Erste Beilage
zum Deulschen Reichs-Anzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.
Nichtamfklicßes.
Preußen. Berlin, 2. März, Jm weiteren Verlaufe der gestrigen (10.) Sivung trat der Neichstag in die erste Berathung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend Er- gänzungen und Aenderungen des Reihs-Militär-
esetes vom 2. Mai 1874 ein. Die Debatte wurde vom taats - Minister von Kameke mit folgenden Worten
eingeleitet : : 7
Meine Herren! Die verbündeten Regierungen sind sich wohl be- wußt, daß mit der Novelle ¿zum Militärgeseß Ihnen eine Vorlage von s{chwererer Tragweite unterbreitet worden ist. Derselben sind im Schoße der Bundesregierung auch die ernstesten Erwägungen voran- gegangen. Cin Staat, wie unser Deutsches Reich, kann es nihtdem Zufall überlassen, ob er im gegebenen Falle die Stärke besißt, seine Freibeit und die Unabhängigkeit seiner Entschließungen zu wahren. Von seinen Staats- männern ist vielmehr absolut zu verlangen, Sorge dafür zu tragen, daß das Gleichgewicht in der Stärke, welches zwischen dem Deutschen Reich und seinen großen Nachbarn besteht, nit wesentlih alterirt wird. Wenn nach auêgebrochenem K onflikt es sich herausstellen sollte, daß dur Versäumnisse im Frieden, in den Forderungen der Heeret- verwaltung das Deutsche Reich nit die Machtmittel besäße, seine Würde und seine Interessen vertheidigen :u können, würde Jeder die Regierung und speziell die Militärverwaltung verantwortlich machen, und das mit Recht. Daraus erwächst die Pflicht für die Regierung, mit offenen Augen den Vervollkommungen zu folgen, welche unsere Nachbarn in der Heeresverfassung einführen, die daraus resultirende Stärke zu s{häßen und zu beurtheilen, welcken Einfluß dies auf die militärishen Beziehungen zu uns ausübt. Es kann da- bei feine wegs darauf ankommen, daß wir in den Ziffern stets glei gehen mit unseren Nachbarn, wohl aber darauf, daß wir nicht bis zur Hülflosigkeit überflügelt werden. Daß diese Beobachtung ge- schieht, brauche ih Sie wohl nicht zu versidern. Jh bin überzeugt, Jedermann hat in dieser Beziehung zu dem leitenden Staatsmann das vollste Vertrauen und weiß auch, daß er von der Militärver- waltung mit alier Treue unterstüßt wird. Dies Vertrauen, meine Herren, verbunden mit der festen Ueberzeugung, daß Deutschland nur den Frieden erstreben kann, werden nit verfehlen, Beruhigung in den Gemüthern und eine Zuversicht auf den Bestand der Verhält- nisse herbeizuführen. :
Nach unserer Beobachtung hat sich nun die Anschauung gebildet, daß, seitdem unsere Heereé stärke fixirt worden, durchÞ das Borgehen unserer Nachbarn dasjenige Gleichgewicht verschoben if, welches wir dur unser Militärgeseß vom Jahre 1874 angestrebt haben. Es ist cine Ausgleihung dieses Mißverhältnisses erforderli, und zwar sind es nicht Gründe afkutler Natur, die auge»yblidckliche politische Lage und dergl., welche tazu treiben, sondern dauernde Gründe, die Nb- sicht, auf alle Fälle unser deutsches Vate:land den Chancen, die im Schoße der Zukunft ruhen, gewachsen zu erhalten. f
Die Veränderungen der Heereteinrihtungen unserer Nachbarn find nun keineëwegs plößlich und erft jegt eingetreten; man könnte al;o fragen: da so lange gewartet ist, warum jeßt die Veränderung, warum wird nicht noch länger gewartet? Hierauf kann ih die Ant- wort geben, daß die Militärverwaltung allerdings das Bedürfniß der Vervolikommnung bereits seit längerer Zeit erkannt hat, daß sie aber aus Achtung vor dem bestehenden Geseß nicht damit hervor- getreten ift, weil das Geseg hätte geändert werden müssen. Jett, wo die geseßliche Regelung ihrem Abliuf entgegengeht, war es Pflicht, vor neuer Feststellung das Bedürfniß zu prüfen.
Ih hoffe, daß Sie mir hier ein Eingehen auf die militärischen Erwägungen, die die Vorlage veranlaßt haben, erlassen werden, sie sind au in den Motiven nur angedeutet; ih denke, daf, wenn Sie belieben sollten, diese Vorlage in eine Kommission zu verweisen, si dort Gelegenheit finden wird, Ihnen“die Ueberzeugung zu schaffen, daß Ab- und Nachülfen erforderlich sind, und daß man durch die Maß- nahmen der nachcbarlihen Militärverwaltungen gezwungen war, mit der Vorlage vor Sie zu treten.
Wenn Sie dies einmal annehmen wollen, bis Ihren eben die Veberzeugung dort gegeben werden kann, so tritt die Frage in den Vordergrund: wird durch die in der Vorlage vorgeshlageren Mittel dem entstandenen B. dürfnisse in einer Weise abgeholfen, die die Kräfte des Landes am meisten s{ont? Meine Herren, glauben Sie nicht, daß ein Kriegs-Minister das, was man gewöhnlich Militärlast zu nennen pflegt, niht zu würdigen versteht. Berufen in der leßten Instanz, in fast allen Entscheidungen mitzuwirken, die die bürger- lihen Verhältnisse der Heercsangehörigen betreffen, sammelt si für ihn ein statistishes Material, aus welchem er den Einfluß des Heeresdienstes auf die wirthschastliven Verhältnisse des Landes wohl beurtheilen lernt und gezwungen, jede Forderung vor Bundesrath und Reichétag zu vertheidigen, if er au an eine peinlihe Erwägung des finanziellen Effekts seiner Postulate gewöhnt. So sind denn auch in der Vorlage nur solche Vorschläge gemacht, die die geringste pe:sönliche Last für das Volk auferlegen und mög- lichst geringe Geldopfer fordern, — Was die persönliche Last be- trifft, so ist der Grundsaß befolgt, fie auf möglichst Viele zu ver- theilen; die allgemeine Wehrpfliht wird damit mehr zur Wahrheit gemacht, wenigstens der gewasenen Volkszahl entsprehend, erwei- tert. Man hâtte vielleicht durch Verlängerung der Dienstzeit in der Landwehr auch die Mannschaften zur Kompletiru g unserer Friegsformation erhalten können, aker dann würden diejenigen Leute, Bo durch 12 jährige Dienstzeit das Ihrige für die Sicherheit des f aterlandes s\{chon gethan haben, mehr belastet scin zu Gunsten an-
erer, die lediglih durch eine hohe Loosnummer von der Pflicht frei grarden man hat deéwegen andere Wege gewählt. Nur für den Theil er Beer eêvermehrung, welcher bestimmt ist, augenblidälich in die Kriegsfor- MaUon einzutreten, ift eine vollständige Absolvirung der Dienstpflicht in Aussicht genommen. Man gelangt dadurch dahin, daß diese Last j L auf 9—10 000 Mann jährli mehr ausgedehnt wird. Für die- ca Mannschaft n, welche bestimmt sind, die Lücken während eines all andenen Krieges auszufüllen, ist die vollständige Abjolvirung der für re8pfliht nit beabsichtigt, obwohl in unseren Nachbarstaaten e elen Zweck auch ausgebildete Mannschaften vorhanden sein ErsaßE, ; Bei uns besteht bis jeßt die Einrichtung, d:ß wir in die A d ataillone Rekruten einstellen, die möglicst {nell ausgebildet t A „nacgeshickt werden sollen. Die Rapidität der neueren was, E {nell erfolgenden Schläge und die daraus {nell er- aud enden Verluste lassen nit die Zeit, diesen Nachersaß soll GERN nothdürftig krieg8gemäß auszubilden. Diesem Uebelstande
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„im Frieden auflegt, damit sie, wenn sie im Mobil- Woher tall in die None eingestellt werden, nah einigen ee C f das Nothdürftigste ausgebildet sind, um nachgeschickt zu
,__ Ic muß hi i di ier gleich dem Gedanken entgegentreten, als ob aus der Soaßiregel zu folgern sei, wir brauchten für die Ausbildung Fall Für en im Fricden zu viel Zeit. Das ist keineêwegs der weil“ Oue den Nachersaß muß man sich damit begnügen, weil ders Ta niht anders kann, und; es gebt allenfalls, wird E Ee in die geshulten Truppen hineingestellt des Krie c 4s Anleitung der kriegsgebildeten Kameraden im Wechsel de nung bek ad ee täglicher Gefahr s{neller eine weitere Aus- ommt. Der Rahmen aber, in welchen dieser jung ausgehobene
Berlin, Dienstag, den 2 März
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Ersaß kommt, muß vollständig firm und auszebildet sein, sonst wird die weitere Auébildung dieser jungen Mannschaften außerordentlich viel Blut kosten. — Die Zabl der jährli einzuftellenden Mannschaften dieser Kategorie würde jäbrlih durch den Etat festzustellen sein, Die Ne- gierung hat die Absicht , ihre Vorschläge dahin zu machen, daß in einiger Zeit die ganze, für die erste Einstellung in die Ersaßbataillone bestimmte Quote diese vorläufige Ausbildung empfangen hat. Die Mannschaften, welche zu diesen Uebungen herangezogen werden sollen, sind die, welche son jeßt zum ay bestimmt siud als Ersaßreserve 1, Klasse. Die Zahl derselben ist so groß, daß bei der Einberufung zu den jährlichen
Vebungen die bürgerlihen und wirthschaftlihen Verhältnisse derselben volle Berücksichtigung finden können. — Nun ist nah der jeßigen geseßlihen Lage der Ersaßreserve T. Klasse im Frieden fast von jener militärishe1 Verpflichtung frei; aber, meine Herren, wenn man annimmt, daß diesen Mannschaften au die volle militärische Dienstpflicht zugemuthet werden kann, so ist es gewiß keine übermäßige Belastung, wenn sie zu jener kurzen periodischen Dienstleistung herangezogen werden. Ein Blick in das Geseß wird die Herren außerdem überzeugen, daß diesen Mannschaften nur die allernothwendigsten Beschränkungen ihrer bürgerlihen Bcwegungs- freiheit auferlegt werden sollen.
Cine zweite Maßregel, die das Geseh vorschlägt, ist die Ueber- führung der Reserve zur Landwehr und der Landwehr zum Land- sturm zum Frübjahrstermin. In den Motiven des Gesetzes finden Sie die Begründung für diese Maßregel. Jch will nur er- wähnen, daß die daraus erwachsende Last nur im Besuch einer Kontrolversammlung mehr besteht. Jch glaube hiernach, Sie werden mir zugeben, daß eine zu große persönliche Belastung für unser Volk aus der Vorlage nicht zu entnehmen sein dürfte und daß der Gedanke der allgemeinen Wehrpflicht in nit zu straffer Weise ausgebildet worden ist.
Was nun die Kosten, das Budgetmäßige betcifft, so sind SFhnen die voraussihtlihen Bedürfnisse in den Motiven dargelegt, fowohl das laufende Bedürfniß als auch das einmalige. Die zur Vebung eingezogenen Maznschaften müssen gekleidet, gelöhnt, einquartiert werden, sie müssen Waffen und Ausrüstung erhalten, und das sind die Basen, aus dezen die ange- gebenen Ziffern zusammengeseßt sind. Eine Aufstellung von Stäben ist fast gar nicht ins Auge gefaßt, nur die Cadres für die neu zu formirenden Truppentheile sollen aufgestellt werden. Eine Errichtung von Kavallerie oder reitender Artillerie, als der theuren Truppen- 1heile ist ebenfalls nicht beabsichtigt. Ih würde also glauben, daß es kaum eine sparsamere Art der Abhülfe des entstandenen Bedürf- nisses geben möchte.
Hiernach, meine H.rren, empfehle ib die Vo.lage — persönlich aus vellster Ueberzeugung. Ein Arpell an den Patrioti#mus, weiß ih, ift hiér nicht erforderlich, aber erinnern möchte ih Sie an die Verantwortung, die Sie für die Wehrhaftigkeit des Vaterlandes durch Ihre Voten mit übernehmen. Der Reichstag is sh bicher dieser Verantwortung stets in vollem Maße bewußt gewesen; dies {ließt keineswegs eine gründliche und sachlihe Prüfung der Vor-
Tage aus, sondern verlangt vielmehr dieselbe. E Der Abg. Richter (Hagen) erklärte, der Kriegs-Minister habe wenigstens zugegeben, daß akute Ursachen für die Vor- legung dieses Geseßes nicht anzuführen seien, und daß dauernd wirkende Gründe schon seit langer Zeit für diese Vorlage sprächen. Es freue ihn, daß somit von vornherein alle Ar- gumente bei Seite geshoben seien, welche die augenblickliche politische Situation für die Vorlage ins Gefecht führen wollten. Er würde also von diesem Punkte ganz absezen können, wenn nit neulih der Abg. von Kardorff die politische Lage im Allgemeinen erwähnt hätte, um den Reichstag zu bewegen, für die Vorlage zu stimmen. Derselbe habe gesagt, das Ein- vernehmen Rußlands und Deutschlands sei niht mehr so herz- lih wie früher, derselbe habe von der nihilistishen und pan- slavistishen Gährung, welche leiht nah Außen explodiren könne, von den Preßstimmen, welche sagten, Konstantinopel müsse in Berlin erobert werden, und von den fortwährenden Hebereien in der dortigen Presse gesprochen. Seine (des Red- ners) Partei könne wohl kaum in dem Verdacht großer Sym- pathie zu Rußland stehen, do habe ex niemals den Vater Nicolaus als den Patron des Konservatismus angesehen. Der Reichskanzler habe ihm und seinen Freunden vor zwei Jahren vorgeworfen, nux Dilettantismus. in der Politik führe das Haus dahin, an Nußlands Freundschaft zu zweifeln und daran, daß es nur im Jnteresse der Kultur und Civilisation nur für das Christenthum gegen die Türkei in den Kampf ziehe. Er meine, der Reichskanzler habe zu optimistish, der Abg. von Kardorff zu pessimistish geurtheilt. Der Abg. von Kardorff habe gemeint, daß ihm jeder in seiner Ansicht beistehen müsse, er (Redner) bestreite dies, es fehle derselben jede positive Unterlage. Ob eine persönliche Gereiztheit der beiden Kanzler vorliege, die im Widerspruch stehe mit dem Einvernehmen der Souveräne, ob das Verhältniß der Kanzler nur ein Symptom sei für tieferliegende Umstände, man wisse es nicht; denn kein Parlament der Welt erfahre so wenig über auswärtige Po- litik wie der deutsche Reichstag. Aus der offiziósen Presse werde man auch nicht klüger. An einem Tage erscheine in der „Nordd. Allg. Zeitung“ jener Artikel, der ausführe, daß eine Befestigung von Kowno die Basis einer aggressiven Politik Rußlands gegen Deutschland sei, und viecundzwanzig Stunden darauf versichere ein anderer Offizióser, Rußland sei so wenig aggressiv, wie Deutschland aggressive Politik ge- trieben habe, indem es seit 1873 seine Festungen im Dsten mit detachirten Forts umgeben habe. Soviel dem deutschen Volke in der leßten Zeit geboten sei, mit Genugthuung hebe er hervor, daß die gesammte unabhängige deutsche Presse ihre Entrüstung kundgegeben habe über ein so leichtfertiges und gefährliches Spiel mit der Ruhe Europas. Auch die Kreuz: zeitung” meine, es sei darum nit weniger verwerflih, weil man im Dunkeln tappe über den Urheber und die Verantwortung dafür. So unschuldig werde ja hier Niemand sein B meinen, die gereizten Nerven des Redacteurs der „Norddeuts en“ machten die Ge- schästswelt erzittern und es jei nur das Znteresse daran, wie Herr Pindter über Rußland denke, was überall hin den Tele: graphen in Bewegung seße. Er verstehe alles dies nicht, weil er überhaupt über Rußland nur wisse, was in ganz Europa notorisch sei. Die alten Kräfte, welche bisher das russische Reich zusammengehalten, schienen nach den neuesten Ereig- nissen dazu niht mehr auszureihen. Rußland habe zwar im leßten Kriege eine Armee von 1!/2 Millionen, Mann aufge- boten, aber dieses Aufgebot habe kaum ausgereicht, die Türkei, den kranken Mann in Europa, niederzuwersen. 7 Außerdem wisse man nur, daß die „Provinzial-Correspondenz“ die Reise
des Kanzlers nah Wien im vorigen Herbst als besonderen
Die Entente mit
Triumph seiner Politik gefeiert habe. Oesterreich, so heiße es darin, biete Deutschland volle Sicher- heit gegen Panslavismus und Revanchegelüste und neue Bürg- schast für den Frieden in Europa und die allmähliche Kon- jolidirung der durch die leßten Kriege neugeschaffenen Situa- tion. Wäre im Gegensaß hierzu der Abg. von Kardorff so überzeugt von der Spannung der politishen Situation des
2 es für die Presse und für ihn erst recht niht angezeigt, angesihts des Pulver- fasses irgend ein Feuer anzuzünden; der Minister jage dagegen, die politische Situation sei ganz friedlih, auch die Motivirung der Vorlage habe nit den geringsten Zusammenhang mit der augenblicklichen politischen Situation. Er könne nux sagen, daß er auch die allgemeinen Befürchtungen, welche hier vorgetragen seien, nicht billigen könne. Man sollte es nicht so darstellen, als ob die Unab- hängigkeit, die Existenz Deutschlands in Frage gestellt wäre, wenn das Haus die Vorlage nicht annehme. Damit wäre ja ein s{chwerex Vorwurf gegen die Verwaltung erhoben, wenn sie unter diesen Umständen mit dem Einbringen des Geseßes bis zum Ablauf des Septennats gewartet hätte. Mit Recht werde von dem Minister bei allen Parteien dieses Hauses in gleicher Weise Patriotismus vorausgeseßt. Aber wenn es ih um eine Justizvorlage handele, werde auch Niemand befriedigt dur allgemeine Redensarten, daß die Gerechtigkeit unbedingt nothwendig, oder daß die justitia das fundamentum reg- norum sei. Ueber den Zweck “der Vorlage seien ja alle Parteien einig; es handele sich nur darum, nachzuweisen, daß in militärisher, wirthschastliher und finanzieller Beziehung auch die richtigen Mittel gewählt seien. Zunächst solle man es doch nicht zu sehr übershäßen, wenn die Friedenspräsenzstärke von 401 659 noch um 26 000 Mann erhöht werde. Andererseits dagegen sei die Militärlast schon so énorm ho, und laste shon so shwer auf Deutschland, daß es immerhin auch {hon etwas sagen wolle, wenn der Etat um noch 17 Millionen erhöht würde. Es müsse ein Ausgleich gefunden werden zwischen den militärishen, wirthschastlihen und finanziellen Jnteressen. Die Nachhaltigkeit der Wehrkraft selbst hänge zuleßt auch von der Schonung der wirthschaftlichen Kräfte ab. Von diesem Standpunkte aus müsse man die Vorlage mit möglichster Ruhe und Sachlichkeit prüfen. Freilich sei es nit leicht, bei militärishen Vorlagen ein allgemein richtiges Ürtheil zu finden, da dieselben mcht nur von aner- fannt tüchtigen Generalen, welche in shweren Kriegen erprobt seien, vertreten würden, sondern au weil sich der berühmteste Stratege der Welt im Reichstage befinde. Aber eben weil das tüch- tige militärische Element vorwiege, sei es um so gerechiferiigter, die finanzielle und politische Seite ins Auge zu fassen. Durch Annaÿme des Zolltarifs sei im vorigen Jahre die Steuerlast bedeutend vermehrt worden, die in Aussicht gestellten Steuer- erlasse scien nit erfolgt, ja der Unter-Staatssekretär Scholz habe es bereits als eine fable convenue hingestellt, daß der Reichs- kanzler überhaupt Steuererlasse versprochen habe. FJndessen das Gedächtniß des Vo.kes sei noch zu frish, und wenn nun ‘die Mehrheit dieses Hauses sich entschließe, wiederum diese Mehrforderung zu bewilligen, ohne daran zu denken, einen Steuererlaß herbeizuführen, dann träte es ein, daß das Volk seine Hoffnungen immer wieder und wieder nicht erfüllt sehen würde,\was der Minister von Puttkamer seinerzeit als ein Stoß in das Herz des monarishen Prinzips bezeichnet habe. Man berufe sh in der Vorlage auf die zentrale Lage in Europa. - Ab.r diese Entdeckung sei niht neu. Für Preußen in seiner Vereinzelung und für den Norddeutschen Bund allein sei die- selbe noch gefährliher gewesen. Auch 1874 schilderte Graf von Moltke das Mißtrauen der Nachbarn Deutschlands. Deutsä. land hätte überall an Achtung, aber nirgends an Liebe gewonnen. Stets habe man auf die Mög- lihkeit einer Vertheidigung nach zwei Fronten Rücksicht ge- nommen, Große Festungen seien seit 1873 im Westen und Osten verstärkt. Die Flotte sei verdoppelt, die Seeküste be- Fe worden. Er zweifle, ob der Marine-Minister dieselbe o leiht zugänglih wie die Vorlage darstellen werde. Nicht mehr könne das kleine Dänemark die deutschen Häfen bedrohen, und der Rhein sei gedeckt durch jene fast uneinnehmbar ge- machten elsässishen Festungen. Warum sollten nun gerade die , 34 neuen Bataillone es sein, welche die Vertheidigung des Landes sicher stellten? Wolle man gegnerishe Allianzen fombiniren, so sollte man doch auch niht außer Acht lassen, daß ODesterreih-:Ungarn eine Kriegsarmee von 1100000 Mann mit 717 Bataillonen besiße. Aber freilih, die Militärverwaltung Deutschlands verstehe [ih nicht blcs auf die Kriegstaktik, sondern sei auch in
Augenblicks, “dann wäre
der parlamentarishen “Taktik allen Civilverwaltungen überlegen. Wie Batterien verständen sie ihre Ziffern so geschickt zu gruppiren, daß man, wenn man sih
niht vorsehe, leiht zu kapituliren gezwungen werden Oi So verschweige sie in der Gegenüberstellung der Ba- taillonsziffer, daß Bataillon und Bataillon in Deutschland, Nußland und Frankreich nicht dasselbe sei, in Deutschland mindestens 549 Mann zähle, in Frankreich höchstens 330, in Rußland kaum 400. Man vershweige, daß die Vermehrung der Bataillonszahl in Frankreih nicht eine Vermehrung der Infanterie, sondern eine Verminderung der Compagniezahl bedeute. Die Regimenterzahl sei in Frankrei dieselbe ge- blieben; das Regiment zähle jeht 18 statt [e 21 Compag- nien, welche jeßt in 4 statt früher in drei ataillone einge- theilt würden. Das russische Regiment habe früher 3 Batail- lone à 5 gehabt und habe jeßt 4 Bataillone à 4 Compagnien. Die „Preußischen Jahrbücher“, während sie sonst ‘mit Vor- liebe gegen die deutshen Juden Krieg führten, brächten einen Krieg-in-Sicht- Artikel, der einen wahren Kriegsfanatis- mus gegen Frankreih und Rußland athme. ede Ziffer in diesem Artikel sei falsch. Was solle man zu Histo- rikern sagen, die niht einmal die Jeßtzeit richtig dar- stellten. Der Artikel behaupte, Frankreich habe seit 1875 die Friedenspräsenz um 144 000 Mann erhöht. Aver son 1874 habe Graf von Moltke die französische Friedenspräsenz auf 471 000 Mann angegeben, und heute betrage sie 497 000. Deutschland selbst habe sein Effektiv seit 1875 um 35 000 Mann erhöht, Es sei überhaupt falsch, die französische Frie-