1897 / 26 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 30 Jan 1897 18:00:01 GMT) scan diff

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Jollen. Wenn die Poftverwaltung das Telephonwesen nionopolisiert, dann müfte sie sich auch der t bewußt werden, ür di Bedürfnisse des Publikums E s R E E

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der Herr Abg. Dr. Förfter hat in seinen Ausführungen zum Gekalt des Herrn Staatssekretärs des Reichs- Postamts behauptet, daß die Einführung des Diensftaltersstufensystems dem Reichéfiskus Millionen erspart habe. Ih möhhte diese irrthüm- lihe Annahme nicht unwidersprochen lassen. Ih werde Gelegenheit haben, auf diese Behauptung zahlenmäßig näher einzugehen bei den Erörterungen in der Budgetkommission über den Inhalt der Denk- schrift, betreffend die Verbesserung der Beamtenbesoldungen. Ich [lege aber Werth darauf, hier {on bei Gelegenheit des Reichs-Post- Etats festzustellen, wie die Verhältnisse im Jahre 1895/96, das heißt innerhalb des legten Rehnungsjahres, für das Gebiet der Reichs- Postverwaltung sich thatsächlih geftellt haben. Das ift ja unbestritten, daß nach dem alten System die Reichs-Postverwaltung sich in einer beson- ders günstigen Lage befand; denn nah dem alten System der Stellenzulagen wurden die neu hinzutretenden Gehälter nah dem Durhschnittssaß eingestelli, während die neu eintretenden Beamten felbstverständlih nur das Minimalgehalt bekamen. Der Refsorthef der Reichs-Post- verwaltung hatte deshalb Gelegenheit, rei&lihe Zulagen den älteren Beamten zu gewähren. Mit Zustimmung des Reichstages, ja auf sein Drängen, ist indessen das Altersstufensystem eingeführt worden, welches jedem Beamten nur nah Ablauf eines bestimmten Zeitraumes bestimmte Gehaltszulagen zusichert. Wenn man aber selbft die Vor- theile in Anrechnung bringt, die aus den Ersparnissen der Stellen- zugänge erwusen, so hat doch Inhalts der Neichshaushalts-Uebersicht für 1895/96 und die Herren können ja alle diese Rehnung selbst nahprüfen die Reichs-Ponverwaltung unter dem System der Alteréstufen 162 955 A mehr Ausgaben gehabt, als sie bei den Stellen- zugängen nach dem früheren System gewonnen hätte. Die Be- hauptung des Herrn Abg. Dr. Förster ift also thatsählih unrichtig, insoweit sie sih auf die Postverwaltung bezieht, daß das Reich dur die Durchführung des Altersftufensystems Ersparnisse gegenüber dem früheren Zustande des Stellenzulagesystems gemaht habe. Einen näheren Nachweis für andere Refsorts führen, behalte ih mir, wie gesagt, für die Zukunft vor.

Abg. Dr. Pachnicke (fr. Vag.): Die Zensur der Telegramme bat die Verwaltung vergeblich zu vertheidigen gesucht. Der Tadel gegen die Beamten wird überhaupt immer fo milde ausgedrüdt, daß man nicht erwarten kann, daß die Beamten ihre Praxis ändern. Daß die Reformen niht durhgeführt werden, liegt daran, daß Herr von Stephan bei dem Reichs-Schaßsekretär niht durhgedrungen ift. Dennoch würde s{ließlich zur Durchführung der Reformen weniger Genie als ein tüchtiger Finanz-Minister gehören. Aber wenn die Ver- kehr8erleihterungen niht durhgeführt werden, dann nimmt der Telephonverkehr ab und damit auch die Einnahme aus demselben. Den Wünschen der Mehrheit des Reichstages bezüglich der Be- schränkung des Sonntags-Packetverkehrs möchte ih mich aber nicht anshließen. Ih er:pfehle die Abschaffung des Strafportos, behalte mir aber mein Urtheil über den Post-Zeitungstarif vor; das be- stehende Mißverhältniß zwischen den Leistungen der Post und dem Tarif muß beseitigt werden. Auf die geltenden Bestimmungen des Tarifs hat sich eine ganze Industrie aasgébaut, die man nicht ohne weiteres zerstören sollte. Wir müssen eingedenk bleiben, daß die Post- G U niht bloß eine Erwerbs-, sondern auch eine Verkehrs- anfta ;

Abg. Singer (Soz.): Die Sonntagsruhe muß den Postbeamten gewährt werden, auch wenn dadurch einzelne Interessen verleßt werden. Die Postverwaltung hat bestätigt, daß eine besondere Behandlung gewisser Fernsprechtheilnehmer statifindet, wenn au die Verwaltung darüber feine Anordnung getroffen hat. Die Postverwaltung. follte eine folhe Bevorzugung fofort aufheben, damit jede Ungleichheit be- seitint wird. Ueber die Mittheilung des preußishen Erlasses an die Aae bat sich die Postverwaltung ausgeshwiegen. Eine

eantwortung ist auch nicht mehr nöthig; ich habe inzwischen die Abschrift des Erlasses bekommen. Der Erlaß is als ein vertrau- licher bezeichnet und eigenhändig an die Ober-Postdirektoren gegangen mit der Anweisung, nicht durch allgemeine Verfügung, sondern mündlih den Beamten davon Kenntniß zu geben. Darin liegt das Anerkenntniß, daß die Sache möglichs|st unter Auss\{luß der Oeffentlichkeit geschehen foll. ls 1881 der ver- storbene Abg. Berger - Witten eine ähnliche Verfügung eines Ober- Postdirektors im Reichstage zur Sprache brachte, erklärte der Ge- heime Ober-Postrath Miesner, daß die Zentralrerwaltung keine Anweisung dazu gegeben habe. Seitdem hat die Postverwaltung ihren Beamten verboten, sih_an Petitionen und Versammlungen zu be- theiligen. Das ist das Fazit einer 16jährigen Verwaltung, wozu wir uns nicht beglückwünschen können. Von allem, was ih geslern vor- gebracht habe, ist nichts widerlegt worden.

Unter-Staatssekretär im Reichs-Postamt Dr. Fischer: Jch bin der Meinung, daß meine Anführungen eine vollkommene Widerlegung der Anschuldigungen des Vorredners waren, namentli bezüglich der finanziellen Plusmacherei der Postverwaltung. Die Zabl der im Neichs - Postdienst beschäftigten Personen wächst jährlich um 6000. Ein Widerspru zwishen meinen Erklärungen und denen meines Kollegen Scheffler über den Fernsprechdienst liegt nit vor. Eine Bevorzugung im Fernsprehdienst hat mein Kollege nicht zu- gegeben. Er hat nur mitgetheilt, daß die Theilnehmer, die Krakehl machen, bekannt und gekennzeihnet sind, nicht um sie zu bevorzugen, fondern um durh Zuziehung von Zeugen die Beamten vor Beleidigungen zu s{hüyen. Jh weiß mt, wie ih die Beamten davon abhalten soll, sih solche Persönlichkeiten zu merken und mit Vorsicht zu behandeln. Nur infolge eines groben Vertrauensmißbrauchs kann das Aktenstück, betreffend den Erläß der preußischen Regierung, in andere Hände gelangt sein als in die, für welhe es bestimmt war. Das eihs-Dostamt muß es des- halb ablehnen, öffentlih in eine Erörterung darüber einzutreten und ih muß es daher ablehnen, auf die Folgerungen einzugehen, die der Vorredner daraus gezogen hat.

Abg. Bek h (fr. Volksp.) bedauert, daß aus finanziellen Rück- sichten die Verkehrserleihterungen auf dem Gebiete der Post nicht vorwärts kämen; auf diesem Gebtete sei ein Stillstand dem Nück- gang gleih. Das Sparsystem des Fiskus zeige sich überall. Die ae E A auf 10 Tage gültig, seien in Preußen nicht eingeführt. / ; j

Um 51/5 Uhr wird die weitere Berathung auf Sonnabend 12 Uhr vertagt.

Preußischer Laudtag. Haus der Abgeordneten. 26. Sißgung vom 29. Januar 1897.

Auf der Tagesordnung steht zunächst folgende, von den Abgg. von Czarlinski (Pole) u. Gen. eingebrachte und von Mitgliedern des Zentrums und der freisinnigen Volkspartei unterstüßzte Jnterpellation:

In jüngster Zeit sind in- Westpreußen in Lippink 3. d. M.), in Kamin ias 3. d. M. os in A ay iy M)

in Lubiewo (am 10. d. M.), in Schwekatowo (am 17. d. M.) vorschriftsmäßig angemeldete Versammlungen aus dem Grunde auf-

R worden, weil die Redner in denfelben sich der polnischen

rache ten. d nf Unterzeichneten rihten an die Königliche Staatsregierung e age: 1) Sind der Königlichen Staatsregierung diese Vorfälle be- kannt, und bejahenden Falls, welche ritte hat dieselbe L R S folher Verlezungen verfassungsmäßiger e gethan

_ Andernfalls 2) ift die Königliche Staatsregierung bereit, Anordnungen zu reen, um der Wiederholung ähnliher Vorkommnisse vor- _ zubeugen ?

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:. Ich werde die Interpellation sofort beantworten.

Abg. von Czarlinski: Kaum ift die Interpellation wegen der Auflösung polnischer Der sautntztagen in Oberschlesien besprochen worden, so kommen die Fälle aus Westpreußen ein Beweis, daß wir es bier mit einem Prinzip, einer epidemishen Verfolgung der Polen zu thun haben. Wir haben die Pflicht, die Rechte des- Volkes, auch des polnishen Volkes, zu vertreten. Diese Rechte sind in augenfällig provokatorisher Weife verleßt worden. Das Einbringen dieser Interpellation zeigt, wie es mit unserer konstitutionellen Freiheit und der Auslegung der Geseyze steht. Redner geht nun auf die einzelnen Fälle und Beschwerden näher ein und führt dann weiter aus: Das Erkenntniß des Ober - Verwaltungsgerihts läßt über die Zulässigkeit fremdsprahliher Versammlungen keinen Zweifel. Das Vereins- und Versammlungérecht ist ein verfassungs- mäßig garantiertes Recht, es steht über dem Ueberwachungsrecht der Regierung. Will diese ihr Net ausüben, so muß sie auch dafür forgen, daß ihre Beamten die betreffende Sprache verstehen. Man hat in einzelnen Fällen absihtlih der poluishen Sprache un- kundige Gendarmen in die Versammlung geshickt, obwohl man sprah- kundige Personen zur Verfügung gehabt hat. Die Polen suchen ihre nationalen Interessen im Einklang mit den Interefsen des preußischen Staates zu fördern. Dazu dient auch das Vereins- und Wersamm- lungsrecht. Man verquicke bier nit Politik und Recht. Mit der sogenannten a eieden Agitation hat die Frage nihts zu thun. Wir habea die Verfassung beshworen, wir steben also auf tem Boden der Verfassung und des allgemeinen Rechts. So wollen wir be- handelt werden.

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Jh habe die Empfindung, daß angesichts der neulihen ausführlihen Erörterungen gelegentlich der Interpellation des Herrn Abg. Stephan die heutige Interpellation dem hohen Hause wohl hätte erspart bleiben können (sehr richtig! rechts, Widerspruch bei den Polen) und zwar um so mehr, als die große Mehrzahl der Vorgänge in die Zeit fällt vor der ersten Interpellation, und weil die verwaltungsgerihtlihe Entscheidung inzwishen noch nit ergangen ift. Diese Empfindung entbindet mich natürlih nit von der Beant- wortung, legt mir aber nahe, mich möglihst furz zu fassen, um die Geduld des hoben Haufes nit zu lange in Anspruch zu nehmen.

Die von dem Herrn Abg. von Cjzarlinski hier vorgebrachten Fälle, welhe außerhalb des Rahmens der Interpellation liegen, sind mir nicht bekannt, ih kann mi darüber niht äußern. Fühlt man sich über Vorgänge bei diesen beshwert, so möge man die Beschwerde einlegen und dieselbe auf dem instanzaäßigen Wege verfolgen. (Sehr rihtig! rets.)

Ueber die in der Interpellation genannten fünf Fälle habe ich Erkundigungen eingezogen, die leider wegen Kürze der Zeit noch nicht ganz erschöpfend ausgefallen find. Soweit ih die Sache hiernach be- urtheilen kann, ift es rihtig, daß in diesen fünf Fällen die Versamm- lungen aufgelöt sind, weil der überwahende Beamte, welcher des Polnischen nicht mächtig war, das geseßlihe Ueberwachungsrecht nit auszuüben vermochte. (Lachen bei den Polen.)

Ich will auf die einzelnen Versammlungen nicht mit der Aus- führlihkeit eingehen, wie der Herr Abg. von Czarlinski, ih will nur erwähnen, daß nah den vorliegenden amtlihen Berichten thatsächblich kein zur Ueberwahung geeigneter Beamter zur Verfügung stand. Diese Behauptung muß ih au den gegentheiligen Ausführungen des Herrn Abg. von Czarlinéki gegenüber auf das bestimmteste aufrecht erhalten. Es ift allerdings in einigen dieser OrtsŸhaften wobl eine Persönlichkeit vorhanden gewesen, die polnisch spra, dieselbe war aber und das gilt namentlich von dem seitens des Herrn Abg. von Czarlinski ge- nannten Schöffen AEermann nit in der Lage, eine Versammlung zu überwachen und den dort vorkommenden Verhandlungen zu folgen. In einer anderen Ortschaft war allerdings ein des Polnischen mächtiger Gemeinde-Vorsteher vorhanden, derselbe war aber aus dem Grunde nit geeignet, weil er felbst Mitglied des Vereins war (hört! hört! 1echts), dessen Versammlung dort ftattfinden sollte. Wenn hervorgehoben worden ift, daß in einer Versammlung ein Lehrer zugegen gemesen wäre, der polnisch verstanden bätte, so ist es rihtig, daß dieser Lehrer mitgenommen war, um dem Gendarmen Unter- stüßung zu leiften. So lange der Lhbrer folgen konnte, hat die Verhandlung stattgefunden; später aber ist es ihm niht mehr mögli gewesen, zu folgen, und dann ift die Versammlung aufgelöst worden. (Heiterkeit bei den Polen.)

Wie sehr man sich Mühe gegeben hat, geeignete Beamte zu be- kommen, bitte ich daraus zu entnehmen, daß z. B. in dem Fall Kamin ein ausdrücklihes Ersuchen an den Landrath ergangen ist, zur Ueberwahung der Versammlung eine geeignete Persönlichkeit zu schicken ; diese bat sich aber niht gefunden.

Meine Herren, ein Grund zur Ueberwahung der gedachten Ver- sammlungen war zweifellos vorhanden. Es handelte sich in allen fünf Fällen um Versammlungen polnish-katholischer Volksvereine, die, wie diejenigen Herren, welche den Verhältnifsen näher stehen, mir bezeugen werden, feit einigen Jahren und namentli seit der sogenannten Pelpliner Konferenz im Jahre 1894, wie Pilze aus der Erde geschofsen sind. Meine Herren, dieStatuten sind ja allerdings derartig gefaßt, daß jeder Nichtwissende glaubt, es gebe ‘keinen befseren und vorzüglihheren Verein. Wir sind aber nicht so harmlos (Heiterkeit rechts) in der Beurthei- lung dieser Vereine, weil uns sowohl von Behörden als auch von anderen Persönlichkeiten bestätigt wird, daß gerade diese Vereine in Verbindung mit anderen, hier nicht -interessierenden Vereinen die Hauptträger der Agitation augeublicklich dort sind. Es lag also thatsählih erhebliher Grund zur Ueberwahung der Vereine vor.

Die Muttersprahe scheint nah den mir vorliegenden Berichten in 4 dieser Ortschaften, in denen die Versammlungen aufgelöft worden sind, überwiegend polnish zu sein. In dem in dem über- wiegend deutschen Kreise Flatow liegenden Drte Kamin scheint das Gegentheil der Fall zu sein. Jch kann mich mit Bestimmtheit hierüber niht aussprechen, weil, wie ih shon betont babe, zu meinem Bedauern die Erhebungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind.

* Meine Herren, über die Grundsätze, welhe meiner Meinung nah

bei der Ueberwachung derartiger Versammlungen zu beobachten sind, habe ich mi gelegentlih der Interpellation Stephan {on aus-

fübrlih geäußert; ich will dieselben bier in wenigen Säßen rekapi- tulieren. Es liegt der Staatsregierung vollständig fern, der polnishen Bevölkerung in ihrem Versammlungsrecht und in ihrem Versammlungsbedürfniß zu nahe zu treten. Es handelt ih bier garniht um einen Angriff auf die Religion; meine Herren, religiôfe oder konfessionelle Fragen scheiden hier völlig aus; es handelt sih hier auch nit um die Sprachenfrage, sondern um rein polizeiliche Fragen. Jch habe s{chon neulich zum Ausdruck gebraht, daß der bJoße Gebrau der polnischen Sprahe an und für sich einen Grund zur Auflösung nicht geben soll. Es können sich aber Fällz ereignen, in denen der Gebrauch der polnishen Sprache, bezw. einer den über- wachenden Beamten niht verständlihen Sprache, Grund zur Aufs lôsung dann bietet, wenn dadurch das Ueberwachungéreht der Polizei illusorisch gemacht wird. (Sehr rihtig! rechts, Widerspruch. bei den Polen.) Bei dieser Behauptung glaube ih auch gegenüber den Ausführungen des Herrn von Czarlinski stehen bleiben zu sollen. Es is zu hoffen, daß das Ober - Verwaltungs- geriht dieser Auffassung beitreten wird. (Unruhe bei den Polen.) Sollte das aber. nit der Fall sein, so ist, wie ih neuliG son hervorgehoben habe, die Königliche Staatsregierung gesonnen, den Weg der Gesehgebung zu beschreiten (Bravo! rets), um #ich die- jenigen Befugnisse, welche ihr erforderli erscheinen, auf diesem Wege zu verschaffen. (Bravo! rets.)

Ich habe au bereits bemerkt, daß in denjenigen Gebietstheilen, in welchen größere Mengen der Bevölkerung der deutshen Sprache niht mächtig sind, der Regel nah Beamte vorhanden sein follen, welche die Sprache dieses größeren Theiles der Bevölkerung verstehen, und es find auch Anordnungen in diesem Sinne getroffen. Wendet man nun diese Grundsäße auf die hier vorliegenden 5 Fälle an, so glaube ich nit, daß man den Beamten vorwerfen kann, fie hâtten fehßlsam gehandelt. Ein Grund zur Uebex- wachung lag vor; die Beamten verftanden die Sprache nicht, und es wurde dem Wunsche, deuts zu sprechen, niht Folge geleiftet,

Ich habe vorhin erwähnt, daß ih mir noch kein vollständiges Bild über die Bevölkerungsverhältnisse in den betreffenden Kreisen und Gemeinden machen könne. Sollte fih herausstellen, daß that- sählich in der Mehrzahl der Gemeinden die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung polnisch spricht, so würde ja allerdings die Frage entstehen, ob niht dort des Polnischen kundige Beamte bätten vor- handen fein follen. Dieser Frage werde ih noh nahgehen und werde für den Fall, daß sih herausstellt, daß es in dieser Beziehung feblt, das Erforderliche veranlafsen. Ez ift ja auch hinsichtlich der einzelnen Fälle Beshwerde eingelegt worden, und es wird sih empfehlen, aud noch das Ergebniß dieser Beshwerde abzuwarten.

Meine Herren, diese Maßregeln verdanken niht kleinlihen und vexatorishen Absichten ihre Entstehung, sie sind hervorgegangen aus der Erkenntniß der wachsenden Gefahr, die dur die zunehmende Agitation in den betreffenden Provinzen für unser Vaterland sich ergiebt. (Sehr richtig! rechts.) Die Gefahr ist nah Ansicht der Königlien Staatsregierung derartig, daß sie glaubt, ihrer Pflicht zu fehlen, wenn sie niht von allen ihr zustehenden Mitteln Gebrauh macht. (Bravo! rechts.) Wir sind der Meinung, daß wir dort ständig auf Vorposten ftehen und wahsam fein müfsen. Ich hoffe, daß das hohe Haus uns bei Bekämpfung dieser Agitationen wirksam unterstüßen wird, (Bravo ! rets, Zischen bei den Polen.)

Abg. Noeren (Zentr.) bemerkt, daß man den Polen das Vereins- und Versammlungsreht und ihr Naturrecht, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten, niht verkümmern dürfe. Das Vorgehen der Behörden widersprehe dem Artikel 30 der Verfassung und dem Vereins- und Versammlungsreht. Wenn die Regierung sih auf ihr Ueberwachungs- ret zurückziehe, dann mache sie das ganze Vereins- und Versamm- lungs8reht der Polen illuforisch. Sie habe vielmehr die Pflicht, Fürsorge zu treffen, daß ihre Beamten der polnishen Sprache mächtig seien, um die Verfammlungen überwachen zu können. Welches Licht werfe diese Sprachenunkenntniß auf die preaßishe Verwaltung! Die Bekbörden müßten fich doch auch in anderen Fällen, z. B. in Kriminalfällen, mit der Bevölkerung verständigen. Seit 20 Jahren sei das Erkenntniß des Ober-Verwaltungëgerihts geltendes Recht. Wenn der Minister die Auflöfungen nur zu dem Zweck herbeigeführt habe, um eine erneute Rehtsprehung des Ober - Verwaltungsgerich!® zu extrahieren dazu hbâtte eine einzige Auflösung genügt —, so müsse das Erbitterung hervorrufen und die Frage nahelegen, ob man sich diese Verfassungsverleßung, die sich gar nicht gegen national- polnische Bestrebungen allein richte, sondern die Rechte aller Staats- bürger verleßze, noch länger gefallen lassen dürfe.

Abg. von Gerlich (fr. konf.): Es ist sehr fraglich, ob es einer Antwort des Ministers bedurft hâtte; diese fünf Fälle bieten nichts Neues; die Entscheidung des Ober-Verwaltun z8gerihts steht noh aus; die Sache s{chwebt alfo noch. Ih schâte die Polen persönlih boch ; es sind prächtige Leute. Aber man die Augen ofen halten. Das polnische Volk ift mit dem preußishen Scepter zufrieden. Der Adel, die Geistlichkeit und die Presse aber säen Unzufriedenheit unter diesem bieher zufriedenen Volke. Von der Kanzel herab hat ein Pfarrer in Schweß das Volk zum Halten polnischer Zeitungen aufge- fordert. Ein anderer polnischer Geistlicher hat seine Pfarrkinder ersucht, nur polnische Hebammen zuzuziehen. Es liegt System in der Sache von den 60er Jahren her. Beim Glase Wein hat man mir verrathen : wenn wir einmal fo weit sind, dann jagen wir die Anderen weg, aber Sie sind ein ordentlicher Kerl. Sie wollen wir als Verwaltunge- beamten behalten. Wozu Ihre Uniformierung in den Vereinen ? Die Statuten find ja harmlos; das Papier ift geduldig, Das ift aber alles Maske und Vorbereitung zur polnishen Revolution. So hat es mir noch neuli* ein Amtsvorsteher geschrieben. Eine katholis - polnishe Lehrerfrau hat gesagt, es sei die höchste Zeit, daß fih die Polen in deutshem Blute baden. Jn einer Volksver- sammlung las ein Käthnersohn einen Aufsaß vor, in dem von der Wiederherstellung Polens gefprohen wird. Und folhe Versamm- lungen soll die Regierung niht überwahen? Ein katholisher Lehrer hat sih geweigert, wieder eine polnishe Versammlung zu überroachen, weil er behauptete, als Spion thätlich angegriffen zu werden, und so blieb als überwahender Beamter nur der Gendarm übrig, der die polnishe Sprache E verstand. Die Polen können das Revo- [utionieren nit laffen; sie fommen tamit immer wieder, sobald die Zügel der Regierung gelockert werden. Die Russen, hat mir ein alter Pole gesagt, friegen uns unter, aber ihr Preußen seid zu {wah und zu gutmüthig dumm, wollte er wohl niht sagen. Möge die Regierung stark und fest sein! Aus Stärke und Festi-keit wird dann au Anerkennung und Liebe erwahsen. Ich bin am erften dazu bereit.

Abg. Dr. Mizersfki (Pole) bestreitet die Richtigkeit der Be- hauptungen des Abg. von Gerlih. Den Aués(lag gebe hier nur die Rechtéfrage. Man dürfe einem autochthonen Volke nicht verwehren, sih in seiner Sprache zu unterhalten. Wenn man ungebildete Gen- darmen als Ueberwachungébeamte zulasse, so mache man das ganze Versammlungérecht illusorisch. Die Polen hätten infolge dessen aller- dings die Empfindung, daß sie einer Nehtsbeugung gegenüberstehen, und man dürfe si deshalb nicht wundern, wenn sich des Volkes und seiner Presse eine gewisse Erbitterung bemächtige. Sei es wirkli eine Gerechtigkeit, wenn man dem polnishen Volke das Versamm-

- Tungsre@t verkümmere? Wie man in den Wald bineinrufe, - fo

e es wieder heraus.

Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Gs handelt i bier um eine hochpolitishe Frage. Sie befintet aber in der Schwebe, so lange das Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerihts noch niht ergangen ift. Unzweifelbaft ist die Sache juristish für uns nicht für Sie wobl, und wir haben hier darüber niht zu entscheiden. Fällt die Entscheidung im Sinne der Regierung, fo bleibt der Zustand ein unklarer. Jh wünschte, daß die EntsLeidung fo fiele, daß in politishen Versammlungen prinzipiell deutsch zu sprehen ift. Wir leben in einem deutschen Lande, und die Polen find feine Unterthanen. Es is auch keine Härte, daß in- den Versammlungen deuts ge- \prochhen wird. Dafür, daß dies gescheben kann, forgt ja die Schule. a böser Wille verhindert den Gebrau der deutshen Sprache.

ir bedauern, daß das Zentrum in dieser nationalen Frage, wie auh sonst, abweihender Meinung ift. Wir müssen aber unsern Stand- punkt fest betonen. Die Polen unterhalten gefährlihe Verbindungen zwecks Wiederherstellung Polens, und diese Geister können Sie (zu den Polen), auch wenn Sie treue Unterthanen Seiner Majestät sind, im Ernstfalle niht bannen, und darum möge die Regierung wachsam sein und, wie auch die Entscheidung des Ober-Verwaltungsgerichts ausfallen môge, an uns mit einer Geseßesvorlage herantreten!

Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Die Fälle des Abg. von Gerlih bätten für uns nur ein Interefse, wenn über Posen und Westpreußen der Belagerungszustand verhängt werden sollte. Eine Revolution beim Glase Wein, vielleiht nit einmal beim ersten! Einzelne Fälle darf man nit generalisieren. Der Erzbishof von Posen und Gnesen hat noch neulich feine Geistlihen an ihre Pflihten in gemischt-sprahliher Bevölkerung erinnert und vor Ueber!chreitungen gewarnt. Gleichheit vor dem Gese, das ist hier die Frage, die alle Freunde des Vereins- und Versammlungsrechts interessiert. Jn Westpreußen wird hohvolnisch ge\prohen, niht wasserpolnisch wie in Oberschlesien, und doch hat man die Versammlungen aufgelöft. Außerdem soll es in den fragliden Bezirken nicht gefehlt haben an Beamten, die tas Polnisde beherrshen. Wohin soll das führen, wenn eine Versammlung nicht stattfinden darf, wenn der Amtsvor- steher Mitglied des betreffenden Vereins is? Kann dies nicht aub den Bund der Landwirthe treffen? Hier muß Klarheit ge- hafen werden, und wir haben die Pflicht, darüber zu wachen, ob die Geseye richtig gehandhabt werden. Bisher hat es Beamte gegeben, die die fremde Sprache verstanden. Warum geht es jegt nicht ? Wenn der Minister einen anderen Weg betreten will, dann möge er wenigftens eine allgemeine Verfügung erlassen, damit jeder weiß, woran er ist. Höher als das Ueberwahungsrecht steht das Vereins- und Versammlungsrecht der preußischen Staatsbürger, das hat das Ober- Verwaltungêgeriht anerkannt. Nicht bloß, wo das Polnische überwiegt, sondern auch wo in erhebliher Zahl Polen vorhanden sind, müssen polnish sprehende Beamte vorhanden sein, auch in Westfalen. Das liegt auch im allgemeinen Staatsinteresse. Das reue Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerihts dürfte vor Schluß der Session nicht gefällt werden. Soll nun das versprochene Vereinegesez bis dahin vertagt werden? Ich kann nicht zugeben, daß man dur Gerechtigkeit feine Nationalität schädigt. So lange das Deutsche nicht allgemein Seen wird, können wir nicht turch Gefeß verlangen, daß in den Versammlungen nur deutsch gesprohen wird. Generell kann man von einem bösen Willen des Volks, nit deutsch zu sprehen, niht reden. Der Zwang, deutsch zu \sprehen, würde der Agitation nur Verschub leisten. Wollen Sie konsequent sein, so müßten Sie au den Ge- brau der polnishen Schriftsprahe verbieten.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Milde hat uns in Westpreußen, E und Oberschlesien niht zum Ziele geführt. Für uns steht die Frage im Vordergrunde: Wie können wir den deutshen Boden deutsch er- halten und die Polen assimilieren? Ueber den Vorschlag des Grafen Limburg will ih mih noch nit erklären; für eine reaktionäre Maß- regel kann ich ihn in einer fo nationalen Frage aber nicht halten. Es handelt sch heute um dieselbe Sache wie bei der Interpellation Stephan. Die Regierung will das Ober-Verwaltungsgeriht ent- scheiden laffen, in wieweit der Gebrau) einer fremden Sprache ein Auflöfungsreht giebt. Von einer Beugung des Rechts ist bier gar keine Rede, noch weniger von einem Angriff gegen den Katholizismus. Der Erlaß des Erzbischofs von Posen ist der beste Beweis, wie weit die polnische Agitation der Geistlichen hon gegangen ist. Es herrschen eben ganz unerträglihe Zuftände ; sonst würde Herr von Stablewsfi, früher bier der eifrigste Vertheidiger des Polenthums, diesen Erlaß niht haben ergehen lassen. Wir werden die Regierung unterstüßen, wenn sie den polnischen Aspirationen energisch entgegentritt.

Abg. R ickert (fr. Vgg.): Staatsgefährlichen Agitationen wollen auch wir entgegentreten, aber sie find nicht nahgewiesen von der Regierung. Der Erlaß des Erzbischofs von Posen spriht noch nicht dafür, daß alle Geistlihe staatsgefährlich find. Exaltierte Aus- sprüche - einzelner Phantasten brauen wir nicht zu fürchten. Seten wir doch polnischen Bestrebungen national - deutsbe gegenüber! Die fommerzielle Abschließung kann allerdings nur Erbitterung bervor- rufen. Der polnische Bauer und Käthner ift auch beute noch froh, daß er unter dem preußischen König und Gefeß lebt. Es ist nicht Elug von der VMegierung, daß sie den Polen Waffen in die Hand giebt dadur, daß sie sie ins Recht seßt und sich ins Unrecht. Was ift überbaupt Verwaltungsrecht ? Die Regierung sollte auch warten, bis das Ober-Verwaltungsgeriht gesprochen hat, und nicht gegen dessen Gntscheidung Versammlungen auflösen lassen. Wir wünschen, daß die Regierung Farbe bekennt und uns das Vereinsgeseß \{leunigst vorleat. Wie würde es den Deuischen im Auslande geben, wenn wir den Vorschlag des Grafen Limburg zum Geseß erhöben? Die jeßige Rechtsunklarheit thut dem Deutshthum keinen Dienst.

Minister des Jnnern Freiherr von der RNecke:

Meine Herren! Der Herr Abg. Nickert hat soeben am Schlusse seiner Rede betont, er würde sih ebenfalls den Rednern der anderen Parteien anschließen können, welche die Königliche Staatsregierung auffordern, energisch gegen die großpolnishe Agitation vorzugehen, und er hat am Anfang seiner Rede hervorgehoben, daß er gern die Königliche Staatsregierung unterstüßen werde bei der Abwehr etwaiger Angriffe und Gefahren, die sich. gegen die Sicherheit des Staates er- höben. Jh bin dem Hercn Abg. Nikert hierfür sehr dankbar.

Er hat aber gemeint, die Königlihe Staatsregierung hätte es bis jeßt an einem Nachweis fehlen lassen, daß derartige Gefahren bereits vorhanden wären. Demgegenüber habe ih zu bemerken, meine Herren, daß ih es nit für meine Aufgabe habe halten können, das Vor- handensein derartiger Gefahren in diesem hohen Hause noch näher darzulegen, weil ih meinerseits es vermeide, offene Thüren einzurennen. (Unruhe und Zurufe bei den Polen.) Meine Herren, diese Agitationen sind fo notorisch im Lande (Lachen bei den Polen. Sehr richtig! rets) jeder, der mit den Verhältnissen nur einigermaßen vertraut ist, kennt die Größe der Gefahr, daß es mich wahrlich Wunder nehmen muß, daß jemand, der die Ehre hat, der Provinz Westpreußen anzu- gehören, derartige Gefahren leugnet. (Bravo! rechts.) Jch glaube fast, meine Herren, der Herr Abg. Rickert \chließt absihtlich seine Augen vor dieser Gefahr. (Unruhe links und bei den Polen. Sehr gut ! rets.)

Meine Herren, der Herr Abg. Rickert hat nun an die Königliche Staatsregierung die Aufforderung gerichtet, sie möchte do der Un- Tarheit, welche dur die jeßige Praxis der Handhabung des Vereins- geseßes einzureißen drohe, ein Ende machen und nähere Aufklärungen in dieser Bezichung geben. Meine Herren, ih halte au diesen Vor- wurf für unbegründet. Jh habe bereits in der früheren Sigung er- flärt, daß die betreffende Verfügurg auf meine Anregung erlassen sei, und habe sowohl in der früheren Sitzung, als auch in der heutigen

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ausführlich die Grundsäße dargelegt, nah denen meiner Auffassung nah vorläufig zu verfabren fei bis zu der bevorftebenden Fällung des Dber-Verwaltungsgerihts-Erkenntnisses. Ich habe weiter hinzugefügt, daÿ die Königliche Staatsregierung dann überlegen würde, welche weiteren Schritte sie etwa zu thun hätte für den Fall, daß ihr das Grkenntniß nicht die erforderlihen Waffen in die Hand gebe. Ich weiß alfo nit, in welher Beziehung eine Unklarheit vorhanden sein foll.

Ich möchte mich nun zu einer Bemerkung. des Herrn Abg. Dr. Porsch wenden, der in sehr ausführliher Weise die Rechtsfrage erörtert hat. Ich habe mich auch schon über die Lechtsfrage ausgesprochen, halte es aber nicht für möglich, derartige Fragen in pleno erschöpfend zu diskutieren. Bei diesen Erörterungen hat mir der Herr Abg. Dr. Porsch zu Unrecht den Vorwurf gemacht, ih hätte aus dem Ober-Verwaltungsgerihts-Erkenntniß falsh zitiert. Jch habe wörtlih überhaupt nit zitiert; ih habe nut angegeben, meiner Auffaffung

nach habe das Ober-Verwaltungsgeriht nur gesagt : der Gebrauch einer

fremden Sprache sei niht ohne weiteres ein Auflösungsgrund.

Herr Abg. Dr. Porsch hat sodann geglaubt, der Königlichen Staatsregierung gute Lehren geben zu sollen, wie sie sh zu verhalten hat insbesondere in denjenigen Theilen der Monarchie, wo An- fammlungen größerer Mengen von Polen sich zeigen sollten. Er hält es für durhans nöthig, daß dort polnish sprechende Polizeibeamte ge- halten würden, und meinte, es führte ja zu ganz unerträglihen Ver- hältnissen, wenn die Polizeibeamten dort die Sprache des Volkes niht verständen. Der Herr Abg. Dr. Porsh möge mir verzeihen, wenn ih hier erkläre: ih glaube, daß ih diesen Verhältnissen doch etwas näher stehe. (Oho! im Zentrum und bei den Polen.) Jh habe die Ehre gehabt, 6 Jahre in einer Gegend zu amtieren, wo derartige Verhältnisse in hervorragendem Maße vorliegen, insbesondere im Kreise Essen, und ich kann nur sagen, daß solche Unzuträglichkeiten niht vorgekommen sind, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die sämmtlichen polnischen Leute dort so gut deutsh sprechen, daß man sich vollständig mit ihnen ver- ständigen kann.

Ich komme nun auch auf eine Bemerkung des Herrn Abg. Dr. Mizerski, die auch {hon von Herrn Abg. Dr. Sattler zurüdck- gewiesen ist. Der Herr Abg. Dr. Müzerski \prach von einer Rechtsbeugung, die er in der jeßigen Handhabung des Vereinsgeseßes erblickte. Meine Herren, diesen Ausdruck muß ich meinerseits auf tas entschiedenste zurückweisen. (Bravo! rechts.) Es handelt sh hier um eine vershiedene Auffassung in der Aus- legung gewisser Bestimmungen, Man kann der Meinung sein, daß die eine Auslegung unrichtig is, man darf sh aber nicht zu dem Ausdruck versteigen, daß man der Königlichen Staatsregierung eine Rechtsbeugung vcrwirft. Die Königliche Staatsregierung glaubt die- selben guten Gründe für ihre Auffaffung in Anspruch nehmen zu können, wie sie die Herren von ter Gegenpartei für fi glauben anführen zu sollen. (Bravo! rechts und Heiterkeit.) Die Herren von der polnischen Partei lieben es ja, wie bekannt, sih immer als die Unterdrückten hinzuftelen. Jh würde sehr wohl in der Lage fein und damit auch dem Wunsch des Herrn Abg. NRickert nahkommen können, Jhnen nachzuweisen, das gerade das Umgekehrte das Richtige ist. (Sehr richtig! rets.) Die Herren Polen sind nicht die Unter- drückten, sondern sie sind die Provokanten. (Sehr richtig! rets. Lebhafter Widerspruch bei den Polen.)

Ich versage es mir aber, weiteres Material heute hier vorzu- führen, weil ih glaube, es würde dies die Geduld des hohen Hauses zu sehr in Anspruh nehmen. (Lebhaftes Bravo rechts. Widerspruch links. Große Unruhe links.)

Die Diskussion wird geschlossen. Damit is die Juter- pellation erledigt. :

Es folgt die Berathung des von den beiden konservativen Parteien, dem Zentrum und den Nationalliberalen unter- stüßten Antrags des Abg. Ring (kons.): Die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, dahin zu wirken:

1) daß das über die See- und Landquarantänen eingehende aus- ländishe Vieh einer vierwöchigen Quarantänezeit und einer Tuberkulinprobe unterworfen, :

2) n E ad russischen Geflügels und russisher Schweine untersagt,

3) daß laut Art. 6 der Viehseuhen-Konvention mit ODesterreich- Ungarn sofort zeitweise Sperre gegen die Rindvicheinfuhr aus Oesterreich-Ungarn angeordnet wird.

Abg. Ring: Die große Debatte im Reichstage habe die fast einstimmige Ansicht ergeben, daß gegenübter der shrecklichen Ver- seuchung Deutschlands eine Grenzsperre durchaus nothwendig erscheine. Außerdem habe der Landwirthschafts - Minister die dankenswerthe Aeußerung gethan, daß Deutschland seinen Bedarf an Vieh selbft produzieren könne. Dieser Ausspruch müsse aber dahin erweitert werden: Deutschland produziere bereits genügend Vieh für seinen Bedarf und könne die Einfuhren jeßt entbehren. Der Minister Freiherr von Hammerstein Habe in zwei Jahren der deutschen Land- wirthschaft mehr geleistet, als in den leßten 20 Jahren vom land- wirthschaftlichen Ministerium geleistet worden sei. Da aber die Lage der Landwirthschaft zu einer Landeskalamität geworden sei, fo [e jeder Abgeordnete verpflichtet, den Minister zu unter-

üißzen. Diesen Zweck verfolge auh sein Antrag. Die ruinösen Getreidepreise seit 1891 veranlaßten die Landwirthe, sh auf Viehzucht und Viehmast zu legen, und zwar mit folcher Energie, daß beute, wie die gesunkenen Preise für Vieh bewiesen, jede Ein- fuhr überflüssig sei. Die Einfuhr thierisher Produkte sei seit 1888 von rund 700 Millionen Mark auf rund 1000 Millionen Mark im Jahre 1896 gestiegen. Er habe im Jahre 1895/96 durch seine wieder- holten Anträge, die fast vom gesammten Abgeordnetenhause unterstüßt worden seien, betreffs Umbaues des Berliner Zentral-Viehhofes , der Verseuhungen Deutschlands vom Ss Markte aus, der Einschleppung der Seuchen aus der Mastanstalt Steinbruch in Ungarn, der Einfuhrbeshränkungen gegen Rußland und Holland bereits gezeigt, daß die Forderungen der Landwirthe in dieser Beziehung berechtigte seien, und deshalb wären dieselben auch erfüllt worden. Heute habe fein Antrag die Unterschriften fast des ganzen Abgeordnetenhauses er- halten, da es sich um ein natignales Unglück handle. Während 1895 im ganzen Jahre 4543 Gemeindên mit 195 120 Rindern verseucht gewesen seien, umfafse die Verseuhung allein im Monat Dezember 1896 3357 Gemeinden mit rund * 170 060 Stück Vieh. Die Verbreitung der Maul- und Klauenseulße koste nach den Mittheilungen des Kaiserlihen Gesundheitsamts im leßten Halbjahr, von Juli bis Dezember , den Landwirthen 34¿ Millionen Mark allein für Rindvieh; rechne man dazu die ver- seuhten Schweine, Schafe, Ziegen, fo belaufe sich der Schaden 1896 auf wenigstens 50 Millionen Mark. Er theile die Ansicht des Staatsfekretärs Dr. von Boetticher niht, der die Bekämpfung der Seuchen im Inlande für wichtiger erahte als die Sperrung der Grenzen. Die ee eIE in Steinbruch, von denen erwiesen fei, daß sie Jahrelang geherrscht, ohne daß die A Veterinärpolizei troß wiederholter Untersuhungen etwas davon erfahren habe, seien do

der beste Beweis dafür, wie wenig man den Betheuerungen des Aus- landes trauen dürfe. Außerdem hätten sämmtliche für uns wichtigen

Staaten die Vieheinfuhr gegen uns gesperrt; es liege daber absolut kein Grund vor, bei g nidde aleihe Maßregeln “4 treffen. Be-

sonders Dänemark gegenüber, defsen Einfuhr an Vieh zu uns

50 000 000 „X betrage, während unser Export na Dänemark fich nur auf 700000 M belaufe. Das Abgeordnetenhaus habe gegen Dänemark 1895 fast einftimmig vierwöchentlihe Quarantäne gefordert; der Bundesrath aber habe nibt nur die Quarantäne auf zehn Tage berabgeseßt, sondern die Quarantäneanstalten Privaten übergeben. Der gewiß gut orientierte Staats- Thierarzt von Hamburg, L Vollers, halte die Quarantäneanstalten für eine fortwährende efahr für das inländishe Vieh und die Quarantänezeit für keine Gewähr gegen die Einschleppung von Seuchen. Der Zoll würde von den Dänen umgangen, da der Import von Ochsen, die 25 4 Zoll zahlen, nur 22°%/% der Einfuhr betrage, während die Kühe und das Jungvieh mit nur 3—5 Æ Zoll 78% ausmachen. Auch dieser Zoll fei ganz unhaltbar und nur für Zuchtvieh be- rechnet gewesen. Seuchenausbrühe in decn Quarantäneanstalten seien genug vorgekommen. Bei der Geschicklichkeit der Dänen, die in Deutschland bei der Landung überall dänische Thierärzte \tatio- nierten, sei ein \trikter Beweis nie möglich gewesen, daß die Ein- \{leppung durch dänishes Vieh ftattgefunden habe. Beim Seuchen- ausbruch unter den ungaris&en Schweinen in Deutschland habe die öôsterreichishe Regierung, sobald die Schweine den Waggon ver- lassen hâtten, au stets behauptet, daß die Infektion in Deutschland im Schlachthause erfolgt sei. Auch der Staats-Thierarzt Vollers in Hamburg weise in seinen Veröffentlihungen vom 21. Januar 1897 darauf hin, daß die Maul- und Klauenseuhe in Dänemark stärker berrshe, als gewöhnlich angenommen werde. Hierzu komme noch, daß nunmehr als erwiesen gelten könne, daß die Inkubationszeit für Maul- und Klauenseuche länger als 10 Tage, nah unanfechtbarem Material 11——21 Tage dauern fôönne. Die Lebensfähigkeit der Bacillen dauere aber ficerlich länger als 10 Tage. Aus diesen Gründen müsse die 10tägig7 Quarantäne unbedingt fallen, da die Bacillen, in den Haaren der Thiere sißend, oft ers nah längerer Zeit zur Entwickelung kämen. Er biîte daher um einstimmigen Beschluß, die Quarantäne auf 4 Wowhen auszudehnen oder die Grenze ganz zu sperren. Die Tu- berkulinprobe, die E und Belgien {on feit zwei Jahren machten, werde nah den Zusicherungen des Herrn Staatssekretärs von Boetticher in den Quarantänen nunmehr eingeführt werden. Es sei nur bedauerlih, daß man mit dieser Maßregel fo lange gezögert habe, iroßdem bekannt sei, daß das dänishe Vieh zu 40 9/6 tuberku- 1ôs sei und seit Jahren Deutschland mit Tuberkulose ver'ehe. Die Rheinländer könnten davon ein Lied erzählen. Rußland habe gegen unser Vieh auch gesperrt. Troßdem würden nah Obersthlesien fortgeseßt wöchentlih 1385 Schweine eingefahren. Dieses Einfuhr- kontingent habe si auf 15 Händler vertheilt und sei, nahdem Streitig- keiten zwischen den Händlern und Schlächtern entstanden seien, auf 700 Schlächter vertheilt worden. Anstatt 15 Händler seien nun 700 Schlächter in dem verseuhten Rußland herumgereist, um jenes Kontingent an Schweinen einzukaufen eine Maßregel, „deren Werth sehr zweifelhaft sei, da die Schlähter nunmehr im verseuhten Nußland einkaufen müßten. Die nun aufs Trockene geseßten Händler seien nah Berlin gekommen und hätten berichtet, daß über der Grenze die Maul- und Klauenseuche eniseßlih wüthe, daß fortgeseßt kranke Schweine in die oberschlesishen Schlachthäuser geschaft und fo, besonders von der Grenzstation Sosnowice, die Seuchen fortgeseßt eingeschleppt würden. Redner bezeihnet Sosnowice als ein zweites Steinbruh. Er habe am 8. Januar durch seinen Thierarzt, dessen Bericht er auf den Tish des Hauses ntederlege, feststellen lassen, daß aus den total verseuchten Stallungen von Sosnowice an den Verladetagen die gesunden Schweine herausfortiert und zur Ver- ladung nah Preußen gebraht würden. Am 9. Januar habe er diese anscheinend gesunden Thiere im Schlahthause zu Beuthen wiederum untersuchen lassen, und da seien bereits nah 12 Stunden 69/0 seuchenkranke dabei gewesen. Die zurcückgebliebenen kranken Schweine würden gepökelt oder gekocht und dann im fleinen Grenzverkehr nach Preußen gebracht. Redner schildert noch, wie die Händler fortgeseßt den Minister und seine Kommissare betrogen hätten. Es sei nicht seine Sache, jemand zu beschuldigen; aber die Frage liege nahe, wo die Berichte über diese Zustände stecken geblieben seien. Betreffs der Geflügeleinfuhr verweist ex auf die Enquête der Brandenburger Landwirthschaftskammer. Die Ergebnisse der Enquôête bewiesen, daß nicht allein eine Reihe von Landkreisen bereits verseuht sei mit der Geflügelholera, sondern auch, daß der größere Theil der cholerakranken Gänse nothgeshlahtet werde, um als Pôökelfleish, Weißsauer u. || w. in den Handel - zu kommen. In einem Amtsbezirke sei nahgewiesen, daß von 2260 choleratranken Gänfen 1759 nothgeshlachtet worden seien. Außerdem hätten die berühmtesten Bakteriologen wie Koch, Pasteur, Schütz nachgewiesen, dak dur den Spaltpilz der Geflügelholera Schweine- seuhe, Ninderseuche, Blutvergiftung erzeugt werde. Wolle denn die Regierurg warten, bis die Geflügelholera ganz Deutschland verseucht habe? Bei dieser nüßze eine Gehöfts\perre nihts, da Tauben und Sperlinge dieselbe verbreiteten. Die Erklärung des Ministers im Reichstage, daß die Erhebungen darüber noch niht beendet seien, sei ganz unbegreiflib, da diese Thatsachen seit zwei Jahren bercits bekannt seien. Jn Oefstecreih-Ungarn herrshe, nach dem Bericht des „Reichs-Anzeigers" vom 14. Januar 1897, die Maul- und Klauen: feuhe in 2573 Ortschaften mit 23 325 Gehöften. Es sei unzweifel- haft, daß man unter diesen Umständen sofort sperren müsse, nah der Seuchenkonvention auch zur Sperrung berechtigt fei. Die Schweiz habe bereits im November 1896 die Sperre gegen Oesterreich verfügt. Aus Vorarlberg und Tirol sei in 3 Fällen nah Bayern, in 2 Fällen nah Württemberg die Seuche eingeshleppt und deshalb die Grenze gegen Vorarlberg und Tirol gesperrt. Nach der amtlichen Statistik Oesterreichs seien aber in Vorarl- berg und Tirol im August einer, im September nur zwei Seuchenfälle nachgewiesen. Ob denn die Reichsregierung diese Angaben für richtig halte? Die nachgewiesenen fünf Einschleppungen in Bayern und Württemberg müßten denn gerade aus den drei ver- seuchten Ortschaften stammen. Das Wiener „Fremdenblatt* behaupte sogar, wie es scheine, offiziós: Die Zunahme der Seuchenfälle in Desterreih sei eine nur sheinbare, insofern sich die Zahl nicht gesteigert habe, jeßt aber jeder Fall infolge des besseren Funktionierens der BVeterinärpolizei zur Anzeige komme. Redner fei durch di: Stein- bruher Vorfälle über die österreihisch - ungarishe Veterinärpolizei völlig informiert. Deutschland könne doch nihcht warten, bis die Veterinärpolizei dort noch besser funktioniere. Die Ertheilung der Einfuhrerlaubniß für österreihishes Vieh an 200 Städte fei ganz überflüssig; die deutshen Landwirthe hätten bereits bewiesen, daß sie die 350000 Zentner Schweine, die Oesterreih bis zum vorigen Jahre geliefert habe, durch Zuzucht in einem halben Jahre erseßt hätten. eute sehe das ganze Land nach Berlin; das Elend und die Noth seien groß. Die deutschen Landwirthe könnten mit ihrer Viehproduktion durch ihren eisernen Fleiß mit der ganzen Welt konkurrieren. Gegen die geschilderte dolose Konkurrenz des Auslandes seien sie aber ohnmächtig. Schützen Sie daher, fo {loß Redner, die deutshe und preußishe Vieb- wirthschaft gegen das Ausland! Erhalten Sie dem Bauern diz leßte Einnahmequelle, die er noch hat. Nehmen Ste meinen Antraz möglichst einstimmig an. Es liegt lediglich an der Ausübung der gesammten Veterinärpolizei und deren Einrichtungen bei uns, daß die Seuchen so überhand genommen haben. Unsere süddeutschen Bundesstaaten haben Landes-Thierärzte, bei diesen strömen alle Nachrichten in veterinärpolizeiliher Beziehung zusammen. Bei uns ift die Einrichtung der Veterinärpolizei eine andere. Jh wies bereits vor zwei Jahren darauf hin, daß wir eine Zwischeninstanz zwischen den Thierärzten draußen im Lande und der YZentralinftanz schaffen müssen, sogenannte Seuchen-Jnspektoren. Die Veterîinärvolizei muß von Grund aus umgestaltet werden. Einen dicèbezüglihen Antrag behalte ih mir vor. Abg. Letocha (Zentr) beantragt folgende Abänderung im An- trag Ning: in Nr. 2 die Worte „und russischer S&weine* zu streichen und dafür der Nr. 2 Folgendes hinzuzufügen: daß ferner die Schliekun

der Grenze gegen die Einfuhr russischer Sdweine aufreSt erbalten

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