1819 / 76 p. 2 (Allgemeine Preußische Staats-Zeitung, Tue, 21 Sep 1819 18:00:01 GMT) scan diff

Il. Zeitu ngs-Nachrichten.

A us land.

Paris, vom 11. September. Die Kommißion für den öffentlichen Unterricht, noch unter dem Vorsitze ihres bisherigen Präsidenten Royer Collard, hat durch eine Verfügung vom 7. d. den Profeßor Ba- voux, unter Mißbilligung seines Betragens, des Lehr amtes an der Rechtssck%ule entseßt, weil er, geständiich und überwiesen, die Gesege, die er den Schülern nur zu eréláren berufen worden, während setnes Vortrages zugleich einer sarfen und unbedaczisamen Kritik un- terworfen, und durch diese Unbesonnenhert due vorge- fallenen Unruhen zunächst veranlaßt habe.

Die liberalen Journale finden diese Amts -Entsegzung verfaßungewidrig, weil der Prof. Bavoux ducch ein Geschwornengericht freigesprochen worden sey ; Die ver- gegen aber, daß dieses Gerict nur über die #ntlage wegen aufrührischer Reden entschieden hat. Die Kom: mizion grüadec ihre Verfüguag auf namhaft ge machte Geseße. (Aiso nicht bios in Weimar, auch in Frankreich, wo die liberalen Jrstitutionen, das Ge: \chwornengericht und die Preßfreiheit hecrsczen, rotrcd ein Lehrer dur die administrarive Behörde seines ám- tes entlaßen, weil diese Behörde ihn ungeeignet sin: det, die Jugend zu unterrichten.)

Die Parthei der ultraroyalistischen Tages - Schrift- steller glaubt über ihre Gegner, besonders aber über den Minister des Jnneren, durch eine Flugscgrift des General - Lieutenants Vicomre Donadieu „an seiae Miitbürger ‘“’ einen entstiednen Sieg ertampft zu ha- ben, und es is schwerlich zu läugnen, daß dur die Aufschlüße, die der General der die Begebenheiten zu Grenoble in den ersten Monaten des Jahres 1816 giebt, so wenig er selbst auch dadurch gerecztfertiger wird, doch dem Minister des Jnneren, damaltigem ÞP0- lizei- Minister, in der öffentlichen Meinung leicht ge- schadet werden könnte. Es ist bekannt, daß zehn In- wohner des Jsere- Departements dur den Udvoka- ten Ney im May d. J. wider den General Don- adieu und seine Mitschuldigen eine änflage auf Meuchelmord bei dem Königl. Prokureur des Seine: Tribunals einreihten, weil er als damaliger Militair: Kommandant im Monate May 1816 wider ihre Ange- hörigen , als angebliche Theilnehmer eines Aufruhres, ein gese - und verfaßungswidriges Verfahren einge leitet, und sie auf den Grund eines unbehörigen Friegs- rehtlihen Spruches habe erschießen laßen. És ist bis jet nicht bekannt geworden, ob und welche vor- láufíge Untersuchung zur Einleitung eines förmlichen Anklage - Prozeßes wider den Gen. Donadieu ver: anlaßt worden ; der Beschuldigte hält aber den gegen: wärtigen Zeitpunkt geeignet, mit einer Rechtfcrtigungs- schrift vorzutreten, die weder das Verdienst der Dar- stellung hat, noch die öffentlihe Meinung zu seinen Gunsten berichtigen wird. Denn ganz abgesehen, daß dem aufmertsamen Leser, der die Begebenheiten der Zeit im Zusammenhange verfolgt hat, das Leidenschaft: liche und Sorglose seines Verfahrens gar nicht enr:

ehen wird, fehlt es seiner Erzählung auch an. allen Belägen, Kein einziges Aktenstück, nicht seine Kor- respondenz mit dem Kriegsminister, nicht seine Tage s- befehle, überhaupt nichts hat er den Lesern mitgezheilt.

Seine Beschuldigungen treffen den Minister des Inneren, damaligen Polizeiminister, hauptsächlich in zwei Punkten: einmal, daß er den Berichten des Ge- nexals über die Verschwörungen im Jsere: Departement Leinen Glauben beigemeßen und nicht im Einverständ- niße mit den übrigen Ministern kräftige Gegen - Maas- regeln angeordnet habe, um etwanigen Exceßen und Verbrechen zuvorzukommen, sodann, daß er, ohne Berücksichtigung einer für sieben Verurtheiite von dem General «eingelegten Verwendung, die unmittelbare Hinrichtung der sämmtlichen Gefangnen, 22 an der Zahl, befdhlen; denn auf die von ihrer Verhaftung und Ver- urtheilung gemachte Anzeige, sey ihm durch den Te-

legraphen der Befehl zugefertiget worden, sfe auf der Stelie hinrihten zu laßen.

Ueber beide Beschuldigungen hat sih der Minister des Juneren schon zu recztfertigén gesucht, indem er eine Korrespondenz mit dem Kriegsminister, Herzog von Felcre, vom 1. Mäcz 1816 mittheilt, aus wel- cher hervorgeht, daß der Gen. Oonadieu dem Kriegs- minisier, an den sich der Policeiminister mit dem Ge-

suwe, die Truppen im Jsere: Departement zu verstär-.

ken, gewendet hatte, die Gefahr teinesweges dringend vorgeftelit, daß Er es also gewesen, der das Ministe- cium in Jrethum verseßt uno oepen Wawsamkeit ein- gescyläferr have. Ueoer diese Beswuldigungy erscheint der Polizeimimfter auch um so mehr gerechtfertigt, als es n1ch dhinreicheno ergiebi, daß ver Gen. Donadieu mit dei ihn anvertrauten Truppen dem Aufstande, der nit on groper Beoeutuang gewesen, habe wider: liehen konnen. Um si von dec zweiten Bejchuldi- guny zu ceinigen, räumt der Minister des Juneren zwar ein, dap für einige Verurthecilte eine Begnadi- gung nächyesucht worzen, dap aber der König im Kon- seil der Minister sie nur uncer der Bedingung bewil liyet, wenn die Schuldigen durch freies Bektenntnis und dur Entoeckung ihcer Vurscpuldigen jich der Kö- niglicheu Gade wouürvig maten. Der vom Kanzler ÖVDambray und vom Polizeiministec Gr. Decazes unteczeicnete telegruphiswe Befehl vom 12. Mai lau: tet: „Gnade soi nur öxnen bewtiigt werden, vie wich- tige Cutdeckœunzen gemathr haven. Die 21 VBerurtheil- ten müßen hingeritei werden, so wie Davtd, Die Verfügung vom 9. in Bezug auf die Hehler läßt sich nichi buchstabli4, ausführen.“ Die Verfügung vom 9. Mai war ein Tagbdefehl des Generals, der uniet andern und hauptsawlich enthielt, daß jeder Jnwoh- ner, bei dem ein äufrührer gefunden würde, zum Tode verurtheilt und dap sein Haus geschleift werden, auc daß dieses legte jevem Bewohner geschehen solle, bei dem man irgend eine Waffe fände. Diesen Tagbe- feol mipbiligr der Polizeimimster dur ein Schreiben an den Genezal, welches er am folgenden Tage der teleyraphis@;en Depesche nachsandte. BVeßen ungeac tet scheint die Etifertigkeit dieser Depesche, und besonders die verweigerte Begnadigung, die der General für 8 Veru:theute (den durch ein früheres Kriegsrecht zum To-e verurtheilcen O avid eingeschloßen) nachgesucht haite, sich mzr ¿ech.fertiigen zu lazen, obwoi sie dem ganzen Weinisäerium zur Last fällt. Nach der änktlage- Ukte des Udvvtaten Rey vom 5. Mai d. J. waren unter den bder Gnade empfohlenen Ver„rrheil:en zroei junge Leute, decen Uns aid nah Ubsayung des Ur- theiis voli ¿andig eræ1iejen worden war. Daß selbst diese hingeriÞhter wurden, gereicht dem Generale im- nmec ¿zum WBorwurfe, obwol die bedingte Begna- dizurnig, roelche die rel«gcaphiscze Depesche enthalten soi, jeher undeutlicy ausgedructt ist.

Die ultraroyaliitiszen Journale sollten sih übri- gens um so wenizer eines Sieges über das Ministe- rium vom Fahre 1816 erfreuen, da sie am bejten oißen, untec wel jem CEinfluße dasselbe stand. (Da der Gen. Donadieu seine Berichte an den Kriegsminister, Her,og von Feicre, erstattet hat: so ijt nit un- wahrseinlich, daß die unglückliche Eile, die in die Vouziehung des Todesurtheiles von einer gesezlih nit kompetenten Behörde gelegt wurde, vorzüglich sein Werk gewesen; als Gouverneur von Berlin im Jahre 1807 machre er sich ewer ahnlichen blutdürstigen Eil- fer-igteit s{iuldig.)

Daß Herr D uno yer, Herausgeber des Censeur, die Gefängunisstrafe, in die er wegen Mißbrauchs der Preße dur eiue Jury veruriheili æ0rden, ‘ebt ange- treten (und daß sein Mit: Herausgeber, Herr Comir e, ihn vielleicht begleitet habe) läpr si4 aus einigen neueren Blättern ihres Journals schließen. So wird bei der Er¡ählung, daß die Hanöversche Regierung ei- nen von Magdeourg entwichenen Feitungsgefangenen an die Preaßispen Agenten, die ihn verfolgt, ausge:

liefert habe, die Bemerkung gemacht: man scheine in Teutschland wenig zu kennen, was man anderwärts unter der Unverleylichkeit des Gebietes ver- stehe. Wahrscheinlich ist diese Phrase in Abwesenheit der beiden verständigen Herausgeber von cinem der teutschen Korrespondenten eingesandt worden, die in der Stadt Frantfurt am Maiu gern ein Asyl für alle Verbrecher des Preußischen Staates einrihten möch: ten. Als kürzlih ein Engländer, der in seiner Hei- math ein Kind geraubt, deshalb auf teutschem Booen verfolgt und von der teutschen Behörde nah England ausgeliefert wurde, hat sti über die Rect tmäßigkeit der Berfoigung und der Auslieferung (mit Recht) auch nichr der leiseste Zweifel erhoven. Cben dieses Blatt enihált die literarische Anzeige eines Französiscyen Wers kes Über die öffentlichen Bauten in England, wobet auf Anlaß der Waaterlobrücke in London vemerkt wird

„Je weniger Ruhm ein Sieg gebrachc hat, desto

mehr muß sein Name auf zehn verschiedenen Punkten verherrliht werden. Man kann fich eines Sieges nur rühmen, wenn man aus ganz reinen Beweggründen die Wasfen ergriffen hat. Dieses war hier auf keiner Seite der Fall. Die Befieg!en kämpfiea, um nicht von den Mächten Europens Geseze zu empfangen; aber sie hätten einem anderen Oberhaupte folgen soilen, nich: dem Ursurpator ihier eignen Reczte, nit dem Zerstörer ihrer liberalen Jnstitutionen. Die Sieger erhoben si gegen den Räuber Europens, gegen den Urhever eines Biutbades, dergleiczen die Welt seir Artila nicht gesehen; aber sie mußten ihm n@zt nachahmen, sie mußten, ihr eigenes Woct achiend, eine große Nation achten. Man haire von beiven Seiten zugleich Recht und Unrecht, und ein soiher Sieg verdient nicht, daß manTrophäen errichte.“ Wie weit man sonst au die Nationalverblendüäng ge: trieben, so hat fie sih doch s{werlic jemals saamioser vernehmen laßen, und es ijt zu wünschen, dap Herr Dunoyer seines Verhaftes bald entlediget werden môöge.

Ein Journal bemerkt bei Erwähnung des Gerüch- tes, als ob der Graf Darü an die Stelle des noch immer franfen Marsczals Gouvion St. Cyr zum Kriegsminister bestimmt sey, daß dieser thätige Be: amte Bonapartes während der nur kurzen Dauer seiner Verwaltung mehr Papier konsumirt habe, als die ganze Staatsverwaltung während der langen Re- gierung Ludwigs XLUV. (Den hm hiebei gemachten Vorwurf, daß er wegen des kleinsten Rechenjeh- lers große Rechnungen umschreiben laßen, müßen wir aus eigner Erfahrung von ihm abwenden. Er hat Rechenfehler, freilih zu Gunsten der großen Armee, paßiren laßen, die oft mehr als 100,000 Fr. betrugen, ja er hat, wenn er darauf merksam gemacht wurde, sie abzuändern verweigert, weil es nicht eine Sache des Kalkuls, sondern der Politik sey.)

Nach dem Moniteur werden im Versammlungs- Saale der Pairs große Veränderungen angebracht; man gewinnt dadur Pla für 40 neue Siße. „Ge- rechier Himmel!‘ ruft eins unsrer Blätter steht Uns eine neue Ordonnanz vom 5. März bevor? oder so) es nur eine Warnung seyn, um von einem neuen Barthelemyschen Antrage abiuschrecken ? ‘‘

Der aus der Schreckenzeit der Revolution be- kannte: Billaud von Varennes ist zu Port au Prince auf St. Domingo an Entkräftung gestorben.

London, vom 10. September. Fn der gestrigen

Versammlung des städtischen Gemeinderathes, den der

Lord Mayor, ungern, wie er sagte, auf Verlangen ei: niger Mitglieder zusammengerufen hatte, um sich über die Ereigniße in Manchester zu berathen, ward durch Stimmenmehrheit eine Addreße an den Prinzen Re- genten besuloßfen, in welcher besonders auseinander ge- set werden solle: daß das Volk ein verfaßungsmäßi- ges Recht h3be, sich zur Berathung über seine Be- schwerden öffentlih zu versammeln, daß das Volk in Manchester von diesem Rechte geseßlich und friedlich

4 Gebrauch gemacht, daß es von den Veomen hierin |

widerrechtlich gestört und daß dadurch die Verfaßung verleßt worden.

Sir R. Wilson ist von Paris zurückyetommen, um an einer Versamælung in Southwark üver oens- selben Gegenstand thätigen Antheil zu nehmen.

Eine in Liverpool stattgehabte Volksversammlung hat über die Foderungen des Volkes sich in gemäßig- ter Weise ausgesprochen, und die Ansprüche der Re- formers utter der Leitung Hunts getaoeit, obivol das Verfahren wider fie gleiczfals für ungeseslich erklärt. Nach einer Aeußerung des Friedensrichterë , Oberjien Williams, der dieser Versammlung veiwohnte, wa- ren die Speciai- Konstabler in Manchester zu Polizei- beamten enrartet, einer ausländischen Justitution, d1E man in England verfaßungsmäßig nicht tenne. Es gebe nur Gerichisobrigkeiien und Konstabler, worüber auch Niemand, der die Verfaßung tennt, in Zroeifel seyn wirdz-wenn aber Ob. Wiliiams bemerkte, daß er als Frideens:ichter soviel Special - Konstabler ernen- nen töónne, als iÿm zur Erhaltung der Ordnung bet jeder einzelnen Gelegeoheit nöthig düunke: so härte er noch hinzufügen müßen, daß auch jeder Konstaëbter soviel Special: Konstadler zu seinen Gehilfen augen- dlicklicy wählen kann, als er behufs der äusführung seines Amtes erfoderlich sindet.

(Von der Ciari@iung der Konstabler sagt ein neuer Franzofischer Schriftsteuer „Diese einfache, halb popuz laire, haib aristokratische und uerichtl:che Anstalt siczert die Freiheit volutommen, ohne sie in geringsten zu bes örohen. Die öffen lche Machi ist überall, uno man totrd sie nirgend gewahr. Durch die Koüjiabler hai ote Regierung cine öfsentliche Macht geschaffen, die aüent- halven uno beständig wirfsam und nux eivem einzigen Bürger bes%werlih ist. Dhne die Bewohuer zu quä- len, ohne sie in ihren Gewerden zu stören, ha: man dens noch aus ihnen die Beamten ver doffenclizen Macht gebiloer unv ohne die Staatskaße zu ecschöpfen, ohne Gensdo'armen ¿u bezahlen, dea Einen in den Schirm des Andern gefteüt.““ *z)

Wenn éffenclihe Blätter bemerken, daß das op- pofitioneue ziellose Treiben der Refo: mers, der Zeis tungschreiber, u. st. w. dahin führen tönne, den ‘is nistern bei ihrem unausgeïczten VBesireben ihr An- sehn aufrept zu erhalten, die Freiheiten des Volkes in die Hände zu liefern: so scheint dieser Besorgnis von keiner Seite Raum gegében weren zu können. Die Minister sind vor allem Brittishe Männer, die sich gewiß um keinen Preis der öffentlichen Schmach eines Verrathes ihres Vaierlandes unò seiner Verfa#- Sung, um ihrer perönlichen Authoricrät einen Zuwachs zu verschasfen , ausseyen werden. Glauben die Mini- ster, daß den Bew-gungen der mehr oder weniger ge- mäßigten Reformers nir nahgesehn weren tkönue, öaß man sich selöst den Versuchen, ein dreijähriges Parla- ment und eine Veränderung des Wahlreczres zu erlangen ernfstlicy widerseßen müße: so tönnen sie allerdings sowol im Grundsaße selbt, als in der Wahl der Mittel wider die Versamn:lungen der Gegner irren, aber unstreitig handeln sie dabei in gutem Glauben; una- streitig sind sie der Meinung, daß die Voltsbewegun- gen, wenn sfe nit in Zeiten unterdrück: werden, zut Anarchie und zum Umsturz der Verfaßung, anfangs zum Terrorismus, zulegt zum Despotismus, führen werden. Unstreitig ijt es auch 1n dieser Uederzeugung, daß der rechtliche Theil der Bürger hierin einstimm-, wenn wir gleich entfernt sind, ein gehäßiges Licct auf die wirklich achtbaren Männer zu werfen, die in der Reform des Parlaments das Heil des Vaterlandes und die Genesung des Staaskörpers von irgend einem kaum zu verschweigenden kranthafien Zustande zu fin:

den meinen.

*) Wir würden uns noch mehr von den Vorzügen der Konstabler und von der Entbehrlichkeit andrer Organe der Polizei überzeugen, wenn nicht die Menge der Râu- bereien, der Diebstäle, der Betrügereien und andrer Verbrechen, die in solhem Maaße uns ganz unbekannt sind, einiges Vedenten erregte.