1897 / 36 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

E

a aa R Ai

der Strafgefangene beschäftigt ist, Träger der Unfallfürsorge sein soll. Es wurden dann auf Grund der erhobenen Bedenken sehr ein- gehende Untersuchungen unter Hinzuziehung insbesondere von Beamten der Strafanfstaltsverwaltung angestellt, und diese Untersuchungen führten \{ließlich dahin, daß man in Würdigung der aufgetretenen Bedenken glaubte, zur Zeit von der Weiterverfolgung des Projekts einer Unfallfürsorge für die Strafgefangenen absehen zu sollen.

Ich will übrigens Herrn Dr. Vielhaben bemerken, daß er doch die Kaiserlihe Botschaft zu eng interpretiert (Heiterkeit), wenn er die Meinung ausgesprochen hat, daß es ih hier lediglih um die Für- forge für den Arbeiter handelt. Es handelt- sih hier insbesondere, wie der Herr Abg. Freiherr von Hertling sehr rihtig ausgesprochen hat, au um eineFortbildung, Ausbildung und Bessergestaltung der Haftpflicht, und zweitens darum, daß die Armenpflege, der der verunglückte Arbeiter früher in der Regel, soweit niht anderweit für ihn gesorgt wurde und das war keineswegs immer der Fall, anheimfiel, daß dem Eintritt der Armenpflege, die früher im wesentlihen allein das refugium ‘des verleßten Arbeiters war, vorgebeugt werde. Mit der Allerhöchsten Botschaft vom Jahre 1881 steht das Vorgehen, eine Unfallfürsorge für die Strafgefangenen einzuführen, keineswegs im Widerspru. Das is au nicht das Bedenken gewesen, das von einer Verfolgung dieses Gedankens bisher abgehalten hat ; sondern die Bedenken, die man aufgestellt hat, bewegen sich lediglich auf dem Gebiet der Sonderstellung der Strafgefangenen, auf dem Gebiet der Disziplin, der Stellung der Arbeitgeber, von denen die Gefangenen zum theil wenigstens beshäftigt werden, und diese Bedenken hat man damals, wie gesagt, für so \{chwerwiegend erachtet, daß man den Entwurf im Jahre 1894 niht weiter verfolgt hat.

Wenn nun jeßt und ih nehme an, daß dies der Fall sein wird, von der Mehrheit des Reichstages der Wunsch ausgesprochen wird, es möge dieser Zweig der sozialpolitishen Gesezgebung von neuem aufgenommen werden, so werde ih selbstverständlich alles thun, um der Sahe Fortgang zu verschaffen. Jch fkann aber nicht versprehen und in dieser Beziehung bin ih ganz ofen —, daß wir bis zur zweiten Lesung der Vorlage in der Kommission dem Reichstage {hon eine Vorlage auf diesem Gebiet machen werden; denn ih weiß nit, ob die Bedenken, die damals den Fortgang der Sache verhindert haben, bei den Re- gierungen inzwishen ges{chwunden sind, und ob es gelingen wird, diesen geseßgeberishen Plan durchzuführen. Aber das glaube ih ver- heißen zu können, daß die Sache sorgfältig und gründlih geprüft wird, und ih selber werde mi freuen, wenn diese Prüfung dazu führt, daß auch diese Scite der von mir vertretenen sozialpolitischen Gesetzgebung zur Durchführung kommt.

Abg. Müll er-Waldeck Sor) erklärt, daß der Abg. Viel- haben niht im Namen der Partei gesprochen habe.

Abg. Dr. Vielhaben bleibt dabei, daß es \sich um eine rein sozialdemokratishe Forderung handle.

Damit schließt die Debatte.

Berichterstatter Abg. Freiherr von Stumm: Es handelt ih nicht bloß um Straf-, sondern auch um Untersuchungsgefangene, die vielleiht nachher freigesprohen werden.

Die Resolution wird gegen die Stimme des Abg. Dr. Vielhaben angenommen.

Schluß 51/4 Uhr. Nächste Sißung Donnerstag 1 Uhr. (Anträge Auer, betreffend den Achtstundentag, und von Lieber- mann, wegen der konfessionellen Eidesformel; Petitionen.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

29. Sigung vom 10. Februar 1897.

Auf der Tagesordnung steht die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1897/98, und zwar des Spezial-Etats des Ministériums des Jnnern.

Ueber den ersten Theil der Debatte ist gestern berichtet

worden. | e Beim Titel 1 der Ausgaben (Gehalt des Ministers) geht

Abg. Jaedckel (fr. Volksp.) auf die R polnischer Versammlungen ein und führt etwa Folgendes aus: inister und Behörden E nicht dazu bei, der Verheßung der Polen ein Ende u machen. Von einer großpolnischen Agitation ist uns in der Provinz

osen nichts bekannt. Expektorationen einzelner Fanatiker sind keine eweise. Die Regierung sollte ers einmal die Beamten anweisen, die polnishe Sprache besser kennen zu lernen, bevor sie den polnischen Blättern vorwirft, daß sie Hegartikel bringen. Wir verlangen auch, daß das Deutsche als Amtssprache unbedingt durchgeführt wird, und daß die Kinder die deutshe Sprache lernen; aber daß den Polen die Sprache genommen wird, dal sie in Versammlungen sih ‘ibrer Muttersprache nicht bedienen sollen, können wir durchaus nicht billigen. Der deutshe Chauvinismus hat sich feit einiger Zeit sehr unliebsam bemerkbar gemaht. Der Zoologishe Garten in Posen ist der Stolz der Provinz, Deutsche und Polen haben das Werk - gefördert und erhalten es in grouer Eintracht. Die deutshen Chauvinisten haben nun Zwietracht gesäet unv behauptet, daß dort polnishe Stüde ge- spielt würden, ein ganz unberehtigter Vorwurf. Man hat nicht eher geruht, bis das Verbot des Spielens der Militärkapelle im Zoologischen Garten erfolgt ist. Der Kriegs-Minister hat geleugnet, daß er das Verbot erlassen habe. Kommt nun diefes Verbot aus dem Staats-Ministerium her? Eine andere Blüthe des deutschen Chauvinismus is die Affaire Carnap. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Herr Carnap bei dem bekannten Vorfall der provozierende Theil gewesen ist. Man hat ihn als natio- nalen Helden gefeiert und gar nah ‘dem Belagerungszustand für Posen gernfen. Herr Carnap hätte {on längst beseitigt werden müssen. Der Regierung werden doch seine Uebergriffe niht verborgen eblieben fein. Die Aenderung der Propinzialfarben ist eine einlihe Maßregel. Alle diese Hetzereien gegen die Polen haben nur den Zweck, einer Reform der Provinzialverfafsung ent- egenzuarbeiten. Die Polen denken gar niht an die wahn- nnige Idee einer Wiederherstellung des polnishen Reiches. Das Ober-Präsidium hat das Tanzen in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag in geschlossenen Gefellshaften verboten. Diese Ver- fügung entbehrt jeder geseßlihen Unterlage. Solche Willkür- maßregeln können das Ansehen der Behörden niht stärken. Ich bitte den . Minister, aufzuhören, auch uns Deutse als Staats- bürger zweiter Klasse zu betrawten, sowie uns von der unwürdigen ftändishen Gliederung in der Provinz zu befreien. Die Quertreibereien der Chauviniften, namentlih der „Kölnischen Zeitung“, schädigen unsere Provinz auch wirthshaftlich. Der liebe Gott \{ütze uns vor unseren Freunden; vor unseren „Feinden“, den Polen, werden wir uns selbft s{üten. ; ;

Abg. von Tiedemann - Bomst (fr. kons.) : Ih hätte gewünscht, daß uns diese Rede erspart geblieben wäre. Es war eine Polenrede, gehalten von einem Deutschen. - Aber das ist ja kein Wunder. Er ist von Polen gewählt und mußte ihnen dafür seinen Dank abstatten. Daher der Name „Deutschfreisfinnig*“. Wer will denn den Polen ihre Sprache nehmen ? (Zurufe: Vereine und Versammlungen!) In

politischen sffentlihen Versammlüngen muß deu esprochen werden. Gs ift fn Bedlrsris, im Pofener Soblecisien S drt polnische

zu vertheilen. . ist eine polnishe Agitation. In dem Fäll Carnap hat Herr Jaeckel“ auch ein wunderbares" National- gef an ‘den Tag gelegt. Ih nehme das Vorleben Carnap's nicht n Schutz; äber an dem De Tage hat er \ich korrekt und shneidig benommen. Der Ober-Präsident {elbst hätte si niht anders verhalten“ können: Er ‘hat niht provojiert;' das beweist der Prozeß. Schmugige Wäsche hier vor ganz Europa zu waschen, - hat keinen Zweck. Die Aenderung der Provinzialfarbe war durchaus richtig, die frühere Farbe würde zu unnüßen Agitationen geführt haben. Die ständishe Gliederung ist auch uns nit angenehm. ine Aenderung kann aber erft erfolgen, wenn die-nationalen Verhältniffe “geordnet sind. Mißstände aber sind nicht eingetreten. Bei etwaigen Sepurfe nissen haben ja die Stände das Recht der itio in partes. Jch kann wohl Herrn Jaeckel in seinem nationalen Stolz si selbst überlassen.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Das Auftreten eines Deutschen gegen den Chauvinismus sollte doch auch der Regierung zu denken geben. Der Minister trägt an der Vershärfung der Gegensätze mit Schuld. Er hat die Ueberwachung der Polen als eine Auf- gabe der politishen Polizei erklärt. von Tausch ift 1894 in Thorn gewesen, und auf seinen Bericht if das bekannte Wort des Kaisers zurückzuführen. (Vize-Präsident Freiherr von Heereman ersucht den Redner, an Worte Seiner Majestät keine Kritik zu knüpfen.) Bis 1894 und. darüber hinaus haben wir uns peinlich bemüht, nichts der Re- gierung Mißliebiges zu thun. Ich erinnere nur an unsere Haltung in der Militärvorlage und bei den Handelsverträgen. Wir haben hierbei den Wünschen Seiner Majestät und der Regierung Rechnung getragen, und kurz darauf kam der Aufruf zum Zusammenstehen der Deutschen gegen die Polen! Die polnishe Nationalfarbe war früher die weiße, Posen hatte allerdings einen weißen Adler in rothem Schilde, alfo karmoisin und weiß. Die Aenderung der Farben hat ja ‘nit viel zu sagen. Aber es is do bedenklich, in alte Gewohnheiten ftörend einzugreifen. Das polnische Volk liebt nun einmal helle Farben. Das Schwarz in der Fragge als Trauerfarbe gefällt meinen Landsleuten niht. Solhe Maßregeln können nur Uneivigkeit und Zwietracht in der Provinz hervorrufen. Seit unserer leßten Anfrage über das Versammlungsverbot sind schon wieder Ver- fammlungen aufgelö# worden, auch solhe in Orten, wo polnis sprehende Beamte vorhanden waren und in denen gerade ein Ho auf Kaiser und Papst hätte ausgebraht werden sollen. Der Minister soll doch wenigstens so lange mit weiteren Maßregeln warten, bis das Erkenntniß des Dber-Berwaltungsgerichts ergangen is. Wenn polnische Konzertprogramme eine Agitation sein sollen, dann is auch jedes Wort in polnisher Sprache eine Agitation. Die ganze Sache ift fo kleirlih und lächherlih, daß ih darüber weiter kein Wort verlieren will. Dieses ganze Vorgehen beweist aber, daß die Negierung nur darauf ausgeht, die berehtigten Gefühle der Polen zu verletzen. Wir Nu wollen mit den Deutschen friedlich leben. Dieses fried- lihe Verhältniß follten die Beamten nicht stören; Pfarrern wird die Theilnahme an Vereinen untersagt, Landräthen niht. Die Affaire Carnap ist durch einen rihterlihen Spruch erledigt, die Leute sind bestraft worden, der Beamte niht. Alle diese Mißhelligkeiten {ind zurückzuführen auf die Taktlosigkeit der eamten. Der kleine polnishe Mann hat vor Beamten einen großen Respekt. Der polnishe Bauer grüßt sogar den Postillon. Alles hängt von den Beamten ab, und ich bitte den Minister, bei der Auswahl der Be- amten recht vorsihtig zu sein.

Minister des Jnnern Freiherr von der Nee:

Meine Herren! Der deutshe Abgeordnete Herr Jaeckel hat es über sih gewonnen, zwei Ministern Seiner Majestät und den Be- hôrden in der Provinz Pofen den Vorwurf der Verbezung der deut- hen Bevölkerung gegen die polnishe zu mahen. Ih muß namens meines abwesenden Herrn Kollegen, des Herrn Kultus-Ministers, und in meinem Narüen gegen derartige Insinuationen die energish\te Ver- wahrung einlegen. (Bravo !)

Die Königliche Staatsregierung hat hon zu wiederholten Malen ihre Auffassung darüber kundgegeben, wie es ihrer Meinung nach jeßt in den polnischen Landestheilen steht; noch in den leßten Tagen is durh den Mund des Herrn Minister - Präsidenten dieser Anficht wiederum Ausdruck gegeben worden. Es liegt der Staatsregierung sehr fern, der polnishen Bevölkerung ihre Rechte irgendwie zu beeinträhtigen ; wir wünschen lebhaft, mit der polnischen Bevölkerung in Frieden zu leben; nicht wir find es, * die den Friéden \tôren, sondern es sind diejenigen Herren Polen (lebhafte Zustimmung rets; ach! bei den Polen), die es in der Verbezung gegen die deutshe Bevölkerung an nihts fehlen lassen. (Sehr gut!) Jh bin sehr gern- bereit, Ihnen an einigen Beispielen zu zeigen-(na!-na-! bei den Polen), wie es steht, aus denen Sie z. B. entnehmen können, zu welcher Insolenz die Presse es bereits gebraht hat, und (a6! a !) wie selbst Perfönlihkeiten, von denen man annehmen sollte, daß sie für die Stärkung der ftaatlihen Autorität eintreten müßten, im Gegentheil fich dazu hergeben, diese Autorität auf die unglaublichste Weise zu untergraben. ¿

Kürzlich stand im „Kuryer Poznanski“, es war in der Nummer vom 8. Oktober 1896," ein Artikel, aus dem ih mir erlauben will ohne jeden weiteren Kommentar folgenden Pafsus vorzulesen, indem ih dem hohen Hause anheimstelle, die Schlüsse daraus selbst zu ziehen.

„In einer Provinz, worin Ausnahmegeseße bestehen, wo man einer hungrigen Meute 100 Millionen zur Beute gegeben hat, worin man Hunderte von Beamten zählt, die ad hoe zur Be- drückung und für die Bedrückung bezahlt werden,

(Rufe bei den Polen: Ist auch richtig!) wo ganze Kategorien von Beamten, die in anderen Provinzen unbe- kannt find, Brot und Lohn haben, wo man \{chließlich in jedem Ressort Carrière machen kann, ohne für sein Fah tauglich zu sein, wenn man nur eifrig im religiösen und nationalen Verfolgen ift, in einer solchen Provinz muß sih eine Hefe und ein Say bilden.“ Eine stärkere Auflehnung gegen die staatlihe Autorität und eine \chärfere Verhezung gegen die deutshe Bevölkerung und gegen die deutshen Beamten kann ih mir meinerseits kaum denken. (Sehr richtig!)

Dann habe ih die Ehre, Ihnen hier von einem andern Fall Kennt- niß zu geben ich will aus Diskretion den Namen vorläufig noch verschweigen, muß aber leider bekennen, daß es ein Geistlicher ist, der folgende Aeußerung gethan hat, wie durch Zeugenaustsagen fest- gestellt ift (Rufe: lauter !)

Das polnishe Reich wird bald wieder aufgerichtet werden.

(Heiterkeit )

Das könnte {on morgen geschehen, wenn die beiden Völker- thore in Böhmen und Galizien geöffnet würden; Danzig würde alsdann freie Reichs\ftadt werden.

Auf eine Erwiderung, daß auch hier unter den Polen Soldaten seien, die den Fahreneid, den Eid der Treue bis zum Tode geleistet bâtten, erklärte der polnishe Geistliche:

Die polnishen Soldaten treten über zur polnishen Fahne, der gebrocene Fahneneid ist kein Meineid. (Lebhafte Bewegung rechts.) Der Fahneneid if ja nur eine Formel, etwas ganz Formelles, Lebhafte Rufe: hört! bört! rechts, Stürmishe Zurufe bei den

Polen: wo? wo? Namen nennen! Glocke des Präsidenten) kann Ihnen den Ramen nennen, er fteht Jhnen zur s :

fügung. : é

Méine Herren, der Herr Abg. Jaeckel ist södanu auf éinen Vorfall gekommen, der mein Ressort direkt nihts angeht. Ih halte aber für verpflihtet, in Abwesenheit meines Herrn Kollegen, deg Herrn Kriegs - Ministers, diesen Vorfall mit einigen Worten zu be: rühren. Es ift das Verbot, daß die Militärkapellen im Zoologischen Garten zu Posen spielen. Ich bin über die Gründe nit unterrichtet mir ist die Sache aus den Zeitungen bekannt geworden. Jh denke mir aber, daß der Grund darin liegt, daf man den militärischen Befehlshabern unzweifelhaft das Recht zugestehen muß, ihre Kapellen spielen zu lassen, wo sie wollen, und daß die Militärkapellen nit E x find, um polnische Agitation zu fördern. (Sekr richtig! rets.

Meine Herren, der Herr Abg. Jaeckel hat dann an mehreren Stellen nahzuweisen versuht, daß die deutshen Beamten in der Provinz Posen vieles zu wünschen übrig ließen. Er i} dabei auh auf den Fall Carnap gekommen, der auh anderweitig hier bereits er- örtert worden ist. Nun liegt es mir sehr fern, das Verhalten dez Herrn von Carnap zu vertheidigen ; es erscheint mir aber doch der so oft gerühmten polnischen Ritterlihkeit und bei der nahen Bes ziehung, in der Herr Jaeckel zu den Polen steht, darf man das ja auch noch auf ihn anwenden nit zu entfprehen, wenn man einen Mann, der sein Unrecht eingesehen und sh freiwillig zurückgezogen hat, hier in diesem Hause noch mit Shmähungen überhäuft. (Sehr rihtig! rets.)

Der frühere Distrikts-Kommissar von Carnap hat selbft ein- gesehen, daß er für diesen Posten nit paßte, hat freiwillig sein Amt quittiert, und damit if meines Erachtens sein Verhalten für ge-

. fühnt zz erahten.

Wenn dann der Herr Abg. Jaeckel meint, daß dieser Fall sehr mit Unrecht als Zeichen polnischer Agitation gedeutet würde {on die milde Beurtheilung der Schuldigen seitens des Gerichts lasse dies erkennen —, so möchte ich Herrn Jaeckel bitten, einmal den S{luß des Erkenntnisses zu lesen, in dem ausdrücklich ausgeführt wird : leider sei es nit gelungen, eine Reihe von anderen Schuldigen zu entdecken. Wäre es geglüdckt, diese Schuldigen zu entdecken, so hätte meines Er- ahtens das Gericht unter Umständen sehr wohl zu der Annahme eines Landfriedensbruchs gelangen können.

Der Herr Abg. Jaeckel hat sih dann noch über eine behördlihe Verfügung aufgehalten, welhe das Tanzen am Sonnabend Nachmittag verboten hätte. Mir ist diese Verfügung niht bekannt. Wenn man sih darüber beshwert fühlt, so kann ih nur anheimstellen, den instanzenmäßigen Beshwerdeweg zu betreten. Es wird dann unter- fut werden, ob die Verfügung zutreffend war oder nicht.

Wenn dann der Herr Abg. Jaeckel mich gebeten hat, darauf hinzuwirken, daß in der Provinz Posen die Selbstverwaltung in größerem Umfange als bisher eingeführt werde, so habe ich darauf zu erwidern, daß bereits im Jahre 1889 eine sehr sorgfältige Prüfung stattgefunden hat, ob es nach Lage der Verhältnisse möglich sei, diesen Weg zu beschreiten. Die Erwägungen, welchen das hohe Haus beigetreten ift, führten zu einem negativen Ergebniß. JIch möhte nun den Abg. Jaeckel fragen, ob er wirklich meint, daß \sih die Verhältnisse seitdem derartig geändert haben, daß man ein anderes Resultat für mögli halten könnte. Jch glaube dies bestreiten zu müssen und bin der Ansicht, daß der jeßige Zeitpunkt am allerwenigsten geeignet ift, die Selbftverwaltungsgeseße in der Provinz Posen in größerem Umfange einzuführen.

Auf die von dem Herrn Abg. Jaeckel angeregte Frage der posenschen Provinzialfarben werde ich noch später eingehen. Zunähhst will ih mih zu dem Herrn Abg. Dr. von Jazdzewêki wenden. Derselbe hat zu meinem großen Bedauern eine Aeußerung Seiner Majestät in Zusammenhang gebraht mit einigen Persönlichkeiten, die in dem letzthin viel besprochenen Prozesse eineNolle gespielt haben. Ih muß gegen derartige Vermuthungen energisch Verwahrung einlegen. (Bravo! rets.) Aus dem zufälligen Um- stande, daß sich die beiden genannten Persönlichkeiten in Thorn aufgehalten haben sie find in der That dort gewesen aus Veranlassung eines auf militärishem Gebiet liegenden dienstlihen Auftrags —, zu \{chließen, daß sie mit den erwähnten Aufträgen in irgend welchen Beziehungen stehen, das ist eine so unhaltbare Vermuthung, daß ih glaube, nit nöthig zu haben, sachlich näher darauf einzugehen.

Der Herr Abg. von Jazdzewski kam sodann auf die Fahnenfrage. Als man, meine Herren, im Jahre 1882 dazu überging, für die einzelnen Provinzen Farben zu bestimmen, is das im wesentlichen damals nah heraldischen Grundsäßen geshehen. Man hat für die Provinz Posen Weiß-Noth gewählt, einem Wunsche der Provinz und auch hberaldischen Nüdcksichten entsprehend. Das Vertrauen, welches man bei dieser Wabl zu der polnishen Bevölkerung glaubte hegen zu dürfen, hat sich aber leider nicht erfüllt. Die Farben Roth-Weiß sind bekanntlich die des früheren polnishen Reichs. Sie wurden, ebenso wie die Farben der übrigen Provinzen, bestimmt, um dem provinziellen Leben, welches durch die vom Staate gewährte Selbstverwaltung eine innere Stärkung erfahren hatte, au ein äußeres Sinnbild zu geben. Sie find aber in der Provinz Posen zu ganz anderen Zwecken benußt worden. Nicht um dem soeben von mir gekennzeihneten Zweck zu dienen, sondern um die Erinnerung an vergangene Zeiten lebendig zu erhalten und um großpolnische Tendenzen zu befördern, wehten die roth - weißen Fahnen, und dieser Umstand, die zahl- reihen Demonstrationen, die daraus hervorçingen, haben die Königlihe Staatsregierung veranlaßt, gerade in dieser Weise einzuschreiten, weil ihrer Meinung nah ein anderer Weg, diesen Demonstrationen zu begegnen, nicht vorhanden war. Die Königliche Staatsregierung is weit davon entfernt, darin eine besondere Haupt- und Staatsaktion zu erblicken. Sie will mit dieser Maßregel der polnischen Bevölkerung nur zum Bewußtsein bringen, daß sie Preußen sind, und taß die Königliche Staatsregierung gewillt ist, allen Demon- strationen auf diesen Gebieten mit Energie und Festigkeit entgegen- zutreten. (Bravo! rechts.) Das ift die Absicht dieser Maßregel.

Der Herr Abg. von Jazdzewski ist sodann auf die Frage zurück- gekommen, die uns ip den legten Wochen beschäftigt hat: auf die Frage, ob es zulässig sei, Versammlungen deswegen aufzulösen, weil durch den Gebrauch der polnishen Sprahe das s\taatliche Ueber- wahhungsrecht illusorisch gemacht wird. Er hat, wenn ich ihn recht verstanden habe, behauptet, es wären auch noch in den legten Tagen derartige Auflösungen vorgekommen. Ih bin nicht darüber unter- rihtet. Ich kann zu dieser Frage nur erklären, meine Herren :

2

einer Auffassung if iebt die Entscheidung des Ober-Verwaltungs-

abzuwärten. gr n \{ließlich der Herr Abg. von Jazdzewski noch auf den Verein zur Beförderung des Deutshthums in den Ostmarken ge- kommen if und mir nahe gelegt hat, den Beamten allgemein die Betheiligung an’ diesem Verein zu verbieten, so muß ich das ablehnen. Allerdings kann ich mir fehr wohl Fälle denken, in tenen cs un- erwünscht ist, daß ein Beamter dem Verein angehört. Ih glaube aber, daß man die Entschließung hierüber zunächst lediglich dem Takt- gefühl des betreffenden Beamten überlassen kann. Zu einer allge- meinen Anweisung liegt meines Erachtens eine Veranlassung

nicht vor. (Bravo! rets.) : Abg. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Wir danken dem rrn Minister für seine Erklärungen, und wir werden ihn unterstützen. uch die Erklärung des Reichskanzlers athmet diesen Geist ; aber wir bedauern, daß der Reichskanzler im Reichstage überhaupt si darauf eingelassen hat, auf die vorbereitete Aktion der polnishen Fraktion zu reagiren. Die Sache geht den Reichstag garnihts an. Die Er- flärung des Abg. Lieber hat zu meinem Bedauern ergeben, daß wir leider in der Beurtheilung nationaler Fragen auseinandergehen. Namentlich habe ih bedauert, daß das Zentrum behauptet, der Kampf gegen die polnishe Agitation fei im Grunde nihts als èin Kampf gegen die fatholishe Kirche. Die polnishen Geistlihen stehen doch an der Spihe der Agitation. Soll die Regierung das ruhig mitan- sehen? Ueber die Worte Seiner Majestät in Thorn irgend etwas zu sagen, lehne ich ab. Die höchsten Stellen haben do ganz andere Unterlagen ihrer Informationen als die Berichte untergeordneter Or- gane. Die polnische Agitation ist 1890 durch das Eatgegenkommen gegen die Polen befördert worden. Schon die Ernennung des Erzbischofs von Stablewski, der hier so scharfe Reden für das Polen- thum gehalten hat, mußte dem polnishen Volke neue Hoffnungen machen, wenn ih auch nicht behaupte, daß der Herr sein Amt irgendwie mißbraucht hat. Aber schon sein Name schien ein Programm. Dem deutshen Verein darf man keinen Vorwurf machen ; seine Gründung war nur ein Aft der Nothwehr. Die Farben hat man zur polnishen Demon- \stration benußt auch beim Empfang des Erzbischofs, des „Primas von Polen“, wie es in der polnishen Presse hieß. Gewiß, die polnishe Bevölkerung ift ausgezeichnet, und wenn man sie in Ruhe liche, so würde alles gut sein. Aber die Agitatoren lassen eben die Leute niht in Ruhe. Nur tüchtige Beamte follten in Posen sein; ob sie aber den Polen gefallen, ist eine andere Frage. Der Minister möge scinen tüchtigen Beamten s{üßend zur Seite stehen. Die

erren Polen hier haben keine unpatriotishen Tendenzen. Wir hir uns aber nicht auf sie allein verlassen; wir müssen uns darauf verlassen, was wir sehen, und dana handeln. _ :

Abg. von Czarlin eki O: Machen Sie doch keinen Unter- shied zwischen uns und dem Volke. Man sieht uns überhaupt nicht als existenzberechtigt an. Bei der polnischen Presse legt man jedes Wort auf die Goldwage, als wenn die Deutschen niht au einmal über die Stränge s{lagen. Die Frage gehörte sehr wohl in den Reichstag. Es scheint aber, als wenn die Negierung gegen die Polen stets Reden auf Lager hat. Daß wir preußische Unterthanen ind, haben wir längst gewußt, das wissen {hon die Kinder. Wir ka aber nicht annekttiert worden unter der Bedingung, daß wir ger- manisie:rt werden follten, sondern unter dem Versprechen, daß unjere Nationalität erhalten bleiben follte. Redner weist darauf hin, daß neuerdings wieder eine Vecsammlung in Graudenz aufgelöst worden sei, obwohl polnisch sprechende Beamte dort anwesend gewesen feien, und geht dann näher auf das Verfahren der Beamten im allgemeinen ein, welche Berichte lediglih in pekuniärem Interesse erstatteten. Wenn die Polen noch nicht zufrieden seien, so treffe die Schuld lediglih die preußischen Organe.

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Im allgemeinen würden mir die Auéführungen des Herrn Abg. von Czarlinski keinen Anlaß zu einer Erwiderung bieten, wenn ih nicht dur zwei seiner Bemerkungen hierzu doch be- wogen würde. Er hat zunächst mehrere Beamte beshuldigt, daß sie unrihtige Berichte gemacht hätten, und zwar um sich dadur pekuniäre Vortheile zu vershaffen. Ih fordere den Herrn Abg. von Czarlinski auf, mir hierfür Beweise zu bringen ; ih werde dann das Erforderliche veranlassen. So lange mir diese Beweise aber niht gebraht werden, muß ih gegen ein derartiges Vorgehen hier auf das energishste protestieren. (Bravo! rechts.)

Der Herr Abg. von Czarlinski hat sodann bei der Verhandlung der Fahnenfrage, wenn ih ihn recht verstanden habe, Folgendes geäußert. Er sagte: man fragte sich in der Provinz Posen, was denn wohl der Grund zu der Veränderung der Fahnen und zu der Wahl der Farben weiß-shwarz-weiß gewesen wäre, und er theilte mit, von einigen Seiten wäre gesagt worden, von Allerhöchster Stelle würde die Lage der Polen als so außerordentlih bedauerlih angesehen, daß man deswegen diese Farben gewählt habe. Meine Herren, ih kann es nur auf das lebhafteste bedauern, daß man von dem meines Vifssens sonst hier stets beobahteten Grundsaß, die Allerhöchste Person und deren Aeußerungen nit in die Diskussion zu ziehen, heute {hon zu wiederholten Malen abgegangen ist. Jch muß meinerseits hier- gegen und namentlich auch gegen die Art des Hineinziehens in die Diskussion auf das ernstlichste Verwahrung einlegen. (Bravo!)

_ Abg. Dr. Sattler (nl.): Es freut mich, n Herr von Czar- [insfi es als Pflicht der Staatsregierung bezeihnet. hat, das Deutsch- thum zu pflegen. Das Vorgehen der Polen gegen uns ist erklärlich. Aber es ist kein Vergnügen und noch weniger eine Ehre für mich, wenn ih hier gegen einen Deutschen kämpfen muß, der da sagt, der Verein zum Schuß des iert pt dp wirke heßerish gegen die Polen. Dem Minister bin ich dankbar für seine Erklärung. Die Fahnen- frage ist als Symptom zu betrachten, ebenso das Spielen polnischer Melodien. Ich freue mih über jedes Symptom, daß _die Staats- und auch die Reichsregierung von dem Bewußtsein erfüllt ist, das Deutschthum pflegen zu müssen. Das Bedauern des Grafen Limburg, daß der Reichskanzler im Reihhétage zur Polenfrage Stellung ge- nommen hat, mag formell berechtigt sein. Sachlih war das Vor- gehen des Reichskanzlers berehtigt. Die Stellung des Zentrums bedaure ih au; aber Graf Limburg hätte von dem Zentrum nichts Anderes erwarten follen. Bei der Jubelfeier des Zentrums hat Herr Lieberauch einen Toast auf die Polen ausgebracht. Seit 1885 bin ih Mitglied des Hauses, und ftets ist das Zentrum für die Polen eingetreten, und Herr von Stablewski hat L immer der Zustimmung des Zentrums zu er- freuen gehabt. Die Berufung dieses Mannes nah Posen war ein poli- tischer Fehler. Die Herren haben niht den Schatten eines Beweises dafür „erbracht, daß die Beamten hetzerish vorgegangen sind. Auch was man über Carnap gesagt hat, ist nicht in vollem Umfang erwiesen und Herr Jaeckel konnte höchstens zu dem Verlangen kommen, da die Regierung nah Posen nur die vorzüglihsten Beamten hin|chicke. Die Wendung in der Polenpolitik im Jahre 1894 erklärt sich aus der

[tung der Polen in Lemberg. Herr von Koscielski sagte dort : er dune nit alles aus\sprehen, was er denke, weil das \chädlich sein könnte. Ein „anderer Herr war {hon deutlicher, er sagte: wir sind und bleiben ein polnishes Land. Die Herren betrachten also Posen und Westpreußen als ein polnishes Land; Æ verquicken Polenthum und Katholizièmus. Jch bin erstaunt, daß Herr Jaeckel niht weiß, wohin diese Bestimmungen führen, und daß deutshe Dörfer im Laufe er Zeit dr worden sind. Weiß Herr Iaeckel nicht, daß die Polen nur bei Polen kaufen, und kennt er niht den Meineidöprozef in dem Falle, wo ein katholisher Geistlicher auch für die Deutschen éinen Gottesdienst einrihten wollte? Und da wagt er es, von eutshem Chauvinismus zu sprehen! Kennt er niht den Marcin-

Verein? Der H. K. T.-Verein war üur ein Akt der b es mit T , wenn ein deutsher und Tin C Ra Lt Bier dine soldhe Rede hat halten

azdzewsfki verwahrt sih dagegen, daß er an Mai eine Kritif geübt habe, und tritt den Aus- führungen des Abg. Dr. Sattler entgegen. Etwaige Ausschreitungen tadelten auch er und seine Freunde. Abg. Jaeckel: Ich habe niht behauptet, daß die Minister die Bevölkerung verhezen, sondern ihr Verhalten dazu beitrage, Bitterkeit bei den Polen und Chauvinismus bei den Deutschen hervorzurufen. Daraus entstehen dann Verheßzungen; das ift do ein Unterschied. Jh bin niht von den Polen gewählt worden, wie das Stimmenverzältniß zeigt. Dafür, as die Polen BO der Stimme enthalten haben, fann ih doch nichts. ch habe auch für die Folge eine Wiederwahl abgelehnt. Man hat mir Mangel an National- gefühl vorgeworfen; solhe Vorwürfe treten in der Regel an die Stelle sahlicher Gründe. Sie glauben ja, das National- gefühl gepachtet zu Haben, aber Ihr Nationalgefühl imponiert mir gar niht; es darf mit meinem Gerechtigkeitêgefühl nicht in Widerspruch treten. Ih fühle mich als Deutscher so stark, daß ih auf die kleinen Mittel des H. K. Tisten-Vereines verzihten zu können laube. Kleine Au8wüchse können mich niht shrecken. Das is mein ationalgefühl. Wir Deutschen in Posen wollen auŸ nicht, daß die Polen bei uns Profelyten mahen. Jch habe vom Standpunkt eines unparteiishen Deutshen gesprohen. Die meisten Deutschen stehen binter mir. Wir wollen endlich Ruhe bekommen in der Provinz. i E uns: den Leuten geschieht Unrecht, und das wollen wir nicht.

Abg. Schroeder (Pole): Herr von Stablewski hat das ihm von der Regierung bewiesene Vertrauen dur sein Verhalten voll- kommen gerechtfertigt. Der Minister komme uns mit Thatsachen, nicht mit Vermuthungen und auch niht bloß mit Friedensversicherungen.

Abg. Freiherr von Heereman (Zentr.): Herr Sattler hat seine Verwunderung darüber ausgesprochen, daß Graf Limburg bei uns nationales Gefühl vorausseze. Ich protestiere auf das lebhafteste geen 3 en Zweifel an meiner urdeutshen Gesinnung und meinem

ationalgefühl und weise ihn mit aller Energie und Entrüstung zurück. Ist das deutsche Nationalgefühl etwas spezifisch Konservatives oder Nationalliberales? Früher halt man uns Neichsfeinde, dann hielt man uns wieder für gute Menschen und Andere für Reichsfeinde. Gegen eine solche geringwerthige Deutung des Nationalgefühls vom Partei- standpunkt protestiere 1ch auch. J verurtheile jede polnishe Agitation und verlange von den r daß fe ih aus innerer Ueberzeugung auf den Boden unserer Verhältniffe \tellen und ehrliche preußische Unter- thanen sind. Die Polen haben aber niht nur Pflichten, sondern au Nechte, und ich bedauere, daß das Gerechtigkeitsgefühl in Preußen fo gigen ist. Das ist auch ein Sinken unserer Kultur und muß zur

narhie und zum Barbarismus führen. Nach der Verfassung dürfen auch die Polen sich zu Vereinen und Versammlungen zusammenthun, und daß sie dort polnisch sprehen, steht zwar niht in der Ver- fassung, ist aber für jeden Vernünftigen selbstverständlih. Die Polizei muß selber dafür sorgen, daß die Beamten polnisch sprehen, oder fie macht jedes Versammlungöreht illuforisch. Patriotismus follte man niemandem absprehen, wenn man keine bestimmten Beweise hat; ein folher Vorwurf is eine parlamentarische Unhöflichkeit. Was er- reihen Sie mit allen diesen Dingen? Glauben Sie, daß die Polen sftaatsfreundliher, verständiger werden dur eine Rechtsun- gleihheit? Man giebt damit ja nur Ma Ee Waffen in die Hand. Wir treten für jedes Recht ein, das bedrückt ist, und das sagen wir allen denjenigen, die so schwer von Begriff sind in diesem Punkte. Wir haben es. immer gethan und werden es auch künftig thun zum Wohle des Vaterlandes. Nennen Sie uns eine einzige undeutsche That des Zentrums! So lange Sie das 'niht können, muß ih ver- langen, daß Sie uns mit solhen Angriffen vershonen.

Akg. Nad byl (Zentr.): Der Minister hät neulich einen Gegen- faß zwisGen Hochpolnish und Wasserpolnisch behauptet. Das Wasser- polnische ist gar kein besonderer Dialekt, fondern nur das alte Polnifch, das in Oberschlesien nur niht so vollständig ausgebildet ist wie in osen. Die Bezeichnung kommt nur daher, daß man die auf ihren lößen die Oder befahrenden Oberschlesier in Breslau Wasserpolen enannt hat. Man behauptet, das Wafferpolnische sei mit andern diomen durchsezt. Sie können niht behaupten, daß Friedrich der Große ein besonderer Förderer des Polenthums gewesen fei; in seinen Shriften finden Sie aber unendlich viele französishe Ausdrücke, und sein Deutsh war noch lange nit so gut, wie das der oberschlesischen Bauern heute. Die Obersclesier sind immer gute Preußen gewesen und haben niemals eine großpolnishe Agitation getrieben. In der Kon- Ee haben: fogar die Oberschlesier ihrer Hochahtung für Seine ajestät dadur Ausdru gegeben, daß sie bei der Wahl dem König ihre Stimme gaben, obwohl ihnen gesagt wurde, das ginge niht an. Eine Erregung besteht allerdings in Oberschlesien, aber nur über die Verfügungen der Regierung. Die Leute wollen nur ihre Muttersprache unverkümmert behalten. Die Schriftsprahe in Ober- Era ist das Hochpolnishe. Der Minister beurtheilt die ober- chlefishen Verhältnisse auf Grund falscher Berichte der Beamten. Er vertröstet uns auf das Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerichts. Wir haben aber doch schon ein solhes Erkenntniß und das Gefeß. Er will „ganze Arbeit“ machen, wenn das neue Erkenntniß nicht seinen Intentionen entspriht. Will er etwa das Vereins- und Ver- fammlungsrecht der Polen ganz beseitigen? Dagegen müssen wir uns ganz entschieden erklären. Um 41/2 Uhr vertagt das Haus die weitere Berathung

auf Donnerstag 11 Uhr.

Nr. 6 der „Veröffentlihungen des Kaiserlihen Ge- fundheitsamts" vom 10. Februar hat folgenden Inhalt: Ge- fundheitsstand und Gang der Volkskrankheiten. Zeitweilige Maß- regeln gegen Pest. Geleygchung u. st. w. (Deutsches Reich.) Ein- ful, Anlagen zur Herstellung von Alkali-Chromaten. Wein- untersuchung. (Oesterreich. Vorarlberg.) Gemeinde-Hebammen. (Ungarn.) Diphtherie. Handapotheken. (Vereinigte Staaten von Amerika.) Quarantäne. (Queensland.) Viehsfeuhen. Gang der Thierseuhen in Deutschen Reihe, Januar. Desgl. Tollwuth 1895. Thierseuhen in Ungarn 1896, 4. D Rinderpest in Süd-Afrika. Zeitweilige Maßregeln gegen T jerseucten. (Preuß. Neg. Bez. Königsberg, Gumbinnen, Marienwerder, Cassel, Braun- \chweig, Oesterreih, Schweden, Malta.) Verhandlungen von gesetz- gebenden Nerpersalten. (Deutide Reich.) Maul- und Klauenseuche. Wodhentabelle über die Sterbefälle in deutshen Orten mit 40 000 und mehr Einwohnern. Desgl. in größeren Städten des Auslandes. Grkrankungen in Krankenhäusern deutscher Großstädte. Desgl. in deutshen Stadt- und Landbezirken. Witterung. Besondere Beilage: (Deutsches Reich.) Vorschriften, betreffend die gesundheits- polize liche Kontrole von Seeschiffen.

Statistik und Volkswirthschaft.

Der Spar- und Bauverein zu Blumenthal bei Bremen “Tas feind Thätigkeit Ref dem Gebiete der sozialen eform.

Inter allen Bestrebungen, welche die Förderung des ökonomischen, rörverliden und Alien ohls der minder Bemittelten bezwecken, ift keine so wichtig, wie diejenige, welche sih auf Beschaffung von gesunden, billigen Arbeiterwohnungen richtet, Die große Si guter Wohnungen für dle Mali und materielle Hebung der Arbeiter leudtet ohne welteres etn. Alle Faktoren, welche hier eine allmähliche, \stetige Besserung herbeizuführen geeignet sind, verdienen daber ernste

Beachtun Ei olhen Faktor ftellen die Baugenofsenshaften dar, die T Zweck s R gute fes vetige ed

zu sorgen. In England und in Amerika haben die Baugenossen- schaften einen großartigen Erfolg gehabt und die Uebelstände jene

In richtiger Erkenntniß der E unserer Zeit hat sih im Kreise Blumenthal, in welchem seit dem Jahre 1884, als das Bremer Großfkapital infolge des Rückgangs der Rhederei sich zeitweilig mehr der Industrie zuwandte, in rasher Folge eine Reihe neuer bedeutender Fabriken entstand und diese {nelle industrielle Entwickelung einen außerordentlichen Bevölkerungszuwachs bedingte, zur Förderung des Wohls der Arbeiter eine Baugenofsenschaft gebildet, die vor kurzem ibren ersten Geschäftsberiht, verfaßt von ihrem Mitbegründer Land- rath P. Berthold in Blumenthal, veröffentliht hat*), und auf. deren Thätigkeit hiermit die Aufmerksamkeit gelenkt sei. Der Spar- und Bauverein u Blumenthal bei Bremen, wie ih die Genossenschaft nennt, hat id die Aufgabe gestellt, seinen Mitgliedern, die den Arbeiterkreisen angehören follen, gute und billige Wohnungen in eigens erbauten Einzelhäusern zu verschaffen, die in absehbarer Zeit deren Eigenthum werden können, dabei aber die Arbeiter bis dahin nicht in Unselbständigkeit zu erhalten, sondern sie freiwillig und thats- kräftig, dur Selbstverwaltung und Sparthätigkeit bei dem ihnen zum Nuten Sritenten Werke selbst mitarbeiten und mitbestimmen zu laffen. r hat als Grundsaß aufgestellt: erstens, daß jeder Ge- nofse bauen kann, nach welchem Plan er Lust hat, jedoch so, daß nicht über das Bedürfniß einer Arbeiterfamilie, nicht offenbar unzweck- mäßig und nicht unfolid gebaut werden darf; zweitens, daß jeder Genosse die ihm genehmen Bauhandwerker wählen darf, jedoch unter der Bedingung, O die bedungenen gle der Genehmigung des Vereins bedürfen und jeder Bau- andwerker, der \sich einmal als unzuverlässig erwies, dauernd von der Liste der zugelassenen Unternehmer gestrißhen wird. Der Arbeiter wird mithin nicht in ein fertiges Haus hineingeseßt, sondern foll das Haus bauen, foll felbst der Bauherr sein. Mit 16 Einzelhäusern für je 2 oder 3 Familien is im Jahre 1894 der Anfang gemacht worden ; 28 folgten im nähsten Jahre und 1896 weitere 64 Häuser, sodaß der Verein seit seinem jährigen Bestehen insgesammt 108 Häuser errichtet hat, deren Buchwerth, eins{hließlich allen Zubehörs, La: Led 432 009 Æ stellt, d. i. im Durchschnitt auf 4000 % für as Vaus.

Was die Mittel hierzu anlangt, so muß jedes Mitglied der Ge- nossenschaft einen Antheilschein zeihnen, der aber niht fofort voll ein- gezahlt zu werden braucht. Vom Eintritt in den Verein an is auf den Antheilshein alle zwei Wochen 1 #4 bis zur Vollzahlung von 200 M zu entrihten. Die Leistung größerer Ratenjahlungen fowie Vollzahlungen des Antheilscheines sind gestattet; mehr als 5 Ge- häft8antheile darf jedoch kein Genosse erwerben. Andererseits kann der Vorstand auf Antrag den Betrag der zweiwöchentlihen Raten- zahlungen ausnahmsweise auf eine geringere Summe als 1 A er- mäßigen. Wer seinen Antheilschein voll bezahlt hat, erhält seinen An- theil am Gewinn baar ausbezahlt, den übrigen Mitgliedern wird der Gewinn gut geschrieben. Die Baugelder stellt im vollen Betrage die Invaliditäts- und Altersversiherungsanstalt Hannover dem Verein gegen 33 prozentige Verzinsung zur Verfügung. Diejenigen Mit- glieder der Genofsenshaft nun, die ein Haus \sich bauen und zu Eigenthum erwerben wollen, haben für die Baustelle nebs Garten, welche in der Regel die Form eines Rehtecks von 173 m Front und 75 m Tiefe, also eine Größe von rund 13 Ar erhält, 500 46 zu be- zahlen. Nah Vollendung des Baues hat der An- wärter vorläufig als Miethe 34% des Baukapitals, d. i. also nur soviel, als der Spar- und Bauverein selbst der Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt an Zinsen für deren Dar- lehn zu zahlen hat, zu entrihten und außerdem jährli 2 9% des Baukapitals abzutragen. Die auf der Anbaustelle ruhenden Lasten, die Feuerversiherung und die laufende bauliche Unterhaltung hat der. Anwärter zu fbérnebinen: Vertrags8mäßig bleiben indessen Grundstück und Gebäude « zunächst noch im Eigenthum des Vereins, und die Vebertragung auf den Genossen erfolgt ers dann, wenn von diesem ein Drittel auf den Werth des Besißthums, Grundstückspreis und Baukosten zusammengerehhnet, abbezahlt ist. Geht dann das E thum auf den Genossen über, so ist ihm von der Inyvalíi- ditäts- und Altersversiherungsanstalt Hannover zugesihhert, daß die rückständigen zwei Drittel zu 9% und auf 10 Jahre un- kündbar ihm belassen werden. Als im vorigen Jahre einige industrielle Unternehmungen des Kreises abermals 1000 neue Arbeiter von aus- wärts heranzogen, bei denen inhaltreihe Sparkassenbücher nicht zu vermuthen waren, machte der Verein den Versuch, strebsamen Arbeitern auch die Baustelle ohne Baarzahlung zu überlassen und zur Ab- tragung des Bauplaßpreises eine dreijährige Frist zu gewähren, wäkread deren der statutenmäßige Abtrag von 2 9/6 auf die Haus- baushuld ruht. Diese Bedingungen find gewiß außerordentlich günstig. Die Sparkassenzinsen der für den Bauplay angezahlten 500 M entsprehen in jener Gegend ungefähr der Pacht für einen halben Morgen Land. Der Baupreis für ein Arbeiterhaus orts- üblicher Art mit zwei Stuben, Küche, drei Kammern, Keller, etwas Bodenraum und Stallanbau läßt ih bei sparsamer Einrichtung auf etwa 3600 M ermäßigen. 34/9 Miethzins betragen 126 , die Lasten und Abgaben etwa 12 4, die Gesammtmiethe also 138 #4; das ift ungefähr eben so viel für das ganze Haus, wie die ortsübliche Miethe für halb so viel Räume in Blumenthal beträgt. Wenn eine der drei Kammern zur Küche eingerihtet wird, kann der Genosse eine Wohnung, bestehend aus Stube, Kammer und Küche, für sich be- balten und eine zweite Wohnung mit den gleihen Räumen abvermtethen, die bei dem daselbst berrs{enden Mangel an Wohnungen mindestens 80 bis 90 Æ und bei Nachlafsen desfelben immer noch 60 4 Miethe bringen muß; das ist ungefähr ebenso viel, wie an Abtrag zu entrichten ist. Mithin bekommt der Genoffe für denselben Preis, den er fonst an Miethe für eine dürftize Wobnung aufwenden muß, vom Verein eine neue, gesunde Wohnung und hat dabei die Möglichkeit, seinerseits eine Miethscinnabme zu ziehen, die, zum Sqculd- abtrag verwandt, in einem Menschenalter ihn zum s{uldenfreien Besizer seines Grundstücks macht. Zu beachten ift ferner, daß vor jedem Hause ein freundlies Vorgärtchen angelegt ift: meift ein Ziergarten mit Blumenbeeten, Rasen, Sträuhern, nah eigenster Erfindung der Bewohner, von denen viele die Rosenzuht pflegen, und daß neben und binter dem Hause fh der Nußtzgarten ausdehnt, mit Gemüse und Kartoffeln bestellt, in der Mitte von einem Gange durchzogen, der mit jungen Obftbäumen und Beerenobft eingefaßt ift. Jn der Be- arbeitung dieses Gartens fowie der Landparzellen, welche die meisten in der Nähe noh zugepahhtet haben auch für die Beshaffung einer hinreihenden Flähe Pachtland sorgt der Verein —, entfaltet sich ein großer Wetteifer unter den Genossen. Schon im Frühjahr 1895 konnten die erften Ansiedler von ihrem Ueberfluß für 50 frisches Gemüse verkaufen.

In Verbindung mit der Einrichtung seines Lane ens forgte der Verein auch für eine bequeme Spargelegenheit zur An- regung des Spartriebes je Genossen. Er hat mit den Betriebs- leitungen der industriellen Unternehmungen vereinbart, daß an den Babllagen der Vereins-Rendant in den Fabrikgebäuden die Spareinlagen der Genossen entgegennehmen f\oll, und die

abriken stellen dazu in dankenswerther Weise besondere Zimmer zur Verfügung. Hier können die Genoffen nah Empfang des Lohns in bequemster Weise das, was sie zurücklegen wollen, dem Rendanten abliefern und so ohne alle Schwierigkeiten im Laufe des Vierteljahres Miethe, Abtrag u. \. w. ansammeln, mit dem Vortheil nebenbei, daß das Geld ihnen inzwischen 3 9% Zinsen trägt. Damit nahm der Verein eine große Arbeit auf sich, aber der Erfolg hat den Erwartungen entsprochen. Die Einrichtung is von Anbe- ginn an mit Freuden benußt worden, und ihr ist es wohl in der Hauptsache

*) Der Spar- und Bauverein zu Blumenthal bei Bremen“ Von p. Berthold, Landrath in Blumenthal. Verlag von J.Ex

König u. Ebhardt, Hannover.