1897 / 112 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 13 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

E e r L T I

E dru rene

angacfübrten Thaisaien scheint -mir alles Andere eber sich folgern zu lassen, als die Nothwendigkeit der BETheIung der betreffenden Sr bu. Paragraphen. Wenn die Majestätsbeleidigungen sich vermehren, so müssen die Strafen nicht ausgebeen, sondern verschärft werden. Daß die Denunziationen jegt sehr im Schwange sind, beklage ih ebenfalls; aber daraus folgt nicht die Aufhebung der Strafen. Man mêëge falshe Denunziationen strenge bestrafen oder kein Gewicht darauf Tegen. Herr Bebel hat das Recht in Anspruch genommen, auf angebli verleßende Aeußerungen von hoher Stelle ¿zu antworten; aber ift dazu eine Majestätsbeleidigung nothwendig? Der Mannesftolz vor Königs- thronen bewährt sich nicht in Majestätsbeleidigungen. Es ließe darüber reden, ob niht eine Genehmigung zur Erhebung von An- Tagen nothwendig wäre. Aber dieser Gedanke steht nit zur Verhand- Iung, denn es wird die Aufhebung der Strafbestimmungen verlangt. Auf diesen Vorschlag werden wir nit cingehen, auch niht einer E rang zustimmen, sondern den Antrag ohne weiteres nen.

Abg. Dr. Friedberg (nl.): Der Antrag, wie er liegt, ist für uns unannehmbar. Im monarhischen Staat nimmt der Fürst eine bevorrechtigte Stellung ein. Wenn Herr Bebel zu anderen An- schauungen gekommen ift, so liegt das daran, daß er von einem republifanisen Standpunkt ausgegangen ift. In der Republik kann das aus einer Wahl hervorgegangene Staatsoberhaupt keine Aus- nahmestellung einnehmen. Ih möhte mich dafür erklären, daß bei Einleitung der Prozesse die strafrehtliche Genehmigung einer höheren Instanz als maßgebend erachtet wird. Ih La es ist bei solchen Klagen nicht ganz gleichgültig, mit welher Wirkung das Vergehen vor fich gegangen ist, ob die majestätsbeleidigenden Aeußerungen vor einem größeren oder einem kleineren Publikum gefallen sind. Wir sehen leider häufig, daß ganz vertrauliche E nah Jahren zum Gegenstand der Anzeige gemacht worden find. Es muß darauf gesehen werden, ob der Beleidiger die Tendenz hatte, feiner is aps eine gewisse Publizität zu geben. Sollte uns ein Geseßentwurf vor- gelegt werden, der solhe reformatorischen Gedanken zum Ausdruck bringt, so werden meine Freunde sich an der Berathung betheiligen. Aus einer kommissarischen Berathung kann bei der gegenwärtigen Geschäfts- lage nichts mehr herauskommen, zumal die Kommission erst die Grundlage für ihre Verhandlungen schaffen muß.

Abg. Mun dckel (fr. Volksp.): Wenn die gegenwärtigen Zustände ge werden, und wenn dazu eine Berechtigung vorliegt, so hätte der

eihstag aus dem Grunde, weil er in die Ferien zu gehen wünscht, nicht herzuleiten, daß eine Kommissionsberathung nit mehr stattfinden foll. Durch Einsetzung einer Kommission würde der Reichstag bekunden, daß er eine Veränderung wüns, daran würden au die verbündeten Regierungen den Willen des Reichstages, daß cine Revision stattfinden soll, erkennen. Der echte Mann verletzt die Geseße nicht: darin hat Hexr von Leveßow Necht; ih werde ihn daran erinnern, wenn wieder einmal von den Duellen die Nede i. Wenn für die Majestätsbeleidigungen die Gnade in ungewöhnlihem Maße in Anspruch genommen wird, so if das kein Beweis für ein gutes Geseßz. Strafgesez2 hebt man nicht auf, son- dern beschränkt sie, wenn sie in immer höherem Grade mißbraucht werden. Daß ein solcher Mißbrav existiert , habe ich nachzuweisen nit nöthig. Es muß ein Weg çefunden weden, um diefen Miß- brau zu beseitigen. Herr Lieber will den Antrag ablehnen, weil die Deduktionen des Herrn Bebel allzusehr ab irato zu sein shienen.

- Sollte diese Ablehnung nicht ab irato dba v Für eine sa-

lie Beurtheilung sind mir falsche Gründe ne ensählih; diese weise ih zurück. Die Majestätsbeleidigungen werden niht ganz besei- tigt; es werden nur die ungeraden Paragraphen beseitigt, die geraden bleiben bestehen, und die Fürstlihen Persönlichkeiten würden als Menschen immer noch ges{chüßt sein; sie würden nur Strafanträge stellen müssen. Der Reichstag hat von seinem Strafantraasreht wegen Beleidigungen niemals Gebrauch gemacht. Im Interefse der Würde der Krone liegen die Majestätsbeleidigungsprozesse nicht. Außerordentlihe Umstände, also z. B. eine Provokation, müßten jedenfalls zur Strafmilderung beitragen. Jch bin kein Anhänger des § 193 des Str.-G.-B.; er ift kein ftiliftisGes, juristisches oder grammatisches Meisterwerk. Was man si dabei denken fann, darüber fo die Gelehrten nicht einig. In der Anregung des Abg. Richter sehe ih den Weg, der zu einem erträglien Ziele führen Fönnte, weil dabei die Strafe nur da ¿ur Vollstreckung kommen würde, wo sie wirkli) geboten ift.

Abg. Dr. Förster - Neustettin (Reformp.): Der Antrag ift für uns unannehmbar; aber die Begründung des Herrn Bebel hat er- wiesen, daß wir es mit einem Nothstand zu thun haben. Die Be- gründung war garniht nothwendig, denn JIeter, der die Gerichts- entsheidungen verfolgt hat, weiß, wie die Sachen liegen. Aber des- wegen fönnen wir nicht das Kind mit dem Bade ausshütten. Die Entscheidungen der Gerichte sind allerdings fehr seltsamer Art und vertragen die öffentliche Kritik nit.

Abg. Werner (Reformp.): Majestätsbeleidigungs-Prozefse werden vielfa ohne triftigen Grund eingeleitet und kosten dem Staat viel Geld, Wir wollen auch den Schuß des Monarchen, halten aber cine Genehmigung für folhe Prozesse für nothwendig.

Das Swlußwort als Antragsteller erhält

Abg. Liebknecht (Soz.), der dem Abg. Dr. Lieber gegenüber be- merkt, daß der Antrag nicht ab irato gestellt sei, denn er sei {on 14 Jahre alt. Die Majestätsbeleidigung, fährt Nedner fort, ist keine Einrichtung des deutschen, sondern des römischen Rehts. Die Strafen wurden immer mehr verschärft, je mehr das Ansehen des Kaisers sank. Die parlamentarische Sitte, die Person des Monarchen nicht in die Debatte zu ziehen, besteht allerdings in England, aber nur, weil der Monarch über den Parteien steht und sich auch persönlich nicht einmisht. Wenn der Reichstag den ihm angebotenen Kampf an- nebmen will, dann muß die Geshäftsordnung geändert, und dann müssen die Bestimmungen des Strafgeseßbuches aufgehoben werden, damit die öffentliche Diskussion freigestellt wird.

Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der deutschen Volkspartei und der beiden freisinnigen Gruppen wird die Ueberweisung des Antrags an eine Kommission abgelehnt.

Schluß gegen 6 Uhr. Nächste Sizung Montag, 17. Mai, 1 Uhr. Lee Berathung der Vorlagen, betreffend den Servistarif und die Besoldungsverbesserung, sowie die beiden Nachtrags-Etats.)

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 82, Sißung vom 12. Mai 1897.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Gesezentwurfs, betreffend dieErweiterungdesStaats- Eisenbahnneßzes und die Betheiligung des Staats an dem Bau von Kleinbahnen sowie an der Errichtung von landwirthschaftlihen Getreidelagerhäusern.

og den ersten Theil der Debatte is gestern berichtet worden.

Abg. Schmieding (nl.): Die ausgeworfene Summe für Bahnen fieht ja ret stattlich aus. Bei unferer günstigen Finanzlage hat sie mich aber do einigermaßen enttäusht, sie beträgt nur 19/0 unserer Eisenbahnausgaben. Ich wünschte, daß das Tempo des Baues folcher Sekundärbahnen beschleunigt und au der ärmere Westen etwas mehr bedaht würde, namentlich das Siegerland. Den Interessenten ist gestattet, statt der Hergabe des Grundes und Bodens einen bestimmten Geldbeitrag zu leisten, wodur sie in der Lage sind, die Höhe ihrer Leistung zu übersehen. Die Verhandlungen übér die Hergabe des Grundes und Bodens sind in den meisten Fällen höchst unerquickli. Wo allgemeine Verkehrsinteressen in Frage kommen, sollte man die Gemeinden zur unentgeltlihen Hergabe nicht zwingen. Wünschens- werth wäre auch der Bau einer Bahn von Mölln nach Wandsbeck, die leider von der Regierung bis jeßt abgelehnt ift.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ih kann niht anerkennen, daß in meinem Ressort in der Angelegenheit irgendwie inkorrekt verfahren sei. Es ist von vornherein erklärt worden, daß die Bahn eine solche sei, die eine allgemeine Bedeutung für den Verkehr habe; infolge dessen fällt sie außerhalb des Rahmens der Kleinbahnen, und es entspriht dem Geseß von 1892 über die Kleinbahnen vollständig, wenn eine solche außerhalb des Rahmens der Kleinbahnen fallende Linie nit die Konzession als Kleinbahn erbält. Im übrigen is im Kleinbahnen- geseß vorgesehen, daß, wenn die betreffenden Unternehmer sich dur die getroffene Entscheidung beschwert fühlen, fie noch einen Rekurs an das Staats-Ministerium haben. Dieser Rekurs ift bisher nicht eingelegt worden.

Fch kann aber auch nicht anerkennen, daß die Staatsregierung inkonsequent gewesen is in Bezug auf die Frage: ob Staatsbahn oder Privatbahn. Es ist ursprünglich die Absicht gewesen seitens des Staats, die Bahn zu bauen ; wenigstens war das im ersten Stadium, wo die Verhandlungen über die Bahn begannen, der Fall. Nachher hat man ih überzeugt, daß diefe Bahn den Privatunternehmern über- lassen werden kann, und es ift infolge dessen und da in absfehbarer Zeit eine Aussicht nicht vorhanden war, daß der Staat die Bahn bauen würde, die Bahn den Privatunternehmern freigegeben worden. Damit ift das gesheben, was der Herr Abg. Schmieding ja selbft als das Richtige hingestellt hat. Gleihwohl kann er niht begreifen, daß ein Privatunternehmer in diesem Falle zugelassen werden foll, es soll vielmehr der Staat die Bahn aus dem Grunde bauen, weil ein allgemeines Verkehrsbedürfaiß dur sie befriedigt wird. Ih will auch nit auf die Ofterfelder Bahn kommen, aber das \cheint mir doch ein Widerspruch in der Auffassung des Herrn Shmieding zu fein, wenn er diese Bahn, von der er behauptet, daß sie eine große Bedeu- tung für den allgemeinen Verkehr hätte, dem Privatunternehmer frei- gegeben wifsen will.

Der Herr Abg. Schmieding hat dann noch eine Frage von allge- meiner Bedeutung angeregt, und zwar die Heranziehung der Inter- essenten zum Grund und Boden. Meines Erachtens hat er sh auch da im. Widerspru bewegt; er hat es nicht für rihtig erahtet, daß bezüglih einer Bahn, die von vorn- hierein Aussiht auf eine Rente biete, von den Interessenten ein Bei- trag zu den Baukosten in Form der Freistellung des Grunderwerbs gezahlt werde. Er sagt: in diesem Fall bedarf es ja keiner Sub- vention; der Staat kommt, wenn er den Grunderwerb ebenfalls be- zahlt, doch auf feine Kosten. Der Herr Abgeordnete vergißt aber, daß die Beretnung der Rente doch immerhin in den meisten Fällen eine unsihere Schäßung und daß sie unter der Voraussetzung erfolgt ist, daß die Interessenten den Grund und Boden dazu hergeben. Er sagt dann ferner: Ja, aber die Kreise, die in übler Lage sind, die wirthscaftliz S{hwachen dürfen erst recht nichts hergeben ; denn denen fällt es zu wer; er erkennt andererseits dankbar an, daß in einzelnen solhen Fällen seitens der Staatsregierung ein Zushuß zu den Grund- erwerbskoften gegeben worden ift.

Meine Herren, ih glaube, ganz abgesehen von dieser Frage, würde es mit dem Grundsatz der Billigkeit niht übereinstimmen, jeßt von dem seit langen Jahren innegehaltenen Prinzip, bei den betreffenden Bahnen die Interessenten in Form der Freistellung des Grunderwerbs beranzuziehen, abzuweihen und für die betreffenden Bahnen, die man jeßt noch baut, die Kosten des Grunderwerbs voll auf den Staat zu übernehmen. Die bekannten Erwägungen, die damals dazu geführt haben, die Interessenten ‘in dieser Form zu den Baukosten heranzuziehen und die ih bier niht wiederholen will, gelten meines Erahtens heutzutage noch in vollem Umfange, und die Staatsregierung kann fich daher nit bereit erflären, von diesem Prinzip abzuweihen. Sie hat sich hon in mancher Beziehung entgegenkommend bewiesen, die der Herr Abg. Schmieding anerkannt hat: dadur, daß sie es den Interessenten freigestellt hat, entweder ih mit einer Paushalsumme loszukaufen oder aber den Grund und Boden in natura herzugeben und dadur, daß sie den Umfang der Leistungen thunlichst beschränkt hat. Nun gebe ih vollständig'zu, namentli dem Herrn Abg. von Kölichen, der ja diese Frage au bereits angeschnitten hat, daß die geforderte Pauschalsumme manchem der Interessenten shreckhaft hoch vorkommt. Die Interessenten berüdsihtigen dabei aber nicht, daß fie mit der Zahlung dieser Pauschalsumme all und jeden Nisikos entledigt sind, und daß das Risiko vom Staate übernommen wird und bei ihm viel hößer an- wächst als bei den Kreifcn u. f. w. und daß leßtere allen Gefahren, auch nah der landeêpolizeilihen Prüfung, nahzder Betriebseröffnurg noch zu den Kosten herangezogen zu werden, entgehen, die sih im ersten Moment überhaupt noch nit feststellen lassen.

Andererseits darf ich wobl hier anführen, daß die Direkiicnen von meiner Seite angewiesen werden, diese Nachforderungea soweit als irgend thunlich zu beshränken, wenn nicht ganz besondere Ver- hältnisse vorliegen, namentliGß nicht ohne dungende Ver- anlafsung mit Nackthforderungen an die betreffenden Interessenten beranzutreten, wenn s{chon lange Jahre seit der Betriebs- eröffnung vergangen; es wird sch das in den meisten Fällen beschränken lafsen auf ein Jahr nah der Betriebseröffnung. Mit der Betriebseröffnung die Beschränkung eintreten zu lassen ift darum unmöglich, weil das Bedürfniß bäufiz erst nach der Betriebs- eröffnung erkennbar wird. Ih würde auch in Zukanft darauf bedacht sein, daß in der Beziehung keine exorbitanten Forderungen an die Kreise geftellt werden; aber ganz und gar den Grunderwerb auf Staatskosten zu übernehmen dagegen muß ich mich entschieden aussprechen.

Abg. Msller (nl.): Ein Verzicht auf die Beiträge würde die Ansprüche der Interessenten ins Ungemessene steigern. Weitere Er- leihterungen müssen aber gewährt werden in den Fällen, wo die zu erwartende Rente aller Wahrscheinlichkeit nah eine sehr gute ift und wo die Bahn im allgemeinen Interesse gebaut wird. Ein unerfreulicher E ist es au, daß wichtige Bahnen nicht gebaut werden, weil

ch der Staat nit ents{hließt, Privaten die Konzession verweigert oder sie auf Jahre hinausschiebt. Die Ausführung {on bewilligter Bahnen müßte in \{nellerem Tempo vorgenommen werden. Es müßte eine gewisse Mittellinie innegehalten und namentlich in den nächsten Jahren \{hneller gebaut werden, wo ein ftärkerer wirtb\{aftlicher ide G, zu erwarten is. Redner empfiehlt eine Linie im Fürsten-

Abg. Bode (konf\.) befürwortet den Bau der schon feit Jahren verlangten, von Ebershausen ausgehenden Nebenlinie der Werrabahn. Es sei \schade, daß ein fo {ner und fruhtbarer Landstrich vollftändig unaufgeschlofsen sei.

Abg. Gamp (fr. kons.): Ih bin durchaus anderer Meinung als die Abgg. Möller und Shmieding. Wenn man deren Wünsche erfüllen wollte, f könnte das dahin führen, daß man im Westen, wo sich die Bahnen leiht rentieren, die Interessentenbeiträge erläßt , den ärmeren

Often aber nah wie vor dazu beranzieht. Dagegen ist der Wuns Z

berechtigt, daß die großen Städte zu neuen Bahnÿofsbauten heran, gezogen werden. Einmal beschlossene Bahnen müssen ohne Rücksit darauf, ob Arbeitermangel vorhanden is oder nicht, as [Quell wie möglich ausgeführt werden, wenigstens soweit es fih um Mèeliorations, bahnen handelt. Die Landwirthschaft ift in einzelnen Distrikten dur aus niht so gut daran, wie die Herren Nationalliberalen glauben machen wollen. Es muß die Verzinsung des Baukapitals erspart werden. Was den Bau der Linie Callies— Falkenburg anbelangt, sg wünsche ih, daß sie möglih|t an Märkish-Friedland berangebaut wird. Will der Staat den Bau der Linie Schlobitten—Gerdauen nit selbs ausführen, so möge er es den Privaten gestatten. Bej der Ausführung des Expropriationsgeseßes sollte man milder ver, fahren. Es werden jeßt unangemefsene Forderungen von einzelnen Be, hörden gestellt. Dur die hohen Beitragskosten sind manche Kreise verhindert, nothwendige Vizinalwege zu bauen. Es müssen in dieser Beziehung bestimmte Grundsäße aufgeftelt werden. Ich empfehk- diese Sache der Prüfung der Kommission. ;

Abg. Gerlich (fr. konf.) : Manche Kreise haben von den Eifen- babnen fast gar keinen Nußen und werden doch zu den Koften heran- gezogen, andere bezahlen keinen Pfennig und haben* von der Bahn die gréßten Vortheile. Es herrschen hier die größten Ungleichheiten. Die Expropriation des Grundes und Bodens seitens der Kreise könnte da- durch erleihtert werden, daß der Staat dem Kreise eine Pauschalsumme giebt und es ihm überläßt, den Boden felbst zu enteignen und even- tuell etwas zuzulegen. Das jezige Exrpropriationsgeseß muß geändezt werden. Redner wünscht ferner den Bau einer Linie Schöneck— Stargard—Mewe— Marienwerder unter Beiseitelafsung von Skurz.

e Horn (nl.) befürwortet den Bau der Strecke Oker—

rzburg.

Abg. Cahensly (Zentr.) empfiehlt Berücksichtigung des nafsaui Bezirks durch eine Weiterwaldquerbahn. E ries

_ Abg. Dr. Dünkelberg (nl.) wüns{cht einen weiteren Ausbau der di b ü

__ Abg. Freiherr von Eynatten (Zentr.) vermißt immer noch cine Linie Lindern—Jülich, deren Ausbau der Minister den E nehmern nicht freigegeben habe.

_ Abg. von Detten (Zentr.) verlangt mehrere Bahnen im Siegerlande.

Abg. Riesch (fr. kenf.) wünscht, daß der östliGe Theil des Kreises Frankenberg im Begierungsbezirk Cafsel durch eine Bahn auf- geschlossen werde. :

Abg. Krawinkel (n[.) beklagt ebenfalls die starke Heranziehung der Kreise, die viel shle{ter fortfämen, als die großen Städte, und hâtte gewünscht, daß die Vorlage mit Rücksicht auf die günstige Finanzlage und die bedeutenden Uebersüsse der Staatsbahnen etwas umfangreicher ausgefallen wäre. Anzuerkenuen sei, daß die Vorlage N : ge Plamnen Bangende S R iD, R H Er bitte dea

inister um Berücksichtigung der ünshe binsihtliß einer Babn Bergisch-Neustadt—Olpe und im Kreise Waldbroel. )

Ab. Thieß (nl.) bittet um die Auffhließung des Allerthales und Berücksichtigung der Stadt Celle dur eine Linie Verden— In eit Qt

g. von Wernsdorff (konf.) empfiehlt den Bau der Linie Strasburg i. Pr.—Pr.-Eylau. N : __ Abg. Pauly (Zentr.) bittet um eine größere Berüksichtigung der S a ) i F g. Gor ke (Zentr.) wünscht die Fortführung der Linie Kosel— Poln.-Neukirch über Bauerwiy nach der österreichischen Ade

Minister der öffentlichen Arbeiten Thielen :

Ich möchte auf die Anfrage des Herrn Vorredners mir gestatten dahin zu antworten, daß die von ihm angeregte Bahnverbindungen bis in die jüngste Zeit Gegenstand der Erörterung mit den Provinzial: behörden gewesen find. Die Verhandlungen sind zur Zeit dahin ge dieben, daß in allerkürzefter Frist eine Entscheidung getroffen werden kann. Hoffentlih wird dieselbe den Wünschen des Herrn Vorredner entsprechen.

__Abg. von Christen (fr. konf.) befürwortet den Bau der Linie Eschwe e—Wanfried—Eisenah. Die Verkehrspolitik müsse nit nur die großen Städte berücksichtigen, sondern au das platte Land, damit die arbeitende Bevölkerung veranlaßt werde, sich auf dem Lande cin Heim zu schaffen.

Ministerial-Direktor Dr. Mike erwidert, daß andere Wünsche der Interessenten diese Angelegenheit verzögert hätten, die Regierung jest aber dieses Projekt für richtig halte und nur noch die Zu itimmung der Großherzoglich sähsishen Regierung ausftehe.

Abg. Hornig (konf.) befürwortet den Bau einer Linie ReisiŸt— Haynau—Goldberg.

__ Abg. Graf Nostiß (konf.) wünscht den Bau einer Linie von Greifenbera am Queis nah der Landesgrenze.

Abg. Conrad- Graudenz (fr. kons.) empfiehlt die Weiterführung der Linie Kulm—Kulmsee nah Melno und fragt an, wann die Linie Fablonowo—Lessen werde gebaut werden.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Ih nehme an, daß der Ausbau der Babn Riesenburg—JIablonowo jedenfalls noch in diesem Jaßre und hoffent- li in kurzer Frist wird erfolgen können. Es waren manerlei Schwierigkeiten zu überwinden; soweit ih es in diesem Moment über- seben kann, sind diese aber zum größten Theil überwunden, und wird mit der Ausschreibung der Erdarbeiten begonnen werden kênnen.

Was die einzelnen Projekte anbetrifft, die der Herr Vorredner angeregt hat, so kann ich mi auf bicselben hier im einzelnen nit einlassen; ich kann nur bei der Gelegenheit die Bemerkung nit unterdrücken, daß der Staatsregierung ter Ausbau der Eisenbahnen in der Provinz Westpreußen nicht eben dadurch erlei&tert wird, daf die Provinz in ihren Selbstverwaltungëorganen anscheinend bis in die leßte Zeit keinen großen Werth auf den Auébau von Kleinbahnen in der Provinz gelegt hat. (Hört! hört!) Erst neuerdings hat sich di? Provinz Westpreußen dazu entshließen können, 20 090 4 jährli ar- zusammeln, um die demnächstige Unterstüßung von Kleinbahnen damit zu kewirken.

Abg. Lucius (fr. kor.) wünscht bessere Schnellzugsverbindungen auf den preußischen Bahnen durch Thüringen im Interesse des intere nationalen Verkehrs nah dem Süden.

Abg. von Luck - Streblen (konf.) bes@wert ich darüber, daß der Bahndamm der Linie Strehlen—Nimptsch Wasserstauungen veranlaf!, die hon einmal zu einer Katastrophe geführt hätten. Beschwerden bei den Behörden hätten nichts gefruhtet; es seien tehnishe Fehler gematt worden, die Sache werde aber vertuscht, und die Eisenbab?-

erwaltung weise alle Schuld von sich. Der Pächter des Dominium, ein geborener Bayer, der am meiften zu leiden habe, sei erstaunt darüber, wie es in unserem Rechtéstaat zugehe. : 5 7

Ministerial-Direktor Dr. Micke weist die Vorwürfe gegen die Behörden zurück; es sei kein tehnishes Versehen begangen worde, und die Aenderung der Vorfluthsverhältnifse bei Nimptsch sei nad den sahverständigen Gutachten von der Landespolizeibehörde gestatt? worden. In einer Nat sei ein Wolkenbruh ReDergegang alio ein nit vorherzuseßendes Naturereigniß, und da habe a erdings dit Wassermasse nit genügenden Abfluß gehabt. Deshalb fei etne Ér- weiterung des Wasserdurchlasses von 10 m in Aussicht genomm und in nächster Zeit werde Abhilfe geschaffen werden. Eine eminentt Gefahr habe aber überhaupt nicht vorgelegen. io

Abg. von Eisenhart-Nothe (kons.) wünscht Bahnbauten ! Kreise Regenwalde, namentli einz Linie Regenwalde—Labe®.

Um 41/4 Uhr vertagt das Haus die weitere Berathun3

auf Donnerstag 11 Uhr.

Statistik und Volkswirthschaft.

Nrbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen.

Die Zentra lerie für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichs- tungen châftigte si in ibrer diesjährigen Konferenz zu Franfk- furt a. M. am 19. und 11. d. M. vornehmlich mit zwei Fragen: der kommunalen Wohlfahrtspflege und der Errichtung von Nolksheilstätten für Lungenkranke. Der Referent über das erste Thema, Stadtrath Dr. Flesch - Frankfurt, hat seine Anschauungen in einer Schrift niedergelegt, die den ge- druckten „Vorberihten“ der Zentralstelle beigegeben ist (er- schienen in Karl Heymann's Verlag, Berlin). Nah Erörterung der Gründe der mangelnden Popularität vieler Wohlfahrtseinrich- tungen befürwortete der Redner, wie wir der „Frankf. Ztg.“ entnehmen, daß zunächst die Gemeinden mit praktishen Versuchen auf diesem Gebiete zu beginnen Lâtten. Die Woblfahrtseinrihtungen sollten ein eigenes Verwaltungsgebiet der Städte bilden. g Be- shränkungen sorge hon die nothwendige faatlihe Ausächt, die Kompetenzgrenze in hygienisch - polizeilihen Fragen und der Um- ftand, pon die wachsende deutshe Bevölkerung den Gemeinde- beamten foviel natürlich gesteigerte Ressortthätigkeit bereite, daß nur wenig Zeit übrig bleibe. Auch der Kostenpunkt gebe zu erwägen, daß Steuerfräftige niht verdrängt, Steuershwache nicht übermäßig heran- gezogen würden, weil andernfalls gedrückte Löhne und vermehrte Armenlasten die Folge wären. Die Ecweiterung und Nutbar- machung des städtischen Grundbesißes werde deshalb immer eine Hauptrolle in der Frage fpielen. Danebenber gebe die Einwirkung auf den Widerstreit der Interessen, die Zugänglichmahung der Bildungsgelegenheiten 2. In diesen Richtungen wirkten Arbeitsnachweis , Auskunfts\stellen, Er- gäzzungen der nothwendiger- und berechtigterweise niht allzu aus- edehnten Armenpflege, Nekonvaleécentenpflege, billige und gute kleine Wohnungen, Kinderhorte, Fericnkolonien 2c. Die Stellung der Stadt als Arbeitgeberin sei bisher in der Praxis noch nit genug beachtct worden; es seien nicht nur ihre direkten Arbeiter, um die es sih dabei handele, sondern auch die für tädtishe Institute mittelbar angestellten Arbeiter. Das Gescy über die Eisenbahn-Handarbeiter biete einen Präzedenzfall in dieser Richtung; es betreffe auch die von Unternehmern für die Bahn beschäftigten Arbeiter. Auf allen Verwaltung8gebieten könne die Gemeinde sich in diesem Sinne bethätigen : in der Bauverwaltung durh Beamtenwobnungen und Begünstigung der Baugesellschaften, wie dur Anlage von Straßen; im Schulwesen durch Lieferung von Lehrmitteln und Frübstück an die Kinder, durch Fortbildungsschulen, Nolksvorträge und Lesehallen. Semit wäre eine besondere Stelle in der fommunalen Organisation zu empfehlen; soziale Ab- theilungen bei den Stadtbehörden beständen {on in Köln, Krefeld und Rkeydt. Man könne anknüpfen an_ die Thätigkeit der Vereine, der dann der Charakter des Almosens genommen und der sozialpolitishe gegeben werde. Die Betheiligung der Arbeiter an der Verwaltung der Wohlfahrtseinrihtungen be- reite ja manche Schwierigkeiten, sei aber unvermeidlich, wenn die An- stalten benußt werden follen. Die Wohlfahrtseinritungen sollten nit ein zufälliges Produkt ter Thätigkeit von diesem oder jenem sein, sondern ein orcanisiertes Stück städtisher Verwaltung ; und die Heranziehung der Urbeiter zur Mittbätigkeit als Anerkennung der Gleichbere{tigung müsse das wesentliche Kennzeichen sein, das Wohlfahrts- einri(tungen von bloßen Wohlthätigkeitöeinrihtungen unterscheide. An den Vortrag {loß ih eine lärgere Diskussion, in der MNe- gierungs-Rath Hasel aus Braunschweig unter Bezugnahme auf dortige Verhältnisse Vorschläge machte, wie bei der Thätigkeit gemeinnüßiger Baugenossenshaften zu verfahren sei. Das nöthige Kapital werde zweifellos von den Versicherungsanstalten hergeliehen werden. Stadtrath Kalle-Wiesbaden legte besonderes Gewicht auf die Rolfkskildungs- Bestrebungen, die nah seiner Schäßung obenan ständen. Wenn die obligatorische Fortbildungés{ule, Haußs- haltungëschulen 2. geshaffen werden soliten, so sei ein Widerstand seitens der Regierung nicht zu befürchten. Der Redner exemplifizierte hierfür auf die in seinem Wohnort eingeführte ärztliche Sculaufsicht und den Kochunterricht in Mädchen- Volksschulen. Landesrath Brandts- Düsseldorf untersuchte die organisatorische Seite der Frage. Er meinte, es müßiten cigene „soziale Beigeordnete* in den Städten an- gestellt, ferner Deputationen für sozialpolitishe.Bethätigung gebildet und sichere statistishe Grundlagen beschafft werden. Den sozialen Beigeordneten fiele die Aufsicht über die fozialpolitise Geseßgebung ¡u, also das Ortskrankenkafsenwesen, die Unfallversicherung, die íInvaliden- renten-Anträge 2c. Von der Befugniß, dur Ortsf\tatute die Lohnzahlung für Minderjährige zu regeln, die obligatorischen Fortbildungssculen einzuführen, die Krankenversiherung auszudehnen 2c., würde dann erst ausgiebigerer GebrauH gemaht werden. Ferner müßte sich der neue Beamte um alle städtishen Betriebe kümmern, soweit fie sozial- politische Bedeutung haben; die Lohnverträge der Stadt z, B. könnten mustergültig gestaltet werden, nah Art der seiner Zeit bahnbrehend gewordenen Taxe de la ville bei den Haußmann’shen Durchbrüchen in Paris. Was die Wohnungéfrage betreffe, so meinte der Nednexr, daß Stadtbaupläne und Bauordnungen oft die Preissteigerungen des Grundbesitzes he: vorgerufen oder do begünstigt hätten. Man habe cine Zeitlang allgemein geglaubt, hohe Miethskafernen seien uner- läßlich wegen der theueren Bodenpreise. Die Sitte der Einfamilien- häuser sei aber au für Besitßende immer mehr im Schwinden. Die Bauvorschriften wären daher zu überwachen und auf die soziale Wirkung zu prüfen. Der soziale Beigeordnete hâtie ferner fozusagen das Korreferat bei der Verwaltung der Sparkafssen- Veberschüsse. Er müßte enge Fühlung halten mit allen privaten Wohlfahrtsbestrebungen, wie das ja au seit einem Jahrzehnt die Armenverwaltungen mit so gutem Erfolge thäten. Dadurch würden die ganzen städtishen Verwaltungen popularisiert werden. Man würde in ihnen nit mehr die bloße Steuer - Exekutions- Behörde sehen, sondern eine Wohlfahrts - Korporation, wie es die Stadt im Mittelalter gewesen sei, die alle Interessen ihrer Bürger erkannt und gefördert habe. Es handle sih nit aus\ließlich um eine Geldfrage, vielmehr auch um Lee Thätigkeit. Dann Ae das Heimathgefühl in unsere fluktuierende Bevölkerung wieder- ehren.

Am zweiten Verhandlungstage referierte Stabsarzt Dr. Pann- wiß-Berlin über die planmäßige Shwindsuchtsbekämpfung durch Errichtung von Heilstätten für Lungenkranke. Er erinnerte eingangs an dte Bestrebungen des Berlin-Brandenburger Heilstättenvereins, an diejenigen in der Pfalz und anderwärts. Im Auslande hâtten England, Frankrei, Italien und Rußland Heil- stätten im Anschluß an seeklimatishe Sanatorien. Au in Oesterreich und ganz besonders abe in der Schweiz seien Heilftättenvereine in den meisten Kantonen wirksam thätig. In Norwegen habe man die leer- stehenden Lepraheime für Tuberkulo|ekranke nußbar gemalt; außerdem wolle man Heilstätten nah dem Muster der Falkensteiner Anstalt bauen. In Schweden sei das Kapital gleichfalis för eine Muster- anstalt gesammelt. Der Redner schilderte sodann die Gefährlichkeit der Schwindsucht, die Disposition, die Erblichkeit. Die Disposition könne auch dur soziale Verhältnisse verursaht werden. Neben der direkten Bekämpfung durch JIsolierung der Kranken und Beseiti- gung der Auswurfftoffe müsse daher auf die Besserung aller gesund- heitlihen Maßnahmen geachtet werden. Das erziehlihe Moment der Heilstätten sei nicht das geringwerthigste. Der Referent bezog sich im

inzelnen auf seine wieder in den „Vorberichten“ der Zentralstelle gedruckt vorliegenden Ausführungen. Staat, Unternehmer und gemein- nüßige Vereine müßten zusammenwirken, um diese Krankheit zu be- kämpfen. Landes-Rath Dr. Liebreht-Hannover, der Korreferent, der ebenfalls auf seinen „Vorberi1“ verweisen konnte, ging von der An- hauung aus, daß die Ecrihtung von Volksheilstätten für Lungenkranke von der Gesellshaft zu deren eigenem Nußen vorgenommen werden müsse. Es liege geradezu im wohlverstandenen Interesse der Sparsamkeit der staatlichen Ver- tigerunganstalten, wenn sie eigene Sanatorien errihten. Er belegte Al einung zifernmäßig. Außerdem seien natürli auch die rbeitgeber an dem Bau solcher Anstalten interessiert. Die Orts-

krankenkafsen entbehrten wobl noch ein wenig der geshulten Bureau- fratie, die für solche Aufgaben von Vortheil sei. Für die nichtver- sicherten Tuberkelkranken würden freilih die gemeinnützigen Vereine eintreten müfsen. Nach Art der Irrenanstalten könnte man wohl auch Abtbeilungen für zahlende und nihtzahlende Kranke unterscheiden, sodaß die Kosten \sich verringerten und den mittellosen Kranken durhgebolfen werden könnte. Zur Leitung der Anstalten seien. Frauen besonders .geschickt, namentlih in kleineren Anstalten, in denen eine Art von familiärem Zusammenleben sich entwickeln könne. An- ftalten von hundert Betten entbehrten {on dieses Vortheils und brauchten einen großen Apparat. Oft würten die Kranken viel zu spät in die Sanatorien eingeliefert. Es empfehle sich vielleicht, wegen dieses Punktes Abkommen mit den Krankenhäusern zu treffen. Re- konvaleêcenten, die ncch nicht wieder arbeitsfähig find, könne man der Aufsicht ter Vertrauensmänner der Versicherungtanftalten bebufs weiterer Fürsorge unterstellen. Eine Organisation, wie die des Rothen Kreuzes, könnte hierbei vielleicht L erm mitwirken. Frauenvereine und Geistliche seien ebenfalls zur Mitarbeit geeignet. Die sih an diese Vorträge anschließende Debatte eröffnete der Geheime Sanitäts-Rath Dr. Detiweiler-Falkenftein mit einem ärztlihen Hinweis. Ueber die Heilbarkeit der Schwindsucht seien die Aerzte, die sich ernsthaft mit der - Sache be- schäftigen, einig. Alle Spezialisten erkennten, jährliß mehr, die Heilbarkeit an, oft in einer selbst den Redner, der nun dreißig Jahre an der Frage mitarbeite, verblüffenden Weise. Der Gedanke, man brauhe die Kranken nur in einer Heilanstalt zu füttern, sei freilich allzu optimistisch. Die Behandlung der Schwind- süchtigen sei eine sehr komplizierte und nehme über dic Hâlfte unserer gesammten pathologishen Kenntnißgebiete in Anspru, fogar das psychiatrishe werde in manchen Fällen leise gestceist. Die Leiter der Heilsiätten sollten die strengen therapeutischen und er- ziehcrishen Grundsäße nit verflachen lassen, wie der Redner das schon in einer Schrift über die Falkensteiner Anstalt betont habe. Nicht der Kubikmeter des Luftraumes im Schlafzimmer entscheide, da ja der Kranke zumeist in frischer Luft lebe und Nachts bei offenem prnn shlafe. Der Arzt müsse den Kranken sorgfältig und wahsam ecobahten, um die ganze Konstitution kennen zu lernen, um die Meinung des Kranken über ih selbs und seinen Zustand um- zuwandeln. Deshalb sollten nur Aerzte zu Heilstätten-Leitern ernannt werden, die an einer solchen führenden Anstalt geshult seien und die nöthige vielseitige wissenschaftlihz Garantie böten. Was die Frage der Beschäftigung der Kranken angehe, so dürfe die Beschäftigung in den drei ersten, strengen Kurmonaten nicht über den Charakter des Spiels hinausgehen: einmal wegen der Ein- flüsterungen von Genossen, andererseits wegen der Gefahr, die darin bestehe, daß der ehrgeizige Kranke ih cher überarbeiten, denn als träge erscheinen wolle. Leihte Lektüre, harmlose fesilihe Ber- anstaltungen müßten die nöthige Ablenkung bieten. Erst wenn das Ideal einer vier- bis fünfmonatigen Kur erreiht würde, könnte mit der Beschäftigung begonnen werden. Landes-Rath Meyer- Berlin wies auf die bisher erzielten guten Resultate hin, die sich u. a. in der prozentual geringen Zahl von MRenten- anträgen ausdrückten. Neben der Errichtung von Heilstätten bleibe aber noch viel zu thun. Die ergänzenden Vereine könnten mit- wirken, die Vorurtheile gegen die Anftaltsbehandlung zu besiegen, und sich der Familie des Kranken während der Kur sowie der Genesenen nach der Kur annehmen. Landrath Dr. H:ydweiller-Altena empfahl den Bau der Volksbeilstätten durch Kommunalverbände. In seinem Bezirk hätten {ch sofort wohlwollende Private gefunden, die das Unternehmen stüßten, sodaß auh der Kreiétag nicht zurückgeblieben sei. Die Zinsen der Stiftungen würden in erster Linie zur Deckung des Defizits, dann für Freistellen, zur Unterstüßung der Familien- angehörigen der Kranken und zur Verbesserung der Arbeiterwohnungen bestimmt. Der Medner \chäßte die Zahl der nöthigen Anstalten für Deutschland auf etwa 200. Soviel könnten die Versiherungsanstalten nicht bauen. Die privaten Vereine gingen aber nur langsam voran. Daher müßten die Kreise eingreifen. Das sei au rechnerisch zu empfehlen, weil volkswirthshaftlih die Heilung der Tuberkelkranken ein bedeutendes Kapital darstelle. Sanitäts-Rath Dr. Lohmann aus Dee gab eine Darstellung der Thätigkeit des dortigen Vereins für ilfsbedürftige Lungenkranke, wohl des ältesten Vereins dieser Art, der vemräst sein zehnjähriges Jubiläum begehe, aber noch immer keine eigene Anstalt besitze, sontern die Kranken erft nah Andreaësburg, dann nach Bad Rehburg verweise. Von freier Gewährung der Pflege habe ab- gesehen werden müssen. Die Kranken zahlten 1,90 „6 täglich, der Verein lege etwas über 0,50 G darauf. Das Kapital des Vereins stelle ih auf noch nicht 10 600 « Es sei also recht s{wierig, auf dem bloßen Wobhlthätigkeitswege etwas Ergiebiges zu erreichen. Dennoch feien die gemeinnüßigen Vereine durch billige Verwaltung 2c. bevorzugte Träger der Bewegung. Nothwendig sei in den Anstalten die absolute Trennung der Geschlehter. Auch das neue Koch’sche Heilmittel werde die Anstaltsbetandlung nicht überflüssig machen. Stadtrath Kalle- Wiesbaden legte den Accent auf die prophylaktishe Bekämpfung der Schwindsucht. In Wiesbaden habe man tamit begonnen, blutarme Schnetderinnen und Stickerinnen nah Eppenkbain i. T. zu senden, einem gegen Schwindsucßt gefeiten Orte. Dort erholten si die Mädchen binnen einigen Wochen förperlih und psychisch sehr vortheilhaft, und manche Schwindsuchtskandidatin sei so vor der Krankheit ges{chügt worden. Der Vorjißende, Staats- sekretär a. D. Herzog-Berlin, faßte das Ergebniß der Debatte in längerer, klarer Darstellung zusammen und spra die Hoffnung aus, daß die Berathungen dazu dienen möchten, vielen Leidenden zu nützen. Die Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrts-Einrihtungen, fo bemerkte er zum Schluß, bedürfe der ferneren Unterstüßung, wenn thre Worte und Druksaßen Thaten werden follten.

Literatur.

chs. „Abendglodcken.“ Predigten aus den leßten Amtétjahren

von D. Bernhard Rül ing, weiland evangelischem Hofprediger und Ober-Konsistorial- Rath in Dreéden. Mit Porträt, Faksimile und Lebenslauf des Verfassers. Leipzig, 1897. Druck und Verlag von a Richter. (288 S.) Preis geheftet 4 H, eleg. gebd. 6 A s sind im Ganzen 18 Predigten, die der Sobn des am 15. No- vember v. I. heimgegangenen, in der sächsischen Landeskirhe wohl be- fannten D. Rüling aus dem Nachlaß des Vaters gesichtet und in piam memoriam für dessen viele Freunde in allen Ständen herausgegeben hat. Sie bekunden die Ueberzeugungs- treue eines zum vollen Mannesalter herangereiften Predigers, der ein offeres Herz, Auge und Ohr für die Schäden der Zeit und die menshlihe Seite der Kirche hat. Die Pre- digten für tie Festtage bestehen aus einer Prâäfatio, dem Text, der Uebecleitung zum Thema und einer klaren Disposition. Die beî diesen besonderen Gelegenheiten angewandte Präfatio spricht durch ibren Gedankenreihthum wohlthuend an. Die Predigt selbst ift kurz und bündig, klar und erbauend, auf Gottes Wort gegründet und ohne Effekthascherei. Die Worte fließen dahin wie ein bold leise rauschender, bald mächtig brausender Bach, aber dort wie bier voll filberhbeller Klarheit. Diese „Abendglocken“ eignen sich wie zur Erbauung der Gemeinde, so zum Studium für junge Theologen vortrefflih, zumal die Sprache einfach, der Saßbau kurz, der Inhalt durchaus faßlich ift. chs. Leitfaden für den Konfirmanden-Unterricht auf

der Grundlage des apostolischen Glaubensbekenntnisses. Von Pfarrer Sch oenfeld, Ehrenmitglied des akademish-theologischen Vereins zu Berlin. Leipzig, Druck und Verlag von Fr. Richter, 1897. 48 S. bo 8°. Preis kart. 75 A, in Partien billiger. Für die jüngeren Theologen is wohl eine der s{wersten Aufgaben die Ertheilun des Konfirmanden-Unterrichts ; der Pastor hat dabei mit größeren Schwie- rigkeiten zu kämpfen als der Lehrer, namentlich in großen Städten. Ein solches Hilfsbuh, wie es der Herausgeber nah 25jähriger Er- fahrung in 48 Lehrstunden darbietet, ersheint daher sehr willkommen. Auf dem Gebiet dieser Literatur ist seit 40 Jahren viel gesehen, als man anfing, Luther's Katechismus nur nebenbei zu berüdsich- tigen, und Abstand nahm, den Koufirmanden-Unterriht auf zwei Halbjahre, in die Pflichten- und in die Glaubenslehre zu vertheilen.

Von der ersteren ist in diesem Leitfaden kaum die Rede, und doch ift sie in unseren Tagen jhohwihtig und nicht zu note Ob es rihtig war, den Kindern die zu lernenden Sprüche auf jeder Seite unter dem Strich mitzutheilen, ersheint zweifelhaft; das Aufshlagen in der Bibel ift nothwendig, um sie darin beimish zu machen. Der Taufbefehl hätte aber nah der revidierten Bibel, {hon um der fsek- tiererishen Angriffe willen, abgedruckt werden müssen. Im übrigen ist dieser Leitfaden praktisch und entspricht seiner „Grundlage“ völli und ganz. Nur dürfte die Einführung bei den Kindern dur den Preis erschwert fein. E

chs. Der Evangelishe Diakonierverein, scine Aufgaben und seine Arbeit. Von D. Dr. Arte ders Zimmer, Professor der Theologie. Herborn, 1897, Verlag des Ev. Diakonievereins. (177 S.) Preis bros. 1 A Ncch immer ift die Sache ter protestantishen Diakonie gerade in den Kreisen wenig befannt, in welchen Eltern mit Bangigkeit auf ihre unverforgten Töchter blicken. Hinzu kommt, daß die Vorurtheile gegen den Diakonissen-Beruf nicht aufhören wollcn. Dieser Unkenntniß begeanet Professor Zimmers fleine Srift, die bereits in vierter vermehrter Auflage vorliegt. Der in Rede stehende Verein besteht aus drei konzentrischen Kreisen. Den umfassendsten bilden die zahlenden Mits glieder, den mittleren diejenigen Mitglieder, die vom Verein Er- ziehung oder Fachausbildung begehren (Privat-Krankenpflege). Aus ihm \cheidet sh der cngste Kreis derer aus, wel&e die Diakonie zum Lebenéberuf gewählt baben und fie nicht obne den Halt eines Ver- bandes, do aber auch nit innerhalb einer Mutterhaus-Organisation ausüben mêchten. Diese bilden den „Schwesternverband des Gv. Diakonievercins* (Diakonieverband), dessen geseßlih geshüßtes Abs zeichen cine Brosche mit Luther's Wappen ist, welche die Schwestern zu tragen ve:pflihtet sind. Der Verein sucht diz Mutterhäufer zu unterstüßen, hat bereits 840 Mitglieder, erscheint praktis aufgebaut und greift, soweit sein noch jugendlihes Alter ein Urtheil ermöglicht, in die Noth des Volkes segensreih ein.

Im Verlage von Siemenroth u. Troschel in Berlin W. hat der dur andere volkswirthschaftlihe Schriften bereits bekannte Nationalökorom Dr. Gottfried Zöpfl unter dem Titel „Die Eisenbahntariffrage unseres Holzverkehrs" eine bemerkens- werthe Monographie erscheinen laffen, in welher er auf der Grund- lage wirthsdaftliher und verkebrépolitisher Grundsäße und an der Hand der Erfahrung, die durch statistishe Nachweise bestätigt wird, die Frage der Holztarifreform in Bayern eingehend behandelt. Der Verfasser zieht aber zur allseitigen Beleuchtung und Erschöpfung seines Gegenstandes auch die Verkehrébedingungen und besonders die Tarife für Holz in ganz Deutschland sowie die cinschlägigen Verhältnisse der Holz noch Deutschland importierenden Länder in den Kreis seiner Betrachtung. Im Vordergrunde der Erörterung stehen die Verhältnisse und Zustände, die sich durch die zur Zeit bestehenden Eisenbabntarife für die bayerishe Säge-Industrie ergeben, wobei der Nachweis versucht wird, daß diese ten Holzstofffabriken gegenüber ih im Nachtheile befinde. Der Schluß der Äbhaudlung befürwortet die Bildung eines allgemeinen Vereins der Holzindustriellen Bayerns zur Wahrnehmung ihrer wirthschaftlichen Interessen. Jn engen Be- ziehungen zu dieser Zöpfl'shen Schrift steht eine Broschüre mit dem Titel „Papier-Holz contra Säge- und Rund-Holz“, ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der deutshen Induftrie von Dr. Josef Landgraf, welche gleichfalls im Verlage von Siemen- roth u. Troschel in Berlin W. erschienen ist. Der Berfasser knüpft fast überall an die Darlegungen und Ergebnisse der Zöpfl’schen Sgrift an, deren Werth und Bedeutung er anerk-nnt; die dortigen Nachweise und Angaben werden aber niht nur erweitert und ergänzt, sondern es werden auch neue Gesihtépunkte eröffnet. Die Lands graf’\he Arbeit bekämpft die Anschauungen und Ergebnisse der Zöpfl'|hen Broschüre in einigen wesentlichen Punkten, indem hier auf die Entwicklung und den gegenwärtigen Umfang der Verwendung des Holzstoffs zur Papierfabrikation und auf die allgemeine wirth- schaftliche Bedeutung dieses neuen Intustriezweiges das Hauptgewicht gelegt wird. Daneben finden aber au andere wirthshaftlihe und Berkehrsfragen, die in der Zöpfl'shen Schrift berührt werden, im Zusammenhange eine prinzipielle Erörterung.

„Der Aether gegen den Sc{merz * is der Titel einer Art Jubiläumsschrift , welhe Professor Dr. C. Binz in Bonn bei der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart hat erscheinen lassen. Der Verfasser erinnert daran, daß im Oktober 1896 fünfzig Jahre verflofsen waren, seit man große wundärztlihe Operationen für den Patienten \{chmerzlos auszuführen gelernt hat. Anfangs benußte man den Schwefelätber für diesen Zwe, bis dieser dur das leichter und bequemer zur Anwendung zu bringende Cbloroform verdrängt wurde. In der lehten Zeit hat ih aber das frühere Betäubungs- mittel wteder unter den Aerzten mehr Freunde erworben, weil fich herausgestellt hat, daß es bei weitem gefahrloser ist. Nach Er- mittelungen, die im Jahre 1890 begonnen wurden und jeßt noch andauern, ist in den Jahren 1890 bis 1894 je ein Todesfall auf 9647 Chloroform- und auf 13 160 Aethernarkofen vorgekommen. Profcfsor Binz behandelt in seiner allgemein verständlich gehaltenen Schrift au die übrigen bisher aufgetauchten Betäubungsmittel zu chirurgishen Zwecken. :

Den unlängst besprochenen ersten fünf Lieferungen der von Professor Dr. Friedrih Vogt und Professor Dr. Max Koch berauêgegebenen „Geschichte der deutschen Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart“ (Leipzig und Wien, Biblio- graphishes Institut) siad inzwischen vier weitere Hefte gefolgt, welche den Anfang des zweiten, die neuere Zeit behandelnden Theiles bilden. Er beginnt mit der poetischen Reform des berühmten Schlesiers Opit, zeigt das Erwachen eines neuen geistigen Lebens am Ausgang ‘des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts, schildert die Ueberwindung des Marin{smus in der Literatur und Gottsched’s Kampf mit den Schweizern, führt dann durch die blumigen Gefilde der tändelnden anakreontischen Lyrik, mat bei Gellert, als einem der Lieblinge des deutschen Volkes, längeren Halt, um s{ließlich mit Klopstock, Herder und Lessing die Darstellung unserer kla‘sishen Literaturperiode zu beginnen. Als Borzug dieser neuesten unter den deutschen Aiterativaë/ckWichtén kennzeichnet auch in den vorliegenden Lieferungen die harmonishe Verbindung des wissenshaftlih-gründlihen Inhalts mit einer allgemeinverständlichen, geshmackvollen Form der Darstellung. Von den den Heften, außer zahlreihea Holzschnitten im Text, beigegebenen Beilagen in Bunt- oder Schwarzdruck erwähnen wir nur den „Thurmbau zu Babel“, die „Schiller-Tafel*, „Morolf als Spielmann“ und die Nachbildungen einiger Seiten der verschiedenen „Nibelungen-Handschriften“. Das ganze Werk ist auf 14 Lieferungen berechnet, deren jede 1 4 kostet.

Der Roman „Mammon“, den Sophie Barazetti (geb. von Le Monnier) im Verlage von Albert Ahn in Berlin, Köln und Leipzig hat erscheinen lassen, stellt fich als eine romantische Familienge]chihte dar, die mehrere Generationen umsypannt und den verderblichen Einfluß der Jagd nach Geld, Gut und Ansehen auf den Charakter und die Lebensführung kennzeihnen soll. Die Erzählung nimmt in Spanien um das Jahr 1760 ihren Anfang und ist in den dort spielenden Scenen reich an poetischen Schilderungen und leidenshaftlihen Vorgängen, wie sie dem Temperament der Süds länder entsprehen. Die dann folgenden Geschicke eines aus Spanien entflohenen Liebespaares und seiner Nahkommen in deutschen Landen hinterlassen einen sehr unerfreulichen, zuweilen peinlihen Eindruck und leiden an großer Unwahrscheinlihkeit. Troßdem find die meisten Ge- stalten charakteristish und klar gezeichnet ; an einigen sogar, wie an der

eidelberger Jungfrau, die, ihrer Liebe entsagend, sich dem Klosters eben weiht, und an dem jungen Alfons Hereira, der in Werken christliher Nächstenliebe seinen Lebensberuf sucht, wird der Leser sogar ein dauecndes Interesse gewinnen.

Eine neue Bibliothek unter dem Titel „Aus Pommern Erzählungen in plattdeutsher Mundart“ beabsichtigt die Spezial-Buchhandlung für O Literatur von Otto Lenz in Leipzig herauszugeben. Als erster Band erfcheint demnächst von M: ee (M. Wietholy) „Kinnerstreek En hinnerpommersch

örpgeschiht“. _

Fn der soeben erschienenen Nr. 18 des Frauenblatts „Hä us- liher Rathgeber* (mit den Gratisbeilagen „Mode und Hands