1898 / 18 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 21 Jan 1898 18:00:01 GMT) scan diff

E E R AE G3 Itertasiezts

b | ehen wollten, troßdem diese Strafe so i Die / A O “Mechiedben. ie R M von 1890 seien unerfüllt geblieben, sodaß man auf den Gedanken kommen Tönnte, es habe fi damals nur um ein Wahlmanöver gehandelt. Die Unternehmer brähten angeblih 1 Million täglih für die Arbeiterversiherung auf; das mahe bei 18 Millionen Versicherten 54 S für p Arbeiter. Aber was habe der Unternehmer verdient. Auf dem Schlachtfelde der Industrie von 1886 bis 1896 seien mehr Arbeiter verloren worden, als während des ganzen französischen Krieges; außer 51 761 Todten so und so viel ganze und halbe Krüppel. Aber wo finde man einen einzigen verunglückten Unternehmer? (Zurufe: Borsig!) In den fiskalishen Werkstätten in Spandau sei eine Lohnherabseßzung um 20 % dekretiert worden ; den dagegen Widerspruch erhebenden Mrkeitern set mit der Entlassung aus der Arbeit gedrobht worden. Auch die Rechtspflege sei ein wahrer Skandal. (Präsident Freiherr von Buol: Ich muß den Redner unterbrehen. Er hat vorhin {on von einer Schinderhannes-Brutalität der Regierung gesprochen, er hat die Kaiserlichen Erlasse als cin Wahl- manöver bezeichnet und spricht jeßt von dem Skandal in der Rechtspflege, Wegen E Wendungen muß ih den Redner zur Ordnung rufen.) Der pueus {he Justiz-Minister habe den Grundsaß aufgestellt, daß, wenn zwet dasfelbe thäten, es nicht dasselbe sei: wenn die Gerichte in den Dienst der Verwaltung gestellt würden, um die Auflösung polnischer Versammlungen zu erreihen. Vorläufig solle das Koalitions- ret beseitigt werden, um die Gewerkschaftsbewegung zu beseitigen ; dann würde man zur Beseitigung des Wahlrechts kommen.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Es giebt in Deutschland weite Kreise, welhe meinen, die Sozial- demokratie habe sich gemaufert und sei im Begriff, eine bürgerliche Partei zu werden, die lediglih die wirthschaftlichen Interessen der Arbeiter vertrete. Wenn jemals eine Rede geeignet war, alle diese harmlosen Leute über thren Jrrthum aufzuklären, so war es die eben gehörte Rede. (Lebhafter Beifall. Ah! ah! bei den Sozial- demokraten.) Es war niht klug von dem Herrn Redner, in dieser Weise die Karten seiner Partei und seine innere Ueberzeugung auf- zudecken. (Lebhafte Zurufe bei den Sozialdemokraten.) Er hat Kollegen in seiner Partei, die unendlih viel staatsklüger die politischen Fragen behandeln und fo ihre Ziele verfolgen. Jch hoffe, die heutige Rede des Herrn Abg. Fischer wird als Scheinwerfer dienen für die Zustände, die von der fozialdemokratishen Partei angestrebt werden, und für die Gedanken, von denen sie getragen ist. (Sehr gut!)

Es ift mir natürli felbstverständlih ganz unmöglich, auf all’ diese Angriffe zu antworten, sonst müßte ih fast über alle Gebiete des Staatslebens sprechen. Jh will aber doch einige markante Punkte herausgreifen.

Herr Abg. Fischer sagte zunähst: Der Herr Staatssekretär schreitet sofort ein, wenn sich Arbeitgeber melden. Wenn fih aber Arbeiter melden, so folle er doch einmal ehrlich erklären, dann würde er niht eingeschritten sein, Eine thatsählich unbedingt un- rihtige Behauptung! Zunächst bemerke ih zu dem fraglihen Erlaß, daß nit nur an den Bundesrath, sondern auch an den Herrn Reihs- kanzler eine große Zahl gleihlautender Anträge auf stärkeren Schuß der arbeitswilligen Arbeiter gegen Strikende ‘eingegangen sind, daß es meine Pflicht war, mir für den Beshluß im Bundesrath JInfor- mationen einzuholen. Und ih füge gleih hinzu, damit nit wieder erst dur eine „Indiskretion“ eines Beamten, wie es hier sehr cuphe- mistisch genannt ist, meine Absichten bekannt werden, daß ih auch meine Umfragen ergänzen werde dur Erhebungen über Strikestatistik und über die bei Strikes vorgekommenen Gerwaltthätigkeiten. (Sehr gut!) Ich glaube, das wird für das hohe Haus ein ebenso lehrreihes wie interessantes Material roerden.

Der Herr Abgeordnete sagt also: Wenn si Arbeiter gemeldet hätten, wäre die Regierung sicherlich nickt eingeschritten. Wie kann ein Abgeordneter das sagen, wenn er einigermaßen der politischen Geschichte der leßten Jahre gefolgt ist? Haben wir niht auf An- regungen aus Arbeiterkreisen heraus Umfragen gehalten über die L2ge der Handlungsgehilfen, über die der Bäck.r und Müller, über die Milzbrandgefahr in Pinsel- und Roßhaarfabriken, über die Konfektions- branhe? Oder haben etwa die Unternehmer diese Erbebungen an- geregt? Nein, die Arbetter. Und wir haben den berechtigten Wünschen der Arbeiter bezüglich der Feststellung jener Verhältnisse Nechnung getragen. (Sehr rihtig!) Zum theil sind diesen Erhebungen auch hon prafktishe Resultate, z. B. in der Konfektioasbrznche, gefolgt.

Dann sagte der Herr Abgeordnete: Die Kaiserlichen Erlasse wären seit sieben Jahren ein unerfülltes Versprehen geblieben. Auch das wagt er in diesem hohen Hause zu sagen, wo bekannt is, daß seit sieben Jahren das Reichsamt des Innern, das preußishe Handels- Ministerium, die cinzelstaatlichen Regierungen, der Reichstag sich fort- geseßt mit Arbeiterfragen und der Frage des Schutzes der Arbeiter beshäftigen, und nachdem eine ganze Reihe Verordrungen zum Schutz der Arbeiter ergangen sind! Sie begehen wirklich mit Ibren Behaup- tungen und Forderungen etnen taktishen Fehler. Eine Anzahl Forde- rungen, die Sie stellen, sind sahlich durhaus berehtigt; Sie verlangen aber viel zu viel auf einmal. Kein Staat, keine Gesellschaft kann alle diese Forderungen, felbst soweit Sie sie in berechtigtem Umfange ftellen, au f einmal erfüllen; dazu fehlen hon die Organe, und manche der Forderungen können nur erfüllt werden mit der zu- nehmenden allgemeinen Kultur und mit der steigenden Wohlhaben- heit des Landes.

Es ist auch wiederum vertheidint worten, daß die Presse meinen bekaniten Erlaß, obgleich unredlih in ihren Besitz gelangt, abgedruckt hat. Aber kein Redner aus ter Fraktion der Sozialdemokratie hat do den Muth gehabt, den Beamten zu vertheidigen, der diesen Ver- trauensbruh begangen hat. Ich muß natülih die Frage vom Stand- punkt der Disziplin beurtheilen. Jch glaube auch nit, daß die Herren den Muth haben werden, den Beamten, der diesen Vertrauens- bru irgendwo begangen, vor dem Lande und dem Hause zu ent- huldigen, und ich glaube au, meine Herren, wenn Sie in Jhrer eigenen Partei einen Vertrauensbruch erleben, dann find Sie un- erbittlih strenge. (Sehr richtig!)) Aber was innerhalb der Megie- rungen geschieht, darüber freut man sich und duldet es lähelnd. (Sehr gut!) Es heißt da auh: die Welt liebt den Verrath, nit den Verräther!

Es ist weiter gesagt worden, man könnte doch den Strikern nicht verdenken, daß sie niht besonders freundlih den Strikebrehern gegen- überständen; und wie auf den Fall in Torgelow Bezug genommen wurde, hieß es, der Mann wäre wahrscheinlich am Schlage ge- storben. Jh habe mich beeilt, mir von dem preußischen Herrn Minister des Innern die Akten kommen zu lassen und will Ihnen mit Erlaubniß des Herrn Präsidenten aus diesen Akten einiges vors tragen. Der Strike in Torgelow hat begonnen am 1. November und es liegt mir ein Aktenberiht vom 30, November vor, von dem Herrn

Landrath des Kreises erstattet, in dem vershiedene Gewaltthätig- keiten und Bedrohungen mitgetheilt werden, die sich die Striker gegenüber den Strikebrehern hätten zu {hulden kommen lassen. Dann findet sich ein zweiter Bericht vom 17. Januar 1898, der aller- dings die Annahme des Herrn Abg. Singer bestätigt, daß der Arbeiter am Schlage gestorben, aber niht ganz. Es heißt dort wörtlih wenn der Herr Präsident gestattet, verlese ih den Bericht theilweise —:

„Die Arbeitswilligen, die zum theil in den benachbarten Orten wohnen und \sich nach Ausbruch des Strikes Abends gesammelt und gemeinsam nach Hause begeben hatten, traten den Heimweg wieder wie in ruhigen Zeiten einzeln oder in kleinen Trupps an; da auf einmal wurden am Abend des 10. d. M. die“ heimkehrenden Arbeiter auf zwei Stellen im Walde von den Ausständigen über- fallen. Die Strikenden und Angreifer follen hier in einer Zahl von über 60 Mann einheitlich geleitet und völlig organ isiert aufgetreten sein

(hört! hört! rets.) und so auf ein Zeichen des Anführers die Ueberfälle vorgenommen haben.

Auf dem Wege nach Aschersleben is der Ueberfall dur ca. 20 Strikende ausgeführt worden. Wieviel Personen dort über- fallen sind, steht noch nit genau fest.

Und zum Schlusse:

Auf dem Wege nah Stollberg ist ers ein Arbeiter, dann sind

zwei und zuleßt vier Arbeiter überfallen und mit starken Knüpyp-

peln gemißhandelt worden, wobei der Arbeiter Arndt aus Stollberg erschlagen ist.“

Also niht am Schlage gestorben, sondern erschlagen ift (hört! hört! rechts) und der Herr Landrath macht in dem Bericht eine interessante Mittheilung, die ih auch noch verlesen will. Er sagt nämlich :

In dem ganzen Strike sind Fragen über die Höhe des Lohns, Behandlung der Leute, Arbeitsordnung oder dergleihen überhaupt niht in Frage gekommen. Lediglich die durch Berliner Agita- toren geleitete Agitation für den Metallarbeiter- verband bezw. für die Ausbreitung der Sozial- demokratie hat die Erregung hervorgerufen.

(Hört, hört!) Also garniht Ausbeutung durch die Unternehmer, fondern lediglich das Bestreben, jeden Arbeiter zu zwingen, einem be- stimmten Verbande beizutreten und die Arbeiter zu mißhandeln, die dem Strike nicht beitreten, war die leßte Ursache. (Sehr richtig!) Das ist ja auch ein Vorgang, der recht beweist, wie nothwendig es ist, dem Schuz der friedlihen Arbeiter, die die Arbeit fortseßen wollen, ein s{ärferes Augenmerk zuzuwenden wie bisher. (Sehr richtig!) Der Herr Abgeordnete hat sih dann auf verschiedene Aeuße- rungen, die ein höherer Beamter, der jegt im landwirthschaftlichen Ministerium fungiert, gethan haben foll, bezogen. Meine Herren, ih glaube nit, daß auf dem Kongreß dieser Herr als Delegirter des Landwirthschasts-Ministers oder überhaupt der Regierung fungiert hat. Der betreffende Beamte i} dort offenbar als Privatmann und Ges- lehrter gewesen, und ih begreife niht, wie man hier der Regierung Aeußerungen entgegenhalten kann, die ein- Beamter infolge feiner Privatstudien auf dem Kongreß, an dem er als Privatman theil nahm, gethan hat. Dafür können wir doch nit verantwortlih sein. (Schr richtig!) Die pèersönlihe Ansicht eines Beamten obligiert in keinem Falle die rerbündeten Negterungen.

Dann hat der Herr Abgeordnete gesagt: die Millionen, die die Unternehmer verdienen, von wem haben sie sie? Von den Arbeitern. Das ist leiht gefagt. Der Unternehmer trägt doch aber au das Risiko, und von den Unternehmern, die in ihrem Geschäft zu Grunde gehen, von dezen spriht kein Mensch mehr. (Sehr richtig!) Er har mir ferner vorgeworfen, ih hätte garniht gesagt, was die Arbeiter zahlen zu der Million, die täglih im Deutschen Reich für dieselben im sozialpolitiszen Interesse aufgewendet werden müßten: das habe ih wirkli als bekannt vorausgeseßt, in welhem Verhältniß die Arbeiter zur Invaliditätsversiherung, in welchem Verhältniß sie zur Kranken- versiherung beitragen. Aber immerhin bleitt doch die Zahl bestehen, daß die Arbeiter seit Bestehen der sozialpolitishen Gesetze 540 Millionen mehr erhielten, als sie zahlten, und ih glaube, das ift cine imposante Zahl. (Sehr richtig!)

Der Herr Abgeordnete hat dann auch eine Anzahl Behauptun zen aufgestellt, die sich stüßten auf Zeugenaussagen im Tausch-Prozesse. Ich muß dem Herrn Abgeordneten offen gestehen: ih habe den Prozeß Tausch in meiner damaligen Stellung als Schaßsekretär wenig oder garnicht verfolgt. Ich habe niht eiamal die Zeitungsreferate darüber gelesen; ih weiß also nit, wie weit seine Behauptungen berechtigt sind oder nicht, wie weit es nur Kombinationen sind, die auf die Zeugenausfagen im Prozeß Tausch sih stüßen. Aber das will ih dem Herrn Abgeordneten ganz offen sagen: ih billige in keinem Falle, wenn irgend eine Behörde oder ein Beamter etwas thut, was sih mit den strengen Geseßen von Reht und Moral nicht verträgt. (Bravo !) Und Sie gestatten mir, daß ih auf dem Standpunkt stehe, und diesen Standpunkt auch den mir nahgeordneten Beamten gegenüber zur Geltung bringe. (Bravo !)

Der Herr Abgeordnete hat auf Grund der Unfallstatistik darauf hingewiesen, daß im legten Jahre 7000 Arbeiter auf dem Schlachtfelde dec Arbeit geblieben seien. Gewiß, meine Herren, eine sehr betrübliße Zahl! Was foll denn aber daraus folgen? Will der Herr Abgeordnete daraus folgern, daß überhaupt keine Arbeiten im Interesse der gesammten Kultur, der gesammten bürger- lien Gesellshaft vorgenommen werden, die lebensgefährlich sind? (Widerspruch links.) Giebt es ein Mittel, das zu verhindern ? Wenn er daraus deduzierte, wir enüssen den Schuß gegen die Unfall- gefahr verstärken, wenn er darauf eigene positive Vorschläge baute, so ließe man si das gefallen; aber mit der einfahen Zahl ist absolut nichts zu machen. Jh habe auch einen Artikel in einem Organ der fozialdemokratishen Partei gelesen, der diese Zahl ebenfalls ausbeute, und am Schlusse fagt: Nun sieht man, wie es in Deutschland zugeht ; in dem Staat der Stumm-Posadowsky müssen die Arbeiter über die Thür s{reiben: Jhr Arbeiter, lasset alle Hoffnung hinten! (Heiterkeit) Es wird aber der Welt verschwiegen, daß die 7000 Arbeiter, die auf dem Felde der Arbeit ehrenhaft gefallen sind, doch versichert waren und. daß sie die Segnungen der fozialpolitishen Geseße genießen, daß ihre Wittwen und Kinder auf Grund derselben Renten bekommen. (Sehr richtig!)

Der Abg. Legien, der sonst in unendlich viel vorsichtigerer Weise als heute der Abg. Fischer, und viel geschickter gesprochen, hat eine Aeußerung gethan, die mih außerordentlich gefesselt hat. Er hat nämli ganz klar deduziert klar, wie man es überhaupt nur thun kann —, wohin die Sozialdemokratie auf politischem und wirthshaftlihem Gebiete ftrebt. Er deduziert als eine Art Naturnothwendigkeit: aus dem absoluten Staat bildet ih der konstitutionelle Staat, die Regierung der Monarchie unter Theilnahme des Volkes in geordneter Volksvertretung, aus dem konstitutionellen Staat folgt mit Nothwendigkeit die Republik. Parallel deduziert er: aus der absoluten Verfügung des Fabrikherrn, des Unternehmers über seine Anlage folgt zunähst die konstitutionelle Fabrikleitung, die Fabrikleitung, getheilt zwishen Unternehmern und Arbeitern, und daraus folgt \chließlich die sozialdemokratische Fabrikleitung, die kolleftivistishe Produktion. Meine Herren, es ist mir zweifelhaft, ob diese Deduktion thatsählich rihtig ist, und ob überhaupt diese beiden Gntwicklungen auf politischem und wirthschaftlihem Gebiete voll- kommen parallel neben einander laufen. Einen Einwand möchte ih {hon prima vista dagegen maten: wenn diese beiden ESntwicklungen neben einander liefen, so müßte man do eigentli folgern, daß da, wo die Nepublik erreicht ist, auch die kollektivistishe Fabrikleitung und Wirthschaftsordnuyg eingeführt sein müßte. Jch glaube aber, wir haben in Deutschland, das als Bundesstaat und in den Einzelstaaten monarchisch regiert wird, mehr für das Wohl der Arbeiter gethan, als sehr viele Republiken. (Sehr rihtig!)) Wir haben auh in Deutschland in den meisten Staaten einen Schritt gethan, den man in sehr bedeutenden Republiken noch niht fertig gebraht hat: die Steuerzahler nach ihrem Einkommen und nah einem progressiven Maßstabe heranzuziehen. (Sehr wahr!) Also die Theorie, daß die politische Entwicklung bis zur Republik und die wirthschaftlihe Ent- wicklung bis zur kollektivistishen Unternehmung parallel läuft, ist voll- kommen verfehlt und am grünen Tische ausgeklügelt, (Sehr richtig !) Und, meine Herren, nur ruhig Blut: im deutschen Volk ift der dynastishe, monarchische Sinn so tief ent- widcktelt, daß Sie zusammen mit Jhrer ganzen Partei den Endpunkt Ihrer Theorie in Deutschland nie erleben werden! (Lebhaftes Bravo!)

Ich bin überhaupt der Ansiht und damit möhte ih shließen —, der große Kampf zwischen der sozialdemokratischen Partei und den bürgerlihen Parteien wird dur) keine Reden in diesem hohen Hause entschieden werden (sehr wahr!), ih bin der Ansicht, er wird nur dadur entschieden werden zu Gunsten der bürgerlichen Parteien, wenn die bürgerlihen Parteien dur Wort und That sich die Alhtung der arbeitenden Klassen erwerben, er wird nur zu ihren Gunsten ent- schieden werden, wenn die bürgerlichen Parteien den Muth und die Selbstentsagung haben, Shulter an Schulter gegen die sozialdemokratische Sturm- fluth zu deichen, und er wird nur beendet werden, wenn auch die religiösen Mächte im Lande. den Einfluß und die Stellung er- ringen, die es ihnen ermöglihen, ihre versöhnende und heilende Thätigkeit im bürgerlidßen und wirthschaftlihen Leben erfolgreih zu üben. (Lebhaftes Bravo! rechts, in der Mitte, bei den National- liberalen).

Abg. Jorns (nl.): Ih kann namens der Nationalliberalen er- klären, daß wir keine Gegner der Koalitionsfreiheit sind; aber wir verlangen dieselbe auch für die A die oft Schulter an Squlter mit ihren Arbeitern gekämpft haben, wie ih das selbst durh- gemacht habe, die auch {on früher für ihre Arbeiter gesorgt haben, ohne geseßlich dazu verpflihtet zu sein. Als ih den Erlaß des Grafen Posadowsky las, dachte ih an den Harz. Die Eisengewinnung ist dort zurückgegangen; die Harzer wollten aber nicht auswandern und sih anderwärts Arbeit suhen. So bildete sich die Möbel- fabrikation heraus, nicht durch Unternehmer, sondern die Arbeiter wandten sih an einen Kaufmann. Jh war daher erstaunt, als ih hörte, Holzarbeiter in Lauterberg 2c. gehörten den Berufsvereinen an. Die Arbeiter, die nur \pärlihe Verdienste hatten, geben dafür viel Geld aus, sodaß die Frauen zu den Unternehmern kamen und sie baten, dagegen einzuschreiten. Die Unternehmer. haben darauf eine, Fabrikordnung erlassen, nach welcher tie Arbeiter nicht mehr den Berufsvereinen Ang I r follten. Darauf kam der Ausstand, der von einem Berliner Agitator geleitet wurde. Die Unternehmer, welche Verpflichtungen hatten, Ueßen Arbeiter kommen; diese wurden jämmerlih behandelt. Sie kamen mit zer- s{lagenen Gesichtern in ihre Heimath zurück. Es sind damals Dinge vorgefcmmen, die ih von einer ordentlihen Arbeiterschaft niht für mögli gehalten bätte, die ih aber jeßt nah der gehörten Rede für möglih halte. Die Strikeunterstüßungen wurden gezahlt nicht in haarem Gelde, sondern in Bier, Brot, Wurst u. \ w. Sobald die Unterstüßung aufhörte, war au der Strike vorbei. Ich kann mich gegen die Sozialdemokraten allein wehren. Aber daß das Rund- shreiben des Grafen Posadowsky in vielen Herzen Widerhall ge- funden hat, das kann ich bestätigen.

Auf eine Anfrage des Abg. Beckh (fr. Volksp.) erklärt

Staatssekretär des JFnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Im Jahre 1895 hat in Paris ein Kongreß statt- gefunden, betreffend den Schuß der Vögel, und dieser Kongreß ist von den meisten europäishen Staaten beshickt worden. Einzelne Staaten haben aber noch Bedenken gegen den Inhalt der damals entworfenen Konvention, und hierin liegt der Grund, daß diese Konvention bisher noch nicht ratifiziert ist. Deutshland if grundsäßlih en1s{chlossen, der Konvention beizutreten, und da jeßt noch weiter über diese Konvention verhandelt wird, so is Hoffnung vorhanden, daß in nit allzu langer Zeit diese Natifikation erfolgen wird.

Wenn der Herr Vorredner darauf hingedeutet hat, daß auch \härfere Ausführungsbestimmungen des Vogelshußzgeseßzes erwünscht seien, so kann ih ihm darin vollkommen beitreten. Wir haben aber bisher eine Aenderung der Verordnung deshalb noch nit vor- genommen, weil wir erst wissen wollten, welche Bestimmungen die internationale Konvention erhalten wird, und weil si{ch unsere neuen Bestimmungen selbstverständlih nah dieser Konvention richten müßten. Im übrigen kann ich aber erklären, daß die verbündeten Regierungen den Wünschen des Herrn Vorredners durhaus \ympathisch gegenüber- stehen und daß die Sache seitens des Herrn Reichskanzlers nah Kräften gefördert werden wird. (Bravo!)

Nach einigen Raa Bemerkungen wird darauf gegen 51/2 Uhr die weitere Berathung auf Freitag 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 6. Sißung vom 20. Januar 1898.

Auf der Tagesordnung steht die erste Berathung des Geseyentwurfs wegen Abänderung des Gesehes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedelungen in den Provinzen Westpreußen und Posen.

Reichskanzler und Präsident des Staats-Ministeriums Fürst zu Hohenlohe:

Meine Herren! Wenn die Staatsregierung den heute Ihrer Genehmigung ‘unterstellten Gesetßentwurf eingebraht hat, so ist fie dabei sowohl von wirthshaftlichßen, wie von politishen Erwägungen ausgegangen. In wirths{aftlißer Beziehung hält die Regierung an dem Grundsatze fest, daß es für die Wohlfah1t der Provinzen Posen und Westpreußen förderlih ist, die Zahl der selbständigen Bauern- güter und Bauerndörfer zu vermehren. Wenn sich aus und neben den angeseßten Bauern eine Klasse tüchtiger ländliher Arbeiter ent- wickelt, so wird damit ein Vortheil erreicht, der auch dem Großgrund- besi, sei er deuts, sei er polnisch, zu gute kommen wird.

Was die politische Seite der Frage betrifft, so ist es eine That- sahe, daß in jenen national gemischten Landestheilen die polnische Nationalität fh mehr und mehr auf Kosten der deutschen ausbreitet. Dieser Entwickelung entgegenzutreten und das Deutschthum zu stärken, ist Zweck dieses Gesetzes. Daß wir dabei von keiner feindlichen Ten- denz gegen die polnishe Bevölkerung geleitet werden (Heiterkeit bei den Polen), ift selbstverständlich.

Die ganze geshihtlize Entwickelung der ehemals polnischen Landestheile, der materielle und geistige Aufschwung, den sie seit der Vereinigung mit Preußen genommen haben, giebt Zeugniß von der Fürsorge der preußischen Regierung in allen Phasen des Bestehens dieser Verbindung.

Dafür müssen wir aber auch an die Polen die Forderung tellen, daß sie ihre Pflichten als Preußen erfüllen (Zuruf bei den Polen: Thun wir!), fich als treue Unterthanen des Königs betrachten und fühlen.

Ih weiß, daß es niht wenige Polen giebt, die au jeßt {hon von solcher Gesinnung durchdrungen sind. Andererseits sind jedoch auf polnisher Seite leider auch starke Bestrebungen bemerkbar, welche darauf gerihtet sind, Feindschaft gegen die Deutschen zu erregen. Solchea Bestrebungen, einer sollen Propaganda treten wir entgegen ; denn dadur werden unmöglihe Zustände geschaffen, die eine Gefahr für Deutsche wie für Polen bedeuten.

Noch immer wird mit Gedanken gespielt und werden Hoffnungen erregt, die sih nicht verwirklihen können, seien es Hoffnungen auf Trennung der ehemals polnischen Landestbeile von Preußen, seien es Hoffnungen auf größere Selbständigkeit, das heißt auf eine Art föderative Verbindung mit Preußen. Für föderative Tendenzen giebt es aber in Preußen keinen Boden, und wird niemals ein Boden sein. (Sehr gut!) Eine Trennung der Provinz Posen von Preußen oder auch nur eine Lockerung ihres Verhältnisses zu Preußen würde die Existenz des Staats bedrohen. Wir können und werden die Provinz Posen niemals wieder aufgeben. Fürst Bismark hatte Recht, wenn er seiner Zeit sagte: „Wir müssen uns den Weg von Königs- berg nah Breslau freihalten.“ (Bravo!) Jf dem aber so, so liegt es doch auch im Interesse der polnischen Bevölkerung, sich die Lage, in der sie sih befindet, zu einer guten und friedlihen zu gestalten. Das ift nur zu erreichen, wenn die deuts{ch-feindlihen Tendenzen, die jeßt noch vtelfach innerhalb der polnishen Bevölkerung gepflegt werden, gänzlich vershwinden. - Dann wird au jegliche polen-feindliche Stimmung auf deutscher Seite von selbst aufhören.

Meine Herren, ih gestehe, daß ich nur ungern den Polen dfese Wahrheiten sage. Ich babe zu verschiedenen Zeiten in Polen gelebt und stehe mit manchen Polen in freundschaftliher, mit einigen in verwandtishaftliher Beziehung. Derartige Beziehungen können mir aber niht die Augen verschließen gegen die Gefahren, welche die polnishe Propaganda für die preußische Monarchie in sich birgt. Wo die Interessen der preußischen Monarchie in Frage kommen, fenne ich kein Kompromiß. (Bravo!)

Zum Schluß möckte ih die Polen an das Wort des französischen Dichters erinnern: „quittez le long espoir et la vaste poncée!“ Thun die Polen das, entshlagen sie sich unerfüllbarer Hoffnungen, werden oder bleiben fie ehrlihe Preußen, so werden wir uns mit ihnen verständigen und friedlih zusammenleben. (Bravo!)

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole): Bei der Einbringung und legidlatorishen Behandlung des Gefeßes vom 26. April 1886 hat die polnische Fraktion des Abgeordnetenhauses einen entshiedenen Protest dagegen erboben, vnd wir baben denselben unter Hinweis auf unsere verbrieften und natürlichen Rehte und die Königlichen Verkbeißungen unter anderen damit begründet, daß dieses Gesetz einerseits, vom staatérehtlihen Standpunkt betrahtet, in Widerspruch stehe mit den Art. 4 und 99 ter preußischen Verfaffung und ebenso mit dem Art. 3 der deutshen Reichéverfassung, sowie mit dem damit im Zusammenhang stehenden Reichsgeseß vom 1. November 1867, andererseits aber eine politishe und bürgerlihe Beschränkung der Rechtéfäbigkeit ciner großen Anzahl von Staattangehörigen bewirke, eine zielbewußte Geimanisierung und Protestantisierung unserer einheimischen polnischen Bevölkerung herbeizuführen geeignet sei und infolge der rechtlichen und wirthsafilihen Benachtheiligung der- selben die nationalen und religiösen Gegensäte vershärfe und vertiefe. Wir halten auch heute an unferen damaligen Anschauungen fest. Die Erfolze der getroffenen geseglihen Maßregel haben im Laufe der Zeit bewiesen, daß durch die Handhabung und Ausführung der- selben der soziale Frieden, das gegenseitige Vertrauen und Zusammen- leben unter. den Angehörigen verschiedener Nationalitäten in einem sehr bedenklihen Maße beeinträhtigt und gefährdet worden ist, die Auswanderung der von der väterlihen Scholle vertriebenen polnischen Bevölkerung in einer geradezu ershreckenden Weise gefördert, die Mißstimmung, Unzufriedenheit und Verbitterung gesteigert und das Ansehen der Staatsautorität und das Vertrauen zu derselben vielfah untergraben worden is. Jn Anbetracht dieser betrübenden thatsächlihen Zustände haben wir im Interesse beider Nationalitäten und im wohlverstandenen Staatsinteresse dur SUSEngung und Begründung dementsprehender Anträge Jahr aus Jahr ein die

ver antes ampfge es zuständiger Weise zu beseitigen, um dadurch friedlichere Verhältn ffe in unserer Heimath anzubahnen. Die Staats- regierung beantwortet nunmehr unsere durhaus ernftgemeinte und loyale Aufforbééaüia mit der Einbringung eines Geseßentwurfs zur Verstärkung der ihr zur Verfügung gestellten Fonds,

welhen auch wir beitragen „müssen, um neue 100 ¿Millionen Mark, beschuldigt dabei unsere gesammte polnishe Bepölkerung des Friedensbru es und beweist dadurch und durh die sonstige Handhabung ihrer Regierungsgewalt, daß wir niht einer landes- bäterlihen Regierung gegenüberstehen, sondern einem Regiment,

persasies u bewegen geludt, ein in der Leidenschaft des Augenblicks n

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welches durch eine weitere Förderung des Germanisationswerkes, durch Fortseßung „und Festlegung auf unabsehbare Zeit eines nách unserem Dáfürhalten mit der Verfaffung nicht vereinbaren Systems und durch Verschärfung der Partei- und Nationalitäts- gegen e diejenigen rechtlihen und sittlihen Grundsäße außer Acht läßt, an welche in einem geordneten Staatswesen und in einem Kulturstaat jede wohlwollende Regierung pflihtmäßig gebunden ift. Untér folchén Umständen und Verhältnissen erneuern wir hiermit auédrücklich und feierlich unseren Protest gegen die formelle und materielle Berechtigung des Geseßes vom 26. April 1886, welches nah unserem Dafürhalten mit den Verfassungsbestimmungen nit in Einklang zu bringen ist, erheben Protest gegen die beabsichtigte Verschärfung seiner Bestimmungen durch Zuwendung neuer Staats- fonds und werden uns, wenn uns nit eine besondere Veranlafsuug ou zwingt, an der Berathung dieser Regierungsvorlage nicht be- eiligen.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.): Der Justiz-Minister hat allerdings erklärt, daß die Auffassung der Polen, daß das Ansiedelungsgescz vom Jahre 1900an nicht mehr aufrecht erhalten werden könne, unrihtig sei. Ich hätte gewünscht, daß die Fassung des Einführungsgeseßes zum Bürgerlichen Geseßbuch, wie sie in zweiter Lesung beschlossen worden is, ausrecht erhalten wäre ; ih hâtte mindestens gewünscht, daß die Vertreter der preußishen Regierung im Reichstage in der dritten Lesung gegen den Antrag auf Aenderung gesproSen hätten. Da das nicht geschehen ist, so müssen wir uns mit der Erklärung der Regierung begnügen. Wir bestreiten, daß die Vor- lage an sich eine differentiele Behandlung der Protestanten und Katholiken enthält. Wo Katholiken herangezogen worden sind zur Ansiedelung , haben wir nit bloß jeßt, sondern auch {on früher die Erfahrung gemacht, daß die Katholiken ihr Deutshthum nicht aufrecht erhalten konnten. Es liegt in der Hand der katholischen Geistlichkeit, mehr als bisher Katholiken zur N heranzuziehen. Der Vorredner hat Vorwürfe gegen die Vorlage erhoben, die ungebührlih sind. Er bemängelt die verfassungsmäßige Zulässigkeit. An der Be- stimmung der Reichsverfassung, daß die Reichsangehöricen überall Grund und Boden erwerben können, wird nihts geändert. Zum Er- werb von Grund und Boden gehört einer, der kauft, und einer, der verkauft, und dem Verkäufer muß es do unbenommen sein, si den Käufer auszusuchen. Die Vorlage bewegt sh auf dem Boden des öffentlihen Rechts, und Preußen bleibt troß dieser Vorlage der Nechts\taat, der es immer gewesen ist. Die öffentlihen Rechtszustände müssen vorbebaltlos anerkannt werden von denen, die von den Rechten der Staatsbürger Gebrauch machen. Erkennen Sie (die Polen) den preußishen Staat in seiner Zusammenseßung vor- behaltlos an? die Polen s{chmerzlich von einer folchen Vorlage berührt werden, fühle ih ihnen völlig nah. Es handelt {ih aber darum, daß polnishen und auch deutschen E der Grundbesitz abgekauft wird. Darin liegt kein Zwang; es is auch sehr zweifelßaft, ob dem polnischen Grundbesiß diese Maßregel mehr genüßt oder geshadet hat. Die Ansiedelungsdörfer, die mit deutschen Kolonisten besiedelt find, sind ein großes Kulturwerk ersten Ranges. An Stelle der wüsten, vernahlässigten Wirthschaften des rer besitzes finden sich jeßt aufblühende Dörfer. Eine aggrefsive endenz ist in der Vorlage nit enthalten, da niemand expropritert wird. Es ist in der That an der Zeit, daß etwas geschieht zum Schutze des Deutshthums in den betheiligten Provinzen. Es hat si der deutshen Bevölkerung in diesen Provinzen bereits ein Gefühl der Muthlosigkeit bemächtigt; fie erwartete, daß ein entshiedenes Wort gesprochen werde. Denn thatsählich ging die deutshe Sprache und deutshe Bevölkerung dort zurück. Der Pole hatte einen \tärkeren Rückhalt; denn die Kinder der polnishen Familien gingen nit so leiht aus der Heimath, und wo fie fortgingen, da hielten sie ihr Polenthum hoch. Wenn die Deutschen nur auch immer das „Oeutshland, Deutschland über Alles“ zu ihrer Parole machen wollten! Da mußten wir der Staatsregierung zur Seite stehen, wenn sie sich anschickte, die Ugen Ver- hältnisse für dfe Deutschen auszugleihen. Auf Grund des Gesetzes von 1886 dachte man große Landflächhen erwerben zu können. Das hat fi als irrig herausgestelt. Es galt niht bloß, große Flächen zu kaufen, sondern auh ein gesundes kommunales Leben zu schaffen, welches dem Deutschthum cébalten bleibt. Qualitativ is Bedeutendes erreiht worden. Es ift ein großer Vortheil, daß man den Schaß wirthshaftliher Leistungsfähigkeit, der sons nach Amerika aus- gewandert wäre, für Preußen erhalten hat. Wir werden das Geschaffene niht im Stich lassen, denn das würde Muthlosigkeit in die Reihen derjenigen bringen, die ihre Heimath verlafsen haben, um dorthin zu gehen, wohin der preußische Staat sie berufen hat. Wir haben das Vertrauen, daß das Verfahren, welches {on verbessert ist, noch mehr verbessert wird. Wenn man die Polen so reden hört, so hat man das Gefühl, als wenn es ihnen îm preußishen Staat nicht mehr gefällt. Was wollen die Polen denn? Wollen sie rufsishe Zustände ? Ein Theil ihrer Nationsangehörigen lebt ja in Rußland. Vergleichen Sie, was Jhnen in Preußen geboten wird und Jhren Volksgenofsen in Ruß- land. Haben sie dort das Recht, ihre Beschwerde auszusprechen ? Da wird eine ganz andere Sprache mit den Polen gesprochen. Und das gelobte Galizien! Das {webt Ihnen als Ideal vor. Aber da hat der Reichskanzler Reht. So etwas giebt es bei uns in Preußen nicht. Denn wir sind ein Einheitsftaat und kein Konglomerat. Unsere Geschichte weist uns darauf hin, ein Einheits- und ein deutsher Staat zu sein, fonst würde es nit lange mit der preußischen Kraft dauern. Wollen die Polen ein selbst- ständiges Reich? Eine Anzahl Erscheinungen deutet darauf hin. Aber damit ist es nichts. Das polnische Reich ist gefallen, weil das Volk niht die Kraft hatte, die Freiheiten des Einzelnen dem Staats- interesse unterzuordnen. Wir werden es niht vergessen, daß das polnishe Schwert Europa vor den Türken rettete. Aber wir sind nit blind, wir kennen die geshihtliche Entwickelung Polens; die nationalen Lever find au heute noch nicht untergegangen. Lassen Sie den Traum, auch wenn er ein s{ôner Traum ist. ie werden von folcheu Eingriffen, wie sie jeßt gemaht werden, verschont bleiben, wenn Sie sih vorbehaltlos auf den Boden des preußischen Staats stellen. Die Staatsregierung wird die Maßregeln nur dann rihtig durchführen können, wenn als Grundsaß die einheitliche Konsequenz gilt. Der Vorredner' konnte mit Ret sagen: Es war niht immer so wie jet. Wenn das Ansiedelungswesen rihtig durW- geführt wird, dann wird etwas erreiht sein, was dem preußischen Staat niht bloß einen äußeren Machtzuwachs giebt, sondern auch eine innere Stärkung.

Abg. Im Walle (Zentr.): Troy mancher {chöônen Worte des Vorredners hörte man aus allen seinen Worten nur heraus das „ja, die Vorlage muß angenommen werden“. Am besten hat unseren Standpunkt bei der früheren Vorlage Herr von Huene vertreten, indem er sich auf den Standpunkt der Gerechtigkeit stellte. Gerechtig- feit muß überall gelten, mag es sh um das bürgerlihe Recht, um das öôffentlihe Recht oder um das Naturreht handeln. Die nationale Minderheit darf die Gerechtigkeit niht verleßen, aber die nationale Mehrheit darf au nichts thun, was die nationale Minderheit verleßt in ihrem Recht oder was bestimmt ist, die nationale Minderheit aus- zurotten, Die Ausführung des Gesehes hat bestätigt, was Windthorst vorausgesagt: daß dasselbe nur beitragen solle zur Protestantisierung der polnischen Landestheile, wodur die Parität, die in avi Geltung haben soll, verleßt wird. Die kulturelle Arbeit ist allerdings gefördert worden; es sind neue Bauernstellen an der Stelle devastierter Güter geshaffen. Aber warum macht man dasselbe Experiment nit us in anderen Provinzen? Professor Delbrück

estreitet, daß dur

But chthum M nt, wird; er behauptet, daß jède Volkszählung, jede Wahl die rapide Vermehrung des Polenthums zeigt. Was be- deuten 2200 deutshe Ansiedler bei einer Bevölkerung von 4 Millionen in Westpreufien und Posen! Die Konservativen freuen \i{ch, wieder dineai im alten Kurse zu segeln. Vom Reichskanzler aber muß i

agen: Es that mir wehe, daß ich ihn in dieser Gesellschaft fehe. De Nationalliberalen zusammen haben wir den Assehor-Paragrapben und das Vereinsgesey abgelehnt. Sollten Sie nicht so viel Libera-

e Maßregeln der Ansiedelungskommission das

t l haben, au dieses Geseß abzulehnen? Man E O L Sertnaat fondern sogar ein Aeternat. stei Minister für Landwirthschaft 2c. Freiherr von Hammer- ein:

Meine Herren! J hatte eigentli nur die Absicht, die Begründung für die Regierungsvorlage nah verschiedenen Richtungen hin zu ver- vollständigen, s\tatistishes Material zu geben und auf verschiedene Gesichtspunkte zurücfzugreifen, die bei der Einbringung der Vorlage im Jahre 1886 für die Staatsregierung maßgebend gewesen sind daran zugleich eine Darlegung darüber zu knüpfen, in wie weit sich die Voraussetzungen, von denen may bei Erlaß des Geseßes von 1886 ausging, bewahrheitet haben. Bevor ih dazu übergehe, halte ih mich verpflihtet als Vertreter der Königlichen Staatsregierung, auf einige Ausführungen einzugehen, die der leßte Herr Vorredner gemacht hat, und einige Worte auf die außerordentli \{charfe Protesterklärung der polnishen Fraktion zu erwidern. Meine Herren, in der Protest- erklärung der polnischen Fraktion wird zunächst behauptet, diese wie die frühere Vorlage über die Ansiedlung in den polnischen Landes- theilen ständen mit der Verfassung nicht in Einklang. Jh brauche auf eine sachliGe Widerlegung dieser Behauptung um fo weniger

_ einzugehen, als das hohe Haus und die Staatsregierung bereits

dieselbe Frage zu prüfen und zu entscheiden hatten, als das Gesetz von 1886 vorgelegt wurde; und damals hat sich die Königliche Staatsregierung mit dem ganzen Landtage, oder doch wenigstens mit dessen großer Majorität, zu der Ansicht entschieden, daß diese Behauptung zweifellos eine unberechtigte sei. Meine Herren, die zweite Erklärung in dem Protest behauptet, daß die zur Zeit bestehende deutshfeindliße Haltung der þÞolnishen Partei auf das Ansiedlungsgeset zurückzuführen sei. Meine Herren, ich acceptiere das qualifizierte Zugeständuiß, das in dieser Protesterklärung enthalten ist. Es wird in der Begründang dieser Behauptung zugegeben, daß eine absolut deutschfeindlihe Haltung in der polnishen Bevölkerung bestehe. (Sehr gut! rechts.) Die Be- hauptung aber, daß die Ursache in dem Ansiedlungsgeseß und in dessen Handhabung zu finden sei, muß ich auf das entschiedenste bestreiten. Die Handhabung des Geseges durch die Königliche Staatsregierung ist eine durhaus loyale gewesen und hat nah meiner Ueberzeugung das werde ih, wenn au nicht hier, so doch in der Kommission dar- legen sogar wesentlich die fulturelle Entwicklung der polnischen Bevölkerung im preußishen Staat gefördert. Meine Herren, es ist zweifellos und feststehend, daß zur Zeit, als die preußishe Monarchie diese jeßt preußischen, früher polnishen Landestheile erwarb, die Kultur, der wirthshaftlihe, der sittlihe Zustand der Bevölkerung ein wesentlih niedrigerer war, als das jeßt der Fall ist, daß unter der landesväterlihen Regierung des preußischen Königshauses eine wesentlihe Steigerung des wirthschaftlichen, des sittlihen und. vor allem des kulturellen Zustandes in der polnischen wie in der deutschen Bevölkerung in den früheren polnishen Landestheilen stattgefunden hat. Wesentlich ist das auf die Einwirkung des Deutshthums, welches jeßt durch das Ansiedlungsgeseß gestärkt ist, mit zurückzuführen.

Meine Herren, die leßte Aeußerung in der Protesterklärung der polnischen Partei bin ih genöthigt, mit Entrüstung zurückzuweisen, welche besagt, daß von einem landesväterlihen Regiment der polnischen Bevölkerung gegenüber im preußishen Staat niht die Rede sein könne. Daß diese Anschauung hier im Hause getheilt wird, geht aus der Mißfallenbezeugung hervor, welhe bei dieser Behauptung auf allen Seiten des Hauses bekundet wurde. (Sehr rihtig!) Meine Herren, die Behauptung ift absolut unrichtig, im Gegentheil, der Königlichen Staatsregierung gegenüber is von deutsher Seite wiederholt behauptet worden, das landesväterlihe Regiment den Polen gegenüber gehe über das berechtigte Maß hinaus und zwar zum Nachtheil des Deutschthums, der deutschWen Bevölkerung in den polnischen Landestheilen. (Lachen bei den Polen.)

Ueber die Berechtigung dieser Behauptung maße ih mir ein Urtheil niht an, kann aber nit leugnen, daß gewihtige Gründe für diese Anschauung seitens der deutshen Bevölkerung in den polnischen Landes- theilen geltend gemaht werden.

Meine Herren, ich will mit wenigen Worten auf die polnische Bewegung im allgemeinen eingehen. Anfänglich wurde diese Be- wegung getragen ih glaube die Nichtigkeit dieser Behauptung be- weisen zu können von der höheren katholishen polnishen Geist- lichkeit und dem polnishen Adel. Sie hatte zweifellos das Ziel, einen selbständigen polnischen Staat unter einem polnishen König wiederherzustellen. Die Bewegung hat wiederholt zu revolutionären Gruptionen geführt, im wesentlihen war sie aber das betone ih auf das schärfsffe keine antimonarchishe; fie trug lediglich den nationalen Gedanken, man glaubte, - den polnisGen Nationalstaat wiederherstellen zu können. Wie die preußishe Regierung über die Aussicht eines solhen Zieles denkt, ist bereits in der Erklärung des Herrn Minister-Präsidenten dargelegt. Wie hat jeßt sich die polnische Bewegung gestaltet ? Der nationale Gedanke is mehr in den Hinter- grund getreten, die Bewegung erhofft vielleiht noch den polnischen Nationalstaat, fie ist aber eine demokratish-antimonarhishe geworden, sie wird im wesentlichen getragen vom Mittelstand, dehnt \sich immer weiter auf die breiteste Basis der polnischen Bevölkerung aus und wird mit größter Energie, mit erbitterter Aggressivität geführt. Die Bewegung beschränkt \sich nihcht wie früher auf die Angehörigen der rein polnishen Nationalität, sondern sie sucht die Bewegung auch hinüberzutragen in die verwandten Nationalitäten. Man sucht die Lithauer, Masuren, Kassuben hineinzuziehen, man beschränkt die Be- wegung nicht mehr wie früher auf die alt-polnischen Landestheile, sondern trägt die Bewegung au dahin, wo in rein deutshem Ge- biet infolge der Freizügigkeit sich Polen in größerer Zahl aufhalten, z. B. nah Westfalen, wo zu Tausenden Polen als Industriearbeiter \sih aufhalten. Auch dort ist die Bewegung eine absolut deutsch- feindliche und bewegt si in demokratischer, antimonarchisher Richtung, man verlangt dort polnische Geistliche und lehnt die Seelsorge durch die deutsh-katholishen Geistlichen ab.

Eine folhe Bewegung muß ernst beachtet werden, die ist \taats- gefährlicher als die frühere, die doh auf die rein polnischen Landes- theile und auf die rein polnishen Elemente beschränkt war, eine Be- wegung, die weder demokratisch noch antimonarhisch war.

Meine Herren, ih verlasse damit die Protesterklärung, erwidere aber wenige Worte auf die Aeußerungen, die aus dem Zentrum ge- fallen sind. Meine Herren, etwas Neues hat der leßte Herr Vor- redner niht vorgebracht. (Sehr richtig! rechts und bei den National- liberalen.)

Dieselben Gesichtspunkte, die vorgetragen wurden, als im Jahre