1896 / 281 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 26 Nov 1896 18:00:01 GMT) scan diff

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der aufgeklärten Meinung zu finden, daher sehr leiht dem Druck mehr oder weniger zu weichen gezwungen sein kann, der _ Landtag nit minder, und so entsteht ein Zustand, wo aus diesen gewaltigen, plöylihen, kurz dauernden Uebershüssen dauernde Steigerungen der Ausgaben erwachsen und infolgedessen, wenn nah- her die Uebershüsse wieder weihen, die Einnahmen zurückgehen, das Defizit herauskommt. Stellen Sie sch vor, daß dies periodisch weitergeht, daß infolgedessen eine große Steigerung der Ausgaben, vor welhen wir ja in diesem Augenblick wieder stehen die Ver- handlungen der nächsten Zeit werden das ja noch deutlicher beweisen, wie wenig Zwang man sich jeßt {hon anthut in Bezug auf die Stellung hoher Forderungen an die Staatskasse —, ih sage, wenn man sich vorstellt, daß dieser Zustand sich periodisch wieder- holen sollte, so fann allerdings eine große Gefahr für die dauernde Solidität unserer Finanzverwaltung nicht bestritten werden. Aber, meine Herren, so sehr ih dies anerkenne, so weiß ih doch nit, Ihnen einen Weg vorzuschlagen, der gegenwärtig den vollen Erfolg der Beseitigung diefer Uebelstände herbeiführen könnte, namentli nicht, solange diese großen Schwankungen in Beziehung auf die Leiftungen und die Empfänge zwischen den Einzelstaaten und dem Reich fortdauern. Meine Herren, wenn Sie sich eine solche fefte Rente deuken, welche die Eisenbahnen abgeben sollen, und nun stiegen plößlich, was doch garniht nach den Erfahrungen ausgeschlossen ist, die Matrikularumlagen im Reich, die Preußen zu zahlen hat, und andererseits gingen die Ueberweisungen zurück, dann würde der Zuftand vielleiht entstehen, daß die Eisenbahnverwaltung weit?mehr verdient als diese Rente, aber das Plus behielte, während die allgemeinen Staatsfinanzen im Defizit \teckten und Anleihen machen müßten. Jch glaube nicht, daß man es wagen kann, in diesem noch ungeordneten Zustand der Finanzen von meinem Standpunkte aus ist er als ein ungeordneter zu bezeichnen eine folche ein- shneidende Grenze zwischen den Uebershüssen der Eisenbahnverwaltung und den allgemeinen Mitteln, abgesehen von sonstigen sehr großen Bedenken, die die Sache, wenn man mal im einzelnen diesen Fragen nachgeht, hat, zu riskieren. Man hat mir in der Presse ja vielleicht mit einigem Recht vorgeworfen, daß die Vorlage nur ein halbes Werk sei, daß der Hauptgrund des Uebelstandes nicht beseitigt würde. Bis zu einer gewissen Grenze gebe ih das zu. Ich empfinde au, daß man weiter gehen müßte; aber ih glaube, wenn Sie in der Budgetkommission die Sache genau prüfen, fo werden Sie finden, daß man sih gegen- wärtig beschränken muß. Man kann wohl fagen, daß namentlich die Bildung dieses Ausgleihsfonds doch auch einen Theil der Nachtheile beseitigt, die aus diesem noch nicht vollständig geklärten Finanzwesen des Reiches und der Einzelstaaten sich ergeben, ohne jedoch die Nothwendigkeit einer Neichsfinanzreform, einer Auseinandersezung zwischen Reih und Einzelstaaten irgendwie zu vermindern. Aber diejenigen Herren und das ist der Grund, warum i gerade diese Ausführungen mae, denn es ift wünschenswerth, daß man ein Bild über die Gesammtlage hat —, welche glauben, daß man hier noch nicht alles thut, was man thun müßte, und noch viel zu thun übrig bliebe, glaube ich, werden mit mir anerkennen müssen, daß wir bier einen erheblichen Schritt va der von ihnen gewünschten Richtung machen. Denn wenn wir einen folchen Ausgleihungsfonds aus Ueber- shüssen des einen Jahres reservieren für Defizitjahre, die nahkommen, so heißt das in der That und Wahrheit, wenn es au nit so ge- nannt wird: Wir reservieren aus den Eisenbahnübershüssen Beträge, welche denselben wieder zu gute kommen in Zeiten, wo wir sonst für fie nihts thun können. Es ist das schon der Anfang einer Scheidung in diesem Sinne, einer Milderung der gegensäßlihen Interessen, die hier in Bezug auf die Aufgaben, die den Eisenbahnen gestellt werden, vorliegen.

Niemand von Ihnen macht sich Jllusionen, daß, wenn wir heute eine Grenze zwishen den Cisenbahnfinanzen und den allgemeinen Finanzen zögen, dabei ignoriert werden könnte, daß wir bereits einen großen Theil dieser Uebershüsse in der Vergangenheit längst festgelegt haben. Davon kann ja garnicht die Rede sein, die Verwendung dieser Vebershüsse in weitem Umfange zu vermindern, da wir in Preußen zur Deckung nicht bloß der Staatss{ulden und deren Verzinsung, sondern auch zur Bezahlung und Bedeckung aller anderen ftaatlihen Ausgaben bereits \o stark auf die Eisenbahnverwaltung angewiesen sind. Wir würden also jedenfalls eine sehr bohe Rente greifen müssen, die vielleiht den Wünschen derjenigen, die aus der Eisenbahn bloß cin Landesmeliorations-Institut und keinerlei Finanz- Institut machen wollen, in keiner Weise genügen würde.

Ich empfehle Jhnen, meine Herren, diese Vorlage zu ciner sahlichen Erwägung und ih hoffe, daß wir in eingehender Berathung in der Budgetkommission doch dahin gelangen werden, der Vorlage viele Freunde zuzuführen. (Bravo! bei den Nationalliberalen und rechts.)

Abg. Richter (fr. Vp.): Dem Finanz - Minister muß doch seine Vorlage selbst etwas zweifelhaft ersheinen, sonst würde er der schriftlichen Begründung nicht cine mwmündlihe haben folgen lassen. Gegen den Vorwurf der Bescheidenheit muß ih den Finanz-Minifter in Schuß nehmen; er nimmt, was er kriegen kann, und nur den Steuerzahlern und den anderen Ressorts, namentlich dem Justiz- Ministerium, zwingt er Bescheidenheit auf. In der abhängigen Presse babe ih mehr Empfehlungen der Vorlage gelesen, als in der unabhängigen Presse Kritiken derselben. Ich kann dieselben Grundsätze bezüglih der Schuldentilgung haben und do dagegen sein, diejelben ftestzulegen. Die Hauptsache ist, ob man für jedes Jahr einen bestimmten automatish festgelegten Betrag aufwenden sol. Der Ausdruck Automat" ift allerdings eine nationalliberale Erfindung, er hat Verbreitung gefunden, weil er so s{lagend ist. Der Finanz-Minister hat alle möglichen Reden über die Konsolidation zitiert : von Benda, Virchow u. st. w.; aber er hat seine eigenen Reden vergessen , die ih zitiercen werde. Es kommt nicht darauf an, was damals prophezeit wurde, sondern was wir erlebt haben. In den 70er Jahren flossen die Milliarden; es wurden keine Schuldserien ge- klindigt. Darüber hinaus noch freiwillig zu tilgen, das hätte der jeßige Finanz Minister au nit fertig gebracht. Der Minister mußte ja auch zugeben, daß die Praxis durchaus günstig ist. Das Gesetz ent- spricht allerdings nit der praktichen Erfahrung, sondern lediglich einer theoretishen Licbhaberci. In den vier Defizitjahren sind 107 Millionen Mark Anleihen bewilligt, aber nur auf dem Papier; die Anleihen find niemals aufgenommen worden. Man hat damals 136 Millionen Mark Schulden getilgt und zwar ohne Ausgleichsfonds. Außerdem hat der Finanz-Minister 100 Militonen Mark der Ein- kommensteuer zur Verstärkung des Betriebofonds verwenden können und weiter wurde noch viel Geld zur Verbesserung des Eisenbahn- wesens verwendet. Jeder Privatmann könnte sich nur dazu Glück wünschen, wenn er folhe vier Defizitjahre hinter sich hätte. Im Reiche haben wir einen Anfang mit der Tilguno der Neichéschuld

emacht; der Versuh wäre noch stärker ausgefallen, wenn der Finanz-

inister nicht Widerspruh echoben hätte. Wir haben im Landtage cin so beshränktes Budgetreht, daß wir bei Ueberschüfsen die

Einnahme nicht érmäßigen könnén, wir könnén nür über die Ver- wendung, über die Ausgabebewilligung bestimmen, und dieses Necht soll durch Festlegung eines Theils der Ausgaben und Ueberschüsse beshränkt werden. Das Haus hat freiwillig Schulden getilgt, es hat das Budget der Regierung unverändert genehmigt. Soll des- halb etwa der Grundsay éingeübrt werden, n das Budget un- verändert genehmigt werden muß? Ifffft denn heute Ursache, über wechselnde Anschauungen dér Parlamente zu klagen? Nein, man klagt über die wechselnden Anschauungen der Regierungen. Vor drei Jahren hat der Minister mit den übrigen NRe- gierungen im Reiche 70 bis 80 Millionen neuer Steuern zu viel gefordert. Hätten wir die neuen Steuern, so hätten wir noch mehr Üebershüsse als jeht auf Kosten einiger Industrien. Jn der Theorie mag der Finanz-Minister den Landtag als seine besten Hilfstruppen betraten, aber er negiert in seinem innersten Wesen das Etatsrecht, indem er hindert, daß den veränderten Verhältnissen der einzelnen Jahre Rechnung getragen wird. Ein Parlament muß den Spielraum haben, daß es bei geänderten politischen und persönlichen Verhältnissen in der Regierung von den finanziellen Grundsäßen abweicht. Ein Budgetgeseß muß zu tande kommen, und der Einfluß des Land- tages beruht auf seinem Einfluß auf das Budget. Einen Anfang des Steuerbewilligungsrehts hatte das Portemonnaiegeseßz geschaffen, aber die Steuergeseße des Herrn Miquel haben es wieder beseitigt. Nach der Vorlage soll unter allen Umständen getilgt werden , die Uebershüfse können nicht übertragen werden; das führt \chließlich zur Steigerung der Steuern, wenn man nicht eine Anleihe aufnehmen will. Jn dem Automaten für das Reih war auch ein Steuer- zuschlag vorgesehen. Diese Verzierung is hier als überflüssig weg- geblieben. Die Konsolidation ist ja damals entstanden aus Anlaß eines Zuschlages zur Einkommensteuer von 25 0/0. Diese Entwicklung muß davor bewahren, diesen Weg wieder zu betreten. Jch bin für die Konsolidation gewesen, troßdem die Befürhtung bestand, daß die Grsparnisse für den Militär-Etat verwendet werden würden. Deshalb untershrieb ih den Antrag, daß die Schuldentilgung nur durchgeführt werden folle, sofern. niht in dem Etat etwas Anderes bestimmt würde. Damit wahrte ich das Etatsreht. Gegen Virchow trat der damalige Abg. Miquel auf und führte aus, daß in den leßten 20 Jahren 91 Millionen Mark getilgt, aber 200 Millionen neue Anleihen ge- macht seien, Herr Miquel war damals der Nadikalismus selbst in Bezug auf die Abschaffung jeder Amortisation; er meinte, das Haus folle sich bei diesem leisen Anfang niht keruhigen. Er wollte weiter gehen, möge es kommen, wie es wolle, worauf rechts „Dôrt! hört!“ gerufen wurde. Allerdings sagt der Minister: Damals bestanden noch keine Staatseisenbahnen. Staatseisenbahnen hatten wir au damals, die Schulden bestanden zu F aus Eisenbahnschulden, und damals war Herr Miquel der Meinung, daß der Staat anders dastehe als jeder Privatmann. Heute is er der umgekehrten Ansicht. Früher erblickte der jehige Finanz-Minister in dem Beutel der Steuerzahler die beste Sparkasse, selbst wenn das aktive Vermögen des Staates sich vershlechtern sollte. Seitdem hat sih das aktive Vermögen des Staates noh erheblih gesteigert; der Nußen aus dem aktiven Vermögen ergiebt ein Plus von 246 Millionen Mark, und nun kommt die Konversion dazu, die Ent- lastung der Schuldenzinsen um F und die Melioration der Eisenbahnen um jährlih 40 Millionen. Das is auch {on eine Verbesserung um mehr als F Proz. Der Minister berief sich jeßt auf das Ausland, während er früher als Abgeordneter das Gegentheil ausführte. Der vortragende Rath hat wohl die Aufgabe erhalten, in die Begründung das Gegentheil hineinzushreiben, was der Abg. Miquel 1869 ausgeführt hat. Da ist ein Buch des Geheimen Regierungs-NRaths Schwarze erschienen, ein Vorläufer dieses Gesetzes, wie früher die Broschüre des Herrn Enneccerus ein Vorläufer der Steuerreform war. Aber das Buch hat mich enttäuscht, denn es beweist nihts für den Segen einer festen Schuldentilgung. Die englischen und französischen Schulden find nicht für Eisenbahnen aufgenommen worden, sondern hauptsächlich für mili» tärishe Ausgaben. Das Wort Ausgleisfonds ist recht unschuldig und anheimelnd, ebenso wie die Bezeihnung Ergänzungsfteuer für die Vermödgenssteuer. Nur in 4 Jahren t der Uebershuß der Staats- eiPGuban hinter dem Etat zurückgeblieben, und in 2 Jahren hat das keinen Einfluß ausgeübt auf den Charakter des Rehnungsjahres im Ganzen. Es bleiben nur übrig die Jahre 1891/92 und 1892/93; das legtere Jahr war das unglücklihe Cholerajahr, sür das erstere ist eine un- vorsichtige Etatsaufstellung vorgekommen. 1892/93 blieben auch die Ueber- weisungen aus dem Reich hinter dem Etat zurück. Das Naturgemäße ist, den schwankenden Einnahmen schwankende Ausgaben entgegen- zustellen; man muß die Schuldentilgung nah den Ueberschü}:n ein- rihten. Der Ausgleihsfonds soll Papiere ankaufen und in anderen Jahren verkaufen. Ganz dasselbe geschieht jeßt auch bei der freiwilligen Schuldentilgung. Der Unterschied besteht nur darin, daß bei der frei- willigen Schuldentilgung die Papiere amortisiert werden, während sie im Ausgleihsfonds asserviert werden. Die preußischen Finanzen sind hon fo unübersihtlich geworden, daß man sih nicht leicht darin zurechtfinden kann. Welcher Mißbrauch ift bei einem solchen Ausgleichs- fonds möglih! Der Finanz-Minister kann in den Fonds hineingreifen zu Zwecken, für welche der Landtag nichts bewilligt hat. Die ver- schiedenen Fonds aus den französischen Kriegskosten unterstellte man einer unabhängigen Verwaltung, weil man ein beliebiges Wirth- schaften einer einzelnen Persönlichkeit ausschließen wollte. Die Rede des Finanz-Ministers war außergewöhnlih geshickt. Man sagte früher hon: Herr Miquel kann Alles beweisen, au daß 2 X 2 = 5 ist, Aber das ist Kinderspiel gegen die Behauptung, daß der Automat Verkehrserleihterungen s{haffen kann. Bei den Freunden der Ver- staatlichung besteht eine Verstimmung darüber, daß die verstaatlichten Eisenbahnen keine Tarifreformen durhgeführt haben. Die Vorlage ift nicht der erste Schritt zu solchen Zielen, sondern er führt von diesen Zielen ab. Die Budgetkommission hat vor zwei Jahren verlangt, daß für die Eisenbahn ein Maximum festgestellt werden solite, welches sie zur allgemeinen Staatékasse abzuführen hätte. Die Vorlage {raubt die Anforderung des Staats an die Eisenbahnüberschüße hinauf. Wird denn noch Geld übrig bleiben für Verkehrserleichte- rungen? Das Geseh wirkt auf den Etat hon zurück, Die Finanz- lage, auf welche das Gescß Anwendung finden soll, ist für uns noch ganz dunkel. Wir haben aus der Eisenbahn 60 Millionen Mark Ueberschuß zu erwarten. Das wäre ein Anlaß zu großen Reformen. Aber davon is gar keine Rede; ja, es be- steht sogar eine Kontroverse darüber, ob für die Eisen- bahn neue Betriebsmittel in dem Maße angeshaff}t werden sollen, wie der Eisenbahn-Minister will. Der Ausgleihsfonds gilt nur für die Nechnung, niht für die Etats. Sollen die Etats weniger solide aufgestellt werden, wenn der Fonds gefüllt is ? Der Minister versprah eine dauernde Beschäftigung der Industrie; das if aber {on durchgeführt worden troß der vier Defizitjahre und ohne Ausgleihsfonds. Das einzig Richtige ist, zu den Grundsäßen zurück- zukehren, die geltend waren bis zum Anfang der Verwaltung des Finanz Ministers, die jeßt noch im Reiche geltend sind. Dabei hat das Haus freie Verfügung. Die Uebershüsse im Reiche sind nicht zur Schuldentilgung verwendet worden, weil sie eine Stütze bilden sollten für die Durchführung der Besoldungsverbesserungen, für welche sonst keine Mittel vorhanden {ind. Die Ueberschüsse lassen sich nicht vorhersehen; wie kann man ein für alle Mal bestimmen, daß dieselben zur „Schuldentilgung verwendet werden sollen? Der Finanz-Minister verwies auf eine dunkle Zukunft, wie die Staatseisenbahnen entwerthet werden könnten durch die neuere Technik, er ‘deutete ferner auf die Lage in Frankreih nah 50 Jahren. Aber wer bürgt dafür, daß die ersparten Zinsen der Eisenbahnschulden im Interesse der Eisenbahnen verwendet werden? Durch die eleftrishen Eisenbahnen würden nicht die Bahnanlagen und die Ge- bäude werthlos, sondern höchstens ein Theil der Betriebsmittel. Auf eine folhe entfernte Möglichkeit hin sollte man do die Gelder nicht festlegen, sondern für ge enwärtige Kulturzwecke verwenden. Wen wirklich Frankieih seine Eisenbahnen kostenlos erwerben wird, glauben Sie, daß es die Tarife sofort herabseßen wird? Die Schulden und ! die Steuerlast sind in Frankrei) gewachsen, und man wird an deren

Vermiv»derung denken, nicht an eine Herabseßung der Tarife, welche alle Produktions- und Sonfantion eaen verwirren würde.

Mit solchen Schreckgespenstern sollte man folche Vorlagen nicht begründen. Wenn emals der Zeitpunkt kommen sollte, dann würde man über folhe Eisenbahnanshauungen ebenso lächeln, wie über die Anschauungen vor 50 Jahren. Wenn etwas geändert werden soll an den IMIS Einrichtungen, so ift nichts nothwendiger als die Herstellung des Steuer- und Einnahmebewilligungsrehts dieses Dau es. 1869 hielt ih dem Finanz-Minister Camphausen seine

ede von 1849 für das Steuecrbewilligungöreht entgegen. Die Konservativen widersprahen, und der damalige Abg. Miquel stellte sih energisch auf meine Seite, indem er dem Finanz-Minister Camp- hausen zurief: Alte Liebe rostet nicht. Aber ih fürchte, bei dem Finanz-Minifter ist diese Liebe hon so verrostet, daß sie niht mehr zur Erscheinung gebraht werden kann. Wenn wir einen liberalen Finanz-Minister hätten, würde eine solhe Vorlage überhaupt gar nicht eingebraht werden können.

Finanz-Minister Dr. Miquel:

Ich melde mih {hon jeßt zum Worte, obwohl ich vielleicht in der Debatte noch Gelegenheit habe zu Worte zu kommen, um ge- wissermaßen cine persönliche Bemerkung namentlich in Bezug auf die leßten Ausführungen des Herrn Abgeordneten Richter zu mahen. Er ruft mir zu: „Alte Liebe rostet niht*. Das war gar nit nöthig, denn ih habè bei den verschiedensten Gelegenheiten als Finanz- Minister hier den Saß vertreten, daß die Quotisierung (bis auf eine gewisse Grenze) der Steuer nah meiner Meinung eine große Wohl- that ist. (Zuruf des Abg. Riert.)

Ich habe aber zweitens hinzugefügt, Herr Abg. Nickert, daß heute diese ganze Frage fo gut wie gar keine Bedeutung hat, nachdem wir diese kolossale Betriebsverwaltung haben, wo ein Steuerzuschlag von 10 0/6 beispielsweise absolut niht in Betracht kommt gegen Schwan- kungen bis 100 Millionen; das if noch weniger irgendwie von Be- deutung gegenwärtig, solange wir nit gesichert sind, daß das Reih das eine Mal eine sehr bedeutende Matrikular- umlage fordert und das andere Mal sehr erhebliße Summen abgiebt. Die Bedeutung der Quotisierung der Steuer, der beschränkten Steuerbewilligung, hat infolge dieser Verhältnisse zum Reich und in- folge dieser kolossalen Betriebéverwaltung ganz erheblih gegen früher abgenommen, und wir würden kaum etwas davon merken, wenn wir einen solchen Verfassungsparagraphen hätten. Ih habe vor kurzem noch ich glaube, es war im vorigen Winter hier ausgesprochen, daß tas eigentlihe Ziel für einen Finanz- Minifter sein müsse, dahin zu kommen, daß ftarke Anforderungen zur Vermehrung der Ausgaben s\ofort ihren Kontra- punkt in der Erhöhung der Steuern findet, daß die einzige Methode, zu einer wirklih sparsamen Verwaltung zu kommen, diese sei. Aber so lange wir dieses ungeregelte Wesen, was ih vorhin charafkterisierte, haben, würden wir troß eines solhen Verfassungsparagraphen nur durch eine planmäßige, in die Zukunft schende Finanzverwaltung allmählich die Vorausseßungen eines solhen Zustandes schaffen.

Der Abg. Nichter hat sich auf eine Rede von mir aus dem Jahre 1869 bezogen. Ich habe damals, wie es die Abgeordneten zu thun pflegen, wesentlich nur das Steigen der Einnahmen ins Auge gefaßt. Jett aber, und {hon später als Abgeordneter, is mir klar geworden, daß mindestens in den konstitutionellen modernen Staaten der heutigen Zeit die Ausgaben, die ih damals gänzli ignorierte, in ftärkerer Weise wachsen als die regelmäßigen Einnahmen. Das haben alle Länder bewiesen ; infolge defsen is der Schuldenstand aller Kulturländer fo kolossal gewachsen, infolge dessen is es allerdings richtig, jede Schranke zu suchen, um den Staat gegen ungemessene Anforderungen auf Steigerung der Ausgaben zu {üßen. Heute würde ih die Nede von 1869 mit meinen heutigen Erfahrungen au in der Kommunalverwaltung da haben Sie genau dieselben Erfahrungen nit halten. Wenn Sie si unsere großen Kom- munen vorstellen wir wollen fagen Berlin, Königsberg, Frankfurt und Sie hâtten keine Zwangs-Schuldentilgung, und Sie ließen \sich von den Theorien des Herrn Abg. Richter leiten und sagten: wir tilgen bloß, wenn wir Uebershüsse haben nah meinen Erfahrungen in der Kommunalverwaltung würde die Neigung, dort die Zukunft zu belasten, alle möglihen s{önen Einrichtungen der Gegenwart zu widmen und zu spenden, aber die Ausgaben auf die zukünftige Ge- neration zu schieben, so stark sein daß unsere Kommunen leicht Florenz werden fönnten. (Sehr rihtig! rechts. Zuruf.) Ja wohl, das ist meine Ueberzeugung, Herr von Eynern, ih habe doch in der Kommunalverwaltung auch einige Erfahrungen, und bis auf eine gewifse Grenze ist dasselbe Prinzip auch anwendbar im Staatsleben bei allem Respekt vor der höheren Weisheit der Faktoren, die den Staat regieren.

Nun sagt der Herr Abg. Richter: wir haben ja gar kin Defizit gehabt, selb in den vier Jahren haben wir fast ebenso viel Schulden

getilgt, wie wir hätten Anleihen mahen müssen, um das Defizit zu deckden. Ja, meine Herren, hier ist gerade der kardinale Unterschied zwischen mir und dem Herrn Abg. Richter. Ich sage, der Staat hat in jedem Jahre seine ihm obliegenden Ausgaben erst dann erfüllt, wenn er au eine mäßige Schuldentilgung vorher vorgenommen hat, während der Herr Abg. Richter immer von dem entgegen- geseßten Prinzip, die Frage in die Antwort s\chiebend, ausgeht, indem er sagt: wir haken ja Schulden getilgt, folglich haben wir lein Defizit gehabt. Ich aatworte: die Schuldentilgung gehörte zu den ‘ordentlihen Ausgaben, die im Etat stehen müssen. Jst der Etat mit einer folchen ordentlichen Ausgabe nit versehen, {ließt er {Gon deshalb mit einem Defizit ab. (Sehr richtig! rechts.) Das is der Kardinaluntershied. Jch glaube, wenn das Haus sich so vor die Frage ftellt, so kann es leicht entscheiden. Jeder muß das aus seinen eigenen politishen und parlamentarischen Lebenserfahrungen herleiten.

Nun, meine Herren, denke ih ja gar nit daran, eine Schulden- tilgung obligatorisch zu machen, die nah unseren gesammten Verhält- nissen in der Lage wäre, uns zu einer Steuererhöhung zu drängen. Ich will ja nur F °/6 obligatorisch mahen. Wir haben thatsächlidh sogar mehr Schulden getilgt.

(Schluß in der Zweiten Beilage.)

Zweite Beilage

zum Deutschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger

A 281,

(Schluß aus der Ersten Beilage.)

Der Herr Abg. Richter sagt: kommt nun einmal ein Fahr, wo das Geld niht da ist, um die obligatorische Schuldentilgung mit §9 zu bewirken, tann wird man gleih zu ciner Steuererhöhung schreiten. Sind wir denn zu einer Steuererhöhung geschritten in den leßten vier Defizitjahren? Das wird do in Preußen gar niht mehr Play greifen können, weil wir ganz andere Deckungsmittel haben, weil wir ganz genau wissen, daß die Fehlbeträge vorübergehender Natur find, weil wir ganz genau wissen, daß die Eisenbahn in den nächstfolgenden Jahren vielleiht mehr als genug das wieder einholen kann, was im Jahre vorher vielleiht gefehlt hat; deswegen machen wir eine Anieihe in den ungünstigen Jahren, dürfen das auch thun nach foliden Finanzgrundsäßen und greifen nicht zur Steuererhöhung. Das ift gerade ter Grund, warum ich sage: die ganze Bedeutung der Quotisierung ist unter den gegenwärtigen Zuständen mehr oder weniger illuforisch. :

Meine Herren, ein Wort des Herrn Abg. Richter hat mih ge- freut. Er sagte: ja, die Majorität hat bis jeßt alles gethan, was der Finanz-Minister wollte; aber was gebe ih auf Majorität? Für“ mich ist die Autorität von größerer Bedeutung! (Sehr gui! und Heiterkeit rechts. Wider- spruch links.) Ja, meine Herren, wenn ih recht verstanden habe, hat das Herr Abg. Richter wörtlich gesagt. (Abg. Nichter: Autorität der Thatsachen nah den bisherigen Erfahrungen!) Ja, dann habe ih es mißverstanden. Gut. Aber die Majorität, das wird er zugeben, hat thatsählih die Entscheidung, mag sie Autorität ver- dienen oder niht verdienen. Und, wenn ih mi an diese Majorität anshließe, wenn ih das Prinzip festlegen will, welhes diese Majorität 4 Jahre hindurh festgehalten hat, so wird er zugeben, daß ih den Anschauungen der Majorität in dieser Beziehung näher \tehe als er. (Abg. Richter: Gewiß!) Er wird ferner zugeben, daß der Bericht der Budgetkommission, der ausdrück- lich cine solde obligatorische Tilgung verlangt, mir näher ftebt als ihm. Er wird es also ganz natürli finden, baß ich in Erwägung dieser hier kund gegebenen Anschauung der Majorität dieses Hauses den Versuch mache, den Wünschen des Hauses entsprehend eine folhe mäßige obligatorishe Schuldentilgung wiederherzuftellen.

Man hat sowohl in ter Literatur als in der Presse mir gegen- über die Auktorität des früheren Finanz-Ministers Camphausen hervor- gehoben. Jch habe Ihnen aber heute bewiesen, und das geht auch aus unseren Akten hervor, daß dieser Finanzmann nie daran gedacht hat, sih prinzipiell auf den Standpunkt des Herrn Abg. Richter zu stellen, nämlih überhaupt keine feft geregelte Schuldentilgung zuzu- lassen, sondern nur nach Maßgabe der Ueberschüsse zu tilgen. Ich habe Ihnen nachgewiesen, daß diejenigen Länder, welche allmählich auf das System des Abg. Richter gekommen waren, doch schließlich zur obligatorishen S(uldentilgung wieder zurückgegangen sind. Namentlich is das, worauf ih steben bleibe, in England der Fall und ebenso in Frankreih. Also

mit dieser bloß eventuellen Schuldentilgung, wie der Herr Abg. |

Virchow damals sagte, hat man dauernd keine guten Erfahrungen ge- macht, und jedenfalls ist das vollkommen sicher, daß es erwünscht ist, die Zeiten des Uebershusses niht so anshwellen zu lassen, daß dadur der Druck auf die Vermehrung der Ausgaben noch mehr wächst als heute.

Meine Herren, das führt mich auf den leßten Punkt, auf den ih dem Herrn Abg. Richter erwidern will. Er tellt alles auf die jähr- liche freie Bewilligung des Landtages; gleichzeitig stellt er dann au natürlih alles auf die Anschauung des jeweiligen Finanz-Ministers. Denn, meine Herren, wenn Sie hier Geseßze machen, so ist nicht bloß der Landtag gebunden an diese Geseße, sondern auch die Regierung, und sie kann das Geseß nur ändern unter Zuflimmung der drei Faktoren. Der Finanz Minister bindet sich ebenso gut durch dieses Geseg. Es kann auch mal ein Finanz-Minister kommen, der in dieser Beziehung eine andere Anschauung hat wie ih, und der es für ein Uebel hält, daß ein solches Geseh ihn in seiner freien Bewegung bindet.

Nun fagt Herr Richter, das Idealfte wäre, daß man, wie im Neich, die Ueberschüsse aus den Vorjahren in den kommenden Etat einstellt. Ich will die Frage niht erörtern, ob das für das Reich nah seiner Verfassung, nach sciner Verweisung auf die Hilfe der Einzel- staaten, bei der Unselbständigkeit der Reihs-Fixanzverwcltung richtig wäre oder niht. Jch bitte aber das hohe Haus, sich nun einmal vorzustellen, was daraus würde, wenn wir die 60 Millionen *-Nehrüberschüsse, die wir in dem abgeschlossenen Etatsjahre erzielt haben, noch obeudrein in diesen {hon so günstigen Etat hineinstellen wollten! Das würde doch eine Vermehrung der Ausgaben hervorrufen, die wir nachher auf das shwerste bedauern würden. (Zuruf.) Ja, meine Herren, wenn wir fie bloß zur Schuldentilgung verwenden, dann würde dasfelbe eintreten, was heute eintritt; also dann würde mit dieser gloriosen Methode nihts gewonnen werden. Aber wenn man sie in den Etat einstellt, so wird man sagen, wie uns der Herr Abg. Nichter eben gesagt hat : warum die ganzen Uebershüsse zur Schuldentilgung ver- wenden? Wir können ja uns mit einem Theil begnügen; denn wir haben fo viel mehr Einnahmen in dem Etat, wenn wix etnen Theil zur Schuldentilgung nicht verwenden, und dann wird das Drängen auf sonstige neue Ausgabensteigerung erst recht in voller Blüthe tehen. Diese Art von Finanzpolitik führt zu einer permanenten, ununter- brohenen Steigerung der Ausyaben ohne die sihere Grundlage fester Ginnahmen.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Jch bin anderer Meinung als Herr Richter; denn unsere politishen A«ffassungen, namentlih die vom Budgetrecht, sind verschieden. Herr Nichter will dieses R:cht ausnußen, um polit'sche Wirkun,en zu erzielen, je nach- dem ihm die Heren auf der Minister:albauk gefallen oder nicht. Meine Freunde haben eine diametral andere Auffassung gehabt. Das Budgetrecht soll nur finanzieller Natur fein. Meine politischen

teunde haven, auch wenn ihnen die Mitglieder der Regterung nicht gefielen, das Bubgetreht niht gegen sie auêsgenugtt. ift eg ganz

Danach : selbftredend, daß die Beurtheilung der Frage bei uns |

Berlin, Donnerstag, den 26. November

eine total verschiedene sein muß. Die Vorlage soll eine Fesselung des Landtages fein, das ist rihtig, aber eine solche, die der Landtag sih selber anlegt, indem er eine nüßlihe Prarx:s, die ch heraus- gebildet hat , gescßlich fixiert. Ein Automat i} \chließlich jedes Gesetz, welches eine Regel festlegt, statt die Entscheidung im etnzelnen Falie zuzulassen. Warum sollen wir die Praxis, die sich bezüglich der Tilgung herausgebildet hat, niht iv das Geseß übernehmen? Der Reichstag hat ih freilich niht die leisesten Schranken geseßt. Er hat den Vorschlag zurückgewiesen, daß die Einzelstaaten eine Garantie haben follten für ihre Matrikularbeiträge. Sie haben den Vorschlag zurückgewiesen, daß an die Einzelstaaten ein Mindestbeitrag über- wiesen werden muß, Ja, Sie haben sogar gedaht: Es ist \o \chôn, Schulden zu tilgen, und haben Schulden getilgt, ohne an die Lage des einzelnen Staates zu denken. Man hätte im Reiche durch die eigenen Mittel sich in die Lage seßen sollen, die Mehraus- gaben zu tragen. Das hätte uns die Grundlage gegeben, auch in Preußen eine geregeltere Finanzwirthschaft einzuführen. Herr Nidt.r hat von den übertriebenen Marineforderungen gesprochen. Ich finde fie auch übertrieben; aber wenn eine sclche finanzielle Regelung bestände, wie der Finanz-Minister sie vorgeschlagen, dann wäre die Stellung des Staatssekretärs des Neichs\haßzam18 eine andere gewesen. Dann hätte sie gezeigt, daß der Etat nicht richtig abschließt. Den we}entl:chen Kern der Sache sehe ih in einem psychologischen Effekt. Aber das wollen Sie (links) nicht, weil unsere Grundanschauungen fo verschieden sind. Man muß einen Damm dagegen errichten, daß man nicht auf einmalige erhöhte Einnahmen dauernde Ausgaben basier. Da wir früher darauf hineingefallen sind, wollen wir es jeßt nicht mehr thun. Jedermann sagt jeßt: Die Finanzlage is eine so ausgezeichnete, daß man diese und jene Forderung bewilligen kann. Aber man verlangt nicht ein- malige, sondern dauernde Ausgaben. Das richtige Finanzbild wird dadurch geschaffen, daß wir den Ausgleichsfonds bilden. Das Gesetz bietet ein Mittel, stets ein rihtiges Bild der Finanzlage zu erhalten, und eine Kodifikation dec in längerer Zeit herausgebildeten Praris, zu der wir uns bisher freiwillig verstanden haben. Wir haben in Uebereinstimmung mit der Finanzverwaltung getilgt auch in Jahren des Defizits, weil die Schuldentilgung zu den ordentlichen regel- mäßigen Ausgaben des Staats gchört, weil sonst der Etat nicht rihtig aufgestellt ist. Wir wollen das Bestreben nah Schulden- tilgung geseßlih sichern und {hüßen. Der Gedanke, daß man jedes Jahr für sich selbst sorgen lassen müsse, ist nicht rihtig. Die Finanz- politik muß eine vorausshauende sein. Jch halte die Vorlage für cine gute und nüßlihe; wir werden sie unterstüßen. Wir erstreben niht, dur das Budgetreht einen politischen Druck zu üben, wir wollen unfer Finanzrecht ausüben im Interesse der Finanzen. Die lange Erfahrung lehrt: Parlamente sind nicht geeignet, die Spar- samkeit aufrecht zu erhalten. Je länger ih in den Dingen mich be- wege, desto mehr sehe ich das ein. Man tappt dabei immer im Dunkeln, wo es sich um Bauten, Gehälter u. \. w. handelt. Wir können einer entshlofsenen Regierung niht gegenübertreten, sondern höchstens unsahgemäß und blindlings \treihen. Dem Vorschlag des Herrn Nichter, daß wir einen Eisenbahn. Automaten uns konstruieren, um eine Tarifreform herbeiführen zu fônnen, kann ih mich nit an- {chließen. Würden die Beziehungen zwishen dem Reih und den Einzelstaaten reguliert, dann könnten wir einen folhen Versuh machen. Aber ih mache darauf aufmerksam, daß man bei der Eisenbahn- tarif-Reform vorsichtig sein muß. Eine Herabsetzung der Tarife könnte unwirth\haftlich und verwirrend wirken. Wir werden die Vorlage der Negierung wohlwollend prüfen.

Abg. Dr. Bachem (Zentr.): Dem Finanz-Minister kann ih den Vorwurf der Bescheidenheit nicht machen, aber der Vorredner ist allerdings sehr bescheiden, namentlich in Bezug auf die Aufgabe und Rechte der Parlamente. Weder der Bundesrath, noch die einzel- staatlichen Finanz-Minister, noch sonst irgend eine Stelle bietet die Garantie für die Sparsamkeit, nur der Reichstag hat einigen Erfolg erzielt, und ih boffe, auch in diesem Jahre wind der Reichstag das, was der preußishe Finanz-Minister nicht erreicht hat, erreihen. Der preußische Finanz-Minister is außerdem Bundesrathsmitglied und hat als solches über die Neichéfinanzen mitzuwachen. Er steht dabei mehr auf seiten der preußischen Finanzen. Aber daß er in Bezug auf die Marineausgaben diesen Standpunkt aufgegeben hat, konnte man nicht erwarten. Eine folhe Rede von dem preußishen Finanz-Minister möchte ih einmal im Neichêtage hören. Denn das Deutsche Reich ist weitaus das ärmste Staatswesen in ganz Deutschland. Jede Schuldenvermehrung in Preußen is eine Vergrößerung des \{chon großen Vermögens, im Reiche haben die Schulden niht die Bedeutung werbenden Kapitals. Bei den Verhandlungen über den Marine-Etat erwarten wir Herrn Miquel’'s Auseinanderseßung, daß Schuldenvermehren etwas Horrendes ist, daß die Schuldentilgung bewirkt werden muß. Als wir im Reichstage eine Schuldentilgung beginnen wollten, haben wir von dem preußischen Finanz- Minister nichts gehört; er soll darüber sogar sehr unwirsch gewesen sein, jedenfalls hat er den Reichstag in seinem Bestreben nicht unterstüßt. So sym- pathisch mir die Schuldentilgung i}, so unsympathisch is mir die obligatorishe Tilgung. Der Vaabiag hat doch keine Dauwschrauben nothwendig, um ihn zur Schuldentilgung und Sparsamkeit zu bringen. Jeder Versuch, verschwenderisch zu werden, würde eine Erhöhung der Steuern zur Folge haben. Die sparsame Mehrheit des Reichstages hat noch erheblihe Erfolge erzielt und wird auch in diesem Jahre folhe Erfolge erzielen, sodaß das deutshe Volk erkennen wird, daß der Hort der Sparsamkeit lediglich im Reichstage und nicht im Bundes- rath oder anderen Instanzen liegt. Die obligatorishe Schulden- tilgung hat zur Konsequenz, daß man bei fehlenden Einnahmen die Steuecn erhöht; denn die Aufnahme von Anleihen bei der Schulden- tilgung wäre ein Scheinmanöver. Von der Entwerthung der Eisen- Dalinel die erst eintreten würde, wenn wir eine Luftpost hätten, brauhen wir uns niht shrecken zu lassen, ebensowenig wie durh das, was in Frankreih in 50 Jahren geschehen wird. Wenn es so weiter wirthschaftet, wird es in 50 Jahren total bankerott. Wir sind immer bereit gewesen, die Ueberschüsse zur Squldentilgung zu verwenden; aber es ist nicht nöthig, uns eine Zwangsroute vorzuschreiben. Gin Ausgleihsfonds ift aus den Reihen meiner Freunde {on befürwortet worden. Aber an einen Ausgleichs- fonds, wie die Vorlage ihn enthält, hat niemand gedaht. Wenn der Minister die jeyt übershüssigen 60 Millionen zurücklegen wollte für \chle{chtere Jahre, wo die Föcdeciinigün des Neichs anwachsen, so würden wir damit einverstanden sein, aber niht mit einem solchen mechanischen Auskunftsmittel, das ein Kloy am Bein sein würde. Der Ausgleichsfonds foll von dem Finanz-Minister verwaltet werden, das ist eine sehr geringe Garantie dafür, daß er niht etwa zu anderen Zwecken verwendet wird. Die Verwaltung müßte in die Hände der Staatsschuldenyerwaltung gelegt werden. Wie der Privatmann und die Aktiengesellschaften sih Reservefonds anlegen, so ist cin solcher Reservefonds auch nöthiy für die Eisenbahnverwaltung. Aber der Reli wird niemals dotiert auf Kosten der Betriebsmittel, der Reservefonds würde angeführt werden auf Kosten der Ausgaben, welche dringender nothwendig sind. Daher nur keine Ueberstürzung bei diesem Gese! Ich hâtite die Vetweisung der Vorlage an eine be-

sondere Kommission gewünscht; da aber von anderer Seite die Budyet- kommission vorgeshlagen wird, so will ih die Entscheidung dem Hause

überlassen. f Abg. Dr. Sattler (nl.): Jch balte die Ausführung des Vor-

cedners über Frankreihs Bankerott für durchaus unbegründet. So umstürzlerisch die Franzosen auch sind in politisher Beziehung, in

1896.

Bezug auf den Geldbeutel sind sie sehr konservativ, auch wo der Staat in Betracht kommt. Allerdings hat das Reih noch mehr Vers anlassung, Schulden zu tilgen, als Preußen. Aber das Reich sollte die Mittel dazu aus seinen eigenen Steuern nehmen und nicht aus den Mitteln der einzelnen Staaten, welche ges{üßt werden sollten durh die Festiegung der Ueberweisung und Matrikularbeiträge, dann würde der Reichstag noch sparsamer wirthschaften, und er würde dabet die Unterstüßung meiner Freunde finden. Wie soll der Ausgleichs- fonds ein Kloy am Beine der Finanzverwaltung sein? Wenn keine ÜUebershüsse vorhanden sind, können fie nicht in Fonds überwiesen werden. Jch lege großes Gewicht auf das Budgetreht; aber wichtiger ist es, für die pflegsame Behandlung der Einnahmen des Staats zu“ sorgen, damit der Staat scine Kulturaufgaben besser erfüllen kann, als möglichst viele Punkte zur Bethätigung des Einflusses der Landes« vertretung zu haben. Bei allen Kommunen besteht eine Zwangs- Schuldentilgung, dadur werden alle Bestrebungen, das gute Herz mehr walten zu lassen, abgeschnitten. Die psyhologishe Wirkung einer obli- gatorishen Tilgung ist mehr werth, als die Anrehnung auf Anleihen. Unsere Staatsschulden sind zumeist Eisenbahnschulden, und sie müssen abgeschrieben werden, damit wir auf alle Eventualitäten gerüstet sind. Denn bei Einführung des elektrishen Betriebes würden die 500 Millionen, die in den Lokomotiven stecken, werthlos geworden sein. Der Außsgleihsfonds is ein Kampfmittel der E:senbahnver- waltung gegenüber dem Finanz-Minister, namentli bei der Tarif- reform. Es würde nur die Frage aufzuwerfen sein, ob der Fonds mit 80 Millionen hoch genug gegriffen ist. Jh vermisse allerdings die Erfüllung der zweiten Forderung des Abgeordnetenhauses, nämli die Aenderung des CEisenbahn-Garantiegeseßes. Die Schwankungen des Verhältnisses zum Reiche zu beseitigen, wird uns nur mit Hilfe des Zentrums des Reichztages gelingen. Aber ih finde darin keinen Grund, die andere Quelle der Schwankungen, die in den Eisenbahnen liegt, zu verstopfen. Durch die Ausbeutung der Eisenbaßnübershüsse für die allgemeinen Staatszwecke is ein Hinderniß entstanden für die Aus- bildung eines Eisenbahntarifs, die Staatsbahnen sollten keine Finanzquelle für den Staat bilden. Wir brauchen zur Ausgestaltung unserer Verhältnisse noch größere Geldmittel, und wenn die Eisenbahrübershüsse sih steigern, so is weder das Abgeordneten- haus noch der Finanz-Minister stark genug, eine Verwendung der- selben für die Allgemeinheit zu verhindern. Jch hoffe, daß es uns gelingt, in der Budgetkommission das Eisenbahn-Garantiegeseß von 1882 in unserem Sinne zu verbessern. Denn mit der Ausbeutung der Eisenbahnen ledigli in fiskalishem Interesse kann niht mehr fortgefahren werden. Die Thatsache, daß wir bis auf eine erheb- liche Höhe dauernde Ausgaben auf die Eisenbahnübershüsse ‘basiert haben, ist nicht rückgängig zu machen. Es würde vielleiht vdn 5 zu 5 Jahren eine geseßlihe Festlegung erfolgen müssen, bis zu welhem Höchstbetrage die Eisenbahnen für den Staat verwendet werden sollen. Dadurch erhält die Eisenbahn eine Freiheit von fiskalishen Nückfsihten. Das Interesse der Landwirthschaft an der allgemeinen Produktion fordert eine Herabseßung der Tarife für landwirthscbaftlihe und industrielle Produkte. Die Staatsbahnen sollen in den Dienst der Verkehrspolitik gestellt werden zur Förde- rung der wirthschaftlihen Entwicklung. Diese Frage muß in den Vordergrund gestellt werden. Unsere Opposition hat sich weniger gegen die Vorlage zu richten als dagegen, daß sie zu bescheiden ift, dal sie nur finanzielle Gesichtspunkte ins Auge faßt und nicht die allgemeinen öfonomischen Fragen.

Abg. Gothein (fr. Vgg.): Ich halte ebenfalls den Zwang für überflüssig, da doch die Uebung der Vorlage vollständig entspricht. Wozu das geringe Selbstvertrauen? Oder trauen Sie Ihren Nach- folgern nicht so ganz, daß Sie sie binden wollen? Eine große praktishe Bedeutung hat die geseßlihe Festlegung einer Schulden- tilgung von # 9/0 niht; deshalb kann ich mich weder zu einer großen Bekämpfung noh zu einer großen Besürwortung aufshwingen. Das Wesentlichste hat der Abg. Richter bereits gesagt. Der Finanz- Minister hat Unreht, wenn er sagt, daß die Ausgaben stärker wachsen als die Einnahmen; in Preußen is es umgekehrt. Die Mehrausgaben für die Aufbesserung der Beamtenbesoldung werden ja durh die Minderausgaben für die Zinsen gedeckt. Auch die Kom- munen erfüllen ihre geseßliche Tilgungspflicht und fuchen ihr werbendes Vermögen aus dem laufenden Ueberschufse zu vermehren. Auch die Aktiengesellshaften schreiben reihliher ab, als sie eigentli nöthig hätten. Wenn die Eisenbahnen 1950 kostenlos an Frantreis fallen, so steht dem eine Schuldenlast von 33 Milliarden Mark gegenüber, die bis dahin noch anwahsen wird, während wir nur 64 Milliarden Schulden haben. Frankreich wird auch nicht sofort seine Tarife herabseßen, denn das würde zur größten Verwirrung führen. Wir müssen in anderer Weise zu helfen suhen, um die Eisenbahn zu befreien von den fiékalishen Interessen. Es wurde vom Landes-Cisenbahnrath eine Reform der Tarife für rohe Stoffe beschlossen. Der Einnahmeausfall wurde auf elf Millionen veranschlagt. Als es der Industrie gut ging, ließ man die Kohlentarife auf der alten

öhe, und als es derIndustrie hlechter ging, waren die Finanzen des Staats so \{lecht, daß man die Tarife niht ermäßigen konnte. Diese Zwikmühle muß beseitigt werden. Hoffentlich stößt der Antrag wegen Ermäßigung des Tarifs für rohe Stoffe, den ih wieder ein- bringen werde, nur noch ofene Thüren ein. Einen Reserve- oder Betriebsfonds erreihen wir nicht durch den Ausgleichsfonds, der gs ja niht auf die Betriebsverwaltung allein bezieht. Gin Ausgleichs- fonds für die Betriebéverwaltungen wäre viel wichtiger als der vorgeschlagene Fonds. Der Majorität des Neichstages können wir nur dankbar sein, daß sie die Tabacksteuererhöhung abgelehnt und dadur die Tabalkindustrie gerettet hat. Wir follen uns niht die Möglichkeit abshneiden, die Uebershüsse anderweitig zu verwenden als zur Schuldentilgung. Das Beste wird also sein, das Gese so zu ge- stalten, daß es möglichst s{chnell wieder aufgehoben werden fann. Fh habe nicht die Furcht, daß irgend eine Partei auf die Uebershüsse dauernde Ausgaben basieren wird. Es ist mir zweifelhaft, ob es in der Kommission gelingen wird, die Vorlage so zu verbessern, daß wir ihr zuftimmen können.

Gegen 4 Uhr wird die weitere Berathung bis Donnerstag 11 Uhr vertagt. Außerdem kommt das Lehrerbesoldungszgeseß

zur ersten Berathung.

Parlamentarische Nachrichten.

Dem Reichstage ist der nachstehende, am 4. Februar d. J. in Managua unterzeihnete Freundschafts-, Handels, Schiffahrts- und Konsularvertrag zwishen dem Reich und Nicaragua. zugegangen :

Seine Majestät der Deutsche Kaiser, König von Preußen u. s. w., im Namen des Deutschen Reichs einerseits, und die Republik Nica- ragua andererseits, von dem Wunsche geleitet, Ihre Beziehunzen und Interessen geg-7nseitig zu fördern und zu befestigen, haben beschlossen, einen Freundschasts-, Handels-, Schiffahrts- und Konsularvertrag

abzuschließen. Zu diesem Ende haben Sie zu Ihren Bevollmächtigten ernannt,

nämlich:

Seine Majestät der Deutshe Kafser, König von. Preußen u. |. w.: