1897 / 47 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 24 Feb 1897 18:00:01 GMT) scan diff

i. Ferner sind seit dem Zeitpunkte, wo im Reih die Ueber- weisungépolitik eingeführt wurde, zwei ganz neue Ausgabeposten ent- standen, die ebenfalls von Jahr zu Jahr steigen: erstens die Auf- wendungen für die soziale Gesezgebung und zweitens diejenigen für unsere Kolonialpolitik. Jh halte es doch für nüßlich, meine Herren, Ihnen hier einmal einige Zahlen mitzutheilen, die nah dieser Richtung über unsere Finanzgebahrung in den leßten 10 Jahren von mir zusammengestellt find.

In dem abgeshlofsenen Rehnungsjahr 1895/96 betrug der von dem Beharrungszustande noch sehr weit entfernte Zuschuß zu den Aliers- und Invaliditätsrenten rund 17 Millionen, Der gleichzeitig dur die Schutzgebiete veranlaßte Aufwand dürfte rund 8 Millionen überschreiten. Die im ordentlichen Etat gedeckten Kosten der Landes- vertheidigung sind in dem Dezennium 1885/86—1895/96 für den Kopf der Bevölkerung von 8,90 4 auf 13,41 Æ, das ist um 50,67 °/o, gestiegen. - Die Ausgaben des gesammten ordentlihen Etats, ausschließ- lich der durhlaufenden Posten der Betriebsverwaltungsausgaben und Fehl- beträge, haben von 9,39 auf 15,10 #, das ift in einem zehnjährigen Zeitraum um 60,81 9/0, zugenommen. Hinter dieser rapiden Steige- rung der Ausgaben bleibt die natürlißhe Zunahme der Einnahmen weit zurück. Es läßt sich allerdings eine ganz ershöpfende Uebersicht zwischen den Jahren 1885/86 und 1895/96 deshalb nit aufstellen, weil inzwischen eine Reihe von Veränderungen in der Steuergeseß- gebung stattgefunden haben; aber immerhin läßt sih die Steigerung der Einnahmen zu derjenigen der Ausgaben doh für eine Anzahl von Steuern feststellen. So is für den Kopf der Bevölkerung der Kaffee-, Petroleum-, Taback-, Salzzoll, sowie das Aufkommen an Tabalck- und Salzsteuer in dem zehnjährigen Zeitraum von 3,48 auf 3,98, also um 14,29 9/06, die Biersteuer von 0,61 auf 0,79, d. h. um 29,42 9/0, die Wechselstempelsteuer von 0,14 auf 0,17, also um 18,16 0/6, und der reine Uebershuß der Betriebsverwaltungen (der Post, der Reichseisenbahnen und der Reichédruckerei) von 0,83 auf 0,98, also um 17,46 9/0, gestiegen, die Einnahmen aus den vorgenannten Abgaben zusammen find von 5,06 auf 5,91, das heißt um 16,749/o, gestiegen. Während dieselben 1885/86 mit 225 Millionen rund 51,15 % des ordentlihen Aus- gabebedarfs von 439 907 543 Æ darstellten, reihen die im Nech - nungs jahre 1895/96 aufgekommenen rund 297 Millionen nur noch zur Deckung von 37,63 der entsprechenden Aus" gaben hin. Demgegenüber f\teht aber eine wahsende Verschuldung des Reis. Die Bundesstaaten haben im leßten Jahrzehnt an Mehrüberweisungen rund 405 Millionen empfangen. Während dieses Zeitraumes hat ih die für niht werbende Zwecke aufgenommene Swuld des Reichs um 1600000 4 und die Zinslast dafür um jährlich 52 Millionen erhöht, also niht einmal die Deckung der Zinsen wäre ohne Einführung neuer, bezw. Erhöhung der bestehenden Abgaben möglih gewesen. Ich bitte um Entschuldigung, daß ih Sie mit diesem Zablenmaterial in Anspruch genommen habe, glaube aber, diese Zahlen sind an sih fo sprechend, daß fie den exakten Beweis führen, daß die Neberweisungspolitik in dem bisherigen Umfange unter feinen Umständen mehr aufrecht zu erhalten ist. Demgegenüber darf man aber nit vergessen, daß die verbündeten Regierungen sich in dem geseßlihen Recht des Besißes der Ueberweisungssteuern be- finden, und daß es zu einer Einigung mit den verbündeten Regie- rungen nur kommen kann, wenn zwischen diefem ihrem Recht auf die Neberweisungssteuern und dem unbegrenzten Rechte des Reichs auf Erhebung von Matrikularbeiträgen eine billige Diagonale gefucht wird. Wenn aber die Bundesstaaten auf einen erheblihen Theil ihrer Ueber- weisungssteuern verzichten follen, so scheint au die Forderung derselben nit unbegründet, daß sie in gewissen Grenzen Gewähr dafür erhalten, daß vie Matrikularbeiträge niht weiter gesteigert werden. Diese Gewähr soll in dem § 2 gegeben werden; insofern unterscheidet si der vorliegende Geseßentwurf von dem Geseßentwurf vom 16. April des vorigen Jahres. Man hat in der Prefse gesagt, dieser Geseß- entwurf sei unendlih {wer zu verstehen. Ja, die ganze Reichs- Finanzverwaltung ist s{chwer zu vecstehen (sehr richtig !), und wer diese Technik niht Tag für Tag handhabt und in diese Dinge sich vertieft, fann so etwas überhaupt nicht verstehen. (Heiterkeit.) Aber ih meine, für jemand, der mit dieser Materie ernst si beschäftigt, ist die Sache fo unverständlih nicht. § 2 will weiter nichts, als die halben Mehrüberweisungen über die Matrikularbeiträge hinaus und zwar unter einer Resolutivbedingung zur Schuldentilgung festlegen. Wie ih dies Verhältniß im einzelnen gestaltet, dafür möchte ih ein zahlenmäßiges Beispiel anführen. Nehmen wir an, 1897/98 würden die Ueberweisungen die Summe der Matirikular- beiträge um 60 Millionen übersteigen; von diesen 60 Millionen er- bält 30 Millionen das Reich zur Schuldentilgung und 30 Millionen entfallen auf die Einzelstaaten. Die 30 Milionen zur Schulden- tilgung werden dem Reich nur unter einer Resolutivbedingung gegeben, und in gewissem Sinne fließen au diejenigen 30 Millionen, welche die Bundesstaaten erhalten, denselben nur widerruflich zu. Das heißt, die Bundesftaaten sind unzweifelhaft bereit, für den Fall, daß die Spannung des Jahres 1899/1900 sich innerhalb der Grenzen der 30 Millionen bewegt, die sie an Mehrüberweisungen bekommen haben, dieses Defizit durh Erhöhung der Matrikularbeiträge um den gleichen Betrag zu decken. Sollte aber die Spannung des Jahres 1899/1900 gniht 30 Millionen betragen, sondern 40 Millionen, so wären 10 Millionen von den Matrikularbeiträgen abzuseßen, welhe das Reich aus eigenen Mitteln zu beschaffen hätte, das heißt, um den Betrag wäre der Schulden-Etat höher zu belasten, es wären mithin von den 30 Millionen, die das Reich 1897/98 zur Schuldentilgung empfangen hätte, 10 Millionen zur Entlastung der Bundesftaaten wieder herauszugeben. Sollte aber die Spannung im Jahre 1899/1900 60 Millionen betragen, so hätten erst die Bundes- ftaaten 30 Millionen Mark Matrikularbeiträge zu bezahlen und das Reich hätte die 30 Millionen, die es zur Schuldentilgung schon ver- wandt hat, wieder herauszuzahlen, indem es seinen Schulden-Etat um den betreffenden Betrag höher belastet. Mit anderen Worten: die ganzen Mehrüberweisungen des korrespondierenden Vorjahres in Höhe von 60 Millionen würden für die Zwecke des Reichs wiederum in An- \spruch genommen. Würde aber die Spannung nicht 60, sondern 70 Millionen betragen, so hätten die Bundesstaaten die empfangenen 30 Millionen in Form von Matrikularbeiträgen zurückzuzahlen, das Reich hätte seine 30 Millionen wieder zurückzuzahlen, die es zur Schuldentilgung verwendet hat, und die Bundesstaaten hätten ihrer- seits außerdem noch die {fehlenden 10 Millionen Matrikularbeiträge aus eigenen. Fonds aufzubringen. Weine Herren, man kann selbstverständlich iheoretisch? annehmen, daß die Spannung des Jahres

1899/1900 in dieser Höhe fteigen wird, daß nicht nur das Reich die Schuldentilgung rückgängig zu machen hat, sondern daß auch die Bundesftaaten mit ihren Matrikularbeiträgen über die Hälfte hinaus in Anspruch genommen werden könnten, die sie im Jahre 1897/98 erhalten; aus diesem Grunde wird man aber auch gegen den § 2 nit den Einwand erheben dürfen, daß er einen automatischen Charafter trägt und den Bundesstaaten das Interesse an der Gestaltung der Reichsfinanzen nimmt. Denn würde der Etat für das Jahr 1899/1900 nicht vorsichtig aufgestellt, fo könnten die Bundesftaaten nach diesem § 2 eventuell in die Zwangs- lage kommen, in jenem Jahre mehr Matrikularbeiträge zahlen zu müssen, wie sie im Jahre 1897/98 an Mehrüberweisungen erhalten haben. Aus dieser Gefahr, die für die Bundesftaaten immerhin noch verbleibt, folgt meines EraŸhtens eine gewisse Berechtigung der Bundes- staaten, daß sie wenigstens soweit gegen höhere Matrikularbeiträge ge- \{chüßt werden, wie das der § 2 des Gesegentwurfs vorgesehen hat. Mit anderen Worten wenn ih einen plastischen Vergleich wählen darf will der § 2 zwishen den erhöhten Bedarf des Reichs und die dementsprehend zu erhöhenden Matrikularbeiträge einen Puffer schieben in der Weise, daß, wenn die Matrikularbeiträge höher find wie die Mehrüberweisungen, welhe die Bundes- staaten thatsählich wieder herausgezahlt haben, zunähst der Betrag zur Deckung des Defizits verwendet wird, den das Reich von den Bundesstaaten zur Schuldentilgung aus den Ueberweisungssteuern erhalten hat.

Man fkann ja gegenüber diesem Geseßentwurf auch eine reihe Fülle von Kasuistik üben; man kann sagen, es bestünde immer noch die theoretishe Möglichkeit, daß selbst die Ueberweisungs- steuern hinter ihrem etatsmäßigen Ansay zurückbleiben; man kann ferner sagen : entweder die Bundesregierungen oder der Reichstag Fönnten die Matrikularbeiträge oder die Ueberweisungen so ver- anslagen, daß entweder die Bundesregierungen mehr an Matrikular- beiträgen zu zahlen haben, oder das Reich den Betrag wieder heraus- zuzahlen hat, den es zur Schuldentilgung verwendet hat. Meine Herren, ih glaube aber, diefe Kasuistik fällt mit dem einfahen Ein- wande, daß es \sich nur um ein Geseh für ein Jahr handelt, und daß. dieses Geseg nur gemaht wird auf Grund eines Etats, den die Bundesregierungen beschlossen haben und den festzustellen in Fhrer Machtvollkommenheit liegt. Man hat auch darauf hin- gewiesen, daß es doh eigentlich niht zu rechtfertigen wäre, daß man zwei Rechnungsjahre in einem Geseß mit einander verkoppelt, daß man das Jahr 1897/98 verkoppelt mit dem Rechnungsjahr 1899/1900, defsen finanzielle Verhältnisse man noch garniht übersehen könne. Ja, meine Herren, wenn man nit eine solhe Ver- Foppelung bei einem solhen Gelegenheitsgeseß oder in einer dauernden Finanzreform beliebt, dann wird man den Bundesstaaten nie die Sicherheit für die Aufstellung ihrer eigenen Etats geben Fönnen, die sie beanspruhen müssen. Außerdem ist der Vorgang ja kein neuer: er entspriht dem Art. 70 der Reichsverfafsung, in dem ausdrücklich gesagt ist, daß die Uebershüsse des Vorjahres in den Etat des nächsten Jahres einzustellen sind. Anders können Sie es auch garniht machen; denn wie viel Mehrüberweisungen das Jahr 1897/98 ergeben wird, und welcher Uebershuß aus der eigenen Wirth- schaft des Reiches des Jahres 1897/98 erfließt, wissen wir erst beim Finalabs{chluß im Juni 1898. Wir können deshalb über diese Summe erst verfügen für den Etatentwurf des Jahres 1899/1900. Ich meine, man könnte auch sagen, wenn man Furht vor dem sogenannten Automaten hat, ih theile diese Furcht nicht, ich erkenne überhaupt die Bezeichnung als zutreffend nah keiner Richtung an, aber ih will mich einmal auf diesen Standpunkt stellen könnte sagen: dieses Gelegenheitsgeseß ist gefährlih; denn es enthält den Keim für eine fünftige Finanzreform. Ich meinerseits würde es für kein Unglüd halten, wenn zunächst ein \olches Gesey mit dem Etatsentwurf dem Neichs- tag alljährlih vorgelegt, mit ihm vereinbart würde, und wenn si durch diese Praxis das Verständniß für das Wesen der Finanzreform au weiteren Kreisen außerhalb des hohen Hauses mittheilte; denn ih bin der Ansicht: alle die Angriffe, die man gegen die Reich8-Finanz- reform von außen her gerichtet hat, beruhen lediglih darauf, daß man berhaupt das Wesen der Sache gar nicht erkannt hat; denn hätte man im deutschen Volk die hohe politishe Wichtigkeit einer ander- weitigen Regelung des Verhältnisses zwischen Reih und Einzel- staaten auf dem Gebiete des Finanzwesens thatsählich durchschaut, meine Herren, dann bin ih fest überzeugt, daß au der Bevölkerung selbst in solch \türmisher Weise die Forderung der Finanzreform erhoben wäre, daß eine folhe auch im hohen Hause zu stande ge- fommen wäre. Aber ih erkenne an, die Frage ist für weite Kreise außerhalb des hohen Hauses eine vollständig unverständiiche, und es ist vielleicht praktisch klug, zunähst durch folhe Einzelgeseßze das Wesen der Sache auch den Wählern klar zu machen und eine gewisse öfentlih-rechtlihe opinio communis über diefen Gegenstand zu bilden innerhalb und außerhalb des Reichstages.

Ich glaube auch, meine Herren, die grundsäßlichen Gegner jeder dauernden Finanzreform könnten dem Geseße ohne Gewifsensbisse ihre Zustimmung ertheilen; denn dieser Geseßentwurf enthält alle die Elemente, die auch von der linken Seite des Hauses seiner Zeit ge- fordert sind. Erstens erstreckt er ih nur auf ein Jahr, er wird vorgelegt gleichzeitig mit dem Etat, defsen Gestaltung das hohe Haus in der Hand hat. Ferner is gegen eine dauernde Finanzreform gerade der Einwand erhoben worden: man solle sich nicht festlegen, denn durch jede Festlegung beshränke der Reichstag sein Budget- recht, und man fköônne nicht wifsen, welhe Forderungen die künftigen Jahre brächten. Gerade dieser § 2 trägt jenem Gedanken vollständig Rechnung: Sie legen sich nicht fest, Sie machen das Gesetz nah dem gegenwärtigen Stande der Finanzen, und Sie sind in der Lage, wenn im Jahre 1899/1900 ein größeres Defizit sih herausstellt, als der Betrag, den die Bundesstaaten empfangen haben, Jhrerseits die®Schuldentilgung wieder rückgängig zu machen, und den zur Schuldentilgung verwendeten Betrag zur Deckung von Reichsbedürf- nissen für das laufende Jahr zu verwenden. Damit halten Sie aber die Forderung neuer Steuern hintan. :

Meine Herren, zum Schluß gestatte ih mir noch eine Be- merkung. Man hat hinter diesem Geseß wieder den preußischen Herrn Finanz-Minister vermuthet und hat auch diese Vermuthung in ziemlih lebhaften und umfangreichen Angriffen begründet. Der preußische Herr Finanz-Minister steht ebenso wie die Gesammtheit der verbündeten Regierungen auf dem Standpunkt, daß er ein Finanzreformgeseß auf länger befristete Zeit, auf mindestens drei oder fünf Jahre, wünscht, und er steht ferner auf dem Standpunkt, daß er einer Regulierung

des Finanzwesens des Reiches in der Richtung, die ich im Anfang meiner Rede angedeutet habe, bei weitem den Vorzug geben würde. Aber § 2 des vorliegenden Geseßentwurfs ist nicht von dem preußisYen Herrn Finanz-Minister ausgegangen; der preußische Herr Finanz, Minister hat sich erft nah längerer Erwägung entschlossen, diesen § 2 im preußishen Staats-Ministerium zu vertreten, und wenn Sie also diesen Paragraphen bekämpfen, bekämpfen Sie nicht den preußishen Herrn Finanz-Minister, sondern die Reichs-Finanzverwaltung und einen einstimmigen Beschluß der verbündeten Regierungen.

Ich bitte deshalb das hohe Haus, den Geseßentwurf einer wohl, wollenden Prüfung zu unterziehen. (Bravo! rechts.)

Abg. Richter (fr. Volksp.): Die langen, zu dem Umfang der Vorlage in keinem Verhältniß stehenden Ausführungen des Staats, sekretärs beweisen, daf! es sid hier um wichtige finanzielle Fragen handelt, sodaß wir niht beute {hon zur zweiten Lesung übergeher können, sondern die Vorlage in der Budgetkommission prüfen müssen. Das vom Reichstage im vorigen Jahre beschlossene Gesetz hat seinen Zweck, die C deuverncWeneg zu hindern, erreihi. Um so wunderbarer ist es, daß man diesem Gefeß noch eine weitere Be, stimmung hirzugefügt hat. Die Bundesregierungen follen ni&t definitiv auf die Ueberweisurgen verzihten, sondern nur unter der Bed)ngung, daß bei erbôöhten Matrikularbeiträgen in zwei Jahren das Reich wieder den Vorschuß zurückzahlen soll. Das ift die automatishe Regelung des Prinzips, daß die Matrikularbeiträge nicht höher sein follen als die Ueberweisungen. Theoretish bat der Schaßzsekretär auch einen anderen Automaten gewissermaßen zur Ansiht vorgelegt, der aug auf die reinlihe Scheidung hinauskommt. Das heißt: alles, was an Zöllen und Steuern mehr auffommt, wird auf Heer und Marine verwendet, während jeßt die Gelder auf Kulturausgaben verwendet werden können. Die Festseßung von Matrikularbeiträgen ift die Be- \{chränkung des Budgetrechts des Reichstages, der Zwang zu neuen indirekten Steuern. Der Schahsekretär nimmt das Verdienft, die neue Bestimmung ersonnen zu haben, für \sich in Anspruh. Wer die Fassung erfonnen hat, ift gleichgültig; der Finanz-Minister Miguel hat aber diesen Gedanken {on am 13. Januar d. J. im Abgeordnetenhause mir gegenüber ausgesprohen. Es handelt sh um ein s{chrittweises Vorgehen. Der Schaßsekretär meinte, der blinde Höôdur draußen habe die Sahe noch nicht verstanden, sonst würde er einen Sturm gegen den Reichstag entfesseln. Die Wirkung des Automaten hat man fehr wohl im Volke erkannt. Er würde dahin führen, daß die indirekten, die ärmeren Volksklassen drückenden Steuern vermehrt werden unter Schonung der wohlhabenderen Klassen, die durch die direkten Steuern der Einzelstaaten getroffen werden. Unglücklicher, als er vorliegt, fonnte der § 2 nicht gestaltet werden. Was wird das Etatsfoll der Matrikularbeiträge und der Ueberweisungen nah zwei Jahren bedeuten? Das sind keine festen Begriffe. Die Verquickung zweier Jahre miteinander führt zu noch größerer Unübersichtlihkeit der Finanzen, als sie jeßt {on vor- handen ist. Jeßt haben die Einzelstaaten besonders günstige Ver- hältnisse wegen der wachsenden Einnahmen der Staatseisenbahnen, wegen der überall si vollziehenden Konvertierung; sie können jeßt auf die Ueberweisungen vollständig verzichten, niht bloß vorschußweise. Wir wissen gar nicht, wie sih das übernähste Jahr gestalten wird; das kann der Bundesrath viel eher übersehen. Der Schaßtsekretär hai den preußischen Finanz-Minister ex nexu zu stellen ver}juht. Aber es ist doch merkwürdig, daß niemand vor Herrn von Miquel auf folche Gedanken gekommen ist. Da tritt doch ein merkwürdiger preußischer Partikularismus hervor. Mit dem § 2 ist das Geseß für mih nicht annehmbar, dieser birgt eine größere Gefahr, als § 1 Vortheil. Man kann auch ohne Gese daëtselbe erreihen. Die Annahme der Vorlage würde nur das zweimal abgelehnte Automatengeseß wieder ins Leben rufen.

Abg. von Leipziger (d. kons.): Der Vorredner hat sich selbft widersprochen, indem er sagte, der Reichstag könne durch seine Be- chlüfie den § 2 selbst paralysieren. Wir sind für die Reih3-Finanz- reform stets eingetreten im Interesse der Aufrechterhaltung deé föderativen Charakters des Reiches und zum Schuge der Einzelstaaten gegen plößliche Mehrausgaben. Selbst das Zentrum hat sich dahin auêgesvrochen, daß eine dauernde Regelung wünsch-en8werth fei. Das Verhältniß, welches die Vorlage {chaft, würde also nur eta vor- übergehendes sein. Die Einzelheiten können der Kommission über- lasjen werden. Vor dem Automaten des § 2 haben wir keine Furt.

Atg. Dr. Lieber (Zentr.): Der Schaßsekretär führte die Steigerung der Ausgaben für Sozialpolitik an. Diese haben wir aber {on honoriert; denn dafür haben wir die Branntweinver- brauhsabgabe bewilligt. Seit sieben Jahren haben wir 700 Millionen Mark Branntweinsteuern eingenommen und nur 75 Millionen für die Invalidenversiherung verausgabt. Die Vorlage ist ein Schritt weiter auf dem im vorigen Jahre betretenen Wege der Schuldentilgung, der jedenfalls weniger Bedenken hat als der andere Weg, den der Schaßsekretär angedeutet hat. Die Vorlage vermeidet den Automaten; wir regeln die Sade von Jahr zu Jahr und seyen neben jedes Etatgeseß statt des Anleihegeseßes alljährlih ein Schulden- tilgungsgeses. Ih wünschte nur, daß mehr als die Hälfte der Ueberweisungsübershüfse zur Schuldentilgung verwendet würde. Die Bundesstaaten haben ein Recht, gesichert zu sein gegen ein zu hohes Anshwellen der Matrikularbeiträge, damit niht das Reich feine Schulden auf Kosten der Einzelstaaten tilgt. Die Verkoppelung zweier Etatsjahre hat ihre Bedenken. Daß die Beschränkung der Summe der Matrikularbeiträge zu neuen indirekten Steuern drängen wird, könnte möglih fein. Aber ih nehme an, daß die Stellung des Reichstages durch die Vorlage durchaus nit ver ändert wird. Jedenfalls sind wir der Meinung, daß wir mit in direkten Steuern so weit gekommen sind, taß wir sehr {hwer darüber hinausgehen werden. Ihre endgültige Stellungnahme behalten fid meine Freunde vor.

Abg. Dr. Paasche (nl.): Die Hoffnungen des Abg. Richter auf Ablehnung der Vorlage sind nah den Reden der Abgg. Lieber und von Leipziger wohl geschwunden. Was er gegen den Automaten vorgebracht hat, stimmt uns eber für als gegen die Vorlage. Dur eine dauernde Megelung dieser Frage würde das Einnahme- Bewilligungêreht des Reichstages niht wesentli“ beeinfluf! sein. Das Einnahmebewilligungsrecht der Matrikularbeiträge ist eine \{chlechte Grundlage für die Finanzverwaltung; deun k bedeutet eine Jnanspruhnahme der Taschen anderer. Deshalb muß man diese Beiträge \o niedrig wie möglih halten im Interesse det Einzelstaaten, denen man die indirekten Steuern entzogen hat. Preußen hat allerdings große Eisenbahnüberschüsse, aber Baden nicht, es muß alles dur die direkten Steuern aufbringen. Die thüringischen Staate find noch viel s{chlimmer daran, denn ihre Eisenbahnen rentiereu fi garnicht 8 2 ift unglücklih formuliert, aber für ein Jahr wn man sich wohl an den richtig verstandenen Inhalt des Gedanken halten können.

Staatssekretär des Reichs-Schazamts Dr. Graf vo" Posadowsky-Wehner:

F will mich nur auf zwei kurze Bemerkungen beschränken.

Zunächst hat der Herr Abg. Richter gesagt, ih hätte einen neuen Finanzreformentwurf zur Ansicht angeboten. Nein, nicht zur Anficht, sondern zur stillen Ueberlegung für künftige Jahre. Wenn aber der Herr Abg. Richter gegen die angedeutete Regelung den Einwand erhoben hat, es würde dann alles für Heer, Marine und Kolonien verwendet werden, was jeßt an Mehrüberweisungen den Bundesstaaten zufließt, dann hat er einen Gesichtspunkt doch außer Betracht sgt“ lassen: wenn das Reih mit Ausnahme der Branntweinverbraul“ abgabe über die gesammten Ueberweisungsfteuern verfügte, würde man selbstverständlihß den Schuldtitel ganz streichen, und alf die Ausgaben, die eigentlich ins Ordinarium gehören, weil sie Verzinsung versprehen, auch wirklich ins Ordinarium übernehme

Würden das aber die verbündeten Regierungen nicht thun wollen, so hâtte darin ja der Reichstag freie Hand, daß er Ausgaben, die auf Squldentilgung genommen find, auf das Ordinarium verwiese. Die Konsequenzen, die der Abg. Richter für die Reichêverwaltung zog, würden also keinesfalls entftehen; denn das wäre völlig ausgeshlofsen, daß man einerseits sämmtlihe Ueberweisungen für das Reich in Anspruch nähme und eine wachsende Verschuldung, wie bisher, weiter beftehen ließe. :

Der Herr Abg. Richter, hat dann angedeutet, man könne die Sache auch ohne Geseß machen. Gewiß; auf einem Wege kann der Reichstag das, was die Vorlage will, ohne Geseß machen, einfach in der Weise, daß er die Posten, die jeßt in dem Schuldentitel stehen, in das Ordinarium seht und die Matrikularbeiträge in gleiher Weise erhöht. Was würde das aber für eine Unbilligkeit gegenüber den Einzelstaaten sein! Erstens liite eine sol&e Manipulation an dem großen Fehler, daß der Reichstag über etwas verfügt, von dem wir noch niht wissen, ob es eingehen wird. Stellt sih das Iahr 1897/28 niht so günstig wie das Jahr 1896/97, \o hätten zwar die Bundesstaaten außerordentlich erhöhte Matrikularbeiträge zu leisten, sie erhalten dafür aber feine Deckung; ih glaube, die Bundes- staaten würden bei einer folhen Manipulation weder geneigt sein ein dauerndes Finanzreformgeseß zu vereinbaren, noch überhaupt etwas für die Schuldentilgung der Zukunft herzugeben; aber immerhin wäre ein soler Weg wenigstens geseßlich möglich.

Viel bedenklicher dagegen wäre der andere Weg, den der Herc Abg. Richter angedeutet hat : einfa zu erklären, das Anleißegeset wird nur insoweit realisiert, als die betreffenden Ausgaben nicht durch rechnung8mäßige Mehrüberweisungen gedeckt werden können. Denn das würde ih nit für zulässig erahten, daß in diefer Weise ein Gese, das einen verfassungsmäßigen Charakter trägt, das Recht der Einzelstaaten auf die Mehrüberweifungen, durch ein Gelegenheitsgesey abgeändert und mit dem Anleihegesey verkoppelt würde. Darin würden die Einzelstaaten einen Eingriff in Rechte erblickden, die ihnen ohne gegenseitige Vereinbarung unter keinen Umständen entzogen werden können.

Meine Herren, ih denke aber nach den Erklärungen, die heute von den Rednern der verschiedensten Parteien abgegeben worden sind, daß au über den vorliegenden Geseßentwurf eine Einigung zwischen den verbündeten Regierungen und dem Reichstage möglich scin wird. Sollte es irgend einem Kundigen in dem hohen Hause mögli sein, den § 2 klarer zu fassen, ohne ein Beispiel hinzuzufügen, fo wäre ich dafür sehr dankbar; aber diescn finanziellen Grundsaß fo zu formulieren, daß er aub dem, der sich mit der Materie nit eingehend beschäftigt, verständliß wird, das wird außerordentli schwer sein.

Dem Herrn Abg. Lieber gegenüber möchte ich nur bemerken, daß es mir selbstverftändlih fern gelegen hat, etwa für die Ausgaben der sozialen Gesetgebung no@mals eine Steuerrehnung zu Pprä- sentieren. Jch habe nur darauf hingewiesen, daß neben dem großen Anleihetitel, den auch dieser Etat wieder enthält, wir auch sonf|# noch steigenden Ausgaben gegenüberstehen, nicht nur auf dem Gebiet der Heeresverwaltung, sondern auch auf dem Gebiet der fozialen Geseß- gebung und der Kolonialverwaltung, und daß diefe Erwägungen allerdings meines Erachtens dahin führen müssen, daß die Ueber- weisungspolitik in dem bisherigen Umfang in keinem Falle fortgeführt werden kann, wovon die verbündeten Regierungen ihrerseits einstimmig überzeugt sind.

Abg. Richter führt aus, daß das Zentrum eine Schwenkung vollziehe, daß es sih auf den abschüsfigen Weg zum Automaten und zur Pretsgebung der Frandckenstein’|chen Klausel begebe.

Die Vorlage wird der Budgetkommission überwiesen.

Es folgi die zweite Berathung des Geseßentwurfs wegen Abänderung des Gesetzes, betreffend die Beshlagnahme des Arbeits- oder Dienstlohnes, und der Zivilpr ozeßordnung.

Ein freie Kommission hat Abänderungsanträge vorbereitet, welche den ehelihen Verwandten ein Vorreht vor den un- ehelihen bei Alimentationsansprüchen gewähren sollen.

_ Nachdem der Abg. Bassermann (nl.) diese Anträge befürwortet und auch der Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) ihnen zugestimmt hat, wird die Vorlage mit s Anträgen angenommen.

Es folgt die Fortsczung der zweiten Berathung des Reichshaushalts-Etats für 1897/98 und zwar des Etats des Reihs-Jnvalidenfonds.

ierzu liegt folgender Antrag der Abgg. von Leipziger

und Genossen (d. kons.) vor:

Die verbündeten Mannes zu ersuchen

1. um Vorlage einer weiteren Ergänzung oder eines Nachtrages ¡um Entwurfe des NReichshaushalts-Etats für das Etatsjahr 1897/98, durch welche: 1) dic Ausgaben aus dem NReichs-Invaliden- fonds um je die Hälfte desjenigen Betrages erhöht werden, welcher in den Grenzen der Zinsen des für die Sicherstellung der gesetzlichen Verwendungézwecke des Fonds entbehrlichen Aktivbestandes nah der leßten Bilanz vom 30. Juni 1894 vom 1. April 1895 ab noch rehnerisch vecfügbar ist, 2) den Einnahméebetrag ent- sprechend zu berichtigea ;

IT. im Eniwursfe des Reichshaushalts, Etats für das Etatsjahr 1898/99 die Beträge dieses Nachtrags-Etais um den Betrag zu er- böhen, der auf Grund der am 30. Juni 1897 aufzustellenden Bilanz des Reichs-Invalidenfonds in den Grenzen der Zinsen des nicht belegten Aftivkapitals etwa noch weiter sih als nachhaltig verfügbar herausftellen wird.

Die Budgetkommission beantragt, den Dispositions- Ave Seiner Majestät des Kaisers zur Gewährung von

eibilfen an hilfsbedürftige Kriegstheilnehmer aus dem Feldzug von 1870/71 und aus den von deutschen Staaten vor 1870 geführten Kriegen von 1 800 000 f um 960 000 Æ, also auf

760 000 A und demgemäß auch die Einnahmen in Tit. 1 (Zinsen) von 15 820 000 Æ auf 16 780 000 M zu erhöhen.

Ferner beantragt die Non eine Resolution, wonach bei der Aufstellung des nächsten Etats der Betrag auf

e Einzelstaaten nah einem anderen Maßstabe vertheilt werden soll.

Berichterstatter Abg. Freiherr von Gültlingen (Rp.) weist daraufhin, daß statt der angenommenen 15 000 Kriegstheilnehmer deren 23 000 unterstützungsbedürftig gewesen seien. Wenn es auch unge- wöhnlihh sei, daß die Sowmission Ausgabeerhöhungen vorschlage, so handele es sih doch bier nur um eine fkalkulatorische Maßregel , daß le Ausgaben entsprechend der Zahl der Ünterstägungsbedürftigen er-

n.

höht werde

bg. Müller - Fulda (Zentr.) führt aus, daß über 7000

ebens Pungdbedürftige s vorhanden seien, deren Ansprüche

aenlo berechtigt seien wie diejenigen der 15 000, welche Unterstüßungen alten haben. Man sollte fie der Absicht des Reichstags gemäß

unter i iy Dentsben, zumal die Gelder dafür verfügbar seien. Es wäre des

Reiches unwürdig, wenn man die Leute abweisen wollte, :

weil angebli die Mittel niht vorhanden seien. Es wäre bedauerlich, wenn man in diesem Jahre, wo man die Centenarfeier begebe, noch an durchgeführt hätte, was im Jubiläumsjahre bewilligt wor- en fei.

Abg. von Leipziger: Obgleih ih den Veteranen gegenüber denselben Standpunkt einnehme, wie der Vorredner, so habe ih es doch für rihtiger gehalten, die Resolution Veralegoe. Ich folge dabei den Worten des Abg. Lieber, daf der Reichstag sih seine Rechte am besten wahrt, wenn ec in die Rechte Anderer nicht eingreift. Die Aufstellung des Etats is aber Sache des Bundesraths; deswegen sollte der Reichstag davon abstehen, selbst die Ausgaben zu erhöhen. Erst nach der Feststellung der neuen Bilanz des Reichs-Invalidenfonds, welche am 30. Juni dieses Jahres stattfindet, kann man die verfügbaren Mittel übersehen, und dann sollten in erster Linie die Invaliden be- rücksihtigt werden und in zweiter Linie ers die erwerbéunfähigen Kriegstheilnehmer, deren Erwerbsunfähigkeit niht von einem Kriege herrührt. Wir werden schließlich dahin kommen müssen, die erwerbs- unfähigen Kriegstheilnehmer nicht auf den Reiché-Invalidenfonds, fondern auf andere Fonds zu verweisen und den Invalidenfonds für die Invaliden zu reservieren.

Staatssekretär des Reihs-Schaßzamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Ich möchte zunächst die verbündeten Regierungen gegen den Gedanken verwahren, daß sie etwa an den Zinsen des freien Kapitals des Reichs - Invalidenfonds hätten ihrerseits Er- sparnisse machen wollen. Es ift ein Jrrthum, wenn man an- nimmt, das Geseg vom 22. Mai 1895 zwänge die verbündeten Re- gierungen dazu, die ganzen Zinsen des freien Kapitals für die dort angegebenen Zwecke sofort zu verausgaben; das Geseß bestimmt nur, daß diese Ausgaben zu leisten find innerhalb der Zinsen des Kapitals, d. h. die Zinsen bilden die Maximalgrenze, über welhe nicht hinaus- gegangen werden darf. Jh kann aber dem bohen Hause die Ver- cherung geben, daß cs den verbündeten Regierungen vollkommen fern- liegt, diefe Zinsen zu irgend einem anderen Zwecke zu tbesaurieren, sondern daß sie au keinen anderen Wunsh und keine andere Absicht haben, als dieselben zum Besten der Invaliden und der Kriegstheil- nehmer zu verwenden. Wenn aber die gesammte Zinssumme, die eventuell zur Verfügung ftehen würde, bisher für jene Zwecke in den Etat nicht eingestellt ist, so roar allerdings die Erwägung dafür maß- gebend, die bereits von dem Herrn Abgeordneten von Leipziger näher angedeutet worden is. Wir twoaren?der Ansicht : wenn zwei Kategorien um den Zinsbetrag konkurrieren, die eine Kategorie, die den Feld- zug mitgemacht hat, die eine Beschädigung dur die Folgen des Feld- zuges behauptet und nur aus formalen Gründen den juriftishen Nach- weis hierfür niht bringen fann, daß diese Kategorie vorzugêweise zu berüdsihtigen is gegenüber einer anderen Kategorie, die lTediglich an dem Kriege theilgenommen hat, aber auch nicht einmal die Be- hauptung aufstellen kann, daß sie durch die Folgen des Krieges irgendwie ges{ädigt wäre, sondern eben nur ihre patriotishe Pflicht dem Vaterland gegenüber erfüllt hat wie jeder waffenfähige gesunde Mann. Wenn wir deswegen die Zinsen niht voll in den Etat ein- gestellt haben, fo geshah es niht, um sie für einen ferner liegenden Zweck zu thesaurieren, sondern um sie zu thesaurieren im Interesse der ersteren Kategorie, weil wir uns sagten, daß diese Kategorie die größeren Ansprüche hat, und daß diese Ansprüche wachsen werden mit dem zunehmenden Alter und der zunehmenden Gebreclihkeit. Ich glaube deshalb, wenn die Resolution des Herra von Leipziger seitens des hohen Hauses angenommen werden follte, würden die ver- bündeten Regierungen keinerlei Einwände dagegen erheben, daß die ganzen Zinsen in den Etat eingestellt werden, und zwar nah dem Inhalt der Resolution zur Hälfte zum Besten der niht anerkannten Invaliden, zur Hälfte zum Besten von Kriegstheilnehmern.

Aber, meine Herren, gegen Eins möchte ih mih {hon jeßt ver- wahren. Daran wird garnicht zu denken sein, daß wir auf dem Wege, den das Geseß vom 22. Mai 1895 einge- {lagen hat, in der Weise fortfahren, daß wir für jeden Kriegstheilnehmer, der sich als hilfsbedürftig bezeichnet und von der Lokalbehörde als solcher anerkannt wird, auch eine Reichsrente festseßen. Dann kominei wir auf Wege, die vollkommen ungangbar find. Jh erwähne nur eine Thatsache, daß nach der Statistik, die seitens der Königlih bayerishen Regierung auf- gestellt ist, sich seit der leßten Statistik die Zahl der Personen, die diese Rente beanspruchen und die als bedürftig von den Lokalbehörden anerkannt find, um 27 % vermehrt bat. Ich erkenne die Ver- pflictung der verbündeten Regierungen an, vielleiht auch in steigen- dem Maße in Zukunft für alle die Kriegstheilnehmer zu sforgen, die eine Schädigung an ihrer Gesundheit und ihrer Erwerbéfähigkeit unmittelbar durch die Theilnahme am Kriege nachgewiesen oder in hohem Maße glaubhaft gemacht haben. Aber die Kriegstheil- nehmer noch mehr zu berücksihhtigen, als das bisher geseßlih geschehen ist, das halte ich aus finanziellen und auch aus sonstigen Grünben für äußerst bedenklich. Was nun die Summen betrifft, die eventuell zur Verfügung stehen sollen, so find sofort an Zinsen verfügbar aus- dem nicht belegten Kapital 400 000 M, die ersparten Zinsen sind nur fingierte Ersparnisse aus dem einfahen Grunde, weil für die Zwecke des Invalidenfonds zunächst immer die Zinsen in Anspruch genommen werden und dann erft entsprehend dem Bedarf Kapital zugeshossen wird. Wie Sie aus der leßten Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben ersehen haben werden, hat sogar im Jahre 1895/96 der eingestellte Kapitalzushuß nicht genügt, sondern ist noch überschritten worden. An fingierten Zinsersparnissen seit dem 1. April 1895 würde die Summe verfügbar sein, die der Herr Abg. Müller (Fulda) erwähnt hat, nämlih 3 165 1422 A Die ver- bündeten Regierungen werden also, wenn die Resolution angenommen wird, erstens meines Erachtens bereit sein, die jeßt hon verfügbaren Zinsen für beide Zwecke zur Verfügung zu stellen, und sie werden ferner auh bereit sein, jene Summe an seit dem 1. April 1895 ersparten Zinsen für die gleihen Zweke zu verwenden. Man kann nur darüber zweifelhaft sein, in welhen Raten man diese Ersparnisse einstellt, ob man sie auf 6, 10 oder 12 Jahre ver- theilt. Der Reichs-Invalidenfonds hat in dieser Beziehung eine Berehnung bereits aufgestellt und if zu dem Resultat gekommen, daß, wenn man diese Zinsersparniß nur auf 6 Jahre vertheilte, {on im siebenten Jahre ein Defizit vorhanden sein würde und hiernah die Verpflichtungen, die man eingegangen, niht mehr erfüllt werden fönnten. Das ift aber eine Frage rein sahlicher Natur.

Was ferner die Aenderung des Vertheilungsmaßstabes betrifft, so liegt meines Erachtens dazu nicht der geringste praktishe Anlaß vor. Diese Bestimmung des Gesetzes, daß die fernere Feststellung des Vertheilungsmaßstabes durch den NReichshaushalts-Etat erfolgen

folle, beruhte darauf, daß der allgemeine geseßlißze Ver- theilungsmaßftab auf Elsaß - Lothringen niht zutraf, weil es

ja keine Kriegsleistungen im deutshen Kriege hatte. Man wollte also ers das Bedürfniß von Elsaß-Lothringen thatsählich feststellen, und, was dann übrig bleibt, sollte auf die anderen Bundesstaaten nach dem Maßstabe der Kriegsleistungen vertheilt werden. Zunächst konnte Elsaß-Lothringen den Betrag von 8920 Æ niht verwenden. Jeßt ergiebt fch aber, daß Elsaß-Lothringen fogar nit gereiht hat; es will weitere 3900 A haben, um den festgestellten Bedarf zu befriedigen. Die meisten anderen Staaten baben ihren Betrag vollkommen verbraucht , und nur aht haben da- bei im Ganzen 4000 in dem legten Abrechnungsjahre erspart. Das ift eine so minimale Zahl, daß man deshalb, glaube ih, den Vertheilungsmaßstab niht zu ändern brauht. Ich kann mich also dahin resümieren: mit dem Zweck der Resolu- tion werden die verbündeten Regierungen einverstanden sein, die Zinsen wollen sie gegenüber dem Wunsh des Reihstages nicht zurückhalten, sie werdèn die verfügbaren Zinsen ebenso wie die erspar- ten in den Etat einstellen. Es wird Ihnen ein Nachtrags-Etat zu- gehen, und daraus werden Sie fich überzeugen können, in welhem Maße die verbündeten Regierungen nach Maßgabe des Standes der verfügbaren Zinsen dem Wunsch des hohen Reichstages entgegen- kommen. (Bravo! rets.)

Abg. Graf von Oriola (nl.): Der Beschluß der Kommission war erst möglih, nachdem die Reaierung Auskunft gegeben hatte über die verfügbaren Mittel und über die Zabl der nit berüdfich- tigten Kricgstheilnehmer. Es find Bedenken geltend gemacht worden, daß der Zinsfuß heruntergeht. Auf einige Jahre hinaus werden 3# 9/9 erzielt werden. Wenn nachhec eine Herabseßung auf 3 9/9 eintriti, so werden die Empfänger der Rente bereits durch Todesfälle vermindert worden sein. Die Invaliden follen nit ge- schädigt werden. Die Kriegsverwaltung hat aber alle Ursache, die Kriegstheilnehmer der Armenpflege nichr anheimfallen zu lassen; und wenn für 15 000 etwas geschehen ift, fo müssen wir für die andern bisher nicht Berücksichtigten ebenfalls etwas thun. Für diejenigen, die den Zivilversorgungs\chein niht benußen, muß auch etwas zeibebeit Nach Erklärung der Kriegsverwaltung sind die Verhandlungen dar- über noch nit abgeschlossen. Wenn wir für die Arbeiter des Friedens durd die Unfallversiherung forgen, dann müssen wir auch für die Kriegsinvaliden forgen. Dafür reiht aber die Resolution des Herrn von Leipziger nicht aus. Der budget- rechtlihe Widerspruch gegen die Erhöhung der Ausgaben ist nicht zutreffend. Wir halten dafür, daß es fich nicht um einen Eingriff in die Rechte der Exekutire, sondern um die Erfüllung der geseßlichen Vorschriften handelt. Aber besser ift es, wenn wir einen Konflikt vermeiden. Ih wünsche, daß wir zu einer Resolution kommen, die den Kommissionsbeschluß erfüllt und niht den Antrag von Leipziger. Den Soldaten muß das Gefühl gegeben werder,

1 daß das Vaterland für sie sorgt, wenn sie invalide sind.

General - Lieutenant von Viebahn: Es ist der Kriegs- verwaltung keineëwegs unbekannt gewesen, daß die Zeitungen behaupten, die Wittwen und Waisen der französishen Kriegstheilnehmer erhielten höhere Pensionen als bie der deutschen. Ich habe einen Artikel einer Zeitung hier; wenn er wahr wäre, wäre es bedauerlich. Aber die Ermittelungen in Elsaß-Lothringen haben ergeben, daß der Inhalt des Artikels unrichtig ist. Die Pensionen der Wittwen und Waisen sind viel niedriger für die Hinterbliebenen französischer Offiziere, ebenso stellt es si bezüglich der Hinterbliebenen der Gemeinen. Die Militärverwaltung verschließt sih nicht der Einsicht daß die Bezüge der Militärwitiwen niht mehr ausreihen, und man wird sh überlegen müssen, wie man am besten helfen kann. Aber es wird wohl weniger auf geseßgeberishem Wege, als im Wege der Unterstüßung bei Bedürftigkeit vorgegangen werden müssen. Der Antrag des Herrn von Leipziger ist dem Beschluß der Kommission vorzuziehen.

Abg. von Vollmar (Soz.): Die Stellungnahme der Re- gierung is niht recht verständlih. Bisher mußte man den Glauben haben, daß die ersparten Zinfen für andere Zwecke verwendet werden sollen, und der Glaube wird durch die Erklärung der Regierung nicht fo \{Gnell beseitigt werder. Bei den Festretern 1895/96 ift sehr viel von den Invaliden gesprochen worden; man hätte lieber etwas mehr für fle thun follen. 120 Æ reichen für einen Invaliten doch nicht aus. Man sfellte nit den KommifsionsLeshluß fallen lassen und die Refolution annehmen.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Nachdem man die Kriegstheilnehmer im Jubeljahre an dem JInvalidenfonds hat theilnehmen lassen, will es mir nit rihtig ersheinen, sie bei nühterner Stimmung wieder davon auszuschließen. Auf Gr“nd der Auskunft des Reichs, Schaßamts ist die Kommission zu threm Beschlusse gckommen, und es handelt sih s@ließlih nur noch um die Form. Wenn der Bundesrath au das Necht hat, den Etat aufzustellen, so hat der Reichstag nicht bloß das Recht Ausgaben zu streichen, sondern auch fie zu erhöhen und die Einnahmen ebenfalls zu erhöhen. Allerdings die Regierung ist nicht gezwungen, die Ausgabeerhöbung auszuführen; dann würde der Reichstag einen Monolog halten. Aber es herrscht ja Einigkeit zwischen Regierung und Reichstag, und da kann der Ausweg gesucht werden in einer Resolution. Die des Herrn von Leipziger reicht aber nicht aus. Im Verecio mit meinem Freunde Müller (Fulda) {lage ih daher folgende Resolution vor:

„Der Reichstag wolle beschließen, den Rei&skanzler zu er- suchen, einen Nachtrag zum Entœurs des Reichshausha!ts für 1897/98 einzubringen, welcher den hilfsbedürftigen Kriegstheilnehmern Unterstüßungen von jährli 120 4A im Sinne des Art. [ des Reichs- gesepes vom 22. Mai 1895 aus den Ersparnifsen und den verfü z- aren Zinsen des Reichs: Invalidenfonds soweit als möglich gewährt

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Ih wollte au) lebhaften Wider- spruh erheben gegen den in der Presse erhobenen Vorwurf, als ob der Weg, den die Budgetkommission eing-s{lagen hat, nicht berechtigt wäre. Die gegenwärtige Sachlage ist eine derartige, daß man durchaus nicht von parlamentari|hen Uebergriffen reden kann. Die vom Abg. Lieber vorgelegte Resolution hat einige Vorzüge vor dem Antrage des Herrn von Leipziger.

Staatssekretär des Reichs - Schaßamts Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Es sind eine Anzahl s\taatsrechtlicher Ausfüh- rungen gemacht worden, die ih niht in allen Punkten theilen kann. Ich halte es aber für überflüssig, wenn man in einer Sache einig ist, daß seitens des Vertreters der Regierung überhaupt roh s\taats- rechtlihe Erörterungen gemacht werden. (Sehr gut!)

Ich habe mi aber zum Worte gemeldet aus einem anderen Grunde. Es sind hier verschiedene Aeußerungen, s\ogar persönliche, wiedergegeben, die angeblich gemacht sein sollen, und es is auch hier von einer Art Konfliktsbeweguag die Node gewesen. Jh glaube, wenn Sie hier im Reichstage ein sol&e Sache behandeln, fo könren Sie si doch nur an die Ausführungen halten, die offiziell von seiten der Vertreter der verbündeten Regierungen in der Budgetkommission gemacht sind. (Sehr richtig!) Die habe ih gemaht. Da haben wir uns über diese Fragen nah allen Seiten, auch nah der staats- rehtlihen Seite hin, ausgesprohen. Jch bitte aber dringend, diesen Ausführungen niht Zeitungsberiht- zu Grunde zu legen, von denen ih erklären kann, sie sind unbegründet. (Hört, hört! links.)

Nach weiteren Bemerkungen des Ab . Graf Oriola (nl.) und Müller- Fulda (Zentr.) wird die Resolution Lieber an- gion Der Antrag der Budgetkommisfion, für den nur

ie Sozialdemokraten stimmen , und der Antrag von Leipziger wird abgelehnt. Die Resolution der Budgetkommission wird

angenommen, ebenso der Rest des Etatstitels.