1898 / 21 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Tue, 25 Jan 1898 18:00:01 GMT) scan diff

A R: epa I A A R Ss S e m S E E I Es ERRE

Tann daran ebenfalls garniht gedacht weiden. Den Herrn g. Hahn möchte ih darauf hinweisen, daß in dec Unfall- “‘versiherungs-Novelle, die dem leßten Reichstage vorgelegt ift, aus- “drücklich vorgesehen war, baß für die scefahrende Bevölkerung,

weil die Seeleute allerdings ein Alter von 70 Jahren meist

nit erreihen, mit der Alters- und Jnvaliditätéversiherung und Unfallversiherung auch die Wittwen- und Waisenversiherung ver- bunden werden sollte; und wenn wir diese Novelle wieder vorlegen, wird ih jedenfalls diese Bestimmung zum Besten der Seeleute auh wieder in der Novelle finden. Es ist ferner vom Ausscheiden “Nr land- wirthschaftlichen Arbeiter und der Dienstboten aus der sozialpolitischen Gesetzgebung, speziell aus der Altersversicherung die Rede gewesen. Meine Herren, ih glaube, etne Regierung thut gut, sich möglichst bald über das auszusprechen, was sie will und was sie nicht will, und ih kann aufs bestimmteste erklären, daß für die verbündeten Regierungen der Gedanke, irgend welhe Schichten der Arbeiterbevölkerung, die sich jeßt der Vortheile der soztalpolitischen Geseye erfreuen, wieder auszusheiden, vollkommen indiskutabel ift. {Bravo!) Was würde man wohl im Lande sagen, nahdem uns \{chon Vorwürfe gemacht sind, daß wir aus sachlichen Gründen eine Novelle sechs, acht Monate später vorlegen, wenn wir, sage ih, die große Schaar der landwirths{aftlichen Arbeiter und Dienstboten der Vortheile der sozialen Gesegebung wieder berauben wollten ? (Sehr rihtig !) Das wäre eine Frage, die man vielleiht diskutieren könnte, wenn wir noch vollkommen res integra hätten. Da kann ich mir einen Stand- punkt denken, den ich dahin etwa präzisieren würde: wir wollen erft einmal sehen, wie das Geseß in den Verhältnifsen funktioniert, aus denen heraus die Nothwendigkeit des Gesehes besonders hervorgegangen ift, wo auch die Ausführung desselben sich leiter gestaltet, d. h. in den Städten, und wollen dann erwägen, ob man diese Gesetzgebung auch auf das platte Land überträgt. Aber auch, wenn man diesen Weg gegangen wäre, so würde es ein außer- ordenilih s{chwieriger gewesen sein, weil selbstverständliß nament- lih da, wo ländlihe Ortshaften und Städte ineinanderfließen, es zu sehr mißlihen Vergleichen geführt hätte, wenn ein Arbeiter, weil er in der Stadt verunglückt oder alt und invalid geworden ift, eine Rente bekam und ein anderer, der zehn Schritte davon wohnte, eine sole nit erhielt. Meine Herren, das sind Vortheile, die, wenn man sie erft einmal der arbeitenden Bevölkerung gewährt hat, man ihr unter keinen Umständen wieder nehmen kann, und ih glaube, wenn man diesen Versuch machte, würden wir einem sehr gewaltigen Sturm aus der arbeitenden Bevölkerung auh auf dem Lande entgegen-

gehen.

Meine Herren, es ift auch vielfach von Vereinfachung der sozial- politischen Gesetze die Rede gewesen. Wenn man über diese Materie \sprehen will, muß man zwei ganz verschiedene Gesichtspunkte unter- scheiden : einmal die Last als solche, und dann die Wege, um diese Last rein geschäftlich mögli erträglich zu machen. Die Last als solche ift übernommen worden und kann meines Erachtens niht wieder er- Ieihtert werden. Es war ein gewaltiger Schritt, den die Gesetzgeber des Deutschen Reichs machten, als sie die Invaliditäts- und Alter2- versicherung einführten; aber ih halte es für ganz undenkbar, daß man irgendwelche Geseßesveränderungen behufs Zurücknahme dieses Schrittes vornimmt, die doch immer nur zum Schaden derjenigen sein könnten, die entweder {on berechtigt sind, oder wenigstens zum Schaden großer Versicherungsklafsen, die berechtigt werden Tônnen. Aber auch die Frage der Vereinfahung liegt denn doch nicht so gefechtsklar, wie das heute dargeftelt wurde. Jch kann versihern, daß bei dem Reichsamt des Innern Akten- volumen und ganze Stöße von Brochuren liebenswürdiger und theil- nahmsvoller Menschen liegen, die uns Vorschläge gemacht haben, wie wir wohl auf dem einfachsten Wege von der Welt alle die Shwierig- keiten aus dem Wege räumen könnten, die jeßt bei der Ausführung des Gesetzes täglih hervortreten. Wenn man aber diesen Vorschlägen näher nahgeht, findet man in der Regel, daß sie vollkommen un- gangbar sind, und daß die Vorschläge nur darauf beruhen, daß der edelherzige Verfasser die Details des Gesetzes nicht genügend beherrscht. (Heiterkeit)

Meine Herren, ih möchte die ganze sozialistishe Geseßgebung mit der Einführung der allgemeinen Wehrpfliht vergleihen. Diese Hat länger als 50 Jahre gebraucht, um in der Volllommenheit zu funktionieren, wie sie das heute thut Die allgemeine Versiherungs- pflicht greift aber unendlich viel weiter, auchß nach der betheiligten Kopfzahl, als die allgemeine Wehrpflicht, und ih glaube, man bewegt sich in Täuschungen, wenn man annimmt, daß dur irgend eine Novelle, die die vecbündeten Regierungen im nächsten Jahre vorlegen würden, plößlich der Stein der Weisen gefunden werden Eônne, daß alle Belästigungen, die mit dem Geschß verbuvden sind, aufhören und die Sache vollständig glatt und beschwerdelos funktio- nieren würde. Jh möchte {hon jeßt darauf hinweisen, daß cin solcher Weg ungangbar if, Man kann allmählich reformtieren, man kann einige Belästigungen durch eine andere Konstruktion vermeiden, wie das schon in der Novelle versucht worden ift, man kann au dur eine Lokalisierung der Ve:siherungsorgane, wie ih das {on bei der Generaldiskussion ausgeführt abe, den Arbeitgebern und Arbeitern das Geseß sozusagen mundgerehter machen, indem man ihnen eine Masse Arbeit abnimmt und eine Berathungsstelle bildet für beide Parteien. Man kann endlih auch im Laufe der Entwickelung daran denken, die drei großen Faktoren: die Berufsgenossenschaften, die Krankenversicherungs-Kafsen, die Alters- und Invaliditätsversiherungs- Anstalten, zu verschmelzen. Jh glaube aber, meine Herren, wenn man das auf einmal machte, würden die Belästigungen für das Publikum viel größer sein, als bei dem jeßigen Zustand. Diese Vereinigungen laffen sich nach meiner innersten Ueberzeugung nur im Laufe von vielen Jahrzehnten durchführen. Was prima vista ge- schehen kann, was ohne grundftürzende und wesentlich vertheuernde Maßregeln gesehen kann, das wollen wic in der nächsten Novelle versuchen; aber die besigenden Klassen und die Arbeitgeber werden sich fortgeseßt vergegenwärtigen müssen: es ist zwar eine große Last, - die den besißenden Klassen zu Gunsten der ärmeren Volksklasse auferlegt ift, dieje Last muß aber {ließli ohne Murren getragen werden. {Bravo!)

Abg. Dr. Paasche (nl.) : Der kleine bäuerliche Besitzer ift schon ohnehin materiell in keiner glänzenden Lage ; ihn drückten die Beiträge relativ viel härter als den Industriellen. Doch sind die Fälle, wo er sich diefer Pflickt entzieht, so selten, daß kein Grund vorltegt, die Lantwirthshaft im allgemeinen an ihre sittlihe Pflicht zu

€xinnern.

Abg. Freiherr von Stumm (Rp.) richtet an die Regierung das dringende Eisuchen, G die Forderungen einer Herabseßung der Altersgrenze oder Erhöhung der Invalidenrente nieht “imlañen, weil dann das Ziel der Errichtung einer Wittwen- und Waisenversicherung in immer weitere Ferne rücken werde. Gegen den im Vorjahre ge- machten Vorschlag der Errichtung einer fünften Lohnklasse spricht fh der Redner noch nahträglich aus; er halte es überhaupt für einen Fehler, daß man nicht an der von der Regierung vorgeshlagenen Einheits- rente festgehalten habe.

hg: Singer is der Meinung, daß die Reliktenversicherung sofort eingeführt werden könnte und doch auch die anderen geforderten Verbesserungen des Gesetzes nit zu unterbleiben brauchten. Wenn es bei der Einheitsrente auf eine Rente herauskomme, wie sie jeßt tie besser gelohnten Arbeiter erhielten, so sei er mit den Wünschen des Vorredners einverstanden. Aber die Parteigenossen des Freiherrn von Stumm stellten sich bei folhen Forderungen doch immer eine Abrundung nach unten vor. Weiter wendet si{ch Redner gegen die Bemerkung des Abg. Paasche, der sih in der Budgetkommission viel unbedingter dahin ausgesprochen habe, daß der kleinländlihe Besiger ih in zahlreihen Fällen einfah seiner Pflicht entziehe.

Staatssekretär des Jnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Ih will mir nur eine ganz kurze Bemerkung ge- statten. E3 mag rihtig sein, daß in den erften Jahren der Funktiontierung des Geseß2s die Kontrole des Matkenklebens auf dem platten Lande eine ungenügende und namentlih minderwerthiger war als die in den Städten. Das liegt an den lokalen Ver- hältnissen; in den Städten, wo die Arbeitgeber auf einen verhältnißmäßig engen Raum zusammengedrängt sind, ist die Kontrole natürlich viel leihter als auf dem platten Lande, wo die Arbeitgeber auf vielen Quadratmeilen zerstreut wohnen, wo infolge dessen die Kontrole, ob jeder Arbeitgeber seiner Pflicht genügt, unendlich viel \{chwieriger, zeitraubender und kostspieliger ist. Aber ih muß doch zugestehen, daß sh ganz offenbar in den lehten Jahren die Kontrole auch in den Landkreisen erheblih verbessert hat, und was speziell Ostpreußen betrifft, so ist ja dur amtliche Publi- kationen von uns nachgewiesen, daß in Ostpreußen, selbst wenn jeder Arbeitgeber die leßte Marke geklebt hätte, die er zu kleben hatte, son am 1. Januar 1897 bei der Altersversiherungsanstalt ein Defizit von fünf Millionen verbleiben müßte.

Es ift von ten Herren Vorrednern hingewiesen worden einer- seits auf die Herabseßung der Altersgrenze für die Altersrente und andererseits auf die Wittwen- und Waisenversiherung. Gegenüber diesem Gedanken halte ih es für ganz gut, wenn ih sofort einmal kurz andeute, welche finanzielle Folgen diese beiden Maßregeln haben würden. Wenn ktie Altersgrenze von 70 Jahren nur auf 65 herab- gesetzt wird, so würde jede Marke L} 4 mehr kosten. Würde die Alter€- grenze aber auf 60 Jahre herabgeseßt, sv würde sich jede Marke um fast 13 „Z erhöhen. Die Zahl der jährlich zugehenden KVlters- renten, die jcht 30234 beträgt, würde sich bei einer Herabseßung ter Altersgrenze auf 65 Jahre auf 56 140 erhöhen und gleichzeitig würde eine Mehrbelastung der Verficherung8anfstalten bezüglich des Arbeitgebers und -Nehmers um 309%/ eintreten. Würde dagegen die Altersgrenze auf 60 Jahre herabgeseßt, so würde sih der jährliche Zugang der Altersrenten auf 80 750 erhöhen und die Versicherungs- anstalten bezüglich die Arbeitgeber und -Nehmer würden um 60 9/6 böber belastet werden.

Was ferner die Wittwen- und Waisenversichecung betrifft, so ift für die erste Beitragsperiode, tas heißt für die Zeit von 1890 bis 1900, eine versfuchêweise Berehnung der eventuellen Belastung aufgestellt worden, und dabet ift ermittelt, daß in der ersten Beitragsperiode, wenn vom 1. Januar 1897 ab jede Wittwe nur die bescheidene Summe von 60 4 jährli erhielte und jedes Waisenkind die Summe von 32 4, ein Deckungskapital von 349 Millionen erforderli wäre, und daß sih jede Marke um 22,83 H erhöhen müßte. Meine Herren, ih kann deshalb den Ausführungen der einzelnen Herren Vorredner nur zustimmen: es empfiehlt sich auf diesem Gebiete die allergrößte Vorsicht.

Nach einer kurzen Erwiterung des Abg. Dr. Paasche auf die leßte Aeußerung des Abg. Singer wird die Debatte geschlossen und der Titel bewilligt.

Bei Kap. der Ausgaben : „Reichskommissariate“, Tit. 1, „Auswanderungswesen“, fragt

Abg. Dr. Hahn an, was Fit den leßten Debatten in Bezug auf die Uebe1nwahung der Ausrüstung der Auswandererschiffe geschehen sei, um den vielfach hervorgetretenen Klagen den Boden zu entziehen. Bei dem Norddeutschen Lloyd seien ja einige danken8werthe Reformen eingetreten. Inzwischen: set aber aus dem neu installierten Lade-Öffizier ein Lade-Inspektor geworden: sehr zum Nachtheil für die Offiziere, die nun nit wehr eincn ihnen helfenden, sondern einen vorgeseßten Beamten erhalten hätten. Redner fragt ferner an, ob der Lloyd und auch die an- deren Dampfergesellshaften die Aerzte ohne Besoldung anstellten, weil sie darauf rehneten, daß immer junge Aerzte vorhanden sein würden, welche gern eine Seereise mahen wollten. Im Interesse der Gesund- heit der Passagiere sollten doch auch ältere Aerzte eingestellt werden. Auf den Schiffen der Gesellshzften sehe man jeßt sehr viele farbige Mannschaften. Die Handelsmarine habe die nationale Aufgabe, dem Staat für die Kricgémarine das Material zu liefern; sie dürfe nit bloß der Billigkeit wegen farbige Mannschaften haben. Bei der neuen Seemannsordnung müsse au die Stellung der Schifféoffiziere eine andere werden.

Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:

Meine Herren! Der Herr Vorredner is zunähst eingegangen auf die Frage der Bemannung der Schiffe, ob man niht im Interesse der Sicherheit der Auswanderer auf den Schiffen ganz allgemeine Vorschriften erlassen könnte, mit wie viel seebefahrenen Leuten das einzelne Schiff zu bemannen wäre. Wir sind bisher diesen Weg der NReglementierung nicht gegangen, weil man in England auf diesem Gebiete keine besonders glüdcklichen Erfahrungen ge- macht hat. Gs existiert jx in England ein sogenanntes Untermannungsgeseß, welches die Regierung berechtigt, falls ein Schiff niht genügend bemannt ift, im einzelnen Falle dasselbe anzu- halten; es existiert aber keine Bestimmung in England darüber, mit wie viel Mann das einzelne Schiff nah seiner Größe bemannt sein muß. Es haben \fich in England ganz außerordentliche technishe Schwierigkeiten einer derartigen Reglementierung entgegengestellt, und wir haben deshalb bei uus den Versuch einer derartigen Neglementierung noch nicht gemacht.

Dagegen is in den Ausführungsvorschriften zum Auswanderer- gese vorgesehen, daß jedes Rettungsboot mit vier ruderkundigen Leuten beseyt sein sol. Um bei eintretenden Unglücksfällen absolut sicher zu sein, daß jeder an seiner Stelle ift, daß ordnungsmäßig die Rettungöboote heruntergelafsen und bemannt werden, haben die Aus- wanderungskomaifsare jeßt hon wiederholt sogenannte Bootsmusterungen angeseßt; wenn sie ein Auswanderungs[chifff} besichtigten, so ließen sie

mit den Mannschaften exerzieren und diese Rettung3manöver ausführez.. Ich erhielt in dieser Beziehung erst kürzlih den Bericht eines Aus-- wanderungékommifsars, woraus hervorgeht, daß gerade auf ten S@hifffex

des Norddeutshen Lloyd diese Rettungsmaßregeln bei der Probe:

ganz ausgezeihnet funktionierten.

Der Herr Vorredner ging auch auf die Frage der Schotten eiw. Bezüglih der Anbringung von Schotten sind ja durch die Unfall- versiherungsvorschriften der Seeberufsgenossenshaften ziemlich ausführ- lihe Vorschriften ergangen. Man hat aber, wie i mich im Laufe des leßten Sommers in Bremên auf einem Feuen Dampfer des Nord- deutschen Lloyd überzeugte die Nachricht. ging au in die Zeitungen über in Bezug auf Bedienung der Schotten einen außerortent- lichen Fortschritt gemaht dadurh, daß man beim Play des Kapitäns: einen optischen Telegraphen anbringt, auf dem genau abzulefen if, ob: die Schotten ges{lossen sind oder niht, und welche Schotten offen sind, welhe niht, sodaß der Kapitän die Schotten, die geflossen sein sollen, aber nicht ges{lossen sind, im Augenblick der Gefahr odex sonst während der Fahrt sofort {ließen lassen kann. -

- Bezüglich der sogenannten Löschungs- oder Ladungs-Osfiziere if zuix: bisher nit bekannt geworden, daß der bisherige Ladungs-Offizier iz Antwerpen sih in einen Ladungs-JInspektor verwandelt hat. Fä: werde der Frage nahgehen, kann aber sagen, daß der Norddeutf@he Lloyd bei den Verhandlungen über die Dampfersubventions-Vorlaze ausdrücklich erklärte, er wolle eventuell auh in Singapore einen foléhen Ladungs-Offizier anstellen.

Der Herr Vorredner meinte au, man soll darauf halien, das: niht folhe jungen Aerzte, die einmal eine Seefahrt mitwmahen wollten, auf den Schiffen mitgenommen würden. Ja, es ift gewiß erwünscht, daß ältere, erfahrene Aerzte die Schiffe begleiten; es fragt sih nur, ob solhe au geneigt sind, fortgeseßt die Strapazeo einer

Seereise auf \sih zu nehwen. (Sehr rihtig!)) Ich glaube, gerade

wenn es tüchtige Aerzte sind, werden sie es vorziehen, ihre Praxis auf dem siheren Lande auszuüben, um diejenige auf den Schiffen jüngeren Kräften zu überlassen. D

Zum Swluß komme ich auf die Frage der farbigen Manx- haft. EGntsprehend den Anregungen im hohen Hause, haben wir statistishe Erhebungen angestellt über das Verhältniß der farbigen Mannschaften zu den europäishen. Dabei ergab fit, daß zu Beginn 1897 auf 117 Schiffen auf Fahrten ix tropishen Gewässern und in der ostasiatishen Köstenu- fahrt 2241 farbige Leute verwandt wurden, d. h. 5,47 % ver ge- sammten Besaßung unserer Kauffahrteiflotte; re{net man nux die 1127 Dampfschiffe, dann 8,54 9/0. Die Farbigen werden vorzugs- weise als Heizer und als Trimmer, d. h. als Kohlenzicher, auf jenen 117 Schiffen verwendet ; ih glaube aber au: mit gutem Grunde. Denx die Körperanstrengung bei 25 bis 60 Grad Celsius im Maschinenraum ift so enorm, daß in der That die Farbigen als Maschinisten wefentlih ver- wendbarer sindals Europäer. Es giebt auh Nhedereien, die das Maschinen- perfonal doppelt besetzen, d. h. aus farbigen und europäischen Mannschaften, und Farbige nur eintreten lassen auf tropishen Fahrten, diese Mann- schaften aber wieder ablôsèn, sobald die tropishe Zone pafsiert ift. Es war für jene Anregung im Reichstage hauptsächlich die WVer- muthung maßgebend, daß durch die starke Verwendung farbiger Manu- shaftan Heuern gedrücld Wp Dafürehack Ld natürlich cin konkreter Beweis nicht erbringen lassen. Da aber die farbigen Manu- schaften wesentlih billiger zu haben sind als die europäischen und außerdem nach ihrem Heimathsbrauhe in Silber bezahlt wexden und den hiesigen NRhedereien dann noch die Valutadifferenz zu gute kommt, so liegt natürli in der Verwendung der farbîgeæ Mannschaften ein gewisses Unterbieten. Diese Erwägungen bhabex mich veranlaßt, an die Regierungen der Seebundesstaaten ‘as Er- suchen zu richten, auf die Verwendung der farbigen Mannschaften bei ihrer Kauffahrteiflotte ihr Augenmerk zu rihten und jedenfalls dabix zu wirken, daß in dieser Beziehung ein gewisses Maß im Interesse unserer inländishen Matrosen innegehalten werde. Denn wix haben nicht nur das Interesse, unsere Heuern nicht zu sehr drü@cken zw lassen, sondern au dasjenige, daß es unserer Flotte an geeigneten Material für ihre Rekrutierung nicht fehlt. Ich möhte aber do erklären, daß wir in dieser Beziehung viel günstiger stehen als andere Länder, denn die sämmtlichen fremden Dampferlinien nah D|f- Asien mit einer einzigen Ausnahme haben farbiges Perscnal von È bis 4/5 der gesammten Schiffsmannschaft. Ich glaube, der Herr Bor- redner wird sch durch diese Erklärungen befriedigt finden und sehen, daß wir dieser Frage unsere Aufmerksamkeit in gebührende Maße zugewendet haben.

Abg. Frese (fr. Vgg.) weist darauf hin, daß beim ,Norddecutiéhen Lloyd“ die Schotten- und Bootsmandöver durhaus zweckéentsprechend eingeübt würden, Ueber Mga le Beschaffenheit der Wohnungen der Osfiziere sei nur von einigen Offizieren geklagt worden, denee man die Möglichkeit entzogen habe, ihre Zimmer zu vermiethen. Durch diese Vermiethungen und durch die sih daraus ergebenden WBe- ziehungen zu Passagieren seien Unzuträglichkeiten entstanden, die at- estellt werden mußten. Die Aerzte hätten durhars nicht unentgeltli& ihre Dienste zu leisten ; sie erhielten 120 A monatlich und noch 75 „F Entschädigang für Wäsche. Die Einstellung farbiger Mannschaftes

sei eine gute That zu Gunsten ter Weißen, dië în den Tropen dur“ aus nicht so den Strapazen gewahsen seien wie jene.

Abg. Dr. Hammacher (nl.): Der Abg. Hahn hat bei diefer Gelegenheit nicht Dinge vorgebracht, die zum Auswanderungswesez gehören, sondern er hat nur das Streben gezeigt, ein Privatunter- nehmen zu tadeln. Dieser Gewohnheit wollen wir nicht folgen ; ih erhebe dagegen grundsäßlich Widerspruch.

Abg. Dr. Hahn: Diese Animosität mir gegenüber verftehe i nicht recht. Ich hätte diese Dinge freilich auch bei der Postdampfer- \subvention besprehen können; ich bin nur durch den {nellen Gang der Verhandlungen daran verhindert worden. Ih will den „Nord- deutschen Lloyd“ durchaus nit diskreditieren; dafür kann ih mi auf die Unbefangenen berufen. Allen meinen Beschwerden hat man bisher in gewisser Beziehung Rechnung getragen. Jh habe ja au nit Wünsche einzelner Vereins: dec Seesteuerleute an gemeinen.

Abg. Dr. Lieber (Zentr.): Was Herr Hahn vorgebracht Hat, geht den Reichstag, die Mt und die Neichsgefezgebung gar nichts an. Ich glaube au nicht, daß eine Mehr vos Offizieren des „Norddeutschen Lloyd“ sih an Herrn Hahn wendet, um ihn zum Sprachrohr zu machen; höchstens könnten ehemaliger ent- lassene Offiziere sih dies erlaubt haben. Ich halte es uicht für 9 tig, die Aufmerksamkeit des Reichstages auf diese querelles Hin- zulenken.

Abg. Frese: Herr Hahn hätte erfi die Beshwerden untersu@hew und den „Norddeutschen Lloyd“ inter pellieren sollen, ehe er den Reichstag in Bewegung sehte.

Abg. Dr. Hahn : Nicht von entlassenen Seeoffizieren, us von dem Verein der Seesteuerleute habe ih mein, Material erhalten. Zil

ersonen ce H Af fondern diejenigen eines

er Weser und der Aerzte im aill-

ollte Mißstände bescitigen, die die Arbeitsfreudigkeit der Schiffs» fiziere beeinträchtigen und damit die Sicherheit der Schiffe gefährden,

Der Titel wird Le

ür. den Börsenausschuß und die Berufungskammer in Ehrengerichtssachen | gegen Börsenbesucher sind Tagegelder 2c. in Höhe von 25 000 ausgeworfen.

Abg. Dr. Barth (fr. Vgg.): Alle Handelskammern und die sonst berheiligten Korporationen |ind übereinstimmend der Ansicht, daß das Q lerocien nihts tauge. Der Börsenkommissar hat bisher noch gar keine Rolle gespielt; das Terminregister steht bloß auf dem Papier. Die Bremer Handelskammer stellt mit Stolz fest, daß dieses Negister nur aus unbeschriebenen Blättern besteht. Diejenigen, dite in Berlin sih hatten eintragen lassen, haben später darauf verzichtet. Das Ehrengericht ist in einem Falle in Wirksamkeit getreten, der eine Ironie auf das Börsengeseß i}; denn der Fall betraf einen Hamburger Kaufmann, der als nicht in das Terminregister Ein- getragener sich weigerte, die Differenzen zu zahlen. Es wurde dieses Verfahren, obwohl es dem Börsengesey entsyriht, als niht mit der kaufmännishen Ehre vereinbar erklärt. Auch mit den Vorschriften über die Emissionen is nihts erreicht worden. Die Prospekte sind zu einem bedenklichen Umfang an- geshwollen. Deshalb beshränken die Emissiontfirmen ihre Anzeigen auf die Börsenblätter allein, das allgemeine Publikum erfährt nichts davon. Das Schlimmste ist aber die Produktenbörse; die größte Pro- duktenbörse der Welt, die Berlins, i!t beseitigt worden. Das war niht so ganz einfah, aber nach längeren Bemühungen ift es den Verwaltungsbehörden gelungen, dieses Ergebniß zu erzielen. Die Kaufleute ließen es {ih nickt gefallen, daß Agrarier in den Börsen- vorstand deputiert werden sollten. Sie ließen die ganze Börse fahren und diese Börse könnte ja nun ganz mit Agrariern beseßt werden, welche von der Sache nichts verstehen. Die Schädigung durch diese Maßregel fällt bloß auf die Landwirthschaft. Jch weise auf die Petitionen der Bromberger Handelskammer an den Reichskanzler hin, in welhen um Aufhebung des ganzen Börsengeseßes gebeten wird, und zwar im Aue der Landwirthshaft. Derselben Ansicht ist die Handelskammer für das Herzogthum Anhalt. Der ganze deutsche iz das ist oft ausgesprochen worden, \{chuldet der Berliner Pro- duktenbö1se den lebhaftesten Dank für den Nachdruck, mit welhem le die Ehre des Handelsftandes vertheidigt hat. Wir sind jedenfalls außerordentlih froh, daß wir für dieses Geseß die Verantwortlichkeit niht zvagtagen haben. i :

Abg. Gamp (Np.): Für die meisten Bestimmungen des geseßes hat der ganze Reichstag gestimmt, mit Ausnahme höchstens der Freisinnigen, deren Autorität in diesen Fragen doch fo gelitten hat, daß Herr Barth keine Ursache bat, in diesem wegwerfenden Ton zu sprechen. Die Anregung der Bromberger Handelskammer wegen Aufhebung des Börsengeseßes hat bei den anderen Handelskammern niht überall Nachfolge gefunden. Es ift erreiht, was früher nicht immer der Fall war, daß die Regierung ih durch. den Börsen- kommissar über die Börsenverhältnisse informieren kann. Schadet es etwas, daß das Börsenregister keine Rolle gespielt hat ? Jedenfalls ift das Privatpublikum der Spekulation ferngeblieben, das beweist der Rückgang der Börsensteuer. Auch die Bedeutung des Ehren- erihts unterschäßt Herr Barth; fie liegt in einer abshreckenden

irkung. Die Vorschriften über die Emissionéprospelte bestanden früher {hon bei der Berliner Kaufmannschaft, sie wurden nur nicht immer beobahtet. Der Vormundschaft der Bromberger und Anhaltishen Handelskammer bedarf die Landwicthshaft niht. Be- fremdet hat es mi, daß der Redner in der Betheiligung von Land- roirtken an dem Börsenvo-ftand eine Ehrenkränkung findet. Sind die Kaufleute in Königsberg weniger ehrenhaft als die Berliner, weil dort ein Sindwinb miiwirkt? Wenn die Preise in Deutschland wirkli 10—20 A niedriger wären als nach dem Weltmarktpreise, wie kann da noch ein einziges Korn ausländishen Getreides ein- geführt werden? In Geiste haben wir kein Termingeschäft, und dennoch besteht das Geschäft weiter. Wir wollen mit der Be-

urtbeilung des Börsengesez«+ noHsctwas warten, bis wir mehr chSäa-

fahrung haben.

Abg. Dr. Barth: Die Tiefe der Kenntnifse des Herrn Gamp zeigt sih darin, daß er sagt: Es giebt ganze Geschäftszweige, bei denen kein Terminhandel besteht. Ja, es liegen für die Gerste garniht die Borbedingungen eines folhen Handels vor.

Abg. Graf von Arnim (NRp.): Ich bestreite, daß sich auf natürlihem Wege die Preisregulierung im LTermingeshäft vollzog. Kohn und Rosenberg, Ritter und Blumenfeld, das sind die Männer der natürlihen Preibregulierung. Infolge des Verbots des Termin- handels haben wir einen f\tetigen Entwickelungêgang der Preise zu beobachten; während in View-York der Preis um 29 # gestiegen und gefallen ift, betragen bei uns die Schwankungen 3 A Die großen Preisschwankungen kommen nur gewissen Existenzen, aber nit den produktiven Ständen zu gute. Herr Barth könnte doch aus Amerika wissen, ‘daß dort allgemein das Verbot des Terminhandels verlangt wird. Ueber das Börsengeseß zu urtheilen, ift jeßt noh nicht die richtige Zeit; denn das Gese ist bisher noch nicht ganz durchgeführt worden. Aber den Wunsch möchte ih aut sprechen, daß das Urtheil des Ober-Verwaltungsgerichts so rechtzeitig gesprochen wird, daß, falls der Spruch des Bezirks-Ausshu}ses bestätigt wird, der Neichêtag die Möglichkeit hat, das Börsengeseß zu ergänzen. Der Bejzirks-Aus\chuß hat sich nur auf juristishe Deduktionen be- \chränkt, aber feine Notiz davon genommen, daß während des Bestehens der Versammlung im „Feenpalasi*" die Prefse übercinstimmende Preisnotizen veröffentlihte. Der Zweck des Börsengescßes i| zum theil erreiht in der Stetigkeit der Preise und der Verdrängung kleiner Jobber und des Privat- publikums von der Börse. Dem Zustande muß ein Ende gemacht werden, daß von zwei Privatvereinigungen, von tenen sich die eine in ein Klofter geflüchtet hat, während die antere sih als Frühbörse be zeichnet, diejenigen ausgeshlossen werden, welhe an der Produkteu- böôrse vertreten zu sein ein Interesse haben, nämlih die Landwirthe. Mit dem Ideal des Herrn Barth, daß es gleichgültig sei, ob in- Iländishes oder ausländisces Getreide verkauft wird, werden wir uns niemals befreunden können.

Abg. Dr. Paashe: Wenn das Börsengeseß Mängel hat, fo sivd die Freisinnigen daran -Schuld.. Daß die Börse _garniht ver- befserungsfähig set, diefe Meinung war selbst in der Rethe der Freisinnigen niht durchweg vertreten. Was heute {lecht ist, ift nicht aut das Börsengesey zurückzuführen. Das Terminregister hat Herr Barth früher niht fo abfällig beurtheilt; denn er wollte bei der Berathung des Geseßes nicht tas Negister, sondern nur die Ge- bühr beseitiat wissen. : i : j; Î

Um 61/4 Ühr wird die weitere Debatte bis Dienstag 2 Uhr vertagt.

Preußzischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

7. Sißung vom 24. Januar 1898.

Auf der Tagesordnung fteht zunächst die erste Berathung des Geseßentwurfs, betreffend die S rUeDL Aa der Ver- pflihtung zur Bestellung von Amtskautionen.

Abg. Rickert (fr. Vagg.): Die Vorlage enthält einen wesent- Tien Fortschritt, den ih vor wenigen Monaten noch nicht erwartet hatte, als ih die Hoffnung aussprah, daß eine derartige Vorlage gemacht werden möchte. Die Uebelstände, die sich bei dem Kautions- wesen herausgestellt haben, sind viel s{limmer, als man gea hat. Bei der Eisenbahnverwaltung betragen die Kosten für das Kautionswesen 65000 4, das Risiko der Verwaltung aber höchstens 35000 A; dem gegenüber if die moralische Wirkung der Kautionen doch eine fehr geringe. Es wäre wünschenswerth, daß im Reiche die gleiche Maßregel durchgeführt

würde, Ob die zweijähriye Frist nothwendig ist. ersheint mir do zweifelhaft. Daß 93 Millionen Staatóyapiere für das Reich E

eußen auf ten Markît kommen, wird keinen großen Effekt machen.

ie Vorlage ist ein Beweis des Vertrauens der Regierung zu den Beamten, und ich habe die Zuversicht, daß dies Vertrauen nicht etäuscht werden wird. Jeder Beamte wird \sich einer vershärften ontrole unterwerfen; denn die Kautionen haben die Kafsenrevisoren in eine gewisse Vertrauensseligkeit verseßt.

Bent des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine verehrten Herren! Bei den Anschauungen, die sich ge- legentlig, der Besprebung diesex Frage wegen Aufhebung der Kautionen im vorigen Jahre {hon von verschiedenen Seiten kund- gethan haben, und bei der ausführlihen Motivierung dieses Gesetzes, die den Herren vorliegt, kann ich mich sehr kurz fassen und brauche auf die ganze Materie nicht tiefer einzugehen. Wenn ih im vorigen Jahre mih noch nicht bestimmt ausdrücken konnte, so lag das einfa daran, daß das Ministerium eine bestimmte Stellung zur der Frage noch nicht genommen hatte. Die Frage, ob man die Kautionen ganz aufheben oder vielleiht etwas Anderes an die Stelle der bisherigen Art seten solle, hatte hon sehr lange geschwebt. Ih muß allerdings bekennen, daß ih im vorigen Jahre auch noch nicht entshlossen war, wie die Sache zu machen sei. Man dachte damals vorzugsweise daran, Beamtenvereinigungen zu bilden unter ftaatlier Leitung, welhe durch die solidarishen Haftungen der einzelnen Mitglieder dieser Ver- einigungen mindestens oder annähernd die Garantien geben sollten, wie die bisherige Kaution durch Pfandbestellung. Wir haben uns aber überzeugt bei unserer Prüfung, daß auch diefer Weg große Bedenken hat. Einmal wäre es dcch schon ein sehr bedenklicher Schritt, ohne den Willen der betreffenden Beamten sie zu einer solchen solidarischen Haftung für die Handlungen Anderer zu zwingen. Nebt man aber keinen Zwang aus, so würde die Sache überhaupt ja nur Stückwerk gewesen sein, die Verwirrung wäre vielleiht noch größer geworden. Dann wroürde aber auch bei solhen Vereinigungen die Verwaltung wleder erheblihe Kosten verursaht haben, und man hätte damit das eine Ziel einer Verminderung der unnöthigen Kosten der Verwaltung nit unbedingt gebotene FBitionen nit erreiht. Wir haben daher die Anerbietungen, die wir namentlich bekamen von dem hanndôvershen Beamtenverein, ablehnen müssen, und nah und nah überzeugten \sich alle Ressorts, wovon einige {on seit längerer Zeit auf dem Boden der völligen Aufhebung der Kautionen gestanden hatten, daß das einzig Richtige sei, hier, wie der Herr Abg. Rikert gesagt hat, funditus einzugreifen und die Kautionspflicht für die Forderungen des Staates überhaupt aufzuheben. Meine Herren, ih habe allerdings die Ueberzeugung nach und nach gewonnen, daß der Staat durch die Aufhebung der Kautionen irgend einen wesent- lihen Schaden nicht leiden wird. Diejenigen Beamten, die sich über Ehre und Treue hinwegseßen, welhe kriminelle Bestrafungen riékieren und den Verlust ihres Amtes, werden sich auch durch den Umstand, daß fie eine Kaution- gestellt haben, {werlich vor Verbrechen ab- halten lassen, fie greifen dann aber viel tiefer in die Kasse, als die Kaution beträgt, sie riskieren eben alles; auf diese Beamten wird die Kautionsftellung einen, wie man früher sagte, psyhologischen Eindruck überhaupt nicht machen. Diejenigen aber, welche glauben, daß ihre Untershlagungen, ihre rechtswidrigen Ein- grie in die Kasse verborgen bleiben, welGße sch in tchen- JIllusionen berorn, wadcn fich -ch nicht rühren lassen durch die Thatsache, daß sie eine Kaution gestellt haben, weil sie die Hoffnung haben, es wird ihre Handlung \{chließlich auf die Kaution selbft keinen Einfluß haben.

In den zahlreihen Fällen, wo aus Versehen, aus einer gewissen Nachlässigkeit Defekte in der Kasse entstehen, haben wir immer noch die Garantie der Abzüge, falls der betreffende Beamte im Dienst bleibt, und ih glaube, auch auf folhe-Fälle, wo durch Irrthümer, Versehen und Mangel an Aufmerksamkeit Defekte entstehen, hat die Thatsache der gestellten Kaution keinen Einfluß, Dies wird aber noch) viel deutliher, wenn man in Erwägung zieht, daß eine sehr große Anzahl von Kautionen garnihk aus eigenem Vermögen der Beamten gestellt sind, daß nicht bloß in sehr vielen Fällen dritte Personen aus Freundschaft oder aus verwandtschaftlihen Gründen die Kautionen gestelll haben, sondern daß besondere Einrichtungen bestehen, Banken, welche gegen eine angemessene Vergütung und Provision für den betreffenden Beamten die Kaution stellen, Wenn ein Beamter aber fi entschließt, in recht8widriger Absicht den Staat zu benah- theiligen, dann wird er auch nicht davor zurlickscckeuen, die betreffende Bank zu \{ädigen. Wir glaubten daher, {hon aus allen diesen Gesichtspunkten ohne Bedenken die Kautionen vollständig aufheben zu föônnen.

Nun, meine Herren, ‘ist es allerdings rihtig, daß der entscheidende & : ad hierfür gewesen ist das Vertrauen, welches die ErfahEKng in vollem Maße gerechtfertigt hat, auf die durGgängige Redlichkeit und Pflichttreue der preußischen Beamten. Wenn, wie aus der Statistik hervor- geht, die Zahl der Defekte in den größten Verwaltungen Preußens, wo häufig sehr schnell gearbeitet werden und in der Eile gebucht und kontroliert werden muß, durhschnittliÞ so gering ist, so deutet das darauf hin und beweist, daß wir unsern preußishen Beamten sehr viel Vertrauen senken können, und wenn wir das bish® Sonnten, - so werden wir es au für die Zukunft können.

Meine Herren, wenn man unter diesen Umftänden ohne Bedenken für den Staat die Kautionen preisgeben konnte, fo war dies auch Pflicht der Staatsregierung, weil wir dadurch den Beamten eine schwere Last und der Staatsverwaltung große Weiterungen abnahmen. Ich bin überzeugt, die kautionspflihtigen Beamten werden in diesem Vorgehen der Staatsregierung aufs neue erkennen, wte fürsorglich die Staatsregierung für ihre Beamten, soweit das irgend möglich ift, eintritt,

Endlich, meine Herren, muß man darauf hinweisen, daß eine sehr große Anzahl von Beamten, welche täglih in der Lage sind, die Staatskasse weit mehr zu s{hädigen als die kautionspflihtigen Be- amten, bisher keine Kaution stellten, und daf dadurch eine außer- ordentliche Ungleichheit ‘in dem Verhältniß der einzelnen Beamten- kategorie zu einer andern hervorgerufen wird.

Ich gehe weiter auf die Sache niht ein. Ich glaube, das hohe Haus wird mit der Staatsregierung diesen Sprung wagen und mit dem Herrn Abg. Rickert die Ueberzeugung "gewonnen haben, daß diese Maßregel uns nicht gereuen wird.

Nun fragt der Abg. Rickert: Wie steht's denn im Reich? Jch kann nur sagen, daß die Reichsressorts auf demselben Standpunkt stehen, der in dieser Vorlage von den preußischen Ressorts eingenommen wird. Meines Wissens i auch {on eine Vorlage wegen Auf- hebung der Kautionen in der Reichsverwaltung beim Bundesrath

vorgelegt worden. Wir müssen also die Entscheidung des Bundes- raths abwarten. Jh hoffe, daß der Bundesrath \sich der Vorlage geneigt zeigen wird.

Der Abg. Rickert hat nun gemeint, es habe den Anschein, daß es eigentlih nit nöthig gewesen wäre, eine Frist von zwei Jahren zu seßen. Diese Frist is allerdings nur, wenn ih so sagen foll, eine äußerste Kautel für unvorhergesehene Fälle. Ein Finanz-Minister verpflihtet fch nit gern, zu einer bestimmten Zeit solhe bedeutenden Summen freizugeben. Er verpflichtet sich nihcht gern. Wenn wir beispielsmeise unruhîge Zeiten bekämen, wenn Kikgögefahr drohen sollte, so würde man wahrscheinlich doch Bedenken tragen, folche Summen auf einmal auf den Markt zu werfen. Sollte das aber nit kommen, so bin ich allerdings der Meinung, daß wir keine Ursache haben werden, unter den gegenwärtigen Verhältnissen diese Frist überhaupt inne zu halten. Wir werden dann nicht vielleicht gleichzeitig an einem Tage alle Kautionen herausgeben; wir werden mit den kleinen Kautionen der unteren Beamten anfangen und dann weiter hinaufgehen, um so mehr, als bei den großen Kassen die Beamten ihre Kautionen meistens aus eigenen Mitteln geftellt haben.

Sn denjentgen Fällen, wo die Kautionen bisher geftellt wurden durch allmählihe Abzüge vom Gehalt, was gerade für die minder- besoldeten Beamten oft außerordentlich lästig war und dieselben mannigfah sogar in Schulden gebracht hat, wird natürli sofort däs allmählihe Abziehen aufhören; es hat ja keinen Zweck, noch eine Kaution allmählich entstehen zu lassen, wo man {hon ents{hlossen ift, sie überhaupt zu beseitigen. (Sehr richtig !) ;

Die Herren brauchen sich also an dieser Frist nicht zu stoßen. Ih werde hon Sorge tragen, daß die Frist, wenn die Zeiten so bleiben, wie sie heute sind, nit ganz benußt wird, und daß alsbald mit der Herausgabe der Kautionen begonnen wird.

Meine Herren, der Herr Abgeordnete hat dann die Gerichts- vollzieher erwähnt. Wir haben doch Bedenken getragen da der Staat einen Zwang gegen das Publikum übt, bestimmten Gerichts- vollziehern die Aufträge zu ertheilen, die ja in der Regel auf Ein- ziehung von Geld für die Auftraggeber hinauslaufen für diese Gerichtsvollzieher zu Lasten der Auftraggeber niht zu Lasten des Staats diese Sicherheit in der Kaution einzuziehen. Es kann ja sein, daß die Gerichtsvollzieher nun sich zu Verbänden vereinigen, zu solhen solidarisch haftenden Genossenshaften zusammentreten ; dann werden auch die Gerichtsvollzieher in dieser Be- ziehung entlastet werden. Würde eine anderweitige Ordnung tes Gerichtsvollzieherwesens eintreten und natürlih hat man ja immer den Finanz-Minister ‘in Verdacht, daß er dagegen sei, was bier in keiner Weise zutrifft —, so könnte man ja auf die Frage zurüdck- kommen, ob in dieser Beziehung eine andere Entscheidung zu treffen sei. Jch kann den Herren nur rathen, in dieser Beziehung niht weiter zu gehen als die Vorlage.

Ich möthte daran noch eine weitere Bemerkung knüpfen. Meine Herren, der Staat tritt in Zukunft gewissermaßen als Selbstver- sicherer auf. Auf der einen Seite erspart er sehr bedeutende Ver- waltungskosten, die thatsächlich in den meisten Verwaltungen höher gewesen sind als die durchshnittlihen Defekte. Aber soweit noch Defekte on , versichgrt Zch der Staat (lbst. Das kann der Staat thu Ich möchte aber bemerken, meine Herren, daß die Ges- meinden, namentli kleine Bemeinden und Korporationen, Stiftungen keineswegs aus dem Vorgehen des Staats schließen sollen, daß fie das nun ebenso mahen können. Der Staat versichert auch seine Gebäude nit gegen Brandgefahr; wenn der einzelne das aber unterläßt, so handelt er verkehrt. J hebe dies ausdrücklich hervor, damit nit im Lande der Gedanke entsteht bei den Gemeinde- und Stiftungs- beamten u. \. w., daß fie nun ohne weiteres auch befreit werden müssen ; da liegt die Frage anders und muß da ganz selbständig ent- schieden werden.

Meine Herren, endli möchte ih von dieser Stelle aus noch unseren bisher kautionspflichtigen Beamten ans Herz legen, daß sie doch nun nit, wenn sie ihre Gelder frei bekommen, soweit sie ihnen selbst gehören, fih bewegen lassen, höher verzinslihe Papiere mit geringerer Sicherheit einzutauschen gegen diese siheren preußischen Kon- sols. Ich sage das im Interesse der Beamten selbft. Uebrigens habe ich auch den Glauben, daß unsere Kassenbeamten, die doch meistens große Sicherheitékommissaricn sind (Heiterkeit) und vorsichtig zu handeln gewohnt sind, dieser Verführung nit erliegen, sondern die preußischen Konsols nachher in ihren Schrank legen, die Zinsen davon beziehen, ein sicheres kleines Kapital besitzen und sih nit auf gefährlihe Spekulationen einlassen werden. (Bravo !)

_—— Abg. Haacke (fr. konf.): Jh begrüße die Vorlage ebenfalls wit Freude, weil sie besonders den Beamten, welche sih die Kaution bei einer Bank gegen sehr hohe Zinsen und Amortisation beschaffen mußten, eine große Erleichterung bringt. Durch die Annahme der Vorlage verdienen Sie sih den Dank von 36 000 Beamten.

De Dts des Staats-Ministeriums, Finanz-Minister Dr. von Miquel:

Meine Herren! Ih möchte, um keine Unklarheiten entstehen zu lassen? ausdrücklich nochmals betonen, daß dies Gesey si bloß bezieht auf wirkliche Beamte. Wir haben eine Reihe von Fällen in Personen, die wir Bedienstete nennen wollen, die aber keine Beamtengualität haben, do ftaatlihe Gelder oder Gelder von Privaten im Auftrage des Staats einzunehmen und abzuführen oder zu verwalten haben. Auf folhe Nichtbeamte bezieht sch dies Gesey niht, da würde in Zukunft den einzelnen Verwaltungen vorbehalten bleiben müssen, ob sie glauben, vertragsmäßig eine Kaution von den be- treffenden Personen fordern zu sollen oder niht. Dazu gehören z. B. die Lotteriekollekteure, es gehören dazu die Spezialbaukassen-Rendanten, es gehören wahrsheinlich die Frage ift kontrovers die Forst- Unterrezeptoren dazu. Das sind Kaufleute oder andere Personen, denen die Hebung von Forstgefällen, Forsteinnahmen vertrag8mäßig übertragen wird, Der Zweifel bei der leyten Kategorie, ob sie wirklihe Beamtenqualität haben oder niht, muß natür- lich nahher im Verwaltungê#wege zur Entscheidung gebracht werden. Ih wollte aber ausdrücklih hervorheben, daß solhe Per- sonen, die auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages, nicht kraft ihrer Stellung als Beamte kautionspflichtig sind, unter dies Gesey nit fallen.

Dann wollte ih noch bemerken, daß, was ie Frift der Rückgabe betrifft, wir niht die Absicht haben, die Rückgabe abhängig zu machen von einer vorher ertheilten Decharge des Rehnungsführers. Sonst ist es üblich gewesen, daf: bei Todesfällen, Penfionierungen u. f. w. die gestellten

Kautionen erstzurückgegeben wurden nach ertheilter Decharge. Das kann si

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