1897 / 61 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 12 Mar 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Dr. Pichler (Zentr.) von der Tagesordnung abzufeßzen, weil seitens des Bundesraths Erhebungen angestellt würden, e Be niht abgeschlossen seien, auf Grund deren aber der Reichstag erft ein Urtheil fällen könne.

Abg. von Kardorff (Rp.): Es is dringend nothwendig, daß eine baldige Entscheidung des Bundesraths herbeigeführt wird, damit niht die Bäckereien inzwishen zu Grunde gehen. Das verlangen zahlreiche Bitten der Meister und auch der Gesellen. g __ Gegen die Stimmen der Konservativen und der National- losen, wird die Abseßung von der Tagesordnung be-

ofen.

bg. von Kardorff: Ich will niht die Berathung des Antrages für morgen fordern, aber für den nähsten „Schwerinstag“ haben wir für R Antrag das Vorrecht, und da wird das Zentrum um die Verhandlung nicht herumkommen. i

Schluß 5 Uhr. Nächste Sißzung Freitag, 1 Uhr. Ses nungssachen, Vorlage wegen der Gedenkhalle, und Geseß- entwurf wegen der Schuldentilgung, Etat der Zölle und Ver- brauchssteuern, Stempelabgaben u. \. w.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

47. Sißung vom 11. März 1897.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1897/98 wird beim Etat der Eisenbahnverwaltung, und zwar bei den Einnahmen aus dem Personen- und Gepäckverkehr fortgeseßt.

Der Berichterstatter Abg. Möller (nl.) beantragt namens der Budgetkommission, über die Petition der Bergischen Handelskammer zu Lennep um Einführung von Kilometerheften nah badishem Muster auf den preußishen Staatseisenbahnen zur Tagesordnung überzugehen, während der Abg. Böttin ger (nl.) beantragt, die Petition der Regierung als Material zu überweisen.

Ueber den Beginn der Debatte ist gestern berichtet worden.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ich habe mich bezügalih der Personentarife wiederholt {on dahin ausgesprochen, daß auch ich den jeßigen Zu- stand, in dem sich das Personentarifwesen und das Personenbeförderungs- wesen befindet, keineswegs als einen auf die Dauer haltbaren bezeichnen kann. Ich habe nur geleugnet, daß zur Zeit ein so dringendes Be- dürfniß dafür vorliege, mit der Reform vorzugehen, um selbst ohne Rücksicht auf die einshneidende Beeinflussung der Finanzlagen des Staates und unter Beiseiteshiebung des Weiterausbaues der Güter- tarife sofort an diese Aufgabe heranzutreten.

Meine Herren, der Antrag des Herrn Abg. Böttinger ist, wie er ihn bezeichnet, eine Vereinfachung, wie ih ihn bezeihnen möchte, eine Ver- mehrung der Buntscheckigkeit unseres Pensonentarifwesens. Es wird eben eine neue Form wieder eingeführt neben den alten, die bisher be- standen haben, und zwar eine Form, die auf einem Umwege das erreiht, was man mit dem einfahen Billet sofort erreihen kann. Anstatt an den Schalter zu gehen und sich eine Karte zu fordern von Lennep nah Berlin, geht man an den Schalter mit einem Kilometer- heft, der Schalterbeamte {chlägt nach, wieviel Kilometer von Lennep nah Berlin vorhanden sind, giebt |ch ans Rechnen, schreibt die Kilometerzahl ein und entwerthet den entsprechenden Theil des Heftes, Sehr viel einfacher ist: man giebt aus dem Schalterbestande das Billet Berlin—Lennep hin und läßt sich den Preis dafür bezahlen. Die ganze Wohlthat liegt einfah darin, daß man allerdings etwas weniger bezahlt.

Nun bin ich ja durchaus der Meinung und stimme in diesem einen Punkte mit dem Herrn Abg. Broemel in seinen gestrigen Aus- ¡lhcungen überein, daß sich eine Vereinfachung des Personentarif- Systems ohne eine Ermäßigung überhaupt gar niht durchführen läßt. Auch das Projekt, das mein Herr Amitsvorgänger im Jahre 1889 aufgestellt hat, und welches der Verein „Zonentarif"“ zu meiner größten Verwunderung nun zu dem seinigen gemacht hat unter Hinzufügung einer Fernzone, im übrigen aber unter Beibehaltung derselben Säße, sah eine erheblihe Ermäßigung vor. Das woar auch gar nicht anders möglich; denn wenn man die I1V. Klasse beseitigt, kann man natürlicher- weise in der II1. Klasse niht mehr erheben, als man früher in der IV. Klasse crhoben hat. Wenn man aber die III. Klasse auf 2 bringt, so kann man nit mehr zu 6 - in der II. und nicht zu 8 S in der I. Klasse fahren, es würde also ermäßigt auf 2, 4, 6 §4. Wenn man die Rückfahrkarten aufhebt und die NRundreisehefte und die Sommerkarten und die Bâäderkarten, und wie sie alle heißen mögen, was ih auch für sehr nüßlich und zweckmäßig halte, kann man aller- dings den Ausfall, der sich dadur für das reisende Publikum ergiebt, nicht ignorieren, sondern man muß die Einzelfahcten entsprehend ermäßigen.

Nach sehr forgfältigen Berehnungen, die damals angestellt worden sind, hat sich dieses Neformprojekt auf ein Nisiko von 35 Millionen gestellt. Nach dem heutigen Stande des Personenverkehrs würden die 35 Millionen ‘sich auf 45 Millionen in minimo erhöhen, Meine Herren, das ist ja unzweifelhaft, daß von diesem Risiko in absehbarer Zeit ein nicht unerhebliher Theil wieder durch Vermehrung des Ver- kehrs eingebraht werden würde. Es entzieht sich allerdings vollständig der Feststellung, wieviel von der Mehreinnahme der folgenden Jahre auf die allgemeine Vermehrung des Verkehrs zu rechnen und wieviel darauf zu rechnen wäre, daß durh die Ermäßigung der Preise quanti- tativ ein größeres Eisenbahnpublikum mobil geworden ist. Aber, meine Herren, bei uns liegen die Verhältnisse niht so, wie sie in Ungarn lagen, wie sie in Rußland liegen, daß wir noch große Massen in rasher Folge mobil machen können. Unsere Verkehrsentwickelung ist bereits cine so dichte, daß das niht zu erwarten ift.

Meine Herren, auch die Kilometerhefte in Baden haben das nicht zu stande gebraht. Nach den Ermittelungen, die ih in meiner Eigen- schaft als Chef des Reichslandes für die Verwaltung der Reichs- Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen habe anstellen laffen, ift das nicht der Fall gewesen.

Meine Herren, es lag ja sehr nahe, nahdem die badische Bahn die Kilometerhefte eingeführt hat und da ein großer Theil der badischen Linien in direkter Konkurrenz mit den Linien in Glfaß-Lothringen steht, dem badischen Beispiel zu folgen. Aker nah den sorgfältigsten Ermittelungen ohne irgend welhes Vorurtheil haben wir uns sagen müssen, daß, ganz abgesehen von allen anderen Bedenken, vom finanziellen Standpunkt aus das eine ungünstige Maßregel sein würde. Soviel ih unterrihtet bin, if aus denselben Gründen das badishe Beispiel weder in Württemberg, noch in Bayern nahgeahmt worden.

Meine Herren, Kilometerhefie haben früher auch in Oesterreich- Ungarn bestanden: sie sind wieder aufgehoben, weil der erhoffte

finanzielle Vortheil ausblieb, und weil die Komplikation, die verkehrs- technisch sich ergab, dies angezeigt erscheinen ließ.

In unserem preußischen Staatéeeisenbahnez von 29 000 km die Sache überhaupt durchzuführen, if unmöglih. Wenn jemand an dem Schalter in Lennep sich ein Billet nah Lissa auf Grund seines Kilometerheftes fordert, so möchte ih den Schalterbeamten sehen, der das in der zur Verfügung stehenden Zeit fertig bringt, eine derartige Berechnung aufzustellen. Und, meine Herren, Beschränkungen inner- halb des Nees würden bei dem System der Kilometerhefte überhaupt nicht mögli sein.

Ich komme nun auf den Rabatt, den Baden gewährt, auf das Kilometerbeft ; dieser ist bei uns überholt durch die 1V. Klasse. Die- jenigen Leute, für die sh der Abg. Böttinger interessiert, fahren bei uns viel billiger in der 1V. Klasse, als in Baden mit dem Kilometer- hefte. Bekanntlich bezahlt die 1V. Klasse nur 50 °/6 der II1. Klasse und, foviel ich unterrihtet bin, ist ‘der Rabatt des Kilometerheftes erheblich geringer; ich weiß die Ziffer niht genau, nehme das aber an.

Meine Herren, den Bedürfnissen, wie fie der Abg. Böttinger ge- \cildert hat, kann ih eine gewisse Berechtigung nicht absprehen. Jn einem so entwidelten industriellen Gebiet, wie im Bergisch-Märkischen Lande, i} allerdings das Bedürfniß vorhanden, durch schr mäßige Säte im Personenverkehr die Veredelungsproduktion zu fördern ; diese muß \sich vollziehen zum großen Theil dur den persönlichen Verkehr des Webers, des Mannes, der Kleineisenzeug herstellt u. \. w., mit dem Fabrikanten oder Händler; und dieser Zwischenverkehr auf Turze Entfernungen muß zu billigen Preisen möglih sein. Das ift aber auch mögli durch die 1V. Klasse; zu zwei Pfennigen fahren die Leute das Kilometer. Während in Süddeutschland die TV. Klafse niht vorhanden ist und kein Freigepäck gewährt wird, können die Weber mit ihren Webebäumen, auf denen das betreffende Material aufgerollt ift, andere Gewerbetreibende mit ihren {weren Kiepen voll Eisen- oder Kupferwaaren u. \. w. diese kurzen Strecken zu diesem Preise zurück- legen. Ob es mögli sein wird, auch noch dem anderen Theil der- jenigen Reisenden, für welhe Herr Böttinger fsich interessiert, und für welhe auch wohl ein Bedürfniß anzuerkennen ift, dem besser gestellten Theil der Reisenden in einer anderen Form Erleichterung zu gewähren, kann noch erwogen werden. Bei uns bestehen ja bekanntlich auch für regelmäßige Fahrten außer- ordentli billige Abonnementspreise für Arbeiter, Schüler und auch für jeden anderen, der in der Lage ist, täglich oder doch wenigstens mehrmals wöchentlih derartige Neisen auszuführen. Ich kann daher ein Bedürfniß für die Einführung des Kilometerheftes bei uns nicht als gegeben erachten; ich kann ferner die Einführung der Kilometer- hefte auf dem Gebiete der preußishen Staatsbahnen als technisch ausführbar niht erachten; ich kann aber endlih nicht glauben, daß

damit wesentli Besseres geshaffen wird, als das den betreffenden .

Klassen von Reisenden schon jeßt dur die bestehenden Einrichtungen möglich ift.

Abg. Pleß (Zentr.) sieht in den Kilometerheften eine Bevor- zugung einzelner Bevölkerungskreise. Die Reform der Personentarife müsse allen Reisenden zu gute kommen. Man solle sih nicht durch das Gespenst des Einnahmeausfalls \s{hrecken lassen und wenigstens auf einer kleinen Strecke einen Versu machen.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Der Herr Abg. Pleß ist, wenn ih ihn richtig verstanden habe, auf einen Vorschlag zurückgekommen, der hon wieder- holt von ihm gemacht worden ist. Wenn man das Risiko für den ganzen Staatsbahnbereih für zu {wer erahte, möhte man doch ein- mal mit dem Reformprojekt einen Versuch auf einer kleinen Strecke machen. Das is} recht gut gemeint, aber niht durchführbar. Jch würde {hon Bedenken haben gegenüber der verfassungsmäßig gleichen Behandlung aller Verkehrsinteressenten innerhalb des Staats; dem Personenverkehr in einem geographisch begrenzten Gebiete Ermäßi- gungen zu theil werden zu lassen, die andere Gebiete nicht haben, halte ih für unausführbar. Eine solhe Probe würde aber au nicht beweiskräftig sein, denn es würden Umwege gemacht werden, um die Ermäßigungen dieses Gebietes mitbenußen zu können. Es ift niemand so erfinderisch als ein Reisender, insbesondere ein Handels- reifender. Wenn er noch unterstüßt wird ¡durch den Verein „Zonen- tarif“, der all das kleine Ungeziefer im Tarifwesen aufstöbert, so kann er es in dieser Hinsicht ziemlich weit bringen. (Heiterkeit.) Jch bin also fest überzeugt, ein solher Versu wäre erstens niht ausführbar, zweitens würde er nicht zu vollständig zutreffenden Resultaten führen.

Meine Herren , ih habe leider vorhin versäumt, ein Moment für meine Auffassung noch anzuführen. Man mag denken über eine Reform der Personentarife, wie man will. Jedenfalls liegt eine besondere Dringlichkeit, an die Tarifreform heranzutreten, niht vor. Meine Herren, unsere Tarife stehen durchaus nicht in einem Mißverhältniß zu den Tarifen der anderen deutschen Staaten und noch viel weniger in einem Mißoerhältniß zu den Tarifen der außerdeutschen Staaten. Ver- \hiedene der Herren Redner haben das ja am gestrigen Tage an Beispielen erläutert. Unter den deutshen Bahnen haben wir zur Zeit die größte Einnahme für ein Zugkilometer im Personenverkehr und die größte Einnahme für einen Achsenkilometer. Es ist also damit erwiesen, daß die Frequenz auf unseren Bahnen im Personenverkehr die erheblichste ist. Wir haben aber andererseits die kleinste Gebühr für ein Personen- kilometer; das heißt, wir erheben im Perfonenverkehr die geringsten Säge. Das thut hauptsächlih die 1Y. Klasse und andererseits die sehr erhebliche Ermäßigung, die wir für den Vorort- und Arbeiter- verkehr, eingeführt haben. Der Personenverkehr ist auch durchaus nicht zurückgeblieben gegen den Güterverkehr; im Gegentheil, er hat den Güterverkehr überholt. Auf 1 km Betriebslärge beträgt die Steige- rung in den Jahren 1880/81 bis 1895/96 im Güterverkehr, nah Tonnenkilometern berechnet, 48 %/a und im Personenverkehr, nah Personenkilometern berehnet, 62 9/6 also ein ziffernmäßiger Beweis dafür, daß unter dem jeßigen Personentarifsystem die Entwicklung der Bewegung unserer Bevölkerung mindestens adäquat geblieben ist der Entwicklung unserer gesammten wirthschaftlihen Verhältnisse. Der Er- trag aus dem Tonnenkilometer is im Güterverkehr gefallen um 11 9/6, der des Perfonenkilometers um 17 9%. Meine Herren, wie die Dichtig- keit zugenommen hat in Bezug auf unsere Zugleistungen im Personen- verkehr geht daraus hervor, daß wir auf 1 km Bahnlänge im Jahre 1888/89 4284 Zugkilometer gefahren haben und im Jahre 1895/96 5152. Auf den deutschen Bahnen im allgemeinen beträgt diese Ziffer 9128 ist also geringer —, auf den öôsterreihisch-ungarishen Bahnen nur 3018, auf den belgishen Bahnen nur 4060. Wir sind also in Bezug auf die Verkehrsdichtigkeit auh selbst den belgischen Bahnen noch überlegen.

Auf 1 km Bahnlänge find Personenkilometer gefahren ini 1888/89 265 323, im Jahre 1895/96 357 800; die Steigerung bet alfo hier 75 9% in 7 Jahren. eträgt

Dies sind doch ziffermäßige Momente dafür, daß das gegenwärti Tarifsystem kein Hemmschuh für die Entwickelung des Personenverk E gewesen ist, und daß bisher das Bedürfniß kein so absolüt brinzealta ist, daß darum andere schwerwiegende Rücksichten bei Seite geshoben werden müssen. (Sehr richtig !)

Abg. Rickert (fr. Veg.): Ich kann dem Herrn Minist-, „; Recht geben. Die Wanderlu#t des Deutschen is so E niht immer noch weitere Erleichterungen des Verkehrs eintret könnten. Ich bin bereit, dem Antrage Böttinger zuzustimmen w M ih auch in Bezug auf die Kilometerhefte den Ansichten des roi Ministers folge. Die Abneigung des Grafen Limburg ‘e M Baden kann ich mir erklären, wenn Minister, die I Baden gekommen sind, eine Politik treiben, die “as Herren auf der Rechten nicht gefällt. So entsteht natürlig ein Vorurtheil gegen Baden. Eine Reform der Personentarife if durchaus nothwendig. Der Minister Maybach hatte diese Ueberzey gung auch. Seine Bemühungen scheiterten aber an der Finanzverwaltyy s Bei dem russishen Persfonentarif würden wir von Berlin uk Eydtkuhnen um etwa 33 9/6 billiger fahren. Der Minister sollte ded wenn er so große finanzielle Bedenken hat, die Reform nur allmäktli, Stück für Stück durhführen. In Danzig, Zoppot hat der billige Lokaltarif überhaupt erst den Verkehr geschaffen. Aus dem Berliner Lokalverkehr sehen Sie auch, daß eigentlih der Lokalverkehr die Ein, nahmen bringt, und niht der große Durchgangsverkehr. Wir sind ja fo genügsam! Man sollte wenigstens anfangen mit der Reform und namentli den Lokalverkehr, den Vorortverkehr verbilligen und sich dabei nicht bloß auf Berlin beschränken.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen :

Meine Herren! Einen Irrthum des Herrn Abg. Rickert möhte ih kurz berichtigen. Das Reformprojekt meines Herrn Amts, vorgängers ist nicht am Widerstande des Herrn Finanz-Ministers ge, sheitert. Soweit is es überhaupt garniht gekommen, fondern sämmitlihe Bezirks-Eisenbahn-Näthe des Staats haben si gegen das Projekt ausgesprochen. (Aha! rechts.) :

Abg. Böttinger tritt nohmals für seinen Antrag ein.

Abg. Graf von Kan it (kons.): Die russishen Tarife sind aller- dings noch billiger, als Herr Rickert annimmt. Aber in erfter Unie ist eine Ermäßigung der Gütertarife nothwendig, um den darnieder- liegenden Gewerben aufzuhelfen. In dieser Zeit des Darniederliegens wäre es doppelt bedenklich, die Personentarife zu ermäßigen. Die öft- lichen Provinzen leiden {on jeßt unter den niedrigen Perfonentarifen, welhe den Wandertried der Bevölkerung beeinflußt haben. Die billigen Vororttarife in Berlin haben es den Arbeitern ermöglit, in den Vorstädten zu wohnen und täglich nach Berlin zu kommen, Das hat die Entvölkerung des platten Landes mit veranlaßt, und da: durch sind auch die Bodenpreise in Berlin fo gestiegen. Die billizen Berliner Vororttarife sind ein bedeutender sozialer Schaden. Wir können die Personentarife erst weiter verbilligen, wenn der Arbeits S ten verschiedenen Provinzen wieder ein gleihmäßiger ge- worden ist.

Abg. Nickert: Dem Mirister sind diese Auéführungen wohl niht sehr angenehm gewesen. Er wird hier vor dem Lande wegen Beförderung der Sozialdemokratie denunziert. Sie (rechts) maden allerdings noch ganz andere Saltomortales. Es giebt ia Berlin auh sehr viele Arbeiter, die wieder zurück möchten in die Provinz. Bet den hohen Tarifen bleiben sie aber hier und gehen nicht zurück in die Heimath. Man muß ihnen den Anreiz geben, billig wieder inZ: die Heimath zurückzukommen. Wer einmal auf dem Lande und im frishen grünen Wald gelebt hat, fehnt sfich immer wieder dahin zurück. Die Herren auf der Rechten schaden {fich alfo selbt, wenn sie den Reformen widersprechen. i / E

Damit {ließt die Diskussion. Die Petition der Handels e in Lennep wird durch Uebergang zur Tagesordnung erledigt.

Eine Petition aus Adlershof um Verbesserungen im Vorortverkehr auf der Görlißer Bahn und eine Petition des Ostvorortvereins in Köpenick um weitere Ver- billigung der Vororttarife und Vermehrung der Geleise auf der Shlesishen Bahn werden zur Regierung als Material überwiesen.

Die Einnahme von 299 084 000 H aus dem Pe1sonen- und Gepäckverkehr wird bewilligt. /

Als Einnahme aus dem Güterverkehr sind 735805 000 A vorgesehen. - :

Hierzu liegen Petitionen vor aus Thorn, Danzig, Briesen

Westpr.), N Renbars (Oberschlesien) und Bromberg um iedereinführungder Staffeltarife, bezw. Ermäßigung der Tarife für Getreide und Mühlenfabrikate, während der Vorstand des Hannover-Braunschweigischen Zweigverbandes deutscher Müller in Hannover um Ablehnung dieser A E Die Budgetkommission beantragt , alle dieje etitionen der Regierung als Material zu überweisen. ___ Atkg. von Mer del-Steinfels (fons.): Die Arbeiter, die einmal in den großen Städten find, bleiben in der Stadt ; sie treiben sozial- demokratis&e Propaganda, und ibr bôchstes Ideal ist die Fuselflasche. Eine eingehende Revision der Gütertarife ist viel nothwendiger als die der Personentarife; namentlih is der Stückgutverkehr nur in sehr beshränktem U nfange verbilligt worden. Durch die hohen Tarifsäße werden die kleinen Kaufleute und Landwirtbe geschädigt, die in kleinen Quantitäten cinkaufen müssen. Das Hauptgeshäft macht der Spediteur. Große Ladungen werden im Verhältniß zum Gewicht viel billiger tranëportiert als Stückgüter. Im Intcresse der kleinen Kaufleute muß der Stückgutverkehr ermäßigt werden, selbst auf die Gefahr hin, daß die Eisenbahneinnahmen zurückgehen, denn es handelt sih hier um eine wichtige sozialpolitishe Aufgabe. Im [landwirth shaftlihen Verkehr müßte vor allen Dingen der Viehtransport ver- billigt werden. Der Tranéport eines Schweines von Brunsbüttel nach Hamburg kostet ebensoviel wie ein Billet 3. Klasse; auf einer etivas größeren Entfernung Xostet der Tranëport für ein Schwein gar fo viel wie ein Billet 2. Klasse. Ein Uebelstand is auch, daß, wenn man für den Viehtransport einen kleineren Wagen bestellt und einen größeren erhält, man den Raum für den größeren bezahlen muß. Das muß den kleinen Landwirth abschrecken, fein Vieh au entferntere Märkte zu s{chicken. Der Minister ist an diesen Miß- ständen nicht schuld, ich möchte ihn aber bitten, den Bau fkleiner und mittlerer Wagen nicht einzushränken oder gar einzustellen, wie man befürhtet. Bei der Vermehrung des Wagenparks sollte man auch an die Vermehrung gut ventilierter Viehwagen mit Tränkvorrihtung denken. Die Wagen follten peinlich ge reinigt und desinfiziert werden durch ausreihende Ausdampfung- Jeder slechte Viehtransport vershlechtert auch die Fleischqualität. Der Minister ist ein mächtiger Mann, er sollte dafür sorgen, da niht in Jtalien gefangene Schwalben und todtgeshlagene Wahteln auf deutschen Eisenbahnen nah London tranëportiert werden. Frank- reih hat erfreulicher Weise einen solhen Transitverkehr untersagt. Auf internationalem Wege ift diesem Unfuge auf absehbare Zeit kaum ein Ende zu machen. Die Hühnercholera und -Diphtheritiä, die auf Menschen übertragbar is, wird dur den BEpore aus Jtalien und Ungarn bei uns eingeshleppt. Ih möchte den Minister bitten, diesen Hühnertranéport seine Aufmerksamkeit zu widmen und die erforder- lichen G zu erlassen, um eine Vershleppung der Epidemie zu verhüten.

Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath M öll hausen: Wir haben {hon wiederholt eine Reform des Stückguttarifs ins Auge g€- faßt. Die Sache ist jegt einen Schritt weiter gekommen. Der

bahnrath is mit der Prüfung beauftragt. Für die Ee vE Vieh haben wir schon sebr billige Tarife; es ist aber nicht zu übersehen, daß Vieh besondere Wagen erfordert, nament- ich weine, die mehr Raum nöthig machen als andere Stüe. Bezua auf die Größe der Wagen werden von den Viehhändlern sehr verschiedene Ansprüche gestellt. Es soll Vorrichtung getroffen dit daß, wenn ein Wagen nur zu zwei Dritteln benußt wird, auch O r ¡wei B cite] der Fläche bezahlt werden. Wagen mit Tränkvor- htungen haben wir hon; man hat aber technische Bedenken dagegen hoben. Die Reinigung der Wagen mit heißem Wasser oder mit Dampf schreibt der Bundesrath vor; Verstöße Dagegen werden ener- is verfolgt. Lebende Wachteln werden dur Deutschland überhaupt t tranêportiert, den Transport von getödteten Wachteln und von Sáwalben durch Deutschland können wir nicht verbieten.

Abg. Hirt (konf.): Der Import ungarischen und russishen Ge- treides auf den billigen Wasserwegen und dur billige Eisenbahn- frahtsäße, namentlich in Rußland, ift eine große Gefahr für unsere heimishe Getreideproduktion. Die Eröffnung des Dortmund-Ems- Kanals wird niht nur ein neues Durchgangsthor für ausländisches Getreide sein, sondern auch mit feinen hohen Kanalgebühren für unsere Mühlea von Nachtheil sein. Der Breslauer landwirthschaftliche Verein hat sih mit dieser drohenden Gefahr beschäftigt. Schlesien steht in seinen Absatverhältnissen sehr ungünstig da. Die Auf- hebung des Identitätönahweises hat für uns fehr wenig Vortheil gehabt. Früher hatte es einen großen Vortheil von den Staffel- tarifen; es wäre gut, wenn der frühere Staffeltarif der Ostbahn auf alle preußishen Bahnen ausgedehnt würde oder wenigstens auf Stlesien. Die Eisenbahnverwaltung würde dabei ebenfalls auf ihre Kosten kommen, da viele Transporte, die jeßt unterblieben, dann stattfinden würden.

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Bezüglih der Frage der Kanalgebühren ift vereits meinerseits erklärt worden, daß ih mit dem Herrn Land- wirthschafts-Minister über diese Frage in Erwägungen treten würde. Das ist gesehen; es find sämmtliche Landwirthschaftékammern und landwirthschaftlihen Vereine gehört worden. Es ist rihtig, wie Herr Hirt angeführt hat, daß die Mehrzahl derselben fich dahin aus- gesprochen hat, daß der ursprünglich in Auétsiht genommene Tarif erhöht wird. Das ändert aber an meiner Auffassung nihts, die ih im vorigen Jahre ausgesprochen habe, daß der landwirthschaftliche Verein in Schlesien nur ein theoretishes Interesse an der Sache hat, wie au sein nächster Nachbar, der landwirthschaftliche Verein in Posen, ecklärt hat, er \tände auf dem entgegengefeßten Standpunkt.

Die Frage der Normierung der Kanalgebühren auf dem Dort- mund-Ems-Kanal ist bezügliÞh der Höhe der Frachtkosten von nur geringem Einfluß. Diese Kanalgebühren find nur Pfennige gegenüber den vielen Mark, die die Fracht kostet. Aber vielfah is selbst in den landwirthschaftlißen Vereinen, wie ih aus den Gutachten glaube {ließen zu müssen, wohl die Idee gewesen, es handle sich um die Frachtkosten; niht um die eigentlihen Känalgebühren, das beißt Abgaben, die erhoben werden sollen, um die Unterhaltung des Kanals und die Verzinsung seiner Anlagekosten zu decken. Der Dortmund-Ems-Kanal wird im wesentlihen die Konkurrenz. aufzunehmen haben gegen die Wasser- straße, die von Rotterdam den Rhein heraufführt, sodaß also eine verhältnißmäßig hohe Normierung der Kanalgebühren auf dem Dortmund-Ems-Kanal wohl dahin führen kann, den Besiystand der alten Rheinstraße zu erhalten, aber, wie ih das auch früher hon wiederholt ausgesprohen habe, wahrsheinlich wenig dazu führen wird, neue fremde Getreidequantitäten ins Land hinein- zubringen. Dabei interessiert sind ja die an dem - Kanal liegenden Mühlenetablissements. Ob jemals in Emden Mühlen- etablissements #sch bilden werden, ist eine Frage der Zeit.

Was nun die zweite Frage betrifft, nämli die Verallgemeinerung der Ostbahntarife, so, muß ih sagen, betrete ih die von dem Herrn Abg. Hirt geschlagene Brücke in das uferlose Gebiet der Staffel- tarife hôch# ungern. Ih möchte nur darauf aufmerksam machen, daß das, was die s{lesischen Vereine wünschen und in Petitionen zum Auêdruck gebracht haben, wiederum eine Reihe von Petitionen aus Mittel- und Westdeutshland auf das äußerste bekämpfen. Ja, im Herrenhause, wo die Frage in diesem Jahre auch erörtert worden ist, haben bereits die Vertreter der Mark Brandenburg die Aufhebung der jeßigen Ostbahn-Staffeltarife ihrerseits beantragt unter der Zu- stimmung von ganz Mittel- und Westdeutschland. Sie seßen daraus, meine Herren, wie umstritten dieses Gebiet ist und wie wenig noh die Auffassungen sich in der Beziehung geklärt haben.

Abg. von Arnim (kons.): Jh weise darauf hin, daß an den Kanälen große Mühlen errihtet werden können, welche billigeres Mehl mahlen und den binnenländischen Mühlen Konkurrenz machen können. Die billigen Düngertarife follten dauernd herabgeseßt werden. Für die Vermehrung der Staatseisenbahnen sind wir dem Schöpfer des Staats- bahnwesens, dem Fürsten Bismarck, Dank schuldig. Diese günstigen Verhältnisse sollten die Eisenbahnverwaltung ermuthigen, die Tarife für künstlihe Düngermittel niht auf kürzere Perioden zu beshränken, sondern sie wenigstens für eine längere Reihe von Jahren zuzulassen. Ich bitte den Minister um eine Erklärung darüber.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen :

Meine Herren! Der ursprünglich als Nothstandstarif eingeführte, wesentlich ermäßigte Tarif für Düngemittel ift diefes seines ursprüng- lihen Charakters {on entfleidet und zu einem Ausnahmetarif ge- worden, der neuerdings zunächst auf fünf Jahre erstreckt worden ist. Damit würde das Petitum des Herrn von Arnim zunächst {hon erfüllt sein. Ich bin au der Ueberzeugung, daß nah Ablauf dieser fünf e dieser Tarif niht wi. _.er wird aufgehoben werden. (Bravo! rets.)

Abg. Dr. Eckels (nl.): Der Nothstands-Staffeltarif ist begraben worden auf Drängen der westlihen und mittleren Provinzen, die ihre Zustimmung zu den Handelscerträgen urd der Aufhebung des Sdentitätönachweises davon abhängig gemacht haben. Damals sagte im Reichstage Herr Staatssekretär von Boetticher, daß die Garantie dafür, daß die Staffeltarife niht wieder eingeführt würden, in der Ghrlichkeit des preußishen Staats-Ministeriums liege. Herr Hirt denkt wohl nicht an die Wiedereintührung der früheren Staffeltarife, |oxdern nur an lofale Tarife, die auch id _nicht für nacktheilig halte. Ein Grund für die Wiedereinführung der Staffcltarife ist weggefallen, nahèem die Getreidepreise im Osten gestiegen sind, im Weiten aber nicht in demselben Maße. Unsere mittelrheinishe Mühlenindustrie hat noch heute niht die |chwere Schädigung dur die Staffeltarife über- wunden. Einer generellen Reform der Gütertarife stehen wir durh- aus sympathish gegenüber.

Abg. Graf von Kaniß (kons.): Ich stehe nah wie vor auf dem Boden: der Staffeltarif ift der finanziell und wirthshaftlich rihtigste, und habe deshalb die Wiedereinführung der Staffeltarife mit besür- wortet. Kein Artikel ist mit einem so hohen ee belastet wie qs Getreide. Als Rohstoff gehört es in den Spezialtarif 111; troyz- em steht es im Spezialtarif 1 und wird theurer gefahren als russisches : etreide. Ein Ausgleih zwischen dem östlihen und westlihen Ge- Seide ist nur nah Aufhebung des Identitätsnachweises eingetreten.

er diefer Zustand dauerte nur ganz kurze Zeit. Der Unterschied ¿wischen Osten und Westen beträgt für Roggen heute 12—13

P E E E E S S Gt S : f x

| 1891 wurden die Getreidestaffeltarife eingeführt, troßdem die Regie-

rung wußte, daß der Westen dagegen protestieren würde. Die Wir- kung war eine äußerst günstige, und nun wurden sie mit Rücksicht auf den rufsishen Handelsvertrag wieder abgeshaft. Nach den Worten des Vorredners war es eine do ut des - Politif in optima forma. Die ganze Frage der Güter- und Staffeltarife sheint davon abhängig zu fein, welhe Zusicherung Preußen über die Zeit, in welcher Staffeltarife nicht wieder eingeführt werden sollen, gemaht hat. Der Osten wird durch das russishe Getreide am meisten geshädigt, es wäre ein nobile officium, es nicht im Osten lagern zu lassen. Soll etwa für die Zeit der Pan Weririne der Staffeltarif nicht wieder eingeführt werden? Ist dies der Fall, dann find alle unsere Verhandlungen über die Petitionen und die Staffeltarife überflüssig; wir wollen darüber Klarheit haben. Werden aber die Staffeltarife nicht eingeführt, dann dürfen Sie uns nicht verdenken, wenn wir uns gegen die Verbilligung anderer Tarife sträuben. Sie können doch nicht verlangen, daß wir zu Gunsten des Westens verarmen. Wie steht es denn mit der Kohlenfraht und dem Dortmund-Ems-Kanal ? Soll die westfälishe Kohle so hoh be- lastet werden, daß die Verzinsung des Kapitals für die Anlagen des Kanals herauêgewirth\s{haftet wird? Dann würde keine westfälische Kohle mehr den Kanal befahren. Die Staffeltarife brauchen wir, fo lange die Handeléve:träge bestehen und die großen Mittel zur Hebung der Landwirthschaft, so z. B. die Monopolisierung des Getreides, nicht ergriffen werden. Die Verbilligung der Erztarife für die Eisenindustrie des Nuhrgebiets würde die Übrigen Bezirke erheblich \chädigen. Herr von Stumm hat erklärt, daß unsere Eisenindustrie gar keiner künstlihen Hilfsmittel bedarf. Ein Privilegium für das Ruhrgebiet mit Nücksiht darauf, daß in Lothringen neue Hochöfen gebaut würden, halte ich nicht für erforderlich. Es wäre fehr bedauerlich, wenn der Landes-CEisenbahnrath die Frachtermäßigung für das Ruhrgebiet an- nehmen würde. Das würde zu einer großen wirthshaftlihen Ver- schiebung führen. ;

Abg. Gothein (fr. Vgg.): Es ist mir neu, daß auh die Bundesregierungen ihre Zustimmung zu den Handelsverträgen ab- bängig gemaht haben von der Beseitigung der Staffeltarife. Die Herren von der Rechten dürfen sich nicht über die Aufhebung der Staffeltarife beklagen, fie find rechtzeitig gewarnt worden. Um den Handelsvertrag zu stande zu bringen, hat man den Identitätsnahweis konzediert, und das ist auch den Landwirthen zu gute gekommen. babe 1894 allgemeine Staffeltarife beantragt; ein Staffeltarif von Schlesien na Berlin würde uns sehr willkommen sein. Die kon- servative Partei hatte seiner Zeit die Detarifierung für Getreide und Mühlenfabrikate bekämpft. Heute sind Sie hoffentlich anderer Mei- nung und auch die Regierung. Bei Aufstellung des Etats konnte die Verwaltung den günstigen Verkehr vorausschen. Troßdem hat sie niht den Durchschnitt der leyten zehn Jahre den Einnahmen zu Grunde gelect und die Einnahmen geringer ges{häßt, als es noth- wendig war; die Mehrausgabe für Hilfspersonal und Kohlenverbrauch fällt dabei niht ins Gewicht. Man wi4 aber weiteren Fortschritten in der Tarifreform vorbeugen. 1891 s\tellte der Minister die Ver- billigung der Personentarife in den Vordergrund, heute macht er es umgekehrt. 1891 schon hat sich der Landes-Eisenbahnrath für billige Eisenerztarife ausgesprochen. Jch verstehe nicht, warum der Minister ihn jeßt noch einmal darüber befragt hat, während er dieselbe Frage M der Rohbrennstoff- tarife nit gestellt hat. Der hohe Tarif hat Oberschlesien 1894 erheblich gesd-adet und den Eisenbahnen auch. Die mäßigen Dünge- stofftarife haben keinen Einnahmeausfall herbeigeführt. Das Gegen- theil ist mit der Zeit eingetreten. Dasselbe ist der Fall bei anderen ermäßigten Tarifen. Man hat jeyt die Mindereinnahmen aus den Rohstofftarifen auf 15 Millionen geschägt. Die Thatsachen werden das widerlegen, höchstens 5 Millionen Ausfall sind zu erwarten. Ich möchte wissen, wie es mit den Ergebnissen der Steinkohlentarife von Schlesien nah Stettin steht. Die Tarifermäßigungen müßten in etwas s{chnellerem Tempo vorgenommen werden. ir hinken unseren Nachbarländern in dieser Beziehung nach. Rußland, Frankreih, Belgien und Oesterreih haben viel billigere Tarife als wir. Möge der Minister nicht so ängstlih sein! Ohne Staffeltarife keine Tarksréforit, meinte Herr Graf Kaniß als Mitglied des Landes - Eiseabahnraths. Wir halten diesen Landes - Eisenbahnrath für überflüssig und haben nicht das Verlangen, ihm anzugehören. Die Bezirks - Eisenbahnräthe bringen wenigstens die ursprüngliche Meinung der Interessenten zum Ausdruck. Sachverständig find beide Institute nicht. Auf divergierende Interessen darf die Regierung keine Rücksihi nehmen, sonst kommen wir niemals zu einem generellen Tarifsystem, zu einer generellen Staffelung. :

Wirklicher Geheimer Ober-Regierungs-Rath M öllhaus en: Den Vorwurf, daß die Einnahmen absichtlih fo niedrig berehnet wären, um einer Gütertarifreform vorzubeugen, muß ih energisch zurückweifen. Niemand hat ein so großes Interesse an einer Gütertarifreform wie die Eisenbahnverwaltung. Die Schäßung des Ausfalls infolge dec Ver- minderung des Nohstofftarifs auf 15 Millionen ist keineswegs zu hoh gegriffen. Der Landes-Eisenbahnrath hat erfahrungsgemäß ein ret gutes, gesundes Urtheil wegen seiner Zusammenseßung. Wir sind außerdem gezwungen, ihn zu hören, fajt alle seine Rathschläge find von uns befolgt worden. Eine Generalisierung der Gütertarife ist wegen der Verschiedenheit der Artikel niht durchführbar.

Abg. Humann (Zentr.): Die Vertreter des Westens waren überzeugt, daz während der Dauer des russischen L erirages die Staffeltarife nicht wieder eingeführt werdcn würden. n geheime Abraachungen glaube ih niht. Gegen Staffeltarife nach den Ostseehäfen für Schlesien habe ih nihts einzuwenden. Der Vieh- \taffeltarif hat die Viehpreise des Westens bedeutend herabgemindert, die Verschuldung des westlihen Grundbesißes is stärker als die des östlichen, und ih möchte den Minister bitten, dem Drängen auf Wiedereinführung der Staffeltarife niht nahzukommen. |

Abg. Seer (nl.): Im Namen der Provinz Posen kann ih nur bedauern, daß die Staffeltarife aufgehoben sind; wir haben unseren Markt in Dresden und Chemniß verloren. Indessen sehe ih ein, daß wir zur Zeit an die Wiedereinführung der Staffeltarife niht denken können. i: Ls Abg. Schmieding (nl.): Die Ermäßigung der Brennstofftarife fommt den Konsumenten noch mehr zu gute als den Produzenten. Der Dortmund-Emé-Kanal i gebaut in Konkurrenz gegen den Rhein. Wir waren in erster Linie für den Mittelland-Kanal. Würde man den Dortmund-Ems-Kanal s{hlicßen, so würde das Getreide den Rbein herauf nach Mannheim und in das Innere des Landes ge- langen. Ein großer Theil der Konservativen hat für den öfter- reichishen Handelsvertrag gestimmt. Damals war es an der Zeit, bessere Bedingungen für Deutschland zu gewinnen. Beim russischen Handelsvertrag war der Widerspruch nuglos; ebenso machen Sie (rechts) es mit dem Dortmund-Ems-Kanal. Sie sträuben sich gegen die Erweiterung des Kanalneßes nah dem Osten, obglei diese Er- weiterung wirkt wie ein großer Staffeltarif. _Die Interessenten haben bisher auf die Ehrlichkeit der preußischen Staatsregterung vertraut.

Abg. Dr. e Ra Ey daß von Posen sehr wenig Ge- treide jeßt nah dem Westen geht. :

ns ma Tiedemann-Bomst (kons.) nimmt den Landes- Eisenbahnrath gegen die Angriffe des Tit Gothein in Schug und führt Folgendes aus: In der Düngertariffrage besteht kein Wider- spruch zwishen dem Westen und Osten. Die Frage der Staffel- tarife ist zur Zeit eine unfruhtbare. Die Aufhebung des Identitäts- nachweises hat die Preise des Westens und Ostens annähernd aus- geglihen. Die Staffeltarife haben nur eine Ermäßigung des Ge- treidepreises zur nothwendigen Folge. Nicht Staffeltarife, sondern Aus- nahmetarife für die Provinzen Balen und Schlesien nah Sachsen

i den Landwirthen nügen. würden den Landwirth 8 Wir haben es hier mit keiner

Abg. Ehlers (fr. Vagg.): politischen Parteifrage zu thun, Die heutige Debatte wird an der jeßigen Gestalt der Gütertarife nihts ändern. Beschlüsse des Parla- ments dürfen an dieser Entscheidung niht mitwirken; thäten sie es, so würden sie höchstens die einzelnen Fraktionen in ihrem Bestande ershüttern, wogegen ich allerdings nihts einzuwenden hätte. Die Gütertarife festzuseßen, ist Sache der Verwaltung. Das Votum des

Landes-Eisenbahnraths ift ganz irrelevant. Als 1891 der Minister den Landes-Eisenbahnrath fragte, ob er für die Einführung der Staffeltarife sei, sagte der Landes-Eisenbahnrath Nein. Da sagte der Minifter: es thut mir leid, ih weiß es beffer. Als 1894 die Staffeltarife wieder abgeshafft werden sollten, sagte der Landes- Eisenbahnrath Ja, und da fagte der Minister : Seht Ihr, gegen den Landes- eisenbahnrath kann ich nit auffommen. Die Drohung des Grafen Kanitz hat meine s{chwarze freisinnige Seele mit einer gewissen Freude erfüllt; denn es kann mir nur sehr lieb sein, ¡wenn die Agrarier des Ostens und Westens sich in den Haaren liegen. Staffeltarife haben do nur einen Zweck, wenn sie auf die rihtigen Artikel angewendet und mit den rihtigen Sägen ausgestattet werden. Graf Kaniß meint nur die Getreidestaffeltarife, und die bekämpft der Westen. Weshalb in die Ferne shweifen und dem Westen das Biéchen Kundschaft nehmen? Warum suchen Sie niht in Ihren eigenen Provinzen die Handelspläße auf ? In Danzig herrs{t voller frieden ¿wischen Börse und Landwirthschaft; aber man ist auf dem besten Wege, den Frieden zu stôren. Die Konkurrenz des ausländishen Getreides ist für Danzig und Königsberg kein Schaden; wenn diese Plätze einen größeren Markt für landwirthschaftliche Erzeugnisse haben, dann werden fie auch günstige Getreidepreise haben. Eine Ermäßigung der Getreidetarife auch für kürzere Strecken würde daher von großem Vortheil fein.

Abg. Bueck (nl.): Ih weise darauf hin, daß das Ruhrgebiet auf fremde Erze angewiesen ist; da es nun im nationalen Interesse niht erwünscht ist, daß diese Erze vom Auslande bezogen werden, fo ist es doch besser, die Zufuhr dieser Erze auf billigerem Wege vom Inlande zu begünstigen. Wenn man „Verschiebungen“ vermeiden wollte, wie Graf Kaniß wünschte, so würden wir noch im Urzustande wirthschaftliher Entwicklung stehen. Bezirks-Eisenbahnräthe und Landes-Eisenbahnrath sind keine vershiedenen Körperschaften ; sie haben si als berathende Körper bewährt.

__ Schluß gegen 41/4 Uhr. Die Fortseßung der Berathung wird auf Freitag 11 Uhr vertagt.

Literatur.

Von „Meyers Volksbüchern " (Leipzig, Bibliographisches Institut) ist soeben eine neue Folge erschienen, welhe die Nummern 1171—1190 umfaßt. Ihr Inhalt kommt in seiner Mannigfaltigkeit wieder den verschiedensten literarishen Geshmacksrihtungen entgegen und enthält eine Auswahl des Besten aus der gesammten neueren Welt-Literatur in Poesie und Profa. Die neue Serie beginnt mit Dei Nückert's niemals veraltendem Liedercyclus „Liebes- rühling“ (Nrn. 1171—1173) und dem Drama „Das Fräulein von Scuderi“ von Otto Ludwig (Nrn. 1174/75), welches in neuerer Zeit wieder öfter auf den Bühnen erschienen ist. Drei der bedeutenden Autoren englisher Zunge sind mit volksthüm- lihen Erzählungen vertreten: John Habberton mit seiner anziehenden Geschichte „Helenen's Kinderhen“ (Nrn. 1176/1177), Charles Diens mit seinem neuerdings durch die gleihnamige Oper zu aktuellem Interesse gelangten Hausmärchen ,Das Heimchen am Herde“ (Nrn. 1178/ 1179) und Bret Harte mit seiner spannenden Erzählung „Ein Ge- heimniß des Telegraphenhügels“ (Nr. 1180). Frarçois Coppée und Guy de Maupafsant zählen zu den geshäßtesten und gelesensten Autoren des modernen Frankreih. Von ersterem enthält die Samm- lung die ergreifende Erzählung ,DieNivalinnen“ (Nr. 1181), von leßterem eine Auswahl seiner gelungensten „Novellen“ (Nr. 1182), die unseren jüngeren Dichtern als Musterwerke ihrer Gattung gelten. Der Name Giovanni Verga?’s wurde durch Matcagni’'s „Cavalleria rusticana“ weltberühmt; die dieser Oper zu Grunde liegende Skizze ift hier mit anderen, ähnlihen zu dem Novellenkranz der „Sizilianishen Dorf- geshihten“ (Nrn. 1183/1184) vereinigt. Die besten \{chwedis{chen Er- zähler, wie Geijerstam, Hansson, Hedberg, Hedenstjerna, Strindberg u. A., haben Beiträge geliefert zu dem Sammelbändchen der „Schwe- dishen Novellen“ (Nrn. 1185/1186), dem bald ähnlihe Sammlungen aus den übrigen nordischen Literaturen folgen sollen. Einer der be- liebtesten Erzähler des heutigen Ungarn ist Koloman Mikszáth, und der gemüthvolle Humor feiner „Erzählungen“ (Nrn. 1187/1188) wird auch im deutschen Gewande seine Wirkung sicher niht verfehlen. Die Wiedergabe des Abschnitts über „die Ninder“ aus unserem klassishen Werke über Zoologie, aus „Brehm's Thierleben“ (Nrn, 1189/1190) bildet den Abschluß der Folge. Jede Nummer der Sammlung „Meyers Bolksbücher“ kostet, geheftet und beshnitten, bei eleganter Ausstattung in Druck und Papier, nur 10 .

Handel und Gewerbe.

Jn British-Jndien ist nah einer Verordnung vom 12. Februar d. J. galvanisiertes Reifeisen bei der Ein- fuhr fortan nah dem Werthe zu verzollen.

Tägliche Wagengestellung für Kohlen und Koks an der Kuhr und in Oberschlesien. An der Nuhr siöod am 11. d. M. gestellt 13 261, niht rcetzeitig gestellt keine Wagen. In Oberschlesien sind am 10. d. M. gestellt 4089, nit recht- zeitig gestellt keine Wagen; aim 11. d. M. gestellt 4156, nicht reht- zeitig gestellt keine Wagen. S

Ausweis über den Verkehr auf dem Berliner Schla cht- viehmarkt vom 10. März 1897. Auftrieb und Moarkt- preise nah Schlachtgewicht mit Ausnahme der Schweine, welhe_nahch Lebendgewicht gehandelt werden. Rinder. Auftrieb 465 Stüd. (Durchschnittspreis für 100 kg.) T. Qualität —,— #, II. Qualität —,— #6, 111. Qualität 80—88 #, IV. Qualität 68—76 M Schweine. Auftrieb 9064 Stück. (Durchschnittspreis für 100 kg.) Mecklenburger 100—102 4, Landschweine: a. gute 96—98 H, b. geringere 90--94 Æ, Galizier —,— F, leihte Ungarn —,-— M bei 209/96 Tara, Bakonyer —,— Æ bei kg Tara pro Stück. Kälber. Auftrieb 1817 Stück. (Durchschnitts preis für 1 kg.) T. Qualität 1,10—1,16 4, II. Qualität 0,96— 1,08 M, IITI. Wol: 0,80— 0,90 A Scha f e. Auftrieb 473 Stück. (Durdhschnittspreis für 1 kg.) L. Qualität —,— H, 11. Qualität —,— , 111. Qualität M

In der gestrigen Generalversammlung der Vereinigten Baugner Papierfabriken fanden die Vorschläge, nah welchen die Dividende für das Betriebsjahr 1896 mit 10/9 bemessen wird, als Jubiläumsgabe 12 500 zur sofortigen Auszahlung an sämmt- liche Arbeiter vom Maschinenführer abwärts gelangen sollen, 30 000 M zur Errichtung einer Unterstügungskasse für Arbeiter und deren Wittwen und Waisen bestimmt werden, endlich 25 000 . der Beamten-Pensions-Kasse zu überweisen sind, Annahme.

Die Ausbeute der in der „A ss0ociation of Mines“ vers tretenen Transvaal-Gold minen betrug, wie aus London emeldet wird, im Februar 41946 Unzen gegen 38311 Unzen im

anuar. Die Ausbeute der in der Johannesburger Minen- kammer vertretenen Goldminen betrug im Februar 169 054 Unzen gegen 171 521 Unzen im Januar. : |

Stettin, 11. März. (W. T. B.) Nah Privatermittelungen wurde im freien Verkehr notiert: Weizen loko 160—161, MURn loko 118,00, Hafer loko 125,00—130,00. Rübö! pr. März 54,00, Spiritus loko 37,50—37,60, Petroleum loko 10,00. E

Breslau, 11. März. (W. T. B.) (Schluß-Kurse.) Schl. 34 9/0 L.-Pfdbr. Läitt. A. 100,20, Breélauer Diskontobank 117,25, Breslauer Wechslerbank 103,00, Shlesisher Bankverein 127,60, Breslauer Spritfabrik 133,00, Donnersmarck 148,75, POLIE 164,25, Oberschl. Eis. 94,50, Caro PageniGeidt Akt. 126,50, Oberschl. P. Z. 134,50, Opy. Zement 150,25, Giesel Zem. 133,50, L, Ind. Kramsta 142,25, Schles. Zement 192,75, l. Zinkh.-A. 203,00, Laurahütte 157,90, Bresl. Delfbr. 103,75.

Produktenmarkt. Spiritus per 100 1 100 ‘o T 50 „A ecteeuBcs aben pr. Februar 56,109 Gd., do. do. 70 M brauch§- abgaben pr. Februar 36,50 Gd.