1897 / 39 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 15 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

erfüllen. Wenn die Sozialdemokratie die Feindin der Armee ift, welche dieselbe zerstören möchte, weil ihre Disziplin das größte Hinder- - für die sozialdemokratishen Bestrebungen ift, wie kann fie der- se ben noch mit Vorschlägen kommen und fo naiv sein, auf eine Be- olgung dieser Ratbschläge zu rechnen! Die Logik würde damit an- fangen, daß die Herren, die niht auf dem Boden der Gesellschafts- ordnung ftehen, keine Mandate annehmen; oder man müßte die Gesetzgebung dahin ändern, daß denjenigen, welche die Staatsordnung nicht anerkennen, die Mandate aberkannt werden. Jch wünsche nur den Taz zu erleben, wo die Herren (Sozialdemokraten) von ihren Pläten ausges{hlossen werden dur geseßlihe Bestimmung oder dur die Einsit der Bevölkerung. Wir befinden uns mitten in der Revolution seit dem Tage, wo Sie (zu den Sozialdemokraten) Ihre Pläye eingenommen haben. Man verlangt von der Militärverwaltung immerfort Reformen. Hat sich die Armee denn nit in drei glorreichen Kriegen außerordentlih bewährt ? Die Ver- Pflegung foll zu shlecht sein. Sehen Sie fih toch unsere lieben

lauen Jungen an, fehen die nicht ganz gut aus? Sie verlangen die warme Abendkost u. . w., aber das Geld dazu bewilligen Sie nicht. Wir würden es gern bewilligen. Ob die Sozialdemokraten gekenn- zeichnet werden, weiß ih nicht; aber wenn sie in der Armee find, werden sie ebenfo behandelt wie die anderen Leute. Sie werden natür- Iih beobachtet, und jeder Hauptmaun freut sih, wenn ein solcher Mann sih gut führt,- wenn sich zeigt, daß die militärische Erziehung auch wirkt bei solhen Leuten, die aus nit loyalen Kreisen kommen. Veber die Militär-Strafprozeßordnung können wir noch nicht urtheilen, weil wir sie noch nicht kennen und uns auf unbegründete Zeitungs- nachrihten niht einlafsen. Redner tritt dann für die Gebalteaufbe}e- rung der Musikmeister, der Zablmeister und der Militär- Geistlichen beider Konfessionen ein und empfiehlt eine befsere Regelung der Entschädigung für Vorspann- und Quartierleiftungen.

Kriegs-Minister General-Lieutenant von Goßler:

Ich hatte mich bereits zum Worte gemeldet, habe aber gern darauf verzichtet, um den Vertretern der größeren Parteien zu ihren Aeußerungen Zeit zu lassen. Jh muß daber zurückehren zu der Rede des Herrn Abg. Dr. Lieber. Er hat die mildernden Umstände im Prozeß Brüsewiß zur Sprache gebracht, und ich glaube aus seinen Ausführungen entnommen zu haben, daß unsere Anschauungen gar- uiht so weit voneinander entfernt find. Denn die mildernden Um- tände sind niht bewilligt, weil die Ehre des Brüsewitz besonders hoh geshäßt wurde, sondern weil das Benehmen des getödteten Siepmann, wie in dem Erkenntniß steht, provokatorisch war. Hieraus find die mildernden Umstände konstruiert worden. Ich bin übrigens gern bereit, dem Herrn Abgeordneten einen Einblick in das Urtheil zu gewähren, um ihm die Ueberzeugung zu verschaffen, daß nit eine einseitige, militärishe Beurtheilung stattgefunden hat. Seine Aus- führungen in Bezug auf die Allerhöchste Ordre vom 1. Januar d. J. haben meine volle Sympathie. Man kann sch nichts Schöneres denken, als daß man zu seinem Landesherrn das volle Vertrauen aus- \spricht. Der Herr Abg. Dr. Lieber steht somit ganz auf meinem Standpunkt.

Veber die Ehre hier im Reichstage zu diskutieren, bat meines Erachtens keinen ZweckX. Ich glaube, daß jeder Stand seine Ghre bat, wie ich früher bereits ausgeführt habe, und daß die Ehre des Standes am böchsten steht, der sie am reinsten erbält.

Ich wende mich nun zum Vertreter der sozialdemokratischen Partei, der mir den Rath ertheilt hat, ih möchte die Prozefse doch einstellen, die aus Anlaß des Falles Brüsewiz und anderer Fälle von mir eingeleitet worden seien. Zu meinem Vergnügen sübre ih keine

Prozesse; aber daß ih Beleidigungen auf der Armee sigen lassen

soll, ist niht meine Aufgabe ; im Gegentheil, es is meine Pflicht, alle Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten auf mich zu nehmen, um Beleidigungen, die gegen die Offiziere oder die Armee überhaupt an die Oeffentlichkeit gelangen, zu verfolgen. Und zu meiner großen Freude is es mir gelungen, in fast allen Fällen eine Verurtheilung zu erzielen.

Der Herr Vertreter der Sozialdemokratie hat seiner Partei ge- glaubt ein Verdienst beimefsen zu können, daß die Mißhandlungen in der Armee abgenommen haben. Auf diesem Standpunkt ftehe ih nicht, sondern im Gegentheil, ih glaube, daß die Verbreitung der fozialdemokratishen Ideen eine große Schwierigkeit für uns in der rihtigen Erziehung unserer Leute ist. Sie können hierauf {on {ließen aus den mannigfahen Verbrehen und zum theil fo blutigen Affairen, welche die Zeitungen füllen; denn es ergiebt sih hieraus, daß eine viel größere Verrohung der Jugend eingetreten ift, seitdem die Sozialdemokraten ihre Ideen verbreiten. (Lachen links, Bravo! rechts und in der Mitte.) Wir können das insofern nahweisen, als die Zahl der Vorstrafen der neu Eingestellten in einem ganz ungewöhnliden Maße zugenommen hat. Noch vor zehn Jahren war der durchschnitilißze Prozentsaß der Vor- bestraften 10 %. Ih will einzelne Armee - Korps anführen. Ih habe die Nachweisungen aus dem letzten Jahre hier. Beim IX. Armee-Korps waren 17,3 9% der Eingestellten vorbestraft (hôrt! hört! rechts und in der Mitte), beim XV. Armee: Korps 19,8, beim XVI. Armee - Korps 19,8 9%. Also, meine Herren, daß die Sozialdemokratie mit ihren Anschauungen nicht eine Veredelung der Bevölkerung herbeiführt, ist hiernah zweifellos: (Sehr richtig !)

Es ist dann der Herr Abgeordnete übergegangen auf Details, die sich in Dessau abgespielt haben sollen. Jch bin zu meinem Bedauern darüber niht genau orientiert; ih würde aber den betreffenden Gast- wirthen gerathen haben, wenn ihre Wirthschaften als Schweinebuden bezeihnet worden sind, den Weg der Klage zu beschreiten. Das ist doh die einfahste Folge, die daraus gezogen werden kann. Aber beim Gehalt des Kriegs-Ministers auszuführen, ein Lieutenant in Dessau hätte die Wirthschaften als „Schweinebuden" bezeichnet, das gehört doch nicht vor den Reichstag. (Sehr richtig !)

Daß die Leute niht mit „Du“ angeredet werden dürfen, i elne uralte Bestimmung, die {hon seit den Befreiungskriegen besteht.

Ferner ift von einem von Offizieren besuchten Lokal in Dessau gesprohen worden, in dem si dieselben mit Seideln geworfen haben sollen. Auch hierüber ist mir nichts bekannt, und kann ih daher diess Nachricht, bis der Beweis der Wahrheit erbraht, nur für Klatsch erklären.

Daëselbe if der Fall bezüglich der Rede des Herrn Obersten Vollard von Bockelberg, von der ih ebenfalls nihts gehört habe.

Es ist dann noch erwöhnt worden, daß zwei Sozialdemokraten oder Anarchisten kriegsgerihtlich mit einer längerin Freiheitsftrafe bestraft worden seien. Das ift vollkommen richtig. Ih habe die Akten hier. Die Leute waren Arbeitssoldaten, befanden ih beide in der zweiten Klasse des Soldatenstandes und haben ein recht be- trä6tlihes Strafverzeichniß binter sch; es nimmt fast zwei Seiten ein; ih ftebe davon ab, es bier zu verlesen. Diese beiden Leute haben die Frechheit gehabt, bei einem militärischen Transport nah ihrem Nebungsort [aut ¡zu schreien, der eine: ih bin Sozialdemokrat,

der andere: ich bin Anarchhist, und sind infolge dessen wegen s{hwerer Verlegung der Disziplin und, meines Grachtens, mit vollem Recht exemplarisch bestraft worden.

Von meinem Standpunkt aus kann ih das nur im höchsten Grade billigen. (Sehr rihtig!)) Die Herren haben mir dann an- gerathen, wir sollten doch der Verbreitung s\ozialdemokratischer Zeitungen in der Armee fernerhin keine Schwierigkeiten mehr in den Weg legen. Da muß ih do dringend bitten, sh zunächst erst einmal Ihre eigenen Verhandlungen in Gotha anzusehen. Hier liegt die Broschüre, die ih zu meinem Bedauern habe durhsehen müssen. (Heiterkeit rechts.) In derselben wird unter anderem auch Ihre eigene Prefse einer sehr eingehenden Kritik unterzogen. So ist z. B. die Wahrheitsliebe und die Redaktion des „Vorwärts* in einer Weise kritisiert worden, die diese Zeitung in meinen Augen noch mebr herabgeseßt hat; hatte ih fie doch immer noch für befser ge- halten, als fie von den eigenen Genoffen bei dieser Gelegenheit ge- schildert wird. (Große Heiterkeit.) Außerdem giebt es noch eine Beilage des „Vorwärts“, „Die neue Welt“, die ih bis dahin aller- dings noch nicht kannte. Auch die Verhandlungen über dieses Blatt gaben einen interefsanten Ueberblick über den Inhalt der in

demselben gebotenen Unterhaltungslektüre, die von den eigenen Ge-

nofsen als „ftinkende Schweinerei* bezeichnet wird. (Große Heiterkeit.) Es ift dieses von besonderer Bedeutung, wenn man bedenkt, daß die „Neue Welt" in 200 000 Exemplaren mit einem jährlihen Zuschuß von 48 000 aus der Parteikafse verbreitet wird, um als Unter- haltungsblatt für die Arbeiterfamilien zu dienen. (Große Heiterkeit.) Ich will dieses Thema niht näher ausführen; es ift zum theil nicht gerade appetitlich und sind seruell gemeine Sahen mit Vorliebe behandelt und troßdem ift beim Schluß der Debatte über diese Aus- führungen in Gotha gesagt worden, die Diskussion über die „Neue Welt" bätte gezeigt, daß die sozialdemokratisbe Partei auf den Höben der Menschheit wandele. Nun, der Geshmack if verschieden; ih halte das für die Tiefen der Menschheit. (Bravo! rets.)

Daß wir aber jemals die Prinzipien der Sozialdemokratie im Heere anerkennen werden, ift völlig ausgeshlofsen, wie ih das bei meiner gestrigen Rede {on näher ausgeführt habe. Die Beschlüffe, die in London gefaßt worden sind, laffen gar keinen Zweifel, daß es fich um eine Partei handelt, die antinational if. Ich will die hierauf bezüglichen Stellen aus dem Bericht vorlesen:

Dieser Kongreß versteht unter politisher Aktion alle Formen des organisierten Kampfes zur Eroberung der politishen Macht und die Ausnützung der Geseßgebungës- und Verwaltungseinrihtungen in Staat und Gemeinde durch die Arbeiterklasse zum Zwecke ibrer Gmanzipation, und weiter : Der Kongreß erklärt, daß er für volles Selbstbestimmung®8recht aller Nationen eintritt und mit den Arbeitern jeden Landes sympatbisiert, das- gegenwärtig unter dem Joche des militärischen, nationalen oder anderen Despotismus leidet. —- (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Mit anderen Worten : die ganze Bewegung ift eine antinationale und eine internationale. Wie man unter diefen Umständen, wenn man die Grundlagen unserer Reichsverfassung leugnet, die Staatsform eventuell völlig umändern will, die Person des Königs nicht mehr achtet, kurzum alles, was wir in dieser Beziehung in Deutschland beilig balten, vollkommen auf- geben will, verlangen kann, daß derartige Ansihten in der Armee, die zua Schuße dieser Einrichtungen da if , verbreitet werden, das ift mir unverständlich. (Bravo! rechts.)

Meine Herren, auf die Charakterisierung des Offizierstandes gebe ih nicht näher ein. Doch ift das bier mit einer solhen Einseitigkeit und mit einem so vollständigen Mangel an Kenntniß der Pflichten des Offiziers geschehen, daß ih diefe Ausführungen nur auf das lebhafteste bedauern kann. Der Versuch, die Politik in die Armee zu tragen, wie es der Herr Vorredner empfoblen hat, ist ein sehr ernster. Unser ganzes Bestreben geht im Gegentbeil dahin, die Politik von der Armee fern zu halten. (Sebr richtig!) Ich glaube, keine Partei würde empfehlen können, eine folhe gewaltige Macht, wie sie unsere Armee darstellt, in das Treiben der Politik binein zu werfen.

Die Lage der Musikmeister und Zablmeister wird im Auge be- halten werden. In Betreff der Entschädigung für Vorspann {weben Erörterungea, und in Betreff der Manöver bin ich gern bereit, die Erfahrungen, die wir beim vorjährigen Kaisermanöver gemacht haben, zu verwertben. (Bravo!)

Abg. Dr. Hasse (il.): Die deutshe Sozialdemokratie unter- scheidet sh von der französishen und englishen unvortheilbaft dadurch, daß fie antinational ift. Die Kasernenaggitation foll ja jeßt unterbleiben, sagen die Sozialdemokraten , weil die Betheiligten dadurch geschädigt werden. Das i} so, als wenn man den Diebstahl nur deéwegen verurtbeilt, weil man bestraft wird, wenn man erwisht wird. Daß Sozialdemokraten im Heere sind, ift begreiflih, da sie einea großen Theil der Bevölkerung ausmachen. Der englishe Staattsekretär des Krieges bat gesagt, daß die englishe Armee keine Rekruten bekommen würde, wenn fie der Sklaverei unterworfen würden, die in der deutshen Armee herrshe. (Zuruf: das ift ein Sozialdemokrat !) Nein, das ist kein Sozialdemokrat; den würde ih nicht erwähnen. Eine solche Aeußerung is eine Unvershämtbeit und eine Lächerlihkeit. Ehe Jemand so etwas ausspriht, sollte er ers unsere Verbältnisse kennen lernen.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Auch jedes bürgerliche Gericht hätte demjenigen, der so wie Herr von Brüsewitz provo- ziert wurde, mildernde Umstände bewilligt; die Frage, ob die bürger- lihe oder die militärishe Ghre mehr verleßt werden fann, bleibt dabei ganz außer Betraht. Die Geschworenengerichte nehmen in weit weniger milden Fällen, z. B. bei Nothzucht, sehr oft mildernde Umstände an. Wenn Herr Peus behauptet hat, die Sozialdemo- kraten verhängen niht den Boykott wegen der politishen Gesinnung, fo shlägt das den Thatsachen ins Gesicht. Hier in Berlin kann kein nicht\ozialdemokratisher Maurer irgendrvo mebr Arbeit finden, Die Sozialdemokraten verlangen, daß black legs nit bescäftigt werden. In Hamburg find die arbeitswilligen Leute derart belästigt worden, daß die Polizei sie beshügen mußte. Die Wohnungen der Strike- breher wurden bezeichnet. Die Arbeitéwilligen wurden so belästigt, daß einer sid nit anders belfen konnte, als einen Revolver zu ziehen und einen der Gegner todtzushießen. Nah Beendigung des Strikes sind die Arbeitgeber bereit, und das ist ein großes Zugeständniß, fo weit Play is}, die Sitrikenden einzustellen. Aber diese verlangen, daß die Arbeitswilligen entlaffen werden. Und das geschieht in einem Moment, wo die St1ikenden alle Ursache bâtten . . . (Vize-Präsident Spadbn: Jch vermisse den Zusammenhang dieser Ausführungen mit dem Gehalt des Kriegs-Minitters.) Der Abg. Peus bat daoon ge- sprohen, daß die Sozialdemckraten den Boykott nit wegen der Gesinnung verhängen. (Vize-Präsident Spa h n: Ic hake die Aus- führungen des Abg. Peus nicht gebört, meine aber, daß diese auch nicht hierher gehörten.) Ih werde bei der Beratbung des Achtftunden- tages darauf zurückfommen. Wie fann man Anerkennung als

gleihberedtigte Partei verlangen, wo man selbst sagt: Das König, thum ift niht die leßte Spiße der Gatwickelung! Deshalb muß unter allen Umftänden verhindert werden, daß das sozialdemokratis{e Gift in die Armee eindringt. Herr Bebel hat ¡war eine unter den Soldaten verbreitete Broschüre für Blödsinn erklärt; aber auf die Gefahr bin, au für blödsinnig gehalten zu werden, erkläre ih, daß ich jedes Wort der Broschüre untershreibe. Wenn man irgend ein sozialdemokratisches Machwerk angreift, dann beißt es: es if nicht Parteisahe. Was ift denn parteioffiziell ? Etwa bloß der „Vorwärts* ? Herr Bebel glaubt berechtigt zu sein, Alles, was ihm ein Anderer mittheilt, auch wenn er feine Beweise dafür hat, öffentlich aussprechen zu können, auch wenn es Beleidigungen und Verleumdungen sind. Berichtigungen werden von den fozialdemokratishen Zeitungen gar niht aufgenommen. Herr Peus bat ja uns alle als theilweise Atheiften bezeichnet. Dagegen muß ih do energish proteftieren. Der rothe Kalender ift wieder erschienen; er entbält nihts als ein Sammel- futrium von Gedächtnißtagen von Blutthaten. Es ift \{wer, etwas Neues zu sagen. Das Buch Bebel's über die Frau ist nicht offiziell, aber es ift auch nicht verboten. Das Buch proklamiert die freie Liebe, die ja au in fozialdemokratishen Kreisen geübt wird. Gin Führer der Sozialdemokratie in Ostpreußen hat sich ershofsen, weil er ein vierzebhnjähriges Mädchen verführt hat. Das Parteiblatt spricht davon, daß er gegen den Sittenkodex derer von der zablungsfähigen Moral verstoßen babe. Der Vater des Mädchens, der am meisten zu dem Ents{luß des Selbstmordes beigetragen bat, habe selber im Zucht- bause gesessen. Also deshalb ist das Mädchen den Verführungen eines Wüstlings preisgegeben. Es ift selbstverständlich, daß die Heeres verwaltung dafür sorgt, daß solhe Gefinnungen von der Armee fern

gehalten werden.

Abg. von Vollmar (Soz.): Man kann eine Debatte fo fahlih beginnen, wie man wid, von mir hat das Graf Arnim an- erkannt —, so bringen Sie es immer fkunfivoll dabin, daß daraus eine Sozialistendebatte wird. Glauben Sie uns dadur zu schaden außer- balb des Hauses? Sie können noch s{chönere Lesefrüchte vortragen, und wenn wir uns garni{t daran betbeiligen, wir werden den Nutzen davon baben. Graf Roon ift der richtige Reafktionär, von keiner konstitutionellen Idee angekränkelt; er steht auf dem Stand- punkte, auf dem der vollgewictige Rufse steht. Er glaubt, dur§ Unterdrüd@ung fozialistiswer Anschauungen die Grundlage der Sozial- demokratie beseitigen zu können. Der Kriegë-Minifter sprah von der Verrobung der Iugend und von anderen Dingen, die niht in sein Refsort eins{lagen. Ueber solhe ftaatsrechtlihen und politischen Din wollen wir de lieber mit den andern Refsorts verhandeln. Jch ha niht behauptet, daß der Straßburger Proviantbeamten-Preozeß erft dur die öffentliche Diskussion veranlaßt sei, sondern nur, daß dieses öffentliche Verfahren manwes zu Tage gefördert habe, was im Disziplinarverfahren nit offenbar geworden wäie. Wenn in die Armee die Politik eingeführt wird, fo ift das bedenklih; aber wer bringt die Politik in die Armee anders als derjenige, der von allen politishen Anschauungen allein die fozialdemokratishen aus der Armee aus\ch{ließt! Wir verlangen allgemeine Rechtsgleichheit ; das Gese fennt feine strafbare sozialdemokratishe Gesinnung. Strafen Sie Thaten, aber verfolgen Sie nicht die bloße Gifinnung! Der Kriegs-Minister macht es fich dcch allzu leiht, politis zu debattieren. Die Literatur über Sozialiomus und Arbeiter- bewegung ift eine große und beanspruckcht ein Studium für sich, zu welchem die anderweitig beschäftigten Herren von der Heeresverwaltung faum Zeit haben. Sie follten eine flüchtige Lektüre nicht für hinreichend balten zur Bekämpfung der Sozialdemokratie. Was bedeutet die Aeußerung eines Einzelnen auf einem Kongreß für die ganze Sojial- demokratie? Theilt die Armee etwa alle Ansihten des Generals von Boguélawski? Die Offiziere fteken unter derjelben Disziplin, fommen also in ibren Ansichten ziemlich überein. In der Sojzial- demokratie fehlt es an folher Disziplin. Keine Partei ift verant- wortlih für alles das, was ein Einzelner sagt. Ich babe von den nationalen Auffassungen der Sozialdemokratie gestern g-\prochen. Der Kriegs-Minister bezeihnete sie als vaterlandslos. Damit bat er auch mich der Unwahrheit geziehen. Was würde der Kriegs-Minister er- widern, wenn ih obne Beweis feine Behauptung als unwahr bezeihnen würde? Ich bin jedenfalls ein besserer Interpret der Meinungen über Bestrebungen meiner Partei, als der Kriegs- Minister, und €s bringt nicht nur der parlamentarische Brauch mit sich, sondern ih habe auch ein verfönlihes Recht darauf, daß man meine Worte nicht in Zweifel ziekt.

General - Auditeur Ittenbach: Der Vorredner hat gestern bereits behauptet, daß ein Gnadengesuch niht weiter befördert worden sei. Ich kann die ganze Geschichte als ein Märchen bezeibnen. Daë Urtbeil, durh welches der Lieutenant von Köster wegen Zweikampfs mit zwei Jahren Gefängniß bestraft ist, erging Dezember 1880; die Akten wurden übersendet mit dem Gnadengesuch. Das Grkenntniß ist mit dem Gnadengesuh Seiner Majestät vorgelegt worden. Das General-Auditoriat hat sich für das Gnadengesuch ausgesprochen, und Seine Majefñät bat das Urtheil gemildert. Der Herr von Köfter bat aber die Ansicht gehabt, daß er eine größere Milde ver- dient bätte. Ueber solde Gnadengesuche hat lediglih Seine Majestät ju entscheiden, und jeder Kommandeur, der ein foldes Gnadengesud zurückbalten würde, würde niht lange mehr Gerihtsherr bleiben. Herr Bebel bat zwei Fälle angeführt, in welwen Angeklagte, die im friegegcrihtliden Verfahren verurtheilt waren, von den Zivil- gerihten freigesprohen wurten. Es handelte sich um die Fälle Noack und Streblau. Im Falle Noack sind im Zivilverfahren Mik- handlungen ermittelt worden, aber fie lagen vor der Zeit, wo Noaë Mißbandlungen gesehen haben wolite. Der Unteroffizier ift bestraft worden. Strehlau klagte nah seincr Entlassung über Mißhandlungen. Die Akten wurden sofort an die Staatsanwalt abgegeben, die Sache sollte nicht rertusdt werden. Das Verfahren vor dem Zivilgerickt fand na 10 Iabren statt, die Sache muß also nitt so einfach gelegen haber. Die Bestrafung der Schultigen ift erfolgt.

Abg. Dr. F êrster- Neustettin wendet sich gegen die Ausführungen des Kriegs-Mintfiers und des General-Majors Freiherrn von Ger mingen, die ibn mebrfach falsch rerftanden tätten.

Darauf wird ein Vertagungsantrag angenommen.

Periönlich bzmerkt

Abg. Graf von Roon: Wenn mich der Abg. Vollmar fè: einen Russen erklärt hat, so versichere ih, daß ih ein sehr gutz: Deuticher und Preuße bin und noch dazu als Deutscher und Preuts auf dem Boden stebe, den diese Länder in ihrer Verfassung haben: das schließt aber niht aus, daß ih unter Umständen Abänderunge* dieser Verfassung wünsche und unter anderem wünsche, daß die Herrzx mir nicht gegenüberstehen,

Schluß 51/4 Uhr. Nächste Sißung Montag 1 Uhr. (For sezung der Berathung des Militär-Etats).

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

32. Sigung vom 13. Februar 1897.

Ueber den ersten Theil der Sigung ist vorgestern berichtet worden.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts-Gtats für 1897/98, und zwar des Etats des Ministeriums des Innern, wird fortgeseßt. :

Bei dem Kapitel der Landgendarmerie befürwortet

Aktg. von Riepenbausen-Crangen (fkons.) cine Aufbefserzz@ des Einkommens der Gendarmerie, deren Aufgaten durch die beregungen immer sdwerer würden.

Abg. Mooren (Zentr.) beklagt sih darüber, daß die Gendarmz2 zu sharf mit dem Verlangen vorgingen, bei jeder Gelegenheit de JIagdschein vorzuzeigen.

Minister des Junern Freiherr von der Rede:

Meine Herren! Ich bin den verschiedenen Herren Vorrednern und, da fie sih cinstimmig in dem gleichen Sinne geäußert baben, dem hohen Hause sehr dankbar für die freundlihen Worte, die der Gendarmerie gewidmet sind. Ich kann versichern, daß die Königliche Staatsregierung in der Hohschäßung dieses vorzüglihen Korps mit dem hohen Hause vollständig sympathisiert. Auch sie ist der Meinung, daf den Gendarmen vollftändig ausreihende Bezüge gewährt werden müssen, schon aus dem Grunde, weil es erforderlich ist, die Gendarmen vor allen möglihen Anfehtungen zu sichern und zu hüten.

Ih muß aber doŸ darauf hinweisen, meine Herren, daß die Gendarmen erft im Jahre 1892 eine sehr er- heblihe Aufbefserung ihrer Bezüge erfahren haben. Diese Aufbesserung betrug fast 150%. Weshalb man die Frage der Aufbefserung der Bezüge bei der jeßigen Besoldungéaufbesscrung niht mit in Erwägung gezogen hat, ergiebt sih aus der Denkschrift. Das {ließt jedoch niht aus, daß die Königlihe Staatsregierung, insbesondere nach den Anregungen, wie sie hier aus dem Hause ge- geben worden sind, einer erneuten Prüfung dieser Frage näher tritt, und ich kann wobl versichern, daß es meinerseits an der wohlwollendsten Erwägung nit fehlen wird. (Bravo !)

Wenn ih mir dann noch erlauben darf, auf zwei Punkte zurück- zukommen, so möchte ich zunähst dem Herrn Abg. Mooren er- widern, daß die von ihm angeregte Frage, ob es zweck- mäßig sei, bei jeder Gelegenheit die Jagdscheine revidieren zu lafsen, in erster Linie das Ressort des Herrn Landwirth- schafts - Ministers berührt; ih nehme aber keinen Anstand zu erklären, daß es damals im Interesse einer wirksamen Ausführung des neuen Gesezes nothwendig erschienen if, wenigstens in den erften Jahren auf eine sharfe Revision hinzuwirken. Die von dem Herrn Abg. Mooren vorhin berührte Anordnung is von der Ministerial- inftanz ausgegangen; es wird ja nun Sale der Erwägung sein, ob es, nahdem inzwischen einige Jahre verflossen sind, mögli erscheint, in dieser Beziehung die Zügel etwas nachzulafsen.

Wenn dann der Herr Abg. Meyer (Rieméloh) mih gebeten hat, darauf hinzuwirken, daß den Gendarmen eine gewisse Latitüde bei der Verfolgung der Kontraventionen gegeben würde, so kann ih in Uebereinstimmung mit dem Herrn Abg. von Tzshoppe darauf nur erwidern, daß ih glaube, einer derartigen Anordnung wird es nicht bedürfen, wenigstens meinerseits nit. Ein verständiger Gendarm wird in dem Sinne verfahren, wie Herr Meyzr (Riemsloh) angedeutet hat.

Ueber einige spezielle, von den Herren Vorrednern angeregte Punkte wird ih mein Herr Kommissarius erlauben, noch einige weitere Erklärungen abzugeben.

5 R den allgemeinen Ausgaben im Jnteresse der Polizei wun

bg. Rickert (fr. Vgg.) Aufschluß darüber, wie viel von den geheimen Ausgaben von 200 000 4 für die Kriminalpolizei und wieviel für die politishe Polizei ausgegeben werde, und beantragt zu diesem Zwecke die Zurückverweisung des Titels an die Budget- kommission.

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:

Wenn ih den Herrn Abg. Rickert recht verstanden habe, ift der Zweck seines Antrages der, in der Budgetkommission festgestellt zu sehen, zu welchen einzelnen Ausgaben dieser Fonds verwendet wird. Ich möchte darauf nur kurz erwidern, daß meines Erachtens die Er- füllung eines derartigen Wunsches durch den Zweck des Fonds selber vollftändig ausgeschlossen if (sehr rihtig! rechts); der Fonds ist ja ausdrücklih „zu geheimen Ausgaben der Polizei“ bestimmt. (Heiter- keit.) Jch kann mich also nur gegen diesen Antrag aussprechen.

Aba. Graf zu Limburg-Stirum (kons.): Ih widersprehe dem Antrage auf Zurückverweisung an die Budgetkommission, weil der Minister im Interesse der Polizei keine Auskunft geben kann. Man muß der Königlichen Staatsregierung das Vertrauen senken, daß sie den Fonds nicht in ungeeigneter Weise verwendet. Die Frage könnte man noch dahin stellen, ob überhaupt geheime Fonds g find oder niht, und da muß i sagen, daß eine Regierung einen solchen Fonds niht entbehren kann. Daß vielleiht in einem einzelnen Falle eine Ausgabe als nicht zweckmäßig geleistet angesehen werden kann, kann im Großen und Ganzen meine Ansicht von der Nothwendigkeit eines solhen Fonds nicht ershüttern. Jch fann daher nur rathen, der Budgetkommission eine unnöthige Arbeit zu ersparen.

Abg. Dr. Sattler (nl.): Der Rehnungskommission könnten wobl in großen Gruppen diese Auëgaben gekennzeihnet werden, nicht der I omon. Aber viel weiter kommen wir damit auch nicht. ach den Erklärungen des Staatssekretärs Freiherrn von Marschall i für uns der Grund weggefallen, die politishe Polizei hier einer Cröôrterung zu unterziehen. Deshalb is au eine Zurück- verweisung an die Kommission nicht erforderlich.

Abg. Rickert: Ih wünsche nicht jede einzelne Ausgabe zu wissen, sondern nur die Kategorien, für welche dieser Fonds verwendet wird. Wenn auch niht im Plenum, so können wir doch in der Kommission eine vertraulihe Auskunft erhalten. Das geschieht im Reichstag oft.

Abg. Kirsch (Zentr.): Interessant wäre das ja für die Mitglieder der Kommission, dem gesammten Volke würde aber eine folhe ver- traulihe Mittheilung nihts nüßen. Besser wäre wenigstens eine allgemeine Erklärung des Ministers im Plenum.

Abg. Jansen (Zentr.) hält es nicht für angemessen, die RNech- nungskommission damit zu befassen; aber allgemein könnte der Minister eine Erklärung geben, damit man beruhigt sei, daß die Mittel rihtig verwendet würden.

Der Antrag Rickert wird abgelehnt gegen die Stimmen der Freisinnigen, der Polen und des größten Theils des Zentrums. Der Titel wird bewilligt. i

Bei den Ausgaben zu Prämien für die Ermittelung von Verbrechern tadelt

A Broemel (fr. Vgg.) unter Hinweis auf den Mord des Justiz-Raths Levy die Berliner Kriminalpolizei, die in diesem

alle nicht mit der nôthigen Schnelligkeit verfahren sei. Von 2 {weren Mordthaten in Berlin in den leßten Jahren seien nur in 16 Fällen die Thäter entdeckt. Die Kriminalpolizei müsse reformiert und besser besoldet werden. Die Anforderungen an diese Beamten seien gerade herabgeseßt worden, anstatt sie zu gern. Der Finanz-Minister hindere s hier eine ausreihende Besoldung.

hne eine solhe könne man aber keine geeigneten Beamten bekommen. eststellen, wie weit die Beamten an diesen Prämien und besonderen Remunerationen betheiligt werden. Hier handele es ch niht um geheim zu haltende Angelegenheiten. Die Sache müsse junächft eingehend in der Kommission berathen werden, und er eantrage die Zurückverweisung dieses Titels an die Kommission.

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Wenn der Herr Vorredner die Gewogenheit ge- habt hätte, meine Aeußerungen, die ich an anderer Stelle gethan habe, sih etwas näher anzusehen, so würde er gefunden haben, daß ih au von einer bevorstehenden Reorganisation der Kriminalpolizet gesprochen habe. Jh habe damals ausdrücklih hervorgehoben, daß ih auf Grund eines Antrages des Herrn Polizet-Präsidenten, dessen der

ir müßten

Herr Vorredner auch Erwähnung gethan hat, eine Kommission aus Sachverständigen zusammenberufen hätte, um ju prüfen, nah welcher Richtung hin etwa eine Reorganisation der Kriminalpolizei einzutreten bätte. Diese Kommission befindet sich noch in voller Arbeit, und es wird abzuwarten sein, welche Vorschläge von derselben gemacht werden. Bei diesen Berathungen wird auch die Frage der Vor- bildung der Polizeibeamten eine Rolle spielen, und es werden au bei dieser Gelegenheit die Einkommenéverhältnifse der Polizeibeamten einer näheren Erörterung unterzogen werden. Ich glaube also, daß es ent- sprechend wäre, wenn der Herr Vorredner \sih geduldet, bis die Re- sultate aller dieser Erörterungen vorliegen. Von einer Berathung der Sache in der Budgetkommission kann ich mir meinerseits einen Erfolg nit versprechen, und kann dem hoben Hause daber nur anheimstellen, den Antrag des Herrn Vorredners abzulehnen.

__ Abg. Broemel bleibt dabei, daß die Frage in der Kommisfion eingehend geprüft werden müsse.

__Abg. Dr. Sattler (nl.): Die Verbältnisse der Kriminalbeamten müfsen allerdings aufgebefsert werden. Die Kriminalpolizei hat ih zwar nicht als sehr glänzend erwiesen, mit einer Erörterung in der Kommission kommen wir aber durchaus nicht weiter.

, Abg. Broemel will von seinem Antrag absehen, wenn der Minister erklärt, daß er im nähsten Jahre dem Hause von den Arbeiten der erwähnten Kommission Mittheilung mahhen wolle.

Da der Minister darauf niht antwortet, hält Abg. Broemel seinen Antrag auédrücklih aufre{ht.

Der Antrag Broemel wird abgelehnt, der Titel wird be-

wine : : eim Kapitel der Strafanstaltsverwaltung spricht

Abg. Dauzenberg (Zentr.) seine Befriedigung darüber aus, daß eine Erziehungsanstalt für katholishe Mädchen in Gräfrath errichtet werde, und wünscht, daß zu Waisenräthen die Geistlichen der ver- schiedenen Konfessionen genommen würden. Die Zentcalinstanz zeige wohl Entgegenkommen gegen die Wünsche der Katholiken, aber nicht die unteren Organe. Der Ober-Präsident der vorwiegend katholischen Rheinprovinz habe in unangemessener, verleßender Weise vor den katholischen Geistlihen gewarnt.

Abg. Brütt (fr. kons.): Die Reorganisation unseres Gefängniß- wesens ift noch immer ein ungelöstes Problem. Ganz systemlos ift ein Theil der Gefängnisse dem Justiz-Minister, der andere dem Minister des Innern unterstellt. Es kann sehr wohl ein anderes Ressort die Strafe vollstrecken, als das, welches die Strafe verhängt. Das Gefängnißwesen muß einheitlich dem Minister des Innern unter- stellt werden. Meine Freunde meinen, daß das im Interesse der allgemeinen Sicherheit und der Bekämpfung der Angriffe auf das Gemeinwesen des Staates sein würde. Dann würde auch der Uebel- stand vermieden, daß die Einzelrihter als Gefängnißvorstände dem Staatsanwalt unterstellt seien.

Minister des Jnnern Freiherr von der Re e:

Meine Herren ! Jh kann dem Herrn Abg. Brütt eine beruhigende Erklärung abgeben und ihm sagen, daß die {hon so oft hier erörterte Angelegenheit einer einheitlihen Verwaltung des Gefängniywesens gefördert ift. Es ist allerdings mit Bestimmtheit niht vorauszusagen, daß die Sache in allernähster Zeit zu einen Abschluß gelangt, aber ih sehe do hon das Ende ab. (Bravo ! rets.)

Ich möchte mir dann erlauben, auf einige Ausführungen zurück- zukommen, die der Herr Abg. Dauzenberg hier soeben gemacht hat. Ich kann zunächst mit Befriedigung konstatieren, daß er diejenige Ver- fügung, welche wegen Heranziehung der Geistlichen zu den Waisenräthen von mir getroffen ift, in allen ihren Punkten billigt, und es liegt au nicht der geringste Grund dazu vor, anzunehmen, daß diese Verfügung niht derartig, wie fie gewollt ist, nun au zur Ausführung gelangt. Sollte si dabei herauéstellen, daß noch andere Maßregeln außer den schon von mir getroffenen erforderlih sind, so wird es auch hier an einer bessernden Hand niht fehlen. Sehr bedauern muß ih es aber, meine Herren, daß der Herr Abg. Dauzenberg diese Gelegenheit benugßt hat, um in sehr sharfen Worten dem hohverdienten Ober-Präsidenten der Rheinprovinz Vorwürfe zu machen. Meine Herren, wenn ein hoher Verwaltungsbeamter aufgefordert wird, seine Meinung über gewisse Vorschläge abzugeben, so ist es nicht nur sein gutes Recht, sondern seine Pflicht, abzurathen, wenn er meint, daß gewisse Maßregeln der Provinz nicht förderlih seien. Es ist aber auch niht der geringste Grund dazu vorhanden, anzunehmen, daß der Herr Ober - Präsident, wenn er wirkli geglaubt hat, von einzelnen Maßnahmen abzurathen, dies gethan hat, weil er dem ganzen Stande, von dem hier die Rede ist, kein Vertrauen entgegenbrächhte, sondern weil er der Meinung war, daß gerade in diesem speziellen Fall es nüßliher wäre, vor der Hand noch von der Mitwirkung der Herren Geistlihen abzusehen. Hervor- heben möchte ich noch, daß es sich hier lediglih um einen ver- traulihen, für die Oeffentlihkeit nicht bestimmten Bericht handelte, und daß es mir niht loyal zu sein sheint, auf diesen vertraulihen Bericht hin bier in der vollen Oeffentlichkeit An- klagen zu erheben. Meine Herren, die Stellung des Herrn Ober-Präsidenten der Rheinprovinz in seinem Bezirke ist eine der- artig gefestigte, daß er durch solhe Anklagen und Vorwürfe in keiner Weise in den Augen der Bevölkerung herabgesezt werden kann; ih habe es aber für eine Chrenpfliht gehalten, ihn vor den unberechtigten Angriffen des Herrn Abg. Dauzenberg au von dieser Stelle aus nach- drücklich in Schuß zu nehmen. (Bravo! rets.)

Abg. Stö cker (kons.) wünsht eine Erhöhung des Höchstgehalts der Gefängnißgeistlihen von 4200 auf 4800

Abg. Dr. Sattler (nl.) empfiehlt ebenfalls die Vereinigung des Gefängnißwesens unter einer Verwaltung.

Auf eine Bemerkung des Abg. Dauzenberg erwidert Ge- heimer Regierungs-Rath Dr. Krobne, daß die Räumlichkeiten in den Waisen-Erziehungsanstalten zwar niht luxuriös, aber groß und luftig genug feien. :

. Knörcke (fr. Volkép.) stimmt dem Wunsche des Abg. Stôöcker zu. ; R

Abg. Kirsch (Zentr.): Die Frage des Gefängnißwesens muß einheitlich geregelt werden, das wird aber niht möglich sein ohne gleichzeitige Regelung des Strafvollzugs. H! Dauzenberg hat den Vber-Präsidenten niht angreifen und herabseßen wollen, dieser hat aber die Verfügung des Ministers üter die Ernennung der Waisen- räthe unter Berücksichtigung der Konfession anders ausgeführt, als sie gemeint war.

Abg. Dauzenberg verwahrt sih dagegen, einen unzulässigen Angriff auf den Ober-Präsidenten Nafse beabsichtigt zu haben; er habe dessen Verhalten nur objektiv kritisiert, das übrigens in der ganzen Rheinprovinz bekannt sei. Auch vom Ministertishe sollten nicht Ausdrüe fallen, die Abgeordnete verlegen müßten. Der Ober- Präsident Nasse habe den ganzen Stand der katholishen Geistlichen

verleßt.

Auf eine Anfrage des Abg. Schmi dt- Warburg (Zentr.) theilt Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Lindig mit, wie viel aus dem Dispositionsfonds zu Ausgaben im Interesse der Strafanftalts- verwaltung an Unterstüßungen an fkatholishe Vereine für entlafsene Strafgefangene gegeben worden ift.

Abg. Schmidt - Warburg bemerkt, daß früher nur die evangeli- schen Vereine etwas erhalten hätten.

G R ck d R S

Geheimer Regierungs-Rath Dr. Krohne erwidert, daß ih früher keine katholischen Vereine um Unterstüßungen beworben hätten. Absihtlich sei niemals ein kfatholischer Verein zurückgeseßt worden.

Abg. Schmidt- Warburg meint, daß die katholishen Vereine früher nihts von diesem Fonds gewußt hätten, während den evan- gelishen davon Kenntniß gegeben sei.

Abg. von Eynern (nl.) bezweifelt dies, denn, wo es etwas zu au Dre, sei die katholishe Kirhe immer sehr shnell bei der

nd gewesen.

Abg. Dasbach (Zentr.): Diese Aeußerung könnte man mit Vers achtung strafen (Nuf bet den Nationalliberalen: Das wäre das Beste!) ; da sie aber in das Land hinausgeht und wo möglih noch glorifüiert wird, muß ih sie als Verleumdung bezeichnen, so lange Herr von Eynern ni®t den Beweis dafür liefert.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Lindig betont nohmals, E sobald sih ein katholisher Verein gemeldet habe, er sofoct etwas erhalten habe; ein Unterschied sei nie gemaht worden.

T0: Schmidt-Warburg: Aus einer Schrift des Kollegen Rudolphi kann Herr von Eynern ersehen, was alles die evangelische Kirche aus katholishen Fonds ergattert hat.

Abg. von Eynern: Ich werde diese Schrift gern studieren, wenn sie mir zugesandt wird. Die Herren sind doch auch in der Budget- kommission und können do nicht seit Jahren diesen Dispositionsfonds übersehen haben.

Nach einigen weiteren Bemerkungen der Abgg. Lückho ff (fr. kons.) und Dasbach wird der Fonds bewilligt.

Der Rest des Ordinariums wird gleichfalls bewilligt.

Bei den einmaligen Ausgaben beschwert sih

_ Abg. Mooren (Zentr.) darüber, daß der Ersa nishen Kantongefängnisse durch neue Gebäude zu gehe, worauf

Geheimer Regierungs-Rath Dr. Krohne erwidert, daß ein rasheres Vorgehen dur die Finanzlage ausgeschlossen gewesen set.

Der Rest des Extraordinariuums wird ohne Debatte be-

willigt. Schluß 31/2 Uhr. Nächste Sißzung Montag 11 Uhr.

(Kleinere Vorlagen; Justiz-Etat.)

der alten rhei- angsíam vor fich

Nr. 6 des „Centralblatts für das Dentshe Reich“, herausgegeben im Reichsamt des JInuern, vom 12. Februar, hat folgenden Inhalt: 1) Versiherungs-Wesen: Ercichtung eines zweiten Schiedêegerihts für den Bezirk der hessishzn land- und focstwirth- \chaftlihen Berufsgenossenshaft. 2) Bank-W-sen: Status der deutshen Notenbanken Ende Januar 1897. 3) Zoll- und Steuer- Wesen : Beschluß des Bundesraths, betreffend die Verarbeitung selbst- gewonnener nihtmebliger Stoffe in landwirthschaftlichen Brennereien. Steuerlihe Behandlung der Weinbrennereien. Vorschriften, be- treffend die Abänderung des Branntwein-Niederlage-Regulativs. K Konsulat-Wesen: Ernennung; Entlassung; Einziehung eines

ize-Konsulats; Exequatur-Ertheilung. 5) Polizei-Wesen : Ausweisung von Ausländern aus dem Reichsgebiet.

Nr. 7 des „Centralblatts der Bauverwaltung“, heraus- A im Ministerium der öffentlihen Arbeiten, vom 13. Februar, at folgenden Jnhalt : Amtliches: Dienst-Nachrichten. Nichtamtliches : Die Preisbewerbung für den Neubau der Ho iguie für die bildenden Künste und der Hochshule für Musik in Berlin. 1V. (Fortsezung.) Ueber Inschriften an öffentlihen Gebäuden und Denfmälern. Die Umwandlung des Wiener Donaukanals in einen Handels- und Winterhafen. (Schluß.) Ueber die Entwickelung des Eisenbahn- neyzes in Klein-Asien. Vermischtes: Wettbewerb um Pläne für die Anlage eines Palmengartens in Leivzig. Preisbewerbung um Ent- würfe zu Villen und villenartigen Wohnhäusern in Königsberg i. Pr. Völkershlaht-Nationaldenkmal bei Leipzig. Lüftung der Unter- rundbahn Londons. Besuch der Technishen Hochschulen des Deut- üen Reichs. Bücherschau.

Statistik und Volkswirthschaft.

Die Durchschnittspreise der wichtigsten Lebens- und Futtermittel im Königreih Preußen betrugen im Januar für 1000 kg Weizen 161 4 (161 4 im Dezember 1896), Roggen 122 (124) 4, Gerste 132 (133) Æ, Hafer 130 (130) 4, Kocherbsen 207 (209) 46, Speise- bohnen 268 (272) Æ, Linsen 408 (388) 4, Eßkartoffeln 48,3 (47,7) M, NRichtstroh 43 (42,1) #4, Heu 57,1 (55,9) 4, Rindfleisch im Groß- handel 1041 (1053) A Im Kleinhandel kostete 1 kg Rindfleisch von der Keule 133 (134) 4, vom Bauch 112 (113) 4, Schweine- fleisch 125 (124) S, Kalbfleisch 124 (126) 4, Hammelfleisch 123 (121) 4, inländisher geräuherter Speck 147 (146) &§, Eßbutter 217 (231) S, inländishes Schweineshmalz 150 (147) §, Weizen- mehl 29 (29) S, Roggenmehl 24 (23), 1 Schock Eier 441 (446) ck&.

Brotfruchtpreise in Dresden 1852 bis 189,

Vom Sstatistishen Amt der Stadt Dresden, dessen Wochen- und Monatsberichte einen ausgiebigen Stoff zu vielerlei zeitlihen Ver- gleihungen bieten, ist vor kurzem in den „Mittheilungen des Statistischen Amts der Stadt Dresden“ auch eine Abhandlung „Zur Statistik der Lebensmittel-Preise“ veröffentliht worden. Theils wegen des langen Zeitraums gleihmäßiger Beobachtungen, theils wegen der gehaltvollen Ausführungen des Verfassers verdient diese Arbeit in weiteren Kreisen Beachtung. Sie erstreckt sih auf Roggen, Weizen, Kartoffeln, Roggen- vnd Weizenmehl, Brot, Butter und

leishsorten sowie auf den Zusammenhang der Preise dieser Waaren; ier beshâftigen uns allein die Preise der beiden Brotfrücht..

Der Verfasser, Dr. Eugen Würzburger, beginnt mit 1852 als dem Jahre der Eröffnung der Dresdener Produktenbörse, weil bis dahin Marktpreise nur nach Maßeinheiten verzeihnet wurden, deren Umrehnung nah Gewicht wegen ungleiher Qualität des zu Markte gekommenen Getreides ihm allzu unsiher erschien. Das bis Oktober 1858 gültige fähsishe Pfund wog 467,214 g; die älteren Notiecungen bon 2160 Pfd. Weizen brutto And auf 1000 kg netto und die von 2040 Pfd. Roggen brutto auf 940 kg netto umgerehnet worden. Als Mittelpreisersheint das arithmetische Mittel zwischen dem höchsten und niedrigsten Preise jedes Börsentages, wobei freilih die verschiedene Dualität des verkauften Getreides unberüdsihtigt blieb. Wenn hier- nah in Jahren s{hlechter Ernte der Preis minder guten Getreides denjenigen nicht erreiht, der für gleichmäßig gutes Getreide erzielt worden wäre, so glaubt der Verfasser do, daß der Benußung jener arithmetishen Mittel wohl um fo weniger Bedenken entgegenstehen, „als die Produktenbörse überhaupt nur Preife notiert, zu denen stpere Waarenmengen gehandelt werden, und seltnere Preise für esonders feine Waare aufer Notiz läßt.“

Insofern das eine Brotgetreide das andere zum theil vertreten kann, bleibt die Preisbildung für beide in einer gegenseitigen Abhängigkeit, ungeahtet des Umstandes, daß die den Welt- markt beshickenden Weizenländer eine durchschnittliÞh weit bessere oder weit s{hlechtere Ernte als die Noggenländer gehabt haben mögen. Aber neben guter Uebereinstimmung zeigen sih doch manche Abweichungen :

1) In den Jahren 1854/56 war Weizen mit über 284, Roggen mit über 214 für die Tonne am theuersten. Hieran schließen sich 251—282 Æ bei Weizen, 195—208 #4 bei Roggen 1867/68 und 1873/74; aber in dieselbe Stufe fallen bei Weizen noch die Jahre 1872, bei Roggen 1880/81 und 1891. Eine dritte Stufe von 225—239 bezw. 175—188 A umfaßt bei Weizen die Jahre 1857, 1860/61, 1871, 1877, 1880/81 und 1891, bei Roggen 1852/53, 1872, 1876/77 und 1892. Es fommen also von den fechzehn Jahren höchsten Preises

fär beide Getreidearten zwölf überein und vier nicht.