1919 / 244 p. 7 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 24 Oct 1919 18:00:01 GMT) scan diff

deswegen die Arbeitgeber die Kaution bean! pruhen mußten. Dem- gegenüber weise ih auf die amtliche Auskunft des Landrats - bin, der ‘die Verhandlungen in allen Phasen geführt hat und darüber folgendes betitckchtet :

Daß die Vertreter des Landarbeiterverbandes die erneute Fest-

seßung eines Tarifvertrages nur als vorläufige Negelung ansehen,

ift eine‘ durch keine Tatjache gestüzte Behauptung.

(Hört, hört!)

Iin Gegenteil, sie erkläiten verschiedentlih öffentlih bei der Be-

sprehung, daß der .nunmehr abzuschließende Vertrag bindend sei

und daß er oon threr Seite auch unbedingt innegehalten würde. (Hört, hört! Abg. v. der Osten: Eis wann?) Solange er abgeschlossen ist! Die Dauer des Vertrages wird im Vertrage selbst festgeseßt. (Zuruf rechts: Bis zum 1. März 1920!) Das ift eine der Vereinbarungen der Kontrahenten. (Zuruf rechts.) Soviel wissen Sie dech auch! Auf lange Jahre hinaus kann heute feiner Arbeitergruppe zugemutet werden, einen Vertrag zu machen. Wir erleben es doh«heute au bei der Arbeitgebershast in der Landwirt- schaft, wenn sie eine Forderung in der Preisgestaltung dur{gesctt hat, daß sie nach wenigen Wochen s{on unter Hinweis auf die veränderten Verhältnisse eine anderweite Festsegung verlangt. (Schr richtig!) Verlangen Sie, daß der Arbeitnehmer sich vielleicht jahre- lang festlegt, während die Preise für alle Lebensmittel und Bedarfsartikel von Woche zu Woche steigen? (Unruhe und Zurufe.) Wenn sich unter diejen Umständen eine Arbeitergruppe bis zum März nächsten Jahrés festlegt, so 1st das mehr als ein Verband seinen Mitgliedern gegenüber in jeßiger Zeit verantworten kann.

Jch ve1weise nur auf die Forderungen der Beainten, die ih für ganz berehtigt ansehe im Hinblick auf die Lebensverhältnisse, in denen wir leben. Keine Beamtenrgruppe erachtet ih jeßt durch eine Zulage ailf ein oder zwei Jahre für befriedigt; die Forderungen müssen sich nach den Lebensverhältnissen rihten und werden zwangsläufig gestellt, weil sie durh die fortgesezte Veränderung der Lebensverhältnisse bedingt find.

Meine Damcn und Herren, ich weise auch an dieser Stelle noch datauf hin in der Kommission habe ih es s{chon getan —: ift es etwas so Gewaltiges, was den Landarbeitern im Kreise Belgard in dem strittigen Tarifvertrag konzediert worden ist ? Der Ver- trag, über den man sich verständigte und der dann \chließlich durh den Negierungspräsidenten auf Grund meiner Verordnuug zwangéweise als bindend eingeführt ist, {ließt mit einem Jahres- einkommen für verheiratete Landarbeiter von 2400 6 ab. (Hört! hört!) Davon sind, wenn ich recht im Bilde bin, 700 bis 800 6 bares Geld. Wenn Sie bedenken, daß heute ein Anzug 500 bis 600 kostet und cin Paar Stiefel 200 46, dann sehen Sie, daß sich der Mann mit seinem baren Jahreslohn faum ein Paar Stiefel und cinen Anzug kaufen kann. Wenn man angesichts diesèr Sachlage von ungeheuerlihen Lobnforderungen reden fann, wie es in den Ver- öffentlihungen der Agrarxpresse geschehen ist, dann ist das nah meiner Affassung eine Irreführung der Oeffenilichkeit, niht aber meine Darstellung der Vorgänge. (Zurufe rechts.) Deputat und Wohnung sind den Preisverhältnissen entsprechend angemessen fest- gelegt. Jch habe Ihnen den Vertrag in der Kommission zur Ver- fügung gestellt. (Zurufe und Unruhe.) Ich habe Ihnen ja den Vertrag zur Versügung gestellt, und Sie fonnten an den Sägen Kritik üben.

Herr von der Osten hat sich.mit großer Entrüstung dagegen gewendet, daß mit diéser Berordnung ein Nechtsbruch verübt sei, daß die MNegierung den Nechtéboden verlassen habe. (Sehr richtig! und Zurufe rets.) Der Nechtsboden ist durch die Verordnung über die Demobilmachung gegeben. Wenn Sie, meine Herren, in der Auslegung dieser Ver- ordnung von meinein Standpuntt, vom Standpunkt des Handels- ministeriums und vom Standpunkt de3 Neichs8arbeitsministeriuums ab- weichen, gibt Ihnen das kein Necht, im Hinblick darauf, daß man juristisch vershiedener Auffassung scin kann, der Negierung den Vor- wurf des Nechtsbruch8 zu machen oder zu sagen, „daß fie den Nechts- hoden verlosse. Jch babe nichts dagegen eimuwenden, daß ter Ant1ag des Herrn Dr. Neineke zur Annahme - gelangt, allerdings würde ich Sie bitten, die Beschränkung fortzulafsen, daß die. Nachprüfung ledig- lih dem Justizminister aufgegeben wird; denn es handeit sich hier um die Auslegung der Verordnungen der Reichsregierung, und ich würde Sie bitten, daß mir vollständig freie Hand gelassen wird, auch das juristische Gutachten der Yeichsjustizbehörden einzuholen, die nach) meiner Auffassung die ompetentesten sind. (Wider)pruch rechts und Zurufe : Preußen !) Neben Preußen sind am kompetentesten die Reichsbehörden, diese Neichs8verordnungen auszulegen. (Lachen und Widerspruch redts.)

Im übrigen, meine Hêrren, würde ih Sie doch bitten, die Dinge nicht ¿u verdunteln. Der Umstand, daß irgendeine Verordnung bei juristisher Nachprüfung später nicht als rechtsbestäudig exkanat wird, ist doch kein Novum in der preußishen Verwaltung. Jch bitte Sie, ih. doch einmal dessen zu erinnern, taß oftmals Polizeiverordnungen, auch andere Vexordnungen, die jahrelang bestanden haben, auf Grund deren jabrelang Recht gesprochen worden ist, Leute bestraft, an ihrem Vermögèn geshädigt worden sind, lezten Endes vom Kammergericht Und Reichsgericht als nicht rechtébeständig aufgehoben worden sind. Da haben Sie hier niht über Nehtsbruch gezetert. (Lebhafte Zu- timmung links, andauernde Unruhe rets.) Aber das nur nebenbei. Wüähréad der Kriegszeit und der Demobilmachungszeit haben wir so unzählige Ausnah:iegeseße machen müssen, veranlaßt uud gezwungen durch den Ausnahtinezuskand, în dem wir uns besgnden, daß das kein Böorurf für die Regierung ist, die Ausnahmebestimmungen erläßt.

Meine Herren, noch ein Wort über die Heranziehung des Militärs. Herr von der Osten hat gestern den Anschein euveckt, als ob das Militär nur zuin Schuße der Arbeitenden herangezogen sei, und er rief aus: Sollen die Leute denn erst totgeschlagen werden 2! Das zeigt, daß Sie, Herr von der Often, auch hierüber nicht vollständig unterrichtet sind. “Jch habe Ihnen ja gestern das Telcphon- gespräh und auh das Telegramm des Generalkommandos und des Garnisonkommandos Kolberg vorgelesen, wonach die Truppen zur Verrichtung der“ Arbeiten herangezogen wurden, nicht zum Schuge der Arbeitenden. Das ist es, wogegen sich der Landrat ge- wehrt und mit Recht gewehrt hat, weil diese Heranziehung des Militärs! bei dieser Situation, wo die Fortführung der Arteit uur an ‘dem Starisinn einer kleinen Gruppe pon Arbeitgebern scheiterte, die Gefähr in si barg, daß der Streik eine gewaltige Ausdehnung jn Pomüitern und darüber hinaus fände. (Sehr richtig! links.) Die

Vorgänge im Kreise Franzburg und später in Stettin, die riefige Ausbreitung -des- Streiks durch den Belagerungszustund und “die Heranziehung des Militärs im Sommer d. J. sollten uns zu denten geben. Man wollte und konnte es nicht darauf ankommen lafsen, in dieser kritishen Situation eine ähnlihe Katastrophe heraufzus- beschwören. Weil es so war, hat der Landrat nah pflicht- mäßigem Ermessen nach meiner Auffassung in ganz richtiger Würdigung der Situation verlangt, daß vorläufig das Militär fortbleibt und versucht wird, noch einmal auf die Arbeitgeber einzuwirken, daß fie den Tarifvertrag, der durhaus billig war, ab- ließen und dadurch die Weiterführung der notwendigen Erntearbeit ermöglichen.

Mir ist daun noch zum Vorwurf gemacht worden, daß meine Maßr ahme einseitig gegen die Arbeitgeber gewesen sei. Herr von der Osten hat gefragt, warum die Regierung nicht gegen die Kohlen- bergarbeiter vorgegangen sei, als sie streikten. Wenn im Kohlenberg- bau die Fortführung der Arbeit an dem Starxsinn einzelner Arbeit- geber, die sih gegen den Abschluß eines Tarifvertrages sträubten,

gescheitert wäre, dann hätte die Regierung sie mußte es im Interesse der Volkswirtschaft und des Volksganzen mit aller

Energie eingegriffen, und zwar vielleicht noch schärfer als gegen die widerstrebenden Arbeitgeber in der Landwirtschaft. (Zuruf rechts ) Im Kohlenbergreviec waren die Arbeitgeber verständiger, sie waren bereit, Tarifverträge abzuschließen; fie haben sie auch ab- geschlossen. Leider haben sich hier und dort die Arbeitnehmer gleihwohl (lebhafte Nute rechts: Aha!) durch kommunistishe Agitation verheßen lassen, die Arbeit cinzustellen. Das rechtfertigt aber noch keineswegs das Verhalten der pommerschen Landwirte. (Zuruf rehts: Zweierlei Maaß! Andauernde Unruhe.) Wenn Sie mit Ihren dauernden Zwischrnrufen fortfahren, zwingen Sie mich, einen anderen Plaz bei meiner Nede aufzusuchen. So schwach ist doch wirkli Ihre Poittion niht, daß Sie glauben, mih nicht ausîprechen lassen zu dürfen!

Herr von der Osten hat erneut die unrichtige Behauplung wiederholt, die auch in der Presse wiederkehrt, daß der Streik bereits erloschen sei und die Verordnung niht mehr notwendig gewesen wäre. Demgegenüber kann ich rur auf den amtlihen Bericht des Ne- gierung8präsidenten verw&äisen, den ih gestern bereits verlesen habe. Da die Verlesung keine Wirkung gehabt hat, muß ih sie heute wiederholen, Der Negierungspräsident schreibt :

Wenn am Ubend des 2. September 1919 der Streik uufgehoben ist, fo ist dies ausschließlich auf meine den Arbeitnehmervertretern am 2. September 1919 gemachte Zusage geschehen, daz ih nun- mehr den von den Axbeitnehmern gebilligten Tarifentwurf als Zwangstarif erlassen würde. Der Streik war am 2. September noch voll im Gaùûge : ohne meine vorerwähnte Erklärung wäre er fortgeführt und hätte die Einbringung der Ernte wahrscheinlich zum großen Teil in Frage gestellt.

Sie werden mir gestatten, daß ich dieser amtlihen Auskunft des Negierungspräsideuten mehr Gewicht beilege, als der Auffassung und den Kundgebungen der Herren Arbeitgeber vom Schlage des Herrn Herzberg, die diese ganze Sache eingerührt haben. Durch weitere Ausführungen im Parlament werden wir diese Angelegenheit wenig Flären. Ich hätte gewünscht, daß uns nach den Ausführungen im Aus\{huß und meinen Erklärungen diese Debatte erspart geblieben wäre, nidt weil ih sie fürhtete, denn Sie haben gestern gesehen, daß ih sie niht fürchte. Aber die Megierung und das hohe Haus baben doch jeßt eine solche Vienge von wichtigeren Arbeiten zu er- ledigen, daß es nicht im JFunteresse unseres Volkes liegt, wenn wir Einzelheiten erörtern, die hier von uns nicht völlig klargestelit werden können und wobei wir uns faum bei unseren entgegengeseßten An- \{auungen überzeugen können.

Zum Schluß weise ih noch auf folgendes hin: Man hat mich auf Grund meiner gestrigen Ausführungen hier als den Partei- minister, als den Minister einer Partei hingestellt, weil i erklärt habe, daß ich allerdings zu meiner weiteren Amtsführung neben dem Vertrauen derx Mehrheit dieses hohen Hauses des Vertrauens meiner Partei bedarf. Da möchte ich Sie darauf hinweisen: es war früher hier selbstverständlich, daß der Minister zum mindesten das Vertrauen der größten Partei dieses Hauses hatie. Ein Minister, der diescs Vertrauen nicht hatte, konnte {h keine paar Wochen bier halten. (Sehr richtig!) An diesem Grundsaße habe ih festgehalten: das besteht hier beute noch: au beute noch muß der Mirister das Ver- trauen dieses Hauses haben. Inzwischen ift allerdings die Aenderung eingetreten, daß Sie, meine Herten von der Rechten, nicht mehr die größte Partei hier find, daß die größte Partei jeßt dort auf der Linken sigt. Aber das ist kein Grund, diesen Grundsaß, ten Sie elbst früher als richtig anerkannt und ausgeübt haben, jeßt aufzu- geben. (Lebhafter Beifall links.)

Abg. Mehbrhoff (U. Soz.): Die Konservativen, die uns jegt als neue Jatobiner - denunzieren, find felbst stets die Partei des Zwaunnges, der Gewalt und des. Terrorismnus gewesen, der im Jnteresse einer tleinen berrsdenden Schicht brüútal gegen das ganze Volk aus- geübt wurde und tin letzter Linie die eigentliche Ursadbe des Welt- krieges* gewesen ist. Die“ Herren Konservativen ‘haben * nichts gelernt und nich1s vergessen. Die jeßige Ans8prache zeigt mit erschreckender Deutlichteit die ungebeure Kluft, welche sih zwischen Produzenten und Konsumenten äufgetan hat, eine Kluft, die sich durch Parlaments- rèden nicht überbrücken-läßt. ‘die inden Klassengegensäßen der heutigen Ge'ellshast wurzelt und fh nicht eher schließen wird, als bis diese Klassen beseitigt sind. Nur durch eine soztalistisch betriebene Land- wirt\{haft können wir zu ciner gesunden Volksernährung gelangen. An sich erzielt ‘der Großbettieb tnit weniger Arbeitsktäften größere Ergiebigkeit. Aber der landwirtschaftliche Großbetrieb i in seiner heutigen Form rückständig und zur Sicherstellung der Volksernährung unfähig. Seine Leiter und Verwalter sind nicht die richtigen Persönlichkeiten, wenn sie sich auch selbst immer für die geborenen Landwikte gehalten ‘baben. Vielfach treiben ‘sie Schindlüder mit dem “Grund und Boden und machen ibn anstatt der Volks- ernährung privaten Licbhaberejen, wie Jagd usw. dienstbar. Der Grund und, Boden ist ‘heute für Kriegs8gewinnler und Schieber ein Spekulationsobjekt geworden. Durchschnittlih alle 15 Jahre wechselt jeder landwirtshaftlihe Besiß den Besitzer. Tagtäglich werden Nittergüter und Mittelbetriebe zum Kauf ange- boten. Aus der „Deutschen Tageszeitung“ vom 3. Juli ist zu ent: nehmen, daß die metsten Güter und Besißungen von Nichtlandwirten angefauft werden. Können Leute, die dur unjaubere Manipulationen im Kriege reih geworden sind und ihre Wuchergewinne am vorteil- baftesten dadurch’ zu verstecken meinen, daß sie sie in Grund und Boden anligen dem deutschèn Volke für die“ Sicherstellung der Ernährung Garantie geben? Doch gewiß nicht. Die Nationalversammlung hat ia Weimar völlig versagt; woch tmmer haben wir kein Gefeß, das die alte fozialistise und bodenreformerisde Forderung étfüllt, den Wucher mit Grund und Boden zu“ beseitigen. Der Grund und

Boden, der Besigtum der freien Bauern war, ist zu einem Spekus

latiouéobjekte der Schieber und Kriegsgewinnler geworden. Dem muß endlich - entgegengetreten weiden. Nur durch ‘ein großzügiges Siedlungsproblem, aber nicht duürch eine Siedlungspolitifk der Phantasie und der Jllusion kann hier Abhilfe geschaffen werden. Es muß zu einer gesunden Mischung von Groß- und Kleinbetrieb in der Landwirtschaft kommen. Ein Besitz, der zur Aufrechterhaltung des Betriebes 360 000 Æ z. B. pro Jahr verkangt, wie dies von einem Parteifreunde ausgerehnet worden ist, ist unrentabel. Ein solcher Zustand muß beseitigt werden. Hinsichtlich der Förderung des Bohnungswesens wäre es natürlich das Ideal, jedem Staatébürger ein eigenes Familienhäutchen zu verschaffen. Das ist natürlich vor- erst nicht möglich. Die fozialistishe Siedlung: politik denkt in erster Linie daran, jedem Arbeiter eine gesunde Wohnung auf dem Lande zu verscbaffen, und die eigentliche Fläche des Grund und Bodens n1ch allgemeinen wirtschaftlilßen Grindsäßen zu bewirtscha)ten. Die Landarbeiter müssen nit nur politisch, sondern au wirtschaftlich das Necht haben, auf die Verwaltung einer Siedlung ihren Einfluß auszuüben. Durch dieses Neht würde jeder Zwischenhandel zwischen Stadt und Land ausgeschaltet und eine niedrigere Preiégestaltung der landwirtscha\tliGen Produkte ermögliht. Es ist gestern das hobe Lied von der Arbeitsunlust gesungen worden ; wie 1iegen aber heute die Verhältnisse auf dem Lande? Die Landarbeiter halten si nod nie so bewegen fönnen wie fie wollen, die Wohnungsverhältnisse au] dem Lande, in Ostelbien z. B. sind miserabele. Ebenso lassen die Schitlverhältnisse auf dem“ Lande viel zu wünschen übrig. Der Land arbeiter ist überhaupt bisher das Stieffind in der sozialen Geseb- gebung gewesen. Die ‘Agrarier sollten alles tun, um die Arbei1s freudigkeit auf dem Lande dur Entgegenkommen den Landarbeitern gegenüber zu heben. Vor allen Dingen aber muß die Sicherung der Unabhängigkeit der Landarbeiter durchgeführt werden. Jeßt ertönt immer der Nuf: fofortiger Abbau der Zwangswirtschaft. Die Zwangs- virtschaft ist siherlih fein soz'alistiches Ideal und ist nux ein gefübrt worden, um während tes Krieges einen vorzeitigen militärischen und gesellschaftlichen Zusammenbruch zu verhüten. Unter den Landräten haben einige alles getan, um cine Ernährung des deut\chen Volkes fiherzustellen: dagegen hat der mehr heitsfozialistische Landrat Schube11 im Kreise Schmalkalden tur sein Auttreten die E1nährungsschwierig- keiten vermehrt. (Hört! hört! bei denUnabhängigenSozialdemofraten.) Jch bin überzeugt, hätte ein aaderer Mann an der Stelle des Land- rats Schubert gestanden, wäre es niht zum *eneralstreik gekommen. Die Agcarier maden sich nit das geringste Gewiss-n daraus, durch Lieferungéstreik usw. die Ernährungéschwierigkeiten noch zu erhöhen. Ja, in letter Zeit drohen die Herren sogar mit Verminderung der vandbestellung. Eine solhe würde selbstverstäan»lich zum uin des deutschen Volkes führen. Die Lösung aus all ‘diesem Wirrwarr tann nur der Sozialismus bringen und mit dem“ Sozialismus werden wir siegen.

Abg. Held (d.Vp.): Die Kommunalisierung und Sozialisierung des Grundbesitzes würde dessen Erträgnisse auf das geringste Maß zurückführen, weil jedes persönliLbe Interesse an der geüunèlihen Aus- nutzung in Fortfall käme. Auch die vernünftigen Soztalisten geben das zu. Auch wir woll-:n keinen Bodenwucher und kein Bauernlegen. Gewiß ist es ein großer Üedelstand, wenn ein Grundbesißer von der Landwirtschaft keine Ahnung hat. aber es. besteht die geseßlihe Mög- lichkeit, den Uebergang von Grundbesiy an Etwe: ber zu verhindern, die für rihtige Bewirtschaftung keine Garantie geben. Der Criaß vom 2. September hat überall auch bei den Bauern ungeheure Aufregung hervorgerufen, auch dort, wo wie in Hannover, Wesifalen und der Rhein provinz der Kleinbesiß durchaus überwiegt. Er ist a18 ein „unerhörter Ge- waltaft gegen diepersönliche?Freiheit des Bauernstandes“ bezeichnet worden. Die Tarifverträge ‘auf dem Lande müssen nicht nur über die Lohne, fondern auch über die Arbeitsmöglichteit und die Arbeitsnotwendig- keiten bindende Bestimmung treffen. Dhne ein persönliches Ver trauen8verhältnis zwischen Ärbeitgebern und Arbeitnehmern ift eine ruhige Entwicklung der Verhältnisse auf dem Lande undenkbar. Sollte das Betriebsrätegesey auch auf die Landwirt\chaft ausgedehnt werden, so geht der ganze mititlere und tleinere Besiß zugrunde. Ein Jn- dustriestaat sind wir gewesen, jeßt ist der Nahrstand der wichtigste, der allein uns noch retten kann. Ihm muß alle Aufmerksamkeit und Nücksicht zugewendet werden. Ackerbau und Viehzucht sind in ihren Erträgen gegen 1913 ungeheuer zurücgegangen. Die Zwançcswirt- \haft kann unmöglich wie bisher weiter betrieben werden, sie muß unter allen Umständen für “die Viehzucht \chleunigst aufgehoben werden. Für Schweine werden heute "im Schleichhandel 3000 bezahlt, ist es da ein Wunder, daß für 450 4 Schweine überhauyt nicht mehr abgeliefert werden? Das Versagen der Milchablieferung wurde gestern sehr zu Unrecht auf die passive Nesislenz der Landwirte zurückgeführt. Wir haben nicht 9 Milltonen Milchkühe, sondern 9 Millionen Nindpieh und nur 4!, Millionen Milchkühe; wir haben daneben den Molfereizwang fast überall, und eine große Menge Mil wird verbuttert, und zu einem Pfund Butter gehören 16 bis 18 Liter Veilch. Aus diesen ‘uünhaltbaren Zuständen rührt die Vêilch- not in den“ Großstädten her. Die ganze ‘Zwangswirtschaft ist überhaupt nur noch ein Sieb mit großen “Löchern. An Ab- lieferung wird kaum noch gedacht, die Kontrolle ist nahezu un- möêglich geworden, dagegen 1 im Schleichhandel alles zu haben. Die Landwirtichaft it im Begriff. sich zu einer einzigen großen Organt'atiou dur die Zusammenfassung der sämtlichen Landbünde zusammepvzuschließen. Dadurch wird eine Machk entstehen. mit der gerehnet werden muß. Schon haben Organisationen von Land- wirten jämtlice Ablieferungen einzustellen beschlossen, bis 1hre For- derungen erfüllt u.d. Dagegen ist nur«mit der rasden Aujhebung der Htvangêwirtschaft etwas auszurichten. Jedenfalls muß fie bis aur Kartoffeln und Getreide gänzlich bescitigt werden, oder es muß nach wie vor das zur Ernährung -der Bevölkerung nötige Quantum ab- geliefert, aber das darüber hinaus verbleibznde Quantum den Cigen- tumer zur {reien Verfügung überlassen werden. “Auch wir verurteilen die Getreideschiebungen nah dem Auslande auf ‘das allerschärfite. Für -soiche Leute, die sich in dieser Art am deutschen Volke ver- sundigen ist keine Strafe hoh genug. bec von Seiten der Lanb- wirtichait geschieht |o etwas niht. Dem Versuche der Feinde, un'er so stark |ckch vermehrendes Volk ¿zu dezimitren, wie es unzweifc!- haft die scharfen Friedensbedingungen bézwecken, mnüssen wir durch eine bessere Ernährung des deut\chen Volfïes entgegentreten. Die Zustände im Gierhandel sind unhaltbar. Es müssen zum mindesten einheitlihe Gierprzise geschaffen werden. Verschiedene Bundes flaaten erfahren cine bessere Behandlung als Preußen. Es it offenes Geheimnis, daß hinsichtlich der Viehwirt\chaf QDlden- burg viel besser gestellt ist als Preußen. “Jn Preußen müssen sih die Landwirte ‘alles gefallen laßen. U QUS Det bayeris{en Speisekarien ist zu erseßen, daß die Ernàhrungs- verhältnisse in Bayern viei bessere sind als “in Preußen. Es gebt au nit an, daß bei der Verteilung der Gerste in erster Linie Bayern das ihm zustehende Quantum erhält und dann erst Preußen an die Neihe konmt. Jch ersuche den Minister, bei der Verteilung der Gerste ein einbeitliches Lieferung8verhältnis herbeizu- führen. ‘Hinsichtlih der Besetzung in den Ländwirtschaftskammern muß unbedingt eine Gletichmäßigkeit“ geschaffen werden. Durch die Verleihung bes Promotionsrehts an die Akademie Bonn-Poppelsdork ist den Wünschen dieser Hochschule ja entgegengekommen; es ift aber eine generélle Regelung dieser Frage notwendig. Cine gesunde Lan?- wirtschaît ist der Grundstein für eine Erhaltung des deutschcn Volks. Wenn die Megierung und die Parlamente der Landwirtschart das richtige Verstäundnis entgegenbrivgen, wird dies zum Segen des deutschen Vaterlandes fereichen ‘und dieses daraus dic Kraft ichöpfea, sih von neuem aufzurichten.

Abg. Peters - Hochdonn (Soz.): Wir crkennen durhaus an, daß der Herr Landtoirtschaftêmini}ter mit allen Kräften bestrebt ist, die Ernährungsschwierigkeiten des deutschen ‘Volks zu beheben. Unter timmung des gefamten Staatsministeriums hat der Vinister seinen

rlaß dinsichtlih der Lieferungspfliht ins Land hinausgehen lafjen.

(Fortseßung in der Dritten Beilage.)

zum Deutschen Reichsanzeiger und Preu

T (Foriseßung aus der Zweiten Beilage.) L

Fut allgemeinen Interesse sollte eine Kritik an den Handlurgen des Tndwir1schaftäministers -unterbdieiben: Vor dem Kriege bat die Etn- fubr von Nabrungsmitteln 11 Millionen Tonnen im Werte von zwet Milliardea betragen. E8 muß ein gemeinsames Arbeiten zwischen Stadt und Land stattfinden. Wer unsere Anträge ablehnt, trägt vor der Geschichte die Verantwortung. Auch wix sind für eine landwirtschaft- liche Ausbildung unserer Jugend, aber diese muß auch den Arinen und Nermsten ermöglicht werden. Jn den Landivirtscbaftskammern muß eine gleichmäßige Bertretunz alier. lantwirlsœatilichen Kreise stattfinden. Dann potcemisiert «c Ned: er gegen ded: Abgeordneten Grafen Kants, Sr u. a. mit semem Hinweis - guf. die. Möglichkeit, daß Deutsch- land sväter wieder Kavalleriepterte:! géumiheni Tönne abermals im Auélande Zweifel au der Chrlichkeit “bex téutshen Politik erweckt habe. Der Abgeordnete Westermännbab&-fÿ- als Demokrat das Lob des Azrariers von der Osten zugezogen. Das fei doSipmptiomatichck, wenn man beate, daß: der Temotkrät Drimert für teine demokratische Auffassung vom Streikrehn der: Eiseubahner die Abfertigung dur seinen Fraktionsgenofsen Scbunliatt. have: bignetmen müssen. Herr Westermann hatte uber Arbeitsloss und Arketitslosenumitersiüßung sehr undemofratisce - Aeußerungen geten. Im Verein mit den Agrariern bade er aud die Ziecnigäpietsckuf1. aufzuheben gefordert. Für die Sicherung der Volksernäzlung uiliss& diese -beitehen bleiben. ‘Die Söozigidemnokraten würden Sud Gee PVPeorkchärfung der Kontrolle und der Strafen gegen Schleicbähibler. nt zutüclschrecken. In unerbörter Weise werde die Anlietungäufliht der Landwirte namentli im Westen verrahl1sfigt Dis Taritverträue e en ein Segen fur die Landarbeiter. Die-Lodêrung der Jwangêwirtschaft habe der Agrarierbäuptling y. Oldenbukg! fon 1215 1n unverantwort- lier Weise mit der Androhung bes Propduzentensireiks anzubahnen versuchr. Sal An bz. Berghaus ‘Denm.): HerEson ter Often bozeichnete als Signatur rec jetzigen Zeit „die Herrschaft: deg Kapita!t mus". Das ist d1rch29s richtia. Auch bei einem f Systeinwechsel werden die früheren besseren Zustände nicht wüeterkehren. „Dazu steht zu wel zwishen- der damaligen und : brxi jegägen Zeit. Mit Hertn von der Osten wünschen roir dringend, “das tte Wertehrsyerhältnifse nah dem Díten besser werden. - Die Vubführangeg“ des. Ubg. Westermann unkerschreiben wir. Gr hat nit t forortige Aufbebung der Zwangs- wirtichaft gefordert, sondern ihren: Nhbau: in der alleriächsten Zeit.

¡Mbg. von der Osten (dnatii)personlih): "Ih stelle gegen- úhêe ‘dem Minister fest, daß id nit hochagrarfonservativen Jdeen huldige. zes e : Darauf wird - die Fortscbmg der Beratung auf Freitag, 12 Uhr, vertagt (vorger Anfragen).

Schluß nah 6 Uhr.

i P arlamentärisccher Ausschuf für die Untérsuchung über die Schuld am Kriege "und an dessea Verlängerung.

g. öffentl'de Sipurg vom 23. Oktober 1919. (Bericht des Nachrichtenbü:cs des Vereins. deutscher ZeitungSverleger.)

Die Verhandlungen tes zweiten Un1erausschusses des yarlamentarishen Untersu@unçg8aus sdufsses nabmen unter starkem An- drang von Abgeordneten aller Parteien ihren oi tgang.

Der Vorsitzende Abg. Warmuth eröffnete die Sißung um 104 Übr Vormittags und stellte fest, um irrtümlicden Auffassungen iu begegnen, daß jedes Mitglied des Unterausschufses ein selbständiges Fragerecht_ besißt.

3 wird darauf in die Verhandlungen eingetreten und die Ver - nehmung des früheren deutshen Botschasters ia Washington Grafen vou Bernstorff fortgesezt.

Vorsikender Warmuthb: Exzellenz baben uns erklärt, daß solange die Friedenévermittlunggaktion mit Wilson schrochte, niemals davon bie Mere gewesen 6, daß Demsclands Integrität durch den Friedenévertrag irgendwie angegriffen werden joute. Das ist wobl richtig 28 i

Grat Bernstorff: Jawoßl! : S

Borsihender Warmut h: Nun hat in der Senatsbotschaft vom 99, SFanuar Wilson ertlärt, daß es ein einiges Mas ange I. ständiges Poln geben solle. So weit as mögli folle auch dieiem Bolfke ein direkter Ausgang zu tei großen PHeeresstiaßen der See gegeben we2den. Wo da» dur(h:' ebietsabuetungen nicht erreicht werden könne, solle es durd Neutrtäliftërung dér-Zugangäwege erzielt weiden. Mir \ch(eint, daß hiex cin Vüterspruth besteht. Denn wenn ein einiges Poler vervirklic t werdew foslte mit inem Koni?or zum Meere odcr durch Neuirálisierink/ M mter Gebiete Veu!slands, dann fkfonvte die Irtegri!ät Deutith aus unmögli unverieh1t bleiben. Es liegt also ein Widerspruch vor:- bemerke, váß- diese Bot1icdhatt vom 22. Januar zu einer Zeit erging, als die diblotat sh¿n Ve- ziehungen wit Amerikz noch völlig bestanden, als Sie noch in Washington waren. Larf id uw einige Worte dex Aufkiäruag bitten ?

Graf Ber n tor ff: Daß Wition die Wiererberstellung Polens wollte, bezveifle ich feinesfalls. Aber ob diese LBiederbe:sielluig fo weit geben solite, daß Preußen bezw. Deutschland Gebiete abtreten soûte, würte n. ch meiner Anficht erst aus ven Verbandtnngen hervor- gegangen sen. Es wiide sich dabei sicherlich um Kompenfationen géhantelt haben. Dinn der Fricden ohne Sieg war nit unbedingt 10 aufzufassen, daß genau dieilben. Gebtete bestehen bleiben sollten, \sondein dos auch Aenderungen mit entfprehenden Kompensationen vorkommen follten. , ; ; A

NVo1rsitender War muth: Ist das Ihre persörlihe Auffassung ober der Niederschlag hrer Unterredungen ? |

Giaf Bernstorff: Das isr eine aus den damaligen Ver- bandl igen hervorgegangene Ueberzeugung. L

Nor. Warmuth: Es find alt pom Oketsten House A- uße- rungen getan worden, daß nicht gena bet tfatus quo anto wieder- bergetelit werden tollte, sondern baß tin Rouwensaiionwege das eine oder a dere Stück abuetreten wirden sollte. Und daß in ter Tat ein ungeswächtes Deutschland erhalten werten foilte.

Graf Bernstorff: Das ergab sich von seibst aus dem Pro- Lamm Frieden - obne Sieg; de-n wenn Deutschland Gebiete ohne Kompensationen hätte abtreten sollen, sv wäre das tein Frieden ohne Sieg gewesen.

Borsigender Warmut h: ‘Hat Oberst Houfe sich zu Ihnen in dem Sinne geäußert ? :

Graf Bern11orff: Es ist mit tir mündli in dem Sinne verhandelt worden, daß gegen\eitige Kompensationen nicht ausgeschlossen elen.

_ Abg. Gothein (Dem.): Es wird in den Instruktionen nur bon Buganatwegen für Polen gesprochen. Däs wurke die Mg, Teit offenlossen, daß sowobl Danztg wie au die Zuaangwege, die Weich ( und die Bahnstrecke über Marienburg, an und für sich

dettsch bleiben könnten. Es wäre ja mögli, dak Polen au dur

Litauen eiucn Zugang zum “Méére bekbmmen könne. Ist diese

Dritte Beilage

Berlin, Freitag, den

e ———

24. Oktober

Frage bei den Verhändlungen mit den Vereinigten [Staaten zur (Erörterung gelangt? : h :

Graf Bernt orff: Auf solhe Einzelheiten sind wir nicht ein- gegangen. Die Botschaft des Präsidenten erfolgte: am 22. Januar, bald darauf habe ih mit Oberst House eine: Unterredung gehabt, in der mir die Friedensvermittlung Wilsons auf der Basis jeiner leßten Botschaft angeboten wurde. Diese Tatsache habe ich nah Berlin telegrapbiert. Das war meine leite“ politishe Unterredung mit House. Ich habe nur noch später ihm die Erklärung des U-Boot- krieges überreiht, worauf der Abbruch sofort erfolgte.

Abg. Dr. Schücking: 3 ist ni{t von einem neutralen Korridor, sondern von einem neutralen Weg geredet. worden ? Haben Sie es so verstanden, daß damit ein völferreWßtUches Servitut ge- meint war?

Graf Bernstorff: Damals hieß es nur, ein Zugang zum Meer dur Cise.bahnen oder dergleichen sollte erreiht werden,

Borsißender Warmuth: Das Gebiet sollte ‘also nicht der deutschen Staatshoheit entzogen werden ?

Graf Bernstorff: Nein.

Professor Dr. Hoeu\ch: Haden Sie den Eindruck gewonnen, daß auf amerikanischer Seite Klarheit darüber bestand, wie Polen wieder hergestellt werden sollte ?

Graf Bernstorff: Gin klares Programm war in Amerika Hierfür nit vorhanden, das sollte den Verhandlungen unter den Kricgsübrenden vorbehalten bleiben. f i

s Auf eine Frage des Sachversiändigen Professor Dr. Bonn eiflärt ;

Graf Bernstorff: IH stehe auf dem Standpunkt, daß die Frieden3aktion Wilsons von (918 mit derjenigen von 1917 gar nichts zu ‘tun hat. Auch damit, daß Wilson in Versailles versagt hat, hat dies nichts zu tun. Das sind . vollkommen getrennte Attionen ge- wesen, e n NücksHluß von der einen zur anderen ift ausgeschlossen.

Professor Dr. Bonn: Zunäckst bat alio Wilson nah langem A2ögern einen Friedenöjchritt getan und si dabei nur ganz allgemein auégesproben, das war am 21. Dezember. Dann erbielt er eine Ant- wert der Gntente mit deren Frieden8bedingungen, unsere wurdea ihm nicht bekannt. Daraufhin hat er versucht, etwas zu schaffen, was als Diskussionsgrundlage bezeichnet werden könne ? i

Graf Bernstorff: Die Botschaft vom 21. Januar . solite meiner Auffassung nah ein Programm sein für cine Besprechung, weiter nich18s.

Projessor Dr. Bonn: Das Wort „Programm“ deutet auf etwas Postlives hin, es handelt sich hier wohl nur um allgemeine Grund\äße. Ein Programm finden wir naher in den 14 Punkten Wiltons.

Graf Bernstorff: Jh bin damit einverstanden, daß man es nit als Basis, sondern ais allgemeine Grundsäge bezeichnet.

Auf eine Frage des Sachverständigen Professor Dr. Schäfer, wie Amerika sich eine Kompensation auf territorialem G. biete ohne Nanexion habe denken können, fübrt

Graf Bernstorff aus: Dem Präsidenten Wiison hat nur vorgeschwebt, eine Lsprehung zwischen den Kriegführenden Herbei- zuführen. Was vrabei herauskommen würde, war natüclid_ nicht vorauszusehen. Ich habe inumer det®Wunch vertieten, daß Wilfon die Friedensvermittlung ‘übernehme, damiz#der Gintcitt der Ver- einigten Staatea in den Krieg vehindert würde. Ich war immer der Ansicht, daß der U-Beootkcieg automatisch den Abbruch der deuts%-amerifanischen Beziehungen herbeiführen würde, deren auto- male Folge wiederum der Krieg Amerifas mit Deutschland Fein mußte. Der Eintritt Amerikas in den Kiieg mußte meiner Arsicht nah unbedingt zum Sie e der Entente führen. Infolgedessen blieb nis übrig, als eine Verm-ttlung Wilsons anzunebmen. Ohne die Hulfe Amerikas foante die Ent-nte uns überhaupt nicht besiegen. äre cs uns gelungen, den Krieg mit Amerika zu verhindern, so roâre unter allen Umständen mindestens ein Verständigungssriede zu- stande gekommen.

Norsitzender Warmuth: Wilson hat es also abgelehnt, si in eine Verständigung über territortale Frazen éinzumi'chen.

- Abg. Gotbein (Dem.): Ist die veränderte S éslungnahme Milsons darauf zurückzuführen, taß ibm unsererseits die Muteilung ter Friedenbbeoinqungen verweigert wurde? Wir das Wort „einiges Polen“ so zun versteben, daß zu D-len sâmtlide Gebiete mit polnischer Bevö!kerung g?hören ollten? Wir sprechen au von etvem „einigen Deutschland“, obgieih weite deut\hsprachige Gebiete außechaib Deutschlands liegen. Meint Crzellenz, d1ß Präsideat Wiison der Anfihi war, daß die gemischtsprachigen Gebiete . in unseren Ostmarkea unbedingt zu einem “einigen Polen gehören müßten ?

Graf Bernstorff: Ih glaube niht, daß Wilson fich über die Grenzsn dama!s geaauer informiert hat, etne bestimmte Vor- {tellung von der Abarenzung-Polens nicht hatte

Professor Dr. Hoepsch: Ist da nicht ein Widerspruch vor- banden? Gestern hat Graf Bernsto!ff gesägr, Wilfon kabe uns niemals zugemutet, aub nur das geringste Gebiet abz treten, beute heißt es, daß ein einiges Polen geschaffen werden solite. Dee 1ozgtche Foigerung hiervon ist do, daß von einer Abtre!ung gesprochen wuroe.

Grat Bernstorff: Ih wiederhole, daß gegenüber in allen Verhandlungen niemals: eine Gebietsabtretuvg zug mutet worden ist. Ueber die polni1he Fiage babe ih nicht mehr verhandelt, weil es zu Verbondlungen über die Botscha!t vom 22 Januar überhaubt nit mebr gekommen is. Was ih bei d n Verhandlungen gesagt rabe, becuhte imm r auf der festen Basis von: Instruktionen aus Berlin. Zur. Botschaft vom 22. Jinuar hab? 1ch niewals J struttionen gebabt, wie ih au nie darüber verhandelt hae. Ueber die preußiisch-polnishe Frage ist nur in allgemeinen Wendungen ge- sproden wrden. E |

Abg Dr. Cohn: Wann erhielten Sie K.nntnis von der Pro- flamation Polens durch die Mittelmächte ?

Graf Bernstorff: Zunächst dur die gewöhnlihen Trans- ozeantelegramme, ob sie mir sväter au amtlich mitgeteilt worden ist, weiß ih nit mehr. Jedenfalls hat die Proklamation bei den Verhandlungen mit Wilson ketne Rolle gespi lt. Wohl aber wurde sie in der amerikani\den Presse lebhaft besprochen. Die deutsch- feindliche Pr. se bielt fie nicht jür ebrl'ch, die andere Preñe sah in ibr die Venvükliichurg des Selbstbestmmungêrechts der Vö!ker.

Professor Dr. Bonn: Es ist genau zu unterscheiden, was Wilson bs zum 31, Ianuar und was er nachher weUte. Sonst fommt man zu falschen Schlüssen. Bis zum 31. Januar ist Wilson auf einer Line gebli-ben, Am 18. Dezember richiete er eine all- gemeine Einladung an alle Kriegfübrenden, am 22. Januar stellte er in seiner Botschaft bestimmte Grundsäße auf und am 23 oder 54 Januar ging er au darúer noch hinaus und ließ durch Oberst House einen ganz bestimmten Vermiitlungs8vorschlag anbieten.

Grat Bernstorff: Das ist richtig, |

Piofessor Dr. Bonn: Wollte Wilson, als er seinen Ver- mittlungevorshlag machte, als Gleichberechtigter mit am Verhandlungs8- tisch teilnehmen, od r wäre er damit zufrieden gewesen, wenn er die Kriegführendten z1sammengebraht hätte ?

Wrat Bernstorff: Wiison hat mir immer sagen lassen, er wfinsdhe, ‘die Kiiegführenden zn etner Konferenz msammenzubringen. Dann sollte gieichzei ig oder hinterher eine zw-tte Weltkonferenz statt- finden, an der er mit \ämtiihen Staaten der Welt teilnchmen wollte und ‘die allgemcinen Fragen zu regeln gehatt hätte, - i

ischen Staatsanzeiger.

1919,

Professor Dr. Bonn: Also auf der ersten Friedenskonferenz wollte Wilson weder vertreten sein noch bestmmte materielle Forde- rungen dur{chseßen ? :

Graf Bernstorff: Das hat er stets erklärt. é

Professor Dr. Bonn: Daraus ergibt sih, daß, wenn die

Kriegtührenden si auf riner etwas anderen Grundlage geeinigt hätter, als fie in der Botschaft vom 22. Januar enthaltén war, Wilson höchstens auf der- zweiten Konferenz etwas hätte machen können, aber nicht auf der ersten. : Graf Bernstorff: So- war es gedaht. Wilson legte gar feinen Wert au* bestimmte Formwulierungen, er wide sich auch mit anderen Formulierungen einverstanden erkiärt h1ben. Er hat si immer nur für diejenigen Fragen intereisiert, die eine tiefgehentde Beweg"ng aúuh in den Vereinigten Staaten ausgek!öst hatten: Freibeit der V'eere, Schiedsgerichte und vor allem Adbrüstung.

Prof. Dr. Bonn: Wenn die Parteien auf der ersten Kon- ferenz sih- ohne Wilsons Zutun geeinigt und die Polenfrage anders dee hätten, würde Wilson da irgendwelhe Schwierigkeiten gemacht

aben ? ,

Graf Bernstorff: Das glaube ih nit. : :

Vorsißender Warmuth: In der Boisdaft vom 22. Januar find doch aber genaue Forderungen hinsih!lich Polens ‘enw balten. Sollten diese Forderungen für den Frieden nicht eine conditio siùe qua non sein ?

Graf Becnst orff: Ich glaube, daß Wilson auch *in der polnischen Frage sich nur ein ganz allgemeines Bild gemacht ‘hat.

Abg. Dr. Sw ücking: Glauben Sie, daß Wilson, als er seine BotsŒaft vom 22. Januar aufsezte, er oder seine näheren Mitarbeiter bie eigenartigen gemishtsprahiaen Verbälinisse der preußischen- polrischen Provinzen auch nur gekannt hat ? /

Graf Bernstorff: Ic bin überzeugt, daß er sie nicht gekañnt hat. (Allgemeine Heiterkeit.) F

Abg. Dr. Spahn: Spôöter, am 4. Juli 1918, hat “Wilson binsihtlih Polens ganz bestimmte Leiisäge aufgestellt. Glauben Sie mt, daß diefe Leritsähe für Wilson die ganze Zeit hindurch be- stimmend waren ? : E cid

Graf Bernstorff: Man muß stets beahten, daß am 31. Ja- nuar 1917 in dem Verhalten Wilsons eine völlige Wandlung etn getreten isf. Bis zum 31. Januar glaubte Wilson, daß wtr einen Perständigungsöfrieden wollten. Nach dem. 31. Januar «aber, var er der Ueberzeugung, daß wir nur den sogenaunten deutschen Frieden &n- nehmen würden, der die uns von der Entente unterstellte Weltherr- haft enthielt. So e-klärt sich psychologiih dieje Wandlung.

Vorsißender Warmuth bittet den Grafen Bernstorff, nun über die Vorgänge nach der Senatsbotichaft zu berichten. Lie

Graf Bern|\torff: Ih habe ein Telegramm- von House be- kommen, möglihit rasch nah New Vork zu kommen. Ueber ‘die Unterredung habe ich telegraphisch berichtet.

Itefexent Dr. Sinzheimer verliest das Te!'egramm. In diesen wird erflärt, daß eine Einmischung - in tecritoriale Fragèn seitens Amerik13 ni t beabsihtigi sei. Es wird um die Micteilun der deutschen Fcieden3brdinzungin ersubt. Wil'on habe erklärt, daf wir morali\ch verpflichtet seien, unsere Bedingungen bekannt zu geben, wéil- fie sonst nit als ehrlih avgeseben würden. Wilson )ei bereit, sie der ganz-n Welt nätzuteilen, und er sei überzeugt, daß damit der Weg zur Fricetenekoufereoz geebrnet würde. Er wäre fehr erfreut, wenn es auf der Grund!age feiner Senatédoi|haft zu der- Friedend- konf¿renz fommèn ‘wü:de. Gr hoffe, daß das o ras{ gèshehen würde, daß unnöôtiges Blutvergießen y rmieden würde. De: . Reférent Sinzheimér stellt dann fest. daß dem Gcajen Beinstorff am 16. Jas nuar - offiziell ‘vertraulih mitgeteilt wurde, daß der U-Bootkirteg be» schlossen sei, am 31. Januar sollte er eine entiprehend» Note übers aben “Es heißt in tem Telegramm weiter, daß, “wenn ‘jet der U -Bootkrieg ohne weiter:s. begonnen würde, der Prösident d1s als Schlag ins Gesicht empfinden würde, und daß der Krieg mit de» Vereiniaten Staaten unvermeidlih und eine Beendigung des Kriedes unabsehbar fet, da die Machtmtittel der Vere‘niaten Staaten tros allt, was man darüber sage. sehr groß seien. Durch die Konferenz würden wir einen besseren Frieden e-reichen, als wenn sih die Veretnigten Stáa en un*eren Feinden anschließen würden. ''

Graf Bernstorff: Am 30. Januar babe ich die Friedens- bedingungen sofort dem Obersten Houte mitgeteilt und am nächsten Táge die Eikiäruig des U-Booikrieges überreicht. Dann have ich mit niemand mehx vérhandi lt.

Meterent Dr. Sinzheimer verliest dann das Tei?gramm des Neicbéfanzlers von Bethinann Hollweg auf das Telezramin des Gratea Bèrattorfff. Der Graf: wird gebeten, deim Präswëtitéw den

. Dank der kaiserlichen Regierung für feine Mitteilungen auszusprechen.

Wir brächte: ibm volles Vertrauen entgegen und bäten ihn, au uns gegenüber“ das “gletihezu: tun. D-utschland ist bereit, die von ibm vertrau!'ib anga-:botére Friedensvernmittluimg“ bèrbetzuführen “und eine direfte Konferenz der Kriegsführenden anzunehinen. Es wird feinen Verbündeten das 6l iche empfehlen. Eine öffentiiche Bekänntgade unserer ‘Friedensbedingun en ift jt unmöglich; / nachckem.die=Entente Frieden?bedin ungen veröffentlicht hat, die auf eine Eutrechtung und Nerüfchtung Deut|chlands und seiner Bund-sgenossen hinaus1aufen, die v-m Prä denten auch elbst als unmöglich bezeichnet würcen ; als Bluff tônxen wtc f! nicht auffassen, da fie mit den Neden überetn- slimmen, die von den tetudlichen Machthäbern vors und nachher ges halten worden sind. Solange diese Bedingingen aufrecht ethalten werden, “würde eine öffentlihe Betkanngabe un)erer- Frtiedens- bedingungen âls Zeichen der Schwäche angesehen werden ‘und zur Verlängerung des Krteges beitragen. Um Wilson einen Beweis unseres Vertrauens zu geb2zn, teilen wir ihm ganz aussließzlich für seine Perion die Bedingungen mit, unter denen wir -bereit gewesèn wären, in Friedensverhandlungen- einzutreten, falls die Entente unter Fcieden8angebot vom 12. Deze nber angenommen hätte. Diese Bedingungen sind: Rückerstattung ‘des von Frankreich besetzten Teils von Oberevaß, Gewinnung einer Deutschland und-Polen gegén MNüßland “\stategisch und wirt\haftlih sichernden Grenze, -foloniale Resttution in Form e'‘ner Verständigung, die Deuischländ einen seiner Bevölkeru 1g8zahl -un® ber Bedeutung seiner wiris Haftlichen äJInt.r sn entsprechenden Kolontalbesig sichert, N*ckgabe der von Deutschland beseßten franiösßschen Gebiete unter Vorbehalt \tratê- gischer und wi-tschaftlicher Gr: nzberich igungen sowie finanzieler-Koin- vensa1t nen, Wiederherstellung Belgiens unter be'immten Gaiautlén für pie. Sichetheit Devt!chiands, welhe dinh Verhandlungen- mit der belgiichen Vie.ierung festzuitellen wär: n, wirtihaftlcher und-füanzieller Aus ei auf dec Grunolage des Austausches der beiderseits ‘eroberten und “Im Friedens\ck@l zu restituierenden Gebiete, Schadloshaltung der dur den Kr eg geichädigten deutich?n Uniernehmungen und Privat- personen, Verziht auf alle wirtschaftlichen Abmachungen und -Maß- nabmén, welche ein Hindernis für den normalen Handel un» Ver

nah Friedenss{chluß bilden würden, unter Abschluß entsprechende Handelsverträge, Sicherstelung der Fretheit der Meere. - Die Friedensvedingungen unserer Verbündeten, so heißt es weiter, de» wegten # b, ‘in Uebcreinstimmung mit unseren Anschauun«en, 2 gleich mäßigen Greuzen. Es wird dann weiter erklärt, daß Deuts

land bereit sei, in die in der Senatsbotschaft erwähnte intert- nationale Konferenz einzutreten. Ferner wird betont, wenn das Angebot Wilsons nur wenige Tage vorher erfolgt wäre, so bätten wir den Beginn dcs neuen U-Boolkrieges vertagen können: ‘jeßt set es

hicrz 14 aus technischen- Gründen leider zu spät, Es seien militärische

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