1897 / 60 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 11 Mar 1897 18:00:01 GMT) scan diff

benathtbeiligen dadurch die Landwirths{aft dur ihre stärkere deem au

von ausländishem Getreide. Nah dem V

orgehen hoffen wir, daß die Konferenzen, die der

eich8-Schaßsekretär ein

berufen hat, dazu führen werden, die kleinen Müllereien zu {üßen. Staatssekretär des Reichs - Shagamts Dr. Graf von

Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Ich bin niht gewillt, näher auf den Antrag des Herrn Grafen Schwerin-Löwit einzugehen, weil es nicht der Stellung der verbündeten Regierungen entsprehen würde, {hon das Wort zu ergreifen und Stellung zu nehmen, während ein derartiger Thatsächlich haben die verbündeten Regierungen sh auch bisher über die vorliegende

Antrag noch im Reichstage verhandelt wird.

Frage noch nicht {lüssig gemacht.

Wenn ich um das Wort gebeten habe, so geschah es aus einem

anderen Grunde. Zurähst möchte ich dem Herrn Abg. Rickert er-

widern, daß es, rein theoretisch betrachtet, allerdings möglih ift,

daß auf einem gemishten Transitlager ohne amtlihen Mitversbluß fünf Jahre lang Getreide zollfrei lagern kann. (Hört, hört! rechts.) Aber, meine Herren, in praxi wird dieser Fall wohl nie eintreten (hôrt, hört! links; Heiterkeit); denn ich kann mir nit denken, daß

ein Getreidehändler fünf Jahre lang Getreide auf seinem Speicher

liegen läßt und die Gefahren, die damit verbunden find durch

Schwund, Dumpfigwerden, Mäusefraß u. \. w., übernimmt.

Aber noch eine zweite Frage wollte ih berühren: das ist die Frage der Abfertigung des sogenannten Tigermehls oder Neptunmehls. Das Tigermehl hat wohl seine Geburtsftätte in Altona, das Neptun- mehl in Königsberg. Man hat aus dieser Abfertigung Angriffe gegen das maßgebende, von den verbündeten Regierungen bes{hlossene Regulativ hergeleitet. Aus jenem Anlaß aber, glaube ih, läßt sich ein Angriff gegen das Regulativ nicht begründen; denn die Ab- fertigung von Mehl gegen Ertheilung eines Einfuhrscheins seßt allerdings voraus, daß es sich um gebeuteltes Mehl handelt; es steht aber fest, daß das Neptunmehl den Charakter von gebeuteltem Mehl im Sinne des Regulativs nicht trägt. (Hört, bört! rechts.) Es handelte sich eben um einen völlig neuen Mehltypus, und darin lag die zolltehnishe Schwierigkeit und der Zweifel. Die verbündeten Regierungen sind aber auf Grund der gemachten Erfahrungen und um alle Zweifel bei der Abfertigung in Zukunft möglichst auszuschließen, damit beshäftigt, jeßt den Begriff „gebeuteltes Mehl“ noch \{chärfer zu fassen und namentlih ein neues Verfahren zu finden, auf Grund dessen durch die Steuerbeamten möglichst objektiv festgestellt werden kann, ob bei der Abfertigung wirklih gebeuteltes Mehl vorli-gt oder nicht.

Schließlich, meine Herren, ist auch auf die Konferenz Bezug ge- nommen worden, die unter meinem Vorsiß im Reihs-Schazamt statt- gefunden hat. Dazu werden die verbündeten Regierungen nicht geneigt sein können, einfach ein Programm anzunehmen, was nur von Inter- essenten der Großmüllerei entworfen worden ist, sondern wir sind der Ansicht, daß die Frage der Ertheilung von Einfuhrscheinen bei der Ausfuhr von Mehl niht nur das Interesse der mittleren Müllerei und kleinen Müllerei sehr tief berührt, sondern daß es auch ein wesentlihes Interesse der Landwirthschaft ist; denn das ift ganz un- zweifelhaft: wird das Rendement für Mehl zum Getreide zu niedrig bemessen, so geht damit Getreide zollfrei nah Deutschland ein. (Sehr rihtig! rechts.) J kann mi indeß jeßt über diese Frage, die noch nicht abgeschlossen ift, nicht näher äußern; ich glaube aber, daß bei ihrer Entscheidung jedenfalls auch die Interessen der klêinen und mittleren Mühlen und namentlich auch der Landwirthschaft genügende Berücksichtigung finden werden. (Bravo! rets.)

Abg. Rettich (d.kons.) stellt fest, daß in Berlin hauptsäghli auëländishes Getreide vermahlen werde, welches viel E s deutsch-s Getreide, daß daher die Kleie sehr viel s{lechter sei. Die Es des Viehes durch die Verfütterung der Kleie fei ebenfalls estgestellt.

Abg. Graf von Arnim: Bezüglih der Kleie habe ih dem betreffenden Herrn Mühlenbesizer erklärt, daß ih nicht Bp wollte, daß die Berliner Kleie \chlechter sei als andere. Diese Be- rihtigung is von dem gegen mi verbreiteten Flugblatt unterdrückt worden. Zu der Vaterschaft für diefe Flugblätter hat ih keiner der Herren von der Linken bekannt. Ih würde in der Lage jein, nah- zuweisen, daß geradezu Fäls&ungen vorgekommen sind, obglei die Flugblätter behaupten, daß fie nach den s\tenographischen Berichten zitieren. Ich habe damals gefagt, daß si drei Berliner Mühlen vor- Bee mit der Verarbeitung lieferungsunfähiger Waare beschäftigen. Ich habe die Mißverständnisse sofort berichtigt und anerkannt, daß die Mühlen au große Quantitäten guter Waare verarbeiten. Dec Vorwurf, den ih erhoben habe, wird als unerhört bezeihnet. Aber wer hat die Behauptung aufgestellt? Der „Müller“, das Organ der kleinen Müllereien, die sfih von den großen Mühlen bedrängt sehen. Mehrere Monate nach meiner Erklärung kommt der Vorsitzende des Müllervereins van den Wyngaert und entshuldigt die Mühlen, daß sie bedenklide Waare verarbeitet haben. Die Vorwürfe find aber von anderer Seite in viel \{ärferer Weise in der Presse gemacht worden, ohne daß man dagegen auf dem Prozeßwege vorgegangen wäre. Die Herren, welche mich angegriffen haben, haben vorshnell geurtheilt, und ich fordere Herrn Barth, wenn er Einfluß auf die „Nation“ hat, auf, den gegen mih geri{teten Angriff zurückzunehmen.

Abg. Fishbeck weist darauf hin, daß er nit Mitglied des Schußverbandes gegen agrarishe Üebergriffe sei, daß er vielmehr in der Gründungsversammlung dagegen gesprohen habe. Graf Arnim habe feine Beweise damals mitgebraht; heute habe er ja Gewährs- Me bezeichnet, und es werde sich das Weitere nun von selbst ergeben. :

Abg. Dr. Barth (fr. Vagg.): Ich behalte mir vor, da wir Gelegenheit haben werden, häufiger mit dem Grafen Arnim zu dis- futieren, auf die Frage zurückzukommen. Das bemängelte Flugblatt ist mir bekannt. Aus der Korrespondenz von dem Grafen Arnim und den betheiligten Mühlenbesigern geht für mi hervor, daß er sh im Unrecht befunden hat. Er hat die Herren beleidigt, und den Widerruf, den er zugesagt hatte, hat er nicht geleistet. Dagegen haben sich_ die Herren in deutliher Weise mit Necht gewehrt, und wenn der Schugverband ih dieser Sache angenommen hat, so hat er dabei im allgemeinen Interesse gehandelt.

Abg. Richter (fr. Volksp.): Graf Arnim hat gegen mi polemisiert, obglei ih niht von dem Zollkredit gesprochen habe. J habe ihn angegriffen wegen seiner Behauptungen über falsche Loko- notierungen an der Berliner Börse. Daß ih den Angriff nicht hier im Reichstage, sondern im Abgeordnetenhause gebracht habe, liegt an der O der Parlamente. Ich habe die Frage besprochen bei der

usführung des Börsengeseßes tur den preußischen Handels-Minister.

Wenn ih hâtte versuchen wollen, gegen ihn im Reichstage zu sprehen, so würde Herr von Mendel sih beschwert haben, daß ih niht im Abgeordnetenhause gesprochen hatte, und hätte ih an beiden Stellen gesprochen, fo bätte Graf Limburg-Stirum vielleicht noch be- hauptet, ih hâite das im Herrenhause vorbringen müssen, das mir nicht jongris ist.

__ Abg. Graf von Arnim: Ih bitte mir nahzuweisen, wo ih die Behauptung aufgestelt habe, daß an der Börse falsche Notierungen stattfänden, davon habe ih gar nit gefprochen.

Abg. Richter: Ihre Person, Herr Graf Arnim, is mir dabei

Tche beweis Ausfü E

i Abg. Ri ckert: bin niht der Verfasser des aber nah den heutigen Verhandlungen möhte ih fast alles darin Behauptete wahr is! Sie (res glaube ÿ Kaufleute keine Ehre im Leibe haben, aber Sie werden gezwungen werden, Ihre Unrichtigkeiten einzugeftehen.

Abg. Graf von Shwerin: Ih möchte Herrn Nickert und

Richter bitten, zu warten, bis ich in einigen Tagen im

bgeordnetenhaufe ausführen kann, bor ih niemals behauptet habe,

don S E Hiare ihre Pflicht bezüglich der Preisnotierungen rleßt haben.

Damit schließt die Debatte. Als Mitantragsteller erhält das Schlußwort

Abg. Dr. Paasche (nl.), welcher ausführt, daß der Antrag nur auf der linken Seite Widerspruch gefunden habe. Es handle si darum, daß die ohnehin begünstigten großen Müllereien dur die Zollkredite noch weiter begünstigt würden. Der Kaufmann kaufe nicht bloß den Bedarf vom Auslande ein; das Bauerngetreide sei nicht mehr verkäuflich. Es werde an das Vieh verfüttert und dem Konsum werde ausländishes Getreide zugeführt.

Zur Geschäftsordnung bemerkt Abg. NRickert: Graf Schwerin hat mi aufgefordert, zu beweisen, daß er den Stettinern falsche Notierungen vorgeworfen habe. Jch erlaube mir, seinen eigenen Be- riht auf den Tisch des Hauses niederzulegen.

Darauf wird der Antrag des Grafen Schwerin gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Freisinnigen an- genommen.

Schluß nah 5 Uhr. Nächste Sißung Donnerstag 1 Uhr. (Antrag Auer, betreffend die Gesindeordnung, Antrag Kardorff wegen Aufhebung der Bäckereiverordnung und Antrag Lieber- E E Sonnenberg, betreffend die konfessionelle Eides- ormel.

Preisen und ereien Einwirkungen auf die a

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

46. Sißung vom 10. März 1897.

…_ Die zweite Berathung des Staatshaushalts3-Etats für 1897/98 wird bei dem Etat der Eisenbahnverwaltung in der Debatte über das Kleinbahnwesen fortgeseßt.

Abg. Böttin ger (nl.) erkennt die segensreiche Wirksamkeit des Kleinbahngeseßes für die Hebung der lokalen Verkehrsinterefsen an, beflagt aber die lange Verzögerung der Erledigung der Konzefsions-

gesuhe und bittet den Minister, auf die Beseiti dieses Uebel- standes hinzuwirken. seitigung dieses Uebel

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der Abg. Dr. Böttinger hat Klage darüber ge- führt, daß die Erledigung der Konzessionsgesuche für die Kleinbahnen sich ungebührlich lange hinauszieht. Die Thatsache ift nicht zu leugnen daß in einzelnen Fällen die Vorverhandlungen längere Zeit in An- spruch nehmen. Die Gründe dafür liegen aber weniger in dem Ver- halten der Behörden, als in den besonderen Umständen, die fich an das betreffende Projekt anschließen. Unleugbar ist, daß die außer- ordentliche Entwickelung, welche das Kleinbahnwesen in den leßten Jahren genommen hat, die damit beschäftigten Behörden in steigendem Maße in Anspruch nimmt. Das sind in erster Linie die Regierungen und die Eisenbahn-Direktionen. Von mir sind wiederholt hon Schritte geschehen, um die Verftändigung zwischen diesen beiden Instanzen oder viel- mehr parallelen Behörden sie bildeten ja dieselbe Instanz möglichs abzukürzen. Es sind sowohl die Regierungs- Präsidenten wie die Eisenbahn-Direktionen ersucht worden, darüber nicht mehr ge- sondert an mich zu berichten, damit es nicht erforderlich wird, den Bericht der einen Bebörde an die andere abzugeben, sondern fie sind veranlaßt worden, das gesammte Material mir gemeinsam zu unter- breiten. Man muß nun unterscheiden : zunächst ist die Vorfrage zu erörtern, ob ein Projekt als Kleinbahn überhaupt anzusehen ist. Diese Vorfrage entscheidet sich ziemlich rasch. Daran liegt's also nicht. It die Vorfrage entschieden zu Gunsten der Kleinbahn, dann beginnt die Aufstellung des Projekts. Hierbei zeigen sich häufig ganz erheblißge Schwierigkeiten. Nach den Erfahrungen, die wir hier gemacht haben, sind die Projekte zum großen Theil niht derartig, daß darauf hin eine Entscheidung bezüg- lih der Konzessionierung sofort getroffen werden kann. Handelt es sich um Strecken, bei denen voraussihtlich eine gute Rente zu erzielen ist, so findet sich, namentlich im Westen, auß noch häufig der Umstand, daß nit einer die Konzession haben will, fondern mehrere sfich darum streiten. Wir haben verschiedene Fälle, wo auf der einen Seite angeblich die Gemeinde die Konzession nachsucht im Hintergrunde steht aber auch ein Unternehmer —, andererseits wieder ein Unternehmer; daß Konzessionare von Linien, die bereitz im Betriebe find, überall dort, wo Konkurrenzunternehmungen auf- treten, sich ebenfalls hineinzulegen versuchen. Kurz und gut, aus diesen Bestrebungen ist vielfa, namentlich im Westen, eine sehr erhebliche Verzögerung der Entscheidung in Bezug auf die Konzessionierung entstanden.

Der Herr Abg. Böttinger hat nun geglaubt, es würde dem Uebelstand wirksam Abhilfe geschaffen werden können, wenn einerseits gewisser- maßen eine Unterinftanz, noch unter den Regierungs-Präsidenten und der Eisenbahn-Direktion stehend, geshaffffen würde durch Bildung einer ständigen Kommission wenn ih richtig verstanden habe. Meine Herren, diese ständigen Kommissionen bestehen eigentli {hon aus dem Dezernenten der Regierung und den beiden Dezernenten der Königlichen Eisenbahn-Direktion. Meine Herren, Ste mögen bedenken, daß zur Zeit noch 299 Kleinbahnprojekte anhängig sind, über die noch keine Entscheidung getroffen ift, die aber meistens aus der allerlezten Zeit stammen; heute sind es jedenfalls {hon 300 geworden, wenn ih nach Hause komme; es vergeht fast kein Tag, wo nicht ein oder mehrere Kleinbahnprojekte zur Vorlage gelangen. Nun würde, glaube ich, durch Bildung von einer Kommission für diese Projekte nach meinen Erfahrungen die Sate nicht beschleunigt; im Gegentheil, es wäre eine Instanz mehr, die gehört würde, die ihre eigene Auffassung hat, und die korrigiert werden kann von der darüber stehenden Instanz. Wir würden wahrscheinlich dadurch keine Verbesserung erfahren. Die Ver- besserung findet sih allmählich in der Auskryfstallisierung fester Grund- säße. Wir dürfen nicht vergessen, daß das ganze Kleinbahnwesen doch erst fehr jungen Datums ist, daß sowohl die Behörden, wie auch die Unternehmer und sonstigen Interessenten noch keine hinreihenden Er- fahrungen in der Beziehung gesammelt haben. Das wird \sih bessern mit der Zeit; wir werden in der Beziehung einige Nachsicht ausüben

vollständig gleichgültig. Ueber falsche Lokonotierungen an der Börse

hat Graf Arnim in der „Post* vom 5. 1896 rieben. rn Post* vom IrD 1808 géldritben n

Abg. Graf r alin: Es ift ein Unterschied zwischen falschen u lattes: laufen daß

die

derartig sind, daß sofort darüber eine Entscheidung getroffen werden kann, so möhte ih beispielsweise nur einen Mangel hervorheben fast überall zu Tage tritt. Die Herren maen es si in Ye! d den Anschluß, den fie an die Staatseisenbahn wünsthen, sehr eine! sie nehmen die Staatseisenbabnftationen, machen einen Strich bine, und dann sind sie fertig. Daß das niht so !geht, ift ganz klar. muß auch von seiten der Eisenbahnverwaltung ganz genau g E werden, in welher Weise eine Einführung in die Eifenbahnstati erfolgen kann. M Dann tritt als fernerer Umftand häufig hindernd der Entsheiduz entgegen, daß, wenn nun eine Linie aufgestellt worden ift, alle E jenigen, die von dieser Linie niht berücksihtigt werden, protestiere, Erst protestieren sie beim Regierungs - Präsidenten und d, Eisenbahn - Direktion und dann beim Minister und suey ihre Interessen geltend zu machen. . Derartige Proteste müssen geprüft und können nicht a limine zurückgewiesen werden. Daraus entsteht eine sehr wesentliche Verzögerung und eine

In meinem Ministerium ist ein eigenes Referat eingerichtet für Klein bahnen sowohl in der Eisenbahnabtheilung als auch in der Bay, abtheilung; die Herren haben jahraus jahrein alle Hände voll üt thun. Ich glaube, daß die getroffenen Maßregeln \{chließli, wie bereits gesagt, dazu führen werden, allmählich feste Grundsäße aus,

anträge zu bewirken.

Auf die gestern bereits mitgetheilten Bemerku Abg. S&mieliaa (ul.) erwidert E 0 E

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen :

Meine Herren! Die Konzessionsgesuhe auf private Nebenbahnen lassen stch nach meiner Auffassung unterscheiden in solche, die aus dem Verkehrsbedürfniß hervorgehen, und in solche, die aus Gewinnbedürfniß des Unternehmers hervorgehen. Wos ein Verkehrsbedürfniß anzuerkennen war, hat der Staat sih die Frage vorgelegt, ob er in absehbarer Zeit diesem Bedürfnisse selber entsprechen will oder, wenn das nit der Fall ist, einem Privat: unternehmer die Konzession ertheilen kann. Jch glaube, daß wok kaum ein Beispiel angeführt werden kann, wo die Staatsregierung niht da, wo ein Verkehrsbedürfniß wirkli anerkannt war, dies: Frage klar beantwortete entweder dahin: wir werden die Bahn selbs bauen, oder dahin: wir geben sie einem Privatunternehmer frei.

Der Herr Abg. Schmieding hat gesagt: Wenn wir den jeßigen Standpunkt der Staatsregierung bezüglih der Konzessionierung von Nebenbahnen vor der Verstaatlihungsaktion gekannt hätten, würden wir uns wahrscheinlich besonnen haben. Der Herr Abg. Schmieding vergißt dabei vollständig, daß es bei der Verstaatlihung der Eisen- bahnen als ein wesentliher Fortschritt angesehen wurde, daß der überhandnehmendten Vergeudung des Nationalvermögens durch den Bay von Konkurrenzbahnen Einhalt gethan werden konnte. (Sehr rihtig ! rets.) Gerade in den dem Abg. Schmieding bekannten westlichen Provinzen hatte sih diese Vergeudung des Nationalvermögens am allermeisten gezeigt. Die großen Privatgesellshaften und \{ließlich auch der Staat bauten an jeden Ort heran, der nur irgendwie Verkehrsaussichten tot, und bauten sich in gegenseitiger Konkurrenz die Linien und Wege ab, Wenn wir Thür und Thor jedem Privatunternehmer jeßt öffnen wollten, der aus den ftaatlihen Bahnen \sich einen Gewinn verschaffen will, fo würden wir überhaupt das Staatsbahnsystem drangeben müssen. Kein Minister, weder der Finanz- noch der Arbeits-Minister, würden es verantworten können, in dieser Weise das Interesse det Staats zu s{hädigen.

Der Herr Abg. Schmieding hat zur Begründung seiner Auf- fassung 3 Beispiele genannt. Nah meiner unmaßgeblihen Meinung ist diese Auswahl niht glücklich gewesen. Er hat zuerst die Anger- thal-Bahn genannt, deren Anlage von den Interessenten gewünstt wird. Die ursprünglihen Hinternisse dürften jeßt als beseitigt anzusehen sein. Die Staatsregierung is der Befriedigung der Be- dürfnisse, welGe durch diese Bahn erreicht werden follte, nicht ent- gegen gewesen. Diese Bedürfnisse gingen dahin, den Kalk, der im Angerthal liegt, den betreffenden Hochofenwerken zuzuführen. Die Schwierigkeiten lagen aber darin, daß die bis jeßt bestehende Kalk- industrie jenseits des Berges bei Dornap und Wülfrath durch diese Linie außerordentlich geschädigt worden wäre, daß die betreffenden Gemeinden, insbesondere Wülfrath, dazegen protestierten und den Wunfch aussprachen, nur dann die Bahn zuzulassen, wenn dem Dor naper Gebiete gleihzeitig Gelegenheit gegeben würde, an diese Bahn heranzukommen, \ih des kürzeren Weges nah den verschiedenen Hol- ofenwerken ebenfalls bedienen zu können. Vor mir sigt der Herr Abg. Vöttinger, der um das Zustandekommen dieser Bahn sich die aller- größten Verdienste erworben hat, indem er die verschiedenen Inter- essenten unter einen Hut gebraht hat. Nachdem das gesehen ift, kann dem staatsfeitigen Ausbau der Bahn näher getreten werden. Das ift die Angerthal-Bahn.

Bei Wandsbeck-Trittau-Mölln hat die Staatsregierung den Inter- effsenten von vorn herein gesagt, daß sie niht bcabsihtige, die Bahu selbft zu bauen, vielmehr bereit sei, Bau und Betrieb der Privat- unternehmung zu überlassen ; dies ift bereits 1893 geschehen. Später baten die Interessenten um Zulassung einer Kleinbahn, dieser Antras mußte bei der Bedeutung der Bahn für den allgemeinen Verkehr ab- gelehnt werden.

Nun kommt Osterfeld-Hamm. Meine Herren, der Herr 2b(-- Schmieding hat bereits gesagt, daß an dieser Linie meist nur un- bedeutende Orte liegen. Ein Verkehrsbedürfniß ist für diese Linie zur Zeit niht anzuerkennen; dahingegen würde die Konzessionierung dieser Linie an die Dortmund-Gronau-Enscheder Eisenbahn, die si natürli sehr gera bereit erklärt hat, auch ohne irgend welchen Zu- {uß diese Linie zu bauen, lediglich die Herstellung einer vierten Eisenbahnlinie von Osten nach Westen durch das Kohlenrevier zur Folge haben. Diese Linie könnte die Dortmund-Gronau- Enscheder Bahn nur bauen mit Rücksiht auf den zu erhoffenden Gewinn aus den Verkehren, die sie der Staatsbahn abaimmi. Dazu aber die Hand zu bieten, sehe ich mich nit veranlaßt.

Auf den lehten Punkt der Ausführungen des Herrn Abg: Scmieding möchte ih hier niht weiter eingehen. Die Frage ift fo gründlih in jedem Jahre erörtert worden, die Frage der Beitragê- leistungen der Kreise und Gemeinden zu Eisenbahnbauten, sei es ¿U ganzen Strecken oder zu Bahnhöfen oder Ueberführungen oder Unter-

müssen.

führungen, daß ich glaube, weder der Herr Abg. Schmieding noch iŸ-

Wenn i vorhin gesagt habe, daß die Pröfekte aa bäufig nig:

ebenfo beklagenswerthe Schreiberei, mit der wir sehr belastet sind,

zukrystallisieren und zweitens eine rashere Erledigung der Konzessiont,

winde in der Lage sein, zu dieser Frage ncch neue Momente bei-

on Strombeck (Zentr.) meint, daß es niht Aufgabe babnen sei, große Gzwinne abzuwerfen. Der Staat fBane i der Konzessionsertheilung in dieser Beziehung bestimmte Bedingungen

fstellen. Die staatliche Aufficht lafie oft zu wünschen übrig. Er erinnere nur an die traurigen Verbältnisse im Berliner Pferde- hahnverkehr, an die UVeberfüllung der Wagen auf einzelnen Strecken. Der Minifter folle im Wege der Oberaufsicht diesen Uebelftänden bei der Berliner Pferdebaha abhelfen.

Abg. von Unruh- Bromberg (fr. kons.): Pferde- und Straßen- bahnen decken fich eigentlih niht mit dem Begriff der Kleinbahnen. Das Land hat an beiden Bahnarten niht ein fo großes Interesse, wie an den Bahnen, welhe große Lasten bewältigen können und längere Reifen ermöglihen. Wenn man die Straken- und eigentlichen Kleinbahnen auseinanderhielte, fo ließen fh die geseß- lichen Bedingungen viel leihter ausführen. Der Staatsregierung fehlt es Raid niht an Wohlwollen für die Kleinbahnen, aber die ausführenden Organe sind zu ängstlih in der Koazessionierung der Anschlüsse an die Staatsbahnen. Man ift analog dem Vorgehen Oesterrei hs dem Gedanken näher getreten, eine Eisenbahngenossenshaft zum Bau von Kleinbahnen zu gründen. Hoffentlißh gewinnt diefer Gedanke bald eine feste Gestalt. i :

Ministerial-Direktor Dr. Micke: Die Regierung hat den Ge- danken erwogen, wie zwishen Straßen- und Kleinbahnen in der Praxis untersbieden werden fann. ;

Abg. von ape age (fonf.): Die Schwierigkeit der Konzessionierung Tiegt darin, daß der Richter zugleih Interessent ift. Das muß natürlih Mißtrauen bei den Interessenten hervorrufen. Grundsäße nes ih hier kaum für alle Fälle aufftellen. Man müßte von Fall zu Fall entsheiden. Meine politishen Freunde halten ez niht für rihtig, daß der Staat jede Bahn bauen soll, welche tie Privaten niht bauen fönnen. Sind aber die Gemeinden oder die lonstigen Interessenten potent genug zur Beitragsleistung, fo solle die Regierung mit dem Bau einer Babn niht zögern. Mo Konzessions\hwierigkeiten entstehen, follten die Interessenten ih prinzipiell zunächst an den Minister wenden. Das öffentliche Interesse muß stets im Vordergrund stehen, au hinsichtlih der Anschlüsse an die Staatsbahnen. Ein Konkurrenzkampf zwischen Staats- und Klein- bahnen muß möglichst vermieden werden. Geshlofsene Kleinbaÿn- nege, die den Staatsbahnen den größten Theil des Güterverkehrs abnehmen, liegen niht im Staatsinteresse.

Abg. von Kölichen (fkonf.) wünscht ein \{nelleres Tempo beim Ausbau konzessionierter Sekundär- und Kleinbahnen. |

Abg. Dr. O swalt (nl.): Die Pferdebahngesellschaft A Erdar furt a. M. beschloß, auf einer Strecke den Accumulatorenbetrieb ein- ¡uführen, um mit diesem bisher noch nit gelösten Problem Versuche anzustellen. Dieses Konzessionsgesuh hat aber Schwierigkeiten gemacht auf Grund des Kleiabahngeseßzes. : .

Ministerial-Direktor Dr. Micke: Es handelt sih hier um eine wesentlihe Aenderung einer Bahn, die einer genauen Prüfung bedarf nah der Richtung, ob sie dem Kleinbahngeseß unterliegt. Diese Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. 5 S

Nachdem noch der Abg. Pleß (Zentr.) über die Shwierig- feiten der Konzessionierung Beschwerde geführt hat, wendet sih die Debatte der Frage der Tarife zu.

Hierzu liegt der Antrag des Abg. Broem el (fr. Tag.) vor: die Regierung zu ersuchen, eine Vereinfahung und Ver- billigung der Personen- und Gepätarife auf den preußischen Staatsbahnen vorzunehmen.

en beantragt der Abg. Böttinger (nl.), die Petition der Bergischen Handelskammer zu Lennep um Einführung von Kilometerheften auf den preußishen Staatseisen- bahnen nah badishem Muster der Regierung als Material zu überweisen, während die Budgetkommission Uebergang zur Tagesordnung vorschlägt.

Abg. Broemel: Die Einnahmen aus den Tarifen sind, nach einer uns zugegangenen Uebersiht günstiger, als fh aus dem Etat ersehen läßt. Die Einnahmen des laufenden und des vergangenen Jahres find zusammen um 13 9/9 gestiegen, während der Etat nur je 3% annimmt und 16 Millionen Mehreinnahme feststellt. Das ist viel zu niedrig gegriffen. Vei dem wachsenden Personenverkehr ift es sehr wahrscheinli, daß auch der leßte Einnahmeansaß weit über- flügelt wird. Der Eisenbahn-M inister steht wie der Finanz-Minister auf einem einseitig-fisfalishen Standpunkte. Diesen Standpunkt muß die Landesvertretung bekämpfen. Die Einnahmen müssen richtig ver- anshlagt werden, damit nicht die Uebershüsse in das große Meer der Schuldentilgung versinken. Die Ueberschüfse müssen wenigstens zu einem Theil dem Personenverkehr wieder zu gute kommen. Die Reform des Tarifs kann auf Grund der Einnahmen vorgenommen werden, ohne andere Mittel des Staats in Anspru zu nehmen. Auf dieser Grundlage ruht mein Antrag. Man hat gegen ihn finan- zielle Bedenken vorgebraht und das fozialpolitische Bedenken, daß die Reisevagabundage dadurch verstärkt werden würde. Der Ver- kehrs-Minister kann es niht mit seinem Gewissen vereinbaren, eine Reform ad calendas Graecas zu vershieben. Der Finanz-Minister hat si der Verantwortung entzogen, um so s{hwerer trifft sie allein den Eisenbahn-Minister. Von der rechten Seite führt man die Be- weglihkeit der Arbeitermassen und die Entvölkerung des platten Landes gegen die Reform der Perscnentarife ins eld. Die Er- mäßigung der Tarife erleihtert aber doch auch die öglihkeit, be- shäftigungslose Arbeiter aus der Stadt auf das Land zu beför- dern. Die Arbeiter an die Scholle zu fesseln, wäre ein kfultur- widriges Bestreben. Mehr als sieben Zehntel der Einnahmen stammen aus der Benußung der 3. und 4. Wagenklasse. Bei der Frage der Tarifermäßigung find also gerade die unbemittelten Klassen betheiligt. Sie bringen den Eisenbahnen den größten Uebershuß, da die E der 3. und 4. Klasse am meisten ausgenußt find. Die erste Klafse- ist mit 109%, die zweite mit 20, die dritte mit 25, und die vierte mit 35 % ausgenußt. Es is etne Ungerechtig- keit gegen die ärmeren Leute, die Tarife nicht zu ermäßigen. Nah Verfassung und Geseg steht allein dem Eisenbahn- Minister die Ermäßigung der Tarife zu. Er darf an einer Schablone niht festhalten, wenn die Verhältnisse sih ändern. Die Transport- preise der Eisenbahn sind seit Jahrzehnten niht ermäßigt worden. Auf der Generalversammlung deutscher Eiscnbahnverwaltungen, die im Juli vorigen Jahres in diesem Saale tagte, entwarf der sächsische Geheime Rath Ledig ein grausiges Bild von den Folgen einer Er- mäßigung der Personentarife; troßdem erkannte er an, daß die Reform der Personentarife in Deutshland sich zu einer wirthschaftlichen und geschäftlichen Nothwendigkeit herautgebildet habe. Unser Tarifsystem ist niht nur ein Konglomerat von Verschiedenßeiten, sondern auch von Ungerechtigkeit. Sommerkarten u. |. w. vermehren noch die Willkür und Ungerechtigkeit. Es giebt Sommerkarten rah Arnstadt ; nach Kissingen, wo wirkli leidende und unbemittelte Kurgäste hiagehben, ‘i es feine, ebenso wenig nach Soden a. T. Auf 5 bis 6 Wochen ann man feine billigen Rückfahrtkarten benußen, und bei den Rund- reisebillets hat man fein Freigepäck. Es wird Leuten die Preié- ermäßigung versagt, die das Leßte zusammenraffen, um Er- ösung von ihren Leiden zu erreichen. Ausgearbeitete Reform- vorshläge zu machen, ist Sache der Verwaltung. Ih möchte aber doch einen Vorschlag machen. Wie bei der vorjährigen Gewerbeausstellung, sollten einfahe Hinfahrtskarten auch für- die Rüdckfahrt gültig sein, au für die preußishen Badeorte, wenn die Billets von der Kurdirektion abgestempelt sind. Hier liegt eine Chrenpflicht der preußischen Staatsbahnverwaltung vor. Von den

undreiseheften können die Geshäftsreisenden keinen Gebrauch maden. In Baden hat man deshalb die Kilometerhefte eingeführt. Preußen sträubt ih bis jeyt dagegen. Die Monatskarten find alles, was bei uns geschehen ist. Mein Antrag \chlägt Ihnen kein bestimmtes ystem vor, er will nur Fluß in die jeßige Stagnation bringen. Auh den kleinften Schritt auf der Bahn der Reformen würde

‘ißen. Warum fükrt man n wie in Süd-

ih mit den deutshland, Rükf mit 10tägiger Gülti ein ? Gepättarif i enorm hoh. Die Berehnung nach ein- zelnen Kilometern hat niht einmal die Post aufrecht erhalten. Der Gepäcktarif übersteigt in vielen en thatfählich den onentarif. 75 kg menschliches iht kostet zwischen lin und Caffel bin und zurück 22,10 4, ebenso viel Handgede im Güterwagen 29,60 „« Ein Rundreiseheft mit Gepäckgebühr würde 37,40 Æ fosten, ein einfahes Billet hin und zurück mit Freigepäck 3 c weniger. Vereinfahung und Verbilligung gehören untrennbar zusammen. Eine bloße Vereinfahung würde nur zu hohen Normal- säßen führen. Schließlih möchte ih die Regierung fragen, was sie auf Grund unserer vorjährigen Resolution thun will, um der Ueber- füllung der Personenwagen auf der Berliner Stadt- und Ringbahn vorzubeugen. Bloße ranernea gegen N Er O, die in einer Denkschrift in Ausficht gestellt sind, genügen nit. Berlin bildet eine rovinz für sich, billige Vorortstarife sind das beste soziale und sitt- iche Mittel zur Hebung der Berliner Bevölkerung. Je weiter die Ermäßigung reiht, umsomehr würde der Grundstücksspekulation, die man fürchtet, vorgebeugt. Die Einshiebung neuer Stationen auf der Stadtbahn hat die Fahrstrecke verkürzt und damit die Preise erhöht. Nur für die Monatskarten if eine Ausnahme gemacht. In dem der Generalversammlung deutscher Eisenbahnverwaltungen überreihten Prachtwerk heißt es: ein bishen ODrängeln gehöre zur Berliner Feststimmung. Dagegen muß ich Verwahrung einlegen. Das mag höchstens auf gewisse Radaubrüder zutreffen. Die bestehende Noth kann niht dur solche Redensarten abgethan werden. Die Staatsbahnverwaltung hat andere Bedürfnisse zu derr iaun als solche angeblihen Bedürfnisse der Fest- stimmung. Man hat Klappsize während des Sommers vorgeschlagen, um mehr Raum zu hafen. Dann müßten also die Berliner ihre Ausflüge stehend machen, eine unwürdige Zumuthung! Diese Frage ist viel wichtiger als cine zweistündige ganz unnüßze Debatte über mangelnde monarchische Gesinnung der freisinnigen Partei. Die Privatunternehmungen verdienen den Vorzug vor den staatlichen; da wird der Verkehr viel prompter bewältigt. Wenn die Staats- verwaltung ein Monopol für \sch in Anspruch nimmt, dann muß se auch Reformen durchführen, wie es in Lags geschehen ifi. Jn Budapest ist die erste Untergrundbahn mit eleftrishem Betrieb gebaut worden. In Berlin bedürfen wir eines Netzes von Hochbahnen für den Durchgangsverkehr. Eine elektrishe Straßenbahn über der Stadt- bahn würde die unteren Geleise entlasten und große Grunderwerbs- kosten ersparen. Für unlösbar kalte i jedenfalls dies Projekt nicht. Auf der ungarishen Staatsbahn fand ic keine Ueberfütiung; in Oderberg wurde nur ein Durhgangswagen eingestellt, und ein Abtheil war nicht zugänglih, weil eine hohe Person darin Plaß nehmen sollte; das Coupé blieb aber unbeseßt. Als ih einem mitreisenden Ausländer die Verdienste unseres CEisenbahn-Ministers auseinander- seßen wollte, sagte er: Aha, das ist der Mann, der die Plaßkarten erfunden hat! Wann will nun der Minister mit der Personentarif- Reform vorgehen? Soll erft die lepige Eisenbahngeneration hin- sterben? In einer Geschichte der preußischen Personentarife wird es wohl auch von dem Minister heißea: Das is der Minister, der die Plaßkarten erfunden hat. : S Abg. Krawinkel (nl.): Der Gepätarif ift in der That enorm

ho; darin hat der Vorredner unstreitig Reht. In der Frage der Personentarife jedoch geht er zu weit. Wir fahren in Preußen billiger als in irgend einem anderen Kulturstaat. In England und Frankrei fährt man nicht so billig wie bei uns. Als Geschäftsmann muß ih mir zunächst die Frage vorlegen, wie die Selbstkosten der Bahn bei der Personenbeförderung {ih stellen. Leider giebt uns die Verwaltung feinen Einblick in diese Verhältnisse. Die Ausgaben für Personen- und Güterbeförderung sind niht getrennt. Wir fahren bei uns um die Hälfte dessen, was man in Amerika bezahlt. Troßdem haben wir größere Uebershüsse aus dem Perfonenverkehr, aber viel geringere aus dem Güterverkehr. Die preußishe Staatsbahn- verwaltung is nicht verpflichtet, dem Verkehr Berlins unter allen Umständen zu genügen. Der Vergleich mit der Berliner Pferdebahn trifft niht zu, weil hier viel mehr Linien find als auf der Stadtbahn. Man sollte für Berlin nicht noch mehr thun, als {on geschehen ist, Die Rentabilität der Stadtbahn muß do auch im Auge behalten werden; ich denke darüber pessimistisch. Billige Tarife können nur dazu beitragen, die Stadt räumlich noch mebr auszudehnen. Den Vortheil hätten nur die Grundbefißer inner- halb und außerhalb der Stadt. Ich erinnere Sie an die Willionen- bauern. Der Werth des Grund und Bodens is in Berlin enorm gestiegen. Alle die Vortheile, die Berlin in den Schoß fallen, müssen wir in der Provinz mit s{chweren Opfern bezahlen. Der Laudwirth- schaft und den nothleidenden Gewerben muß durch Verbilligung des Stückgutverkehrs geholfen werden; auch die Abfertigungëgebühr müßte ermäßigt werden. Die Wirthschaftlichkeit des Betriebs darf dabei niht außer At gelassen werden. Die Post befördert viel billiger als die Eisenbahn. In diesem Sinne bitte ich den Minister, mit Reformen vorzugehen. | l j

ie Schulz (fr. Volksp.): Nicht die Berliner klagen über die Zustände auf der Stadtbahn, sondern die Fremden, die nah Berlin kommen. Wo anders nimmt man sol&e Mißstände nicht mit der Rube hin, wie es der Berliner thut. An anderen Orten würde es Radau geben. Die Stadt Berlin wird sih hüten, selber ein Monopol für sich zu verlangen, um dieselben Zustände herbeizuführen, wie fie in der Stadtbahnverwaltung vorhanden sind. Die Staatsregierung und die Krone machen uns Schwierigkeiten, wenn wir in Berlin Verkehrsverbesserungen verlangen. (Vize- Präsident Dr. Krause: Es ist nicht üblich, die Krone in die Debatte zu ziehen, am wenigsten in diefer Weise!) Das ändert nichts an der Thatsache. Nicht nur die Stadt Berlin, auc die Staatsbahn hat ein Interesse an größeren Verkehrserleihterungen, denn sie erhöhen die Einnahmen. Ueber die Berliner Pferdebahn foll die Staats- verwaltung die Aufsicht führen, wenn dort eine Ueberfüllung der Wagen stattfindet; auf ihren eigenen Bahnen aber joll es beim Alten bleiben! Die Zahl der Züge der Stadt- und Ningbahn ist ah dem Sommerfahrplan fogar vermindert worden. Der Vorort- verkehr nah dem Grunewald soll vershlechtert werden. Der Vorort- verkehr der Görlißer Bahn is allerdings erleichtert worden. In Bezug auf Erkner und Grünau bleibt es beim Alten. Selbst auf der Wannseebahn bleibt der Sonntagsverkehr unverbessert. 60 Züge enügen am Sonntag durchaus niht. Der Grunewaldverkehr am

onntag soll um 1e De T werden. Der Minister follte do dem Verkehr mehr Rechnung tragen. :

O Aa Pleß (Zentr.): Wenn der Minister selb zugiebt, daß die Betrieb8ausgaben wegen billiger Materialien zurüdckgehen, und wenn allgemein und unwidersprochen der Nuf nah einer erbilligung der Pferdebahntarife ershallt, so sollte der Minister sich gegen MNe- formen nit allzu schc sperren. Ich wäre {on zufrieden, wenn vorläufig die Gütertarife ermäßigt würden. Allerdings stehen wir hier fehr unliebsamen Konkurrenzrüsichten gegenüber; und sollten wir so lange mit der Personentarifreform warten so hieße das, fie auf den griechishen Kalender, d. h. den Nimmermehrstag, verschieben. Tarif- ermäßigungen find wohl möglich ohne Verminderung des Verkehrs und der Bim Man fo Os einmal auf irgend einer Strecke einen Versu auf Widerruf machen. Ï

Abg. von Tiedemann-Bomst (fr. konf.): Der Antrag Broemel muß auf sehr schwahen Füßen ftehen, wenn er in 14 Stunden vertheidigt. Wir können über ihn durch kommissarische Berathung nicht entscheiden; eine komzuissarische Berathung ist eben auch gar nit nöthig, da wir über ihn son oft genug gesprochen haben. Ich beantrage, über ihn zur Tagesordnung überzugehen. Vize-Präsident Dr. Krause glaubt, daß eine kommissarische Be- rathung nicht nöthig sei, da der Antrag in der Kommission bereits besprochen sei; es dürften auch Anträge auf Uebergang zur Tages- ordnung jeder Zeit gestellt werden. :

Abg. Broemel weist darauf hin, daß die Kommisfion die Be- rathung des Antrags gerade dem Plenum überlassen habe.

Abg. von Tiedemann zieht seinen Antrag vorläufig zurü. Abg. Schmieding (nl.): Auh ih halte eine Verbilligung der

Gütertarife für nötbwendiger als eine Verbilligung der Pötfonen- tarife; e Vereinfachung der Perfonentarife a wird auch der Minister selb wünschen, da er sie als Konglomerat bezeichnet hat. Berlin hat weniger Ursa zu klagen als die preamderi bier herrschen zum theil shreckliche Zustände. Herr Schulz ift wohl über die Mauern Berlins nicht weit hinausgekommen.

Abg. Dr. Irmer Col): Daß eine Reform irgend einmal dur- eführt werden Tann, treiten wir niht. Billigere Gütertarife m Interesse der Landwirthschaft sind erwünscht. Die gegenwärtigen Persmmenmriie dagegen sind fo beschaffen, daß sie keine Gesellschafts-

affe drücken. Unser Verkehr hat einen ungeahnten Aufs{chwung ge- nommen. Experimente beim Personentarif find heute sehr gefährli. Feder Einnahmeausfall müßte dur erhöhte direkte Steuern gedeckt werden. Ein einziges Beispiel, wie es Herr Broemel angeführt hat, beweist nichts zu Ungunsten der preußishen Eisenbahnverwaltung ; das wäre gerade so, als wenn man sagen wollte: weil einmal ein Ab- geordneter etwas zu viel getrunken habe, beftehe das ganze Haus aus Trunkenbolden. Unsere Cisenbahnverwaltung if die beste der Welt. Abg. Bueck (nl.) stellt ebenfalls die Ermäßigung der Gütertarife in den Vordergrund; es bandle sich nicht darum, der überschüssigen Arbeiterbevölkerung die Möglichkeit zu großen Reisen, fondern dur billige Frahten und vermehrte Produktion größere Arbeitsgelegenheit zu geben. Eine Vereinfahung der Perfonentarife sei ohne erheb- lihe Einnahmeeinbuße nicht möglich; darum nehme er vorläufig die Kompliziertheit der Personentarife mit in den Kauf. In einer Beziehung billige er die Begünstigung Berlins. Die billigen Vororts- tarife kämen hauptsählih den mittleren und kleineren Beamten zu gute, die viel weniger an der Großstadt kleben als die Arbeiter. Abg. von Tiedemann - Bomst (fr. kons.) wiederholt nunmehr seinen Antrag auf Uebergang zur r pt aeg 7 __ Abg. Broemel widerspricht ihm. Der Minister habe sih noch nicht einmal über den Antrag geäußert.

Der Antrag von Tiedemann wird angenommen. Ueber

die Petition des Vereins „Zonentarif“, welhe denselben Sinn

wie der Antrag Broemel hat, geht das Haus auf Antrag der Budgetkommission gleihfalls zur Tagesordnung über.

Gegen 41/4 Uhr wird die weitere Berathung auf Donnerstag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Ergebnisse der Tuberkulin-Impfungen an Rindern in Bayern.

Nach einem Erlaß des Königlichen Staats-Ministeriums des Innera vom 12. Februar 1895 sind in Bayern die Bezirksthierärzte verpflichtet, alljährlih tabellarishe Berichte über die im abgelaufenen Jahre vorgenommenen Tuberkulin-Impfungen einzusenden. Die erften auf Grund dieses Erlasses eingegangenen Berichte erstrecken \sih auf das Jahr 1895. Sie sind vom Königlich bayerischen Statistischen Bureau bearbeitet worden nnd die Ergebnisse in dem foeben erschienenen

f 2/3 des 28. Jahrgangs der „Zeitschrift des K. b. Statistischen Bureaus“ zur Darstellung gelangt. Da dieselben weit über die Grenzen Bayerns hinaus von Interesse sein dürften, sei im Nach- stehenden Einiges aus dem umfangreichen Berichte mitgetheilt.

Vorausgeschickt sei, daß mit jenem Ministerialerlaß gleichzeitig ein Gutachten des ordertlihen Professors an der Thierärztlichen Hochschule zu München Th. Kitt veröffentliht wurde, welches nähere Anweisungen für die Anwendung der Tuberkulinprobe enthält, und in dem es u. a. heißt: „Tuberkulin ift das fterilisierte Dekoft von Reinkulturen des Tuberkelbacillus. Dieses von Robert Koch entdeckte Mittel bietet einen Behbelf zur Erkennung der Tuberkulose des Nindes, indem es nach Einsprizung unter die Haut bei tuber- fulöfen Thieren eine Hebichaste Temperatursteigerung herbeiführt, während niht tuberkulöse Thiere in keiner oder nur geringfügiger Weise davon beeinflußt werden. Bei tuberkulöfen Nindern tritt die febrile Reaktion in der Regel nah 8 bis 15 Stunden ein, und hält sich die Temperatursteigerung 5 bis 11 Stunden hindurch. Wenn also Abends 8 Uhr geimpft wurde, ist die Reaktion er Morgens etwa um 6 Uhr beginnend und von da ab einige Stunden dauernd, zu e1warten. Nicht selten beginnt sie jedoh \chon in der sechsten Stunde oder erft in ter 18. und tauert nur 3 Stunden, andererseits selbst einen Tag lang. Die Temperatursteigerung beträgt 1—3,4% Celf. Gerade bei Rindern, welche nur disfkrete, sehr occulte Tuberkel, z. B. der Bronchiallymph- fnoten baben, ift die Reaktion oft sehr stark, während entgegengeseßt Ninder, die im leßten Stadium aus8gebreiteter Tuberkulose si be- finden, meist nur chwach und minimal (0,7—0,9 Steigerung) reagieren. Die Reaktion tritt auch ein, wenn die Thiere neben der Tuberkulose noch ein anderes Leiden, ¿. B. Actinomykofe aben, oder schon etwas er- höhte Eigenwärme besißen, z. B. reagieren Rinder, welche bereits 39—4009 aufweisen, häufig noh durch weitere Steigerung. Bei nicht tuber- fulösen Rindern kommt nach_ der Einfprißung im angegebenen Zeitraum entweder gar keine Steigerung oder eine solche von 0,1—0,6 zu stande. Ausnahmsweise fann indeß eine plôß- liche nur ganz kurz (1 Stunde) dauernde starke Temperaturerhöhung bei nicht tuberkulösem Rinde zu beobachten sein. Das diagnostische Hauptgewicht liegt in der progressiven, stufenwei]e er- folgenden und mehrere Stunden anhaltenden ther- mishen Reaktion, und es können als typische Reak- tionen nur diej-nigen bezeichnet werden, bei welchen die höchste vor der Impfung bestandene Tagestemperatur um mindestens 1 Grad überstiegen wird und mindestens über 40 geht. Alle anderea sind irreguläre, zweifelhafte NReaktionen, welche zwar auch das Vorhandensein der Tuberkulose vermuthen lassen, aber nit zu bestimmten Aussprüchen berechtigen ; dahin ge- bôren Reaktionen an bereits fiebernven, mit Temperaturen über 40 behafteten Rindern, ferner die Reaktionen von 0,9 bis 0,9 und die zu kurzen Reaktionen.* i:

Was die Veranlassung der Impfung anlangt, so unter- scheidet der amtlihe Bericht zwishen der Impfung ganzer Bestände bezw. mehrerer Thiere eines Bestandes und der Einzelimpfung von Handelsthieren. Während folche Einzelimpfungen (an 768 Rindern) gelegentlih des bevorstehenden oder abgeschlosienen Verkaufs regel- mäßig dem Käufer Gewähr für tuberkulosefreie Waare schaffen follen, wurden Impfungen ganzer Bestände oder Theile von solhea (ins- gesammt an 4634 Rindern) aus verschiedenen Gründen vorgenommen. Dahin zählen: die Beobachtung klinisher Erscheinungen bei einzelnen oder mehreren Thieren eines Bestandes (dies war bei 1572 Thieren der Fall), Entdeckung der Perlsuht bei nothgeshla{hteten Thieren und infolge davon Ansteckungs- oder Seuthenverdaht bezüg- lih der übrigen Thiere, Neubeseßzung von Ställen, allgemeine Kon- trole eines Bestandes, Sorge für dea selbstgezüchteten estand bezw. für die Nahzuht, Kontrole in Zucht- und Nuyvieh-Stallungen zum Zweck der Beseitigung kranker oder verdächtiger Thiere (insbesondere au Kontrole der Zuchtstiere auf Veranlassung von Genosseuschaften oder Behörden), Prüfung von Thieren, deren Milh zur Kinderernährung, zur Erzeugung von Tafelbutter u. dergt. bestimmt i, Erprobung des Tuberkulins auf seinen Werth als diagnostishes Hilfsmittel, namentlich bei zur Schlachtun bestimmten Thieren. Wiederholt wurde die Impfung b solchen Thieren, bei welchen die erste Probe zweifelhafte Wirkung er- geben hatte oder bei denen ih Tos negativen Resultats der ersten Iapfung klinishe Erscheinungen für Tuberkulose darboten. Außerdem fand wiederholte Impfung in einzelnen Fällen statt, in welchen Ge- währschaftsleistung in Frage stand und Käufer oder Verkäufer das Ergebniß der ersten Probe bezweifelten. Leider kamen hierbei, wie in dem Berichte bemerkt wird, gerade in den Fällen, in welchen auh das Resultat der zweiten Impfung zweifelhaft war, die Thiere meist niht zur Schlahtung, so daß eine definitive Feststellung unterblieb.

Insgesammt wurden im Jahre 1895 in 1182 Gehöften des Königreichs mit einem Rindviehbestande von 17 577 Stück an

5402 Thieren Tuberkulinimpfungen vorgenommen. Die erste Impfung