1897 / 79 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 02 Apr 1897 18:00:01 GMT) scan diff

wangéinnung den natürlihen Abs{luß der bisherigen Ent- widelung bildet. Jch glaube, in allen diesen Punkten sind die Abänderungen, die der Bundeórath vorgenommen hat, verständig und T5 überlcgt. Ih glaube aber auch, umsomehr deswegen, weil die Grundlage des preußischen Entwurfs dabei unverändert geblieben ist, daß mit dieser Vorlage do dem Handwerk Werthvolles geboten wird, Und ich möchte deshalb dringend wünschen, daß es uns gelingen würde, die Vorlage noch in diefer Session zur Verabschiedung zu bringen, damit die Herren niht mit leeren Händen nah Hause kommen, damit die Handwerker thatsählich erkennen, daß man nicht bloß Worte für fie hat, fondern auch Entschließungen und den ernstlichen Willen, ihnen zu helfen. (Sehr gut! rechts.) Nun, ih habe gesagt, daß die gegenwärtige Vorlage immerhin Werth volles für das Handwerk bringt es is auch von vielen Seiten des Hauses anerkannt, es wird hier zum ersten Mal der Erfüllung nahe gebracht wonach das Handwerk seit 50 Jahren vergeblich gestrebt hat. Es wird der Abschluß des Innungs8wesens durch die Zwangsinnung in erreihbare Nähe ge- bracht; es wird der Wunsch erfüllt, der namentli bei der Berathung des Gesetzentwurfs über die Handwerkerkammern zum Ausdruck ge- Tommen ift, daß man sich nit darauf beschränken sollte, eine Ver- tretung des Handwerks im Oberbau zu schaffen, sondern daß man au den Unterbau s{haffen sollte durch lebenskräftige Organisationen, Selbstverwaltungskörper, die im engeren Kreise der Handwerker entspredend den öôrtlihen Verhältnissen und Bedürfnissen für das Handwerk zu sorgen im stande sind. Auch dieser Wunsch wird erfüllt werden, man ist dabei von der Vorausseßung ausgegangen, daß es nicht nöthig und niht erwünscht sci, diese Selbstverwaltungs- körper gleihmäßig zu organifieren; man if der Meinung gewesen, daß das niht im Sinne der Reichsverfassung, und Reihs-Gewerbeordnung liegt. Die Reichsverfassung hat nur die Geseßgebung und die Be- aufsihtigung über den Gewerbebetrieb dem Reiche übertragen, keines- wegs aber für nothwendig gehalten, daß die Organisation der Ver- tretung des Handwerks überall gleiGmäßig sei. Im Gegentheil, es ist ganz natürlich, daß sie in der unteren Instanz keine gleihmäßige ist, denn sie muß sich anschließen an die örtlichen Verhältnisse und Be- dürfnisse, wie sie in den einzelnen kleinen Bezirken fich entwickelt haben und groß geworden sind: an die Wünsche und Gewohnheiten und Nei- gungen der Handwerker, an die Institutionen, wie sie in Staat und Gemeinde existieéren, an die verschiedene wirthshaftlihe Entwicklung der einzelnen Gebietstheile; diese Entwicklung if verschieden auf dem Lande und in der Stadt, in industriellen Revieren und in ländlichen Distrikten, sie ist vershieden im Flahland und im Gebirge kurz, die Verschiedezheiten find in den Bedürfnissen und Neigungen \o groß, daß sich die Organisation, die Einrichtung in diesen Verbänden nah meiner Ansicht den besonderen Verhältnissen anschließen muß, wie fie es in der Vergangenheit auch thatsählich gethan hat. Denn wir haben die nämlihe Verschiedenheit auch jeßt zwischen den Fachinnungen und den Gesammtinnungen, den jeßt bestehenden freien Jnnungen und den Gewerkvereinen und gewerblihen Ortêvereinen ; weshalb sollen diese Verschiedenheiten nicht bestehen bleiben? Es ist doch ganz naturgemäß und verständig, daß man fie erhält. Anders liegt die Sache für die Handwerkerkammern : dort ist eine Gleihmäßigkeit nothwendig, und zwar deshalb, weil ja die Handwerkerkammern nicht bloß Selbstverwaltungskörpec sind. Sie haben zuglei den Beruf, mitzuwirken an den großen Aufgaben des Reichs und des Staats in der Geseßgebung und der Verwal- tung: dort sollen fie gutahtlich gehört werden, den reihen Schaß ihrer Kenntnisse und Erfahrungen verwerthen, um ein nüßlihes und brauchbares Informationsmaterial zur Erledigung der großen Auf- gaben zu geben. Dort is eine gléichmäßige Bildung nothwendig. Diese Gleichmäßigkeit ist in den Paragraphen des gegenwärtigen Ent- wurfs zum Ausdruck gebracht, und ih kann konstatieren, daß gerade in dieser Beziehung von allen Seiten des Hauses der Entwurf eine durchaus beifällige Aufnahme gefunden hat.

Es kommt nun endlich in Betracht die Regulierung des Lehr- ling8wesens. Auch in dieser Beziehung is von dem bei weitem größten Theil von Rednern, die über die Vorlage si verbreitet haben, anerkannt, daß die Vorlage sehr verdienstlihe Vorschläge enthält, indem sie die Grundsäße aufstelt, um das Lehrlingswesen in ver- ständiger Weise zu ordnen, den Mißbräucen, die hervorgetreten sind, vorzubeugen und dafür zu forgen, daß wir einen tüchtigen und brauh- baren Nahwuchs im Handwerk haben.

Nun, meine Herren, wenn folche Vorzüge in der Vorlage ent- halten find, dann, meine ich, haben die Herren, die die Vorlage empfohlen haben, vollständig Net, und ich kann nur die Hoffnung auésprechen, daß bei der günstigen Beurtheilung, die die Vorlage im allgemeinen gefunden hat, sie demnächst au zur Annahme gelangen wird.

Wenn die Herren nun sagen : alle unsere Wünsche werden dadur allerdings nit erfüllt, wir hoffen, daß in der Kommission die noth- wendigen Verbesserungen stattfinden, gewiß, meine Herren, die Regierung wird gern bereit sein, den verständigen Wünschen nach Verbesserungen éntgegenzukommen, die Sie in Vorschlag zu bringen haben; etwas Vollkommenes {haft man ja niemals im ersten An- lauf; es stellt sich erst, wenn Viele mitwirken, heraus, in welcher Weise die Mängel zu beseitigen sind; aber das muß sich in gewissen Grenzen halten und mit einiger Vorsicht geshehen. Denn das darf man nicht vergessen, was ich zu Anfang meiner Ausführungen gesagt habe: die Vorlage is ein Kompromiß, ein Kompromiß, dessen Herbeiführung sehr s{chwterig gewesen ist, ein Kompromiß, in dem die Grenzen des Erreichbaren festgelegt sind. Bewegen si die Wünsche in Bezug auf Aenderungen nun innerhalb dieser Grenzen, so werden wir sie gewiß gern und dankbar in Erwägung ziehen ; gehen sie aber darüber hinaus, dann würden die nämlihen Schwierigkeiten, die hier entstehen, wieder in den Bundesrath verlegt werden, dann würden wir niht die Klippen umschiffen, durch die wir hindurch- tommen müssen, wenn wir die Vorlage ans Land bringen wollen. Deshalb möchte ich bitien, etwas vorsichtig zu sein in Bezug auf die Verbesserungswünsche, die Sie in der Kommission geltend machen wollen.

Ich möchte aber noch auf cinen andern Punkt aufmerksam machen, der in dieser Beziehung auch eine gewisse Reserve auferlegt. So wichtig die Korporation des Handwerks thatsählich für die Hebung des Handwerks ist, so halte i doch die Art und Weise, wie die Korporation stattfinden sell, für eine Frage von zurücktretender Bedeutung, vorausgeseßt nur, daß wir leistungsfähige Ver- bände hafen, an welchen zuglei jeder Theil das volle Interesse hat. Es könnte nun leiht sein, daß an der Frage des Plus oder Minus des Innungszwanges die Vorlage felbst s{heitert. Das würde

ih sehr bedauern. Nichts würde nach meiner Ansicht den JInnungs- zwang mehr diskreditieren, als wenn mán dazu überginge, eine große Anzahl von Zwerginnungen, die nicht leiftungsfähig sind, oder von Scheininnungen, die einen so großen Bezirk haben, daß die Theilnahme am Innungsleben lediglich in der Zahlung von Bei- trägen besteht, ins Leben zu rufen. Käme man dahin, mit einer großen Zahl solcher Zwerg-. und Scheininnungen das Land zu übersäen, so würde das gewiß nicht gut und nit verständig sein. Das Wesent- lite ift die Korporation des Handwerks, auch in dem Unterbau, zurücktretend is das „wie“. Denn, meine Herren, das dürfen wir uns nicht verhehlen, und das if: von den verschieden- sten Seiten des hohen Hauses mit Reht betont worden: dasjenige, wodur dem Handwerk eigentlih geholfen werden muß, sind die materiellen Mittel. (Sehr rihtig!)) Wir müssen dafür forgen, mehr als wir es bisher gethan haben, das Handwerk zu heben bezüglich seiner wirthschaftlihen Lage, bezüglih seiner Technik, bezüglich seiner Ausbildung (sehr gut!), um ihm wieder die Kraft und den Muth einzuflößen, den es jezßt zum theil verloren hat. (Sehr gut) Ih nehme nicht an, daß es mit dem Hand- werk so s{limm steht, wie von jener Seike des Hauses gestern aus- einandergeseßt wurde, daß das Handwerk unrettbar verloren sei, daß die Zeit nahe sei, wo es nur noch Arbeitgeber und Arbeitnehmer giebt. Jh nehme an, daß das Handwerk die begründete Auésicht, daß es die Hoffnung und die Berechtigung hat, zu bestehen und sich zu erhalten, und ich glaube, wir werden das Unserige dazu thun müssen, um die Erreichung dieses Zieles zu sihern. Das Hand- werk ist Jahrhunderte hindurch der Hort deutsher Zucht und Ord- nung gewesen (sehr gut! rets), es ist die Stüße von Thron und Altar gewesen. (Bravo! rechts.) Es hat eine große Zahl von kfönig8treuen und gewissenhaften Männern in si eingeschlossen, es hat ein gut Stück von redliher und gewissenhafter Arbeit geleistet. (Sebr gut!) Das ift in der Vergangenheit so gewesen, und ih hoffe, es wird auch in Zukunft so sein, und es wird unsere gemeinsame Aufgabe sein, dazu beizutragen, dies Ziel zu erreichen. (Lebhaftes Bravo.)

Abg. Euler (Zentr.): Auch ih stehe einem Theile dieser Vorlage sympathisch gegenüber, namentlich den Zwangsinnungen. Man wird ja draußen im Lande versuchen, die Bildung der Zwangsinnungen zu hintertreiben und die Politik in die Reihen der Handwerker hineinzu- tragen. Wenn diejenigen, welche jeßt {hon in den Innungen arbeiten, das Odium auf \sich nehmen, die Außenstehenden in die Innung hineinzuzwingen, so wird dadurch die Innung selbst der Zankapfel. Warum zwingt man nicht die Handwerker durch Gesetz in die Jn- nungen hinein , d. h. zwingt sie zur Zahlung von Beiträgen für die Allgemeinheit ? Nur wegen mangelnder Mittel ist manche Einrichtung, die dem Handwerk dienen könnte, unterblieben. Wenn diese Einrichtungen dur freiwillige Thätigkeit geschafffen werden follen, dann können Sie noch lange warten, bis etwas geschieht, denn dem Handwerker sind für die Versicherungen der Arbeiter {hon große Lasten aufgebürdet worden. Wir haben den Schulzwang, den Impfzwang, ten Anwalts- ¿wang ; es wird auch auf diesem Gebiete ohne ein Bischen Zwang niht gehen. Wenn nur ein Zehntel der Handwerker in ten Innungen ist, so ist es doch begreiflich, daß dieses eine Zehntel nicht für die übrigen neun Zehntel sorgen kann durch Errichtung - von Fachshulen und Ausbildung der heranwahsenden Jugend. Leisten können die Innungen au nichts Dauerndes, wenn fie Taubenschläge sind; an diesem unleidlihen Zustand ändert die Vorlage auch nichts. Daß in einzelnen Bezirken Zwangsinnungen nicht gebildet werden können, ist niht zutreffend; denn es besteht ja die Möglichkeit, ge- mischte Innungen einzurihten. Große Opfer an Geld würden nit zu bringen sein, wenn die Beiträge nah dem Einkommen abgestuft würden. Ein Zwang, an den Jnnungsversammlungen theilzunehmen oder an besonderen Einrichtungen der Fnnungen, soll nicht stattfinden. Man widerstrebt den Zwangsinnungen auf der Linken nur, weil man weiß, daß im Handwerk ein Fonds von christlih-konservativem Geiste vorhanden ist, weil man fürhtet, daß die Macht des Handwerks zu groß wird, daß dadurch der Sozial- demofratie ein Dainm entgegengestelt würde. Glauben Sie, daß es in Oesterreih möglih gewesen wäre, die liberale Judenwirth- haft aus Wien hinauszuschaffen, wenn nicht die Handwerker als Kerntruppe gedient hätten? Das österreihische Gewerbegeseß von 1883 macht den Handwerkern wegen der vielen Streitigkeiten auch nicht große Freude; aber sie ziehen den jeßigen Zustand dem Zu- stande vor 1883 vor. Man braucht die österreichischen Fehler nicht nahzumahen und kann den Befähigungsnachweis ruhig einführen zur moralischen Hebung der Handwerker. Jch perfönlih, und ih kann das im Namen des ganzen Handwerks sagen, {stehe auf dem Boden der obligatorischen Zwangsinnungen. Die Einrichtung der Handwerks- kammern und die Beibehaltung des Innungsaus\chusses, sowie die Nege- lung des Lehrlingswesens, das find die annehmbaren Punkte der Vorlage. Ich hâtte gewünscht, daß Herr Jacobskötter niht mit fliegenden Fahnen in das Regierungslager übergegangen wäre; er hätte das Prinzip festhalten sollen. Es wird mir nicht viel nügen, in der Kommission das Prinzip der obligatorishen Innung zu vertreten. Das bedauere ih lebhaft, denn bei der Vorlage mit ihren fakultativen Zwangsinnungen kommt nichts heraus als Zank und Streit. Redner wendet sich dann gegen die Angriffe, welhe der Abg. Schmidt-Berlin gegen die Berliner Innungen gerihtet habe bei der Besprehung der Interpellation über die Handwerksvorlage Zwischen Handwerksmeistern und Eesellen führt er aus, besteht immer noch ein gutes Verhältniß, wenigstens auf dem Lande, und wo es zerstört ist, kann es wieder hergestellt werden, wenn von beiden Seiten vernünftig gehandelt wird. Die Bestimmungen über die Handwerkskammern und über das Lehrlingswesen find so wichtig, daß ih in einer Zwangslage bin der Vorlage gegenüber. Die fakul- tativen Zwangsinnungen sind aber nicht zu gebrauchen ; da sollte man es bei den jeßigen Innungen belassen. Das Uebrige i} ein Schritt weiter auf dem Wege- zur Zwangsorganisation. Hoffentlich bringt die Entwicklung der Regierung den Beweis dafür, daß die obligatorischen Zwangsinnungen doch nothwendig sind. In den Gewerbevereinen sind die Mitglieder zum großen Theil nicht Handwerker; sie haben nur die Vorträge der Professoren gegen die Zünfte und das finstere Mittel- alter gehört. Da hat ihnen die preußische Vorlage natürli Gruseln erregt. Daher in den Gewerbevereinen die Abneigung gegen die Zwangs- innungen. Die Mehrzahl der eigentlihen Handwerker steht aber auf dem Boden der Zwangsinnungen. Gegenüber der Abneigung der Gewerbe- vereine stehen die Kundgebungen der Handwerker Norddeutschlands, die mit großen Mehrheiten in ihren Versammlungen die Zwangs- innungen verlangt haben. Die neun Zehntel, die sih außerhalb der Innungen befinden, sind nicht indifferenx; sie warten nur darauf, daß diese Vorlage kommt, sie wollen niht mittbun, wenn niht Alle mit- thun. Da wir aber nicht mehr erreihen können, so nehmen wir \{ließlich Das, was uns geboten wird, und warten darauf, daß das Andere später kommt.

Abg. De. Vielhaben (Reformp.): Auh ich bedauere die {wache M 66 des Hauses. Troßdem die wirthschaftlichen Fragen die Haup!fragen sind, sind die Bänke des Hauses nur stark beseßt, wenn der Fall Brüsewiy oder Aehnliches behandelt werden, lediglich um die Aufmerksamkeit von den wirth- schaftlihen Dingen abzulenken. Jh möchte hauptsählich die Frage behandeln: was ift kie Zukunft des Mittelstandes. Wenn dem Vêittel- stande jede Zukunft abgesprohen wird, dann ist er eine geschlagene Armee, die mit gesenkten Häuptern sich zurückzieht, aber niemals etwas Neues gestalten kann. Wenn man behauptet, daß sich ein neuer Mittelstand herausbildet, dann denkt man daran, daß die An- gehörigen des Mittelstandes ein mittleres Einkommen haben. Aber das ist nit das einzige Kriterium des Mittelstandes, Die Hauptsache

im Februar. *

ist, daß die Angehörigen des Mittelstandes frei und selbständig find. Die Berufszählung hat ergeben, daß wir seit 1882 79 000 männliche und 60 000 weiblihe selbständige Existenzen weniger haben troß der Zunahme ter Bevölkerung, nah welcher die Zahl der selbständigen Existênzen sih hätte vermehren müssen, und zwar um 600 000; also nahezu L E selbständiger Existenzen ist weggewisht worden. Man will die Handwerker konkurrenzfähig machen gegenüber der Groß- industrie, und zwar theils durch genossenschaftlihe Zusammenfafsung, theils durch bessere Ausbildung. Die Genossenschaften können Kapitalien und Maschinen aufbringen, aber sie können keine geistige Kraft hervorbringen, welhe dem Großunternehmer entgegen- treten kann. Durch die befsere Ausbildung der Handwerker wird die Waare besser, aber auch theurer. Die Konsumenten fragen aber niemals nach der Qualität der Waare, sondern sehen nur auf die Billigkeit. Nedner läßt fih ausführlih darüber aus, daß die Großindustrie Dußendwaare herstelle, daß die Fabrikarbeit eintönig sei und daß dadurch au die Menschen immer mehr zu Dußendmenschen würden. (Präsident Freiherr von Buol: Selbst die weitesten Grenzen der Generaldiskuffion geben wohl niht die Möglichkeit, so weit abzu- shweifen. Jh möchte den Redner bitten, zur Vorlage zurücfzukehren, damit wir heute, am dritten Tage, endlih fertig werden.) Dg meine weiteren Ausführungen ohne diese Auseinanderseßungen. nicht verständlih wären, so muß ih meine Rede abbrechen.

Abg. Benoit (fr. Vgg.) tritt gegea die Zwangsinnungen ein

und weist darauf hin, daß die Handwerker sich die Fortschritte der Technik zu Nuße machen könnten, namentlih durch die Be- nußung von Elektromotoren. Uebrigens habe der Meister in einer Fabrik eine sorgenlosere Stellung als ein selbständiger Handwerksmeister. Die Vorlage müsse geändert werden, aber nit im Sinne der Herren von der Rechten, fondern in dem Sinne, daß die Freiheit der Handwerker aufrecht erhalten werde. __ Abg. Bekh (fr. Volksp.) wendet sich gegen die Redner, welche für die Vorlage aufgetreten sind. Er beschränke sih nur auf das Er- reihbare. Das sei ganz vernünftig. Die österreihishe Gewerbe- novelle sei cin Rückschritt, und wenn die Lage der Handwerker si etwas gene habe, fo liege das an den besseren wirthshaft- lihen Verhältnissen. In Süddeutshland wolle man von den Innungen nichts wissen; daß die Mitglieder der Gewerbevereine zum großen Theil nicht Handwerker seien, treffe niht zu, weder für Württemberg, noch für Bayern. Die Wünsche des ganzen Handwerks sollten berücksihtigt werden, aber niht bloß die Wünsche der Innungen. Mit der Besteuerung der großen Geschäfte werde den Handwerkern auch nit geholfen. Er hoffe, daß die Vorlage aus der Kommissionsberathung geläutert herauskomme.

Abg. Reißhaus (Soz.): Die Junungen rufen immer nah Zwang, ftatt, wie die Arbeiter, sich zu freien Organisationen zue sammenzusch&ließen. Geleistet haben die Innungen zur Ausbildung der Handwerker sehr wenig. Mancher Meister hat die Fähigkeiten, die er für fein Gewerbe brauht, ers in den Fahschulen der Ge- wertschaften si angeeignet. Für die Verbesserung der Lage des Handwerks wäre eine bessere Schulbildung das Beste. Mit dieser Vorlage werden die Handwerker nicht zufriedengestelit sein, da müßte der preußische Handels-Minister mit anderen Thaten kommen, welche die Handwerker wirkli entlasten.

Abg. Hilpert (b. k F.) wendet sih gegen die Ausführungen des Abg. Bech, der ihn mehrfah persönlich angegriffen habe.

Abg. Liebermann von Sonnenberg (Reformp.): Da mein Freund Vielhaben feine Rede nicht hat beenden können, will ich furz unseren Standpunkt kennzeihnen. Die Vorlage kann man bezeichnen als eine solche, die nur gemacht ist, ut aliquid fieri videatur. Die Negîierung hat die Vorlage nur gemacht, um sagen zu können, daß sie die Wünsche der Handwerker erfüllt babe, aber man sollte den Handwerkern helfen in der Weise, wie sie es selbst wollen. Da wir niht hoffen, daß in der Kommission die - Vorlage wieder dem Berlepsch’shen Entwurfe genäßert wird, so werden wir auch nicht für die Ueberweisung an die Kommission stimmen.

Abg. Jacobskötter (dkonf.) sucht die Einwendungen der ver- chiedenen Redner gegen feine Ausführungen in der Sitzung vom Mittwoch zu widerlegen.

Nach einer kurzen Bemerkung des Abg. N eißhaus (Soz.) und einigen persönlichen Ra der Abgg. Jacobs- kötter, Beckh, Euler wird die Vorlage der Kommission

überwiesen, welcher bereits die Vorlage, betreffend die Hand-

werkskammern, überwiesen ist.

Schluß nah 61/4 Uhr. Nächste Sißung Freitag 12 Uhr. (Antrag Liebermann von Sonnenberg wegen der konfessionellen Eidesformel, Jesuiten-Antrag des Zentrums und Margarine-

geseß.)

Preußischer Landtag, Haus der Abgeordneten. 62. Sigung vom 1. April 1897.

Abg. von Tzschoppe (fr. kons.) hat wegen seiner Er- nennung zum Ober-Regierungs: Rath sein Mandat niedergelegt.

Ueber den ersten Theil der Sißung is gestern berichtet worden.

Die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1897,98 wird bei dem Etat der Preußischen Zentral- Genossenschaftskasse fortgeseßt.

Abg. von Arnim (kons.): Die Kasse hat sehr wesentli zur Hebung und Neugründung von Genossenschaften beigetragen und den Beweis erbracht, wie nothwendig ein billiger Zinsfuß für den Mittel- stand und die Landwirthschaft is. Ershwert wird der Geschäftsverkehr aber dadur, daß die Genossenschaftsverbände die Garantie für die Darlehen übernehmen müssen. Cs wäre vielleiht gut, wenn wir diese Zwischenstation fortfallen lassen. Es wäre aber ferner noch erwünscht, daß das Kapital der Kasse erhöht würde.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ich möchte mir auf die leßten Aeußerungen des Herrn von Arnim einige Bemerkungen gestatten. Es ist ja richtig, meine Herren, daß, wenn man die Statistik des Geschäftsumsazes, die Höhe der Kredite, der Rückzahlungen, die Aushilfen, welche zeit- weilig von der General-Staatskasse durch Zwishenvorshüsse der Kasse geleistet werden müssen, si vergegenwärtigt, daß man da wohl auf den Gedanken kommen fann: auf die Dauer wird das Grundkapital von 20 Millionen Mark, welches der Kasse jeßt zur Verfügung steht, bei einer ähnlißen Weiterentwickelung, wie wir sie in ganz über- rashender Weise bisher gesehen haben, nicht ausreichen, und der Herr Präsident der Kasse, der leider heute verhindert ist, hier zu sein, hat auch scchon darauf hingewiesen, ob es nicht rathsam sei, bet der starken Entwickelung der Kasse vnd bei den sih stetig vermehrenden Aufgaben der Kasse, das Grundkapital wiederum zu erhöhen. Jh habe aber doch Bedenken getragen, darauf noch in dieser Session einzugehen; ich habe geglaubt, daß man dem starken Bedürfniß der Kasse doch wohl in anderer Weise vorläufig noch abhelfen kann, ohne ihren Geschäftsbetrieb zum Nachtheil der genossenschaftlihen Entroikelung allzu sehr einzuschränken. Ich hade aber gemeint, daß es sich empfiehlt, mit Regelung dieser Frage noch ein Jahr zu warten, um feste, sichere Grundlagen über den wirklichen dauernden Bedarf und die dauernd nothwendige Höhe des Anlagekapitals zu gewinnen. Die Frage wird daher durchaus niht abgelehnt; im Gegentheil, man wird die Sache im Auge be- halten, und wenn die Entwickelung so weiter geht wie bisher, glaube

i allerdings, daß man im nähsten Jahre der Frage ernstlih näher treten muß, ob das eigene Kapital der Kasse nicht zu erhöhen sein wird.

Meine Herren, die bisherige Entwicklung hat allerdings gezeigt, welches außerordentliche foziale und wirthschaftliße Bedürfniß vorlag, und in welher Weise die Thätigkeit der Zentral-Genossenschaftskasse diesem Bedürfniß abhelfend entgegenkommt.

Namentlich die Entwickelung des ländlichen Genossenschaftswesens, von dem man ja sagen kann, daß es {hon etne ziemliche Höhe erreicht hat, aber noch nit entfernt vollständig das Ziel erreiht hat, welches wir für die Landwirthschaft wünschen müssen, hat in einer ganz überraschenden Weise Förderung gefunden durch die Zentral - Genoffenschaftskasse. Man braucht nur die von dem Herrn Referenten mitgetheilten Zahlen fich mal zu vergegenwärtigen ich will sie niht wiederholen —, um davon sich zu überzeugen.

Nicht so {nell geht zu meinem Bedauern die Ausdehnung des Genossenschaftswesens für das Handwerk. Es liegen aber in dieser Richtung auch viel größere Schwierigkeiten die Teine8wegs von der Gleichgültigkeit und der Indolenz der Handwerker abhängen in der Sache selb, in der ganzen Natur des Handwerks, in dem Verbältniß der einzelnen Hand- werke zu einander vor. Man muß in dieser Beziehung mehr Geduld haben. Aber es wird die Aufgabe der Kasse sein und bleiben und sle hat sih dieser Aufgabe bisher auch mit dem regsten Eifer unter- zogen —, das Genossenschaftswesen auch für das kleine Handwerk in viel größerem Maße nußbar zu machen, als das bisher der Fall ge- wesen ist.

Aber auch hier haben wir doch chon einige sehr bemerkens- werthe Resultate. Wenn die Haftsummen der Handwerkergenossen- schaften jeßt hon 6 Millionen betragen; wenn wir sehen, daß in einer Reihe von Städten in der eifrigsten Weise an der Bildung neuer Genossenschafter für das Handwerk gearbeitet wird, und zum theil, namentlich im Westen und au bier in Berlin, mit erheblihem Erfolg so können wir wohl hoffen, daß wir auf diescm Gebiet in der nächsten Zeit weiterkommen.

Meine Herren, der Herr von Arnim hat beklagt, daß der einzelne Genosse \{ließlich, troßdem die Zentral-Genecfsenschaftskasse nur 3 9/6 für ihr Kapital zu zahlen habe, etwa 4F 9% an Zinsen durchschnittlih zu zahlen habe, und hat gemeint, es sei vielleicht zweckmäßig, die Verbandskasse als Mittelglied zwischen der Zentral-Genoffenschaftskasse und den einzelnen Genofsenshaften gänzlih fallen zu lassen, wenn ich ihn recht verstanden habe. Das ist doch eine sehr {were Aufgabe, glaube ich, von hier aus die Lage der einzelnen Genofsen- shafien im ganzen Lande zu übersehen. Das würde zu einem großen Bureaukratismus führen, der bald wieder die größten Klagen hberbeiführte, und vielleiht würde dieser Bureaukratismus seinen Zweck auch garnicht erreihen. Ich glaube doh, auf diesem Gebiete ist die Dezentralisation absolut nothwendig, die Kontrole der Verbände über das Geschäftsgebahren der einzelnen Genossenschaften absolut unentbehrlih, und wir dürfen sie in keiner Weise {mälern. Wenn die Verbände selbst mit verantwortlih find für die Darlehne, die sie empfangen aus der Zentral-Genofsenschaftekasse, so ist das für die Ver- bände eine neue Anregung, vorsichtig zu sein, und ich glaube daher nit, daß es gelingen wird, diefes Zwischenglied zu beseitigen. Zur Zeit wenigstens möchte ih dringend davor warnen.

Ich möchte au Herrn von Arnim sagen, daß nah meiner Meinung für einen Kredit von einem halben Jahre, der ja häufig nöthig ift bei der Landwirthschaft, es garnicht so sehr darauf ankommt, ob } oder # 9% mehr gezahlt wird. Die Hauptsache ist, daß der Bedarf dem Genossen sicher ist, befriedigt zu werden, und er zur Zeit, wo er den Kredit nöthig hat, ihn auch wirklich bekommt. Diese Sicherheit geben ihm eine anständige Organisation des Genossenschaftswesens und die Mittel, die dem Verbande zu Gebote stehen bei der Zentral- Genossenschaftskasse. Alfo ih möchte do davor warnen, den Gedanken zur Zeit weiter zu verfolgen.

Wir können ja überhaupt, meine Herren, noch viel Erfahrungen machen. Probieren geht vor studieren. Dies ist ein neues Gebiet, was wir betreten haben. Bis jeßt find die Erfolge überraschend günstig, und die Entwidckelung des Genofsenshaftswesens, die wir anstreben ih habe das {hon vorher angedeutet —, ist ja erft noch in der Jugend. Wir müßten dahin kommen, daß wir im Großen und Ganzen eine Darlehnskasse haben, in jeder Gemeinde der ganzen Monarchie. An diese Darlehnskassen müssen sich die anderen Pro- duktivgenossenshaften, die Einkaufs- und Verkaufsgenossenschaften anschließen, daß das ein großes Ney werde, namentlich für den mittleren und kleineren Grundbesiß, aber auch, wie der Geshäftsverkehr mit den landschaftlihen Kreditkassen erweist, in erheblihem Maße nüßlih auh für den größeren Grundbesiß. Meine Herren, wenn wir das erreichen, was ih eben bezèichnete: ein Werk, an welhem sich so viele Kräfte nüßlich und gemeinnüßig bethätigen können und thatsächlich bethätigen, wenn wir allmählih dazu kommen, daß wir unserm Klein- und Mittelbesiy neben den natürlihen Vor- theilen, die ihm in der Produktion und in der Konkurrenz gegen den Großgrundbesiß zustehen, daß nämlih der Besißer eines kleinen und mittleren Grundstücks seinen eigenen \teigenden Tagelohn selber ver- dient und er viel weniger angewiesen ist wie der Grofßgrundbesizer auf den Verkauf seiner Produkte, weil er den größten Theil selbst in seiner Wirthschaft verbrauht, wenn wir neben diesen natürlichen Vortheilen des Klein- und Mittelbesißzes nun, soweit möglich, in der Kreditgewährung, in der Ein- und Verkaufsgenossenschaft, in der Pro- duktionsgenossenschaft, z. B. bei der Molkerei, einen erheblichen Theil der natürlichen Vortheile des Großgrundbesißzes ihm zuwenden, dann haben wir die siheren Grundlagen der Erhaltung und Vermehrung des Klein- und Mittelbesißes eine der größten sozialen Fragen der Gegenwart gewonnen. Jch habe immer gesagt, diese Genossenschaftskassen müssen nah meiner Ueberzeugung und - die bisherigen Erfahrungen haben diese meine Ansicht bestätigt zu einer großen Wohlthat für den Mittel- und Kleinbesiß in Stadt und Land werden. Das wird eine große Bank werden, möchte ih sagen, zu Gunsten auc) einmal des Mittelstandes. Ich würde bedauern, wenn in Zukunft in der Staatsverwaltung einmal die Tendenz entstände, diese Bank auch Gewinnes wegen zu benußen. Jh habe mir gesagt: diese Bank ist ein gemeinnüßiges Institut; wenn der Staat auf seine Kosten kommt, kann er zufrieden sein. Es kommen die Wohlthaten indirekt dem Staat doch wieder zu gute. (Sehr richtig! rechts.) Ich will gar nicht unbedingt 3} 9/9 Gewinn haben, ich bin zufrieden, wenn der Staat die Zinsen der Konsols zu 3 9/0, die doch nahezu pari aus- gegeben sind, von der Bank wieder erhält. Wir brauchen gar nit einen besonderen Gewinn aus der Sache zu machen; das ist au nie

die Absi§t gewesen; aber wenn wir jeßt {on bei der nur zweijährigen Entwickelung im wesentlichen auf die volle Verzinsung unseres Kapitals kommen, fo können wir wohl zufrieden sein, und wir können namentlich ich möchte das bei dieser Gelegenheit hier aussprechen dem Vorsitzenden dieser Kasse dankbar sein für die ausgezeichnete Führung, die er der Sache hat angedeihen lassen. (Bravo !)

Abg. Parrisius (fr. Volksp.) meint, daß von einem Rein- gewinn von 3F % nit die Rede sein könne, denn man müsse den Kursstand der Konsols berücksichtigen, in denen das Kapital der Kasse angelegt sei, und danach fämen nur etwa 2 9/9 heraus. Daß der Kredit der Kasse auf ein halbes Jahr im voraus auf 3 9/ fest- gefeyzt werde, sei cin Fehler angesihts der Thatsache, daß der Diskont der Reichsbank im leßten Jahre sogar zwishen 4 und 5 9/9 ge- schwoankt habe. /

Abg. von Mendel-Steinfels (kons.): Ih würde es für bedenklih halten, wenn die Zentral-Genofsenschaftskasse au den Kredit der ein- zelnen Genossenschaften direkt befriedigen würde. Das würde die Solidität unserer landwirthschaftlihen Genossenschaften gefährden und auch eine bureaufratische Beeinflufsung derselben nothwendig machen, die wir vor allen Dingen von dem Genossenschaftswesen fernhalten müfsen. Auffallend is das langsame Herankommen der Hand- werferorganifationen an die Zentral-Genossenschaftskasse. Ich be- daure das aufs tiefste, denn ih habe in der Gründung der Kasse eine Unterstüßung des gesammten Mittelstandes erblickt. Durch Belehrung muß auf die Gründung von Handwerkergenossen- schaften eingewirkt werden. Wenn die Zentral-Genossenschaftskasse fich fo hervorragend weiter entwickelt wie bisher, werden wir {on im nächsten Jahre das Grundkapital erhöhen müssen. Das Geld, das der Staat dafür anlegt, ist für die Hebung unseres Mittelstandes gut angelegt. Die Landwirthschaft kann verlangen, daß sie ihren Real- und Perfonalkredit an den Stellen befriedigen kann, wo das Geldverdienen niht die Hauptsache is. Der Zinsfuß für den Kredit muß auf ein halbes Jahr im voraus festgestellt werden, die Landwirthschaft kann die Sprünge nicht mitmachen, welche im Handel gemaht werden, Die Prophezeiungen über das Risiko, welhe die Kasse durch ungenügende Rückzahlung der Darlehen haben werde, sind durh die Thatsachen widerlegt worden. Die große Zahl der Nückzahlungen führt uns den Beweis, daß unser landwirthschaftlihes Kreditwesen durchaus gesund is. Die fleinen Einbußen, die der Staat dabei erleiden könnte, kommen garnicht in Betracht, wenn die Kasse zur Hebung des gesammten Mittelstandes beiträgt. Das kommt dem Staat indirekt wieder zu gute. Die Kasse darf überhaupt niht vom Gesichtspunkt des Bankwesens, son- dern vom wirthschaftlihen und sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet werden. Wir können der Regierung für dieses Unternehmen nur dankbar sein.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Es wird doch nothwendig sein, der einen Be- hauptung entgegenzutreten, die der geehrte Herr Vorredner aus- gesprochen hat, als wenn ih gesagt hätte oder hätte sagen wollen, daß es auf die Höhe des Zinsfußes, den die einzelnen Genofsen zu zahlen haben, eigentlich nicht ankomme. Das is garnicht meine Ansicht, denn tas ist ja selbstredend, daß die Höhe des Zinsfußes von der allergrößten Bedeutung is für den einzelnen Genossen. Jch habe nur gefagt: cine Einrichtung, welhe dem betreffenden Landwirth die Sicherheit giebt, ohne im Zinsfuß ganz überholt zu werden und in Wucherhände zu fallen, sein Kreditbedürfniß zu der Zeit zu befriedigen, wo es an ihn herantritt, ift fast noch wihtiger als die Frage, ob er #{ oder selbst F 9% mehr Zinsen giebt. Dabei bleibe ich stechen, daß wir dabei erstreben müssen, auch den Zinsfuß mögli niedrig zu halten, damit bin ich natürlich einverstanden. Wir haben in der Zeit, wo der hohe Bankdiskont bestand, wo also die Zentral- Genossenschaftskasse- sch erbebliße Mittel beshaffen mußte, durch Zahlung recht hoher Zinsen, den eigentlihen genossenschaftlihen Kredit für die genofsenshaftlihen Verbände unverändert gelassen. Wir haben den Zinsfuß nit erhöht, weil wir fehr wohl wußten, welhe Be- deutung ein möglift stabiler Zinsfuß hat, der nicht von den augenblick- lien Schwankungen im Handel .und in dem sonstigen Kreditwesen hedingt ist. Wir haben diese ganze Zeit hindurch den niedrigen Zi ns- fuß den Genossenschaften genau fo gelaffen, als wenn der Diskont auf gestanden hätte. Natürlih, meine Herren, in denjenigen Zweigen der Thätigkeit der Zentral. Genossenshaftskassen, wo es sich um die Förderung dieses genofsenschaftlihen Kredits nicht direkt

handelt, wie beispielsweise im Lombardverkehr, wenn eine Sparkasse |

oder ein .anderes Institut bei uns besonderen Kredit haben wollte auf Lombardeffekten, sind wir auch in die Höhe gegangen mit dem Zins- fuß, denn so weit ist das Geschäft ein rein bankmäßiges.

Meine Herren, die bisherigen Institute, die Kredit vermitteln, Banken u. st. w., wie sie auch heißen mögen, darüber kann gar kein Zweifel sein waren in Betreff des Personalkredits “auf die landwirthshaftlihen Verhältnisse und Bedürfnisse eigentlich nicht zu- geshnitten. (Sehr rihtig! rechts.) Dieses Institut is das erste, welches in dieser Beziehung sih direkt an die Berhältnisse und Zu- stände und Bedürfnisse der Landwirthschaft anschließt. Wenn das Institut da versagte, so hätte das ganze Jnstitut keine Bedeutung. Meine Herren, sowohl der Präsident Herr von Huene als auch ih find darüber vollkommen einig, daß alle die Nebengeschäfte, beispiels- weise Kontokurrentverkehr mit Sparkassen, Depotgeschäfte mit Kommunen, Lombardgeschäfte niemals Selbstzweck sein dürfen, sondern nur Mittel, um den Hauptzweck zu erreihen. Wenn wir eine große Anzahl von Depositen haben, und zwar niht von einzelnen Instituten denn das isst ja imméèr gefährlihzer —, sondern in Verbindung beispielsweise mit einem großen Theil von Sparkassen und Kommunen, fo follen diefe Mittel nur dienen, um den Hauptzweck des Instituts zu erfüllen. Wir wollen keine Depositenbank werden, das ist gar niht unsere Aufgabe, aber wir wollen den Depositen- verkehr pflegen, um eben größere flüssige Mittel für die Erreichung des Hauptziels des Inftituts zu erlangen. Auch in dieser Beziehung ist die Entwickélung eine günstige gewesen, und ih bin namentlich meinem verehrten Herrn Nachbar sehr dankbar, daß er den Verkehr mit den kommunalen Sparkassen durch die von hier aus ergangenen Verfügungen zu Gunsten der Zentral-Genofsenschaftskassen fehr zu er- leihtern die Güte hatte.

Meine Herren, ich möchte nun noch zwei Worte sagen über die Statistik. Sobald die Organisation dieses Instituts hergestellt tvar, hat die Direktion es als eine ihrer Hauptaufgaben betrachtet, endli einmal eine fihere Statistik des Genossenschaftswesens herzustellen und zu erhalten. Die große Bedeutung einer folchen Statistik brauche ih garnicht auseinanderzuseßen. Es haben in dieser Beziehung die ge- nossensca{tlichen Verbände von Schulze-Delißsh {on früher viel ge- leistet, und man muß mit Dank anerkennen, daß sle, wie auch in anderen Beziehungen, im Genofsenschaftswesen bahnbrehend gewirkt und erheblihe Verdienste sih erworben haben. Jh würde es auß das will ih hier einshalten mit Freuden begrüßen, wenn es möglich wäre, die nah den früheren Prinzipien von S(hulze-Delibßsh cingerihteten Genossenshaften auß noch mehr und mehr in engere

Verbindung mit der Zentral-Genossenschaftskasse zu bringen E feindseliges Verhältniß kann in dieser Beziehung nur bedauert werden, soweit es vorhanden ist. Die Direktion der Zentral-Genossenschafts- kasse hat sfih {hon sehr zeitig an den Herrn Justiz-Minister gewandt, und dieser hat die Güte gehabt, sämmtlihen Gerichten des Landes die Auflage zu machen, über die eingetragenen Genossenschaften bei den Gerichten eine Aufstellung zu machen und dadurch eine voll- ständige Statistik herzustellen. Es wird nicht lange dauern, dann wird eine solche Statistik, wo die Genossenschaften nah der Oertlich- keit, nah der Nichtung und Bedeutung dargestellt werden, dem hohen Hause mitgetheilt werden können. Jch hatte die Idee, eine solche Statistik, wenn fie mal vorhanden if, von allen verschiedenen Arten der Genossenschaften, namentlich dann mal’ graphisch darstellen zu lassen und sie auch hier den Herren Abgeordneten mitzutheilen. Es wird das ein sehr lehrreihes Bild geben. Es werden die meisten Stellen eine Anregung zur Thätigkeit geben für alle Menschen, die in der Gegend wohnen und gemeinnüßig denken, und die starkpunkftierten Linien der Karte werden eine Befriedigung geben über das, was bisher hon erreicht ift. Das Ganze wird neue Thätigkeit anbahnen.

Meine Herren, nah dem, was ih gesagt habe, brauhe ich auf die Aeußerungen des leßten Herrn Redners, daß man diese ganze Zentralkasse nicht als ein bankmäßiges Institut betraten dürfe, nicht weiter einzugehen. Die Kasse muß zwar au eine gewisse bankmäßige Tkätigkeit entwickeln, aber das darf nie der eigentlihe Zweck des Instituts werden, sondern es darf diese Thätigkeit nur soweit aus- gedehnt werden, als die Hauptaufgabe des Instituts es erfordert. (Bravo! rechts.)

Abg. von Arnim hebt nohmals hervor, daß der ge\{häftlihe Ver- kehr fih noch weiter verbilligen ließe, wenn man die Zwischenstationen der Genofsenshaftsverbände Fertlafei könnte.

Abg. Knekel (ul.) hält die Mitwirkung der Genossenschafts- verbände für unumgänglih. Eine Erhöhung des Grundkapitals dürfe jeßt noch nit stattfinden, um die Kasse auf der gesunden Basis zu erhalten, daß das Kapital durch die Rückzahlung selbst wieder ergänzt werde. Daß das Handwerk noch niht genug mit der Kasse in Ver- bindung getreten sei, liege daran, daß es viel zu spät mit seiner genofsenschaftlihen Organisation begonnen habe, ein Fehler, der jeßt mehr und mehr wieder gut g°omaht werde. Bei dem Verkehr der ‘Kasse mit den Sparkassen handle es sich ledig- lih um einen Depositenverkehr, den das Gesetz zulasse, niht um einen Vermittelungsverkehr, wie der Abg. Parisius angenommen habe. Die Zentral-Genossenschaftskasse sei eine nothwendige Ergänzung der landwirthschaftlihen Krediteinrihtung. Eine Erhöhung des Grund- kapitals würde nur eine Treiberei des Kreditwesens herbeiführen.

Abg. Parisius bemerkt, daß die bisherige Statistik des Genossen- schaftswesens werthlos sei. Der Lombardverkehr der Kasse müsse mit großer Vorsicht behandelt werden.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Den leßten Bemerkungen des Herrn Abg. Parifius kann ih voll- ständig beipflihten. Er giebt zu, was auch garnicht zweifelhaft sein kann, daß der Depositenverkehr von der Bank gepflegt werden kann mit allen Menschen und auch mit juristischen Perfonen, also auch mit Sparkassen. Ich theile aber seine Ansicht, daß der Lombardverkehr mit großer Vorsicht behandelt werden muß und eigentlich nur nebenbei mit einem Institut, welches regelmäßig erheblihe Depositen liefert, aber auch mal gelegentlich auf kurze Zeit Bedürfniß hat, welches dur die Verpfändung von Effekten im Lombardverkehr gedeckt wird. So handhabt aber au die Zentral-Genossenschaftskasse die Sache. Denn ihre Aufgabe ist niht, den Sparkassen als Vermittelungs- stelle zu dienen, ihre Mittel den Genossenschaften zuzuführen.

Als das Gese berathen wurde, war ja auf einigen Seiten der Wunsch, gleich von vornherein diese Kasse zu einer Ausgleichs\telle für die Sparkasse zu machen. Die Staatsregierung if nit darauf eingegangen und das hohe Haus au nit, und daher ift die Nechts- lage in diefer Beziehung au vollständig klar.

Der Herr Abg. Knebel das möghte ih noch sagen hat dafür, daß es rathsam sei, heute, in dieser Session, nicht an die Er- höhung des Grundkapitals heranzugehen, einen dur{haus rihtigen Grund angegeben : eine Hauptaufgabe der Zentral-Genofsenschaftskasse wird sein, aus ibrem Geschäftsverkehr, namentlich aus dem Depositen- verkehr, die erheblihen Mittel für die Erfüllung ihrer Hauptaufgabe sich selbst zu verschaffen. Jch glaube allerdings nicht, daß wir in ab- sehbarer Zeit zu dem Jdeal kommen werden, welches der Abz. Knebel aufgestellt hat, daß die Zentral-Genossenschaftsfasse eigentli gar kein Betricbskapital gebrauht, wenigstens nur ein sehr geringes, weil der Abgang von Mitteln an die Genossenschaften ih mit dem Wieder- zugang vollständig ausgleihen müsse.

Meine Herren, wir werden noh Jahrzehnte hindurch immerfort an der Auétdehnung des Genossenschaftswesens arbeiten müssen; jede neue Genoffenschaft fordert für längere Zeit die Hilfe, die wir hier dur die Zentral-Genofsenschaftskasse gewähren; wir werden ihr im Beginn erst Vorschüsse geben müssen; und erst allmählih wird sie im stande sein, regelmäßig zurückzuzahßlen. Je weiter sich also das Genossen- schaftswesen ausdehnt, je mehr neue Genoffenschaften entstehen es sind 1200 ländliche Genossenschaften mehr in einem Jahre entstanden —, je mehr Kapital wird vorläufig noch aus den Mitteln der Kasse her- zugeben sein.

Ich glaube daher allerdings, daß wir auf die Dauer einer Vers größerung des Grundkapitals uns nicht entziehen können (fehr wahr !); aber man braucht sich jeßt noch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen. Bei der bisherigen Art und Weise, wie das Abgeordnetenhaus die ganze Thätigkeit der Kasse auffaßt, zweifle ih garniht, daß, wenn wir dur eine dauernde Erfabrung die Nothwendigkeit einer Er- höhung des Grundkapitals nahweisen können, das Haus wie bisher in Bezug auf die Erhöhung des Grundkapitals der Staatsrgierung ent- gegenkommen wird. (Sehr rihtig !)

Meine Herren, die Befürhtung das möchte ih bloß noch sagen —, die namentlich die Herren von der freisinnigen Partei haben, daß die Zentral-Genossenschaftskasse, statt die Selbsthilfe zu stärken und zu entwickeln, dazu beitragen würde, fie zu erdrücken, indem der Staat sih in die Sache hineinmenge, hat \sich vollständig dur die Praxis widerlegt. (Sehr richtig!) Wenn man die Entwoickelung des Staatswesens, der wirthschaftlichen und fozialen Verhältnisse, studiert, ist diese Befürhtung, daß bei jeder Förderung der privaten und gemeinnüßigen genossenschaftlihen Thätigkeit dur den Staat das Prinzip der Selbsthilfe untergraben würde, ein Gespenst. Die Zentral-Genossen\chast soll die Selbsthilfe entwickeln, fördern, stüßen und über die ersten Schwierigkeiten des Anfanges hinwegbringen. Das sehen wir ebenso auf vielen Staatêgebieten, und wir sehen nicht die üblen Folgen, die vielfah davon befürchtet worden. Ich bleibe allerdings dabei stehen, daß das beste Mittel die Selbst-

verantwortlihkeit ift, die Erziehung zur eigenen Selbsthilfe und