1897 / 126 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 31 May 1897 18:00:01 GMT) scan diff

sammten finanziellen Ergebnisse ter Justizverwaltung aus dem am 1. April abgelaufenen Etatsjahre vor: danach hat sich im Gesammt- umfang der Monarchie eine Vermehrung der Einnahmen um etwa 2 Millionen Mark ergeben. Das kann nit als unverhältnißmäßig hoch bezeihnet werden. Denn z. B. vom Jahre 1893/94 zum Jahre 1894/95, also unter der Herrschaft des alten Gesetzes, hat die Mehr- éinnahme beinnahe 3 Millionen betragen, ohne daß irgend eine Aende- rung in den Kostensäßen selbs vorgekommen war. Daraus ergiebt \ih daß auch andere Umstände bei der Erhöhung wesentlich mitwirken, Wir find nun bemüht gewesen, genau festzustellen, worauf im einzelnen die Mehreinnahmen zurückzuführen sind, und auf eine von mir erlassene Anordnung hin wird seit Beginn dieses Etatsjahres, seit dem 1. April, ein Nebenregister in allen Kassenverwaltungen geführt, worin auseinander gehalten werden diz Kosten nah den Gegenständen, aus denen fie erwahsen. Diese Nebenregister sollen das ganze Jahr geführt werden und dann wird sich ein festes Urtheil ge- winnen lassen, ob und inwieweit die Mehreinnahme aus der Erhöhung der Kostenansäße oder aus anderen Umständen hervorgeht und iné- besondere inwieweit die freiwillige und die streitige Gerichtsbarkeit dabei in Frage kommen. Wenn sich ergeben follte, daß durch diese Erhöhung in der That eine zu große Belastung des rehtsuchenden Publikums herbeigeführt ist, so wird sih die Staatsregierung der Er- wägung nit entziehen, ob niht da die bessernde Hand anzulegen und ob nit bei den höheren Objekten eine Ermäßigung der Ansäye zu erstreben sei.

Herr Ober-Bürgermeister Struckmann hat weiter hervorgehoben, daß es insbesondere übel empfunden werde, daß einzelne Notarien ganz unverhältnißmäßig hohe Einnahmen unter der Herrschaft des neuen Gesezes bezögen. Auch diese Thatsache ridtig sein; sie hängt aber neuen Gebührensäße zusammen, wonach nicht die Thätig- keit, das Arbeitsmaß, für den Beamten, die Behörde oder den Nechts- anwalt, den Maßstab für die Höhe der Gebühren abgiebt, fondern lediglih die Höhe des Objektes. Das ist bei den Kosten der streitigen Gerichtsbarkeit {hon seit 1851 in Preußen durhgeführt worden; die Gebührenordnung für Rechtsanwalte beruht auf demselben Gesichtspunkte. Es kommen da allerdings unter Um- ständen für einzelne Fälle Gebühren heraus, die in gar keinem Verhältnisse stehen zu der geleisteten Thätigkeit; aber dies ist einmal unzertrennlich von dem ganzen System. Für die kleinen Objekte wird außerordentlich wenig erhoben. Es arbeiten da die Beamten und Gerichte vielfah mit Verlust. Dafür wird dann ein Ausgleih in den höheren Objekten gesuht. Ferner ist es richtig, wenn Herr Ober - Bürgermeister Struckmann gesagt hat, daß dieses Mißverhältniß bezüglich der Notarien seitens des Publikums besonders unangenehm empfunden würde, und die Notarien selbst häufig es peinlich empfinden, für verhältnißmäßig geringfügige Akte \folhe außergewöhnlihen Gebühren erheben zu müssen. Der maß- gebende Gesichtspunkt der Gleichstellung der Notariatskosten und der Gerichtskosten war der, daß man nicht eine für den Staat nach- theilige Konkurrenz der Notarien und Gerichte herbeiführen wollte. Wenn die Gebühren für die Notarien geringer angeseßt worden wären, dann wäre die nothwendige Folge gewesen, daß alle Akte - der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für welhe die Notarien zuständig find, aus\chließlich von diesen aufgenommen würden und den Gerichten diese Einnahme vollständig entginge. Eine folhe Konsequenz konnte nicht zugelassen werden und das hat zur Gleichstellung geführt, die wir übrigens in den alten Provinzen {hon seit 1851 gekannt haben.

Welche Konsequenzen im einzelnen aus der neuen Gebührenord- nung für die Notarien si ergeben haben und wie weit die Einnahmen ein- zelner Notarien es werden hier haupt\ächlichst die großen Städte in Frage fommen eine ganz ungerechtfertigte Höhe erreiht haben, vermag ih n‘cht zu übersehen. Daß Klagen vielfach laut werden, is mir nit entgangen und id beabsichtige deshalb, ebenso wie jeßt bezüglich der Gerichtskosten Erhebungen ausgeführt werden, auch Feststellungen treffen zu lassen für die Einnahmen der Notarien. Für diese Feststellung is dec nächste Winter in Ausfiht genommen, als diejenige Jahreszeit, in der eine größere Gleihmäßig- _ feit in der notariellen Thätigkeit sih zeigt, als in den Sommer- monaten. Wir werden also vorauésihtlich im nächsten Jahre in der Lage sein, genaue Zahlen auf Grund dieser Ermittelungen geben und daraus ersehen zu können, ob sich ein An!aß zu weiteren Maßnahmen _ ergiebt. Der Gedanke, den Herr Ober-Bürgermeister Struckmann angeregt hat, daß die Notarien geseßlich verpflihtet werde könnten, einen Theil ihrer Gebühren an den Staat abzuführen, ist ja au nit neu; er ist {hon bei der Vorbereitung dieses Geseßes angeregt worden, und, wie ih meine, au bei der Berathung des Gesetzes zur Sprache gekommen es ift aber vorläufig wenigstens nit thunli) erschienen, diesen Weg zu beschreiten. Eine ähnliche Einrichtung besteht in dem Großherzogthum Baden, wo die Notare mit sehr hohen Cinnahmen verpflihtet werden können, einen Theil der Einnahmen an die Staats- fasse abzugeben. Dafür giebt der Staat den Notaren, die ein unzureihendes Einkommen haben, einen Zu- schuß, er sichert ihnen also ein gewisses Mindesteinkommen. Wieviel dabei herausgekommen ist, weiß ih niht; aber jedenfalls ift der Gedanke der Erwägung werth. Zu einer Erleichtecung für das Publikum würde dice Maßregel selbstverständliÞ nur dann führen Fönnen, wenn Hand in Hand damit eine Ermäßigung der Kosten für die Notare und die Gerichte ginge, und nach dieser Richtung hin würde die Prüfung sich zu erstrecken haben. Bei dieser Prüfung ist insbesondere das Finanzressort betheiligt; ih werde aber niht unterlassen, den Herrn Finanz-Minister auf den heute hier angeregten Gesihtspunkt auf- merksam zu machen, und wenn weitere Erfahrungen ergeben follten, daß ein dringendes Bedürfniß nah Erleichterung auf diesem Gebiete vorliegt, so glaube ih niht bezweifeln zu dürfen, daß auch der Herr Finanz-Minister seine Miiwirkung zu einer solchen Erleiterung nicht versagen wird.

Damit schließt die Debatte. Ueber die Petition um Neu- bau des Amtsgerichtsgebäudes in Querfurt und über diejenige um anderweite Festseßung des Besoldungsdienstalters der Ge- rihts\hreibergehilfen und -Assistenten bei ihrer Beförderung zum Sekretär wird zur Tagesordnung übergegangen. Beim Etat des Ministeriums des Jnnern findet « eine Debatte überhaupt nicht statt; über die auf Aufbesserung des Gehalts der Strafanstalts-Sekretäre gerihtete Petition geht das Haus zur Tagesordnung über. Ueber den Etat des Ministeriums der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten referiert Freiherr von Durant. Die dazu eingegangenen Petitionen,

wird vielfach“ mit dem Grundprinzip aller.

welche auf öhung des Gehalts der Geistlichen gerichtet sind, jenen der Regierung als Material für eine anzustrebende Ver- erung der Gehaltsverhältnisse der Geistlichen überwiesen werden. x ¿ reiherr von Stumm: Im preußischen Abgeordnetenhause hat der Kultus-Minister dem fogenannten Kathbedersozialismus eine Ver- theidigung angedeihen lassen und identifiziert mit dem- Verein für Sozialreform, mit den Bestrebungen für Schußzzoll und Sozialreform, mit der Politik des Fürsten Bismarck, ja mit der QRE Botschaft von 1881. Danach würde i einer der ersten Kathedersozialisten gewesen Es und noch sein; ich muß mir aber diesen Titel entschieden verbitten. n die Stelle der royalistishen Sozialpolitik der siebziger Jahre ist ein demagogisher Sozialismus, Klassenkampf, Heße gegen Kapital und Grundbesitz getreten. Es wird die bestehende Gesellshaftsordnung, selbs der Begriff des Eigenthums angegriffen. Fürst Bismarck hat mich ausdrücklich autorisiert, hier zu erklären, daß niemand schärfer den Kathedersozialismus bekämpft habe als er. Diese Richtung ist typisch für die Lehre der Nationalökonomie auf den preußishen und außerpreußishen deutshen Universitäten. Der Kultus-Minister will die KE wahren; aber noch kürzlich ist einer der Fortgeshrittensten der Art nah Marburg berufen. Die Männer aus der Praxis, tie der Kultus-Minister ihnen gegenüberstellen will, werden von der herrschenden Gesellschaft als unwissenshaftlih ftigmatisiert. Die rren seien nicht arbeitgeberfeindlib, meint der Kultus- inister. Dagegen lassen sh Aeußerungen von Schmoller und Anderen anführen, die nach meiner Ansicht fanatisher als Bebel und Liebkneht gegen den Besiß sih rihten, und gerade seine Schüler find auf diesem Gebiete die llerfortgeschrittensten. Nur in die Atmosphäre der Arbeiterversammlungen is Herr Schmoller noch) nicht hinabgestiegen. Anders Herr Wagner, der nah dem Saarrevier und nah Bochum gekommen ist. Auch ihn hat der Herr Kultus-Minister vertheidigt und die von ihm in Bochum gehaltene Rede in Schuß genommen, es seien da Mißverständnisse untergelaufen. Sind aber noch Mißverständnisse möglich, wenn von Diners gesprochen wird, die 20 M und mehr kosten, wenn angerathen wird, Arbeiterorgani- sationen zu schaffen, die von einem Unternehmergewinn von 10 9% 89/9 in die Tasche der Arbeiter überführen? Wie muß ih die Sachz im Gehirn des Arbeiters darstellen, wenn ihm ein Königlicher Beantec, ein Professor und berühmter Gelehrter folches vorträgt ? Was soll da aus Betrieben werden, die weniger als 1009/6 Reinertrag bringen? Ihr Ruin wäre unausbleiblih. Bricht jeßt noch ein Strike an der Ruhr aus, so hat ihn Herr Wagner mit veranlaßt. Warum floriert keine der korporativen Produktivgenossensaften ? Weil die Disziplin fehlt. Unsere Industrie dringt auf dem Weltmarkt vor, weil bei ihr noch Disziplin herrscht; die eng- lische geht zurück, weil der englishe Arbeiter niht zu seinem Chef, jondern zu dem Generalsekretär feiner Union gut zu f\tehen bestrebt ist. Herr Wagner hätte den Arbeitern in Bochum zeigen sollen, in welcher relativ vorzüglichen Situation sie fih befinden. Ein Königliher Beamter darf nicht gegen die Arbeitgeber auftreten. Kann man das nicht verhindern nah der Lage der Geseß- gerade so muß diese geändert werden, wie sie bezüglih des Falles rons geändert werden soll. Nah dem „Vorwärts“ tritt übrigens „Genosse“ Arons nah wie vor agitatorisch hervor. Ihm muß das Handwerk gelegt werden, sonst leidet die Autorität des Staats. Was nüßen alle Verein8geseße, wenn man die sozialdemokratischen Elemente als Universitätelehrer weiter gewähren läßt? Jeßt ift Herr Professor Delbrück, der wie Naumann mit den Sozialdemokraten kokettiert, zum Geschichtsordinarius in Berlin befördert worden, ein Führer der Nationalsozialen. Das nationale Mäntelchen, das diese Herren ihren Bestrebungen umhängen, ist nach meiner Ansicht sehr fadenscheinig. Delbrück bekämpft in den „Preußischen Jahrbüchern“ jede Maßregel gegen die Sozialdemokratie; er hat u. A. auch die Hamburger Arbeitgeber beshuldigt, im Strike sih unlauterer Mittel bedient zu haben. Ist das preußische Geschichte, was da gelehrt wird? Wenn der Student dies hören muß, wohin soll das kommen? Die Wissenschaft aug Halt machen, wie vor Religion und Sitte, so vor dem Umsturz. at die Gesetzgebung dazu keine Macht, so muß sie vershärft werden, und namentlich auf dem Verwaltungswege follte mit der alleräußersten Vorsicht verfahren werden. Dies vorzubringen hielt ih für meine heiligste Pflicht. /

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse:

Meine Herren! Der Herr Freiherr von Stumm hat durch die persönliche Liebenswürdigkeit seiner Ausführungen es mir einiger- maßen erschwert, ihm entgegenzutreten. Ja, ih kann fagen, daß in seinen Ausführungen, namentlich in der Darlegung feiner praktischen Stellung in wirtbschaftlihen und sozialen Fragen, sih breite Stellen finden, in denen i vollfommen mit ihm übereinstimme. Ich brauche nur entshieden zustimmend hinzuweisen auf feine grundlegende Stellung zum christliGen Bekenntniß, zum monarhishen Empfinden und auf die Feindschaft, die Bekämpfung, den Widerstand gegen die fozialdemo- fratishen Bestrebungen. Das versteht sh ganz von felbst. Aver, meine Herren, in der Zusammenstellung der Ausführungen des Herrn Freiherrn von Stumm, in ihrer Gegenüberstelung gegen die Dar- legungen, die ih namens der Unterrihtsverwaltung im anderen Hause zu machen die Ehre gehabt habe, da liegt doch eine Tendenz, die ich als berechtigt nit anerkennen kann, und der ih kraft meiner Pflic;t als Unterrihts-Minister entgegentreten muß. M

Meine Herren, Herr Freiherr von Stumm hat damit begonnen, daß er unsere Differenzen in der Auffassung über die Bedeutung des Kathedersozialismus darzulegen gesucht hat; er wendete sih gegen die angeblich von mir vorgenommene JIdentifizierung des Katheder- fozialismus mit den besonnenen Wohlfahrtsbestrebungen zu Gunsten der Arbeiter, etwa mit den Bestrebungen, wie sie in der Allerhöchsten Botschaft vom 17. November 1881 zum Ausdruck gekommen sind. Nun, meine Herren, Herr Freiherr von Stumm hat bei ‘allen diesen Dingen, bei allen diesen Ausführungen immer die praft se Bethätigung und die wissenschaftlihe Darlegurg seitens der kathede:sozialistishen Professoren zusammengeworfen. Dadurh aber kommt man zu einem klaren Urtheil in den Fragen, die die Unterrichtêverwaltung angehen, nicht. Meine Herren, der Katheder- sozialismus ift eine wissenshaftlihe Shule. Ganz davon verschieden ist die praktishe Bethätigung der kathedersozialistishen Ideen. (Widerspruch des Freiherrn von Stumm.)

Herr Freiherr von Stumm hat selbs hervorgehoben, daß die fathedersozialistishen Professoren in der Praxis abfolut nichts gethan hätten, auch nicht zu Gunsten der Arbeiter. (Freiherr von Stumm: Gesleistet !)

Nun, meine Herren, dann muß man aber auch die praktische Thätigkeit eines Mannes und die wissenschaftlihe Stellung des Ge- lehrten auseinanderhalten, urd dieses Auseinanderhalten allein {hon {ügt Herrn Freiherrn von Stumm vor dem Verdachte, den er ja au aus\sprach, daß man unter Umständen auch ihn zu den Katheder- sozialiften rechnen fönnte. Meine Herren, man kann weder den Herrn Freiherrn von Stumm noch mi zu den Kathedersozialisten renen, das ift ganz unmöglich; denn wir sind beide keine Gelehrten, die zu dieser wissenschaftlichen Schule gehörten und die den Beruf hätten, wissenschaftlihe Forshung zu treiben und zu lehren. Meine Herren, Herr Freiherr von Stumm hat gemeint, der Kathedersozialismus hege zum Klassenkampf. Jch glaube, daß dieser Vorwurf in dieser Allgemeinheit der shwerste, den es geben kann nicht berechtigt ift. Ich muß sagen: cin Mann wie Schmoller hat meines Wissens

niemals zum Klafsenkampf gereizt. Meine Herren, felbst ein Mann wie der Herr Professor Dr. Adolph Wagner, der ja nah gewisser Seite hin einen Schritt über Shmoller hinausgehen mag, hat doch

selbs in ‘seiner Bochumer Rede und in allen feinen Auslafsungen

und Vorlesungen immer an die Spiye gestellt den entshiedensten Gegensatz gegen die Sozialdemokratie und ihre’ Bestrebungen. Nun sagt Herr Freiherr von Stumm: das ift ein Mäntelchen, das er .\ih umhängt. Aber, meine Herren, ih habe es mit dem Mäntelchen niht zu thun. Jch bin nicht in der Lage, Gesinnungsriecherei zu treiben. Ih muß mich an die Thatsachen halten, die mir vorliegen, ich muß mich an das halten, was ih gehört habe, oder was Andere gehört baben und was amtlich von mir festgestellt werden kann. Ob das aufrichtig gemeint ist oder niht aufrihtig gemeint ist, das, meine Herren, zu entscheiden, dazu bin ih garniht berufen. Das ift au ein sehr gefährlihes Geschäft, auf das ich mih überhaupt nicht ein- lasse, am allerwenigsten auf diesem Gebiet, hon aus dem Grunde nit, weil das heute nah der einen Seite hin gehen kann und morgen nah der anderen. Nein, meine Herren, das ift niht mögli, fo kann man diese Dinge niht behandeln.

Nun sagte Herr Freiherr von Stumm, ich habe mih auf den Fürsten Bismarck berufen für meine Stellung zum Kathedersozialismus. Da, raeine Herren, hat er mich doch mißverstanden, und weni er die Güte haben will, meine Auslafsungen, die ih im anderen Hause ge- ihan habe, nochmals nachzulesen, so wird er sehen, daß ich aller- dings behauptet habe, daf dur den Fürsten Bismarck und seine veränderte Sozialpolitik unsere deutshe Volkswirthschaftslehre, au die wissenschaftlihe, bis in die tiefsten Tiefen hinein bewegt worden ist, und daß Fürst Bismarck nit bloß unser größter Staats- mann, sondern auch mindestens ein fehr großer Volkswirth, vielleicht der größte jeßt lebende Volkswirth ist. Das habe ich gesagt, das vertrete ich Wort für Wort, das ist rihtig, das ift wenigstens meine volle und ehrlihe Ueberzeugung.

Nun, meine Herren, was die Einzelheiten anlangt, fo gehe ih nur sehr ungern auf die Persönlichkeiten ein, und will mih auÿh in dieser Beziehung ganz kurz fassen. Es ift vollkommen rihtig, daß mir dur den Herrn Professor Wagner eine von ihm als authentisch be- zeichnete ftenographischWe Aufzeihnung über die von ihm in Bochum ge- haltene Rede vorgelegt worden ist. Auch diese Aufzeihnung diefer Rede wieder beginnt mit einer fo scharfen Stellungnahme gegen die Sozialdemokraten, wie sie s{härfer niht gedacht werden kann. Es ist ja möglich ich weiß das nicht —, daß aus der Art, wie die Rede gehalten worden ist, unter den Arbeitern eine Erregung enistanden is. oder entstehen konnte. Ich mache aber darauf auf- merksam, daß Herr Professor Wagner dorthin berufen war, um in einem christlihen Arbeiterverein einen Vortrag zu halten, und daß dieser Arbeiterverein, der aus einer großen Zahl von Arbeitern be- steht, der einzige in Deutschland ist, der gleihmäßig aus Katholiken und Evangelischen zusammengeseßt ist, und ih habe volles Verständniß dafür, daß ein Mann, der, wie Herr Professor Wagner, sein christlihes und monarhishes Gewissen immer- in den Vordergrund schiebt, cinen großen Zug empfand, dieser Einladung, in Bochum zu sprechen, nicht auszuweihen. Ob es richtig war, dorthin zu gehen, ob es wünschenswerth war, das ift eine ganz andere Sahe. Meine Herren, die Unterrichtsverwaltung hat es nur mit der Prüfung zu thun, ob nah dem, was dort gesprochen ist, von dem Mann eine Verletzung seiner Pflichten als Staatsbeamter anzunehmen war. Ih habe diese Rede nach den verschiedenen Lesarten, niht bloß nah der mir von Herrn Professor Wagner überreichten, sondern auß nach anderen, die durch die Zeitungen gegangen waren und die zum theil etwas schärfer klangen es mag ja auh eine solhe frei gehaltene Rede sehr leiht von verschiedenen Leuten verschieden aufgefaßt werden —, ih habe diese Rede prüfen lafsen und sie selbs sehr sorgfältig geprüft und bin zu der Ueber- zeugung gekommen, daß darin nihts enthalten war, auf Grund defsen die Einleitung einer DisziplinaruntersuGßung und ein Antrag auf Amtsentsezung gegen den Professor Wagner zu begründen wäre. Damit war für mich die Angelegenheit des Professors Wagner, der selbst bei mir beantragt haite, das Disziplinarverfahren wegen seiner Rede einzuleiten, abgethan. Ich kann gegen den Mann wegen dieser Rede niht vorgehen. Das will ih noch hinzufügen Sie werden mir alle kteistimmen —: wenn man in diesen heiklen Dingen wirkli zugreift, so muß man sicher sein, daß man durhkommt. Wenn ih hier mit großem Geklingel eine Disziplinar- untersuhung gegen Professor Wagner wegen seiner Bochumer Rede eingeleitet hätte, so wäre es natürlich eine große Aktion gewesen, die durch die ganze Presse gegangen wäre. Wenn wir dabei liegen ge- blieben wären, so wäre cs das Schädlichste für die Staatsautorität und das Staatsbewußtsein gewesen, was uns’ hätte passieren fönnen. Jh muß vor der Einleitung jeder Disziplinaruntersuhung das verlangt doch Gewissen, Reht und Gerechtigkeit unter- suchen, ob zu einem dcrartigen Einschreiten ein objektiver Grund vorliegt. Dieser Grund lag niht vor, damit if die Sache für mih abgethan. Ich brauche ja nicht zu sagen, daß ih nit -nur nit mit jedem Worte, fondern au mit vielen Anschauungen des Herrn Professors Wagner mich nicht einverstanden erklären kann, z. B. mit seiner Lohntheorie oder gar mit den Hinweisen auf die Luxusausschreitungen, die unter Arbeitgebern vorkommen. Daß solche Aut schreitungen vorkommen, das ist ganz zweifellos; ob es aber richtig, ob es weise war, das dort zu sagen in dieser Versammlung, das muß ih dahingestellt sein lassen. Aber an und für sih lag au in der Faffung, wie ih gesehen habe, nichts vor, wodurch ih hätte mich für berechtigt halten können, das Disziplinarverfahren gegen Pro- fessor Wagner auf Amtsentseßung zu eröffnen.

Was Herrn Professor Shmoller anlangt, so is dieser das hat ja Herr Freiherr von Stumm selbst anerkannt nicht nur in seinem Auftreten zurückhaltend, sendern ebenfalls eine wissenschaftliche Autorität. Er is Mitglied des Staatsrathes und der Akademie der Wissenschaften. Er hat sich auf agrarishem Gebiet dur feine grundlegenden Studien große Verdienste erworben. Jh bin überzeugt, daß er, wie ih es thue, in Bezug auf die Bedeutung des Hand- werks und des Mittelstandes vollkommen mit dem übereinstimmt, was heute Herr Freiherr von Stumm in di-ser Beziehung gesagt hat. Im übrigen is der Mann ein Gelehrter von zweifellos monarchischer, nationaler Gesinnung, und das gilt auch von Herrn Professor Wagner. Also wie man nah dieser Seite hin dem Unterrichts-Ministerium Vorwürfe machen kann, ist mir unverständlich. Herr Freiherr von Stumm sagt dann ferner, die Schüler gehen über ihn hinaus. Ja, meine Herren, wieviel Gelehrte hat es niht schon

gegeben, deren Shüler weit über sie hinausgegangen find. Dafür fann man den Mann doch niht verantwortlich machen, fondern bei dec Beurtheilung dieses Mannes muß man \ih an das halten, was er publiziert, was er gelehrt hat, und wofür er eingetreten ift, und nicht für die Excesse seiner Schüler.

Fch komme nun zu dem Professor Delbrück. Das is nun der am allerwenigsten begründete Vorwurf, den man der Unterrichts- verwaltung machen kann. Professor Delbrück ift bereits seit Jahr und Tag persönlicher Ordinarius an der hiesigen Universität für Geschichte, besonders Kriegsgeschihte, gewesen, er hatte nur keine ectatsmäßige Stelle, und es is cine rein administrative Maß- regel gewesen, die sich ganz von felbst verstand, daß er, scbald eine etatsmäßige Professur im Fache der Geshihte auffam, in diese einrückte. Die Sale hat absolut keine politische Bedeutung, auch nit die Bedeutung einer Auszzihnung, einer Belohnung. Es wäre eine Ungerehhtigkeit gewesen, wenn man ihm das etatsmäßige Gehalt nicht hätte verleihen wollen, auf das er seit Jahren gewartet hat und für das er schwer und redlih gearbeitet hat. Was. die journa- listishe Thätigkeit des Mannes anlangt, so hat sie damit nichts zu thun. Wenn er in seiner journalistishen Thätigkeit etwas g*gen Recht und Gesetz und die Pflichten eines Beamten thut, so muß ih ihn angreifen wie jeden anderen Professor. Darin bin ih mit Herrn von Stumm sinver- standen. Aber für jede Wunderlichkeit und jede Einseitigkeit, dieetwain den Preußischen Jahrbüchern unter dem Namen des Professors Delbrück in der Redaktion geschrieben worden ift, die Unterrichtsverwaltung verantwortlich zu machen, das geht entschieden zu weit. Im übrigen will ich nur bemerken, daß Professor Delbrück auf seinem Gebiet, auf dem Gebiet der Krieasgeshihte und der preußishen Geschichte, ein Gelehrter von ganz bekanntem Ruf ift. (Heiterkeit, Unruhe.)

Ja, meine Herren, das ist Thatsache! Erstens mal hat er ein stark besuhtes Kolleg und eine sehr geshägte Dozententhätigkeit, dann aber möchte ih Jhnen noch sagen, welhe Leute für ihn ein- getreten sind, sehr bewährte Schriftsteller: Koser, Max Lehmann, Oberst-Lieutenant a. D. Jaensch und viele Andere sind in allen Streitfragen, die auf diesem Gebiet berührt sind, {chließlich auf seine Seite getreten, und damit ist er niht abzuthun, daß man ihm seine journalistishe Thätigkeit vorhält.

Nun komme ih eigentli auf die Hauptsache, auf die grundsäßliche Stellung der Unterrichtsverwaltung zu den Universitäten überhaupt. Die Hoffnung, daß es ungeachtet der weiten Verbreitung des Katheder- sozialismus mit der Zeit gelingen wird, auch positive und nicht kathedersozialistisch gerihtete Gelehrte von wissenshaftlicher Be- deutung für unsere Lehrstühle zu gewinnen, theile ich mit dem Frei- herrn von Stumm durchaus, und mein ganzes Bestreben geht tabin, das zu erreichen, wie ich das auch im Abgeordnetenhause ausgeführt habe. Ich möchte in dieser Beziehung nur noh einmal bemerken: unter dem Namen Kathedersozialismus vereinigen #ch heute so disparate Richtungen, daß mit dem Namen Katheder- sozialist eigentli garnihts gesagt ist, am allerwenigsten ist damit eine sozialistishe Richtung bezeihnet. Es giebt fehr positive Leute, die zum Verein für Sozialpolitik gehören und stich auch Kathedersozialisten müssen nennen lassen, und es giebt weit nah links \ftehende Leute, die weit über das zulässige und verständige Maß hinaus- gehen, - die ebenfalls in denselben Topf geworfen werden. Also damit kommen wir niht weiter. Es ist ganz gewiß die Auf- gabe der Unterrihtsverwaltung, auf diesem wie auch auf anderen Ge- bieten, daß sie die verschiedenen, wifsenschaftlih legitimierten Rich- tungen dur tüchtige Gelehrte an den verschiedenen Universitäten zur Vertretung bringt und nicht eine einseitige Betonung einer Richtung allein gestattet, die dann auch wieder den Einfluß haben könnte und auch hat, daß die Fakultäten so zusammengeseßt sind, wie es im Interesse einer allseitigen wissenshaftlihen Behandlung dieser Fragen nicht wünxschenêwerth ift.

Nun, meine Herren, wir haben nach dieser Rihtung ins Auge gefaßt, thunlihst eine Verbindung der staatswissenschaftlihen Pro- fessuren mit den juristishen herbeizuführen, und ih hoffe, {on davon einen größeren, wenn ih den Ausdruck nit im parteipolitischen, sondern im besten Sinne brauchen darf, einen konservativeren Zug zum Ausdruck gebracht zu sehen. Es if ganz natürlich, daß die Einseitigkeit der juristishen Auffassung, namentlich soweit fie unter einseitig rômish-rechtliher Behandlung stand, eine Menge unfruchtbarer Anregungen empfing. W-rnn sie in nähere Berührung kommt mit den mehr in die Praxis hineingreifenden, unser ganzes Volksleben tief beherrshenden wirthschaftlichen Fragen, und umgekehrt unseren volkswirthshaftlichen und unseren Finanzleuten und unseren Leuten, die Sozialpolitik zu lehren haben, kann es nur nüglich sein, wenn fie, namentlich an der Hand des neuen Bürger- lichen Geseßbuches, mit juristishen Gedanken und mit den juristishen Gedankenkceisen vertraut gemaht werden. Jch hoffe davon zwar nicht Alles, ih hoffe aber, daß dies auch ein wirïsames Glied in der Kette fein wird, die ich im Auge habe, um auf diesem Gebiet eine Besserung herbeizuführen.

Meine Herren, ih bin ja natürli nit berufen, alle wissenschaft- lichen, amtlichen und außeramtlichen Aeußerungen zu überwachen, das ist ganz unmöglih. Meine Herren, das kann man auch nicht machen der Wissenschaft gegenüber. Es is alte preußishe und alte Hohenzollernshe Tradition, daß man der wissenschaftlichen Forshung und auch der wissenschaftlihen Lehre bis zur thunlihsten Grenze Freiheit gewährt. Freilich giebt es auch für fie eine Schranke, eine Schranke im Geseß und in der guten Sitte, und {ließli auch in der salus publica. Ja, meine Herren, das ist ganz zweifellos, daß im übrigen man wissenshaftlichße Gedanken und úFdeen niht mit Kanonen todtschießen kann, und wenn man das thut, meine Herren, und wenn man das versucht, so shadet man si selbst und der Sache, die man vertritt, am allermeisten. Meine Herren, das ist nit möglih; es giebt kein Mittel, wie ich sämmtliche Lehrer der Volkswirthschaft zwingen kann, lediglih im Sinne des Freiherrn von Stumm Volkswirthschaftslehre und Sozial- politik zu treiben, das geht nicht an. Die Wissenschaft muß sich selbst korrigieren, und wer eine feste Ueberzeugung gewonnen hat, der muß auch das Zutrauen haben, fowohl auf religiösem Gebiet wie auch auf diesem, daß die Wahrheit \{ließlich mit Gottes Hilfe do immer wieder obenauf kommen wird. Das haben wir erlebt. Ich erinnere daran, wie es vor dreißig Jahren bei uns aus\sah. Das ödeste Manchesterthum hat geherrsht, und wie sieht es heute aus, wie haben \ich die Dinge geändert auf diesem Gebiet ; auf andere Ge- biete gar nit zu verweisen. Meine Herren, die erste Korrektur muß in der Wissenschaft liegen und sie liegt auch da, und dazu zu helfen,

und da die tüchtigsten Kräfte, die wir bekommen können, ‘auszusuchen und sie da anzustellen, wohin sie gehören, und dadur die vorhandenen Richtungen zu ergänzen, das if unsere Aufgabe, und das zu thun,

. werde ih bestrebt sein, und ih hoffe dabei ein gutes Gewifsen zu

behalten. (Bravo!)

Ober-Bürgermeister Wester bur g- Cassel giebt der Freude Aus- druck, die eine Anzahl von Mitgliedern über die Schlußworte des Ministers empfänden. Freilich werde, auch von Professoren, viel dummes Zeug geredet, aber das sei do niht bloß auf dem Gebiete der Nationalökonomie der Fall, was er Hecrn von Stumm zu be- denken gebe. Wissenschaftliche Strömungen müsse man sih entwickeln lassen; daß die Bâume auch auf diesem Gebiete niht in den Himmel wachsen, stehe doh fest. Professoren seien auch Staatsbürger, und sei es auch zweckmäßiger, wenn sie auf der Höhe ihres Katheders blieben, so könne man ihnen doch nicht verwehren, auch in die Arena der Lohn- kampfversammlungen und dergleichen herabzusteigen.

Professor Dr. Dernburg-Berlin: Während überall anderswo die Studierenden an der Spitge der radikalen Bewegungen stehen, weist die deutsche, weist die Berliner Studentenschaft die Rusforberung, ih an der fozialrevolutionären Bewegung zu betheiligen, wie noch vor einigen Tagen geschehen, entschieden zurück. Das liegt an dem tüchtigen Sinne unserer akademishen Jugend, die Herr von Stumm doch mehr beachten sollte. Die historishe Schule hat nirgends besser Wurzel geschlagen als in Deutschland und in Berlin. In ihr liegt das Gegengewiht gegen die von Herrn von Stumm be- flagten Erscheinungen. Seit Anfang dieses Jahrhunderts macht dieser stille Einfluß der historishen Schule sich auf unsere akademische Sugend geltend. Aber freilih, die Erhaltung dieses Einflusses ist be- droht. Die neuen Rescripte über die. juristishe Prüfungs8ordnung, erlaffen anläßlich der Vollendung des Bürgerlichen Geseßbuhs, können fo ausgelegt werden, als ob die feste historishe Begründung des römischen und des deutshen Rechts follte in in Frage gestellt werden.

Ministerial-Direktor Dr. Althoff beruhigt den Vorredner über diese seine Befürhtung. Wenn Herr Professor Dernburg die Neu- regelung der Profefsorengehälter neulich beanstandet habe, so könne die Verwaltung nur bei der Auffassung beharren, daß dieselbe eine aroße Errungenschaft und einen erheblichen Fortschritt bedeute. Um finanzielle Vortheile für die Staatskasse handle es sich dabei niht im mindesten. Die Zuschüsse, welche gewisse Professoren zu ihrem Gehalt durch die Honorare für die Kollegien bezögen, seien vielfa erschreckend ho, und die Möglichkeit, allzu großen Luxus zu treiben, sei der Wissenschaft auh nicht förderlich. on einem Attentat auf die Frei- heit und Unabhängigkeit der Universitäten könne keine Rede sein.

Professor Dr. Dove-Göttingen erkennt durhaus an, daß die Regelung für die s{chlechter gestellten Professoren eine dankenswerthe Maßnahme is. Alle Wünsche der Professoren seien freilih mit dieser Neuordnung nicht erfüllt.

Freiherr von Manteuffel giebt für seine Freunde der Zu- stimmung zu den Ausführungen des Freiherrn von Stumm Ausdruck; er vermißt in der Antwort des Kultus-Ministers Auskunft über die praktishe Wirkung der Thätigkeit der sogenannten Kathedersozialisten. Zwischen Freiheit der Wissenschaft und Freiheit der Lehre sei noch ein erheblicher Untershied. Wenn Herr Dernburg auf den patriotischen Sinn der Berliner Studentenschaft verweise, so sei damit noch nichts beigebracht, was beruhigend wirken könne.

Professor Dé. Dernburg: Es ist niht zulässig, daß ein Professor fozialdemokratishe Lehren vertritt; ec steht unter dem Disziplinargeseß.

Freiherr von Manteuffel: Ih habe nur hypothetisch von der Dorf eine folhe Bemerkung gemacht.

rofessor Dr. Reinke- Kiel stellt fest, daß die Professorenshaft stets in patriotishem Sinne sih bethätigt hat. f e E Becker-Köln tritt für die absolute Lehr- reiheit ein.

Fürst Radziwill macht darauf aufmerksam, daß“ von den Ressorts des Kultus und des Innern ein konzentrisher Angriff gegen den Bestand der polnischen Volkssprahe gerichtet werde, der S stehe mit der jüngsten Auslafsung des Minister-

räsidenten.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Für eine Aufrollung der ganzen Polenfrage und der polnishen Sprachenfrage ist der Zeitpunkt jeßt augenblicklich der denkbar ungünstigste. Ih will mich deshalb auf ein paar Bemer- kungen gegenüber den Ausführungen des Herrn Fürsten Radziwill be- \chränken. Er hat gesagt, es sei ein konzentrisher Angriff gegen den Bestand und die Erhaltung der polnischen Volkssprache von seiten des Herrn Ministers des Innern und des Kultus-Ministers in der Provinz Posen erfolgt. Mir i} überhaupt von einem Angriff auf die polnishe Volkssprache nichts bekannt, geschweige denn von eir em kon- zentrishen Angriff. Jch sollte meinen, daß ih wohl der leßte wäre dem der Vorwurf zu mahen wäre, daß er illegitimer Weise die polnische Volks\sprache angegriffen hätte. Denn ih bin es gewesen, der vor fünf Jahren zum ersten Male polnische Schreib- und Lesestunden in den deutschen Unterriht der Provinz Posen eingeführt hat (leider !), aller- dings unter den Kautelen, die uns davor sichern, daß die polnische Sprache nicht die deutshe Unterrichts\prache wird ; denn die deutsche Schule muß deuts unterrihten, und wir müssen dafür danken, daß wir wieder die polnishe Schule bekommen, in der gnädigst gestattet wird, daß die deutshe Sprache darin in einigen Stunden gelehrt wird. (Sehr gut !) Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, daß die deutschen Kinder in der Provinz Posen, die in unseren Staat aufgenommen und- Deutsche sind, die deutsche Landessprache, die deutshe Amtssprache, die deutsche Armeesprache beherrshen lernen (bravo!), und dazu führt uns die deutshe Schule. Wir haben aber auf die Religion und die Sprache der polnischen Kinder die Rücksiht genommen, daß wir sie für die Fruchtbarmachung ihrer religiösen Unterweisung darin vorbereiten lassen. Das ist eine Rücksiht auf ihr Gewissen, aber kein Angriff auf ihre polnishe Sprache. Nein, meine Herren, davon kann nicht die Rede sein. :

Dann hat Herr Fürst Radziwill gemeint, der Herr Minister des &Fnnern habe eine Aeußerung gethan: die Völker seten zwar nicht für die Könige, aber für die untergeordneten Polizeibeamten da, denen sih ihre Sprache anzupassen hätte. Meine Herren, ih habe diese Aeußerung des Herrn Ministers des Innern niht gehört, ih habe sie auch nit gelesen, und ih muß sagen: ih möchte bezweifeln, daß sie in diesem Wortlaut und in diesem Sinne gehalten worden ist. (Heiterkeit.) Jch gebe anheim, diese Aeußerung wörtlich uns mitzutheilen; ih bin jeßt nicht in der Lage, dafür einzutreten, aber ih meinestheils habe bis jeßt auch nit eine Silbe davon gehört, daß eine solhe Aeußerung von dem Herrn Minister des Innern gethan worden sei: die Völker seien zwar niht für die Könige, aber für untergeordnete Polizeibeamte da. Jch halte das für kaum denkbar, daß der Herr Minister des Innern sih fo geäußert haben soll. (Heiterkeit.)

Endlich habe ih zuleyt zu bemerken, daß ich mit dem Herrn Minister-Präsidenten vollkommen darin einverstanden bin, was er neuli{ch hier gesagt hat. Jch habe es gehört und bin namentli damit einver“ standen, daß alle Dinge in der Provinz Posen niht von dem Boden des Nationalitätenprinzips aus, fondern auf dem Boden des Staats- prinzips geregelt werden müssen. Das war der Anfang, der Kerne punkt der ganzen Ausführungen des Herrn Minister-Präsidenten, darin

bin ih vollkonimen mit ihm einverstanden. Ich weiß überhaupt

von feiner Differenz mit ihm in dieser Frage; wir sind voll-

kommen einig, wir hindern niemand, in der Provinz Posen polnish zu reden, die polnishe Volkssprahe dort weiter zu \prechen ; wir beshränken uns lediglih darauf, zu bewirken, daß die Kinder in der Schule deuts lernen, was sie durhaus lernen müssen, da fie es für ihr fünftiges Leben brauchen, und, meine Herren, damit werden wir auskommen sowohl nah der polnischen, die nah der deutschen Seite hin. Wir erfüllen damit nihts weiter als unsere einfahe Pflicht und Schuldigkeit. (Beifall.)

Fürst Radziwill bezieht sich auf einen angeblichen Ausspruch des Ministers des Innern, daß er niht genug Beamte habe, um die Versammlungen der Polen zu überwachen, und daß deshalb Versamm- lungen aufgelöt worden feien.

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ih beschränke mih darauf, zu konstatiren, daß die Aeußerung, die ih mir notiert hatte und von der ich angenommen hatte, daß Fürst Radziwill sie meinem Herrn Kollegen Freiherrn von der Recke von der Horst zugeschrieben hatte, dem Herrn Minister des Innern niht zugeshrieben wird, und konstatiere damit, daß diese Aeußerung, die mich so befremdet hat, nicht gefallen ist. Das genügt mir voll- kommen,

Ober-Bürgermeister Struckmann fordert die Polen auf, auch den Deutschen in den polnischen Landestheilen ihr Reht zu theil werden zu lafsen, dann werde Friede eintreten, aber nit eher.

Bei dem Kapitel „Elementarshulwesen“ bemerkt auf eine Anregung des Herrn von Wiedebach der

Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Wir haben bereits daran gedaht, daß solche Härten bei den Beiträgen zu den Pensionskassen eintreten könnten. Wir haben deshalb einen kleinen und, wie ih glaube, entsprehenden Betrag reserviert, um im Falle, daß solhe Härten eintreten sollten, damit zu helfen und ausgleichen zu können. Hoffentlih wird er aus- reichen, und ih glaube, daß wir damit den Wünschen des Herrn von Wiedebach entzegenkommen werden.

Ober-Bürgermeister Ben der - Breslau bedauert die Po des Kultus-Ministers in der Hrage des Religionsunterrichts der Dissidenten- finder und verlangt die Achtung der Rechte der Eltern.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Ih kann unmöglich auf die Dissidentenkinder- Frage in ihrem vollen Umfange näher eingehen. Ich beschränke mich darauf, zu konstatieren, daß die Praxis der Unterrichtsverwaltung sich in vollkommenster Uebereinstimmung mit der konstanten Rehtsprechung des preußishen Kammergerichts befindet, welches in dieser Beziehung der höchste Gerichtshof in Preußen ist. So lange die Uebereinstimmung besteht, denke ih an diesem Zustande nihts zu ändern. (Bravo!)

Beim Kapitel „Kunst und Wissenschaft“ wünscht

Ober - Bürgermeister Struckmann eine wissenshaftliße Be- arbeitung des Hildesheimer Silberfundes.

Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Meine Herren! Jch kann Herrn Ober-Bürgermeister Strukmann beruhigen : Die wissenschaftlihe Bearbeitung des Hildesheimer Silber- fundes und die Publikation desselben ist bereits vorbereitet und in vollem Gange.

u den Petitionen um Erhöhung der Pfarrer- gehälter bemerkt der Minister der geistlihen 2c. Angelegenheiten Dr. Bosse:

Ih möchte nur kurz bemerken: der Antrag der Kommisfion ift uns in jeder Weise willkommen. Die Staatsregierung steht der Frage mit größtem Wohlwollen gegenüber, und über die Frage, wie es gemacht werden soll, sind wir bezügli der evangelishen Landes- kirhe der alten Provinzen mit dem Evangelishen Ober-Kirchenrath bereits in Verhandlungen eingetreten, und ih hoffe, daß sie zu einem alle Seiten befriedigenden Resultat führen werden.

Bei dem Kapitel „Med izinalwesen“ spricht

Graf Udo zu Stolberg seine Befriedigung aus über den zur Bekämpfung der Granulose ausgeworfenen Fonds. Die Krankheit sei zu uns aus Rußland eingeshleppt; der Kampf gegen sie werde daber auch fortgeseßt werden müssen, wenn sie in den Oftprovinzen aus- gerottet sei.

Der Etat des Kriegs-Ministeriums giebt zu Debatten keinen Anlaß. Damit ijt die Einzelberathung erledigt. Das Etatsgesez wird mit der Jndemnitätsklausel genehmigt.

Schluß nach 6 Uhr. Sonnabend 12 Uhr: Kleinere Vorlagen.

Herrenhaus. 20. Sißung vom 29. Mai 1897.

Zur Berathung steht zunächst die Interpellation des Grafen von Kleist-Schmenzin: :

Beabsihtigt die Königliche Staatsregierung Maß ga treffen, um die vielfah hervorgetretenen Mängel boi der Veran= lagung zur Einkommensteuer zu beseitigen ?

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Jch muß mir vorbehalten, auf die Frage zu antworten, C Staatsregierung zu der Interpellation sich äußern will, nad dem In- halt der Darlegungen des Herrn Interpellanten. In der Interpella- tion steht nur von Mängeln; es ift nicht bezeichnet, welhe Mängel. Fch kann mich daber jeßt noch niht zur Sache äußern.

Graf von Kleist-Schmenzin: Ih bade niht die Absicht, die Steuerreform abfällig zu beurtheilen, sondern wünsche nur, daß die bei der Veranlagung zur Einkommensteuer hervortretenden Mängel beseitigt werden. Diese Mängel werden so ziemlich von allen Seiten anerkannt, selbs ein Senats-Präsident des Ober-Verwaltung8gerihts hat das kürzli in einer Broschüre zugegeben. Bezüglich der Vor» veranschlagung, der Untersuhung, Schäßung, Revifion der Nekurfe berrs{ht eine große Unsicherheit und Zerfahrenbeit. Dazu kommt, das die Erledi zung von Berufungen in der Hand der Sudalterndeamten liegt. Besonders s{hlimm ist es, wenn der Beamte nicht mit dem nötbigen Takt vorgeht und auf diese Weise Unzufriedenheit erregt.

Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Ih möchte zuvörderst bemerken, weil Herr Graf von Kleist Fd berufen hat auf die „Berliner Politische Korrespondenz“, daß mir dieser Artikel völlig unbekannt ist. Jh glaube, wir drauden und mit irgend einem Zeitungsartikel nicht zu beschäftigen.

Meine Herren, daß unter denjenigen, wel@e eine Kritik an einzelnen Bestimmungen üben, au Bestrebungen vordawden nd, welche am liebsten das ganze Gesey wieder wegs{haFen N, ist wohl kein Zweifel; daß ich das dem Herra Grafen Weis D vornherein nit zugetraut dade und erst ret nicht nad feinen doudigen

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Erklärungen, brauche ich nicht defouders zu vorsiädern,

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