund weiblichen Raths zu ermöglichenden Rüdsicht- nabme, und das ift der Grund gewesen, weshalb wir dem Direktor eine Dame zur Seite geftellt baben, die wir als Gebilfin bezeichnet baben. Wir haben uns wobl gebütet, zu sagen, eine Mitdirektorin, es ift uns gar nicht eingefallen, ein Doppelregiment herstellen zu wollen. Der Direktor ift der Leiter, er ift der allein verantwortliche Mann, aber in allen diefen delikaten Dingen foll er eine weibliche Hilfe, eine weibliche Kraft zur Hand haben, die ihm dabei mit dem rechten Rath belfen kann. Das, meine Herren, ift ganz gewiß eine wobltbätige Maßregel, und ih denke keineswegs, den Städten das frei zu lassen, ob sie das thun wollen oder nicht. Jh werde viel- mebr darauf balten, daß überall dieser weibliche Rath den Männern au zur Seite steht.

Was dann die Oberlehrer anlangt, ja, meine Herren, erstens ift der Titel Oberlehrer an diesen Schulen und auch bei den böberen Knabenschulen gar fein Titel mebr, fondern er ift eine Amtsbezeichnung. Nun find die akademisch gebildeten Lehrer an den höheren Sthulen sehr verstimmt darüber, daß ih vorgeschrieben habe, daß ein tüchtiger seminaristisch gebildeter Lehrer, wenn er sich beroährt, im Laufe der Jahre und wem er s\o viel gelernt hat, daß man das verantworten fann, daß er dann ebenfalls folche Oberlebrer- stelle erlangen kann. Diese Okerlehrerstellen sind im Etat zu sondern. Es kommt also ganz auf die Patronate an, ob sie die seminarisch ge- bildeten Lehrer in diese böbere Kategorie aufnehmen wollen oder nicht. Sie sollen aber nicht diese Oberlehrerstellen auss{reiben mit der aus- drüdcklichen Erklärung, daß sich nur akademish gebildete Lebrer dazu melden. Jch babe dazu einen sehr guten Grund gehabt. Erstens fällt den akademish gebildeten gar feine Perle aus der Krone, wenn ein tüchtiger seminarish gebildeter Lehrer, dem die formelle akademische Vorbildung feblt, im Laufe der Jahre ebenfalls diese Amtsbezeichnung erlangen kann. Dagegen wird die Freudigkeit dieser anderen Kategorie, die sebr wihtig ift, wesentlich gehoben und gestärkt werden. Jch ver- kenne feineswegs die guten Dienste, die unentbehrlichen Dienste, die die akademish gebildeten höheren Töchtershullehrer leisten, aber die seminarish gebildeten leisten uns ebenso große und in ihrer Art ebenso wichtige Dienste. Kurz, meine Herren, diese beiden Kategorien von Lebrern sollen Hand in Hand wirken, und es ist niht nothwendig, daß die akademish gebildeten fi in der Weise über die seminaris{ gebildeten erheben, daß fie ibnen jede Möglichkeit, auch einmal zu Oberlehrern avancieren zu können, absprehen dürften. Meine Herren, das ift niht richtig, daß von vornherein die bloße akademische Bil- dung den Herren einen Anspruch darauf gäbe, \sih als Oberlehrer be- zeichnet zu seben. Wir haben bier in Berlin eine sehr große Zabl akademisch gebildeter Männer, die auf ibren Antrag vom hiesigen Magistrat an Volkss{ulen, an Gemeindeshulen angestellt find. Ja, die beißen auch nicht Oberlehrer. Das if ibr Wille, daß sie den Dienst an Gemeindeshulen annehmen; und wenn nun ein solcher Lebrer an eine böbere Töchterschule gebt, dann muß er sih auch in die Ordnungen, die an diefen Schulen gelten, fügen. Gewöhnlih geben fie bin, weil fie dort s{neller oder auch mit besserem Gehalt ankommen als in der regelmäßigen Garrière an den böberen Schulen für Knaben. Also, meine Herren, nach dieser Seite bin, glaube ich, braudt eine Abbilfe nit getroffen zu werden.

Was endlich die Unterstellung dieser Schulen unter die Provinzial- S@hulfollegien anlangt, so hat die Sache einen einzigen Haken. Es ist ein alter Wuns der akademisch gebildeten Lehrer an böberen Töchtershulen, daß fie den Provinzial-Schulkollegien unterstellt werden möchten. Einmal sehen fie darin das Anerkenntniß, daß die Anstalten, an denen fie wirfen, zu den böberen Schulen gehören ; aber fie sagen fi aud, daß daraus für sie sofort materielle Vortheile oder wenigstens Haken entstehen, binter die fie faffen können, um materielle Vortheile zu erreihen. Denn mit dem Moment, wo fie den Pro- vinzial-SchulkclUegien unterstellt find, oder wo das ausgesprochen ift: itr seid in demselben Sinne Lehrer an böberen Schulen wie die an den böberen Knabens{ulen, werden sie auch den Normaletat und damit genau dieselben Gehaltsbezüge verlangen wie die Lehrer an unseren böberen Unterrichtsanftalten, an Gymnasien und Realschulen. Nun werde ih das gewiß nit hindern, sondern ih werde mi sebr darüber freuen, wenn eine Stadt diefen Normaletat einführt und die Lehrer dana kesoldet. Aber, meine Herren, überall mit einem geseßlichen Zwang kann ih da niht vorgeben ; denn dazu fehlt mir die geseßliche Grundlage. Da müßte ih erft ein Gese machen, und dana ift die ganze Sache, wie mir eint, nicht angethan, um fie beraus- zugreifen und darüber eine besondere Geseßzesvorlage an die beiden Häuser des Landtags zu bringen.

Nun hat die Sache noch eine zweite Seite. Wollte ich die sâmmt- [iden böberen Töchterschulen fofort den Provinzial-Sculkollegien unter-

mindestens einen neuen Sthulrath Haben. Dazu haben wir die Mittel nicht, und der jezigen Finanzlage gegenüber muß ih mir au selbft fagen, daß die Finanzverwaltung gar niht in der Lage ist, mir eine solde Forderung obne weiteres zu erfüllen. Das ist etwas, was ih sehr gern mit der Zeit erstreben und zu erreichen suchen werde; aber so nötbig ist die Sache nit, daß ih bei der gegenwärtigen Lage der Staatsfinanjen vor den Finanzminister hintreten und ihm fagen könnte - das ift ein unerläßlihes Bedürfniß, du mußt jeßt diese Mittel zur Disposition stéllen. So liegt die Sache nicht, das is meine tiefste Ueberzeugung ; die Sache ift bis jetzt bei den Regierungen gegangen und würde zur Noth au weiter gehen. Aber, meine Herren, ih bin der Sache gar nicht entgegen;- ih babe an die Oberpräfidenten verfügt, sie möthten es sih überlegen und möchten die Anstalten bezeihnen, die nach ibrer Anschauung wobl dem Provinzial-Schulkollegium unter- ftellt werden könnten, obne daß dadur eine neue Schhulrathskraft bet dem betreffenden Kollegium nöthig werden würde. Sobald ich die Berichte habe, werde ih sie mir ansehen und dann den Wünfchen, soweit es obne neue Aufwendungen für den Staat möglich ist, Reche nung zu tragen fuchen. Ober - Bürgermeister Struckmann ersucht um Mittbeilung darüber, ob die Ziele der zehnklafsigen und neunklassigen Mädchen- schulen die gleihen sein follten. Er felbst sei Anhänger der zehn- Hafsigen Schule; von Ueberbürdung fei nicht zu \prechen, und es set wünschenswerth, wenn die jungen Mädchen ein Jahr länger in die Schule gingen, ebe fie in die Gesellshaft eingeführt würden. Minister dec geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse: Meine Herren! Sie werden wohl mit mir darin einverstanden sein, daß es sh empfiehlt, zu vermeiden, daß wir in die eigentliche Tiefe der Technik der Schulen bier eintreten. (Sehr richtig.) Ih will aber die Antwort, die Herr Struckmann von mir verlangt bat in Bezug auf den Lebrplan in der erften Klafse an den zehnklassigen be- steben gebliebenen böberen Lölterfulen, nicht gern s{huldig bleiben. Ich babe den Anordnungen einen ganz neuen Lehrplan beigegeben, und es verstebt sih ganz von selbst, daß auch die zehnklassigen Schulen diesen Lehrplan, der auf Grund der allerforgfältigften sahverständigen Anbörung aufgestellt ift, innezuhalten haben. Selbsftverständlih aber

L kann dieser Plan der obersten Klafse bei den zehnklassigen Anstalten

vertieft und au etwas erweitert werden unter Zustimmung der be- treffenden Aufsihtsbehörde. Das wird ein verständiger Leiter einer böberen Mädchenshule bei Entwerfung seines Lehryplans von selbft machen, und wenn ihm da etwas fehlt, braucht er fich nur an die Provinzialbebörde zu wenden, die ihm zu Hilfe kommen wird. Im übrigen will ich nicht noch einmal auf jedes pro und contra eins geben in Bezug auf die zebnklassige Shule. Jch will nur noch sagen, die erste Klasse der zebnklassigen Anstalten wird in den meisten Fällen gemißbraut zu einer Seminarklasfe; das haben wir abstellen wollen, und ich bin ficher, daß das ein Segen ift, wenn es abgestellt wird.

Ferner haben keinewegs alle Tötter, die eine zehnklasfige Anstalt besucht haken, alle zehn Klassen durhgemai. Nein, eine große An- zahl sind bängen geblieben, fei es durch Krankheit, sei es durch Ab- wesenbeit, in den unteren Klafsen, und find nur höchstens bis zur zweiten Klasse gekommen. Die meisten Schülerinnen haben also in iesen zehnklassigen Schulen keine abgeshlofsene Bildung erlangt, als sie fonfirmiert wurden und die Schule verließen. Das wird in der

die Grundlage der neunfklassfigen Anstalt für eine viel gesündere. Jh alaube au, daß fich das bewähren wird. Freiherr von Maltzahn führt aus, daß ein Theil der Volks-

s{ullehrer jeßt nicht mehr Sculmeister, sondern Schulberren, wo- mögli obne jede Aufsicht sein wollten. Die preußishe Regierung babe der Volks\{ule stets ihre warme Fürforge zugewandt und geistig wie materiell für die Schullehrer stets und gern gesorgt. Das Herrenhaus sei immer bereit, für die BVolksshullebrer einzutreten, verlange aber, daß über die Thür jedes Seminars oder Schule ge- schrieben werde: niht multa, sondern multum. Die Aufwendungen staatlicherseits hätten betragen: an Beibilfen für Schulverbände u. f. w. 1882/83 12370 000 46, 1895/96 37 569 000 Æ, nur für Lehrer 1882/83 4 667 000 4, 1895/96 14 632 000 Æ, für die Hinter- bliebenen der Lehrer 1882/83 400 000 Æ, 1895/96 1 945 009 4 Der Dank dafür sei, daß in ver Preußischen Lebrerzeitung z. B. davor ewarnt werde, Lehrer zu werden, da die Lebrer fein genügendes

uékommen und keine politischen Rechte hätten. Man müsse im In- teresse der Lebrer sagen, daß fie eigentlih „verrüdckt“ unen worden seien durch ftädtishe Redner während der Wahlen, wie fie au durch die Zeitungen und übertriebenen LobHudeleien verdorben . würden. Es werde u. a. von einem Lebrer erzählt, der bei 570 4 Gehalt langsam verbungere. Im Anschluß an solche Erzählungen heiße es dann: „Ist der Sieger von Königgräß nicht ein beneidenswertber Mann?“ Der Unglaube oder eine Ünklarheit, wie bei den Egydi’schen Auffassungen,

reife unter den Lehrern immer mehr um fi, er hoffe auf Aufret- Dilticué der alten srammen Schuldisciplin. j

Ober-Bürgermeifter S truckEmann hebt hervor, daß das Ein-

treten für die eigensten Interessen jeßt in allen Kreisen vorherrschend sei. Auch die Landwirthe hâtten ja erklärt, fie würden unter die Sozialdemokraten gehen, wenn ihre Wünsche niht erfüllt würden. Man könne sich nicht wundern, wenn auch unter den Lehrern Un- zufriedenbeit um sich greife. Gewiß sei für die Lehrer manches ge- \heben, aber langfamer und später als für andere Beamte. Herr von Malzahn habe über das Abhandenkommen von Gottesfurcht bei den Lehrern geklagt, dagegen müfse er die Lehrer in der Hildesheimer Gegend in Schuß nehmen. Es fei nicht woblgethan, in solher All- gemeinbeit einen Stein auf den Lehbrerstand zu werfen.

(S@hluß in der Zweiten Beilage.)

großen dieZSate schr wohl gelungen ift; das bezeugen mir auch die

tellen, so müßte ih nothwendig bei jedem Provinzial-Séulkollegium

neunfklassigen Schule viel befser sein; und ih halte aus diesem Grunde -

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

„A¿ SO.,

Berlin, Montag, den 1. April

1895.

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(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Vor dem Schluß der Diskussion möchte ih doch dem verehrten Freiherrn von Maltahn noch ein Wort erwidern. Fch habe aus seiner Rede nit diese generelle Klage über die Lehrer ber- auégebört, wie. fie Herr Ober-Bürgermeister Struckmann empfunden zu haben scheint (sehr richtig! rechts); ich bin im Gegentheil Herrn Freiherrn von Malgzzhn sehr dankbar dafür gewesen, daß er von vornherein seine Klagen auf eine Minorität von unzufriedenen Lehrern beschränkte, die über das vernünftige und bescheidene Maß binaus, das sich aller- dings für einen Lehrer ziemt, Ansprüche in Bezug auf ihre Besoldung und auch Ansprüche an die betheiligten Gemeinden machen, mit denen sih abfolut nicht rechnen läßt. Meine Herren, daß muß ih ja be- kennen, es giebt solche Lehrer; ih selbst ‘habe in ten lezten Wochen Anlaß gehabt, in einer ganzen Zahl von Fällen Lehrern, die in dieser Weise maßlose und rücksihtslose Ansprüche geltend gemacht hatten, vorzubalten, daß sie durch nichts die Interessen der Lehrer mehr shâdigten, als durch folche Maß- und Rücfsichtslosigkeit und mir meine warmen Bestrebungzn für das Wohl der Lehrer dur nichts mehr erschwerten, als durch derartige maßlose Forderungen. (Sebr gut!) Nun muß ih aber auch auf der anderen Seite anerkennen, meine Herren, Sie wissen ja, daß die Landgemeinden in den leßten Jahren den Bestrebungen der Unterrichtöverwaltung, soweit sie auf Herstellung eines auskömmlichen Besoldungsmaßes für die Lehrer ge- rihtet gewesen find, sehr weit entgegengekommen sind: ich kann das nur mit äußerstem Dank, sowohl gegen die Gemeinden, wie gegen die Gutsbezirke hier aussprechen nun muß ih freilih au sagen und ausdrücklich hervorheben, daß mir aus Lehrerkreisen zahllose Zu- schriften zugegangen find voll der wärmsten Anerkennung und der wärmsten Dankbarkeit für das, was für sie gesehen ist; die Gerehtig- keit erfordert es, daß ih das hier auëspreche, und ih habe die Zuversicht zu unseren Lehrern, daß sie diese Dankbarkeit au festhalten werden. Meine Herren, die Lebrer find der Unterrichtëverwaltung befoblen. Wir haben noch eine Reihe Stellen im Lande, die in der That nah meiner Ueberzeugung dem Lehrer niht das gewähren, was er baben muß, wenn er ein ordentliher Mann bleiben will. Wir haben noch 4- bis 500 Stellen im Lande, freilih für junge, für zweite Lehrer, die nit höher dotiert sind, als ein für alle mal mit 540 Æ jährli. Meine Herren, mit 540 4 ift es für einen jungen und unverbeiratheten Lehrer außerordentlih {wieria, einen Etat zu machen, mit dem er ausfommt. Ich habe es versuht und versuchen lassen und fann nur sagen, es ift außerordentlich \{wer, wenn niht ganz unmögli, und deshalb geht allerdings mein Bestreben dahin, diese Stellen vorläufig wenigstens auf 650 c zu bringen. Ich habe aber au aus der Rede des Herrn Freiherrn von Maltzahn den Eindruck empfangen, daß wir uns in diesem Bestreben vollständig begegnen (Freiherr von Malgahn: Natürlich!), ja, ih bin ihm dankbar dafür gewesen, daß er dieses nobile officium anerfennt, daß wir für die Leute, denen unsere böhsten Schätze, die Jugend unseres Volks, anvertraut sind, auch fo weit forgen, daß sie bei bescheidenen Ansprüchen wenigstens mit Freudigkeit ihr Amt versehen können, und ih fann Herrn Feiherrn von Malßahn versichern, daß ih mit ihm ganz darin einverstanden bin, daß, wenn au nicht mit lateinischen Worten, so doch in Wirklich- feit über allen unseren Schulstuben das multum, non multa ge- schrieben stehen sollte, daß ich ein Gegner davon bin, überflüssig glänzende Schulpaläste aufs Land zu seßen, und daß ih dringend wünsche, daß die Bauverwaltung mir dabei entgegenfkommt, daß man über das lândlihe Bedürfniß nicht binaus greift, (Bravo! sehr gut!) und daß die Lehrer auch bei ihren Wohnungen ein Maß empfangen, welches dem entspriht, was in den Kreisen, deren Kinder sie unter- richten, üblih ist. Der Lhrer wird im allgemeinen gut, gesund und mindestens so wohnen müssen, wie der Durchschnitt der Eltern seiner Schulkinder. So soll auch der Lehrer auf dem Lande wohnen, dann wird er gut wohnen. Dann wird der verständige Lehrer auch dankbar und zufrieden sein. Meine Herren, mir ist nihts mehr angelegen, als daß wir unsere Lehrer an den Seminaren erziehen zu guten Preußen, zu guten Deutschen, zu guten Christen und zu einfaWßen Menschen, die fi in die Verhältnisse shicken, in die sie nun einmal gestellt sind. (Bravo!)

Ober - Bürgermeister Bender erklärt die Unzufriedenheit der Lehrer aus der Unklarheit ihrer Stellung. Sie wüßten nicht, wer eigentlih ihr Vorgeseßter fei, daher ïäme vor allem ihre Unzu- friedenheit.

Graf von Klinckow str öm wendet sh gegen die Ausführungen des Ober- Bürgermeisters Struckmann, indem er bervorbebt, daß die Lehrer niht nah, fondern vor anderen Beamten Gehaltsaufbesserungen erbalten bâttzn Die Landwirthe kämpften um ihre Existenz, die Lehrer für Verbesserung ihrer Lage. Das sei niht zu vergleichen. S

Ober-Bürgermeister Struckmann bittet darum, alte Gemälde, welche aus den großen Museen entfernt würden, nit zu verkaufen, sondern den Provinzen zu überlassen, ebenso die noch nit geordneten Kunstschätze baldmöglichst aufzustellen.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ich bin mit jedem Wort des Herrn Struckmann vollständig ein- “erstanden, mae aber darauf aufmerksam, daß die erfte Rate: die zur Herstellung eines Gebäudes, das dazu dienen sollte, um den Neubau eines Antikenmuseums auszuführen, im vorigen Jahre in den Etat eingestellt war, vom Hause der Abgeordneten aber gestrichen worden ist, Angesichts der jeßigen Finanzlage ist es niht möglich gewesen, diese Nate jeßt wieder aufzunehmen. Aber daß unsererseits es nicht an dem vollen Ernste fehlen wird, um die großen Schätze, die wir jeßt bier ungenußt zu liegen haben, für unser Volk nußkbar zu machen, darauf können Sie fich verlassen. (Bravo !)

Graf von Reventlou fragt, ob für die biologishe Station in Plôn, die unter der sehr tüchtigen Leitung des Herrn Dr. Zacharias stände, eine staatli@e Beihilfe im Kultus-Etat zu erwarten fei.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ja, meine Herren, wir stehen der Ploener Station durchaus an- erktennend gegenüber, aber das ist doch richtig und das hat auch Herr

genommen und ich glaube mit gutem Grunde, daß die Aufgaben der Ploener Station viel mehr auf dzr Seite des deuts{en Fischerei- bereins Liegen alé auf der Seite der eigentlihen Wissenschaft. Da- gegen ift die biologische Station auf Helgoland durchaus rein wiffsen- schaftliGen Zwecken gewidmet, sie gehört deshalb auch in diesen Etat. Ich glaube, wenn für die Station in Ploen etwas geschehen foll, fo ift der Etat des Kultus-Minifteriums {wezrlih der rihtige Ort : wenigstens bin ih nit allein betheiligt, sondern in erster Linie wird mein landwirthshaftliher Herr Kollege in Betracht kommen.

Damit ift der Etat des Ministeriums der geistlichen 2c. Angelegenheiten erlcdigt.

Es folgt die Berathung der landwirthschaftlichen Verwaltung. _ , Hierzu liegt folgende Resolution des Grafen von der Schulenburg-Beezendorf vor:

„Im Interesse der Erhaltung des ländlihen Grundbesiger- standes it es geboten, der reißend anwalsenden Bodenvers{uldung Einhalt zu thun und auf eine allmäbhlihe Schuldentlastung Bedacht zu nehmen. Die rômisch-rehtlihen Bestimmunger über Verschuldung, Theilbarkeit und Vererbung des Grund und Bodens sind durch ein- shränkende deutsh-rechtlihe Vorschriften zu erseßen. Als folhe tommen in Betraht: Die Einführung des Anerbenrechts in den Gegenden, wo es der Volkfssitte entspriht. Die Errichtung von Heimstätten auf Grund des dem Deutschen Reichstag vorgelegten Geseßentwurfs. Die Ersezung der köndbaren privaten Hypothek durch die seitens des Gläubigers unkündbare, binnen einer bestimmten Zeit zu amortisierende Institutéhvpvothek. Ferner empfiehlt sih die weitere Ausgestaltung der landwirth\{aft- lichen Kreditinstitute, fowie der ländlichen Darlehnskafsen, der Raiff- eisen’s{en Darlebnskafsen und die thunlihste Verbreitung der Lebens- versiherung unter den ländlihzn Grundbesißern.“

_ Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein-Loxten:

Meine Herren! Ih habe gestern nur flüchtig die Notizen an- gesehen. welche ih mir über vershiedene Punkte gemalt hatte, die Herr Graf Klinckowstrôöm angeregt hatte. Jch darf vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten eine Erklärung zu diesen Punkten jeßt nahbolen.

Zunächst hat Herr Graf Klinkov-\trôm darauf hingewiesen, daß wir die Schutzollpolitik dem Fürsten Biêmarck verdanken, und daran die Bemerkung geknüpft, daß es ein bedenkliher Schritt gewesen sei, dur die Handelsverträge in andere Bahnen einzulenken. Ich kann das in gewisser Beziehung anerkennen. Aber ih möchte bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß Herr Graf Kanitz bei Vertretung seines Antrages die Behauptung aufgestellt hat: augenbli&cklih befänden wir uns in einer Lage, wo mit Schuyzzöllen allein niht mehr zu helfen - sei, daß es vielmehr geboten sei, wenn man belfen wolle, der Monopolfrage näher zu treten.

Dann hatte Herr Graf Klinckowström darauf hingewiesen, es sei nit richtig, wenn man die Erregung, die in der landwirthschaftlichen Bevölkerung \ih vollzogen habe, als eine in hohem Grade bedenkliche bezeichne. Ih kann dies in gewisser Weise anerkennen, in gewisser Weise muß ih dem entgegentreten. Ich räume ein, daß bei der be- denklihen Lage, in der sich die Landwirthschaft befindet, es durchaus berehtigt war, den Versuch zu maten, dur eine spontane Interessen- vertretung den Bedürfnissen einen prägnanteren Ausdruck zu geben, als es bisher die landwirtbschaftlihen Vereine und die legalen Ver- tretungen gethan haben. Ich muß aber behaupten, daß ih an diese spontanen JInteressenvertretungen, die \sich vollzogen haben , eine Agitation geknüpft hat, die für den Staat und für eine rubige Beurtheilung der Frage in hohem Grade bedenklih ist, und ih gebe mi der Hoffnung hin, daß, nahdem die Staatsregicrung den sehr wichtigen Schritt gethan hat, dur die Landwirthschaftskammergesetz- gebung eine legale Interessenvertretung zu hafen, diese Interessen- vertretung die wirflihe, ruhige, objektive Vertretung der landwirth- lichen Interessen in die Hand nehmen werde und daß an diese Art der Interessenvertretung eine Ägitation, wie sie von dem Bunde der Landwirtbe ausgeübt wird, sich niht knüpfen wird, daß vielmehr eine rubigere, objektive Behandlung dér bewegenden Fragen eintreten wird.

Dann habe ih gestern unterlassen, auf eine Bemerkung des Herrn Grafen Klinkowström zu erwidern, der behauptete, daß die massenbafte Einführung von Gänsen eine große Seuchengefahr mit \sich bringe. Darauf habe ih zu erwidern, daß es zu bedauern ist, daß die Produktion von Gänsen, die ein Nebengewerbe der kleinen Leute war, in Deutschland immer mehr zurückgeht. Ob daran nit die größeren Landwirthe insofern eine gewisse Schuld tragen, als sie dem kleinen Manne die Möglichkeit, Gänse zu ziehen, immer mebr ein- s{ränken, und ob der Grund dafür niht auch darin zu finden ift, daß die sogenannten Almendeländereien, die sonst in allen Gemeinden vor- handen waren, \sich immer mehr vermindert Haben, will ich nit untersuhen. Ih mödhte allerdings wünschen, daß dieser Produktions- ¿weig wieder ein besserer, blühender werde, als es jeßt der Fall ift. Die Frage, ob der Import von Gänsen eine große Seuchengefahr in sich schließt, wird von der einen Seite behauptet, von der andern be- stritten. Ih will annehmen, die Gefahr der Seucheneinshleppung liege vor, sollte sich das als rihtig erweisen, so werde ich die- jenigen Maßnahmen ergreifen, welche nah dieser Richtung hin Abhilfe gewähren. / Ih möthte nicht unterlassen, einen Punkt zu berühren, den eben- falls Herr Graf von Kinckowström erwähnt hat. Er führte, wenn ih nit irre, aus, daß auf den alten Land- und Heerstraßen im Osten, ungeachtet des Umstandes, daß durch die Dotationsgesetzgebung den Provinzialverbänden ein Theil der Unterhalt'ingslaft dieser Straßen gegen Gewährung einer Dotationsrente überwiesen sei, noch immer eine fisfalishe Verpflichtung zur Gewährung gewisser Naturalleistungen bei der Unterhaltung der Straßen bestehe; es wurde die Art undFWeise erläutert und dabei auf ein Verwaltungsgerichtserkenntniß hingewiesen, infolgedefsen der Fiskus sich diejer Verpflihtungen ob mit Necht oder Unrecht, will ih hier niht entsheiden zu entziehen in der Lage sei. Soviel mir bekannt ift, existieren allerdings fiskalishe Naturalverpflih- tungen neben den in der Dotationsgeseßgebung festgestellten Verpflih-

Graf vou Reventlou ja hon herausgefunden, wir haben bis jeßt an-

Es ist mir aber mitgetheilt, daß wegen der Ablösung dieser fiskalischen Verpflichtungen bereits Verhandlungen eingeleitet seien. Ih gebe mih der Hoffnung hin, daß auf diesem Wege vorberegter Mißstand beseitigt werden wird. Wenn zwei sich an ein und derselben Ver- pflichtung betheiligen, so ist das in der Regel niht günstig, und beide führen ihre Verpflichtung mangelhaft ab. Ich hoffe daher, daß dieser Mißstand in legaler Weise abgestellt werden wird.

_ Graf von der Schulenburg-Beegendorf zieht seine Reso- lution zurück und wünscht dieselbe ers nach Ostern berathen zu lassen.

Graf von Frankenberg: Ih würde bei der vorgerückten Stunde auf das Wort verzichten, i sprehe aber nit für mich allein, sondern im Auftrag meiner politishen Freunde. Von den politischen Freunden des Grafen Klinckowstrôöm, von dem Troß der Agrarier ist im Abgeordnetenhause vorgestern ganz unerwartet eine agrarishe Debatte der allershärfsten Art herbeigeführt worden, für die es faum eine Erklärung giebt, wenn man nicht annimmt, daß eine poli- tische Absicht im Hintergrunde lag. Eine andere Erklärung iebt es nicht für die Scchroffheit, mit der dort dem Minister entgegengetreten wurde. Von einem Herrn, der fogar Staatsbeamter it, wurde der Vorwurf erhoben, die König- liche Staatsregierung habe die Karre in den Dreck gefahren. Erst Graf Liubirg-Sticm hat die Debatte auf ein ruhiges Maß zurücgeführt. Zu gleicher Zeit ist im Reichstag der Antrag Kaniß verhandelt worden, und dort ist der Bruch mit der Regierung seitens der Agrarier vollzogen worden. Diese Thatsachen zusammengenommen zwingen mi dazu, an eine politishe Aktion in greßem Stil zu glauben; die Rede des Grafen von Klinckowstrôm hat noch mehr Veranlafsung dazu gegeben. Er erflärte, daß die Regierung, wenn sie auf den Antrag Kaniß und die großen Mittel nicht eingebe, s in kurzer Zeit einer Organisation im Lande gegenüber sehen werde, der fie weihen müsse. Ich {ließe mich der Hoffnung des Ministers, daß Eee dem guten Willen der Regierung eine weitere Agitation auf- ôren werde, an und bitte die Herren dringend, den Bruh mit der Regierung nicht weiter zu treiben. Das wäre bei der gegenwärtigen politischen sehr ernsten Lage ein sehr gewagtes Unternehmen, das zum Heile des Vaterlandes nit führen kann. Es ist auh der Staats- rath anaegriffen worden, vom Grafen Klinckowström allerdings in milder Weise. Als Mitglied des Staatsraths möchte ih einige Worte zu seiner Ehrenrettung sagen, zumal in der Preffe vielfa die Arbeit des Staatsraths als eine vorber fefst- geseßte, ja vorausbestellte hinzustelen und zu diskreditieren versucht wird. Wer diese Berathungen mitgemaht hat, muß sagen, daß ernster, gediegener und rubiger eine folhe Versammlung wohl s{chwerlich berathen fann. Die Denkschrift, in der die Gründe zusammengefaßt sind, weshalb die Staatsregierung den Antrag Kanißtz und die thm verwandten Anträge für unausführbar bält, ist aus- gezeichnet geschrieben, ich glaube nit, daß es jemanden gelingen wird, diese Gründe zu entfräften. Graf von Klinckowstrôöm hat gestern die fleinen Mittel äußerst {arf fritisiert, über den Antrag Kanig ist er aber viel fürzer hinweggegangen als über den Import der Gänse aus Nußland. Eben|o {nell ging er über die Frage des Bimetalliêèmus hinweg. In der Geschichte giebt es Analogien zu dem Antrage Kanitz. In- der römischen Geschichte finden sih die ersten Anfänge von Getreidelieferung des Staats. Schließlich kam es soweit, daß unter den Kaisern das Wort „panem et circenses“ das berrshende wurde. Eine andere Analogie finden wir während der großen französishen Revolution, in der Blüthezeit des Konvents und der Guillotine. Damals mußte den Klagen der Land- wirthe gegenüber die allmädhtige Staatsgewalt in Bewegung geseßt werden. Der Konvent erließ feine Dekrete, auf deren Uebertretung einfah die Guisllotine ftand. Sn de Ges shihte von Taine „Ueber die Entstehung des modernen Frank- reih" findet sich die Schilderung jener Zeit, die eine fur(t- bare Aehnlichkeit mit der un!erigen aufweist. Die dort entwickelten Gedanken der Staatêmonopole liegen uns gar nit fehr fern; denn in «Früÿlings Landwirtbschaftlicher Zeitung* wurden ganz ähnliche Ge- danken in einem Artikel Winter's: „Zur Verstaatliizung der Getreide- einfuhr“ entwidelt. Nachdem der Antrag Kaniy von der Regierung für unausführbar erflärt worden ift, hatte ih gehofft, man würde von der Agitation ablafsen; das ift niht geshehen. Mögen sich doch die Herren ret ernstlich überlegen, ob sie noch weiter im Gegensaß zur Staatsregierung und einem so wohlwollenden Minister, wie Herrn von Hammerstein, bleiben wollen! Wir müssen doch Alle die Ueberzeugung haben, daß die Regierung die beste Absicht bat, alles zu prüfen, was ihr vorgelegt wird und das Mögliche auszu- führen. Wie lange is denn die Regierung am Ruder? Sie kann doch noch nicht alles durchgeführt haben. Mteeine politishen Freunde und ih bringen der Regierung das vollste Vertrauen entgegen, daß sie das, was gestern hier entwickelt wurde, thun und uns aus der {weren Krisis herausführen wird. Graf von Mirbach hat in seiner neulichen Rede zu meiner Betrübniß Alexander den Großen angerufen, der den gordishen Knoten mit dem Shwert durchhauen habe, und hat dabei auf den Reichstag angespielt. Soweit sind wir doch hoffent- lich noch nicht gekommen, daß an solche Mittel appelliert werden müßte. Wir feiern in diesem Jahre das % jährige Jubiläum der Ent- stehung des Deutschen Reichs. Ich hoffe doh, daß die patriotische Flamme in den deutschen Herzen so angefaht werden fann, daß wir über das Elend des heutigen Reitêtags, der hoffentlih nur noch furze Zeit zusammenbleiben wird, hinwegkfommen, daß wir durch Neu- wahlen wieder einen wahrhaft deutschen Reichstag nah Berlin senden. Mit diesem werden wir dann verhandeln können, um cin anderes Wahlgeseß für das Deutsche Reih zu bekommen, denn mit diesem können wir nit rechnen. Zu einer Zeit wie der jeßigen dürfen si die staatserhaltenden Parteien niht trennen und in wirth\caftliher Beziehung sih nicht auf so gefährliche Agitationen einlassen, wie sie für den Antrag Kaniß unternommen wurden. Es sind, wie der Minister richtig ausführte, die allerbedenklihsten Reden in Versammlungen ge- halten worden vor einem Publikum, das die Tragweite dessen, was man ihm verspriht, niht verstehen kann. Es - bedeutet nihts, eine Versammlung durh ein zündendes Wort fortzureißen. Was leistet in dieser Beziehung nicht die Sozialdemokratie! Sie reißt die Massen zu Ideen und Bestrebungen hin, die gänzlich uner- füllbar find, gegen die der Antrag Kanißtz ein ganz unschuldiges kleines Mittelchen ift, und doch hat sie die Majsen hinter sich, reißt fie mit sih fort. So ift es auch niht {wer, nothleidenden Landwirthen, denen es wirklih s{chlecht geht, zu versprehen: durch dieses Mittel werden wir Euch Geld schaffen, wir werden Euch über alle Schwierigkeiten hinweghelfen. Das ift aber unrecht. Der Antrag Kanitz ift unter- sucht, ift ungangbar befunden und ift gerihtet. Deshalb erlaube ich mir mit der Bitte an die Herren zu schließen : Geben Sie diefen Weg auf, nehmen Sie die fogenannten kleinen Mittel, die die Regierung anbietet, in ein Bündel zusammen, und wir werden über die Krisis der Landwirthschaft hoffentlih hinwegkommen.

Graf von Mirbach: Wie die einzelnen Einwürfe des Grafen Frankenberg mit der Getreideeinfuhr zusammen zu bringen sind, weiß ih nicht. Von dem Schwert Alexander's des Großen habe ih nicht gesprochen, daran hatte ich niht gedaht. Freilih fürchte ih, wenn es noch lange fo weiter geht, könnte es au bis zum Schwert kommen. Wir stehen vor der Lhatsache, ob die deutshe Landwirthschaft

tunger zur Unterhaltung folher Straßen aus den Dotationsmitteln.

zu Grunde gehen soll oder nicht. Der Minister meint

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