1897 / 110 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 11 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Felters der Bevölkerung niht mehr tas Quantum Mineralwasser frei liefern, auf das sie vor der Annektion Anspru gehabt habe, obwohl ihr seiner Zeit vom König das Fortbeftehen des alten Zustandes ver- prochen worden sei.

Ein NRegierungskommissar erklärt, daß die Verhältnisse wohlwollend geprüft werden follen.

Abg. Schaffner (nl.) bittet die Domänenverwaltung um ver- schiedene Verbefserungen im Bad Ems. i

Abg. Dr. Teri ch (Zentr.) {ließt sich diesem Wunsch an und bittet um eine bessere Eijenbahnverbindung mit Ems; von Berlin aus gebe es feinen durhgehenden Wagen nah Ems.

Abg. von Riepenhausen bringt die Angelegenheit des Bern- fteinmonopols der Firma Stantien u. Becker zur Sprache und bittet um eine Auskunft, wie es mit dem Verfahren gegen Unbekannt stehe. Das Interesse an dieser Angelegenheit gehe über das deutshe Vater- land binaus. Die öôfterreihishen Drehsler hätten beschlossen, die deutshen Drechsler im Kampfe gegen dieses Monopol zu unterstüßen. Unser Bernstein werde nah Amerika auëgeführt und käme ver- arbeitet wieder zurück, weil unsere einheimishen Drechsler infolge des Monopols selbst die Arbeit nicht mehr machen könnten.

Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer - stein:

Meine Herren! Wenn ich den Herrn Vorredner richtig ver- standen habe, hat er folgende Fragen an die Königliche Staatêrcgierung gerihtet : Erstens die Frage: in weler Lage befinden sich die Ber- handlungen über die Neuverpachtung des Bernsteinregals bezw. defsen Verwerthung ? Auf diese Frage bin ih eine Auskunft zu geben nicht in der Lage ; dieselbe wird voraussihtlich erst ertheilt werden können, wenn im nächsten Jahre dem Landtage das Budget vorgelegt werden wird. Verhandlungen sind eingeleitet ; aber in welcher Lage sie sich befinden, darüber lehne ih Ertheilung von Auskunft ab.

Dagegen kann ih auf die beiden anderen Fragen, die dahin gehen, in welcher Lage sih die Untersuhung gegen Herrn Becker und in welcher Lage sich die bereits eingeleitete Untersuhung gegen Unbekannt befindet, mittheilen, daß voraussihtlich die Verhandlungen noch fo zeitig zum Abschluß gelangen werden, daß no in dieser Tagung des Landtages die von der Staatsregierung zugesihherte Auskunft über den Erfolg dieser Maßnahmen wicd gegeben werden können.

Sollte das nit möglich sein, dann wird der Herr Abg. von NRiepenhausen sich auch mit dieser Mittheilung bis zum nächsien Land- tage gedulden müssen; denn bevor die Verhandlungen abgeschlossen sind, bin ih nicht in der Lage, die Zusage, die i ertheilt habe, zu erfüllen. Die Erfüllung der Zusage wird aber unbedingt erfolgen.

Abg. Schaffner bittet den Minister um eine Aeußerung be- züglih des Bades Ems.

Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- stein:

Ich erwidere auf die erneute Anfrage, daß die Königliche Staats- regierung das Wohlwollen, das sie ftets für Ems gehabt hat, au ferner bekunden wird, und daß sie alles thun wird, um das Bad in seiner bisherigen Blüthe aufrecht zu erhalten, auch allen berehtigten Anforderungen an die inneren Einrichtungen des Bades zu genügen.

Ih mache aber darauf aufmerksam, daß die Benußung der Bâder vielfa auch Modesache is. Augenblicklich if Ems, glaube ih das ist übrigens nur meine persönliche Ansiht —, nicht mehr so Modebad, wie es das vor Jahr und Tag war. Das zu ändern ift die landwirthschaftlichze Verwaltung nicht in der Lage, dagegen bewahrt sie das Wohlwollen, was sie stets ganz befonders für Ems gehabt hat, Ems auch heute noch, und wird Alles thun, was geeignet ist, um berechtigten Ansprüchen an die Verwaltung zu genügen.

Beim Etat der Eisenbahnverwaltung bringt

Abg. Jansen (Zentr.) verschiedene Beshwerden über den Umfang der Bahnsteigsperren zur Sprache.

Abg. von Czarlinski (Pole) bestätigt diese Beshwerden. Die Baknsteigsperre sei in vielen Orten nit bloß eine Bahnsteigsperre, fondern eine Restaurationtsperre. Er bitte ferner den Minister, den Eisenbaßngepäcträgern mehr Sonntagéruhe zu verschaffen.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Die spezielle Veranlassung, welche den Abg. von Czarlinski dazu geführt hat, die Frage der Sonntagsruhe der Gepäckträger zur Sprache zu bringen, ist mir nit bekannt. Ich kann dem Herrn Abgeordneten nur im allgemeinen sagen, daß für die Gepäkträger in ebenderselben Weise Fürsorge dahin getroffen ist, daß fie ihre Sonn- tagsruhe haben, wie für jeden anderen Bediensteten in der Eisenbahn- verwaltung. Der Gepäckträger muß den zweiten Sonntag oder, wenn das gerade wegen der Verkehrsverhältnisse niht möglich ist, mindestens den dritten Sonntag frei haben ; er foll außerdem jeden Sonntag noch Gelegenheit haben, in die Kirche zu gehen. Das sind die Vorschriften. Sollten die vielleiht auf irgend einer Station niht gehandhabt werden, so bedurfte es nur der Beshwerde bei der betrefenden Königlichen Eisenbahn-Direktion. Eine allgemeine Anordnung if erlassen. p

Beim Etat der Prüfungs3kommission für höhere Verwaltungsbeamte fragt

Abg. Freiherr von Richthofen (konf.), wie weit die Verhand-

lungen über einen Geseßentwurf, betreffend die anderweitige Vor- bildung der höheren Verwaltungsbeamten, gediehen find.

Beim Etat des Finanz-Ministeriums wiederholt

Abg. Gamp (fr. kons.) seinen Wunsch nah Erhöhung der Ge- hälter der Direktoren an höheren Schulen und deren Gleichstellung in sämmtlihen Städten. Wenn arch diese Säße durch den Normal- Etat festgesetzt seien, so habe doch der Finanz-Minister selbst aner- kannt, daß dieser Normal-Etat kein Gese, sondern eine Denkschrift sei; die Gehälter der Direktoren nah größeren und kleineren Städten zu differenzieren, sei also garnicht nöthig. Auch die Schülerzahl spiele dabei keine Rolle. Entscheidend sei lediglih die Arbeitslast. In den leßten Jahren seien die Lehrer ers im Dur&schnitt von über 40 Jahren zur Direktorialstellung gekommen, und einzelne von ihnen bezögen \o- gar niedrigere Gehaltsäße als die ihnen unterstellten Lehrer.

__ Abg. Freiherr von Richthofen: Meine Partei verkennt nicht die Bedeutung unserer höheren Lehrer, aber diese Schäßung hängt nicht ab von einer Differenz von 200, 300 (Zuruf links: 600), meinetwegen 600 46; und es wäre aus der ganzen Vorlage nichts geworden, wenn hier das Gute des Bessecen Feind hätte fein wollen.

Abg. Wetekamp (fr. Volksp.): Jch lege viel weniger Gewicht auf die absolute als auf die relative Höhe. Darauf nimmt die Regierungsvorlage keine Rückficht und läßt gar kein Syftem erkennen. Die Eltezn werden es sich ebt wohl überlegen, ihre Kinder Philo- Iogen werden zu lassen. Wo wollen Sie dann die Lehrer hernehmen ? Seit 50 Jahren ist den Lehrern die Gleichstellung mit den Richtern I. Instanz versprochen worden, und daß dieses Versprehen nicht ge- halten worden ist, hat verbittert. Die Richter und Verwaltungs- beamten sind zu einem großen Prozentsay mit fehr gut dotierten Nebenämtern bedaht. Das fällt bei den Lehrern fort. Die Unter- rihtéverwaltung beschränkt diese Nebeneinnahmen. Die Schröder'sche Broschüre, auf die gus der ganze Zorn der Richter ergossen hat, bringt über die Verhältnisse der Lehrer jehr beachtenswerthes Material, will- Fürlih sind ihze Zahlen nicht.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Der Herr Vorredner stellt die Sache so dar, als wenn ich das eigentlihe Hinderniß der Gleichstellung im Gehalt der Lehrer und Richter gewesen wäre. Dann kennt der Herr Vorredner die Vorverhandlungen nicht, die über diese Frage im Staats- Ministerium ftattgefunden haben; allerdings das gebe ih zu, er kann sie auch nicht kennen. Die Werthshäßung der einzelnen Beamten- klassen festzustellen, ist überhaupt nicht möglich. Ich glaube, wenn Sie die preúßishen Richter fragen, ob sie es für richtig hielten, ebenfo gestellt zu werden wie die Lehrer, wird ein großer Theil der Richter in dieser Beziehung der entgegengeseßten Ansicht sein.

Ich möchte auf diese Frage jeßt lieber niht eingehen; sie ift so viel diskutiert worden, daß ih das Haus niht mehr behelligen will. Jch kann bei dieser Gelegenheit nur nochmals darauf kinweisen, daß während der Zeit meines Ministerialdiensies die Lehrer, und zwar anderen Beamten voraus, um nicht wenïger als 38% erhöht sind innerhalb vier Jahren. (Hört! hört! rechts.) Nun ift das ja vollkommen be- rechtigt gewesen, denn ih babe immer anerkennen müssen, daß die Lehrer in ihren Gehalit säßen außerordentlih zurückgeblieben waren ; wir haben aber auch bei den Lebrergehältern immer cine besondere Rücksiht nehmen müssen, daß es sch hier keineswegs bloß um Staatsbeamte handelt, sondern im wesentlißhen um Gemeindebeamte. (Sehr richtig !) Wir haben für Städte und Gemeinden durch den Normal - Etat von 1892 schon sehr erheblihe Ausgaben bringen müssen, und die jeßige Erhöhung wird fehr vielen Gemeinden auch recht d1rückend werden. Diesen Gesichtspunkt möchte ih doch niht zu vergessen bitten. Daß wir kie bobe Bedeutung der höheren Lehrer für unfere ganze Volks- bildung und den Fortschritt auf allen Gebieten im vollen Maße würdigen und berücksihtigen, geht do wohl daraus hervor, daß wir in diefer kurzen Zeit 38 0/9 der Gehaltsverbefserung gegeben haben und die Bedenken haben fallen lassen, wel&en Druck wir damit auf die Gemeinden auzüben.

Nun ist ja vollkommen zutreffend, daß ein Minister sehr wenige Lebenserfahrungen hätte, wenn er für folchze Leistungen irgend einen Dank erwartete. (Heiterkeit.) Das hätte ih allerdingss aber nicht erwartet, daß in einem der angesehensten pädagogishen Blätter, in der „Päda- gogishen Wochenschrift“, die in Cassel herautkommt, mir eine unbe- zwinglihe Abneigung gegen den Lehrerstand vorgeworfen wird; das hätte ich allerdings gegenüber folhen Thatsachen niht erroartet. (Heiterkeit.)

Abg. St öcker: Es ist noch nit hervorgehoben, daß wir für die Erziebung unserer Nation Männer aus den beften Schichten des Volkes brauen. Darauf wirkt tas Gehalt ein, und wenn die Lehrer in ibrem Gehalt niht den anderen böheren Beamten gleich- Mey werden, so muß auch ihre Werths{ätung im Publikum finken. / : :

Abg. Freiherr von Richthofen: Das muß ih doch bestreiten. Für die Wahl des Berufs ist nichi immer das Gehalt des Vaters maßgebend, sondern die Veranlagung und andere Gesichtspunkte. Ich fann nur wiederholen, daß wir den Lehrerstand ebenso hoh säßen, wie Herr Stöcker und die anderen Herren. Man darf Richter und Lehrer nicht abshägen « nah der Statisiik über ihre frühere oder spätere Abnußzung. Das ist rein individuell.

Abg. Dr. Dittrich (Zentr.): Eine mögli®ste Annäherung, wenn niht Gleichstellung der Oberlehrer mit den Richtern wünschen wir au heute, stellen aber keine autfihtslosfen Aniräge.

Abg. Wetekamp: Die Härten der früheren Vorlage sind niht beseitigt worden. Die höheren Beamten find berüdcksihtigt worden, die Unterbeamten nicht. Es ist au% nit ritig, daß die Lehrer- gehälter allen anderen Beamten voraus erhöht worden sind. Es ift noch nicht lange her, daß die Lehrer wenigstens um Gleichstellung mit den Subalternbeamten der Justiz petitioniert haten.

Abg. Dr. Sattler: Herr Stêcker hat nichts Neues gesagt. Mein Freund Seyffardt hat {on vor Jahren ganz dasselbe gefagt. Die Gehälter der Lehrer sind zwar nicht entscheidend für die Schäßung der Lehrer im Publikum; aber sie spielen doch eine Rolle. Die Herren auf der Nehten haben ihr Jnieresse für die Lehrer beute zu erkennen gegeben. Schade nur, daß diese Erkenntniß so spät ge- kommen ist und an einer Stelle, wo an den Gehaltésäßen nichts mebr zu äadern ist. Jett kommen solhe Reden post festum.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Da die Frage einmal angeregt ist, möhte ih noch eine Thatsache erwähnen. Im Jahre 1872 legte tiz Regierung einen Entwurf vor, n dem die Gleichstellung vorges{Wlagen war. Und was geschah? Das Abgeordnetenhaus lehnte die Gleichstellung ab und ver- langte die Differenz von 300 4A Die Vorlage der Staats- regierung enthält nun ncch nit cinmal eine volle Differenz von 300 A Sie hat sih alîo ganz angeschlcssen an die Stellung des Hauses im Jahre 1872. Daraus geht wobl an besten hervor, daß man über die Frage, ob verschiedene Beamtenkategorion çanz gleich zu behandeln, sehr versdiedener Meinung fein kann, und daß es durchaus unangebracht ist, dabei stets von einer böberen oder geringeren Wurthschätung der verschiedenen Kategorien zu \pre@en. (Sehr richtig!)

Bezüglih der Honorarsäße für .die Professoren bemerkt : /

Abg. Dr. Virhow (fr. Volkép.): Jh möchte noch in leßter Stunde meine warnende Stimme gegen die Annahme dieser Bestim- mungen erheben. Genügendes Material hat die Negicrung bis jeßt nicht vorgebracht, und es ist ein ungewöhnli@es und unerhörtes Verfahren, daß man der Regierung die Ermächtigung ertheilt, das Gehaltsfystem der Professoren zu regeln „vorbehaltlich der Ausnahmen, die ihr nah Lage der Verhältnisse erforderlih erscheinen*. Ueber die dabei be- folgten Grundsäße sell dem Landtage nah zwei Jahren Mittheilung gemaht werden; wir follen also einen Beschluß fassen, der über die Dauer dieses Hauses noch hinausgeht. Es ist mir_ do zweifelhaft, ob es nôthig ist, gegen Schluß der Session, diese Sache auszutragen ; es wäre fein SHaden, wenn fie bis zur näclhsten Session vertagt würde, wo uns die Regierung besseres Material vorlegen könnte. Jch habe gar nichts dagegen, daß über die Höhe der Honorare ollgemeine Bestimmungen festgelegt werden; aber i bin dagegen, daß die Ver- la wi Sei Honorare dem Ermessen der Regierung anheim gegeben wird. as muß zu einer Demoralisatioa des Standes führen, und ih fürchte, daß auf dem Wege des materiellen Interesses die Freiheit des Unterrichts gesGädiat wird. Ich beantrage, alle auf die Kollegien- gelder bezüglichen Bestimmungen zu \treichen. :

_Abg. Dr. Dittrich (Zentr.) bestreitet, daß der Kommission nit genügendes Material zur Beurtheilung der Frage vorgelegen habe.

Abg. Dr. Virchow meint, daß die Zahlen, dic der Kommission vorgelegen hätten, theilweise nit ritig seien, und daß man leiht über die Sache hinweggegangen fei. i

Abg. Dr. Dittrich behauptet nochmals, daß die Kommission vollkommen informiert gewesen fei und nicht nur den Zahlen des Re- slernngs Som sars geglaubt, sondern auch privatim bei E efffsoren sich informiert babe. Viele Professoren seien mit den Kom- missionsbeschlüfsen einverstanden gewe|en.

Abg. Pr. Sattler bestreitet aleihfalls, daß die Kommission die Sachlage falsch beurtheilt habe. Herr Virchow sei durch den ihm nahestehenden Abg. Eblers nicht richtig über den Gang der Kom- missionseerhandlungen orientiert worden. Die Professoren hätten den Kommissionébeshlüssen zugestimmt wegen der Vortheile derselben, nicht etwa wegen der {nen Augen des Regierungskommissars,

Unter Ablehnung des Antrages Virchow bestätigt das Haus die Beschlüsse zweiter Lesung.

Der Etat des Finanz-Ministeriums wird mit der Be- foldungsvorlage unverändert genehmigt. :

Beim Etat der Bauverwaltung regt

Abg. Weibezahn (nl.) eine Besserft-llung der Deichvoigte an dankt ferner der Regierung für die Einstellung der Summe für die Verbesserung des Fahrwassers der Elbe bei Harburg. stei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer-

Et. .

Meine Herren! Ich glaube, es wäre formell rihtiger gewesen, die Frage der Persionsberehtigung der Deihvoigte niht beim Etat der Bauverwaltung, sondern bei dem der landwirths{aftlihen Ver- waltung zur Sprache zu bringen. Daß sie zur Sprache gebracht werden solle, ist mir erst heute während der Sizung mitgetheilt worden ; ih bin daher niÞ§t in der Lage gewesen, über die augenblidliche Lage dieser Frage mich genau zu orientieren. Jch be- dauere deshalb, daß ih eine genaue Auskunft auf die an mi gerichtete Frage zu ertheilen nicht in der Lage bin, um fo weniger, als auch der Dezernent in diesen Angelegenheiten heute hier nicht anwesend ift. Uebrigens ertheile ich die Zusicherung, daß die Frage wegen der Ges haltsaufbesserung und der Pensionierung der Deichvoigte forgfältig erwogen werden wird. Meines Wissens sind Erwägungen in der Richtung bereits eingeleitet.

Abg. Dr. Langerhans (fr. Volkêp.) bemängelt di sei Ansicht ungefeßlihe ee E / Soben G Le e R Bauerlaubnißsheine; die Stadt Berlin habe für den Bau- erlaubnißscein des einen Gatbebälterhauses in der Auasburgerstraße

3000 M an Gebühren bezahlt. Nedner beantragt die Streichung des Einnahmetitels ,Baupolizeigebühren“.

Der Antrag wird abgelehnt, der Etat der Bauverwaltung unverändert bewilligt.

“e Beim Etat der Handels- und Gewerbeverwaltung Ln

Abg. Kraw inkel (nl.) die Lage der Lebrer in den gewerblihen Fas{ulen in Köln zur Sprache, deren Befoldung ungenügend sei und binter den Gehältern derselben Lehrerkategorien in anderen Städten zurückbleibe. i

__ Wirkli{er Geheimer Ober-Regierungs-Rath Lüders erklärt, daß diese Lehrer {hon einmal cine Geßbaltsaufbesserung erhalten hätten, daß aber infolge der allgemeinen Beamtenaufbesserung au die Frage geprüft werden solle, ob diese Lehrer abermals eine Gehaltserhöhbung erhalten sollen. :

__ Abg. Busch (kons.) bedauert, daß in_der Provinz Brandenburg keine einzige Baugewerkes{Gule sei. Die Schulen in Berlin reichten nit aus für die ganze Provinz; jährlich müßten 1500 Schüler in Berlin von der Aufnaßme zurückgewiesen werden.

__ Gebeimer Regierungs-Rath Simon erwidert, daß die Re- gierung selbst davon überzeugt fei, daß die vorhandenen Schulen nit ausreichen, daß es in diesem Jahre jedo leider ncch nicht möglich ge- wesen sei, an die Errichtung einer neuen Schule zu denken, daß aber du Angelegenheit bcffentlih im nächsten Jahre werde gefördert werden önnen.

Abg. Gamp (fr. kons.) bringt die Bäkereiverordnung wieder zur Sprache und führt aus: Der Minister hat uns in einer früheren Sizzuna gesagt, daß die Ermittelungen in dieser Sache noch nicht ab- ges;lossen seien und er keine Mittheilung darüber machen könne. An demselben Taze machte aber der Staatssekretär von Boetticher im Reichs- tage ziemli umfangreihe Mittheilungen in dieser Sahe. Dana sagen einige Negierungs-Präsidenten in ihren Berichten, daß die Ver- ordnung neben anderen ungünstigen Folgen auch die Verhältnisje zwischen den Meistern und Arbeitern vershle@tert habe. Die Berichte geben ge- nügend Grund zu einer Reform der Bäckereiverordnung, und die Ne- gierung muß fo {nel wie möglich damit vorgehen. Jh bitte, wenigstens das zu thun, was der Staatssekretär von Boetticher hon als angängig bezeihnet hat, die Maximalarbeitswoche oder die Minimal- rubezeit einzuführen. Wenn manche Regierungs-Präsidenten sagen, daß die Bäcereiverordnung zu shweren wirthschaftlihen S&äden nicht geführt habe, so kommt es doch darauf an, was man unter schweren wirthschaftliGen Schäden versteht. Jch bitte den “val Minister, die Berichte der NRegierungs-Präsidenten zu veröffentlichen.

Minister für Handel und Gewerbe Brefeld:

Meine Herren! Ob und in welchen Punkten die Bäeretiverord- nung durch den Bundeërath einer Aenderung unterzogen werden wird, vermag ih für jeßt noch nicht zu sagen; daß aber die Beschlußfassung des Bundesraths darüber in kurzer Zeit herbeigesührt werden wird, fann mit Sicherheit in Aussiht genommen werden.

Was ferner die Mittheilung der Berichte der Regierungen an- geht, so haben ja diese Berichte insofern etwas niht unbedingt Zu- verlässiges für die Beurtheilung der Frage, als sie nah verhältniß- mäßig kurzer Zeit nah Erlaß der Bäckereiverordnung bereits erstattet worden sind. Es ist au) in den Berichten selbs bevorwortet, daß na der kurzen Zeit cin endgültiges Urtheil über diz Wirkungen der Bäckcreiverordnung mit Sicherbeit nicht gefällt werden kaxrn. Ob dieser Umstand etwa der Mittheilung der Berichte entzegenstehen wird, vermag ich nicht zu übersehen; persönliG würde ih von meinem Standpunkt aus gegen die Veröffentlihung ein Bedenken nicht haben. Jedenfalls würde, wie ih glaube, wean auch nicht eine vollständige Veröffentlihung der Berichte, do wenigstens die Veröffentlißung einer Zusammenstellung des Fnhalts derselben erfolgen können, sodaß man auf Grund dessen das Ergebniß der angestellten Erhebungen inhaltlih zu übersehen im stande sein würde. In diesem Sinne bin ich bereit, mi für eine dem Wunsche des Herrn Vorredners entsprechende Veröffentlihung bei tem Bundeë- rathe auszuspreen.

Beim Etat des Justiz-Ministeriums bedauert :

Abg. Dr. Edckels (nl.), daß der von der Justizverwaltung auf Grund des Antrags Wallbreht versprohene Geseßentwurf, betreffend die Rechte der Baußandwerker, noh nicht über die Vorstadien hinaus- gekommen sei. Die Justizverwaltung scheine jeyt daran zu denken, die Bestimmungen über den Realkredit zu ändern. Auch solle nur der Bauhandwerker oder Arbeiter geschüßt werden, der direkt mir dem Bauherrn zu thun hake.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren: Der Abg. Eckels hat bereits hingewiesen auf die Erklärungen, welche bezüglich des gegenwärtigen Standes der sogenannten Bauhandwerkerfrage ter Herr Staatssekretär des Reichs-Justizamts am 27. März kieses Jahres im Reichstage abgegeben hat. Jch dar] annehmen, daß diese Erklärung allen denjenigen Herren, die sich für diese Frage mehr interessizren, bekannt geworden ist, und glaube def- halb den Inhalt bier niht wiederholen zu sollen. Das, was der Aba- Edckels aus diefer Erklärung mitgetheilt hat, eatspriht vollkommen dem Sachyerhalt. /

Inzwischen hat sih die Sachlage in soweit geändert, als die damals noch nit vollständig abgeshlossenen Berathungen der Kom- mission, die sich mit der Ausarbeitung von Gesezentwürfen zur Ber feitigung der Mißstände im Baugewerbe gebildet hatte, einem Abschluß gelangt sind, daß fsolhe Gesegentwürfe im Justiz-Ministerium ausgearbeitet und mit einer eingehenden -

hegründenden Denkschrift dem Staats-Ministerium vorgelegt worden

sind. Das Staats-Ministerium ift bisher niht in der Lage gewesen, diesem Entwurf gegenüber Stellung zu nehmen. Bei dieser geschäft- lichen Lage glaube ih heute es mir versagen zu müssen, auf die ein- zelnen Punkte, die der Abg. Ekels angeregt hat, des näheren ein, zugehen. Niemand besser als der Abg. Eckels kennt die großen Schwierigkeiten, die einc befriedizende Lösung der hier in Rede stehenden Fragen mit sich bringt. Die eingehenden Berathungen der Just ¡kommission, als deren Berichterstatter Herr Abg. Eckels im vorigen Jahre thätig war, haben au jedem Mitglied des Hauses ein Uctheil darüber ermögliht, wie außerordentli groß die Schwierig- keiten sind, um deren Bewältigung und Beseitigung es fi hier ndelt. P Es ift allerdings früher der Standpunkt der preußishen Justiz- verwaltung gewesen, daß eine Verlegung des Nechts der Hypothekar- gläubiger dur eine Sicherstellung, durch eine Bevorzugung der Bau- handwerker grundsäßlih ausgeshlofsen sei. Eine nohmalige ein- gehende Prüfung der Frage hat jedoch auch die preußische Justiz- verwaltung zu dem Ergebniß geführt, daß dieser Standpunkt nicht unter allen Umständen aufrecht erhalten werden kann, und daß ein gewisser Einbruch in das bestehende Hypothekenrecht erforderli ift, wenn man den berechtigten Ansprüchen der Handwerker auf Schuß ihrer Forderungen einigermaßen Genüge leisten will. Der aufgestellte Gesezentwurf hat den Versuch gemacht, die Interessen der Hypot: ekar- gláubiger und die damit zusammenfallenden Interessen des Real- fredits zu vereinigen mit denjenigen der Bauhbandwerker. In welhem Umfange dieser Versuch gelungen ist, entzieht ih in diesem Augen- blick unserer Beurtheilung. Es würde das ein ganz genaues Ein- gehen auf die Einzelheiten des Entwurfs erfordern, wenn ih Sie in die Lage seten wollte, \sih selbst ein Urtheil zu bilden. Ich glaube, daß den Wünschen des Hauses es nit entsprechen würde, wenn ih darauf weiter eingehe.

Wiederholen will ich nun, um das nochmals zur allgemeinen Kenntniß zu bringen, daß die Vorlage des preußischen JFustiz- Ministeriums eine Lösung der Frage im Wege der Reichsgesetßgebung erftrebt mit der Maßgabe allerdings, daß die prakiishe Ausführung der Bestimmungen, die dieses Reichsgeseß bringen soll, der Landes- verwaltung bezw. Allerhöchster Berordnung vorbehalten bleibt für die- jenigen Orte und Bezirke, für die H ein Bedürfniß zu solWen Maß- regeln ergeben hat. Denn bekanntlich is dies Bedürfniß keineswegs überall hervorgetreten, am lebhaftesten in Preußen und hier wiederum ganz besonders in den großen Verkehrszentren, namentlih in Berkin.

Ein Geset, da3 eine unmittelbare Wirkung ausüben würde für das

gesammte Reich8gebiet, ist seitens der preußischen Justizverwaltung nicht beabsichtigt. Bei dem lebhaftesten Interesse, das die gesammte Staatsregierung dieser Frage zuwendet, halte ih die Erwartung für begründet, daß die Entschließungen der Staatsregierung auf diesem Gebiet mit möglichster Beschleunigung herbeigeführt werden, und daß dem nächsten Reichstage eine Vorlage gemackt werden kann, die den bered)tigten Wünschen der Interessenten entgegenzukommen bestrebt ist.

Abg. von Czarlinsfki (Pole) kommt auf den Erlaß der Marienwerder Regierung in der Sprachenfrage zurück und widerspricht der Meinung des Ministers, daß die Polen vor Gericht wider besseres Wissen die Kenntniß der deutschen Sprache leugneten. „Mächtig® fei nit gleihbedeutend mit „geläufig*, und die „Kenntniß“ einer Sprache bürge nit dafür, daß man mit gutem Gewissen eine Aus- sage beschwören könne. Redner führt eine Anzahl von Fällen an, in denen man Polen zum Zeugniß in deutscher Spracbe gezwungen habe. Ein Hütejunge sei von einem Ässessor in Haft genommen worden, weil er erklärt habe, nicht deuts sprechen zu könne. Später habe er jede Frage mit Ja beantwortet. Vom Landgeriht sei die Hinzuziehung eines Dolmetschers verfügt worden, weil man sich überzeugt babe, daß der Zeuge nit deuts sprechen könne. Das An- sehen des Nichterstandes habe {hon gelitten, auch nach dem Zuge- ständniß des Justiz-Ministers. Dieses Ansehen könne niht gewinnen, wenn zwei polnische Zeitungen verurtheilt würden aus ganz entgegen- gesegten Gründen. WVèan messe überhaupt gegen Deutsche und Polen mit zweierlei Maß; er verlange aber gleiches Licht und gleichen Sdatten. Reoner erinnert an das Vorgehen gegen den polnischen Redakteur in Graudenz.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! In den Ausführungen des Herrn Abg. von Czarliósfi habe ih den Nahweis vermißt, daß in irgend einem der von ihm vorgetragenen Fälle gegen die bestehenden Vorschriften von irgend einer betheiligten Behörde gefehlt worden sei. Schon des- wegen bin ih nit in der Lage, diejenigen Zusicherungen zu geben, die der Herr Abg. von Czarliúéki von mir erwartet und vz:rlangt hat.

Wenn ich im einzelnen auf seine Ausführungen erwidern foll, fo fann ih bezüglih des s{chon einmal im Reichstage vorgebrachten Rescripts des Ober-Landesgerichts-Präsidenten in Marienwerder nur wiederholen, was ich {hon dort erklärt habe, daß diese Zirkular- verfügung meine volle Billigung findet. Auch heute hat Herr von Czarlióski nicht vermoht, irgendwie darzulegen, daß die Ver- fügung mit einem Gesey in Widerspruch ftehe. Sie sagt weiter nihts, als daß die geseßlihe Vorschrift, wonach die Amtsf\prache bei allen Behöcden die deutshe Sprache ist, auch in den polnischen Gegenden gegenüber denjenigen polnischen Unterthanen zur Anwendung gebraht werden foŸ, die der deutshen Sprahe mächtig sind. Meine Herren, das is etwas so Selbstverständlihes, daß es eigentlich einer Einshärcfung dieser Bestimmung garnicht. bedurft bätte. Aber es war in vielfahen Berihten hervorgehoben worden, daß solhe Fälle vorkommen, sie sind auch hier im Land- tage erwähnt von verschiedenen Mitgliedern des Hauses wo Leute, die zweifellos die deutshe Sprache beherrschen, bei ihrem Erscheinen vor Gericht sih den Ansch:ia geben, als wären sie der Sprache niht mächtig und deshalb in polnischer Sprache vernommen zu werden verlangen. Diesem Ansinnen entgegenzutreten, ist die Pflicht der Behörden und dieser Mißbrauhß ih glaube, ich darf es fo nennen, wenn die Thatsache richtig ist, daß Polen, die die deutsche Sprae vollkommen beherrschen, es troß alledem ablehnen, \sich vor den Behörden in deutsher Sprahe auszudrücken dieser Mißbrauh ist auch eines derjenigen Agitations- mittel, mit denen in polnischen Landestheilen gearbeitet wird, und die davon betroffenen Personen, die deshalb zur Strafe gezogen werden, sind, glaube ih, in vielen Fällen Opfer derjenigen, . die hinter ihnen stehen. (Sehr richtig!) Die Justizverwaltung erkennt in demselben Maße, wie jeder andere Zweig der Staatsverwaltung ihre Ver- pflihtung an, der polnishen Agitation mit allen geseßlichen Mitteln entgegenzutreten. Zu diesen Mitteln gehört auch dasjenige, von welchem nah diesem Rescript Gebrauch gemacht werden soll. Wenn der Herr Abg. von Czarlinski erklärt hat, die Gerichte

seien garniht in der Lage zu prüfen und festzuftellen, ob jemand der deutshen Sprahe mächtig sei ja, meine Herren, das ist eine quaestio facti, wenn ih mich so aus- drüden darf; in vielen Fällen wird ih das Geriht begnügen müssen mit der Versicherung der Erschienenen, daf sie die deutshe Sprache nit genügend beberrshen, um sih darin in verantwortliher Weise au8zudrücken. In anderen Fällen wird das nicht der Fall fein, und nur in folhen zweifellosen Fällen wird das Gericht Strafmittel gegen die betheiligten Personen anwenden. Damit thut es einfach feine Pflicht. Ich kann hinzufügen, daß mir über irgend eine mißbräuch- lide Anwendung dieser Verfügung eine Beschwerde niht bekannt ge- worden ift.

Die Fälle, die Herr von Czarlinski anführte, die sh auf Privat- unterhaltungen \tüßten, oder auf Aeußerungen einzelner Personen, find mir vollständig unbekannt. Ebenso wenig kann ich auf den Fall eingeben des Knaben, der in erfter Instanz fih widerwillig in deutscher Sprache ausgedrückt haben foll und von dem in zweiter Instanz fest- gestellt sein soll, daß er thatsählich das Deutsche niht genügend ver- stehe. Wenn Herr von Czarlinski darüber Auskunft wünschte, dann hätte ih von ihm erwarten dürfen, daß er die Güte gehabt hätte, mir vorher Mittheilung zu mahen. Damit glaube ih den ersten Punkt erledigt zu haben.

Herr von Czarlinsfki ift dann weiter übergegangen zu allgemeinen Angriffen gegen die Justiz, gegen die Objektivität der Necht- \sprehung. Er hat stch veranlaßt gefunden, einen Auszug vorzulesen aus einer Rede, die Herr Gamp bei der ersten Lesung des Justiz- Etats gehalten hat. Wenn ih dem Beispiel folgen wollte, könnte ih vorlesen, was der Herr Finanz-Minister von Miquel und Mitglieder des Hauses hierauf geantwortet haben. Ih glaube aber niht, daß es heute am Plate ist, auf diese allgemeinen Angriffe einzugeben. Die einzelnen von dem Herrn Abgeordneten vorgetragenen Beweisfälle find mir wieder vollständig unbekannt, und insofern entzichen sie fich aud einer sachgemäßen Beurtheilung. Wenn ih aber den ersten Fall rihtig verstanden habe, fo handelte es sih darum, daß Jemand in fremdem Jagdgebiet die Jagd ausübte auf Grund eines in polnisher Spraße ausgestellten Erlaubnißscheines des Jagdberehtigten. Wenn hier das Gericht erklärt Lat, daß dieser Erlaubnißschein, weil er die Berechtigung zur Jagdausübung gegenüber der Polizeibehörde nahweifen solle, in deutsher Sprache ausgestellt sein müsse, da er sonst von den zuständigen Beamte: nicßt verstanden werden könne, fo liegt hier nicht cine Auslegung einer Bestim- mung des Jagd- Polizeigeseßes vor, in dem allerdings nicht steht, wie Herr von Czarlinski mit Recht hervorgehoben hat, daß diefer Erlaubniß- schein in deutsher Sprahe auszustellen wäre; es wird vielmehr éine Folgerung sein, die das Geriht gezogen hat aus dem Amtssprachen- gese. Ob diese Folgerung richtig ist, darüber habe ich nit zu urtheilen. Wenn dem Angeklagten die Auslegung nicht paßte, fo stand ihm ja das Nehtsmittel zur Verfügung, und vielleicht hat er davon Gebrau gemacht.

Dann hat Herr von Czarlinski angeführt, es seien in ähnlich liegenden Fällen von demselben Gericht * widersprechende Urtheile darüber gefällt worden, ob eine ftrafbare Beleidigung oder ein Fall des § 193, die Verfolgung berehtigter Interessen, vorliegt. Soweit ih da im einzelnen verstanden habe, lag es in dem einen Falle so, daß das Landgericht gebunden war an die Rechtsgrundsäte, die in dieser Sache dur das Reichsgericht aufgestellt waren. Nun sind be- fanntermaßen derartige Aussprüche des Reichsgerihts nur in dem gegebenen Fall bindend für cin Gericht, in andern Fällen hat das Landgericht die freie ‘Beurtheilung kann hier seiner: Ueberzeugung folgen. Ob die eine oder die andere Auslegung die richtige war, darüber fönnen wir hier nit urtheilen.

Dem legten Fall, den der Herr Abg. von Czarlinski erwähnt hat, habe ih niht genügend zu folgen vermoWt, um mi darüber äußern zu können, und ich kann es wiederholt nur bedauern, daß, wenn solche speziellen Beschwerden hier vorgebracht werden sollen, fie nit rehtzeitig zur Kenntniß gebracht werden, damit man in der Lage ist, sich darüber zu informieren.

Abg. Gerli ch (fr. kons.): Die dritte Lesung cignet sich kaum zur Erörterung solher Fragen. Ich wünschte, daß unsere Richtersprüche mehr aus dem praktishen Leben hergeleitet würden. Soweit stimme ih mit Herrn von Czarlinski überein. Jagderlaubnißscheine müssen in deutsher Sprache verfaßt werden. Ein Geistlicher hat verboten, daß strenggläubige Katholik-n an der Jahrhundertfeier eines fatho- lischen Seminars theilnahmen. (Witerspruch bei den Polen.) Dann nehme ih das zurückd. Jch würde mich nit weigern, der Fubiläumsfeier einer katholischen Kirche beizuwohnen. Seit dem Erlaß des Amtssprachengeseßes hat sih die Zahl der Fälle vermehrt, in denen man sich weigert, deuts auszusagen, troß des deutshen Unter- rihts. Die Leute wollen eben nicht deutsch sprechen, ich kenne das aus Erfahrung. Eine Frau wollte kein Deutsch verstehen; es mußte ein Dolmetscher zugezogen werden. Als die Verhandlung zu Ende war, \chickte ih einen Büten ins Kassenzimmer, und da stete es sih heraus, daß sie im fließendsten Deuts die Zeugengebühr verlangte. Die Stimmung ist den Leuten oktroyiert von ihren Geistlihen, und ich bitte den Minister, streng zu sein und in anderen Bezirken ebenso vorzugehen. : : : )

Abg. von Czarlinski: Also Spione {ickt Herr Gerlich den Leuten nah! Er spriht auch polnisch; würde er vor Gericht in polnischer Sprache ein Zeugniß ablegen ° Am meisten hat mi ge- wundert, daß der Justiz-Minister sich weigert, gegen diesen Chauvinis- mus vorzugehen, weil ih nihts bewiesen habe. Jch habe Beweise genug vorgebraht, daß man der polnishen Bevölkerung großes Un- recht thut. E ;

Beim Etat des Ministeriums des Jnnern bemerkt auf eine Anregung des Abg. von Riepenhausen (kons.) der

Minister des Jnnern Freiherr von der Nee:

Meine Herren! Ih bin dem Herrn Abg. von Riepenhaufen sehr dankbar für seine Ausführungen ; sie begegnen sich mit meinen Êntentionen. Ih habe bereits aus einigen Spezialfällen Kenntniß davon erhalten, daß in diesem Jahre die Termine nicht überall zweck- mäßig angeseßt worden sind. (Sehr richtig !) Ich habe bereits die erforderlichen Anordnungen getroffen und werde dafür sorgen, daß das nit wieder vorkommt. (Bravo!)

Abg. Cr s k den Minister um Echöhung der Bureau- kosten der Distrikts-Kommijjare. E i | E A Ober-Regierungs-Rath Dr. Lindig erklärt die Bereit- willigkeit der Regierung, berechtigten Wünschen RNecnung zu tragen. Abg. Meyer- Piemsloh (Zentr.) beschwert sich über die Beband- lung der A in seiner Heimath seitens der Behöcden. Ein Regierungs-Kommissar bemerkt: Es müsse der Willkür bei der Namengebung entgegengetreten werden, die die Führung der Akten ershwere und darin bestehe, daß der erste Sohn den Namen des Hofes und der zweite den des Vaters trage. Indessen würden Erwägungen angestellt werden, ob berechtigten Beschwerden abgeholfen werden könne.

Um 4 Uhr wird die weitere Berathung bis Dienstag 11 Uhr vertagt.

Statistik und Volkswirthschaft.

Arbeiterversicherung.

Vom Reichs - Versicherungsamt i} \oeben ein Leitfaden zur Arbeiterversiherung des Deutschen Reichs für die gestern eröffnete Brüsseler Weltaussteäung herauêgegeben worden, welcher für das Jahr 1895 interessante Zusammenstellungen über die Ergebnisse der deutshen Sozialgesezgebung enthält. Darnach betrug die Zak! der Lohnarbeiter bei einer damaligen Gesammtberölkerung von 52 Millionen 13 Millionen. Davon waren versihhert: gegen Krankheit 8 005 000, gegen Unfall 18 389 000, gegen Invalidität (und Alter) 11 585 000. Die Anzahl der auf Grund dieser Versicherungen entshädigten Personen betrug bis dahix: wegen Krankheit 2939 000, wegen Unfall 388 200, wegen Invalidität (und Alter) 347700. Die Gesammt- Einnahmen ergaben bis dahin: bei der Krankheitsversicherung 156 746 000 6 (darunter von Arbeitgebern 39 229 000 A und von Arbeitnehmern 89 231 000 A), bei der Unfällversiherung 88 936 700 4 (darunter von den Arbeitgebern 68 424000 4, von den Arbeitnehmern —), bei der Invaliditäts- und Altersversiherung 132 140 000 4 ein- \hließliz des Reichszuschusses (darunter von den Arbeitgebern 51 400 000 Æ, von den Arbeitnehmern 51 400 000 4). Die Aus- gaben summierten sih auf: bei Krankheit 148 437 000 4 (darunter 115 629 000 6 an gezahlten Entschädigungen und 6 987 000 Kosten der Verwaltung), bei Unfall 68 424 000 (6 (darunter Ent- \chädigungen 50125 800 A und 10372009 #4 Kosten der Ver- waltung), bei Invalidität 132 140 009 #6 (darunter Entschädigungen 42 920 000 6 und Kosten der Verwaltung 5 990 000 4). Der den geseßlihen Bestimmungen gemäß zur Sicherstellung der Entshädigungs- leistungen angesammelte Kapitalbestand betrug bei dec Krankheits- versicherung 132 662 000 Æ, bei der Unfallversicherung 143 400 000 M und bei der Versicherung gegen Invalidität und Alter 414 000 000 4 Die Entschädigungen gewährten den Versicherten im Durchschnitt für jeden Fall: bei der Krankenversiherung 39,3 #4, bei der Unfall- versicherung 129 # und bei der Versicherung gegen Invalidität und Alter 121 4 (einschließlich des Reichszushufses). Der durhschnitt- liche Kostenbetrag der Versißerung auf den Kopf der versicherten Personen ergab bei der Krankheitsversiherung 16 4, bei der Unfall- versicherung 3,7 46 und bei der Invaliditätsversiherung 10,3 4 Jn diejem Umfang umfaßte bis 1895 die reihêgeseßliche Versicherung ohne Unterschied der Nationalität Personen, welche in Deutschland ihre Arbeitskraft gegen Lohn verwerthen, und gewährte jedem Versicherten einen Nechtsaufpruch auf geseßlich bestimmte Unterstüßungen bei kosten- freiem Verfahren.

Zur Lage des ländlichen Handwerks.

Man hat oft behauptet, daß im Zeitalter dec Fabriken dem Hand- werk das Todesurtheil geschrieben sei. Die entschiedene Ueberlegenheit, welche die Großindustrie dem Kleinbetriebe gegenüber in so mancher Hinsicht zeigt, lege es nahe, zu glauben, daß die Tage des Handwerks gezählt seien. Die wirthshaftlißze Entwickelung führe uns aus einem primitiven Stadium, in dem der ganze Bedarf an gewerblichen Produkten zu Hause im Schoße der Familie erzeugt wurde, zu dem berufs8mäßigen Gewerbetreibenden, dem Handwerker, und von diesem seit eiwa dem 17. Jahrhundert zur Haudsindustrie, nachher zur Fabrik. Jn dieser sci das Ende gegeben. Sn Zukunft gehe die gesammte Erzeugung an Industrieartikeln nur in diesen ansehnlihen geschlossenen Etablissements vor sich, die Hunverte oder gar Tausende von Händen beschäftigen und die leicht erschóvpfte Menschenkraft durch nimmer ermüdende gewaltige Motoren und Maschinen unterstüßen, Wenn man die an dieser Stelle {hon mehrfah erwähnten, eine Fülle neuer Aufschlüsse und Ein- blie gewährenden „Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik über die Lage des Handwerks in Deutschland“ liest, gewinut man nicht den Eindruck, daß diese Ansicht zutreffend ist. Hat sih auch die bis- herige Entwickelung des Gewerbewesens in der angedeuteten Weise abge!‘vielt, ist es rihtig, daß heute nur noch der kleinste Theil unseres Bedarfs an gewerblichen Produkten zu Hause, eigentlich nur ncech in zurückyebliebenen Verhältnissen, hergestelt wird, fo folgt do daraus nicht, daß nun auh das Handwerk durch die neueste Betriebsform, die Fabrik, vollständig ersegt werden fann. Vielmehr muß man annehmen, daß ihr Neben- einanderbestehen, wie es die Gegenwart zeigt, noch* auf sehr lange binaus die Physiognomie des gewerblihen Lebens bilden wird. Denn jede dieser beiden Betriebsformen hat ihre eigenartigen Vorzüge, ver- wendet andere Arbeitskräfte, erfüllt bestimmte Anforderungen, sodaß fie sich in ihren Wirkungen gegenseitig ergänzen.

Namentlich in den kleinen Städten und auf dem platten Lande fann sich das Handwerk zumeist niht nur halten, sondern beruht auh auf ganz gesunder Grundlage. In dem soeben erschienenen neunten Bande der genannten „Untersuhungen des Ver- eins für Sozialpolitik" (Verlag von Duncker und Humboldt in Leipzig( giebt Dr. Martin Kriele auf Grund mündlicher Erkundigungen und eigener Beobachtungen eine Darstellung der Lage des ländlichen Handwerks in Niederschlesien, die als typish für viele Gegenden angesehen werden darf. Zur Be- schreibung sind die Fleischerei, die Sattlerei und die Shuhmawerei in dem ca. 2550 Einwohner zählenden, im Kreise Neumarkt nahe an der Grenze des Landkceises Breslau gelegenen Marktflecken Deutsch- Lisa und sämmtliche sechs Handwerkszweige (Stellmacherei, Zimmer- mannsarbeit, Shuhmacherei, Maurerarbeit, Schmiede, Windmühle) in dem ca. 220 Einwohner zählenden, 4 km westlich von Lissa ge- legenen Dorfe Kram pi herangezogen. Die Auswahl der Gewerbs- zroeige in Deutsch-Lissz hat, wie der Verfasser mittheilt, lediglich von der Zugänglichkeit der einzelnen Meister abgehangen. N

Fleishereibetriebe befinden si in e zur Zeit fünf, von denen zwei je zwei Gesellen und drei je einen solchen, ferner alle je einen Lehrling beschäftigen. Der Meister kauft die lebenden Thiere felten mehr als ein Stück auf einmal gegen Baarzahlung meistens in den benahbarten Dörfern ein; gelingt es ihm einmal nicht, seinen Bedarf ia der Umgegend zu deen, fo ist er darauf ange- wiesen, auf dem an jedem Montag und Donnerstag stattfindenden Viehmarkte in Breslau einzukaufen. Den Einzelverkauf des Fleisches im Laden an die Besißer größerer Güter, welhe meist nur monatlih oder vierteljährlih zahlen, unter Kreditierung der Geld- beträge besorgt stets die Frau, Tochter oder das Dienstmädchen des Meisters. Seit einigen Jahren klagen die Fleisher in Lissa über Verminderunz des Absaycs. Der Grund hierfür liegt in der Aenderung der Konkurrenzverhältnisse: Einmal s{chlachten jeßt au die Gastwirthe in den Wintermonaten (November bis Februar) alle 14 Tage oder allwöchentlih, ja auch zweimal in der Woche ein Schwein und liefern den Stammgästen Fleis und Wurst ins Haus, betreiben also während der Wintermonate die Fleischerei als Neben- ewerbe. Sodann macht sih immer mehr die Konkurrenz der eLand- fleisher* geltend, die sich in einigen Bere C DURE der Umgegend niedergelassen und niht nur zum theil den ländlihen Kundenkreis der Lissaer Meister, insbesondere die Kundschaft der kleinen Stellen- besißer und dec ländlichen Tagelöhner an sih gezogen haben, fondern auch in s selbst Absay zu finden suchen, indem sie auf den Wochenmärkten Fleisch zum Verkauf ausstellen. In Lissa be-

steht eine B A „Ihr einziger fruchtbringender Zweck le

ist darin zu finden, daß eine Versicherungsanstalt ist.“ Das íInnungsmitglied hat für jedes Schwein, welches es in seinem Betrieb chlahtet, 10 H an die Innungskasse zu entrichten und erhält, wenn ch bei der Besichtigung durch den Thierarzt oder den Fleishbeschauer erausftellt, daß das Thier Trichinen oder O hat, den EGinkaufs- werth desselben durch Zahlung aus der 7 nuungskasse erseßt. Mit dieser Versicherungsanfstalt sind die Mitglieder ret zufrieden. Es gehören der Innung nicht nur die Meister in Lissa und den Dörfern