1897 / 46 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 23 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

seinen Antrag unterstüyte, haben großen Hohn über die Bemerkung ausgegossen, Is die gegenwärtige Lage Europas eine folche sei, welche sebr webl dic beforgteîte Erwägung seitens aller derer beanspruchen dürfte, denen die Aufrehterhaltung des Friedens am Herzen liegt, und darüber, daß wir, wenn durh einen Irrthum oder Mißgeschick ein Funke in den Zündstoff falle, der nur zuweit über Europa ausgebreitet it, am Rande einer europäischen Katastrophe sein können. Diejenigen, welhe solche Befürhtungen verspotten, verschließen die Augen gegen die klarsten Thatsachen der zeitgenössishen Geschichte. Es hat Perioden der europäischen Geschichte gegeben, in welchen Œurepa dem Vorgehen der einen oder anderen einzelnen Macht besorgt zusah, obne zu wissen, ob diese Macht nicht um ihrer eigenen felbstsühtigen Ziele willen zu einem überstürzten Kriege schreiten würde. Aber in diesem Augenblicke is es der durchaus einstimmige Wunsch aller Großmächte, alles, was einem Kriege gleiht, zu vermeinden. Keinerlei persönliher CGbrgeiz tritt dieiem Wunsche entgegen, auch befteht niht irgend welche Wahrschein- lichkeit, daß dies aeshehen könne. Und wenn man nun sieht, wie die Herren dieser folossalen Heere selber von der tiefsten Besorgniß erfülit sind, daß ein Krieg erklärt werden könne und daß diese shlahtbereiten Gegner auf einander losgelassen werten sollten, da kann man nit um großer internationaler Autoritäten, wie Dillon und Laboutère, willen sagen, ‘daß dirse Befürchtungen illusorisch seien. Die aus- gesprohenen Befürchtunaen werden von jedem verantwortlichen Staatsmann in ganz Europa gehegt. Unsere Sorge bildet nicht allein der Friede Europas, eine Erwägung, deren Ernst niht über- trieben werden fann, sondern uns beschäftigt auch der Friede Kretas und seine zukünftige Regierung. Die von den Rednern der Opposition autgesprehenen Ansithten scheinen die ¿u sein, daß das Vorgehen Griechenlands völlig darauf gerichtet gewesen ift, Leben und Eigenthum zu {üzen und daß das Vorgeben der Mächte nicht im stande ift, die Erreihung eines dieser beiden Ziele zu fichern. Es hat eine große und beklagen8werthe Hinepferung von Leben und Eigenthum stattgefunden; aber die internationalen Macht- mittel sind niht unthätig oder unwirksam gewesen, dem zu begegnen, und das Vorgehen Griechenlands if in dieser Richtung nicht erfolgreih gewesen. Die Bevölkerung Kretas ift nit gleichartig im Punkte der Religion, und wenn die Mächte die Verantwortlich- keit für den Frieden einer Stadt übernommen haben, so durften sie die Einmischung einer außerhalb stehenden Streitmacht nit dulden. Was nun die Zukunft Kretas scin soll, so muß ih darüber mit der äußersten Reserve sprehen. Die Redner der Opposition habea Nach- druck darauf gelegt, daß alle der Türkei abgerungene Reformen, wenn sie gleih auf dem Pavier vo:treffflich aussähen, das Schisal der früher ibr abgerungenen Reformen theilen könnten. Wir fühlen das Gewicht dieses Arguments; wir erkennen an, daß es der von uns übernommenen internationalen Aufgabe zuwider sein würde, Kreta in einer Lage zu lassen, in welcher es der türkischen Regierung übe: lassen bliebe, aus eigenem Willen das gute Werk Europas umzustürzen. Alles, was möglich ist, wird gethan werden, um den Gefahren zu begegnen, für welche wir eine ebenso starke Empfin- dung haben, als die Opoosition“. Redner forderte das Haus \{ließlich auf, das Ende der Debatte herbeizuführen, welhe weder den Inter- essen Europas, noch denen Griechenlands, Kretas oder Englands dienen würde, und richtete sodann noch das Ersucben an das Haus, die Aufgabe der Regierung nit xoch forgenvoller und s{chwieriger zu maden, als fie {on sei, und der Regieruna hbinsichtlih ihrer guten Absichten und des ernsten Wunsches, das Bestmögliche für Kreta zu thun, Vertrau-n zu schenken.

Hierauf ergriff Sir W. Harcourt das Wort und sagte: Augenscheinlich sei das Ziel der Regierung, die Herrschaft der Türken über die Jnsel gegen den Willen der Kreter aufrecht zu erhalten. Es scheine, daß, während Griechenland si mit den Aufständischen vereinige, die britishe Regierung sich den Türken angeschlossen habe. (Zwischenruf Balfour's : Das ist nicht richtig!) Sir W. Harcourt fuhr fort: Er wünsche der internationalen Lage auf den Grund zu gehen. Auf alle Fälle sollte England nicht, solange noch Beschlüsse der Mächte in der Schwebe jeien, gegen die kretishen Aufständischen Partei ergreifen. Er hoffe, die Politik der Regierung sei die, Kreta von der ottomanischen Herrschaft ablen Nach weiterer dreistündiger Debatte wurde der Antrag Labouchère’s mit 242 gegen 125 Stimmen verworfen. Vor der Abstimmung sagte Campbell-Banner- man: Er glaube, es werde die aufgeregte öffent- lihe Stimmung in weitgehendem Maße besänftigen, wenn das Haus die Instruktionen des britischen Admirals erfahre. Er frage, ob der Admiral alles zu thun verpflihtet sei, was das curopäische Konzert anordne. Hierauf erwiderte der Erste Lord des Schazamts Balfour: Wenn die Frage heute gestellt werde, so wolle er sehen, ob jene Instruktionen dem Hause mitgetheilt werden könnten. Zweifel- los sei der britishe Admiral nicht verpflichtet, im Gegenjaß zu seinem eigenen Urtheil zu handeln. Einmüthigkeit der Admirale fei nöthig.

Bei der sodann folgenden Weiterberathung der Bill über die Militärbauten beantragte Lough die Verringerung des verlangten Betrages auf 3 Millionen Pfund. Dieser Antrag wurde mit 147 gegen 47 Stimmen verworfen.

Frankreich.

Der Senat hat gestern ohne Debatte die Vorlage, be- betreffend die Errichtung vierter Bataillone bei den Fnfanterie-Regimentern, angenommen.

In der Deputirtenkammer interpellierte gestern der Deputirte Cochin (Rechte) die Regierung über die orienta- lishe Frage. Redner beklagte, daß das Gelbbuch über die armenischen Angelegenheiten zu spät vorgelegt sei und zahlreiche Lücken enthalte, besprach hierauf die Mittheilungen des Gelbbuchs, hob die Meygeleien in Armenien und Konstantinopel sowie die von den Mächten geforderten Re- formen hervor und fonstatierte, daß Europa si endli Kretas wegen erregt habe. Redner führte aus, es sei unmöglich, daß Kreta wieder an die Türkei komme; wenn sih die Megzeleien wiederholten, werde die Schuld an dem vergossenen Blut auf Europa zurückfallen. Reformen seien nöthig: Frankreih müsse sich thatkräftig zeigen und, wenn nöthig, zu Zwangs- mitteln greifen. Der Deputirte Millerand bemerkte, aus dem Gelbbuche ergäben sich Widersprüche zwischen dem Minister des Auswäriigen Hanotaux und dem Botschafter Cambon:; es sei, als wean zwei Taube si unterhielten. Der Minister des Auswärtigen Hanotaux berück- sichtige die Bemerkungen Cambon's nicht und scheine anderen Eingebungen zu folgen. Redner spielte nunmehr auf Jn- spirationen von seiten Rußlands an. Rußland verfolge bei der Allianz seine persöniiche Politik :; Frankreich sollte dies ebenso machen. Was Kreta angehe, so hielt auch dieser Redner es für urmöalich, die Jnjel der Türkei zurückzugeben. Er sch!oß mit der Bemerkung, die Mächte ließen sih nicht ausschließlich das allgemcine Jateresse angelegen sein: Frank- reichs einzige angelegentlihe Sorge müsse die Sorge um die Ehre und das Snteresse Frankreichs sein. Hierauf bestieg der Minister des Auswärtigen Hanotaux die Tribüne und führte, nah dem Bericht des „W. T. B.“ Folgendes aus :

Die französishe Diplomatie fei niht gleihgültig geblieben bei den Bestrebungen, Reformen in der Türkei durchzusezen. Da aber alle Regierungen ten Frieden wellten, habe Franfreich nicht allein die Verantwortlichkeit für Zwangsmaßregeln übernehmen können. Frank-

reih sei seinem System treu geblieben. Frankreih werde das Mög- liste thun, um den Frieden im Einvernehmen mit Europa aufrecht zu erhalten. Aber Frankreich habe nit allein die Aufgabe, die Probleme der Vergangenheit zu lösen. Europa sei es, welhes sie im einmüthigen Zusammen- wirken lösen müsse. Durch ein Verfahren, welches stets Erfolg gehabt, da es reiflih überlegt sei, babe die europäishe Diplomatie nah und nach das Eindringen des europäishen Geistes in die rebellishe Welt des mohamedanishen Orients bewirkt und die Um- gestaltung vorbereitet, durch die diefe Stämme in die allgemeine Harmonie der zivilisierten Völkerschaften eingeführt würden. Es sei die europäishe Diplomatie, welhe allmählich, zuerst als privilegierte Provinzen, sodann als freie Fürstenthümer oder selbst als unab- bängige Nationalitäten, alle Balkanstaaten, Griechenland, Rumänien, Serbien und Bulgarien begründet habe. „Die europäische Diplomatie hat es ermöglicht, daß auf Samos, in Rumelien und im Libanon die christlihe und die mohamedanische Bevöikerung in Frieden Seite an Seite leben unter dem Schuß ihrer boben Garantie. Dieses Problem stellt sich wieder einmal in anderen Provinzen dar, und es geht nicht über die Kräfte des europäischen Konzerts, es in friedliher Weise zu lôsen. Ist es niht offenbar, daß sich die gemeinsame Thätigkeit der Großmächte in diesem Sinne vollziehen wird, und daß die Stunde einer gerechten und menshlicken Löfung um fo eher fommen fann, je weniger man die Aufmerksamkeit Europas durch den nuy- losen Lärm eines unklugen Vorgehens ablenken wird? Ist es nicht flar, daß in der fcetischen Frage die Thatsache, vom Sultan, obne einen Schwertstreih zu thun, die Auslieferung einer der Provinzen seines Reiches in den Gewabrsam Europas erlangt zu haben, einen ersten Erfolg bedeutet, welcher fortan der chriftlihen Bevölkerung der Insel die Woklthaten einer autonomen Verwaltung sichert ? Anderer- seits aber, wenn ein Volk, dem alle Welt in Europa nur Sympathien entgegenbringt, fih ohne Ueberlegung in einen Eroberungsfrieg ftürzt, der zuglei droht, das europäishe Gleichgewicht ¿zu stören, wenn ein folhes Vorgehen es darauf ankommen läßt, einen Weltfrieg zu ent- fesseln, indem es auch andere Begehrlichkeiten erregt, welche stets bereit sind bervorzubrehen, wenn folhe ehrgeizigen Pläne den Frieden Europas bedrohen, hat Europa dann nicht das Recht, einzuscbreten und folche gefährlihen Ansp-üche in Schranken zu halten? Jch lenke Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Punkt, meine Herren, weil er der entsceidende ift und im Grunde den ganzen Knoten dieser Seite der Streitfrage bildet. Die Anwesenheit der Flottenbefehlshaber in Kreta verbürgt den öffentlihen Frieden und die Sicherheit der Christen. Die gleichzeitige Anwesenheit aller europäishin Flotten in Kreta giebt uns die Gewißheit, daß keine Macht zum Schaden der anderen ein ifoliertes Vorgehen unternehmen wird. Die Anwesenheit diefer Flotten ist außerdem noch eine Gewähr dafür, daß die Insel nicht mehr unter die unmittelbare Verwaltung der Türkei zurückommen wird, Aber sie (die Anwesenbeit der Flotte) sichert ganz ebenso stark die Achtung vor der territorialen Integrität des Türki?chen Reichs, deren Europa bedarf ; denn wenn die Integrität einmal auf irgend einem Punkte angetafstet is, würde das Reich in allen Theilen auseinander- geben. Wenn eine der Mächte beanspruchen wollte, zu ibrem eigenen Nutzen irgend einen Vortheil aus der gegenwärtigen Krisis zu ziehen, wie würde es dann gelingen, andere ehrgeizige Pläne hintanzuhalten ? Die macedonishe Frage würte fofort wieder aufleben, und die Kammz?r weiß, daß die verschiedenen Bestrebungen der Völker, welche diese Provinz bewohnen , oder die Bestrebungen der Nachbarn, welhe sie überwachen, sofort die \{chwersten Ereignisse berbeiführen würden. Man würde an diesem Punkte der Welt einen Abgrund von Feindseligkeiten fh öffnen sehen, nah welhem nicht nur die rivalisierenden Völker der Balkanstaaten, fondern auch die anderen und am entferntesten wohnenden sich viellciht unüberwindlich bingezogen fühlen würden. Jedermann bemerkt diese Gefahr. Jh will die Worte Balfour's anführen: „Mehrere Mit- glieder des Unterhauses scheinen zu wünschen, daß man den Griechen estatte, Reformen in Kreta auszuführen. sei es im Auftrage Europas, fei es unter ihrer eigenen Verantwortlikeit! Solche Politik würde Europa direkt zum Kriege führen. Gs ist das euroväishe Einvernehmen nur füc gewiffe Ottomanischen Reiches aufrecht zu crhaltin und nit für alle!! Meine Herren! Wenn, wie alles hoffen läßt, bei dem einftimmigen Wunsche der Mächte, treu vereint zu bleiben für das Werk der Zivilisation und des Friedens, die fkretishe Frage chließlich auf den Grundlagen geordnet wird, die ih angedeutet habe, fo wird Europa feine Aufgabe noch nicht beendet haben. Es ist das wichtige Problem von Reformen in dem Türkischen Reiche aufgestellt worden. Möge es sich nun um die lokale Verwaltung und das in den Provinzen anzuwendende Regime bandeln, möge es fich um die allgemeine Verwaltung bandeln, diefe R-formen steben in dem Pro- gramm der Botschafter und ergeben s ganz besonders aus der liberalen Form, die von dieser Kammer angeaommen it und lautet: „Kein Unterschied der MRass-n, tein Unterchied der Religion“. In fkurzer Zeit wird das von den Bo1schastern entworfene und von ihnen im Namen ihrer Regierungen gezeichnete Programm, das si bereits in den Händen der Staats-Minister be- findet, Allen bekannt werden. IH hoffe, daß das Einvernehmen, welheë fiŸ vollzogen hat, bei den Leitern der ver|chiedenen Regierungen und dann auch in der öffentlichen Meirung einmüthige Zustimmung finden wird und daß die ottomanische Regierung, getrieben durch die Rücksicht auf ihre eigenen Interessen und dur die êffentlbe Meinung, welche selbst in der Türkei nicht unthätig bleibt, schließlich dés Ratbschlägen nachgeben wird, welhen man erforderlih:nfalls auch die That folgen laffen wird. Der Wille Europas ift stark genug, um ih ebeaso Griechenland gegenüber füßlbar zu machen, wie dem Sultan gegenüber. Nun, meine Herren, so fteht die Sache. Der weise, friedlide und -bumane Plan, dea ich Ihnen darlegte, muß zum Ziele führen, weil er die Unterstüßung aler Regierungen findet und weil die Völker sh bei so s{hweren Krisen nicht über ibre wahren materiellen und moralischen Interessen täuschen laffen, da man darauf rechnen muß, daß der Glaucße an eine höhere Sache den Menschen, die diese Fragen zu lösen baben, Energie und Ueberredungêsgabe schenken wird, welche \{ließlich alle Gemütber durchdringen werden. Indefsen das, was die Vorsebung bestimmt, haben wir nicht vor Augen. Wir würden un® vergektlich anstrengen, die Geschicke im voraus zu lesen. Wenn Ungeduld und wenig erwogene Gefühle mögen leßtere au edler Natur sein das Friedenéwert hemmen und zu nihte machen und Stürme entfesseln, so werden wir wenigstens das Bewußtsein haben, alles Mögliche gethan zu haben, um fie zu vermeiden, und wir können vertrauensvoll die unvermeidlid;e Stunde erwarten, in der man auf die Natbschläge der Vèäßigung, der Vernunft und der Humanität zurüdck- kommen wird.* Der Minister fragte \{chließlich, was für andere An- sihten, was für ein anderes System man dem eben dargelegten ent- gegenseßzn wolle. „Wenn es gegenwärtig zweicrlei Politik giebt, so muß die Kammer beide fenner, bevor sie sich cntsceidend ausspricht. Welches ist das System, das man an die Stelle des gegenwärtig existierenden segen möchte? Man seßt berab, man zerstört, aber das genügt nih!! Man wird wieder aufbauen müssen, uod hier baben wir das MKeht, unsererseits zu fragen, was man thun und wokin man Frankreich führen will. Was uns betrifft, meine Herren, fo erwarten wir Ihre Entscheidung mit einer Zuversicht, die niemals grêßer war, als zur gegenwärtigen Stunde. Hier ift ein Kabinet, das nur das Bedürfniß empfuncken hat, sh in Gemeinsam- keit der An‘hauungen mit dem Parlament zu fühlen, und das Land hat das Bedürfniß, daß man das Kabinet beftärke für die Durhführung des s{chwierigen Werkes, das es unter Mitwirkung der anderen europäischen NRegie:unger unternommen hat. Wenn unsere Ansichten au die Ibrigen find, meine Herren, fo sagen Sie es, damit wir der Welt wenigstens ze gen fênnen, daß die gemeinfame Thätigkeit Aller in diesem Lande in den Dienst der großen Dinge geftellt ist, die die Zivilifation und den Frieden angehen.“

Nach dem Minister des Auswärtigen Hanotaux sprach der

Deputirte Jaurès, welcher der Regierung vorwarf, daß sie nicht zur rehten Zeit die Reformen verlangt habe und durch

unmögli, Länder des

ihre Gleichgültigkeit habe Blut vergießen lassen. Was Kreta i Stadt seien noch etwa fünfzig Christen

! seien die Kugeln eingeschlagen.

anbeireffe, so komme England dic Ehre zu, die Autonomie für die Jnsel verlangt zu haben, und Griecheniand allein sei es, dem man die erfreuliche Intervention der Mächte zu Gunsten Kretas ver- danke. Seiner Ansicht nah bilde der Minister Hanotaux wegcn seiner verspäteten Jntervention die einzige Kriegsgefahr. Hierauf wurde eine Reihe von Tagesordnungen abgelehnt. Dex Deputirte Bourgeois erklärte, er werde für eine Tages- ordnung stimmen, welche der Regierung das Vertrauen dez Hauses ausdrücke. Schließlih wurde eine Tagesordnung welche die Erklärungen der Regierung billigt, mit 413 gegen 80 Stimmen angenommen und darauf die Sißung geschlossen.

Dem „Journal officiel“ zufolge umfaßte die Minderheit, welche gegen die Tagesordnung stimmte, worin der Regierung das Vertrauen des Hauses ausgedrückt wird, 34 Sozialisten und 44 sozialistishe Radikale, sowie 2 Konservative.

Die Mehrzahl der Blätter, mit Ausnahme dcr Organe der äußersten Linken und einzelner monarchistisher, äußern ihre Befriedigung über die überwältigende Mehrheit, welche durch ihr Vertrauensvotum die diplomatishe Aktion Frank- reichs gekräftigt und insbesondere die Autorität des fran- zösischen Botschafters in Konstantinopel, Cambon, noch ver- mehrt habe. :

Jn Bordeaux und Toulouse fanden gestern griecen- freundlihe Kundgebungen seitens der Studenten statt.

Der ehemalige Botschafter Lefèbvre de Béhaine und der frühere Präsident des Senats, Leroyer, sind gestern ge- storben.

Spanien.

Aus Madrid meldet „W. T. B.“, es sei davon die Nede, die im nächsten Jahre dienstpflihtig werdende Alters- klasse früher einzuberufen, um Verstärkungen nach dezn Philippinen zu senden.

Türkei.

Das Wiener „Telegraphen-Korrespondenz- Bureau“ meldct aus Konstantinopel, daß gestern daselbst eine Konferenz der Botschafter abgehalten worden sei. Photiades Bcy werde heute nach Kanea abreisen.

Dasselbe Bureau berichtet weiter, daß die Nachricht, Griechenland habe seinen früheren General-Konsul in Kanca Gennadis zum Königlichen Kommissar auf Kreta ernannt und die übrigen Konsulate aufgehoben, in Verbindung mit den Meldungen über die fortschreitende griechische Aktion auf der Jnsel, im Yildiz- Palast und auf der Pforte große Erregung hervorgerufen habe. Eine starke Partei dränge zum Einmarsh in Griechenland als Gegen- maßregel. Der leßte Ministerrath habe darüber berathen, ohne einen Beschluß zu fassen; doch gelte eine plößliche Entscheidung des Sultans hierüber als keineswegs unmöglich, da die bis- herige zögernde Haltung der Pforte gegenüber der griechischen Aktion unter den Mohamedanern große Unzufriedenheit hervor- rufe. Einstweilen habe die Pforte in den leßten Tagen sowohl in Konstantinopel wie auswärts wiederholt versuht, Rathschläge S der Mächte zu erlangen. Verläßliche Berichte aus Kreta childerten die Stimmung der dortigen Mohamedaner, welche sih von der Pforte verlassen fühlten, als sehr gedrückt. An verschiedenen Orten seien Unternehmungen zur Befreiung und Verproviantierung der umzingelten mohamedanischen Truppen- theile vorbereitet worden. Es lägen zahlreihe Meldungen über gegenseitige Meßzeleien vor, wobei die Mohamedaner in- folge der Uebermacht der Christen der stark leidende Theil ge-

wesen seien.

Ueber die am Sonntag erfolgte Feuers auf die Stellung der Kreter meldet die „Agence Havas“: Jn einer Versammlung, an welcher jämmtlihe Admirale theilnahmen, wurde beschlossen, das Feuer erst zu eröffnen, wenn die Aufständischen si weigern würden, dem ausdrüdcklihen Befehl, ihren Vor- marsch einzustellen, nachzukommen. Da die Kriegsschiffe dcr Mächte in einer sich von Osten nah dem Westen der Bai erstreckenden Linie vor Anker lagen, so mar das deutshe Kriegsschif} dazu bestimmt, den ersten Schutz abzugeben. Die britischen, die österreichishen und russischen Schiffe gaben alsdann der Reihe nah Schüsse ab. Der Befehl, das Feuer einzustellen, wurde gegeben, ohne daß die französishen und italienishen Schiffe, welche im äußersten Westen der Schiffslinie vor Anker lagen, nothwendig hatten, an der Kundgebung theilzunehmen. Die Rufständischen sollen keine Verluste gehabt, sondcrn nur Sachschaden erlitten haben. In einer Depesche des Admirals Pottier aus Kanca heißt es, dem „W. T. B.“ zufolge: Die fremden Admirale haben ihren Regierungcn berichtet, daß die Anarchie auf Kreta fortwährend zunehme, und erklärt, sie könnten für eine Vermcidung von Konflikten niht mehr gut sagen, wenn 1? nicht ermächtigt würden, jedes Landen von Lebensmitteln zu verhindern, falls die Mächte nicht bei Griechenland die Rü- berufung seiner Truppen und seiner Flotte durhseßten. Jm Laufe des Sonntags haben, troß des wiederholten Einspruchs der Admirale, die Vorposten der Aufständishen ihren Vor- marsch fortgeseßt und ein Gewehrfeuer auf die türkishen Vor- posten in Kanea eröffnet. Nach einer unter den Admiralen g{- troffenen Vereinbarung eröffneten darauf die britischen, die öster: reichish-ungarischen, das deutsche und ein russishes Kriegs\{chi?, welche im Osten der Bai vor Anker liegen, Feuer auf die Au?- ständischen und stellten dasselbe erst ein, nahdem die griechische Flagge niedergeholt worden war.

Der britische, der italienishe und der russishe Konful find, wie das „Neuter’she Bureau“ meldet, aesiern mit 170 flüchtigen Mohamedanern auf dem Secwege aus Selino nah Kanea zurüdgekehrt. Es war den Konsuln nicht gelungen, Verhand lungen mit den Führern der Aufständischen, welche zum Ver tilgungefkriege entschlossen seien, zu eröffnen. Die Mohamedantr und die Ctristen in Selino hätten beiderseits die Gefangenen umgebracht. 2000 Einwohner und 250 türkische Soldaten mit drei Geschüßen hielten dort noch aus, doch sei ihre Lage schr fritisch. In Kantano hätten die Christen auf die Konsuin gefeuert, obgleich ihnen deren Ankunft anaekündigt ns jel, und ungeachtet der von denselben gcführten weißen Flagge. Als

Eröffnung des

die Konsuln nah Selino zurückgekommen seien, hätten dic Christen neue Stellungen einger ommen gchabt und gleichfalls auf die Konsuln gefeueri; rund um die Boote der Konsuln

1gel Jn Kasteli schonten die regulären griehischen Truppen das Leben der mohamedanischen Gefangenen. Jn Kanea seien zwei Offiziere und 60 Soldat?

: angekommen, welche bei dem Gefecht von Vukolis entkommen seie?!

Aus Athen meldet die „Agence Havas“, es sei daselb! aus Kandia von gestern Vormitiag die Nachricht eingetro daß am E zuvor fünf Schiffe in Nethymon angekommt!

und im Hafen vor Anker gegangen seien. Jn_ s zurüdg&

blieben. Jn Kamaraki hätten Soldaten acht Häuser geplündert. Die vom Gouverneur mit Munition versehenen Türken hätten Atsipopulo angegriffen, seien aber mit cinem Verlust von 6 Todten zurücgeshlagen worden. Ein chemaliger Hauptmann der griehischen Armee Korakas stehe an der Spige von 5000 Kretern eine halbe Stunde von Kandia entfernt und habe der Stadt das Wasser abgeschnitten. Die Meldung von dem Gemegzel in Sitia werde als unrichtig bezeichnet. Griechenland.

Der Minister der auswärtigen Angelegenheiten Skuses hat sich gestern zu verschiedenen diplomatischen Vertretern be- geben, um gegen die Beschießung der Stellung der Aufständischen auf den Höhen bei Haleppa und gegen die hierin liegende Begünstigung der türfkishen Truppen zu protestieren. :

In Athen hat gesiern, wie „W. T. B.“ meldet, die Nachricht von dem Bowbardement der Stellung der Auf- ständischen dur die europäischen Kriegsschiffe, nah ihrem Be- fanntwerden im Schlosse und ihrer Mittheilung in der Kammer durch den Minister-Präsidenten Delyannis, zahlreiche Kundgebungen hervorgerufen. Delyannis erklärte in einer Ansprache an die Volksmenge, daß die Gesinnung der Regierung mit derjenigen des Volkes übereinstimme. Durch die Straßen der Stadt zogen große, sehr erregte Menschenmassen.

Rumänien.

Jhre Königlichen Hoheiten der Großherzog und die Großherzogin von Hessen sind am Sonnabend Vormittag in Bukarest angekommen und auf dem Bahnhof, wo eine Earenwache vom 4. Roschiori-Reaiment des Prinzen Ferdinand aufgestelt war, von Jhren Majestäten dem König und der Königin empfangen worden. Jhre Königlichen Hoheiten fuhren unter Eskorte der Leib-Eskadron nah dem Königlihen Palais, woselbst eine Ehrenwache von der Jnfanterie aufgestellt war, und nahmen das Frühftück bei Jhren Majestäten ein. Höchstdieselben begaben Sich hierauf nah dem Palais Catroceni Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Ferdinand.

Schweden und Norwegen.

Das Odelsthing hat gestern, wie ,„W. T. B.“ aus Christiania meldet, mit 42 gegen 41 Stimmen (gegen die Stimmen der Rechten und der Gen äßigten) einen Geseßz- entwurf angenommen, wonach Arbeitgeber mit Geldstrafe oder Gefängniß bestraft werden, welche versuchen, dur Entlassung, durch Drohung mit der Entlassung oder dem Verlust des Arbeitsver- dienstes, durch Gewährung, Verweigerung oder Versprechen von Vortheilen oder durch lügenhafte, offenbar unbegründete Vor- soiegelungcn öôfkonomischer Natur in das politishe Auftreten ihrer Untergebenen oder deren außerhalb der Arbeitszeit er- folgende Theilnahme am fachlihen oder politischen Vereins- leben einzugreifen oder in dieser Hinsicht einen Einfluß aus- zuüben. Ebenso sollen diejenigen bestraft werden, welche durch Bestimmungen in den Arbeitsverträgen oder Arbeitsordnunzen cinen derartigen Einfluß auszuüben versuchen.

Asien. Nach einer Meldung der „Times“ aus Shanghai vom 22. d. M. haben, weil in Söul große Erregung herrsche und der König das russishe Gesandtschaftshotel verlassen hab?, drei russische Kriegsschiffe in Chemulpo 80 Mann mit einem Geschütz nach Söul abgesandt.

Afrika.

Die „Agence Havas“ meldet aus Prätoria, cs sei dem Volksraad ein Geseßentwurf zugegangen, durch welchen bestimmt werde , day alle vom Volksraad angenommenen Geseße und Beschlüsse seitens des Obersten Gerichtshofs und der übrigen Behörden des Landes als rechtékräftig anerkannt und beobachtet werden müßten. Rückwirkende Kraft habe der Geseßentwurf niht. Ueber denselben dürste heute berathen und abgestimmt werden.

Parlamentarische Nachrichten.

_ Die Berichte über die gestrigen Sißungen des Reichstages und des Hauses der Abgeordneten befinden nch in der Ersten und Zweiten Beilage.

Auf der Tagesordnung der heutigen (183.) Sigun des Reichstages, welcher der Staatssekretär Ls as Staats-Minister Dr. von Boetticher und der Staatssekretär des Reichs-Schaßzamts Dr. Graf von Posadowsky bei- wohnten, stand zunächst die ersie Berathung des Geseßt- entwurfs wegen Verwendung überschüssiger Neichs- elnnahmens aus dem Etatsjahre 1897/98 zur Schuldentilgung.

Der Staatssekretär des Reichs-Schaßamts leitete die Be- rathung mit eincr längeren Rede ein, welche bei Schluß des ais nos fortdauerte und morgen im Wortlaut mitgetheilt wvirden wird.

- Das Haus der Abgeordneten nahm in der heutigen S) Sigzung, in welcher der Minister der öffentlihen Arbeiten Grelen zugegen war, zunächst in dritter Berathung die Leleventwürfe, betreffend die Ergänzung einiger P3rehtlihen Bestimmungen und betreffend die cGtsverhältnisse der Auktionatoren im Geltungs- *ereih der Versteigerungsordnung sür Ostfriesland und Darlingerland, vom 16. Dezember 1834, an und seßte “a die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats ur 1897/98 bei dem Etat der Bauverwaltung fort.

Bei den Einnahmen aus Brücken- und Hafen- geldern geht das Haus auf Antrag der Budgetkommission E, die Petition des Gemeindevorstandes in Norderney, von die Hafenabgabe in den Häfen von Norderney und Nord-

ih Abstand zu nehmen, zur Tagesordnung über. (300 ea den Einnahmen aus VBaupolizeigebühren hee qud 6) beantragt die Budgetkommission, über die Petition

uft rae von Berlin, Potsdam und Wicsbaden um ér Xoung der Baupolizeigebührenordnung bezw. Ermäßigung

Se derselben zur Tagesordnung überzugehen. Baupol: Dr. Langerhans (fr. Volkzp.): Weil die Regierung die Baupoli s Eo si hat, glaubt sie sich berechtigt zur Erhebung von auf Gruido ühren. Nach der Verfassung föônnen Gebühren aber nur liber Poli, eines Geseyes erhoben werden. Die Städte mit König- träge, Berge waltung zahlen für die Kosten dafür beftimmte Vei- Polueivere n d. B. 2,50 4 pro Kopf ; davon sollen die Kosten der

erwaltung beftritien werden. Aber diese Beiträge werden nun

durch besondere Baupolizeigebübren erhöht. Diese Zustände können nicht aufreht erbalien werden. Ich beantrage daher die Streichung dieses Titels.

_Gebeimer Ober-Finanz-Rath Dombois: Die Frage ist im vorigen Jahre eingehend in der Budgetkommission geprüft worden, und die Kommission und das Haus haben sih der Auffassung der Re- gierung angeshlofsen. Einer besonderen geseßlichen Grundlage bedarf es für die Einführung folher Gebühren nit, das hat der Landtag wiederholt anerkannt. Die Bestimmung der Verfassung bezieht sih nur auf Gebühren der Staatsdiener, niht auf Gebühren, welche der Fiefus für sich erhebt. Das Polizeikostengese regelt die Frage der Gebühren überhaupt.

Abg. Dr. Kelch (fr. kons.): Den Interessenten kann es überlassen werden, die Frage gerihtlich zum Anêtrag zu bringen durch eine Fest- stellungêflage gegen den Fiskus. In Potsdam liegen die Verhältnisse viel einfaher und übersihtliher als in Berlin und Charlottenburg, die Baupolizei verursaht daber dort geringere Kosten, und die Inter- essenten beschweren sich mit Reht über die Höbe der Kosten. Es wäre nit nöthig gewesen, daß in Potsdam ein besonderer Beamter für die Geschäfte bei der Baupolizei angestellt wurde. Bei ciner anderen Organisation hätten die Gebühren geringer sein können.

Regierungs-Rath C onsbrucch set auseinander, taß die frühere Organisation unter städtisder Verwaltung nicht aufrecht zu erhalten gewefen fei, weil die ftädtishen Beamten so überlaftet gewesen, daß die Gescbâfte verzögert worden seien; deshalb babe ein besonderer Beamter dafür vom Staate angestellt werden müssen.

_ Abg. Munckel (fr. Volksp.): Die im Verwaltungswege einge- führten Gebühren werden nit durch die Verfassung gestützt. Warum haben wir denn z. B. ein Gerichtsfkostergeseg, das die Gebühren fest- seßt ? Es herrsck{t eine allgemeine Erregung über die Polizeigebühren. Den Unterschied zwishen den Gebühren der Staatsdiener und des ras kann ih nit anerk-nnen. Die Stadt Berlin zablt einen Beitrag zu den Polizcifosten und soll auch noch Baupolizeigebühren bezahlen. Wenn die Polizei des Staates eine Einnahme hat aus Gebühren, so muß diefe Einnabme von den Beiträgen der Stadt ab- gezogen werden.

_ Geheimer Ober-Finanz-Rath Dombois betont nochmals seinen Standpunkt bezüglid der Staatsdienergebühren und der Fisfkus- gebühren. Der Art. 102 der Verfassung, führt Redner aus, ist auf Gebühren nicht anwendbar, und es find auch nach Emanation der Verfassung folche Gebühren eingeführt worden, welche nur einen Erjay für Auslagen des Staates im Interesse von Einzelnen bilden, wie z. B. Prüfungsgebühren, Schulgeld, Kosten für Veterinär- polizei, Beiträge für Sanitätseinrichiungen aegen die Choleragefahr. Die Städte zahlen fein Aequivalent für die Polizeikosten des Staats, sondern nur einen und sogar bescheidenen Beitrag dazu

Abg. Dr. Langerhans will nit aus Billigkeitägründen, fon- dern aus reckchtlihen Gründen die Baupolizeigebühren aufgehoben wissen. Wenn die Nechtéanshauung des Regierungtkommifssars zutreffend fei, dann FTönnten auch die Gcbübren noch beliebig erhöht werden, ohne daß der Staat dieselbe Summe dafür aus- gebe. Die Summe von 150000 #, die Berlin wieder zahle, sci ja nicht so bedeutend, aber es sei eine \chreiende Ungerechtigkeit, daß diese Gebühren überhaupt erhoben würden. Wenn die Summe im Etat bewilligt werde, so habe das Haus die Sache gebilligt ; es müsse aber mindestens eine geseßlihe Regelung erfolgen und deshalb der Titel gestrichen werden. :

Der Titel wird bewilligt. Die Petitionen werden durch Uebergang jur Tagesordnung erledigt.

(Schluß des Blattes.)

E AAE Dr. von Leveßow, Schmidt (Elberfeld) und Genossen haben im Reichstage folgenden Antrag eingebracht : __ Der Reichstag wolle beschließen: in den Etat für den Reichstag als einmalige Ausgabe ordentlicher Etat einzustellen, Kapitel 1 Titel 1: Für Grunderwerb und Projektbearbeitung für den Bau eines Dg Odebdudes des Neichstages, sowie als erste Rate

Arbeiterbewegung.

__ In Magdeburg ist der Ausstand der Arbeitec am Neu- städter Hafen beendet; wie die „Magdb. Ztg.“ berichtet, sollte die Arbeit geftern in vollem Umfange wieder aufgenommen werden. (Val. Nr. 44 d. Bl.)

__ In Halle a. S. befinden si, wie der ,Vorwärts* meldet, sämmtlide Holzbildhauer der Firma Lig im Ausstande.

__ In Leipzig haben, einer Mittheilung der „Lpz. Ztg.* zufolge, die Graveure und Ziseleure beshlossen, ihren Verein aufzulösen und dem seit 1. Fevruar d. I. bestehenden Zentralverband der Graveure, Ziseleure und verwandten Berufsgenossen Deutschlands in Berlin beizutreten.

In Sontheim in Württemberg haben die Zwicker der mechanishen Schuhfabrik Sontheim-Heilbronn (Wolf u. Comp.) die Arbeit niedergelegt, weil, wie der „Vorwärts“ berichtet, ihre For- derungen nah kürzerer Arbeitszeit, höherem Lohn und kostenloser Liefe- rung der Fouraituren abgelehnt worden sind.

Aus Straßburg i. E. wird der „Frkf. Ztg.“ telegraphiert, daß dortige Bauunternehmer 170 Steinhauer entließen, weil diese die von den Bauunternehmern einheitlih festgesezte Arbeits- und Platordnung nit annahmen.

Kunft und Wissenschaft.

4+ Der Spott und Widerspruch, mit dem man anfangs den Ausstellungen der Elfer-Vereinigung begegnete, ist mehr und mehr rubig abwägeader Theilnahme gewichen, je klarer die Ein- sicht durhdrang, daß das von hohbegabten Künstlern vertretene Pro- gramm der neuen Kunstrihtung nicht als berausfordernder Kampfesruf, sondern als Ausdruck ernster, durch gewissenhafte Studien gefestigter Ueberzeugung aufzufassen sei. So fand die Eröffnung der diesjährigen Ausftellung des Klubs ia Schulte’s Kunstsalon am 14. d. M. ein woblwollendes, zu Zugeständnissen geneigtes Publikum. Hierin bekundet sich ein bemerkfenéwerther Fortschritt unseres öffentlihen Kunstlebens, das nur gedeihen kann, wenn der Genießende sich dec Führung des Schaffenden anvertraut. Damit soll keineswegs urtheilsloser Begeisterung das Wort geredet werden, wohl aber darf der Künstler beim Laien den guten Willen, sehen zu lernen, Rae Um stärfiten, aber auh mit bestem Recht, nimmt diesmal alter Leistikow solche Willigkeit in Anspruch. Seine beiden großen Grunewald-Landschaften zeigen den Künstler folgerihtig fortgeschritien auf dem Wege, den er einer neuen stimmungweckenden Stilisierung des Naturbildes bahnen will. Wie er die Formen der Vegetation zusammenfaßt, oft fogar lediglich die Umrißlinie eines Baumes oder Strau@es reden läßt, zeugt von energischcm Eigenwillen. Mag die Wirkung gewaltsam erzwungen, oder mühßelos erreiht sein, sie ist vorhanden. Welche tiefe Poesie ruht in den glatten, s{warzen Wasserspiegeln, die, von ragenden, im Abendlicht glühenden Föhren- stämmen umfkränzt, wie ein chwermüthiges Auge der Landschaft uns bannen! Weiße Wolken ballen fich über den stillen Fluthen eines Haf: ns, aus denen die scharfen Umrisse ruhig ankernder Kähne ernst emportauhen, Es liegt etwas Fragendes, Sehnsuchtweckendes in diesen großen Linien und Formen; man fühlt die shauende Kraft der Künstlerseele durch. Anders Max Liebermann: er will die Natur niht z:m Ausdruck seiner Stimmung zwingen, sondern er folgt ibr, fcies in flüchtig echashten Andeutungen, fei es mit breiter, wuchtiger Pinsel- führung, als fühlte er die Kraft erlahmen, sobald der glücklihe Moment des

ersten Eindruck8 vorübergeeilt, nervöós, hastig, aber mit erstaunlicher Treffsicherheit. Für das in Ansdruck und Haltung voclens Ma

lungere Bildniß eines jungen Berliner Kunftzeleßrten hat er, wie fo oft, die Palette von Franz Hals geliehen; aus dem graubraunen Ge- sammtton find die Formen mit keckem Pinselhieb herauëgemeißelt, für den verzärtelten Geshmack mancher Ausftellunzébesuher vielleicht etwas zu derb und flächig, aber zweifellos von überzeugender Wirkung. Eine Weberwerkstatt, zwei holländische Veduten aus Sandvoort und Laren, eine fißende Bäuerin und zahlreihe Kreidezeihnungen vervoll- ständigen das Bild seiner rastlosen Thätigkeit. Als technischer Versuch im Farben-Steindruck verdient ein Porträt eines Landmädchens besondere Beachtung. Hugo Vogel führt uns die Früchte seines Studienaukfenthalts in Italien; zwei reich ifiunio Ansichten aus dem Park der Villa Torlonia und einen badenden Knaben bei Carpi vor: fein feines Farbengefühl bat sih unter dem fonnigen Himmel Jtaliens neubelebt, insbesondere der eine Parkweiher ift eine sehr ansprechende Leistung. Durch zartgewählte Farbenstellungen sucht Friß Stahl das fast lebensgroße Bildniß einer weißgekleideten Dame in einem Blumenfeld reizvoll zu gestalten; freilih ift das große Format dem Gelingen eines solhes Versuhs bindeclih. Sehr feinen Farbengeschmack verrathen auch Stahl's Blumenstücke und das Halbfigurenbild „Aus der Rosenzeit* : ein Mädchen in blauem Gewande, das sich ¿u den Rosenbüschen hinab- beugt. Ganz fouverain gebt Ludwig von Hofmann in seinen Farbenkombinationen zu Werke. Phantastis bellbunt ftellt er ein Farkbenbouquet zusammen, das lediglich als solches ge- nossen fein will. Vorzugsweise dekorativ wirken auch seine beiden anderen Entwürfe, die bereits von einer Ausstellung bei Gurlitt bekannt siad. Nah Hofmann's monumentalem Idyll auf der vorjährigen Sommer-Ausstellung enttäuschen diese Kleinigkeiten einigermaßen, da wir böbere Anfvrüche an seine Leistung8- fähigkeit zu stellen berehtigt zu sein glauben. Sehr freundlih muthen die Ansichten von Wiêmar und Rostock, iowie das Bauernhaus auf Rügen von Hans Herrmann an, der sih mehr und mebr zu voller SNe ente durchringt, ohne in die wenig vornehme Manier Masfson?’s zu verfallen, von dessen Bildern nur eine in herbstlihem Sonnenliht leuhtende Baumallee lebhafter zu interessieren vermag. Alberts ist seinen friesishen Halligen treu geblieben ; mit intimen Reizen weiß er die einförmige Natur des Flachlandes zu beleben; ein in reihem Vlüthenschmuck prangender Obstbaum matt vielleicht den stärksten Eindruck.

__ Skarbina und Mar Klinger sind der diesjährigen Ausftellung fern geblieben, dafür ift einer der hbervorragendsten Pariser Land- schafter, Jean -Charles Cazin der Einladung der Xl gefolgt und hat drei Werke seiner Hand ausgeftellt. Cazin's Malweise ift ungemein vornehm, die zartesten Farbenwerthe verwebt er zu einem elegishen Stimmungébilde von boher Kraft des Ausdrucks. Die dunstige Atmosphäre, die nah einem Regen über dem flämischen Weideland si ausbreitet, ist mit unnahahmlicher Feinheit wieder- gegeben. Auch die große Landschaft mit der büßenden Magdalena ift ein Meisterstück feierliher Stimmungsmalerei. Die Kraft und Größe der Naturauffassung Leistikow's darf wan freilich in seinen Bildern nit fuben, dafür entschädigen fie den Beschauer aber durch ein fast auf die Spige getriebenes Feingefühl für alle jene nahezu unmerk- lichen Uebergänge im Farbenspiel der Natur, die Leistikow absihtlih ignoriert.

Theater und Musik.

L i Konzerte.

_ Das IX. Philharmonishe Konzert, das gestern unter Arthur Nifkisch?’s Leitung stattfand, wurde mit Webers Ouvertüre zu „Oberon“ erôffnet. Es folgte hierauf die bereits früher besprochene Tondichtung „Also sprah Zarathustra* von Nichard Strauß. Auch dieses Mal befremtete die zu Anfang etwas unklare und vershwommene Gedankenverbindung vieler nebeneinandergestellter Motive, während die gegen Schluß eintretenden melodisch und rbythmis fesselnden klareren Gestaltungen, die zweifellos den Glanz- punkt des Werkes bilden, wieder lebhaften Beifall erweckten. Der Solist des Abends, Herr Louis Diémer, der, 1843 zu Paris gera. daselbst als Erster Professor des Konfervatoriums thätig ift, pielte hierauf ein neues Klavier- Konzert von Saint-Saëns (op. 103), das im ersten Saß zwei kurze, drastishe Motive bringt, deren Durchführung von der gewandten Formbeherrshung des Komponisten Zeugniß giebt, während dem zweiten Saß ein ausgesprochen orientalisher Cha- rakter verliehen ift. Der dritte Sat, in der Form eines Rondo's ersheinend, maht durch seine s{chwungvoll belebten Motive einen höht fesselnden Eindruck. Der Künstler spielte mit großer teh- nisher Sicherkeit und mit tief eindringendem Verständniß das Werk ganz vortrefflih urd wurde turch reihen Beifall und Hervorruf ausgezeidnet. Den Beschluß des Abends mahten Mozari's G-mol1l- Symphonie und die beliebte „Akademishe Festouvertüre“ von Brabms. Das Orchester bewährte sch unter der vor- züglichen Leitung des Herrn Nikishch wiederum auf das beste. Der als Konzertsänger und Lehrer vortheilhaft bekannte Herr Adolf Schulze fübrte an demselben Abend im Saal Bewstein eine An- zahl feiner Eleven vor, deren Namen zum theil durch selbständige Konzertaufführungen bereits bekannt sind. Es wurden dur di- Damen Marie Blank, Nanny Lattermann, Martha Ramme, Marie Roland, Charlotte Völkel, Laura Wollner und dur den Tenoristen O. Hinyelmann mehrere Solo- und Chor- ge]ange vorgetragen, die allgemeinen Beifall fanden und von der vor- Men Kunst ihres Gesanges in erfreulihster Weise Zeugniß ab- egten.

Im Saal Bechstein fand am Freitag cin „Liederabend" ftatt; ¿um Vortrag gelangten nur Kompositionen von Hans Hermann, der aber mit der größeren Noutine, die er auf diesem reicher Ausgestaltung fo fähigen Gebiete erlangt, dech niht zu ciner musikalish vertieften Erfassung seiner Stoffe durhzudringen f{cheint. Bei dem sinnigen, auf die Absichten des Tonseters verständig einzehenden Vortrage, der den einzelnen Nummern dur Frau Lillian Sanderfon und Herrn Her- mann Gausche zu theil ward, konnten sie indeß alle als gefällig

gelten und den Beifall der Hörer fiaden. Der zweite Liederabend der Frau Nicklaß- Kempner, der gleihfalls am Freitag im Saale der _Philharmonie stattfand, bewies nur aufs neue, daß die Sängerin cs im Liedervortrag zur Meisterschaft gebraht hat. Klarheit der Sprache, verständnißvolle Auffassung und warme Empfin- dung find ihren Darbietungen in gleihem Maße eigen und vermitteln den Hörern einen ungestörten und reinen Kunstgeuuß,

Am Sonnabend gaben im Saal Bechstein Herr Franz Henri von Dulong und Frau von Dulong- Lossen ihren zweiten Liederabend ; Herr Dulong sang u. a. Lieder von Mozart, Schubert, Schumann, Henschel, Dvoràk, in welchen er seine {chönen Stimmmittel gut zur Geltung brachte und auch im Vortrag Geshmack und Tewperament zeigte. Frau Dulong- Lossen ist als tüchtige Sángerin längst bekannt; Lieder von Brahms, Schumann, Tschaïkowsky, Bungert brachte sie warm und ausdruckévoll zu Gehör. An demselben Tage gab der Pianist Herr Waldemar Lütshg aus St. Petersburg ein Konzert mit dem Philharmo- nishen Orchefter in der Sing-Akademie. Der kaum dem \hulpflihtigen Alter entwachsene, angehende Virtuose scheint vorläufig das Klavier für einen Kraftmesser anzusehen und das Orchester für einen Gegner, den es durch Töône niederzudonnern gelte: eine Auffaffung, die R. Schumann's A - moll- Konzert (op. 54) förmlich zu einem Wettkampf gestaltete. Aber auch in den weiteren Gaben des Abends, welhe aus Stücken von Bach-Busoni, Beethoven, Chopin und Liszt bestanden, entwickelte Herr Lütschg eine erstaunlihe Muskelthätigkeit. Ob der Pianist außerdem musikalishes Verständniß hat, war aus diefen Kraftproben nit zu ersehen. Zum Schluß muß noch einer Matinée gedacht werden, welche FräuleinFelicia Tuczekam Sonntag im Saal derKöniglichen Hoch \hule veranstaltete, und in der sie d aufs neue als fertige und ges{chmackvolle Klavierspielerin bewährte. Sie trug Werke älterer und moderner Meister im Technischen tadellos und mit musikalischer Vertiefung vor; besonders weiß sie zarten und innigen Empfindungen durch ein fast hingehauchtes, leiht beschwingt-s Spiel Gestalt zu R und fand für diese Seite ihres Könnens stets lebhaften

eifall.