geben, daß die Einnahmen fortgeseßt steigen, daß aber nit im gleichen “ Prozentsaß die Verwaltungskoften fteigen, und demgemäß allmählih die Relation zwischen Einnahmen und Verwaltungskosten eine günstigere wird, wie das z. B. auh bereits bet den Berufsgenofsenshhaften der Fall gewesen is. Aber ih habe allerdings die. Ueberzeugung, daß es vielleicht in Zukunft au möglich sein wird, wenn erst der Kanal in feinem ganzen Bau mehr befestigt if, wenn alle die Prozesse und Streitigkeiten, die mit den Anliegern schweben, erledigt sind, die Ver- - waltung nicht unwesentlih zu vereinfachen.
Was den Verkehr auf dem Kanal selbst betrifft, so s{heint es allerdings nöthig, niht unerhebliche Erweiterungsbauten vorzunehmen, d. h. namentlich die Zahl der Ausweihen wesentlich zu vermehren. Sh meine aber, daß diese Kosten sih aus dem laufenden Verwaltungs- Etat bestreiten lassen werden.
Was bie Anregung betrifft, ob wir niht Agenten anftellen follen, die die Vortheile des Kanals der Schiffahrt treibenden Bevölkerung klar machen und für den Kanal so zu sagen. Propaganda machen, so ift au das bereits erwogen worden. Wir haben uns aber überzeugt, daß die Bedingungen für die Kanalfahrt in den Schiffahrt treibenden Kreisen im allgemeinen so bekannt sind, daß wir, glaube ih, durch sole Agenten niemandém etwas Neues sagen könnten. Die Hauptsache ist, daß wir doch ziemlich bewußte Konkurrenten des Kanals haben, die jede Gelegenheit benußen, auch den kleinften Unfall auszubeuten und darauf hinzuweisen: das ift der berühmte Kanal, wo diese und jene Unglücksfälle sih zugetragen haben. Eine solche Polemik versuchen wir allerdings fortgeseßt auch öfentlih zu bekämpfen. Jh erinnere nur an den fo sehr übertriebenen Fall mit dem Dampfer „Versailles*, der allerdings im Kanal wiederholt \tecken blieb, aber
niht aus Ursachen, die an den Lootsen lagen oder an den Kanal- profilen, sondern an der außerordentlih {weren Steuerfähigkeit des Schiffes; zum Beweise, daß dies der eigentlihe Grund war, dient die Thatsache, daß das Schiff demnächst auch in der Elbe fest- gelaufen ift.
Was s{chließlich die Einnahmen des Kanals betrifft, so befinden wir uns jeßt auf einer aufsteigenden Linie. Die Verkehrssteigerung in Registertons hat während der neun Monate des Jahres 1897 gegenüber dem gleihen Zeitraum des Jahres 1896 {hon 32,5 9/6 be- tragen, es waren in diesem Verkehr nah Registertons die Elbhäfen mit 23 9/0, die deutschen Ostseehäfen mit 20 9/6 betheiligt; demnächst folgen die russischen, die s{chwedischen Häfen, dann die deutschen Nordseehäfen außerhalb der Elbhäfen, dann die niederländishen und Rheinhäfen, die dänischen und s{ließlich die britishen Häfen, von denen nur eine Frequenz an Registertons von 5,21% zu ver- zeihnen ist,
Was weiter die Einnahmen betrifft, so hat die Steigerung der- selben vom Jahre 1896/97 zu 1897/98 in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 1897 gegenüber dem Vorjahre 217 791 #4, oder 264%/ betragen. Es is ferner anzunehmen, wenn man die Ein- nahmen, die wir voraussihtlich in diesem Quartal bis zum 31. März zu erwarten haben, {äßt, daß der Unterschied gegen das Etatssoll an Mehreinnahme etwa 110 000 4 betragen wird.
Wenn sih auch die Hoffnungen niht erfüllen werden, die wir seinerzeit an die Frequenz des Kanals vielleiht geknüpft haben, so glaube ich doch die Erwartung aus\fprehen zu können, daß in abseh- barer Zeit es mögli sein wird, die Verwaltungskosten des Kanals zu dedcken.
Die Anzahl der Unfälle hat ih fortgeseßt vermindert; die Sicher- heit des Verkehrs auf dem Kanal ift demgemäß gestiegen, und auch das Zutrauen der Schiffahrt treibenden Bevölkerung zum Kanal wird {ih unzweifelhaft von Jahr zu Jahr befestigen und daraus sih au eine steigende Einnahme ergeben.
Abg. Jebsen (n!.): “Ih habe in der vori. en Session bereits ausgeführt, daß eine Ermäßigung der Tarife die Frequenz vermehren würde; das i} geschehen; zur stärkeren Frequenz hat aber auch die Grhöhung der Frachten etwas beigetragen, die Schiffer konnten die Kanalabgaben eher tragen als sonst. Meist benußen Schiffe deutscher Nationalität den Kanal. Die Einnahme aus dem Schlepplohn deckt die Kosten niht; es ist aber erfreulih, daß der Staatssekretär von einer Erhöhung desselben ‘absehen will. Einen verwickelten Tarif Ne man nit einführen, sondern denselben vielmehr möglichst einfa
eftalten. E Abg. Molkenbuhr behauptet, daß Schlepper an kleinen Fahr- zeugen vorbeigefahren seien, ohne sie mitzunehmen.
Staatssekretär ‘des Jnnern, Staats - Minister Dr. Graf von Posadowsky- Wehner:
Ih möchte dem Herrn Vorredner gegenüber nur darauf hinweisen, daß nach der Instruktion ein Schiff, welches das Signal zeigt, wmit- genommen zu werden, verlangen kann, daß der Schleppzug anhält. Wenn also in diesem Falle der S{leppzug niht angehalten hat, so muß das an außerordentlihen Verhältnissen gelegen baben. Vielleicht war der Zug schon komplett. Jh werde aber diesen Spezialfall jedenfalls feststellen und vielleiht in der dritten Lesung Gelegenheit nehmen, das Sachverhältniß auf Grund amtlicher Untersuchung klar zu Legen.
Die' Ausgaben für das Kanalamt werden bewilligt.
Unter den einmaligen Ausgaben befindet sih ein Posten von 100000 #4 zur weiteren Aus\chmüchckung des Reichstag3gebäudes.
ierzu liegt ein Antrag des Abg. Lenzmann (fr. Volksp.) vor, diesen Posten auf den Etat des Reichstages zu übertragen.
Abg. Singer (Soz.) berichtet über die Verhandlungen der Budget- tian über diese Fragen, aus welhen hervorgehe, daß die Mehrheit der Kommission der Meinung gewesen sei, daß der Reichs- tag als S des Hauses über die weitere Ausshmücckung zu bestimmen Bube, m Anschluß an eine Resolution vom Jahre 1896, welche die betreffenden Ausgaben auf den Etat des Reichstages übertragen wollte, beantrage die Kommission: „Es möge eine aus 7 Mitgliedern des Ren es und drei Mitgliedern des Bundesraths zusammengeseßte omm
Meichstagsgebäudes mit Bildwerken und Malereien sowie s\onstigen ken Vorschläge zu machen und die Ausführung zu überwachen
hat.“ Die bereits beste ten Arbeiten, von welchen einige zur Aus- [lung nah Paris gesendet werden sollten, seien von dem Staats-
ékretär des Innern vorläufig sistiert worden.
Abg. Schmidt- Elberfeld (fr. Volksp.) weift darauf hin, daß die Resolution dahin zu verstehen sei, daß die Kommission unter dem Borsig des Reichstags-Präsidenten verhandeln fglle. In den Etats von
3/94 bis 1896/97 seien bereits Summen für die Ausshmüdckun dés Mrgs ebäudes eingestellt; aber es seien dabei immer na éinem Bes ufe des Reichstages die Gegenstände bezeichnet worden, welche bef, t werden sollten. Diesmal seien die Gelder ge- doppert ohne Angabe der Gegensiänd die - beshaft werden sollen, V4 die Reichstags-Baukommission keine Vorschläge gemacht habe.
‘die Aus müdckung des stagsgebäudes sei eine innere Angelegen- heit bes Réeichstáges. Déebhalb sollte nah ‘einem Beschlusse der Bau-
on Mate wérden, welhe über die Ausshmüdckung des.
kommission diese nicht mehr mit der Vorbereitung betraut werden. Auch im alten Reichstagsgebäude en die Bauten immer auf An- ordnung des Präsidenten erfolgt. Der Bundesrath habe ausdrüdcklich erklären lassen, daß er kein Kondominium über das Reichstagsgebäude beanspruche. Werde der Antrag dér Budgetkommission ‘angenommen, so werde die Frage niht entschieden, sondern die Entscheidung hinaus- ges{oben. Das Präsidium müsse sich auch bei Annahme des Kom- missionsantrages das Recht wahren, in dieser inneren Angelegenheit des Reichstages die Entscheidung zu treffen. :
Abg. Dr. Schneider (fr. Volkôp.): Die eben gehörten Ausführungen müssen uns in der Forderung bestärken, die einmaligen Ausgaben auf den Etat des Neichstages zu übertragen. Denn dana würde die gemäß dem Antrage der Budgetkommission einzuseßende Kommission nur Vorschläge zu machen haben, die Entscheidung über die Ausführungen aber würde dem Präsidium zufallen. Wünsche könnte der Bundesrath dem Reichstags-Präsidium auch ohne Einsepung einer solhen Kom- mission zur Kenntniß bringen. i
Abg Dr. Lieber (Zentr.): Meine olitishen Freunde stehen auf dem Standpunkt der Resolution des Reichêtages vom vorigen Jahre. Sie haben sich dem Antrage der Budgetkommission an- eshlossen, weil gegenwärtig der Zeitpunkt eintreten wird, wo ein Prâ dium des Reichstages eine Zeit lang niht vorhanden sein wird, da die Legislaturperiode zu Ende geht. Die einfahe Annahme des Antrages Lenzmann ist niht möglih. Das Reichsamt des Innern ee eine andere Stellung in dieser Frage einnehmen zu wollen als rüher, wo ausdrüdlich anerkannt wurde, daß im Reichstagsgebäude lediglih der Neichstag zu bestimmen habe.
Abg. Richter (fr. Volksp.): Ich verstehe diesen Antrag der Is niht. Die richtige Form ist die, daß alle Aus- gaben, welche für den Reichstag gemaht werden, auf den Etat des- selben gebracht werden und daß dessen Vorstand alle Sachen ent- scheidet ohne eine Zwischenkommission, zu welher auch Nichtmitglieder des Reichstags gehören. Daß wir am Ende der Legislaturperiode stehen und ein Interregnum bis zur neuen Legislaturperiode bestehen wird, hat nihts zu bedeuten; denn vor dem Interregnum stehen \chlicß- lih alle Angelegenheiten des Reichstages, auh zum Beispiel die An- stellung von Beamten 2x. Bisher sind daraus niemals Schwierig- keiten entstanden. Der beste Ausweg ist, während dieser Zwischenzeit alle Neuerungen zu unterlassen. Wo besteht sonst in NReichstagssachen eine besondere begutahtende Kommission? Das Präsidium Din ja Gutachter nah Belieben zuziehen. Warum follen Mitglieder des Bundesrathes hinzugezogen werden, die hier nur Gäste sind? Das ist um fo bedenklicher, als es eine kurze Zeit gegeben hat, wo man dieses Gebäude als ein gemeinschaftlihes für Reichstag und Bundesrath betrachtete. Der Kommissionsbeschluß ist wohl nur aus einer Un- kenntniß der fahlihen und rechtlichen Verhältnisse entstanden.
Abg. Rickert (fr. Vag.) erklärt fh für Uébertragung der Aus- gaben auf den Etat des Reichstages, aber dagegen, daß der Reichstag die Verwaltung von Reftfonds übernehme, die im Etat des Neichsamts des Innern stehen.
Abg. Singer (So0z.) führt, nit als Berichterstatter, sondern im eigenen Namen aus: der Reichstag habe über das Innere seines Ge- bâudes selbst zu bestimmen. Es sei nur die sachliche Schwierigkeit vor- handen gewesen, daß der Reichstag als solcher keine bindenden Verträge ließen könne; deshalb seien die Ausgaben auf den Etat des Neichsamts des Innern übertragen worden. Redner kommt dann auf die Kellner a sprechen, ‘die in einer Eingabe an den Präsidenten um Sicherung hrer Stellung gebeten haben. Die Kellner, die früher garnichts bekommen hätten, bekämen jeßt für jeden Tag der Plenarsitzung 1 Das fei unzureichend und des Reichstages nicht würdig. enn der schwahe Besuch des Reichstages dahin wirke, daß die Kellner auch niht einmal durch Trinkgelder ein annehmbares Einkommen erzielten, so müfse man den Wunsch haben, daß Vorkehrungen getroffen würden, um hen Kellnern zu helfen. Dieser peinliche Zustand müsse beseitigt werden.
Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Graf von Posadowsky-Wehner:
Wenn die 100 000 6 zur Ausshmückung des Reichtstagsgebäudes in den Etat des Reichsamts des Innern eingestellt werden, so sprechen eben hierfür zwei ganz nüchterne Gründe, die meines Erachtens voll- ständig treffend von den Herren Vorrednern betont sind : einmal, daß der Herr Präsident des Reichstages in dem Sinne wie eine Reichs- behörde Verträge niht abschließen kann (sehr richtig! rets) ; und zweitens, daß JInterregnen eintreten können, wo auch der bisherige Präsident, wie das bisher üblich ift, die Ver- waltung nicht fortführen kann, wo aber troßdem, wie bei Bauten, Ausshmüdckungsarbeiten, die fortceführt werten müssen, Zahlungen zu leisten, Anordnungen zu treffen find. Wenn nicht ein vöôll- kommener Geschäftsfstillstand eintreten soll, muß also ftets eine legitime Instanz vorhanden sein, die die negotiorum gestio führt. Gegenüber dieser nühternen Thatsache bin ih weit entfernt, heute über die Frage irgend welhe \taatsrechtliche Deduktionen an- stellen zu wollen; es glebt Fragen im öffentlihen Rechte, die ziemlich delikater Natur sind und wo man gut thut, die Dinge fo zu behandeln, daß das Selbstgefühl keiner Partei verleßt wird und Jedem do thatsählich sein gutes Recht wird. Daß auch die verbündeten Regierungen in diefem Hause eine Berechtigung haben, ‘das liegt in den thatsählihen Verhältnissen, daß fie hier Arbeitszimmer, Ver- fammlungslokale haben müssen und ihre Anwesenheit in diesem Hause eine staatsrechtliße Nothwendigkeit i. Ih glaube, in praxi fann es sfih doch nur darum handeln, daß der Reichstag auf die innere Ausschmückung den Einfluß erreiht, den er wünscht und den er legitimer Weise wünschen muß, und ih glaube in der That, daß, wenn Sie die alte Baukommission nicht mehr fortarbeiten lassen wollen, man am besten thut, man nimmt diese Resolution an, wie sie hier formuliert ift. (Zuruf aus der Mitte.) Dann, meine Herren, wird der Reichstag ro vera vollkommen zu seinem Recht gelangen, die verbündeten Regierungen werden ebenfalls in der Lage fein, ihre Wünsche auszusprehen, und ih bin fest überzeugt, daß diese Kom- mission durchaus zur Zufriedenheit des hohen Hauses fungieren wird ohne alle Reibungen.
Abg. von Kardorff (Rp.): Ich bitte doch, die Frage nicht noch einmal an die Budgetkommission zurück zu überweisen, da eine Meinungsänderung wohl bei feinem Mitgliede derselben zu er- warten ift.
Ab | Dr. Lieber (Zentr.) bestreitet, daß der Reichstags - Prä- dent Verträge abzuschließen nicht berechtigt en Gr halte es für elbstverständlich, daß die zu wählende Kommission unter Vorsitz des
Präsidenten tagen solle.
Abg, Dr. Graf zu Stolberg-Wernigerode (d. kons.) {ließt ih den Ausführungen des Abg. von Kardorff an. Der Präsident des Reichstages habe niht das Reht, Verträge abzuschließen, wie die Leiter der Reichsämter, welche mit der Stellvertretung des Reichs- kTanzlers beauftragt seien.
Abg. Smidt - Elberfeld weist darauf hin, daß der Präsident des S Beamte anstelle, also doch wohl Verträge a eder a ey es auch thatsählih im alten Reichstagsgebäude der Fall gewesen sei.
Abg. Richter bleibt dabei, daß die Budgetkommission nicht richtig informiert gewesen sei. Zwischen den Anschauungen des Staatssekretärs und des Abg. Lieber bestehe ein fundamentaler Gegen- saÞ; leÿterer wolle nur für dieses Jahr die Ausgaben beim Reichsamt des Innern lassen, während ersterer dies prunvis lich wolle und dem Reichstag das Recht bestreite, Verträge abzuschließen, was allen That-
L en widersprehe. Der Bundesrath dae au ein Interesse an der stellung der Tagesordnung des Reichstages; aber debwegen habe
noch niemand den Gedanken gehabt, für diese Fraze eine K einzuseßen, zu der au Mitglieder des Bat lion Abg. von Kardorff: Wir sind dieser prinziptellen Frage aus
dem Wege gegangen, weil ein t Reicbate aufcols en o Interregnum bevorsteht, wenn der
Der Antrag au Zurücküberweisung der Anträge an die Budgetkommission Ms abgelehnt, ebenso der Sirag Lenz- mann; der Antrag der Kommission gelangt zur Annahme.
j Bei „der Ausgabe von 300 000 4 zur Ausrüstung einer Tiefsee-Expedition spricht daß I L a (fr. A (ane Bla darüber aus,
en Regterungen für diesen rein wissen Zweck eine so hohe Summe ausgeseßt baben. Nen Gauen Abg. von Kardorff: Jun der Kommission habe ih bet dieser Ausgabe die Frage an die Megeerung gerihtet wegen Anlegung einer seismischen Station in Straßburg. Straßburg ist ein besonders ges eigneter Punkt, -.um die Erdbebenbewegungen zu beobachten. Der Staatssekretär stellte in Aussicht, daß die Forderungen vielleicht be-
rücksihtigt werden könnten, wenn d iat “b / zugehen würde. nn dem Reichstage ein Nahtrags-Etat
Staatssekretär des Jnnern, Staats-Minister Dr. Gra von Posadowsky-Wehner: f
Meine Herren! Jm allgemeinen halte ih es für erwünscht, wenn das Rel derartige wissenschaftliche und Kulturaufgaben seiner- seits übernimmt, und ih bin auch der Ansicht, daß Straßburg für die Errichtung einer seismischen Station in besonderem Maße geeignet ist. Schon auf dem internationalen Geographen-Kongreß in London im Jahre 1895 wurde Straßburg bezeichnet als ein Ort, der si für eine Station zur Beobahtung von Erdbeben in hervorragender Weise eignet. Es soll das nicht etwa bloß eine Station sein für Elsaß-Lothringen, au nit bloß für Deutschland, sondern für ein großes Gebiet von Mittel-Europa. Straßburg if auch der Ort, wo seit dem Jahre 1889 fortgeseßt am eifrigsten in Deutfehland seismische Beobachtungen angestellt und wissenschaftliche Arbeiten über diese seismischen Beobahtungen veröffentliht sind. Endlich ist in Straßburg das Instrument, was vorzugsweise jeßt zu Béobachtungen von Erdbeben benußt wird, niht nur zur ersten Auwéndung gelangt, sondern au erheblich erweitert. Jch glaube deshalb, wenn wir in Deutschland eine solche Zentralbeobahtungsstation einrihten, so ift Straßburg ein vorzugsweise geeigneter Ort. Jh werde mich in dieser Frage \{leunigst sowobl mit dem Herrn Statthalter von Elsaß- Lothringen wie auch mit den wissens{haftlihen Stellen in den Bundes- staaten in Verbindung seßen, und kann ich die Verhandlungen bis dahin abschließen, so hoffe ih, daß der Wunsh des Herrn von Kardorff in dem unzweifelhaft vorzulegenden Ergänzungs-Etat auch einen etats- mäßigen Ausdruck finden wird. (Bravo!)
Die Mudgae für die Tiefsceforshung wird bewilligt; damit ist der Etat des Neichsamts des Jnnern erledigt.
Es folgt der Etat des Reichs-Justizamts. Beim Titel „Gehalt des Staatssekretärs“ geht
Abg. Bassermann (nl.) auf die Frage des größeren pes der Bäauhandwerker ein, worüber jeyt ein Entwurf veröffentlicht sei. Es fei zu begrüßen, daß eine reich8geseßlihe Regelung ins Auge efaßt sei, weil die Mißstände sich in allen größeren deutschen
tädten bemerkbar gemacht hätten. Der Entwurf wolle den Bauarbeitern und Bauhandwerkern eine Sicherungshypothek gewähren, aber nur in Städten von über 50000 Einwohnern. Die gegen den Entwurf vor- gebrachten Bedenken, namentlih bezüglich der Tarxation, seien unbe- gründet; denn folche Taxationen kämen auch bei anderen Gelegenheiten vor. Cine Gefährdung des reellen Hypothekenverkehrs werde nicht eintreten. Wer Geld auf eine Baustelle gebe, müsse fih darauf gefaßt maden, daß er bei der Bebaunng derselben mit den Forderungen der Bauhandwerker zu thun bekomme. Redner weist ferner darauf hin, daß der § 369 des Strafgeseßbuch3, welcher den Schloffer unter Strafe stelle, der ohne Genehmigung des Wohnungsinhabers einen Schlüssel zur Wohnung anfertige, veraltet sei; denn heute seien nur 24 Schlüssel nothwendig, um alle Schlösser zu öffnen. Bei einer Revision des Reichs- Strafgesetßbuches sollte diese Frage geregelt werden. Redner erinnert ferner an die Ausführung der zum Binnenschiffahrtsgeseß angenom- menen Resolutionen, welche die reih8gesezlihe Regelung des Dispache- verfahrens und die Einführung einer Prüfung für Binnenschiffer ver- langen. Endlich fordert Redner die Einrichtung kaufmännischer Schiedsgerichte, für die sich die Gehilfenverbände fast sämmtlih aus- gesprochen, während die Saum fih zum theil für dieselben erklärt hätten. Ob die Schiedsgerichte an die bestehenden Gewerbe- gerichte oder an die Amtsgerichte anzugliedern seien, werde sih {ließlich von felbst ergeben, nahdem die Wahl der Schiedsrichter angenommen sein werde.
Staatssekretär des Neichs-Zustizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Zu dem Vortrage des Herrn Vorredners habe ih nur einige aufklärende Bemerkungen zu machen. Der Herr Vor- redner hat zunächst hervorgehoben, daß die Bestimmungen des Straf- geseßbuch3, nach denen Schloffer, die unbefugt Shlü}sel anfertigen und verkaufen, beftraft werden, veraltet seien und einer Revision bedüxfen. Jch kann dem Herrn Vorredner in dieser Auffassung nur beitreten. Jh bin in der Lage, das nicht nur für meine Person zu sagen, sondern kann hinzufügen, daß auch von seiten der verbündeten Regierungen das Bedürfniß einer anderweitigen Gestaltung dieser Vorschrift anerkannt worden ist; sobald wir zu einer Revision des Strafgeseßbuhes kommen, die ja auch als eine der nächsten großen Aufgaben vor uns liegt, wird zweifellos auch dieser Punkt aus den Strafbestimmungen über Uebertretungen in nähere Er- wägungen genommen werden. Eine besondere Vorlage, die sh auf diesen Punkt beshränkt, dem Reichstage zu machen, das würde \sich nicht empfehlen, hon aus dem Grunde niht, weil au viele andere Bestimmungen des Titels über die Uebertretungen im Strafgeseßz- bu mindestens ebenso reformbedürftig sind. “ Dieser ganze Titel des Strafgeseßbuhes über die Uebertretungen ist meines Grachtens ver- altet; er ist übernommen aus dem preußischen Strafgeseßbuh von 1851 und hâtte in vieler Beziehung schon bei seiner Aufnahme in unserem Strafgeseßbuch Anlaß zu Beanstandungen geben können. Sobald wir an die Revision des Strafgeseßbbuches kommen, wird nah meiner Meinung dieser ganze Titel einer gründlichen Durch- prüfung unterworfen werden müssen.
Der Herr Vorredner hat dann den Wunsch ausgesprochen, daß der Resolution des Reichstages, welhe den Befähigungsrahweis für Flußschiffer eingeführt schen will, baldigst Rehnung getragen werden möge. Nun i} ja diese Resolution allerdings zu einem Gegenstand beschlossen worden, der dem Ressort des Reichs-Justizamts angehört. Die Resolution wurde beschlossen bei Gelegenheit der Erledigung des Binnenschiffahrtsgeseßes, allein, meine Herren, das Prüfungswesen und die Frage des Befähigungsnachweifes7für Schiffer gehört, ebenso wie der Befähigungsnahweis; für andere Gewerbetreibende, dem Ressort ‘des Reichs-Justizamts niht an, sondern siè fällt in das Gebiet des Reichsamts des Innern. Ich bin nicht in der Lage zu sagen, wie weit die Arbeiten gediehen sind, die etwa in Veranlafsung dieser Resolution bei dem (édáachten Ressort eingeleitet worden
find. Jch kann dem Herrn Vorredner nur anheimgeben, bei ber dritten Lesung des Etats des Reichsamts des Innern, wenn er darüber Auf- kFlärung zu haben wünscht, eine entsprehende Anfrage zu stellen.
Was endlich die Einführung kaufmännisher Schiedsgerichte betrifft, so sind die Vorarbeiten, welhe erforderlich sind, um diese keineswegs so einfahe Frage zur Erledigung zu bringen, seit längerer Zeit im Gange. Sie werden gemeinshaftliß vom Reichsamt des Innern und dem Reichs-Justijamt geführt. Wie weit die Arbeiten zur Zeit gediehen sind, kann ich Ihnen. aber nicht sagen. Es shweben zur Zeit Erörterungen im Reichsamt des Innern. Wir, meine Herren, im Reih-Justizamt haben im Laufe des leßten Jahres keine Zeit gehabt, uns mit dieser Frage zu beschäftigen. Jch ver- spreche aber dem geehrten Herrn Vorredner, daß, sobald wir wieder etwas von den dringendsten Arbeiten aufathmen köanen, diese Frage mit zu den ersten gehören wird, die unserer näheren Prüfung unter-
zogen werden follen.
Abg. Nickert (fr. Vgg.): Wie steht es mit der reihsgeseßlichen Regelung des Strafvollzugs und namentlich mit der Frage der Deportation von Verbrechern in unsere Kolonien? Hat die Reichs- Justizverwaltung Kenntniß genommen von der öffentlichen Diskussion der leßteren Frage ?
Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren! Die Frage, ob nicht ein Theil unserer Gefängniß- strafen erseßt werden könne ‘durch die Einführung der Deportation, ist ja in den leßten Jahren, wie der Herr Vorredner zutreffend hervor- gehoben hat, vielfa} und so lebhaft erörtert worden, daß auch die Reichs-Justizverwaltung sich nicht hat entziehen können, ihre Aufmerk- famkeit ihr zuzuwenden. Es ist zweifellos, daß, wenn es gelingen sollte, diese Frage derart zu bejahen, daß es praktisch möglich sein würde, einen Theil unserer Gefängnißsträflinge zur Verbüßung der Strafen in die Kolonien abzuführen, damit für unser Gefängnißwesen in finanzieller, wirths{chaftliher und moralischer Beziehung ein Vortheil erzielt würde, der niht unterschäßt werden darf. Diese Erwägung hat au der Reichsverwaltung Veranlassung gegeben, sich zunächst darüber Aufklärung zu verschaffen, wie an Ort und Stelle bei den einzelnen Kolonieverwaltungen die Frage angesehen wird. Wenn wir die Durhführbarkeit von Maßregeln der angeregten Art prüfen wollen, werden wir zunächst doch wissen müssen, wie die Stellen, die die Verhältnisse der einzelnen Kolonien am genauesten und authentisch kennen und die in der Lage sind, ein verantwortliches Votum in der Sache abzugeben, über die Ausführbarkeit denken.
Nun, meine Herren, hat im Jahre 1895 bis in das Jahr 1896 hinein hieraus die Kolonialverwaltung Anlaß genommen, an die Gouverneure unserer afrikanishen Kolonien zu shreiben, an die Gou- verneure von Togo, von Kamerun, von Südwest-Afrika und von Ost- Afrika, und die Frage zu stellen, in wie weit sie es für zulässig, finan- ziell durchführbar und im Interesse der Kolonien, andererseits aber auch im Interesse der Sträflinge erahten würden, wenn man die Deportation in gewissen Grenzen in das deutsche Strafensystem einführen wollte. Meine Herren, die Antworten der Gouverneure sind sämmtli verneinend ausfallen. Die Gouverneure der vier Kolonien haben übereinstimmend, wenn auch nicht aus gänz gleihen Gründen, wie das ja aus den ver- schiedenen Verhältnissen der Kolonien sich ergiebt, aber doch über- einstimmend im Resultat, abgerathen, einen solhen Schritt zu thun. Am weitesten und entschiedensten in dieser Richtung gehen die Aeuße- rungen der Gouverneure unserer tropishen Kolonien.
Die Gründe, aus denen die Herren entschieden von einem Ein- gehen auf ein derartiges Projekt abrathen zu müssen glauben, beruhen einmal in den klimatishen Verhältnissen. Sie erklären, daß es unmögli sein würde, Gefangene dort hinzubringen, ohne sie, zum theil wenigstens, ernsten Lebengefahren auszuseßen, für die Uebrigen aber die Gefahr langwieriger Krankheiten heraufzubeschwören. Der Gouverneur von Kamerun geht soweit, zu erklären, wenn man einen Versuch dieser Art machen wollte, würde das Resultat in kurzer Zeit das sein, daß die ganze Sträflingskolonie ein großes Kranken- haus bildete. (Hört! hört! bei den Sozialdemokraten.)
Der zweite Grund, der die Gouverneure abhält, dem Projekt näher ¡u treten, ist der, baß die Autorität der weißen Bevölkerung entschieden leiden würde, wenn Weiße dorthin gebraht würden, um angesihts der farbigen Bevölkerung ihre Strafen zu verbüßen. Die Antorität des weißen Regiments beruht wesentlich darauf, daß die farbigen Elemente der Bevölkerung gewohnt sind und hoffentlih ge- wohnt bleiben werden, in den weißen Einwanderern ein über- legenes Kulturel-ment zu erblikden. Wenn es dahin kommen sollte, daß Weiße angesihts der einheimischen Rassen den Strafen und zwar, wie es dort eben niht anders mögli ist, großentheils im Freien und öffentlich unterzogen werden, dann winde zweifellos die Autorität, die gegenwärtig die weiße Bevölkerung genießt, schwerer Grshlitterung ausgeseßt sein.
Endlich, meine Herren, mahen die Gouverneure darauf auf- merksam, daß, wo bisher von der Deportation als Strafmittel Ge« brau gemacht worden ist, dies immer nur geschah in Ländern mit ganz geringer Bevölkerung, wo die Deportierten den Stamm mit hergaben, um die Bevölkerung eigentli erst aus sih herauswochsen zu lassen. Nun sind aber unsere tropischen Kolonien bereits gegenwärtig so stark bevölkert, daß für einen Deportationsversuch dorthin die gleihe Vor- aussezung ohne weiteres wegfällt. Die Gouverneure erklären, daß in ihren bevölkerten Gebieten für derartige Sträflinge in der That kein Raum sei und daß, wenn man einen Versuch mit der Depor- tation machen wolle, man ihn dahin rihten müsse, wo die Bevölkerung noch verhältnißmäßig gering im Lande ist. Diese Bedenken, meine Herren, sind bis zu einem gewissen Grade auch für das Gebiet unserer übrigen oftafrikanishen Kolonien entscheidend, sie werden in manchen Theilen allerdings nicht so durhgreifend sein. Für diese treten aber wieder zwet andere Gründe ein, die ernste Beachtung beanspruchen. Einmal liegen die Gebiete, die wegen ihrer geringen Bevölkerung und wegen ihrer gesunderen, klimatisch den Weißen zuträgliheren Verhältnisse ih für den Aufenthalt von Sträflingen eignen würden, so weit im Innern, daß schon der Transport allein Kosten verursahen würde, gegen welche die Kosten der Unterbringung in Gefängnissen bei uus, fehr zurüdcktreten müßten.
Außerdem würde nöthig sein, eine so starke Bewachung dieser Sträflinge vorzusehen — und zwar durch weiße Auf- seher, da farbige Leute für diesen Aufsihtsdienft Weißen gegenüber nicht verwendet werden können —, daß damit die Koften sich noch weiter erheblih steigern würden, Am wenigsten, meine Herren, fallen diese Gründe — obwohl auch noch {wer genug, aber doch im Verhältniß zu den anderen Kolonien am wenigsten — ins Gewicht gegenüber unserer Kolonie Südwest - Afrika. Aber
darüber besteht nah den Berichten des Gouverneurs kein Zweifel, daß in der Kolonie selb| ein Versu mit einer Deportation von Sträflingen der entshiedensten Abneigung begegnen würde. Hier vor allem kommt auch in Betracht, daß die Leute weit ins Innere ge- bracht werden müßten, daß sie unter steter weißer Aufsicht gehalten werden müßten und nah den dortigen Verhältnissen nur für Straßen, Wegebauten, Entwässerung und dergleichen Arbeiten im Freien ver- wendet werden könnten; für Arbeiten, die \sich nicht stabil an einem Ort erledigen, jondern sich von Strecke zu Strecke weiter in das Land hinein bewegen, — ein Umstand, der natürli die Unterbringung und Beaufsichtigung der Sträflinge aufs höchste erschwert. Auch der Gouverneur dieser Kolonie, die, wie gesagt, die verhältniß- mäßig am wenigsten ungünstigen Bedingungen für eine Deportation bieten würde, erklärt, daß wenn man einen Versuh mit diesem Strafmittel mahen wolle, man ihn nur machen dürfe mit einer kleinen Zahl von Gefangenen, höchstens 100, auf die man sh zunächst beshränken müsse, bis weitere Erfahrungen in der Praxis gesammelt sein würden, daß man zweitens keine Ge- fangenen hinbringen dürfe, die wegen Eigenthumsvergehen Strafe er- leiden, weil der Import derartiger Leute im Lande große Beunruhigung erzeugen würde; ‘daß man drittens keine weiblichen Personen hinbringen dürfe, und daß man endlich unter allen Umständen dafür sorgen müßte, diejenigen Deportierten, die ihre Strafen dort verbüßt haben, nit eiwa dort zu lassen, sondern wieder in ihre Heimath zurückzu- führen habe. (Sehr richtig!)
Meine Herren, daß unter solhen Bedingungen von einer Deporta- tion keine Rede sein kann, brauhe ih Ihnen niht auszuführen. (Sehr ridtig!) Meine Herren, wie die Dinge liegen, ist es bei einigen unserer Kolonien in der That nah ihrer ganzen materiellen Entwickelung hon viel zu spät, an Deportationsversuche zu denken, bei anderen Kolonien aber vielleiht noch zu früh, weil das Innere des Landes noch nicht so weit aufgeshlofsen ist, um einen leichten Zugang zu gestatten. Ueberall in der Welt, meine Herren, wo mit Deportation Erfolge erzielt worden sind, haben sie {ih vollzogen in Gebieten, die unmittelbar mit der Küste in Zusammenhang stehen und so auf das leichteste zugänglich waren. Ueberall aber, wo diese Voraus- seßung in unseren Kolonien vorliegt, ist der Versuch einer Deportation nach den Berichten, die wir erhalten haben, ausgeshlossen. Ich glaube nicht, daß die Reichsverwaltung nah den Ergebnissen dieser Er- örterungen vorerst Anlaß haben wird, der Frage nohmals näher zu treten. (Bravo !)
Abg. Auer (Soz.) führt aus, daß man sih also umsomehr damit beschäftigen e wie der Stcafvollzug in Deutschland selbst geregelt werden folle. ie Bundesregierungen hätten sih über die Grundfäßze des Strafvollzugs geeinigt, da eine reihsgeseglihe Regelung jeßt nit mögli sei. Die Journalisten und Schriftsteller beschwerten ih mit Ret darüber, daß ihre Kollegen, die wegen nicht gemeiner Verbrechen verurtheilt seien, wie die gemeinen Verbreher be- handelt würden. Daran - würde durch den Bundesraths- beshluß nichts geändert; auch die Selbstbeköstigung und Selbstbeshäftigung sollte für selche Personen uur ausnahms- weise zugelassen werden. An der Stelle des geseßlihen Rechts bleibe das Belieben der Aufsihtsbehörden bestehen. Man habe die politischen Gefangenen mit Kaffeelesen und Wergzupfen beshäftigt; man lasse den gefangenen Redakteuren keine Zeitung zukommen und transportiere fie in gefefseltem Zustande. Beschwerden bei den zuständigen Instanzen hälfen niht. Einem Redakteur, der sih darüber beschwert habe, daß er mit Stuhlflechten beshärtigt roorden set, sei geantwortet worden, daß diese Arbeit für ihn ausgewählt sei, weil sie reinlich und leiht zu erlernen sei. Das heiße zum Schaden den Hohn hinzufügen. Man sollte nur die Be- handlung der Duellänten, z. B. des Grafen Uexküll, mit der Be- handlung ter politischen argen ¿- B. des Dr. Wrede, vergleichen,
dessen Gesundheit dur die Festungshaft ruiniert worden sei, jodaß er sih der Haft entzogen habe.
Staatssekretär des Reichs-Justizamts Dr. Nieberding:
Meine Herren, die leßte Frage, die der Herr Vorredner an mich gestellt hat, wann wir zu einer geseßlichen Regelung des Strafvollzugs kommen würden, habe ih bereits mehrmals Gelegenheit gehabt, im Hause zu beantworten, und zwar dahin zu beantworten, daß, wie die Dinge jegt liegen, eine geseßlihe Regelung des Strafvollzugs unmög- lich sei, so lange wir die Revision des Strafgeseßbuchs nit hinter uns haben, eine Revision, die uns ja in nit zu langer Zeit si aufdrängen wird. Die Bestimmungen des Strafgeseßbuchs über den Strofvollzug sind bekanntlih so unvollständig, daß sie in dieser Art neben einem Geseg, das den Strafvollzug ausführlich regelt, nit bestehen bleiben kann. Außerdem bedarf es noch weiterer Bestimmungen neben dem Straf- vollzug, insbesondere über die Strafart und Strafzumefsung bei jugendlihea Personen, bei Frauen, über die bedingte Verurtheilung, über die Verhängung kurzer Freiheits\trafen und vieles andere — alles Sachen, die auf Art und Umfang der Strafvollzugs-Einrichtungen für Freiheitsstrafen so erheblih einwirken werden, daß es vergebliche Mühe sein würde, jeßt mit dex Ordnung des Strafvollzugs zu beginnen, um dann später die Art der Bestrafung, auf der der Straf- vollzug doch beruht, im Strafgeseßbuch einer Revision zu unter- ziehen. Jh bin überzeugt, daß wenn die Revision des Strafgeseßbuchs erst zu Ende geführt sein wird, au die Ordnung des Strafvollzugs dann nahkommen wird; denn niemand zweifelt daran, daß eine einheitliche Regelung des Strafvollzuges in Deutschland eine nothwendige und unerläßlihe Ergänzung unseres Strafgeseßbuches bildet.
Nun hat der Herr Vorredner die vorläufigen Bestimmungen be- rührt, über die der Bundesrath si geeinigt hat, niht um die Sache damit zum Abschluß zu bringen, sondern um die spätere geseßliche Regelung vorzubereiten und zu erleichtern; denn es ist immer s{hon eine Erleichterung, wenn einmal die Gefängnißverwaltungen gehindert werden, weiter in ihren Einrichtungen auseinanderzugehen, als sie bis dahin auseinandergegangen waren, und über gewisse Punkte stch zu verständigen, die his dahin unter ihnen s\trittig gewesen waren. Darin liegt doch schon eine Annäherung an das gemeinsame Recht. Ist eine s\olche Einigung erfolgt, dann wird es zweifellos später leihter werden, diejenige Verständigung unter den verbündeten Regierungen herbeizuführen, die erforderlich ift, um die geseßliche Regelung des Strafvollzuges an den Reichstag zu bringen. Meine Herren, der Herr Vorredner hat nun betont, daß es doch wenigstens möglich gewesen wäre, für die Preßdelikte, für die politishen Vergehen besondere Vorkehrungen be- hufs eines milderen Strafvollzugs zu treffên. Nein, das ift nicht möglich; denn wir würden damit in Widerspru kommen mit dem Strafgeseyßbuch. Unser Strafrecht kennt keine besonderen Straf- bestimmungen für einzelne Berufsarten ; ebensogut wie die Presse be- sondere Beftimmungen über den Strafvollzug in Anspru nehmen Flönnte, tönnten au andere Berufszweige dies in gleiher Weise
,
in Anspru nehmen; denn auch andere Berufszweige werden den Anspruch erheben, daß ihre Vertreter aus Leuten bestehen, die auf höhere Bildung sich berufen können, denen bei etwaigen Strafthaten gemeine Gesinnung fern gelegen habe. Aber das Straf- geseßbuch gestattet niht, nah dieser Richtung hin Bevorzugungen für einen besonderen Stand eintreten zu lassen, wir können Bevorzugungen
für keinen anderen Stand, aber deshalb auch für die bei der Presse
beschäftigten Bestraften nit eintreten lassen. Was uns das Straf- gesezbuch gestattet, das ist, Rücksiht zu nehmen auf die individuellen Verhältnisse der einzelnen Bestraften, auf ihre Vorbildung, auf ihre Gesundheit, auf ihren bisherigen Beruf, auf ihre Beshäftigung. Nun hat der Herr Vorredner do gerade anerkannt, daß die Bestimmungen, die der Bundesrath bis jeßt getroffen hat, im wesentlichen dem ent- sprechen, was nah dieser Richtung überhaupt gewünscht werden kann. Der Herr Vorredner hat aus ihnen den § 18 zitiert und ausdrücklih festgestellt, daß es danach mögli sei, auf die Verhälinisse der ein- zelnen Gefangenen bezügli des Arbeitszuweises besondere Rücksichten zu nehmen (Zuruf bei den Sozialdemokraten) — ja, wir wollen do erft einmal abwarten, ih komme gleih darauf, lassen die Herren mi do erst aussprehen — Rücksicht zu nehmen auf das künftige Fortkommen, auf den Bildungsgrad, auf die Berufsverhältnifse. Mehr hat der Herr Abg. Auer bei seinen Ausführungen über gewisse Einzelfälle au nicht verlangt, und wenn der Bundes- rath \sich in diesem Punkte über grundsägliche Bestimmungen geeinigt hat, so, sollte ich meinen, wäre es richtiger, dies anzuerkennèn, als aus der Vergangenheit Beispiele heranzuziehen, die jedenfalls nicht dafür angeführt werden können, daß diese Bes stimmungen ungenügend seien, denn diese Bestimmungen werden noch nit überall durhgeführt sein; sie können natürli nicht fo, wie sie vom Bundesrath beschlossen sind, zur Ausführung kommen, fondern sie bedürfen noch näherer Ausführungsbestimmungen von fetten der einzelnen Regierungen für deren Strafanstalts - Verwal- tungen. Dann hat der Herr Abg. Auer selbst hervorgehoben, daß besondere Rücksichten geftattet seien bei der Beköstigung der Gefangenen insoweit, daß auch die Gesundheitsverhältnisse — oder vielmehr, er hat dies eigentlich nicht hervorgehoben, er hat es über- sehen, den Abs. 2 der betreffenden Vorschrift anzuziehen, er hat hervorgehoben, daß die Beköstignng bei den Gefangenen durhäängig die gleiche scin sollte, und hat daran den Vorwurf geknüpft: das sei ungenügend, gleihe Kost sei für vershiedene Menschen etwas sehr Verschiedenes. Ja, da hätte der Herr Abg. Auer doch auch den zweiten Absaß der Bestimmung, die er dem Hause mitgetheilt hat, verlesen sollen, worin ausdrüdlich teht, daß, wo zur Erhaltung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit es geboten sei, Ab- weihungen von der allgemeinen Kost zugestanden werden, und ¿war auf Gutahten des Arztes und nach Bestimmung des Vorstandes der Anstalt. Also der Rücksicht, die der Herr Vorredner auf die Gesundheitsverhältnisse und die Arbeitsfähigkeit des einzelnen Mannes bei der Zutheilung der Kost genommen haben will, wird durch diese Bestimmung Rechnung getragen. Ih glaube, er hätte auh billigerweise diese Bestimmung anführen sollen; daß aber diejenigen Leute, die gesund und kräftig sind, in der Kost nicht verschieden geftellt werden dürfen, wenn die Gerechtigkeit überhaupt zu ihrem Rechte kommen soll, ist klar, und daß man nit gestatten darf, daß Leute, die die allgemeine Kost vertragen, doh aus besonderer Rücksiht eine bessere Kost bekommen als die anderen Sträflinge, das werden Sie doch wohl nicht bestreiten wollen.
Nun hat der Herr Abgeordnete angeführt, auf die Presse nähme man keine Rücksiht, aber auf diejenigen Sträflinge, die wegen eines Duells beftraft werden, nähme man in der Art ihrer Haft besondere Rücksiht. Daß bei dem Duell eine andere Art der Haft eintritt, liegt aber darin, daß für fole Fälle eine besondere Strafe im Strafgeseßbuch aus- drücklih vorgesehen ist, nämli die Festungshaft. Soweit, wie das Strafgeseßbuh es gestattet, wird natürli auf die einzelnen Arten von Vergehen Rücksiht genommen, aber niht darüber hinaus.
Der Herr Abgeordnete hat dann hervorgehoben, daß auch bei Verhängung der Festungshaft sih Beispiele dafür anführen lafsen, daß die einzelnen Sträflinge ungleich behandelt würden, und hat je eines Falles aus Stuttgart und Weichselmünde Erwähnung gethan. Ja, meine Herren, ih kann au hier nur sagen, ih bedauere, daß der Herr Abgeordnete mir nit zuvor davon Kenntniß gegeben hat, daß er diese Fälle zur Sprache bringen wolle; denn er kann nicht annehmen, daß ih über die betreffenden Verhältnisse soweit orientiert bin, um seine sehr in Einzelheiten gehenden Ausführungen zu widerlegen. Ih muß nur bemerken, daß der Fall, der in Stuttgart ge- spielt hat, meines Erinnerns unter die Militärverwaltung gehört, daß der zur Festungsstrafe verurtheilte Offizier wahrscheirlich in militärisher Haft \ihch befindet. Die Ziviljustiz- verwaltung kann über diesen Fall daher keine Auskunft geben. Der Herr Abgeordnete ist ja in der Lage, bei dem Etat der Militärverwaltung die Auskunft, die er etwa wünscht, zu erbitten. Mir aber zwei solher Fälle entgegenzuhalten und daraus herzuleiten, es habe offenkundig eine ungleihe Behandlung Play gegriffen, das, meine Herren, weise ich zurü. Jh lehne eine Diskussion \olher Art ab, die auf un- gleihem Boden sih bewegt, und die Herren, die immer dafür ein- treten, daß man doch mit gerechtem Maße messen solle, sollten zunächst darin gereht sein, daß sie mir gestatten, auch meinerseits mih zu in- formieren, damit ih meinerseits das Haus gerade so unterrichten kann, wie sie das thun. (Sehr richtig!)
Nun hat der Herr Abgeordnete gewissermaßen das Bedürfniß gehabt, ih zu entshuldigen, daß er hier eine Menge von Fällen vor- gebraht hat, bei denen die humanen Rücksichten außer Betracht ge- blieben seien, auf die die Gefangenen nah seiner Meinung Anspruch erheben können. Er meinte: wenn das, was er vorbrachte, einzelne abnorme Fälle gewesen wären, dann würde er bereit gewesen sein, mich vorher zu unterrihten, aber das sei alles nur der Ausdruck der herkömmlihen Ordnung der Dinge; so wie in diesen Fällen, gehe es überhaupt in den Gefängnissen zu, und deshalb habe er eine vorherige Mittheilung nit für nöthig gehalten. Ja, da frage ih, weshalb denn nicht in diesem Fall? Kann er von mir verlangen, daß ich über die Verhältnisse in den Anstalten, wie sie nah seiner Meinung si durchgängig gestalten, unterrihtet bin? Daß die bestehenden Vorschriften seinen Schilderungen nicht entsprehen, wird er mir selbst zugeben; jedenfalls bestreite ich, daß die Vor- schriften dahin gehen. Wie aber, ganz abgesehen von den formellen Vorschriften, die Verhältnisse im Ganzen und Großen in der Praxis
liegen und ob die Fälle, die er angeführt hat, in der That der Ausdruck
der gang und gäben Praxis sind, kann ih nicht obne weiteres beantworten