1897 / 115 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 17 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

Abg. Krawinkel (nl.): Ih wünschte au, daß grundsäßlih

mit dem Kautionswefen gebrohen werde. Der Anschauung, daß die

Kautionen auh für Versehen bestehen müssen, lege ih kein Gewicht bei, denn es können für Versehen auch Gehaltsabzüge gemacht werden. Die Kosten des Kautionswesens gehen weit über das hinaus, was dem Staat an Sicherheit durch die Kautionen geleistet wicd.

Abg. von Pappenheim (konf.): Nah den Ausführungen des Finanz-Ministers brauhen wir den Behauptungen des Abg. Rickert niht mehr entgegenzutreten. Bei der zweiten Etatsberathung hat mein Freund von Dobeneck bereits auf die zu theure Verwaltung der Gestüte hingewiesen; es sind dabei große Etateüberschreitungen vor- gekommen. Bei der ferneren Etatsberathung werden wir weiter darauf

zurückfommen. De NRickert: Die Anerbietungen des Hannoverschen Beamten- a

vereins haben nicht nothwendigerweise mit der Verbindung mit einer Lebensversicherung zu thun. Ich bitte den Finanz-Minister, feststellen zu lassen, wieviel Kautionen von den Beamten aus ihren eigenen Mitteln gestellt werden. Ich kann mir nicht denker, daß z. B. in einem Lande wie England große Kautionen gestellt werden. Die ehrlichen Beamten beshwert die Kaution, vor den räudigen Schafen, den Verbrechern, ift der Staat doh nicht geschüßt. Möge der Finanz- Minister die langjährigen Wünsche der Beamten auf Beseitigung des Kautionswesens erfüllen.

Die Uebersicht wird für erledigt erklärt. Entsprechend dem Antrage der Rechnungskommission werden die Etatsüber- \schreitungen und außeretatsmäßigen Ausgaben, vorbehaltlich der Prüfung durch die Ober - Rechnungskammer, nachträglich genehmigt.

Es folgt die zweite Berathung des Geseßzentwurfs, betreffend das Charité- Krankenhaus und den Bota- nishen Garten in Berlin.

Berichterstatter Abg. Dr. Friedberg beantragt namens der Budgetkommission die unveränderte Annahme der Vorlage.

Abg. Dr. Langerhans (fr. Volksp.) : Wir erkennen mit Freuden an, daß die alten Einrichtungen der Charité endlich den Forderungen der Neuzeit entsprehend umgestaltet werden sollen und man auch für die Zukunft die Schaffung einer dritten Klinik ins Auge gefaßt hat ; ebenso bin ih damit zufrieden, daß in der Charité Ställe für Versuhs- thiere angelegt werden. Dagegen ift es pietätlos, den Botanischen Garten eingehen lassen zu wollen, der bisher mit Sorgfalt gepflegt ist. Das Grundstück in Dahlem is noch kein Botanischer Garten, au in ein bis zwei Jahren noch nit. Man sagt, es lasse sich dort leiht ein Arboretum berstellen; aber das fann die alten Bäume im jeßigen Garten nicht erseßen, und die alten Bäume kann man nit dorthin verpflanzen ohne Schaden für ihren habitus; fehr viele würden dabei ganz eingehen. Die \achverständigen Botaniker in Berlin haben sih gegen den Plaß in Dahlem erklärt. Man hat gesagt, die Botanischen Gärten anderer Städte feien viel größer, namentlich der Londoner; aber dieser ist selbs noch größer als der in Dahlem projektierte. Für Versuhe in der Zucht von hier nicht wachsenden Feldfrühten reiht auch Dahlem nicht aus. Die Verbindung beider Dinge in einer Vorlage is ganz fals. Preußen sollte doch wohl nicht so arm sein, um nicht die Mittel für einen Botanischen Garten zu haben. Da der alte Garten doch noch Jahre lang erhalten bleiben muß, ebe der neue ihn erseßen kann, fo ist es wunderbar, daß man den Verkauf des alten Gartens mit dem Umbau der Charitó verknüpft hat. Paris zahlt für seine Kranken- häuser 7# Millionen Mark, Berlin 9# Millionen Mark. Paris erhâlt dagegen vom Staate noch 27 Millionen Mark Zuschüsse. Der Finanz-Minister weist immer guf den Vortheil seiner Finanzreform für die großen Städte hin. Berlin hat aber Nachtheil davon, es erhält dur die Steuerreform, durch die Ueberweisung der Grund- und Gebäudesteuer, Gewerbesteuer und Betriebssteuer zusammen etwa 17,5 Millionen Mark, verliert dagegen durch die Einführung der Ver- mögenssteuer, Aufhebung der lox Huene, Aufhebung der Steuer- einziehungskosten, Aufhebung der Miethssteuer u. f. w. etwa 28,6 Millio- nen, sodaß für Berlin ein Minus von 12 bis 13 Millionen herauskommt. Der Finanz-Minister irrt also, wenn er glaubt, daß Berlin durch die Steuerreform weiter gekommen ist.

Finaiz-Minister Dr. von Miquel:

Im Sroßen und Ganzen is die Frage für das Haus klar: Wenn wir bier in Berlin eine so bedeutende Reihe von neucn An- stalten auf Staatskosten bauen, wenn wir einen Botanischen Gaiten mit einem Kostenaufwand von mehreren Millionen außerhalb Berlins herstellen, daß dana der Staat wohl berechtigt, und, ih möchte sagen, veipflihtet ist, den nun niht mehr im Gebrauch befindlichen Ga1ten zum theil wenigstens unter einer von der Staatsiegierung weit geübten Rücksihtnahme auf die Stadt Berlin zu veräußern und einigermaßen die hier sehr bedeutenden Kosten, die doch auch vorzugs- weise der Stadt Berlin und ihren Einnahmen zu Gute kommen, durch die hieraus entstehenden Einnahmen zu decken. Darauf gehe ih hier in diesem hohen Haufe nicht weiter ein; ih glaube, man würde ten Finanz-Minifter, der anders verführe, der dies werthvele Grundstück s\chenkung8weise fortgäbe zu Gunsten einer einzelnen sehr gut sfituierten Stadt, wunderbar seitens des Landes und seitens der Landeëvertretung ansehen, wenn er anders ver- fahren würde. (Sehr richtig! rechts.) Jch habe mih nur zum Wort «omeldet, um die ewig wiederkehrenden Jrrthümer der Herren aus Berlin über die Wirkung der GSreurrretorm auf die Kommune Berlin noch mit zwei Worten zu beleuchten.

Meine Herren, das Rechenexempel, weles die Herrén aufstellen, hat von A bis Z einen falshen Anfaß. Wir haben der Kommune Berlin die Realsteuern zu ihrer Nußung überwiesen, und nun rechnet man aus, was der einzelne Berliner Steuerpflihtige an den Staat na der Steuerreform mehr zu zahlen hat als früher. Diese Rech- nung is ganz falsch. Der Staat kümmert sich und kann sich gar- nicht darum kümmern, wo der dem Staat gegenüber Steuerpflichtige zufällig wohnt; er kann wohnen, wo er Lust hat, er ist überall staats- \teuerpflihtig. Wenn die Stadt Berlin si darüber obendrein beklagt, daß die Einkommensteuer hier so gestiegen sei, so würden \ich viele andere Städte freuen, solche tühtigen Einkommensteuerpflihtigen zu haben. (Sehr wahr! rechts.) Aber noch weiter, wodurch is denn nun hauptsäcblich in den großen Städten die Einkommensteuer so wesentlih gestiegen? Doch nur in ganz unverbältnißmäßigem Maße dur die gestiegene Höhe der Prozente, fondern dur die rihtigere Veranlagung (sehr richtig !), die hier vielleiht weniger stattgefunden hatte, als in anderen Lantestheilen, ohne daß man in dieser Beziehung natürlich den Behörden irgend einen Vorwurf machen kann; denn eine solhe Veran- lagung ist in einer großen Stadt, wo viele unbekannte Verhältnisse liegen, naturgemäß viel {werer. Also das ganze NRechencxempel ift unrihtig, und man kann es mit einem Saße s{lagen. Wenn ih die Zahlen noch rihtig im Kopfe habe, so hat Berlin in den Fahren nah der Ueberweisung der Realsteuern gegen das Vorjahr selbst an Staats- und Kommunalsteuern zusammen etwa 6 Millionen weniger aufgebraht als vorher. Ich glaube wenigstens, daß diefe Zahl genau zutrifft.

Die Sorge, daß wir den Botanischen Garten von heute auf morgen niederlegen werden, brauht der Herr Vorredner nicht zu haben ; dean natürli muß der Botanishe Garten zur Verfügung des Herr n

Kultus-Ministers doch \o lange im wesentlichen bestehen bleiben, als wir nicht einen neuen an seine Stelle seßen können ; wir können nicht von heute auf morgen in Dahlem einen neuen Botanischen Garten herstellen ; davon ift ja garnicht die Rede.

Ich habe neulih {on erwähnt, daß mit Nüdcksiht auf die That- sahe, daß dieser Botanishe Garten in hohem Maße in dem kommunalen Interesse der Stadt Berlin liegt, daß er that- sählih als Lunge, möchte ih sfagen, der Stadt Berlin fungiert, der Staat sich ents{hlofsen hat, ihn nicht so rein nah den fiskalishen Gesichtspunkten zu bebauen, wie das sonst mögli wäre, sondern der Stadt Berlin eine sehr billige Offerte nah unserer Auffassung zu machen, wonach der allergrößte Theil dieses Platzes unbebaut bestehen bliebe. Wir haben darauf noch keine Antwort erhalten ; ich kann also nicht sagen, wie Berlin sich zu dieser Offerte stellt; das möchte ih Ihnen aber sagen, daß es nicht gelingen wird, daß wir unter völliger Hintanseßung aller staatlihen Interessen ledigli, so zu sagen, für einen Apfel und ein Butterbrot den ganzen Play der Stadt Berlin geben. (Sehr richtig!) Ih glaube, das kann nicht verlangt werden; wir find der Stadt Berlin soweit ent- gegengekommen, daß derselben ein freier Play bleiben würde, der, wenn ich nicht irre, viermal so greß is als der ganze Dönhoffplay, und wir haben für diesen Plaß nur eine mäßige Summe in Ansaß gebracht. Wir erwarten die Erklärung der Stadt Berlin auf diefe Offerte, und werden da- nah unsere weiteren Entscheidungen treffen. Da dieses Geseß vor- \chreibt, daß wir die Einnahmen verwenden müssen zur Tilgung der fortshreitenden Ausgaben der Anleihebeträge, so wird das Haus in den nächsten Jahren vollständig Gelegenheit haben, hier seine eigene Mei- nung auszusprehen und die Staatéeregierung zu kontrolieren, ob sie die allgemeinen Interessen des Staats und der Stadt Berlin in eine angemessene Harmonie zu bringen verstanden hat. Das hohe Haus wird in dieser Beziehung feine Kritik zu üben in vollem Maße in der Lage sein.

Abg. Schulz- Berlin (fr. Volksp.): Auch ih bedauere die Ver- knüpfung der beiden Dinge mitcinander. Wir können dem Umbau der - Charité freudig zustimmen, aber nicht der Verlegung des Botanischen Ga1tens. Die beiden Dinge gehören gar nicht zu ein- ander. Den Umbau der Charité will man erst, wenn man aus dem Botanischen Garten das Geld dazu hat. Im Reiche fragt man gar niht, wo man das Hundertsahe für Marinezwecke hernehmen kann. Das Projekt kann sehr gut noch geändert werden. Es giebt noh andere geeignete Pläße um Berlin für den Botanischen Garten, wo er in billigerer Weise hergestellt werden kann. Das Terrain in Treptow würde dem Staate umsonst oferiert werden, und die Stadt würde dort auch nothwendige Bauten und Anlagen machen, wenn ihr der alte Botanishe Garten als Park erhalten bliebe. Berlin will Opfer bringen, um zu verhindern, daß man einen so s{önen Park der Bauspekulation anheimfallen läßt. Ein Terrain an der Sungfernhaide, das Fennbecken, ist noch mehr geeignet für den Boto- nischen Garten und hat pafsenderen Boden und bessere Abwässerungs- verhältnisse als Dahlem. Man wird dafür in Dablem fo große Kosten haben, daß man es noh einmal bereuen wird, den Gacten dorthin verlegt zu haben. Die Offerte des Staats an Berlin ist nit billig, wenn man bedenkt, daß die Statt das Terrain do nit ausnußt, sondern als Park bestehen lassen will. Die Stadt Berlin wird sh gegen die Anlage von Straßen auf dem Terrain \träuben, da Li die Offerte des Staats nit annehmen kann, und sie wird au die Baumaske in der Pallasstraße niht ohne weiteres hergeben. Berlin wird die Bebauung durch alle Mittel zu hindern suchen, um ih diese Lunge nit rauben zu lassen. Nach meiner Ansicht ist das

errain nicht fiskali]ch, sondern gehört dem Kronfidcikommiß, und dieser würde siherlih der Stadt den Park billiger überlassen als der Fiskus. Die Verlegung des pharmazeutischen Instituts nah Dahlem wäre ganz unpraktis{, die anderen allgemeinen Studien der Pharmazeuten würden darunter leiden, wenn fie zwei Semester lang nah Dahlem hinaus e Ich bedauere, daß die Vertreter der Stadt Berlin so mit sih selbs in Zwiespalt gebraht werden, daß sie nicht wissen, ob sie gegen den Umbau der Charité sein sollen, um die Verlegung des Botanischen Gartens zu hindern, oder ob sie fih wegen der Charité die legtere gefallen lassen sollen.

Abg. Dr. Virchow (fr. Volksp.) : Croz mancher einzelnen Bedenken stimme ih der Charité-Vorlage zu, denn die Entscheidung drängt, die Sache zieht sih schon gar fo lange hin. Es muß endli einmal mit dem Neubau der Charité ein Anfang gemacht werden. Das patho- logishe Institut wird leider immer noch etwas nebensächlich behandelt. Daß die Pkarmazeuten Semester hindurh nach Dahlem hinaus müßten, ist niht richtig, denn die Pflanzenkunde ift doch nur ein Nebenzweig für die Apothekec und zwar um so mehr, als die Chemie G) immer weiter entwickelt. Die Hauptshwierigkeit der Vorlage liegt darin, daß der Fiékus scine Grundstückde in Berlin als Speku- lationsobjefte ansieht ; der Kriegs-Minister ist damit vorangegangen. In anderen Staaten könnte so etwas nicht vorkommen, wenn au die finanzielle Lage shwierig wäre. Oesterreih hat für Kultur troß s{lechter Finznzen immer noch Mittel übrig gehabt. Aber unser Widerspruch gilt ja nihts. Jh stimme der Lorlage zu, weil das erste Mal sich die Möglichkeit zu dem nothwendigen Umbau der Charité bietet. E

Darav® wird die Vorläge angenommen.

Es folgt die zweite Berathung der Novelle zu dem „Ge- seße, betreffend den Bau neuer Schiffahrtsfanäle und die Ver- besserung vorhandener Sciffahrtsstraßen“. Es werden für den Dortmund-Ems-Kanal ca. 15 Millionen Mark nach- gefordert. Die Kommission beantragt die Genehmigung der Vorlagen und beantragt ferner, die Staatsregierung zu er- uen, dur zweckentsprehende Tarifierung der Kanalgebühren

er die einheimishe Produktion shädigenden Konkurrenz ent- gegenzuwirken.

ie Abgg. Leppelmann u. Gen. (Zentr.) beantragen hierzu folgenden Zusaß: „und zu diesem Zwecke nach Eröffnung des Dortmund-Ems-Kanals Erhebungen darüber anzujtellen, ob und inwieweit die bereits festgeseßten Kanalgebühren einer Abänderung bedürfen“.

Abg. Graf von Kanißgz (konf.): Jch bedaure, daß nicht einmal der Versuch gemaht wird, die leistungsfähigen Interefsenten zu einem Beitrage zu den nahgeforderten 15 Millionen heranzuziehen. Seiner Zeit sollten sie die Grunderwerbskosten tragen. Die Ruhrzechen er- klärten fi dazu außer stande, und es wurden ihnen rund 2 Millionen geschenkt. Als der Kanal vertieft wurde, haben die Interessenten ebenso wenig einen Beitrag geleistet. Seitdem hat sich dieser Erwerbszweig außerordentli gehoben. (Redner sut diese günstige Lage zahlenmäßig nachzuweisen.) Für 400 Millionen Mark sind an Kohlen und Koks mit einem Gewinn von 80 bis 100 Millionen aus dem Kohlenrevier versandt worden. In der „Dortmunder Zeitung“ wurte mitgetheilt, daß das Kokésyndikat Koks an das Ausland billiger verkauft habe als an das Inland. Dasselbe ist der Fall beim Kobhlensyndikat. Es wäre erwünscht, daß es seine Geschäftsabslüsse einmal ver- öffentlihte. Leider geschieht das niht. Den Schaden hat natür- li die Staatsregierung, die die Kohlen theurer kauft als das Ausland. Es wäre ein nobile officium für die Kohlen- interessenten, jeßt wenigstens das zu zahlen, was sie früher nicht zahlen konnten oder wenigstens nicht gezahlt haben. Bei der Regu- lierung der Weichsel wurde 1888 von uns verlangt, daß die Kosten zur Hälfte von den Interessenten getragen würten. Was ift das für cin Verhältniß! Auf der einen Seite eine leistungs-

ähige Industrie, der Millionen u i

a: ae e E Se h n n tbal Bei mit Hej Befißern, die wahrlih niht auf Rosen gebettet find, und die jeßt für die Neuregulierung der Weichsel noch einen weiteren Beitrag zahlen follen. Sie sehen daraus, nah wie verschiedenen Prinzipien hier verfahren wird. Die geforderten 15 Millionen werden sicherlih nit ausreichen, da die Arbeitslöhne noch erheblih gestiegen find, zunächst bei den Bergarbeitern. Aber wie steht es mit den Kosten der künftigen Unterhaltung? Früher wurde uns versichert, daß die Kanalabgaber so bemessen werden follten, daß das Anlagekapital verzinst und amortisiert werden müßte. Herr von Maybach und seine Kommissarien haben darüber bindende Erklärungen abgegeben. Nur auf diese Zu, sicherung hin hat der Landtag das Geld zu bewilligen sich bereit ge, funden. Ich bitte die Staatsregierung, daran festzuhalten. Es wirk nun immer gesagt, daß der neue Gebührentarif bereits fertig sei; dem Landtage ift darüber keine Mittheilung gemaht worden. Nach Herrn von Maybach waren 2,50 #& per Tonne in Aussicht gestellt, jeßt in den ersten fünf Jahren 10 „, später 30 Z, also 8 mal weniger Allerdings werden die Ruhrzehen kaum Lust haben, so große Kanalfrahten zu zahlen. Es wird auch nicht eine Tonne Kohlen den Kanal passieren, wenn die Regierung an dem Say von 2,90 M festhält. Große Hoffnungen knüpfen sich an den Kanal über« haupt niht. Früher hicß es, er folle die Eisenbahnen entlasten Worin wird die Erleichterung bestehen? Werden etwa die Ausnabme- tarife für die Kohlen nah Bremen und Hamburg 2c. einfa gestrichen werden? Es würde mit den Zusagen der Staatsregierung von 1896 in Widerspruch stehen, wenn jene billigen Frachten noch weiter bestehen bleiben follten. Im Winter wird der Kanal nit benugbar sein, weil er zufrieren wird. Herr von Maybach hatte früher hon darauf hin- gewiesen, daß im Winter die Eisenbahnen mehr belastet würden weil die Kanäle zufrieren. Jeßt, wo wir wieder so hohe Summen bewilligen follen, möchte ih sagen, daß der Finanz-Minister an diesem Kanal seine wahre Freude haben wird. Ich will ja nit die Vor- lage zu Falle bringen. Der Kanal wird gebaut. Aber ih muß die Gegner des Kanals gegen den Vorwurf {üßen, daß wir nicht recht- zeitig unsere warnende Stimme erhokten haben.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Herren! Jh theile das Bedauern des Herrn Grafen Kanitz, daß die Staatsregierung mit einer so hohea Forderung an das Land wieder hat herantreten müsszn, vollständig, In den Motiven ist weitläufiger ausgeführt, wie die Staatêregierung dur die Ungunst der Verhältnisse, unter dexen dieser Kanal gebaut wurde und mit denen er zu kämpfen gzhabt hat, zu dieser Forderung gefommen ist. Ich bedauere auch mit dem Herrn Grafen Kaniß, daß seitens der Interessenten niht höhere Summen zum Bau des, Kanals bewilligt worden sind; ih nehme aber an, daß ein so erfahrener Mann wie der Herr Graf Kaniß sih dacüber ebenso klar sein wird wie ih, daß, wenn die Staatsregierung jeßt noch an die Interessenten in irgend welher Art mit der Forderung herantreten wollte, sich an dem Defizit von 14 Miklionen zu betheiligen, das nur verlorene Liebesmüh sein würde, und daß dadurch die weitere Aus- führung des Kanals nur verzögert und vertheuert würde.

Die retrospektiven Bemerkungen, die Herr Graf Kaniß daran geknüpft hat, mögen rihtig oder nit richtig sein, sie sind zur Zeit jedenfalls nur theoretisher Natur. Ich hoffe, der Herr Graf Kaniß wird mehr befriedigt sein dur. die Art und Weise, wie die Inter- essenten bei künftigen Kanalanlagen herangezogen werden, als das bei dem gegenwärtigen Kanal der Fall gewesen ift.

Meine Herren, dann hat Herr Graf Kaniß zwar nicht ausdrüdckli der Staatêregierung zum Vorwurf gemacht, aber doch darauf hin- gewiesen, daß in den Motiven, in der Erläuterung und Begründung, welche die Verlage ursprünglih im Jahre 1886 seitens der Staats- regierung erfahren hat, dem Landtage der Monarchie ganz andere Aussichten gegeben worden seien bezügli der Rentabilität des Kanals, als jeßt noch aufrechterhalten werden könnten. Meine Herren, das ist rihtig, die Aussichten, welhe damals, also vor elf Jahren, bezüglich des Kanals nicht bloß bei der Staatsregierung, sondern auch im Lande bestanden, werden sich s{chwerlich in absechbarer Zeit erfüllen. Aber ih bitte niht zu vergessen: der Dortmund-Emz-Kanal war nur ein Glied in dem großen Kanalnetze, von dem zunächst in dem Gesehe von 1886 das erste Glied seitens meines Herrn Amtsrorgängers dem Land- tage vorgelegt worden ift. (Aha ! rechts.) Wenn der Landtag der Monarchie k entschließen fann, das zweite Glied, welches vor einigen Jahren obne Erfolg zur Genehmigung vorgelegt wurde, den Kanal Dortmund— Rhein zu bewilligen, würden mit cinem Schlage tie Aussichten für die Rexntabilität des Dortmund-Ems-Kanals vollständig verändert werden. (Widerspruch rechts.) Dadurch, daß dieses Glicd abgelchut wurde, is allerdings zunähst der Dortmund-Ems-Kanal cin voll- ständiger Rumpf geblieben und is bezüglih seines Verkehrs an- gewiesen auf nur verhältnißmäßig wenig Produktionsstätten, die un- mittelbar an feinen Ufern liegen. Infolge dessen werden die Hoffnungen, die damals gehegt wurden bezüglih des Kanals, in ter festen Vorausfezung, daß er seine Forisezung nach dem Rhein wie nah der Elbe zu in absehbarer Zeit finden würde, getäuscht. Aber, meine Herren, so s{limm wie der Herr Graf Kaniß vorhin ausgeführt hat, liegt die Sache do nicht. Ich begegne immer wieder dem, ih möchte sagen, fast unausrottbaren Mißverständniß zwischen Kanalgebühren und Frachten, selbs beim Herrn Abg. Grafen Kanit, der doh eigentlich in diesen Dingen als Sahverständiger gilt. Der Herr Graf spricht von einer Kanalgebühr von 2,50, während damit die Fraht gemeint ist; von einer Kanalgebühr von 2,50 i überhaupt niemals die Nede gewesen, die wäre ganz unmögli; es war eben die Gesanmmtfraht damit ge- meint. Dagegen sind die Kanalgebühren natürlich nur vershwindend.

Meine Herren, es ist rihtig und, soviel ih weiß, auch seit Jahren bekannt, daß die Staatsregierung bereits einen Tarifentwurf ausgearbeitet hat, und zwar dur die beiden zuständigen Minister : den Herrn Finani- Minister und den Eisenbahn-Minister. Es war das abfolut notks wendig. Der Dortmund-Ems-Kanal ift in ciner eigenthümlichen Lage; er unterscheitet si von allen andern fünftlihen Wasserstraßen dadur, daß er im Lande selbst keinen Stügpunkt, keinen Anschluß hat an einen \chiffbaren Flußlauf oder an irgend ein in Betracht fommendes Kanalney. Es mußte daher von vornherein erst alles zum Betrieb der Schiffahrt auf diesem Kanal Erforderliche neu cingerichtet werden; es mußten die Schiffsgefäße gebaut werten, und zwar nicht bloß die Transportschiffe, sondern au die Remorqueure ; es mußten Rhederti- genofsenschaften si bilden, es mußten Handelsbeziehungen angeknüpft werden im Binnenlande sowohl wie im Auslande; es mußten die betreffenden Städte und die betreffenden größeren Produktionswerke, die Hütten werke und Kohlenzehen sich darauf einrihten, ihre Produkte an den Kanal beranzubringen, und gerade in der Beziehung mößte ih d noch einmal auf die Heranziehung der Betreffenden zurückkommen.

Fn den sehr beträhtlihen Ausgaben und Leistungen, die e Interessenten nah dieser Richtung, und zwar ganz allein, aufzubring?

haben, liegt meines Erachtens doch ein erheblicher Beitrag dafür,

zer Kanal demnächst eine Verzinsung aufbringen kann. Es sind, wie

nur wenige Produktionsgebiete, die unmittelbar an der Kanal- tant liegen ; die meiften anderen, welche überhaupt dabei in Betracht fonmen und das sind ja leider, solange der Kanal ein Rumpf 1 nit übertrieben viele —, müssen erft mit mehr oder minder aheblichen Kosten fich den Zugang zum Kanal \{afen. Die Städte Dortmund, München, Emden und verschiedene kleinere nússen mit sehr erheblichen Kosten für sich Umschlagshäfen einrichten. Alles das könnte aber nur dann gesehen, wenn die betreffenden gnteressenten an der Schiffahrt auf dem Kanal wenigstens einiger- gaßen in die Lage gebraht würden, si eine ziffernmäßige Rehnung darüber zu machen, was betragen die Tranéportkosten? und ein Theil dieser Tranéportkosten, und zwar der Theil, der die ficherste Gandlage bicten fonnte, war die Höhe der Kanalgebühren. Ueber diese Höhe der Kanalgebühren if die Staatéregierung im Jahre 1895 mit den betheiligten Behörden und den an der Schiffahrt und an dem Verkehr auf dem Kanal betheiligten Kreisen in sehr eingehende Herhandlungen eingetreten ; das Resultat diefec Verhandlungen war der Tarif, der in drei Klassen die für die Schiffahrt zu erwartenden Güter nit Gebühren belegt, und zwar mit Gebühren, die fo bemessen werden, daß als der Höchstbetrag diejenige Belastung aufzufassen ift, die es néglih machen sollte, einen Theil der Güter, die jeßt auf dem Rhein qu dem Revier und in das Revier kommen, dem Kanal zuzuführen.

Darüber find sehr eingehende Erörterungen gepflogen worden, ind man ist \ließlich damals zu dem Rehnungsabshluß gekommen, daß, wenn die vorgeschlagenen Tarifsäße angewendet würden, dann twa ein Benefizium von 3 4 pro Tonne gegenüber dem Umschlag Rotterdam—Rhein—Ruhrort, fagen wir mal in Münster oder Dort- mund, entsteht. Man hat geglaubt, daß das der Mindestbetrag sein müsse, den man als Avance dem Dortmund-Ems-Kanal zubilligen müsse, um überhaupt jemand zu veranlassen, künftig nicht mehr über den Rbein, sondern über den Dortmund-Ems-Kanal, also z. B. nach Dortmund, Güter zu verfrahten oder von Dortmund aus über See Güter zu vershicken.

Meine Herren, dieser Tarif ift der Handelskammer Dortmund als der von der Staatsregierung bcabsichtigte im Jahre 1895 ih glaube, es war im Scptember mitgetkeilt und ihr anheimgegeben, auch den zunä Betbeiligten, also den in Bildung begriffenen Rhedereigesellschaften, den Schiffseigenthümern und den Städten Mittheilung zu machen. Das ift geschehen, und der Tarif ist in Rheinland und Westfalen seit der Zeit allgemein bekannt. Es hat au niemand dagegen in den Jahren 1895 und 1896 Einspruch er- hoben, bis die Landwirthschaftskammer in Breslau zur Ueberzeugung fam, daß dieser Tarif den landwirtbschaftlihen Interessen des Ostens weren Eintrag thun würde. Die Landwirthschaftskammer hat das andere Motiv, welches mit Ret nah meiner Meinung Herr Graf Kaniß hervorgehoben hat, ihrerseits niht angeführt, nämli, daß man in den Kanalgebühren eine Deckung der Unterhaltungskosten, wo- mögli auch cinen Theil der Verzinfung si verschaffen müsse. Diefe

} besagte Landwirthschaftskammer, die das Interesse der Landwirthschaft

ihres Bezirks durch die Kanalgebühren gefährdet erahtete, hat im ganzen Sahre 1895 an Getreide ich habe genau nahrechnen lassen 13 & Gerste nah Westfalen geschickt. (Heiterkeit.) Das Interesse kann also nur ein ganz theoretisches gewesen fein, oder sie hat geglaubt, in Zukunft vielleicht etwas mehr versenden, sich etwas mehr an dem {usum für Westfalen betheiligen zu können. Bisher sind aus Osft- ud Westpreußen 1895 3 t Hafer, wahrscheinlich Saatgut, nach dem vestfälishen Industrie-Gebiet gegangen und 1 t Mehl (Heiterkeit), mch dem übrigen Westfalen bis herauf an die hannoversche Grenze sind gegangen aus Ost- und Westpreußen 10 t Mehl, von den oft- und westpreußischen Häfen überhaupt nichts, aus Pommern 20 & Hafer und 30 + Gerste nah Westfalen, nah dem Ruhrrevier über- haupt nihts. Ic) nehme an, daß auch diese 50 t Saatzut gewesen snd zur Ansftellurg irgendwelher Versuhe. Die einzige Provinz außerhalb des Meviers, die eine schr erheblihe Betheiligung an der Versorgung von Westfalen und insbesondere des Industriereviers gehabt ht und noch hat, if die Provinz Hannover, sie hat im Ganzen beinahe 50/009 t hingeschickt diese Provinz, die den Ver- hältnissen also sehr nahe steht, die ein dringendes Interesse hat, ihrer Undwirthschajt keine Konkurrenz gemacht zu sehen, hat fih für den Urif der Kanalgebühren ausgesprochen, die einzige, die ein aktives Interesse an der Saße hat. (Zurufe: Handelskammer!) Ich meine die Landwirthschaftskammer ; wenn ich „Provinz“ gesagt habe, it das ein Spra(hfehler. (Abg. Graf von Kaniy : Landwirthschafts- ammer giebts in Hannover niht!) Also die Landwirthschafts- gesellschast ; kurz und gut, die Vertretung der Landwirthe. Die- selbe Auffassung hat die Landwirthschaftskammer der Provinz Posen, die allerdings auch nur theoretisch betheiligt ist; se hat im Ganzen nur 10 t Eerste nachH Westfalen geschickt.

Ih wende mich \{ließlich nochmals gegen die Ausführungen des Herrn Grafen Kaniß bezüglih der Aussichten, die für die Zu- funft dem Dortmund - Ems - Kanal zugewiesen werden können. Gs ist rihtig, daß in den Motiven der Regierungsvorlage vom Hhre 1886 gesagt wocden ist, man erwarte, daß die Unterhaltungs- fosten dur die Kanalgebühr gedeckt werden; in den Motioen is von tiner Verzinsung nicht die Nede. Von der Verzinsung i} erst die lede gewesen in den Kommissionsverhantlungen, und da hat allerdings ein Vertreter des Herrn Finanz-Ministers die vom Herrn Giafen Kani vorgelesene Erklärung abgegeben, ih kann aber hier nur wieder- olen: unter ganz anderen Vorausfeßungen.

Meine Herren, von einem Verkehre auf dem Dortmund-Ems- Kanal kann nur dann die Red: sein, wenn dieser Verkehr wenigstens in der nähsten Zeit nicht mit solchen Abgaben belastet wird, die die hute von der Benugzung dieser Verkehrsstrecke abshrecken. Die be- theiligten Handelskammern ihrerseits behaupten heutzutage, daß das lhon bei der Höhe der Tarife der Fall sein würde, wie sie im Jahre 1895 festgeseßt worden sind. Denn wie die Handelskammer mit O deren Richtigkeit zu prüfen ih allerdings niht in der Lage

", die au in der Petition, die dem hohen Hause ja auc vorliegt, tthalten sind, ausführt, beträgt die gesammte Schiffsfraht pro Tonne on Rotterdam bis Mannheim 0,3, also 30 4. Das wäre un-

(fähr derselbe Betrag wie die Kanalgebühr von 70 H auf 230 km

ir die höchste Klasse, wenn sie demnähst erhoben wird. Meine N wenn Sie bedenken, daß unter diesen Umständen der Ge- je sehe selbst für diejenigen Orte, die unmittelbar am Kanal e 4 niht gerade sehr viel Anreiz hat, über Emden zu gehen bei nur Ÿwierigen Verhältnissen, die einmal im Emdener Hafen, der ja

für Schiffe verhältnißmäßig geringeren Tiefgangs zugänglich ift,

zweitens aber für den Kanal besteßen, der bekanntliß nur Schiffe von 600 t, im höchsten Fall, wenn sie sehr rationell gebaut sind, von 700 t zuläßt, während man für den Rhein jeßt Schiffe mit 1500 bis 1800 t baut, daß auf dem Kanal auf eine Rückfracht nur verhältnißmäßig in geringerem Maße zu. rechnen ist als auf dem Rhein, daß auf dem Kanal die Fahrt hin und zurüdck mit irgendwelWen Motoren ausgeführt werden muß, während auf dem Rhein wenigstens unterhalb Duisburg - Ruhrort die Thalfahrt heut- zutage meistentheils durch den Strom oder das Segel beforgt wird, wenn Sie ferner bedenken die großen kapitalkräftigen alten Rheder- firmen und Handelshäuser, die sowohl in Rotterdam, Amsterdam und Antwerpen wie auf dem Rhein, in Ruhrort, Duisburg, Mannheim, Düsseldorf, Neuß u. \. w. etabliert sind, gegen die die kapitalärmeren, zum theil ers in der Bildung begriffenen Rhedereigenossenschaften und Handeléfirmen an der Ems ankämpfen müssen, fo werden Sie, glaube ih, mit mir die Ueberzeugung hegen, daß bezügli der Tari- fierung der Kanalgebühren mit Vorsicht vorgegangen werden muß, daß namentli für die ersten Jahre eine gewisse Entwiklung: au dur die Kanalgebühren begünstigt werden muß. Das ift ja in dem Tarife auc insofern vorgesehen, daß für die ersten 5 Jahre nicht die vollen Säge, sondern statt 70 50, statt 50 30 und ftatt 30 10 erhoben werden follen.

Ic bin aber mit dem Herrn Grafen Kaniß und mit der Absicht, die der Resolution offenbar zu Grunde liegt und die in dem weitern An- trag der Herren Leppelmann und Schwarze und Frißen noch deutlicher zum Ausdruck gekommen is, darin vollständig einverstanden, daß die Staatsregierung in sorgfältigster Weise den Verkehr auf dem Dort: mund-Ems-Kanal im Auge zu behalten und nah beiden Richtungen bin sowobl nah der Richtung, allmählich zu einem Ersay der Unterhaltungskosten und der Verzinsung zu kommen, wie auch nah der anderen Richtung hin, den Kanal nicht zu einem die heimischen Wirthschaftszweige shädigenden Einfallthor konkurrierender Produkte werden zu lassen die Augen ofen zu halten hat. Das wird ge- sehen. Die Staatsregierung is aber einmüthig der Meinung, daß der Tarifentwurf, wie er im Jahre 1895 von den beiden betheiligten Ministern aufgestelt und den Interessenten mitgetheilt worden ist, zunächst aufrecht zu erhalten sein wird.

Abg. Freiherr von Plettenberg-Mehrum (konf.): Ich stehe dem Kanal etwas freundliher gegenüber als der Graf Kaniß und werde der Weiterführung nah dem Rhein nicht widersprechen. Aber ih bedauere, daß bei der Festseßung der Tarife die Landwirthschaft nit zugezogen wurde, worüber sich {hon die Landwirthschaftskammer in Breslau beschwert hat. Wenn der Minister glaubt, daß die Ein- fuhr des Getreides nur eine geringfügige is, dann if es für den Kanal niht wesentlich, daß die Getreideeinfubr höher tarifiert wird. Große Mühlen vermahlen niht einheimishes, sondern fremdes Getreide. Man befürchtet, daß am Kanal eine große Mühlenindustrie sich etablieren wird, die nur ausländishes Ge- treide vermahlt. Dadurh wird gerade die Landwirthschaft ge|hädigt. Auch in der Einfuhr fremder Grubenhölzer erwächst dem westfälischen Bauer eine Gefahr. Deshalb bitte ih den Minister, die Frage doch zu erwägen, wie einer solhen Kalamität entgegenzutreten ist. Man hört, daß die fanadishe Regierung nur britische Produkte zu den niedrigeren Tarifen einführen will. Wir sollten alles thun, um uns fremden Export vom Halse zu schaffen. Scließlih fährt auch die englishe Kohle den Kanal hinauf und macht unserer Kohle Kon- kurrenz. Ich danke dem Minister für das künftige Wohlwollen für unsere Landwirthschaft und bitte ihn, seiner Zusage bald Thaten folgen zu lassen. : i _ :

Abg. Sh mieding (nl1.): Graf Kaniß vermischt Wahres mit Falshem. Der Minister hat hon nahgewiesen, daß er Kanalgebühren und Frachtgebühren verwehselt. Eine Verzinsung und Amortisation des Anlagefapitals ist in der That in der Vorlage nicht versprochen worden; nur ein Kommissar hat in der Kommission eine solhe Hoff- nung ausgesprohen. Der Hauptgesihtépunkt war der vaterländische, neben der großen Wasserstraße des Rheins, welhe im Auslande mündet, eine Inlandwasserstraße zu schaffen. Graf Kaniß verwecfelt wahrsheinlich den Dormund-Ems-Kanal mit dem Dortmund-Rhein- Kanal, wo eine Verzinsung von 3# 09/6 autgerehnet war. Diesen Kanal hat aber Graf Kaniß abgelehnt. Hohe Tarife würden aler- dings den Dortmund - Ems - Kanal zu einem todten Wasser machen und die Konkurrenz des Au?landes begünstigen. Redner erklärt {i gegen den Kommissiongantrag und ist im Falle seiner Annahme für den Zusatzantrag Leppelmann, der die aus der Fassung der Kommission zu befürchtenden Mißverständnisse über eine Tarifierung beseitige.

Abg. Graf von Kaniß: Ich glaube auch, daß die Interessenten nit recht an den Beitrag berangehen würden; aber dagegen hat ja der Minister ein einfahes Mittel. Er brauht ja nur abzuwarten, welhen Werth die Interessenten auf die Benußung des Kanals legen: er baut eben ohne Zuschuß den Kanal nicht weiter. Bei der Weichsel und Nogat hat die Regierung einfach gesagt: Wenn ihr nihcht fo und soviel Millionen hergebt, wird das Projekt nit ausgeführt. Fch verstehe niht, wie man meine Ausführungen hat miß- verstehen können in Bezug auf Kanalgebühren und Frachten. Ih weiß genau, was Gebühren und Frachten sind. Ich habe nur gesagt: wenn 1886 ein Frahtsaß von 2,59 4 angenommen worden sei, so scheint man jeßt auf diesen Saß zu verzihten und si mit einer Gebühr von 30 S begnügen zu wollen. In der Vor- lage von 1886 war die damals vorgeshlagene Linie als selbständige Linie behandelt, von der Nothwendigkeit des Dortmund-Rhein-Kanals war ursprünglih niht die Rede. Der selbständige Dortmund-Ems- Kanal sollte damals auh die nöthige Rentabilität haben Der Dortmund-Ems- Kanal wird jeßt einfaH den Ruhrzehen geschenkt, auf jede Verzinsung und Amortisation des Anlagekapitals wird verzichtet. Hätte man uns das damals gesagt, so wäre alles anders gekommen.

Minister der öffentlihen Arbeiten Thielen:

Meine Híirren! Ih bedauere, wenn ich mich vorhin nicht so deutlih ausgedrüdckt habe, daß der Herr Graf Kaniß noch vor einem weiteren Mißverständniß behütet worden ist; er hat aber offenbar wenigstens nach meiner Auffassung sih auch jeßt noh niht den Unterschied zwischen Kanalgebühr und Fraht vollständig klar gemacht. Er spricht noch davon, daß mein Herr Amtsvorgänger, Herr Minister von Maybach, 2,59 (4 an Fracht damals hätte erheben können. Der Fiskus erhebt aber überhaupt feine Fraht (Zuruf), also besteht doch das Mißverständniß, wir erheben keine Fracht, sondern der Schiffer erhebt sie; wir erheben nux Kanal- gebühren. Sie, Herr Graf, haben aber ausdrücklich gesagt, diese urspcünglih ins Auge gefaßten 2,59 (A wären das Achtfahe von den 30 g, die jeßt nur erhoben werden sollen, also die Yerwecselung liegt doch ganz klar zu Tage. Meine Herren, ih habe auch nur gesagt, daß in der nächsten absehbaren Zeit der Dortmund-Ems- Kanal keine Verzinsung aufbringen wird; ih bin aber heute noch der Ueber- zeugung, daß er demnächst allerdings ni@t bloß seine Unterhaltungs- kosten, sondern auch eine mäßige Verzinfung bringen wird, und zwar um so eher, je früher die Verbindung nah beiden Seiten ge- schaffen wird.

Wenn nun der Herr Graf Kaniß den Vergleich gezogen hat mit den Anforderungen, die an die Interessenten der Weichselregulierung

gestellt worden sind, so liegt auch bier wohl ein Irrthum

vor. Das Geseg vom Jahre 1888 is ausgeführt. Es fehlt noch ein einziges Werk, das is das Eiëwehr. Das Eiswehr hat bis jet niht ausgeführt werden können aus Rücksiht auf die landwirth\caftlichen Interessen eines großen Kreises der Anwohner. Lediglich aus diesem Grunde hat das Eiswehr, das Letzte, was aus dem Gese von 1888 noch auszuführen ift, nicht ausgeführt werden können. Ob es demnächst ausgeführt werden kann, fteht noch sehr dahin und bedarf der Erwägungen seitens des Herrn Landwirthschafte- Ministers. Was jeßt geschehen foll, is etwas vollständig Neues. Es soll das Hohwafserprofil der oberen Weichsel reguliert werden im Interesse der Deichgenossenschaften, und es ist ein alter Grundfag, der stets bei allen derartigen Bauten gehandhabt worten ist, daß die Deichgenossenschaften zu den Kosten der Bauten mit herangezogen werden.

Abg. Wallbrecht (nl.): Graf Kanig bringt Sachen vor, die man garnicht verstehen kann. Kann sih denn eine Mühlenindusftrie so schnell entwickeln, daß sie die Landwirthschaft kaput maht ? Auch der Verkehr auf dem Kanal wird sich niht so rasch entwickeln. Es fehlt dazu noch an der Vorausseßung. Nentieren kann der Kanal erst, wenn er Verbindung hat mit der Elbe und dem Rhein. Dann wird auch die Landwirthschaft einen Nußen haben. Amerika hat eben billigere Frahten. Wir in Hannover denken darüber viel weitschauender als der Osten. Es kommt nit nur darauf an, billig zu produzieren, fondern auch zu transportieren. Was die Ueberschreitungen betrifft, so hoffen wir, daß sie in Zukunft nah den gesammelten Erfahrungen niht wieder vorkommen werden.

Abg. Möller (nl.): Graf Kaniß sprah von den ungeheuren Erträgen der Zechen, von 80 Millionen. Dicse Zahl hat er \sih aus dem Daumen gefogen und niht den Schatten eines Beweises dafür erbracht. Der s ist im Dur(schnitt auch heute noch ein keineswegs rentierendes Unternehmen. Die Verzinfung übersteigt faum 9 9/0, manche Zechen rentieren überhaupt nicht. Von einem Geschenk des Kanals an das Ruhrgebiet ist keine Rede. Ueber die Hälfte der gesammten Gütermengen der Eisenbahn kommen im Wten auf die Bahn; die ou g der Eisenbahn kommt aus dem Westen. Die Löhne der Arbeiter sind immens gestiegen. 1877 betrugen die Berzarbeiterlöhne pro Kopf 664 M, 1891 1080, und jeßt sind sie noch höher. Die Einfuhr des Getreides ermögliht überhaupt erft die Nußbarmachung der S zöôlle. Das follte Graf Kaniß erwägen und nicht so gehässig über die Industrie sprehen. Die Hohen Kanalgebühren beim Nord-Ostsee- Kanal beweisen, wie gefährlich es ist, den Bogen zu \traff zu spannen. Die Regierung würde einen Vertrauensbruch begehen, wenn fie in den nächsten fünf Jahren den Tarif ändern wollte. Dhne Dortmund- Rhein-Kanal kein Mittelland-Kanal und auch kein Nußen für den Osten. Prüfen Sie solche Dinge in Zukunft ruhiger.

Abg. NRickert erklärt, daß er für § 1 ftimmen werde.

Abg. Graf von Kaniß: Jch verstehe niht, welchen Nußen der Meittelland-Kanal für den Osten und seine Landwirthschaft haben foll. Es handelt #{ich darum, ob auf die Verzinsung des Anlagekapitals verzihtet werden fol. Ist das der Fall, dann wird das ganze Kapital den Ruhrzechen geschenkt. Einzelnen Zehen mag es minder gut gehen als anderen. Die Kohlen- und Kokspreise sind aber doh erheblih gestiegen, und man kann von einer hohen Blüthe der Ruhr- kohlenindustrie sprehen. Der Nettoüberschuß der Eisenbahnen aus dem Kohlentransport ift ein relativ geringer; wir im Often mußten für unsere Transporte das Doppelte und Dreifache bezahlen. Ih frage den Minister: warum wird das Eiswehr in der Nogat niht gebaut ? Die Profile der Weichsel waren den Technikern da- mals ebenso bekannt wie heute, und es ist nicht abzusehen, weshalb die Interessenten jeßt zu den Regulierungsarbeiten der Weichsel bei- tragen sollen. Eine Gehässigkeit gegen die Industrie hat mir voll- stäadig fern gelegen.

Ein Regierungskommissar erklärt, daß es sich bei der Weichselregulierung lediglich um Sachen gehandelt habe, die niht im Rahmen des Geseßes von 1888 gelegen hätten, während beim Dort- mund-Ems-Kanal der eigentlihe Plan niht geändert worden fei.

Abg. Möller nimmt den Ausdruck „gehässig" zurück, bleibt aber dabei, daß Graf Kaniß sehr unfreundlih über die Industrie gesprochen

abe.

Damit schließt die Diskussion. Das Gesey wird mit großer Mehrheit angenommen. Ueber die Resolution wird in dritter. Lesung verhandelt werden.

Schluß 41/4 Uhr. Nächste Sizung Montag 11 Uhr. (Vereinsgeseß.)

Statistik und Volkswirthschaft.

Die deutsche überseeishe Auswanderung

über deutsche Häfen, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam stellte sih nah den Ermittelungen des Kaiserlichen Statistishen Amts für April 1897 und den gleichen Zeitraum des Vorjahres folgendermaßen :

Es wurden befördert i

im April über

1897 1896 ¿ 1077 2045 Er 954 1355 andere deutsche Häfen (Stettin) 112 145 deutshe Häfen zusammen . 2143 3545 Ao E 395 590 M e N 67 117 A A ——— 19 überhaupt 2605 4271 Aus deutschen Häfen wurden im April 1897 neben den vor- genannten 2143 deutschen Auswanderern noch 5374 Angehörige fremder Staaten befördert. Davon gingen über Bremen 2618, Hamburg 2613, Stettin 143.

Bremen . Hamburg

Die Theater in Preußen.

In einem Runderlaß vom August 1895 hatte der Minister des Innern sämmtliche Negierungs-Präsidenten sowie den Polizei-Präsi- denten von Berlin angewiesen, zuverlässiges Material zur Beurthei- lung der Mißstände, welhe sih in Verbindung mit dem Theater- wesen gezeigt hatten, zu sammeln und zu diesem Zweck von den Orts-Polizeibehörden einen von ihm aufgestellten Fragebogen für jedes ene Theater ausfüllen zu lassen, in welchem im Jahre 1894 oder 1895 Vorstellungen stattgefunden haben. Außer auf solhe Theater, zu dencn der Eintritt jedem gegen das übliche Eintrittsgeld freisteht, hatten sih die Erhebungen au auf solche zu erstrecken, zu denen als Zuschauer aussließlih Mitglieder eines bestimmten Vereins und eingeführte Gäste Zutritt haben, jedo nur dann, wenn der Verein im Jahre mindestens 10 Aufführungen zu veranstalten pflegt. Betrafen die Mißstände auch in erster Linie Fragen, welche mit der persönlihen Stellung der Schauspieler und Schauspielerinnen gegenüber den Agenten, Unternehmern u. dergl. zusammenhängen, so war es doch zunächst erforderlih, die Zahl der Theater, der Theaterunternehmungen, der dabei mitwirkenden Bro u. \. w. festzustellen und dadur eine Grundlage E weitere

earbeitungen desselben Gebietes zu gewinnen. Das Ergebniß diefer Ermittelungen is in dem foeben ershienenen 1. Vierteljahrsheft 36. Jahrgangs der „Zeitshrift des Königlich preuy chen Statistischen Bureaus* in einer Reihe tabellarisher Uebersihten niedergelegt, welche für jedes einzelne Theater Nachrichten über die äußeren Ver- hältnisse des Unternehmens während des Jahres 1895 enthalten.

Bei der Bearbeitung des gewonnenen Materials sind die Theater die sogenannten Spezialitätenbühnen wurden ausgeschlossen in fünf dem Werthe ihrer künstlerishen Darbietungen annähernd ent-

sprechende Klassen eingetheilt und in die erste Gruppe diejenigen