1897 / 40 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 16 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

S E R nad ch5 i è T

vorbestraft sind, so kann ib einige Zablen nennen. Im IX. Armee- Korps z. B. waren wegen Diebstahls und Unterschlagung 359 Mann, wegen groten Unfugs, Lärmens, Schlägerei 270, wegen Körper- verlezung 275 Mann; beim XVI. Armee-Korps für Vergehen gegen das Eigenthum, Diebstahl, Raub, Betrug 341 Mann, wegen Körper- verlezung 637 vorbestraft.

Ich meine also, diese Zahlen dürften im allgemeinen doch beweisen, daß die Ausbildung derartiger vorbeftrafter Mannschaften gewisse Schwierigkeiten bietet.

Der Herr Abgeordnete ift dann auf die Selbftmorde übergegangen. Na der Selbstmordftatiftik in der Armee ift die Zabl der Selbst- morde in derselben derjenigen der Bevölkerungsklafsen in den großen Städten im Alter vom 20. bis zum 30. Lebensjahre völlig glei, so daß ih diese Verhältnisse für die Armee nicht ungünstiger als bei der Zivilbevölkerung gestalten, und was die Ursachen, die den einzelnen Selbstmordfällen zu Grunde liegen, betrifft, so ift auf Grund von eingehenden Ermittelungsverfahren festgestellt, daß im leßten Jahre nur noch 1,5 %/9 aller Selestmorde auf unangemessene Behandlung zurückzuführen sind, und daß diejenigen Fälle, in denen eine Ursache nit ermiftelt werden konnte, nur noch 10 °/ der Gesammtzahl der Selbstmorde, niht aber 32 9/9 ausmachen.

Wenn nun die Armee fo dargestellt wird, als ob se eine Schule des Junkerthums sei, so kann ih den Herrn Abg. Bebel nur darauf binweisen, daß 60 bis 700/96 aller Offiziere bürgerlih find.

Im übrigen ist es für mich sehr shwer, faft unmögli, obne vorher orientiert zu sein, auf alle die Fälle näher einzugehen, die der Herr Abg. Bebel zum Anlaß nimmt, hier im Reichstage zur Sprache zu bringen. Ich habe bereits angegeben, daß der Fall Küster in Ettlingen ganz anders liegt, als ihn der Herr Abg. Bebel beurtheilt hat. Jch versage mir, darauf einzugehen; ich könnte den genannten Bericht darüber, den ih hier habe, verlefen.

Der Herr Abgeordnete hat dann den Fall Marzillier besprochen. Fc bin bereit, die Briefe entgegenzunehmen, die er in Bezug auf diesen Fall soeben erwähnt hat, und glaube, daß, wenn die Sache so liegt, wie sie der Herr Abg. Bebel aus den Briefen verlesen hat, eine Untersuchung unzweifelbaft eingeleitet werden wird. (Zuruf links.) Ich batte geglaubt, der Fall Marzillier fei vollständig aufgeklärt; der jüngere Bruder des Genannten (Zuruf links) ja wohl, es find zwei Brüder ift #. Zt. nach Königs- berg gekommen und bei der Beerdigung seines Bruders zugegen ge- wescn. Es wurde ihm bei dieser Gelegenbeit anheimgegeben, die Leute, welhe mit seinem Bruder zusammen gewesen waren, zu böôren und si selbst nah der Ursahe des Todes zu erkundigen. Das hat er abgelehnt und im Gegentheil erklärt, daß er zufrieden ge- stellt sei; er habe das Gefühl, man habe es mit dem Verstorbenen gut gemcint. Hierüber liegt ein eingehender Beriht vor. Es würde mi daber im höchsten Maße überraschen, wenn die Thatsachen, die der Herr Abg. Bebel angeführt hat, rihtig wären. Jch bitte deshalb nochmals um die Briefe.

Was den Fall Mohrmann anbetrifft, so kann ib mich nit überzeugen, daß der Herr Abg. Bebel Recht hat. Mohrmann ift wegen Meincits niht bestraft worden ih habe das Erkenntniß bier sondern wegen Verleitung zum Meineide. Es hat zwar thatsählich eine Mißhandlung ftattgefunden, fie ift aber zunägft nit festgestellt worden, und Mohrmann hat daher zwei Leute, die die Mißhandlung gar niht gesehen haben konnten, veranlaßt, eidlih auszusagen, sie wären bei der Mißhandlung zugegen gewesen. (Hört! hört!) Bei der eingeleiteten UntersuGung haben die beiden Zeugen dann ihre Aussage zurüdckgezogen; der eine hat ich aus Gewifsensbifsen erhängt, der andere aber vor dem Gericht einfa ausgefagt, daß er einen Meineid aeschworen habe, und aus diesem Grunde {ff Mohrmann wegen Verleitung zum Meineide verurtbeilt worden. Als dann demnäthst bei dem Wiederaufnahmeverfahren eine seitens des betreffenden Unteroffiziers stattgehabte Mifbandlung that- \sächlih festgestellt wurde, ift derselbe dieserhalb mit 4 Monaten Ge- fängniß bestraft worden. Die Mißbandlung hat übrizens nur darin bestanden, daß bei der Vorbereitung zum Dienft ein Säbelkoppel, das eben gestrihen war, in ein Waschgefäß fiel und der Unteroffizier, der es berausnahm, in der erften Erregung den Mann damit über den Rücken s{lug. (Bewegung rets.)

Wenn nun der Altonaer Fall, wenn ih richtig verstanden babe, nach welhem ein Hauptmann Schimpfworte gebraucht baben soll, die das Ehrgefübl cines Sozialdemokraten verlegt baben könnten, wieder zur Sprache gebraht worden ift, so ist es für mich s{wer, darauf zu antworten. Ih muß daher dringend bitten, mir auch in diesem Falle das Material zur Verfügung zu stellen. Die Methode des Herrn Abg. Bebel, die ih für meine Person im böchften Maße verurtbeile, ift nämlich, wie ih {on einmal gesagt babe, die, jemanden anzuklagen und zu verurtheilen und dann noch zu be- \{chimpfen (fehr rihtig! rets), diese Methode mag fozialdemo- kratisch sein, fie beruht aber auf keinem anderen Nechtstitel. (Leb- haftes Bravo rechts. Zuruf links.)

Dasselbe ift der Fall mit der Instruktionéstunde beim 10. Regi-

ment. Worauf diese Anschuldigung beruht, weiß ih nicht. Wenn der Herr Abg. Bebel mir die Zeugen nennen will, gut, dann werde ih auf die Sache näher eingehen. Der Abg. Bebel hat sih dann dem bekannten Fall von Brüsewitz zugewandt. Ich meine, man sollte denselben nun ruhen lassen. Der Mann ift doch recht reichlich bestraft, (sehr richtig! rechts) und die Begründung, die der Abg. Bebel gegeben hat, ist doch absolut unzu- treffend. Ih habe das Erkenntniß vorgelesen. Es if keine Rede davon, daß mildernde Umstände erkannt worden find deshalb, weil von - Brüsewiz viht nüchtern war, sondern deswegen, weil er provoziert worden is. (Zurufe links.) Da ein Zweifel darüber zu bestehen scheint, vehme ih gar keinen Anstand, und wenn der Herr Präsident es gestattet, den betreffenden Passus aus dem Erkenntniß noch einmal vorzulesen :

Das Kriegsgericht hat mildernde Umstände angenommen und für thatsählih begründet erahtet, weil das flegelhafte und beleidi- gende Verhalten des x. Siepmann an einem öffentlichen Orte vor vielen Zeugen, die Weigerung, um Entschuldigung zu bitten und die Aeußerung „keine Antwort is auch eine Antwort", wohl geeignet waren, den Zorn des Angeschuldigten bervorzurufen, andererseits der Angeschuldigte, obwohl durch geistige Getränke erregt, dem Sieps- mann fkeine:lei Anlaß zu dessen Provokation gegeben hat.

Was den Thatbeftand anbelangt, so will ih das auch noch vor- tragen. Ich habe keine Veranlassung, das zu verschweigen.

Der Angeschuldigte saß am 11. Oktober 1896 gegen Mitternacht

im kleinen Saale des Gafsthauses ¡zum Tannhäuser in Karlsruhe an

einem Tis, als der Mechaniker Siepmann , begleitet vom Kauf-

mann Walz und zwei Kellnerinnen, an dem Nachbartish Plaß nahmen. Als 2c. Siepmann fich an den Tisch begab, {ob er seinen

Stuhl hart an den des Angeschuldigten und lebnte fih fo zurück, daß

dieser beläftigt wurde. Da sich Siepmann nicht entshuldigte, ver-

langte 2c. Brüsewiß vom Wirthe die Hinausweisung desfelben, die jedoch unterblieb, weil Siepmann anftändiges Benehmen versprach. Siepmann verließ kurz darauf auf wenige Augenblickte das Lokal. Obwohl seine Begleiter den Tisch und die Stühle zurück- gerüdt hatten, um ferneren Zusammenftößen vorzubeugen, ftieß er doch beim Wiederersheinen abermals seinen Stubl gegen den des Angeschuldigten und legte ch so zurück, daß leßterer nur vorn? übergebeugt sigen konnte. Nun verlangte v. Brüsewitz wieder- holt in beftimmter Weise von Siepmann, er folle fich entshul- digen. Dieser gab keine Antwort, blieb sigen und sagte endlich:

„Keine Antwort ift auch eine Antwort.“

Der Pafsus, den ih ausgelafsen babe, betrifft nun das Vor- leben des Siepmann. Es ift nämlih eidlich ausgesagt worden:

daß Siepmann, der als Mechaniker der Metallpatronenfabrik aus dem Dienft entlassen wurde, weil er einen anderen tüchtigen Arbeiter, der sich an einem Strike niht betheiligen wollte, be- [eidigte und bedrohte und den Ober-Ingenieur Plag in so freher Weise um Wiederanftellung anging, daß dieser mit ter Polizei drohen mußte,

ich meine, die Angaben, die ich nach dem Material, das uns damals vorlag, maten konnte, baben sh durhaus bewahrheitet.

Was dann \{chließlich nech die Politik in der Armee anbetrifft, so bleibe ih bei meinem Ausspruhe rubig stehen: in der Armee darf keine Politik getrieben werden. (Sehr richtig! rechts.) Der Unterschied ift nur der, daß wir weder leiden wollen, daß sozial- demokratische Politik getrieben wird, noch daß überhaupt die sozial- demokratishen Lehren in der Armee bekannt werden, weil, ih will mich darin nit wiederholen, ih habe das früher aueführlich na&- gewiesen, die Sozialdemokratie niht auf dem Boden der Reihs-Gesetz- gebung steht. (Beifall rets.)

Abg. Graf von Roon (d. kons.): Jch bestreite, irgendwie die Aeußerung gethan zu baben, daß die Sozialdemokraten gute Sol- daten seien; ih babe nur behauptet, daß man sich sehr freue, wenn aus den Leuten, welhe aus sozialdemokratishen Schichten kommen, gute Soldaten würden. Eine gute Prefse hat die Aufgabe, Miß- stände zur Sprache zu bringen. Aber es giebt auch Zeitungen, denen es nicht einfällt, die ibnen zugetragenen Dinge zu prüfen. Ebenso gut wie folhe Nachrihten, fönnte man auch Anekdoten aus den „Fliegenden Blättern“ vorbringen. Daß die Herren Sozialdemokraten aus dem Saale ver- \{winden, diesen Wunsch habe ich nun einmal, und ih bin der Meinung, der Wunsh wird von der Bevölkerung getheilt. Eine R welche nicht auf dem Boden der Staatsordnung ftebt, at nicht Anrecht, zu den Stleigerienn dieses Staats zu zählen. Ueber das allgemeine Wablreht will ich mi bier nicht auslafsen. Als Konservativer mit der Parole „Autorität, niht Majorität“ können Sie do von mir keine Begeisterung für das allgemeine Wahlrecht verlangen. Nicht wir, sondern Sie bilden die Militärdebatte zur fozialdemokratishen Debatte aus. Wir können doch gegenüber Ihren Angriffen auf die Armee niht shweigen. Ich bin kein Junker, ich “ebre einer eingewanderten Familie an. Die Junker und die Bauern haben aber hauptsächlich die Schlachten Preußens und Deutschlands ges{hlagen und haben Preußen und Deutschland groß gemacht, mehr als das allgemeine WahblreWt. Unter den Offizieren, die dem bürgerlichen Stande zum größten Theile angehören, befinden sich viele, die_nicht dem angeseffenen Adel an- gehören , sondern dem sogenannten Schwertadel. Wir wünschen eine gute, \{lagfertige Armee und würden zuerst jed2 Art von Mißständen bekämpfen. Wir wünschen, daß in jedem einzelnen Fall eine Unter- suchung eingeleitet und gründlih geführt wird, dann werden die un- begründeten Angriffe {ließli aufbören.

__ Abg. Dr. Haffe (nl.): Ich babe mich nur gegen die Anmaßung eines englishen.Unter-Staatssekretärs erklärt, der an amtliher Stelle ein Urtbeil über die deutshe Armee abgegeben hat, welches ih als ungebörig bezeichnete.

__ Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Ich bedauere, daß ih niht beute {on in der Lage bin, das, was ih auf die Rede der Sozialdemokraten zu sagen habe, gedruckt übergeben zu können. Hoffentlich ift das das nâbfte Mal möglich. Aus dem Buche: „Der Meineid und die Sozialdemokratie“ geht hervor, daß die Sozial- demokratie im Parteiinteresse den Meineid für zulässig bält; die fozial- demokratische Presse bat sich ebenfalls in diesem Sinn ausgesprochen. Herr Bebel hat mir Unwahrheit vorgeworfen. Das ift nur eine Wiederholung defsen, was in Zeitungen gestanden hat, z. B. in der „Frankfurter Zeitung". Ib bin sogar im preußischen Abgeordneten- bause seitens dcs Abg. Stôöcker der Verleumdung ausgeseßt worden. Herr Stöcker bat erklärt, daß ih die Herren Lecker® und Lüßow beauftragt bätte, Material gegen ihn zu sammeln. Ich habe das als Unwahrheit bezeichnet, und Herr Stöcker bat si dabinter zurückgezogen, daß Material für die Stumm'shen Blätter ge- jammelt werden sollte. Das ift die Geschicklichkeit, mit der er die Sachen zu verdreben pflegt. Ich bin, da ich die Sache îlar- gestellt babe, berechtigt, von einer bewußten Unwabrbeit des Herrn Stôödcer zu sprehen. Das Buch Bebel’'s über die Frau greift die Gbe an und ftellt die freie Liebe als das Ideal des Herrn Bebel bin. Das Beispiel, das ic gewählt habe, beweist, daß die Herren sich für berechtigt balten, über die freie Liebe hinauszcgeben, fodaß nur der Wille des einen Theiles maßgebend ist. Daß Schurkereien au anderweitig vorkommen, ift richtig, aber die fozialdemofkratis{he Prefse vertheidigt diese Schurkereien, die nur von der Sittlichkeit der Kapitalisten verurtbeilt würden.

Abg. Bebel (S8z.): Aus fozialdemokratischen Blättern zitiert Herr von Stumm immer so subjektiv, daß ih mich nicht eher über- zeugen lassen kann, ehe ich nicht die Urschrift gelesen babe. Die Sozialdemokratie scheidet am rascheften von allen Parteien zweideutige Glemente aus, die anderen Parteien nidt. Ich erinnere nur an gewifte Vorgänge der leßten Jahre. Der Ober-Staatéanwalt in Breélau hat der sozialdemofratisen Preffe nabgerühmt, daß an fie der böchfte moralishe Maßftab angelegt werden könne. Um Herrn Grafen Roon zu befriedigen, werde ih meine Nede nicht unterdrücken. Wenn er meine Rede nit hôren will, fo ift ja die Thür vorbanden, durch die er ten Saal verlassen kann. Daß Graf Roon die Sozialdemokratie nicht objektiv beurtbeilen fann, bedauere ih. Aber Graf CGaprivi bat im Dezember 1892 das Verhalten der fozialdemokratishen Soldaten durchaus gelobt. Es wäre ein großes Lob für die ganze Armee, wenn Graf Caprivi dieses Lob allen Soldaten bätte spenden können. Für seine Erklärung gegen das allgemeine Wablrecht danke ih dem Grafen Roon; aber bei einer folhen Verachtung des allgemeinen Wahlrechts sollte er es eigentli unter seiner Ghre balten, um die Gunst des Volkes zu bublen. Er kann do nit im Namen der Bevölkerung, sondern bödhftens im Namen der kleinen Schicht, in der er lebt, sprechen. Im Volk wird man sich vielleicht bedanken, einen solhen Mann wieder als Abgeordneten zu wählen. Die Briefe in dem Falle Marzillier werde ich dem Kriegs-Minifter überreichen. Ich werde auch die Zeugen bezüglich des Vorganges in der Inftruktions- stunde nennen. Der \äsischen Militärverwaltung habe ih keinen Vorwurf der Vertushung gemaht. Sie hat im Falle Scharshmidt den Versuch gemacht, die Sacbe aufzuklären. i

__ Aba. Ulri ch (Soz.) beschwert sich über das Kantinenwesen, das die Geshäftsleute shwer häâdige; die Kantinen hätten fich zu wahren

S -, M- und Bâckerläden nlgeboben babe, der (SUMIE cestacber Ja die Se B ausgebo , der gestor B

jedenfalls als Simulanten tet und deshalb nicht die nötbi

E Tee. Briefe des Soldaten fteDe er dem Kriegs-Minister zur gung. j

Kriegs-Minister General-Lieutenant von Goßler:

Ih erkläre mih auch in diesem Falle bereit, eine Untersuchung zu veranlafsen, und bitte um die Dokumente. Ich kann aber wieder nur meinem Bedauern Ausdruck geben, daß hier ein Urtheil aus. gesprochen wird, und zwar ein verleßendes, ehe die Sache untersucht ist. (Bravo! rets.)

_ Damit s{ließt die Diskusfion über das Gehalt des Ministers. è

erfönlich fordert

Abg. Freiberr von Stumm den Abg. Bebel auf, das Akten, material unverzüglih vorzulegen, das beweisen solle, daß die Reichs. partei sih Unwahrbaftigkeiten hate zu Schulden kommen laffen; widrigenfalls müße er diese Behauptung als eine verleumderische Insinuation zurückweifen.

Abg. Bebel: Herr ven Stumm legt mir etwas unter, was ih garnicht gesagt babe.

Abg. Graf von Roon: Herr Bebel glaubt wobl selber nit, daß ih um die Gunft meiner Wäbler buble. Ich habe ibnen meine Stellung zu der Verbefserungsfäbigkeit tes bestebenden Wablrects mit, getheilt, bevor ih gewählt bin. Herr Bebel hat kein Recht, ein Urtheil über mi und meine Wähler hier auszusprehen. Gr fann es rubig meinen Wäklern überlassen, ob sie mich für einen pafsenden Vertreter meines Wablkreises halten.

Abg. Bebel: Daëtselbe Recht, das sih Graf Roon mir und meinen Wählern gegenüber bherausgenommen bat, werde ich mir aug ibm und seinen Wäblern gegenüber jeder Zeit herausnehmen.

_ Das Gehalt . des Ministers wird bewilligt, ebenso die übrigen Ausgaben des Ministeriums.

Bei dem Kapitel „Militärgeistlihkeit“ empfiehlt

Abg. Dr. Lingens (Zentr.) die konfessionelle Vorbereitung der Rekruten vor der Vereidigung; ferner fordert er, daß dem Soldaten an jedem Sonntage der Befu des Gottesdienftes geftattet werden möge. Redner spriht dann von den Offizieréehen und dem Erforderniß der Kautionsftellung.

Kriegs-Minister General-Lieutenant von Goßler:

Ich erkenne die Verdienste des Herrn Vorredners auf dem Ge: biete der Militärseelsorge gern an. Wir baben uns darüber ja in der Budgetkommission ausgesprochen, und seinen Anregungen ift in der Hinsicht mantes zu verdanken. Er hat drei Fragen an mi gestellt; die erfte lautet, ob die Neuregelung der Kirhenordnung in Aussitt wäre. In der Beziehung ift durch den Herra General-Lieutenant von Spitz seiner Zeit die Erklärung abgegeben worden: Die Militär- Kircenordnung ift noch in der Bearbeitung. Es ist das eine Königlich preußzishe Angelegenheit, und aus dem Grunde muß auch der preußisde Herr Kultus - Mirifter in der Sache mitwirken. Die Schwierig- keiten liegen zum theil auf evangelisWem Gebiet, weil die neuen Provinzen andere fkirhlihe Einrichtungen haben als die alten. Es ift für mih nun die Frage, in welchzr Weise es gelingen wird, auf diesem Gebiet die S{wierigkeiten zu lösen; es ift mögli, daß die ganze Militär-Kirhenordnung neu aufgeftellt und getrennt werden muß. Aber um darüber eine bestimmte Auskunft geben ju können, dazu geböri noch einige Zeit. Das der preußise Herr Kultus-Minister an der Verzögerung \{uld fein foll, das kann ih nicht zugeben. Ih bin mit ihm in Verbindung getreten und boffe, daß in der näthsten Zeit der Entwurf der Militär - Kirchenordnung an das Kriegs- Ministerium zurückgelangt.

Dann ift der Wunsh na katbolishen Militär-Oberpfarrern autgesprohen worden. Es besteht kein Bedenken, diese Einrichtung zu treffen. Im Gegentheil, bis zur Allerhöchften Stelle hinauf sind alle Stellen einig gewesen, daß man die Ober - Pfarrerstellen schaffen will. Es ift bei der Kurie angefragt, eine Antwo:t ift nit ertbeilt; die Schwierigkeiten müssen also auf dem dortigen Gebiete liegen.

In Betreff der Allerböchsten Ordre von 1853 kann ich vorauë- schidcken, daß fie sh nur auf Offiziere bezieht. Auf andere Personen des Soldatenftandes oder Beamte wird sie niht bezogen. Es handelt ih um ein Versprehen vor der Ebe. Die Ordre ift noch in Gültigkeit; es waren aber Verkandlungen eingeleitet, an denen auÏ die tatbolishen Biscböfe theilgenommen haben: auch bier liegt di Angelegenheit fo, daß eine Anregung seitens der Kurie erwartet wi.

Bei dem Kapitel „Militär-Justizverwaltung“ geit

Abg. Kunert (Soz.) auf die Reform der Militär - Straf- prozeßordnung ein. (Präsident Freiherr von Buol: Wir können jeßt niht auf eine uns -noch nicht bekannte Geseßgebung eingeben!) Das will ih au nit, i will nur im allgemeinen das vorführen, was man im Volke verlangt hat. Die Strafen der Militärjuïtiz find ganz exorbitante; das hat man au seitens der Militärverwa:tung felbst anerkannt. (Redner fübrt eine Reihe von Beispielen an, die aber niht im einzelnen verftändlich werden.) In Rußland wurden die Offiziere anders beurtheilt. Ein Offizier, der fih etwas äbr- lihes ¿u Schulden kommen ließ wie Brüsewiß, wurde nah Sibirien verbannt, ferner zum Schadenersaß und zum Verluft der bürgerlider Gbrenrechte veruribeilt. Gs sollte eine Statistik der militäristen Be- strafungen eingeführt werden. (Zurufe: Swluß!) Ich werde s{ließen, wenn ih will ; ih spr-che nit für mich, sondern für diejenigen, di? mich bierber geshickt baben, und für die, welche wehrlos in den Ge- fängnissen sigen. Deutschland bat ein Volksheer, und die Mitglieder dieses Volksheeres dürften nicht anders behandelt werden, als nad dem Zivilstrafprozeß. :

Präsident Freiherr von Buol rügt mehrere Auslafsungen des Vorredners, unter anderem, daß er einem Offizier ftrafbare Unsittlib- keit zum Vorwurfe gemadt habe, ohne Anführung eines Beweises, und ruft den Redner zur Ordnung.

General-Auditeur Jttenbah: Das Haus wird nit erwarter, daß ih auf alle Einzelheiten dieses Vortrages eingebe. Einige der erhobenen Vorwürfe darf ih wohl direkt als fomish be:eihnen. Nur dagegen habe ich die Verwaltung zu verwabren, als ob bei der Be- urtheilung unterschieden würde zwiihen Offizieren und Mannschaften. Nur soweit das Strafgesezbuh in Bezug auf die Diéziplin selbst einen Unterschied macht, ist dies auch bei der Thätigkeit der Militär- gerihte der Fall; bier mat also das Strafgericht den Unterschied. Was sollen diefe Vergleide zwiscken einzelnen Sällen ? Es fommt do darauf an, wie der einzelne Fall liegt, ob der Bestrafte vorbestrast it, ob er im Affeft gehandelt bat oder aus niedecträchtiger Bosheit. Gine Bestrafung wcgen Fabnenflabt zu vier Monaten Gefängnis ift eine Unmöglichkeit; der Lieutenant Magdeburg batte sich nur Un erlaubter Entfernung vom Truppentheil schuldig gemat. Wie der Fall liegt, daß ein Gemeiner wegen Fahnenflucht vier Jabre St- fängniß befommen hat, weiß ih niht; war der Mann aber i¡u7 ¡weiten oder dritten Mal fahnenflühtig, so muß nach den Geseg eine erheblih f\trengere Strafe eintreten. Ih darf mich wohl für jeßt auf diese wenigen Fälle beshränken. : .

Das Kapitel wird genehmigt und darauf um 51/2 Uhr die weitere Berathung bis Dienstag 12 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag.

Herrenhaus. 8. Sitzung vom 15. Februar 1897.

Ueber den ersten Theil der Sißung is gestern berictet

worden. i Auf der Tagesordnung stehen Kommissionsberihte über

Petitionen. i

Der Provinzialausshuß der Provinz Sachsen, die Pro- vinzial-Verwaltungen aller übrigen Provinzen exkl. Hannover und die Bezirksverbände von Caffel und Wiesbaden petitionieren um Herbeiführung besonderer staatlicher Ein- rihtungen zur Verwahrung und Behandlung irrer Verbrecher behufs Entlastung der Jrrenanstalten der Kom- munaloerbände von diesen Geisteskranken.

Die Petitionskommission beantragt dur den Referenten, Ober-Bürgermeister Westerbur g, die Petition dringend zur recht baldigen Erwägung der Regierung zu überweisen.

Der Refer ent führt aus, daß es ih in dem Petitum um fole Irre kandle, die als geistig Gesunde zu E verurtheilt find und erft wäbrend der Verbüßung derselben geifteskrank werden. Die Provinzial-Verwaltungen, welche nah den geltenden Geseßes- bestimmungen au diese Irren übernehmen. müssen, empfinden diese Verpflichtung fehr drückend. Die irren Verbre müßten von den Provinzial-Anstalten ferngehalten werden.

Herr von Leveyow beantragt Ueberweisung zur Berücksichtigung. Die bier aufgeworfene Frage babe eine weittragende Bedeutung. Die Uebernahmepfliht diefer irren Verbrecher seitens der Provinzen laste auf letzteren wie eine wahre crux. Die Irrenpflege leide unter dem Umstand, daß die Anstalten auch die irren Verbrecher aufnebmen müßen, in s{limmster Weise, niht weniger au der Ruf der Anstalten, da das Publikum sih natürli s{eue, seine irren Angehörigen An- talien zu übergeben , in denen unter den Kranken au irre Mörder, Todtichläger und Diebe sich bewegen. Die Einrichtung besonderer Abtheilungen für diese Kategorie in den Provinzial-Anstalten sei finanziell bedenkflich und au praktis {wer durchzuführen. Anders, wenn der Staat sih entshlöfse, für diese Verbrecher eigene Gefängniß- abtkeilungen zu errihten; er könne die erforderlihe Million gewiß obne neue Steuern aufbringen.

Geheimer Regierungs-Rath Dr. Krobne: Ein Geisteskranker tacn niht mebr Gegenstand der Strafrehtsvflege sein. Die Behand- luna der irren Verbrecher if besonders s{wierig. Woher soll der Staat das erforderliche Beamtenpersonal hernehmen? Er is zur Uebernahme dieser Kranken garnicht in der Lage. Beobactungsstationen für folhe Gefangene, deren Geifteszustand zweifelhaft ift, ift der Staat zu errichten im Begriff. Die unzweifelbaft Irren aber müfsen zur Zeit wenigstens noch die Provinzen übernehmen. Jch bitte also, die Petition zur zur Erwägung zu überweisen.

Freiherr von Manteuffel tritt für den Antrag von Leveßow ein. Von einer ungerechtfertigten Entlastung der Provinzen könne man nickt reden, dern die Provinzen bätten in den leßten Jahren den Kreis ibrer Verpflichtungen fi sehr ausdehnen seben, obne daß die Dotation geftiegen wäre. Der Irrsinn nebme in ershreckendem Maße zu, und die Provinzen müßten ihre Anstalten immerfort ver- größern. Wie die leyteren würden au die ftaatliten geeignetes MWaärterpersonal erlangen können.

Nachdem auch noch Graf von Pfeil-Hausdorf für den Antrag auf Ueberweisung zur Berücksichtigung gesprochen, wird demgemäß einstimmig beschloßen.

Die Kommunalkommission hat ferner über die Petition des Nedakteurs H. Horn, namens des Vorstandes des Vereins Berliner Wohnungsmiether, um Aufhebung des 8 16 der Städteordnung vom 30. Mai 183 berathen. Nach § 16 muß die Hälfte der Stadtverordneten aus Hausbesißern be- stehen. Die Kommisfion beantragt Uebergang zur Tages-

ordnung.

Neferent von Breitenbauch bemerkt, daß das gleiche Petitum ion 1891/92 von beiden Häusern des Landtages abgelehnt worden fei. Der § 16 habe, wenn auch für Berlin gewisse Mißstände niht zu leugnen felen, fh im Lande bewährt, und seit dem Erlaß des Kommunalabgabengesetes fei die Möglichkeit, s die Hausbesißer d als folhe fteuerlihe Vortheile fichern, ausge!hlofsfen. Deshalb lieze fein Grund vor, die Petition zu berüdcksihtigen.

Ober-Bürgermeifter Westerburg ift anderer Meinung. Der S 16 fei vor 60, 50 Jabren sebr rationell gewesen; aber „Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage.“ MNRationeller würde freilich eine Revision des aktiven und passiven Kommunalwahlrehts sein. Für iw-ckmäßig bält Redner die gelegentlihe Ausme-zung des § 16 nicht. (r bebâlt fih vor, bei der Gemeindeordnung für Hefsen auf den Gegenstand zurüdckzufommen.

Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath N oell: Die Petition BSerfebt, daß die Städteordnung nicht nur für Berlin und die großen Städte gilt. Das Streben der Stadtverordneten, sch von Real- steuern, Grundbesitgebühren u. dgl. frei zu machen, fei bisher nicht von Erfolg gewesen, man habe abzuwarten, ob das etwa in Zu- funft der Fall fein werde. Einstweilen entbehre gerade seit dem Erlaß des Kommunalabgabengeseßes das Petitum in diesem Punkte der Begründung.

Ober - Bürgermeister Zweigert erkennt kein Bedürfniß zur Revifion der Städteordnung an und bittet die Regierung, niht darauf einzugeben. i -

__ Oter-Bürgermeister Weslerburg weist dagegen darauf hin, daß die Gntwicklung und das Wachsthum der Städte im wesentlichen dem Hauébesitz zu gute kämen, daß es also nur gerechtfertigt sei, wenn der Hausbefiß zu den Kommunallaften präzipual herangezogen werde. s fei ein Widerspru, daß das Kommunalabgabengeseß den Ver- su mache, die Hausbesiter zu verbintern, ibr foziales Uebergewicht zur Beschaffung fteuecliher Vortheile zu fruktifizieren, gebe ibnen dot § 16 der Städteordnung von vornherein die absolute Mehrheit in den Stadtvertretungen. Doch will Redner einen besonderen Antrag nit stellen.

Der Kommisfion3antrag wird angenommen.

_ Auf Atänderung der §8 54 ff. des Kommunalabgabengeseßes g?- rihtet find die Petitionen des Ober-Bürgermeifters Küper-Krefeld und des Bürgermeisters Tilmann-Neuß, über welhe Petitionen die Kormmunalkommission ebenfalls zur Tagesordnung - übergegangen ift. Die Petenten wollen die beengenden, den Grundbesiß prägravierenden Bestimmungen beseitigt wissen, melhe die Heranziehung der Real- fteuera in bestimmten Verhältnissen zu den Personalfteuern vor- ihreiben; sie verlangen für die Beeleiung des Steuerbedarfs größere Bewegunasfreiheit und weisen auf den Rückgang in den Ver- bältuißen des städtischen Grundbesiges hin. Die Kommission (Referent von Breitenbauch) ift der Ansicht, daß die §§ 54 ff. fi im all- gemeizen bewährt baben, daß fie außerdem auf einem Kewpromiß be- ruben, an welchem nit gerüttelt werden dürfe, und daß nach erst zwei Jahren der Zeitpunkt einer Abänderung des Geseges noch nicht

kommen ersheine. Im Anschluß daran wird eine Petition des Poft- s tors a. D. Sqhhulze-Insterburg um Beitritt des Herrenhauses t dem im anderen Hause eingebrahten Antrag Weyerbusch vorge-

agen. Das Haus geht über alle drei Petitionen zur Tages- “E ub luß 4 Uhr. Nächste Sißung Dienstag 1 r. (Kleinere Vorlagen, Antrag Graf Frankenberg, betreffend Staffeltarife.)

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des aus dem

Haus der Abgeordneten. 33. Sizung vom 15. Februar 1897.

Auf der Tagesordnung fteht zunächst die erste Berathung enhause gekommenen Gesezentwurfs, betreffend die Ergänzung einiger jagdrechtlihen Be- stimmungen, nah wel das Jagdpolizeigeseß und die in Lauenburg und den neuen Provinzen geltenden jagdreht- lichen Vorschriften un abgeändert werden sollen, daß auch Schienenwege und Eisenbahnkörper als den Zusammenhang von sons URAGER Jagdbezirken niht unterbrehend an- usehen find.

G a den Beginn der Debatte ift gestern berihtet worden. fei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hamme r- ein:

Ich glaube mich auf wenige Worte beshränken zu können, da ih im Herrenhause Gelegenheit haite, meinen Standpunkt, den des Refsort-Ministers, und den Standpunkt des Ministers des Innern in dieser Frage klar zu legen. Ih habe um so weniger Veranlassung, ausfübrlih auf die Sache einzugeben, da bisher fich alle Redner für den Beschluß des Herrenk,auses ausgesprohen haben und ih mii den Ausführungen an si einverstanden bin.

Für zutreffend halte ih, daß die Ziffer 4, wie der Abg. von Plettenberg will, gestrichen wird; ih balte es auch für zweifellos, daß man Kanäle als unter den Begriff „Gewässer“ fallend anzusehen hat. Ich bin persönlih über diese Frage niht zweifelhaft.

Die Bemerkungen, welche eben gematht find, halte i für zum tbeil rihtig, zum theil für nit richtig, ih behalte mir aber vor, bei der zweiten Lesung näher auf diese Fragen einzugehen.

Im übrigen kann ih als Refsort-Minister nur bitten, den An- trag des Herrenhauses anzunehmen, weil ih allerdings mit den Herren, die geredet haben, der Meinung bin, daß durch das Erkenntniß des Ober-Verwaltungsgerihts eine bedenklihe Verwirrung nah den ver- \chiedensten Richtungen hin eintreten würde. Ich bitte Sie also, dem Bes{hluß des Herrenhauses beizutreten.

Damit ist die erste Berathung erledigt; die zweite wird ohne Kommissionsberaihung im Plenum demnäst stattfinden.

Es folgt die erste Berathung der Novelle zu dem Geseß, betreffend die Fürsorge für die Wittwen und Waisen der unmittelbaren Staatsbeamten, wonach in Konsequenz der Beamtenaufbesserungen die Rente der Hinter- bliebenen von 331/; Proz. auf 40 Proz. der Pension des Ver- storbenen und der Mindestbetrag jener von 160 auf 216 Á# jährlih erhöht werden soll.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ich bin erfreut, daß der Herr Vorredner den Geseßzentwurf im allgemeinen mit Anerkennung und Dank gegen die Staatsregierung begrüßt, und es ift mir daher um so leichter, die Wünsche, die er in Bezug auf die anderweitige Gestaltung des Geseßz- entwurfs im einzelnen vorgetragen hat, zu besprehen. Ih möte aber einige allgemeine Bemerkungen voraus\icken.

Meine Herren, die Fürsorge der preußishen Staatsregierung für die Hinterbliebenen der Staatsbeamten datiert ja aus sehr langer Zeit. Heute beruht diese ganze Gesetzgebung auf den Geseßen von 1882 und 1888, von denen das erftere das Prinzip der Rentenver- sihherung bei bestimmten Anstalten wesentlich auf Kosten der Be- amten selbs aufgab und die unmittelbare Fürsorge des Staats für die Hinterbliebenen zu einer Staatéaufgabe erklärte, während dur das Besez von 1886 die Beiträge, welhe die Staatsbeamten bis dabin mit 39/6 der vensionsfähigen Diensteinkommen leisteten für die Versorgung ihrer Wittwen und Kinder, aufgehoben wurden.

Meine Herren, {on damals haben diese bei dem Geseh sehr er- beblihe finanzielle Opfer herbeigeführt. Namentlich das leßtere Gefeß {loß mit cinem unmittelbaren Opfer des Staats von mehr als 7 Millionen Mark ab. Nun sind seit jener Zeit die Ausgaben des Staats für Penfionen und Wittwen- und Waisenpensionen in einer ganz unerwarteten, über die damaligen Berehnungen weit hinaus- gehenden Weise geftiegen. Wenn Sie fh nur den Etat von 1896/97 und den Etat von 1897/98 ansehen, so werden Sie finden, daß ein Sprung stattfindet von 5 Millionen Mark von cinem Jahr zum anderen. Den Beharrungszuftand, der sich auf Grund dieser be- zeihneten Geseßze entwidelt, haben wir noch längst nicht. Der Beharrungszustand, wie er damals berehnet worden ist, ist nach unseren Erfahrungen viel zu gering angenommen und wird wabrsheinlih noch weit höher sein, wie er damals mit 99/9 der Bezüge von pensionsfähigen Gehalten, Dispositionsgeldern und Pen-

sionen berechnet wurde.

Meine Herren, wir haben in den Motiven gesagt und ih

' werde in der Kommission noch nähere detaillierte Mittheilungen

machen —, daß hon jeßt in Preußen die Ausgaben, welche unter dem allgemeinen Begriff „Vergütung für geleistete oder niht mehr geleistet werdende Dienfte“ gezahlt werden, 98 MillionenMark ausmachen. Dazu ift erforderlich, daß Sie die verschiedenen Ressorts sich durhsehen und ale die vershiedenen Positionen, die in unserem Etat für diese Zwecke enthalten sind, sh zusammenbalten. Meine Herren, das ift {on eine kolossale Ausgabe. Wenn die Steigerung so weiter fortgeht für diese eben bezeihnete Zwecke, so wird es wahrscheinli nicht lange dauern, daß die gesammte Einkommensteuer allein für die Zwee, die unter dem eben bezeihneten allgemeinen Begriff „Vergütung für geleistete Dienste“ gehen, abforbiert wird. Eine ähnlihe Entwickiung haben auch in anderen Ländern die Ausgaben genommen, wiewohl in Deutjchland überhaupt und namentlich in Preußen diese Leistungen für die bezeihneten Zwede viel größer find als in anderen Kulturländern. In Frankreih beträgt diese bekannte Ausgabe nur 47 Millionen Francs, und troydem können Sie kaum eine Verbantlung im französishen Landtage lesen, wo nicht das ersreckende Steigen dieser Ausgaben als ein Gegenftand großer finanzieller Bedenken bezeihnet wird.

Meine Herren, unter diesen Umftänden war ja klar, daß man, da man es niht mit einer dauernd fixierten Ausgabe, sondern mit einer permanent steigenden Ausgabe zu thun hat, do ‘etwas bedenklich sein mußte, in einem Augenblick mit diesem Gesehentwurf hervor- zutreten, wo ja schon für den Fall, daß die Vorlage wegen Erhöhung der Beamtengehälter zu ftande kommt, an sich auch darin eine Erhöhung der Bezüge der Wittwen und Waisen eintritt. Nichtsdeftoweniger hat die Staatsregierung si entshlossen, mit Rükficht auf die allgemeine Lage der Dinge, mit Rückfiht auf die Verhältnisse, die auch der Herr Vorredner durchaus rihtig geschildert hat, mit Rücksicht auf die Durchführung des Versicherungéprinzips selbs bei Nichtbeamten, bei der ganzen Arbeiterklafse, mit Rücksicht auf die geftiegene Lebens-

baltung und die größeren Anforderungen, die die heutige Zeit namentli’ an die Erziehung der Kinder stellt, mit diesem Geseze vorzugehen. :

Meine Herren, alle Minister, welhe an diesem Gesezentwurf mitgewirkt haben, haben vielleiht dieselben Wünsche und Gefühle, wie sie der Herr Vorredner uns dargelegt hat, und es gingen ur- sprünglih die Anträge der Ressorts gegenüber dem Finanz-Minifter viel weiter. Nachdem wir aber zu rechnen angefangen hatten, nahdem im Staats-Minifterium klar wurde, um welhe Summen es fih jetzt schon und in Zukunft in noch fteigendem Maße handeln würde, hat man si allgemein überzeugt, daß man über die Grenze diefes Ge- seges absolut niht hinausgehen darf.

Meine Herren, es ist ja zweifellos: jeder von uns allen hat den Wunsch, möglichst gut für die Wittwen und Waisen der Beamten zu sorgen ; aber der Staat ift doch niht in der Lage, er kann das nicht durchführen, für diese Zwecke in folhem Maße hohe und wachsende Summen zu bewilligen, daß die übrigen Staatzzwecke dadur wesent- li mitberührt und in Mitleidenshaft gezogen werden. Es ift der Tod des Vaters und des Mannes ja immer ein Unglück, ganz kann der Staat das Unglück nicht beseitigen durch seine Intervention. Man muß da immer eine gewisse Grenze anerfennen, ein beftimmtes Maß muß da gehalten werden.

Meine Herren, nun sagt der Herr Vorredner: für die arbeitenden Klassen, die Bergleute wahrshheinliÞ hat er sie wohl vorzugsweise im Auge würde beffer geforgt wie für unsere Beamten. Das muß ih do entschieden bestreiten. Meine Herren, es is ja vollkommen rihtig, daß die Bergarbeiter durch die Knappschaftseinrihtungen und die sonstigen fozialpolitischen Einrichtungen sehr günstig in diefer Beziehung geftellt find. „Aber wir machen das Gesetz hier für die ganze Monarchie. Wie die Be- amtengebälter in einigen Provinzen und Ortschaften unzureichend sein mögen man muß das anerkennen und ein voller Ausgleih da nit möglich ift, so können wir das Minimum beispielsweise, welches wir hier um 20 %% auf 216 M erhöht haben, nicht bloß für die Bergmannswittwen in Rheinland und Westfalen bemessen, sondern wir müssen die Durhschnittszuftände in dieser Beziehung in der ganzen Monarchie zu Grunde legen. Nun bin ih aber der Meinung, wenn eine junge Wittwe, die aus dem Arbeiterftande hervorgegangen ift, einen sicheren Bezug von 216 4 hat fo wird sie in der Regel in der Lage sein, daneben arbeiten und verdienen zu können, und wenn selbft eine âltere Frau, welhe nit viel mehr erwerben kann, in den Haus- halt eines Verwandten oder Freundes mit einem Zuschuß von 216 A. einzutreten gezwungen is —, so wird sie überall ein willkommener Gast sein.

Es kann sogar zweifelhaft sein, ob es rihtig ift, soweit zu gehen. Wir gehen weiter als alle deutshen Staaten. Ih möchte daher dringend davon abrathen, den Versuh zu machen, was auch der Herr Vorredner nicht beantragt hat, diese Grenzen zu überschreiten. Sonst fönnte es au kaum ausbleiben, daß die Pensionen der Wittwen und das Waisengeld in vielen Fällen über die Pension des verstorbenen Mannes hinsausgehen würden. Das wäre aber doch nicht zulässig, daß die Lage einer solchen Familie \sich durch staatlihe Zuwendungen ver- bessert durch den Tod desjenigen, der die ganze Penfion verdient hat.

Meine Herren, was nun das Maxiraum betrifft, so haben eine Neihe von deutschen Staaten allerdings keine Maximalgrenzen. Die Minimalgrenze ist eine Zuwendung und die Maximalgrenze ift eine Beschränkung; das muß man allerdings wohl festhalten, und man fann ja darüber zweifeln, ob diese Maximalgrenze an sih berechtigt ist. Die preußishe Gesezgebung hat die Frage bejaht, und der Herr Vorredner hat mit Recht gesagt: diese Maximalgrenze is auf Grund des Verlangens der Landesvertretung eingetreten. Daß die Maximal- grenze, wie sie bisher normiert war, auf 1600 #4 zu niedrig war, darüber i, glaube ih, eigentlih seit längerer Zeit allgemeines Einverständniß. Wir haben dabei diesen Aus- weg gefunden, daß wir nah den drei Rangklassen heraufgehen bis zu 3000 4 Nun ist vollkommen richtig, daß schr viele Fälle vorkommen, wo diese 3000 A doch noch keineswegs eine Art Familiennothftand beseitigen, wo man anerkennen muß, daß eine Wittwe aus den höheren Beamtenklassen, die ihre Kinder doch wünshen muß für ähnliche Lebensverhältnisse zu erziehen, in denen der Mann gelebt hat, daß fie selbst an höhere Ausgaben gewöhnt ist, meistentheils au nit erwerbs- fähig ist. Das mag alles zugegeben werden; aber dazu sind unsere Unterstüßungsfonds vorhanden. Vergefsen Sie nit, daß wir in den Ministerien insgesammt über 6 Millionen Mark Unterstüßungsfonds haben. Kommen folhe Fälle vor, und ist die Beamtenfamilie vermögenslos und erleidet namentlich in der Zeit, wo die Kintererziehung viel Geld kostet, den Verlust des Ernährers, so tritt der Staat ein mit seinen Unterstüßungsfonds, welche außer- ordentlih reich bemessen sind. Darauf werde ih noch zurüdtkommen, daß diese Unterstüßungsfonds ncch erhöht werden sollen in dem vor- liegenden Etat.

Nun giebt es doch auch noch, Gott sei Dank, Wittwen, die solcher Unterstüßung neben einer Pension von 2000—3000 4 nicht bedürfen. Man kann doch nit sagen, daß alle Wittwen vermögenslos sind, und es ist doch hon eine ganz außerordentlihe Zuwendung, wenn neben diesen 3000 A nun auch noh die Waisengelder biszu 18 Jahren fortdauern ; aber, wie gesagt, für besondere Fälle werden wir aus den Unter- stüpungsfonds helfen können. Einer reihen Wittwe eine so Hohe Pension zu geben, dazu liegt kein genügender Grund vor.

Nun meint der Herr Vorredner, ob es nicht möglih wäre, die Altersgrenze für die Waisenpension von 18 Jahren zu erhöhen für böbere Beamtenkinder. Das möchte ih nit rathen, das wäre doch ein sehr bedenklicher Schritt, in dieser Beziehung eine solche Aus- nahme zu machen, daß. man sagt: die anderen Kinder find mit 18 Jahren erwerbsfähig, aber die Kinder der höheren Beamten müssen noch weiter auf Staatskosten wverpslegi werden. Wo wollen Sie auch die Grenze finden? Hierfür können Sie keine Grenze finden. Aus den höheren Beamtenkreisen wird auch mancher junge Mann Kaufmann und ist vielfah in der Lage, si mit 18 Jahren selbs zu ernähren. Jh würde sehr davon abrathen, daß die Kommission derartige Versuße macht. Gerade aber dieser Grund, die rihtize Thatsache, daß die Ausgaben der Wittwe für die Erziehung der Kinder der höheren Beamten oft wesentlich erft bo werden und wachsen mit dem 18. Jahre der Kinder, hat dahin geführt, daß man das Maximum der Wittwenpension, was bis jeyt 1600 6 betrug, bis auf 3000 M erhöht. Die sozialen Verhältnisse hat der Herr Vorredner durhaus richtig geschildert. Wir werden in dieser Beziehung noch aushelfen können, theils durh die höhere Bemefsung