1882 / 44 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 20 Feb 1882 18:00:01 GMT) scan diff

zum Deutschen Reichs-Anz

M 44,

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Erste Beilage

Berlin, Montag, den 20. Februar

eiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

1882.

Nichtamtliches.

Preußen. Berlin, 20. Februar. Jm weiteren Verlaufe der vorgestrigen (14.) Sißung seßte das Haus der Abgeordneten die zweite Berathung des Entwurfs des Staatshaushalts-Etats für das Etatsjahr 1882/83 init der Diskussion des Etats des Bureaus des Staats-Ministeriums (Kap. 44 der Ausgabe 298 610 6) Fort. Tit. 1-13 würden ohne Debatte genehmigt; bei Tit. 14 (Dispositionsfonds für allgemeine politische Zwede 93 000 6)

bemerkte der Abg. Nihter, dieselben Grundsäße, wie früher,

bestimmten ihn auch heute, gêgen diesen Fonds zu stimmen. Die prinzipielle Stellung seiner Partei zu der Bewilligung

geheimer Fonds wolle er hier nit erörtern, er gestehe au jeder Partei das Recht unbeschränkter Agitation zu, nur da- gegen protestire seine Partei, daß Staatsgelder und Staats- beamle zu politishen Agitationen | verwendet würden. Er bähte, selbst die Gegner der Fortschrittspartei müßten si Angesichts der Verwendung dieses Fonds in den leßten Jah- ren zweimal bedenken, ehe sie denselben nochmals bewilligten. Dieser Fonds diene zwei Zwecken, es würden aus demselben erstens die Schriftsteller besoldet, die täglih im literarischen Bureau ihre Fnstrukltionen empfingen und dana Zeitungs- artikel im Sinne der Negierung schrieben. Wohin das führe, habe ein Vorfall im Neichstage gezeigt, wo ein allgemein als hoch: offiziós angesehener Artikel der „Politischen Correspondenz“, der einen Konflikt prophezeit habe, zu unangenehmen Kon- squenzen Veranlassung gegeben habe. Wenn dvabei vie Staats-Minister von Puttkamer und von Boetticher die Ver- antwortlihkeit für die offiziösen Aeußerungen abgelehnt hätten, j0 sei das formell richtig, denn die Offiziösen schrieben ja in Engen nur als Privatleute und nicht in amtlicher Eigénschast. Jeder in die Verhältnisse der Presse Eingeweihte enne’ aber die offiziösen Artikel sofort, während das Publikum darin unabhängige Stimmen der öffentlihen Meinung erblicke.

Seine Anfrage, ob der Direktor des literarischen Bureaus, Geh. Neg.-Nath Dr. Rößler, der Verfaßer des Artiïels in der „DPolit. Correfondenz“ sei, sei im Reichstage unbeantwortet geblieben. Er wiederhole dieselbe dahèr hier ausdrü@lih. Ein Beamter, wie der Direktor des literarischen Bureaus, dürse do nicht beliebig priva- tim auf eigene Verantwortlichkeit hin die hwerwiegendsten Aeuße- gen in die Welt \{hicken, der Mann sei doch von seiner amt- lien Stellung nicht zu trennen, was derselbe schreibe, falle nothwendig immer auf die Regierung zurück. Man sehe aus dem Vorfall, in welche Verlegenheit die Regierung durch ein Folches Bureau gebracht werden könne. Zweitens werde aus diesem Fonds die , Srovinzial-Correspondenz“ unterhalten ; für dieses Blatt übernehme die Regierung osen die Verant- wortung. Das Urtheil über die Leistungen der „Vrovinzial- Correspondenz“ sei im Reichstage gefällt worden, wie be- gründel es gewesen sei, wolle er noch an einigen Beispielen zeigen. Jn einem Artikel vom 21. September 1881 „Fürst Bismardcks Gegner im Auslande“ werde gesagt, daß die Früchte der französischen Kriegskontribution dur die libe- ralen Koryphäén *erzettelt seien. Nun seien aber drei Viertel der Miluarden auf des Ministers von Kameke Vorschlag verwendet worden, ‘ein anderer Theil zum Antauf des Radziwillshen Valais, noch ein anderer zum An- fauf von Eisenbahnen auf Herrn Achenbachs Vorschlag. Das seien also die „liberalen Koryphäen“! Jn dem Artikel vom 12. Dftober v. J. „Geständniß wider Willen“ würden die Memoiren des Hrn, von Unruh erwähnt und der Artikel {ließe mit den Worten: „daß die landesoerxätherishen Ab- sihten der Liberalen dur den eigenen Parteigenofsen enthüllt worden seien“. Hier beschuldige also das von sämmtlichen Steuerzahlern unterhaltene amtlihe Blatt eine große Parti ofen eines ehrlosen Verbrehens. Auch das Vort Virhows vom „guten Nevolutionär“ sei in gleicher Veise (mißbraucht worden, und doch habe General-Feld- maïsäall von Moltke ebenfalls im Neichstage von „ehrlichen Revolutionäten“ gesprohen. So wenig Graf Moltke mit dem Worte „ehrlich“ für die Ehre der Revolution, so wenig fai der Alg. Virchow mit dem Worte „gut“ für die Güte der NKvolution eingetreten. Oder glaube man, daß, wenn zwei dasselbe ügten, es einen Unterschied mache, wenn einer davon Moltkc heiße, Ne Abg. Virchow habe damals sofort gegen die Mißdeutung säines Ausspru@s protestirt, und hier im Hause habe seitdem nand mehr einen Vorwurf deswegen gegen ihn erhoben. Troßdem habe die „Prov.-Corr.“ in einem Artikel „gute ‘volutionáre und Barrikadenkämpfer“ die [chlimmsten Fnsi- ationen gegen die Fortschrittapartei erhoben und zwar nur uf Grund unehrliher Citate. (Der Redner sezte nun aus- lühtlid) auseinander, daß dié „Prov.-Corr.“ nur dadur, daß è inen Saß aus Virhows ede aus dem Zusammenhange Yrausgerissen habe, und den übrigen Jnhalt derselben ab- lid) ignorirt habe, den Vorwurf revolutionärer Gesinnung figen die Fortsrittspartei habe erheben können.) Damals e der Abg. Virchow gesagt: die Fortschrittzpartei habe von d Augenblicke an, wo sie als Partei auf den öffentlichen Wpsplas getreten sei, nur einen geseßlihen Kampf geführt und befürwortet, Wenn man seine Partei als Lobredner der évolution darstelle, so verneine er dies. Wenn man si an das Wort „gut“ anhade, so weise er diese ganze Art {r Verhandlung im Parteikampfe zurück. Indem die. „TOvinzial-Correspondenz“ aus der citirten Stelle das Alles Unterdrücke, führe sie gleichwohl an, der Abg. Virchow habe Me weiter erklärt, was derselbe unter guten Revolutionären neine, der Abg. Virchow finde es in der Ordnung, wenn nan gelegentlih im Varrikadenkampfe auch Andere tödte. M em man derart ein Citat gerade in entscheidenden Stellen lab Ul habe, und noch dazu dem Citirten vorgeworfen ¿%, derselbe habe weiter nichts gesagt, gleihwohl aber einen ¿werwiegenden Angriff konstruire, verfahre man so unanstän- weh wie ein ähnliches Beispiel aus der gesammten Presse A des Wahlkampfes nicht vorliege. Das sei politische cinen envergijtung der s{limmsten Art, und noch dazu in inem Blatte der Regierung. Mit Recht habe der Abg. von

au Recht, wenn derselbe sage, Gegnern der Regierung mehr genußt als geschadet habe. Vielleicht fänden nah „der Art, wie dieser Fonds verwandt werde, auch Manche, die grundsäßlih einen anderen Stand- punkt verträten, es diesmal für angezeigt, gegen denselben zu stimmen.

Hierauf ergriff der Vize-Präsident des Staats-Ministeriums von Puttkamer das Wort:

Meine Herren! Die Bewilligung geheimer Fonds zu politischen Zwecken wird ja in der Regel als eine Vertrauens\ache betrachtet. Ich bin nun viel zu vorsichtig, um hier die Vertrauensfrage zu stellen, sondern ich meine, das hohe Haus kann sein Votum über diesen Fonds nach einem anderen Gesichtspunkte einrihten. Ih mödhte nämlich glauben, die Frage \o formuliren zu dürfen, daß ih meine, nur diejenigen Mitglieder des hohen Hauses, welche alle Brücken zwischen sih und der Staatsregierung als abgebrochen betraten, mögen gegen diesen Fonds stimmen; alle Diejenigen, welche Vertrauen zu der bisherigen Führung der Regierung gehabt haben, oder welche wenigstens die Brücke zwischen sich und ihr niht als abgebrochen be- trachten, werden hoffentlih für den Fonds stimmen.

Nun will ih mir zunächst von den zwei Theilen, aus welchen die Ausführungen des Hrn. Abg. Richter bestanden, erlauben, den ersten ¿u beleuhten, nämlich die Nothwendigkeit und Wirksamkeit des \oge- nannten literarischen Bureaus. Er hat hier eine Frage wiederholt, die schon im Reichstage gestellt war nah dem Verfasser des viel- berufenen Artikels in der Wiener „Politischen Correspondenz“. Meine Herren, ih bedauere, in dieser Beziehung seinen Wünschen nit nachkommen zu können; es gehört nicht zu meinen Berufsge- schäften, der Autorshaft anonymer Correspondenzen auswärtiger Blätter naczuspüren, es sci denn, daß ein besonderer disziplinarischer Anlaß dazu seï, was hier meines Wissens nicht der Fall ist. Uebrigens will ih nit unterlassen, anzuführen, daß ich nachträglich diesen Artikel auch gelesen habe und der Meinung bin, daß er diejenigen verhängnißvollen Dinge, welche neulich in der Verhandlung dem Reichskanzler unterstellt wurden und welche der Hr. Abg. Richter heute aub wiederholt ans Licht geführt hat, nicht enthält. Es enthält ein Referat über er- heblihe in Preußen bestehende Meinungsverschiedenheiten über Ver- fassungsfragen, und das Wort „Konflikt“ if meiner Auffassung nah in diesem Artikel keineswegs in dem Sinne eines irgendwie drohenden Verfassungskonflikts gemeint, fondern in dem gewöhnlichen bürgerlichen Sinne des Konflikts von Ansichten. Jch bin der Meinung, meine Herren, und ih bin darin au dur die heutige Rede des Hrn. Abg. Richter bestärkt wordèn, daß man bei den damaligen Reichstagsver- handlungen geglaubt hat, einer Anlehnung, einer Anknüpfung zu be-

dürfen, um gewisse s{chwarze Verdachtsgründe zu motiviren und daß uan in Ermangelung .ciner anderen Handhabe, sib an diesen zufällig in denselben Lagen erscheinenden Artikel angelehnt bat. Also ih kann diesen Punkt wohl als erledigt erachten.

_ Nun, was das literarishe Bureau an si betrifft, meine Herren, so wäre es ja mögli gewesen, daß cine Debatte darüber fih son bei dem Tit. 4 dieses Kapitels entwickelt hätte, wo von der eigent- lichen, im Etat ausgeworfenen Stelle, nämli der des Direktors des literarishen Bureaus und eines Kanzleisekretärs die Rede ist. Der jest zur Diskussion stehende Art. 14 enthält ja nur ein Pausch- quantum, weles im Falle bewilligt und verrechnet werden wird. Indessen, obgleich ich nun der Meinung bin, daß die Regierung nit die Verpflichtung hat, über die Verwendung von geheimen Fonds hier Rechenschaft abzulegen, wenn sie überhaupt bewilligt werden, îo nehme ih doch gar feinen Anstand die ganz offenkundige Einrichtung des literarischen Bureaus hier no& einmal auszuführen.

Meine Herren! Das literarishe Bureau i eine ganz harm-

Toje und unverfängliche Einrichtung, die ihren nächsten Zweck darin hat, für die Allerhöc{sten Stellen für die Minister und andere Beamte, welche mit der Presse und deren Erzeugnisse amtlih zu thun haben, besonders interessirende Artikel auszuschneiden und vorzulegen, also eine rein _informatorishe Thätigkeit. Von der Nothwendigkeit einer solchen Einrichtung wird si ein Jeder überzeugen, der nur unseren parlamentarischen Berathungen beiwohnt. Jch kann wohl sagen, daß i in dem früheren Ministerium sowohl als au in dem jeßigen einen großen Theil meiner Zeit und ih glaube zum Nußen des Landes dazu verwendet, diejenigen Preßerzeugnisse, weiche sich über Gegenstände meines Ressorts verbreiten, weiter zu verfolgen. Man kann ja der Presse im Allgemeinen nur sehr dankbar dafür sein, daß sie dergleichen Dinge auch in Erörterung zieht. Feder Ministec wird mit Freuden die Gelegenheit ergreifen, wenn die Informationen fih e e erweisen, den auf sole Weise gegebenen Anregungen nachzugehen.

Der andere Theil der Beschäftigung des literarischen Bureaus besteht ‘darin, die Presse mit einer Information über die in der Re- gierung vorhandenen Ansichten und Anschauungen zu versehen. Es ist das eine Einrichtung, die sich im Allgemeinen ich glaube auch hierfür auf das Urtheil der Oeffentlichkeit mi berufen zu können als nügli{h erwiesen hat. Eine sehr erhebliche Zahl großer voll- Tommen selbständiger Tageblätter nimmt mit Freuden einen solchen Wink, eine solche Andeutung aus den Regierungékreisen entgegen,

daß diese Angriffsweise den

um daran ihre Informationen zu knüpfen, und die bezüglichen Gegen- stände iveiter zu behandeln. L ) M Dann hat das literarische Bureau noch eine dritte „Thâtigkeit

auszuüben, die allerdings weniger erfreulich ist, Es ist, meine Herren, die des Dementirens. Jch muß doch sagen, ein nicht unerhebliher Theil der deutshen Presse “ist recht

fruchtbar in solchen Erzeugnissen, welhe man mit der Bezeich- nung „andichten“ wohl am treffendsten benennt; über Intentionen und Mehrangaben der Regierung erfahren wir sehr häufig da Dinge, von denen in Regierungsftreisen nit das Allermindeste bekannt ist. Und daß das eine sehr verhängnißvolle Seite der Thätigkeit der Presse ist, kann ich mit meinem Zeugniß belegen. Ich will, ohne daß ih dieses Beispiel als typisch hinstellen will, Ihnen vorführen, wie das in so folhem Fall zugeht. Es erscheint cin Zeitungsartikel: „Man schreibt uns aus München oder vom Rhein, es sollen, Gerüchten zu- folge, die im Jahre 48 abgeschafften geheimen Konduitenlisten über die Lehrer wieder eingeführt werden ;“ an der Sage selbst ist absolut kein wahres Wort. Am nächsten Tage verdichtet sich diese Fabel {on in einigen anderen Zeitungen dahin: „Aus positiver Quelle geht S Die Nati l u f. wz o heißt es, die. Negierung dazu \chweigt, zwei Tage später: „Das verlegene Schweigen der OVOffiziösen deutet darauf hin, daß ‘Unsere neulißze Nachriht vollkommen „rihtig war, also wir konstatiren hiermit, daß die geheimen Konduitenlisten wieder eingeführt sind.“ Dementirt die Regierung, was sie natürlih thun muß, dann heißt es wieder in einer anderen Correspondenz: „Es muß do an unserer Mittheilung von neulih wegen der Konduiten- liste eiwas wahres sein, denn sonst würde die Regierung sih nicht so überaus beeilen, sie zu dementiren# :

Meine Herren! So sehen Sie, wie die Regierung auf allen Seiten dur solche Artikel in die Enge getrieben wird, und ih denke, Sie werdén es ihr nicht verargen, wenn- sie die ihr anvertrauten Staatsgelder, zum Theil wenigstens, auch darauf verwendet, um \ich gegen solche tnsidiöse Art der Angriffe zu s{üßen. Jh bin also der Meinung, daß die Seite der Sache, welche jeßt der Hr. Abg. Richter zuerst erörterte, nämlich die nah seiner Meinung \so- ungemein \{häd-

ênnigsen im Reichstage gerade von der Regierungspresse ugt, daß sie sich elbst beherrsche, die Wahlbewegung e und nit shärfe. Der Abg. von Bennigsen habe

lihe Wirksamkeit des literarishen Bureaus das hohe Haus nicht ahe halten sollte, für den geheimen Fonds zu stimmen.

L Ain Pi M DL S P E B

Ich komme nun auf den zweiten Theil der Ausführungen, auf die „Provinzial-Correspondenz“. s j

Daß der Hr. Abg. Richter bei der Schilderung der Thätigkeit der „Provinzial-Correspondenz“ seinen Pinsel in die allerschwärzesten Farben tauchen würde, habe ih mir wohl gedacht; es ist dies nur ein integrirender Theil desjenigen Systems, welches die Fortschritts- partei in der hinter uns liegenden Epoche [lebhafter politischer Be- wegung tonsequent durchgeführt hat, nämli für ste ist Alles erlaubt, die maßloseste Form der Kritik, die heftigste Art des Angriffs gegen die Negierung und au gegen andcre Parteien ist ihr gestattet: so wie aber irgend Jemand sich seinerseits die Freiheit nimmt, die Fort- srittspartei einmal daran zu erinnern, daß auc sie ihre Shwächen hat, s{häumt sie über von sittliher Entrüstung.

Meine Herren, ih erkenne nun meinerseits an, daß die Ne- gierung, wenn sie eine offizióse Presse unterhält, mehr wie die Parteien die Verpflichtung hat in der Form Maaß zu balten, und i kann hier die Erklärung abgeben, daß, troßdem i die Verantwortung natürli zu tragen habe, die kann ih ja nicht ablehnen, daß einzelne Ausdrücke in einzelnen Artikeln der „Provinzial-Correspon- denz“ aus jenen Monaten vom Juni bis Oktober v. J. nur motivirt werden Tönnen dürch die Hike des damals wogenden Wahkl- kampfes, und daß ih seitdem Sorge getragen _habe und fernerhin Sorge tragen werde, daß die „Provinzial-Correspondenz“ si wirk- lih objektiv beleidigender Ausdrücke enthält. Dafür übernehme ih die Verantwortung und dana wird verfahren werden, aber, meine A nun bitte ih doch noch eins zu erwägen. Wenn der Hr. Abg. Richter hier mit so großer Entrüstung von den Artikeln der „Pro=- vinzial-Correspondenz“ spricht, so möge er mir es auch nit ver- übeln, wenn ih ihm darauf erwidere, die Fortschrittspartet i spreche natürlich nit von Personen, sondern von Parteien, über die man ja unumwunden ein Urtheil aussprechen darf De Fortschrittspartei leidet doch sehr an dem Fehler, der mit deur Schrifiwort am prägnantesten ausgedrückt wird, „sie sieht nicht den as im eigenen Auge, aber stets den Splitter im Auge des

nderen. z

Der Hr. Abg. Richter spra davon, daß die eProvinzial-Corre= spondenz“ und ihre Thätigkeit zu einer gewissen politischen Brunnen- vergiftung führt i glaube sogar der Ausdruck ist nit Original, er hat ihn einmal vom Reichskanzler entlehnt, aber, meine Herren, wenn ich mir vergegenwärtige, was die Fortschrittspartei in den hinter uns liegenden Wahlkampf in Bezug auf Terrorismus, Agi- tation, Verunglimpfung des Gegners, Verheßung der Volksklassen gegen einander geleistet hat, dann, meine H erren, bin ich der Mei- nung, daß die Artikel der „Provinzial-Correspondenz“ sih zu diesen Leistungen etwa so verhalten, wie das Rieseln eines Wiesenbachs zu einem gewaltigen Kataräkt. ; 4

“Meine Herren, jeder Wahlkreis ift ja Zeuge davon, jede fort-

wenn *

schrittlibe Versammlung, möchte ih sagen, hat uns ja efklatante Be- lege dafür gegeben, und jeder fortshrittlihe Wahlaufrauf, i denke, wir werden uns beim Ministerium des Innern über diese Sade noch unterhalten —, hat klar an den Tag gelegt, daß es der Fortshrittspartei allerdings um Erringung des Sieges, aber um Er- ringung des Sieges unter Anwendung einer großen Anzahl unerlaubter Mittel, zu thun gewesen ist.

Meine Herren, worauf hat denn diese Partei ih spreche hier nit von dem Verhältnisse zur anderen Partei, sondern von dem Verhältnisse zur Regierung ihre Angriffe hauptsäGlich gerichtet 7 Ic glaube, in dem, was ich sage, wird keine Uebertreibung gefunden werden fönnen, sondern die Herren, welche fich eingehend mit dem Wahlkampf zum Reichstage beschäftigt haben, werden es mir be- stätigen müssen. Also, wie fie mit den anderen Parteien umge= Iprungen ist, darüber erlaube ih mir fein Urtheil, 8E nit meine Sache, das zu beurtheilen, ih denke, diese Parteien, vielleicht auch die Herren Nationalliberalen, werden noch Gelegenheit haben, in dieser Richtung mit der Fortschrittspartei fich auseinander- zusezen. Aber in ihrem Verhältniß zur Regierung, meine Herren, ift fie systematisch darauf ausgegangen, in dem Volke das Vertrauen zu der Chrlichkeit und dem guten Glauben zur Regierung zu unter- graben, fowohl in Bezug auf die Wirthschaftspolitik, als auc in Bezug auf die allgemeinen politischen Verhältniße. Wenn es möglich und zulässig sein soll, daß cine wirthshaftspolitische Reform, welche, ausgegangen von der Reichsregierung, erörtert im Parlament, angenommen von der großen Mehrheit der Volksvertretung, von Koryphäen der Partei ohne Weiteres als eine nichtswürdige Interessenpolitik charafkterisirt werden darf, als eine Politik, welche darauf hinausläuft, nicht etwa blos thatsächlich, sondern bewußt den Egoismus zu unterstüßen, die Selbstsucht der wohlhabenden Klafsen gegenüber den ärmeren wachzu= rufen, darauf hinausläuft, den Großgrundbesiß, die Großindustrie zu bereichern auf Kosten der Bedürftigen und der Armen i wieder- hole, meine Herren, nit als thatsählihe Folge, sondern als bewußte Absicht, dann bin ih berechtigt zu behaupten, daß eine solche Art von Polemik dem Begriff der Loyalität nicht entsprechend ist. Aber damit „hat man sich noch gar nit mal begnügt, fondern man ist so weit gegangen, diese Wirthschaftspolitik anzuknüpfen an den Cigennutz des Einzelnen; ich werde Ihnen davon gleich einen Beweis liefern.

Versehen Sie sich einmal in die Provinz Westfalen in eine dort stattgehabte Wahlversammlung ; da sagte ein berühmter Volksredner. zu dieser Versammlung, indem er von der Aufhebung der Eisenzölle- im Jahre 1873 spriht, Folgendes:

eine Herren, wer hat denn eigentli diese Zollaufhebung- veranlaßt? Niemand anders als Fürst Bismarck selbst. Dere selbe ist bekanntlich ein Großgrundbesizer. Er hatte si im Jahre 1873 für seine Landwirthschaft Maschinen aus England kommen lassen und bekam nun auf einmal eine Recnung von 1200 Thalern ül. Zölle. J! der Teufel, denkt er, was ist denn das, daß meine Maschinen so besteuert ‘werden? und es dauerte nit 8 Tage, da hatten wir im Reichstage zu unserer großen Ueberrashung einen Geseßentwurf zur Berathung, betueffend die Aufhebung der Eisenzölle.

Soll ich Ihnen nun äramatis personae und den Schauplaß. nennen? Schauplaß '‘Iserlobn Festredner der Abg. Richter, und- die Wählerschaft, die ‘ihm für diese ungualifizirbaren Aeußerungen stürmisch zugejauhzt hat, ist dieselbe, welhe den Abg. Langarhans im den Reichstag geschickt hat. U

Meine Herren, was joll man zu einer folchen Art vou Agitation: sagen! Der erste Diener Sr. Majestät des Königs ih will hier die Verdienste des Fürsten BismarÈ mit keinem Wort berühren muß es sich gefallen lasen, daß seine Jnitiative zu gefeßgeberifchen Maßregeln unter den Gesichtspunkt des \{chnödesten privaten Eigen= rußes gestellt wird. (Abg. Rihter: Nicht wahr!) - Nun, meine Herren, wenn das als „nicht wahr“ bezeichnet wird (Abg. Richter: Nein !), dann bitte ich Sie, sih nur den Wortlaut zu vergegenwärti- gen von dem, was ih angeführt habe. Ja, meine Herren, böse Bei spiele verderben gute Sitten; das von dem B Richtez gegebene Beispiel hat dann natürlih aud dem Fürsten Reichskæaizler gegen» über seinen Widerhall gefunden in cinem Berliner Blett. Das hat sih natürli gesagt, wenn der Abg. Richter den Reichskanzler auf seinen Cigennuß angreifen kann, dann wirst du ihn mal in Bezug auf seine Ehre und seinen Charakter angreifen, und sagt nun Fol- gend es: / L ¿

In Wahrheit ist die Forderung des Neichskanzlers, (Fürst

Bismarck von seinem L gar keine Forderurig des Liberaliëzmus, gar feine Forderung der Fortscrittspartei, sondern ledigli eine