1898 / 35 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Wed, 09 Feb 1898 18:00:01 GMT) scan diff

en b 4 vertreten werden. Damit verlasse ih_ Punkt. Wir er- ennen an, A nah den heutigen Ausführungen des Herrn Staatssekretärs, daß die Besizergreifung von Kiaotschau im wirths aftlihen wie im politishen Interesse des deutshen Vaterlandes ‘eine dankenswerthe That war. Wir enthalten uns auch eines er- neuten Eingehens auf die selb|t von dem Staatssekretär in der udgetkommission zugestandenen Mängel auch dieser im Verhältniß sehr lüd@lichen Occupation. Wir Een au im Augenblick darauf, ie von mir in der Budgetkommission angeregte Kostenfrage weiter “zu verfolgen. Die Person des Staatssekretärs und feine heutigen Musfübrungen P uns die Gewähr, daß man auch in Bezug auf die finanzielle Seite der Entwickelung der Angelegenheit dié Vorsicht walten lassen wird, die man in Bezug auf die politishe und wirthschastlihe Seite bis jeßt in anerkennens- werther Weise und mit bestem Erfolg hat ‘walten lassen. So wünschenswerth ein MAS für die Kriegéflotte ist, um so mehr Interesse wird der Handel an einem solchen Stüßpunkt haben, der ihn unabhängig macht von dem Auslande. Ein besonderes Wort der An- erkennung und des Dankes i das wir ausfprechen für den Schuß der deutschen Missionen in Süd-Shantung; wir sind dem Auswärtigen Amt von Herzen dankbar für die Erfüllung dieser Ehrenpflicht der deutschen Natton, In keinem Parlament werden die Erklärungen, die wir heute gehört baben, bei den national gesinnten Parteien des Echos entbehren. Dieses Vertrauen auszusprehen, ist für mich etne ehrenvolle Aufgabe, die mir meine Partei aufgetragen hat.

Abga. Dr. Barth (ie Vag.): Meine Freunde haben die afrikanische Kolonialpolitik von Anfang an mit der größten Skepsis verfolgt. Was die chinesische Kolonialpolitik, um diesen Ausdruck zu gebrauchen, anbetrifft, so liegt die Sache anders. Die Einleitung dieser Politik hat einen wirthschaftlichen Ursprung; es wird die Aufschließung Chinas in den nächften Jahrzehnten s{neller vor sih gehen, als früher in Jahrhunderten. Für theoretische Erwägungen hat die chinesische Regierung niemals: große Aufmerksamkeit gezeigt. Man muß ihr egenüber ein nahdrüdcklihes Gewicht politischer Macht in ' die Wag- ale werfen. Deswegen kann ich es nur billigen, daß man die passende Gelegenheit ausgenußt hat. Jh möchte fragen ob nit in China in unserer Interefsensphäre eine freie Konkurrenz aller Nationen aan werden soll, während wir denselben Anspruch in den JInteressensphären der anderen Nationen erheben. Dieser Punkt würde von großer Bedeutung sein für die wirthshaftlihe Entwikelung in allen: überseeishen Gebieten. Wir haben allen Grund, in freund- lihen Beziehungen zu England zu bleiben. Unsere Industrie kann die Konkurrenz mit es anderen, auch der englishen, in den noch aufzuschließenden Märkten . aufnehmen. Eine zweite Frage betrifft Kreta. Es ift mißlih, dieser Frage eine bestimmte Pointe zu geben. Ich möchte dem Staatssekretär anheimgeben, in welher Form er antworten will.

Ti Staatssekretär des Reichs - Marineamts, Kontre - Admiral rpiß:

Meine Herren! Ih möchte anknüpfen an die!:Worte, die der Herr Abg. Dr. Lieber in Betreff der Rede des Prinzen Heinrich in Kiel beim Abschied gesagt hat. Ih glaube nicht, daß die Rede eines Admirals bei einem militärishen Feste, und selbs wenn er ein König- liher Prinz ist, hier Gegenstand der Erörterung sein foll, Meine Herren, wer selbst erlebt hat, was es heißt, hinauszugehen auf Jahre in eine ungewisse Zukunft auf s{chwankendem Element und scheiden zu müssen von Frau und. Kind, wird einen anderen Maßstab an die Worte legen, die in einer solhen Abschiedsstunde gesprochen werden. Nichts hat dem Prinzen Heinri, Königliche Hoheit, der ein tief- religiöser Herr ift, ferner gelegén, als irgendwie religiöse Gefühle verlegen zu wollen. Uns, die wir dabet gewesen sind, ist der Gedanke auch -niht gekommen, wir haben ihn erst später aus den Zeitungen entnommen.

Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Staats-Minister von Bülow:

Auf die erste Anfrage des Herrn Vorredners aus dem Hause möchte ich erwidern, daß die Freihafenstelung von Kiaotshau auch meines Grahtens in Zukunft wohl am meisten unseren Handels- interessen entsprehen möhte. Jh möchte uns aber nameutlih dem Auslande gegenüber nicht von vornherein fefllegen (sehr richtig !), sondern ich glaube, es ift am besten, wir halten uns unabhängig, wie die Engländer in Hongkong dies meines Wissens gethan haben und thun. (Sehr richtig !)

Der Herr Abg. Dr. Barth hat ferner den Wunsch geäußert, näheres zu erfahren über unsere Stellung zu Kreta. Jn unserer Haltung Kreta gegenüber hat sich nichts geändert, seitdem wir uns in der Budgetkommission über dieses Thema unterhalten haben. Wir haben an Kreta nach wie vor keine anderen Interessen, als daß das- selbe niht zum Erisapfel und niht zur Brandfackel werde. (Lebhafte Rufe: Sehr richtig!) Wie die für Kreta neugeplante Verfaffung im einzelnen ausfallen, und wer das Vergnügen haben wird, die interessante Insel als Gouverneur zu regieren (große Heiterkeit), kann uns an und für sich vollständig gleichgültig sein. (Bravo!)

Wir sind allerdings der Meinung und dieser Vieinung haben wir auch afkademischen Ausdruck gegeben —, daß es sich empfehlen würde, bei der Neuregelung der kretensfishen Verhältnisse auch die Minorität der Bevölkerung zu berücksihtigen. Dauernder Friede wird auf Kreta nur herrshen, wenn das muhammedanishe Dritttheil der Bevölkerung Sicherheit für Leben und Eigenthum erhält. (Sehr richtig!) Dabei kommt es uns aber mehr auf den Frieden an als auf die Muselmänner. (Sehr gut!) Die bekannten Knochen des pommerschen Grenadiecs werden wir für die eine, wie für die anderen der sih auf Kreta bekämpfenden Gruppen ebenso wentg aufs Spiel wie die Faust unserer braven Matrosen in Bewegung seten.

Um das europäische Konzert aufreht zu erhalten, haben wir uns bisher allen denjenigen Entscheidungen der anderen Mächte ange- \{chlofsen, über welWhe sich alle übrigen Mächte geeinigt haben. An dieser Praxis denken wir auch fernerhin festzuhalten (sehr richtig !), sofern niht Anträge an uns herantreten sollten, durch welche uns eine Verantwortung aufgebürdet werden sollte, die nicht in den Rahmen unserer vorsihtigen und reservierten Orientpolitik paßt. (Sehr gut !) Es ift ja nicht nöthig, daß in einem Konzert und auch im euro- päishen Konzert jeder dasselbe Instrument spielt. (Heiterkeit. Seéhr gut!) Der Eine {lägt die Trommel (Heiterkeit), der Andere Aößt in die Trompete (Heiterkeit), der Dritte hält die große Pauke in der Hand. (Große Heiterkeit.) Wir bliesen in Konstantinopel die Flôte diplomatisher Einwirkung und Ueberredung, und, wir bliesen sie

nicht umsonst. (Sehr gut! und Heiterkeit.)

Denn gerade weil die Pforte weiß, daß wir ihr ganz objektiv gegenüberstehen, konnten wir ihr in enisheidenden Momenten, wie beispielsweise als es sich darum handelte, ob die Türkei dem be- fiegten Griechenland den von diesem erbetenen Waffenstillstand ge- währen oder den Vormarsch auf Athen fortseßen sollte, sagen, daß es nicht weise von ihr sein würde, sh den vereinigten Wünschen aller europäischen Mächte entgegenzusegen. An einem positiven Druck auf die Pforte werden wir uns aber nit betheiligen, (Sehr gut!) Wir

at. Diese Hi es 8 des Regierungs-

“berehenbare sind, und weil wir da in der Türkei und anderswo allerlei Ueberroshungen erleben könnten. S :

Was aus Kreta \{ließlich werden wird, kann ich Ihnen auch beim besten Willen nicht sagen (große Heiterkeit), und kann Ihnen niemand sagen. Das ruhet im Schoße der seligen Götter. Das aber kann ich Ihnen sagen, daß Deutschland \ich: nicht hinetnzichen lassen wird in die Komplikationen, die unter Umständen aus der kretishen Frage hervorgehèn Eönnten, und daß wir dafür sorgen werden, daß der kretensische Wogenprall nicht an der deutshen Küste brandet.

Daraus ergiebt sich auch unsere Stellung gegenüber der Kandidatur des Prinzen Georg von Griehenland für den Gouverneursposten von Kreta. Wenn ih die Pforte im guten mit allen Mächten über diese Kandidatur geeinigt hätte, so würden wir selbstverständlich nicht Nein gesagt haben. Eine Pression auf die Pforte machen wir aber nit mit. Wenn Streit entsteht, treten wir ruhig bei Seite (sehr gut !); wenn Differenzen laut werden, legen wir die Flöte {till auf den Tisch und verlassen den Konzertsaal. (Große, andauernde Heiterkeit.) Das entspriht sowohl unserem Friedensbedürfniß wie unserer Uninteressiertheit in orientalisGen Dingen und in Mittelmeer-Fragen. Wir setzen uns dadurh auch nicht in Widerspru zu Rußland, mit dem wir niht nur dur alte und ehrwürdige Traditionen; sondern auch durch viele und wichtige politishe Interessen verbunden sind (sehr richtig !), und von dem uns ih habe es heute hon einmal konstatiert kein irgendwie tiefergebender Gegensaß trennt. Wir widersegen uns weder Rußland noch Frankreih, noch England, noch irgend einer anderen Macht. Wir betheiligen uns nur nicht an S{hritten, welche be- deuklihe Folgen haben könnten, und wir übernehmen keine Ver- antwortlihkeit für Beschlüsse, die wir für gefährlich halten.

Es ift ja, meine Herren, wie ich wohl weiß, hier und da in Europa die Ansicht verbreitet, als ob unsere Haltung gegenüber den orientalishen Wirren keine ganz unparteiishe wäre. Diese Ansicht entspriht aber niht den thatsächlihen Verhältnissen. Unsere Politik gegenüber dem griehisch-türkishen Streit ist von Anfang an und bis zuleßt sine ira et studio geleitet worden, Wir waren und wir sind ebenso weit entfernt von blinder Parteinahme für den einen; wie von irgend welcher ünberechtigter Nanküne gegen den anderen Theil. Die deutsche Politik hatte von Anfang an gegenüber dem griehis{-türkishen Kriege nach unserer Auffaffung aus zwei große Interessen: Einmal das Interesse an der Aufrehterhaltung des Friedens, dann aber das Interesse, daß die lange verkannten und fo wohlberechtigten Ansprüche der deutschen Gläubiger Griechenlands endli befriedigt würden. (Lebhafter Beifall.)

Von dem ersten Gesichtspunkte, dem Wunsche der Erhaltung des Friedens, waren alle Demarchen inspiriert, die Deutschland allein oder gemeinsam mit anderen Mächten in der kretishen Frage unter- nommen hat. Und wenn es seiner Zeit auch nit gelungen ist, das in Kreta entstandene Feuer im Keim zu ersticken, wurde dasselbe doch [okfalisiert, und erreicht, daß der Brand nicht die anderen Balkanvölker und damit voraussichtlich Guropa ergriff. Allerdings, meine Herren,- ist das Gewicht, das große Schwergewiht der deutschen Politik in „die Schale, die Neiche wägt“, nicht geworfen wo: den zu Gunsten der Griechen. Das kam aber zunächst daher, daß in dem vergangenen griechis{-türkt- schen Kriege die Griehen der angreifende, die Türken aber der ange- griffene Theil waren. Nun entspricht es aber nicht den Traditionen der deutschen Politik, fich zu ereifern für denjenigen, der unbesonnen einen Streit beginnt. Dazu kam noch eine andere Erroägung, die ih mi garniht scheue, auch an dieser Stelle ganz ofen auszusprehen. Die Griechen hatten dur die Art und Weise, roie sie ihren Ver- pflihtungen gegenüber ihren deutshen Gläubigern, einem sehr achtungswerthen und sehr beachtungswerthey Theile des deutschen Volkes, kleinen Leuten, kleinen MNentnern, Leuten, die zum ‘theil ihre ganzen Ersparnisse in griehischen Werthen angelegt hatten, nachgekommen oder vielmehr nit nahgekommen waren (Heiterkeit), niht gerade dazu beigetragen, \sich unsere Sympathien zu sichern. (Sehr wahr!) Und wenn ich dem griechischen Volke, für dessen Emanzipation unsere Väter und Großväter ges{chwärmt haben, einen aufrichtigen Freundesrath ertheilen dürfte, so würde es dieser sein, nah Wiederherstellung des Friedens ih vor allem der Ordnung seiner inneren Angelegenheiten und ganz besonders der Sanierung seiner Finanzen zu widmen. Les bons comptes font les bons amis, zu deutsch: Zahle deine Schulden, und das übrige wird ih finden. (Heiterkeit.)

Im übrigen bleibt es für uns in orientalisGen Angelegenheiten bei dem erprobten Grundsatze, daß wir nur da zu haben sind, wo es sch um die Wahrung und Stärkung des Friedens handelt. Denn wenn ih auch weit entfernt bin, wie der Bürgersmann im „Faust“ es hübsch zu finden, wenn hinten weit in der Türkei die Völker auf ein- andershlagen (Heiterkeit), so glaube ich do, daß es auf diesem Ge- biet die erfte Pflicht der Regicrung if, dafür zu sorgen, daß, was auch kommen möge, der Deutsche in seinem Lande in Rube sein Gläëhen trinken kann und segnen Fried? und Friedenszeiten. (Leb- haftes Bravo!)

Abg. Dr. Hasse (nl): Wenn wir die Freude hatten, daß Kiaotschau von Deutschland beseyt wurde, so liegt das an der Tüch- tigkeit unserer Flotte. Es giebt kaum einen Punkt an der chinesis{chen Küste, der so gut für die Ansiedelung von Deutschen ih eignete, wie dieser. Die Ermordung katholischer Missionare ist mit Recht benutzt worden. Ich hoffe, daß wir über die Sühne für die Ermordung eines evangelishen Missionars auch etwas Erfreuliches erfahren werden. enn die Beseßung von Kiaotshau \ich fo glatt voll- zogen hat, ohne daß fcemde Mächte Widerspruch erhoben oder diesen Widerspruch mit den Waffen in der nd bethätigt hätten, so ift das sehr erfreulich. Die Chinesen selbst sind durchaus befriedigt über die Fußfafsung Deutshlands. Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß große Mittel für Hafenbauten und Befestigungen von uns verlangt werden. Durch die Konzessionen, welche an Deutschland gewährt sind, hat das abgetretene Gebiet erst recht Be- deutung erlangt. Ueber die endgültige Verwaltung sind noch keine Beschlüfse gefeßt: Es wäre angezeigt, die Verwaltung vielleiht dem Auswärtigen Amt resp. der Kolonial-Abtheilung zu unterstellen. Aber die Marineverwaltung hat die erften vorbereitenden Schritte gethan; es ist zweckmäßig, wenn sie einheitlih die Verwaltung in der Hand behält. Die Erwerbung felbst und die Art derselben halte ich für ein außerordentli lüdliches Ereigniß, für dessen Dur(- führung wir der Reichsregierung zu lebhaftem Dank verpflichtet

find. Dem Abg. Bebel möchte ich entgeguen, daß es fih hier niht um ein erstes Stück der Weltpolitik handelte, sondern daß wir uns hon lange in der Entwicckelung! . dieser Verhältnisse befinden. Denn in Ost-Asien fahren deute Swiffe zroishen fremden F und befördern einen großen Theil der mehr als 20 Millionen onnen umfäfsenden Frachten. Diese Weltpolitik ist lange vorhanden,

ter in weiten af „uit den beften Ein- Pas das son deshalb nit, weil die Folgen eines folhen un- esen

und es werden daraus nur die gER Konsequenzen gezogen, „Herr

Bebel hat die Beseßung von Kiaotshau mit dem Einfa rans- vaal verglichen und hat allerlei wirthschaftlihe Erörterungen arte eknüpft, dahin gehend, daß nur die Kapitalisten, aber nit die Ar- eiter davon Vortheil haben, er hat auch die Chinesfengefahr an die Wand gemalt. Die Chinesengefahr in der Gestalt der Einfuhr hinesisher Waare und Menschen ift nicht zu untershäßen. Aber es ehlt mir der Eg mit der Beseßung der Kiaotschau-Bucht. adur, daß fih das deutshe Kapital an Unternehmungen in China betheiligt, wird die Gefahr an sich nit vergrößert. Dafür würden meine politishen Freunde aber nit zu haben fein, chinesishe Arbeiter für die deutsche Landwirthschaft einzuführen, Damit werden sih nur einige Theoretiker beshäftigen. (Zwischenruf: Auf den Dampfern!) J habe noch niemals einen chinesischen Me auf einem Elbdampfer gesehen. Die Reihe unserer geseßlidhen oten muß abgeschlossen werden dur ein Ginwanderungs8geseß zur Abwehr der “Gefahr der Einwanderung aus Böhmen, Polen und aus China." Wie aber Herr Bebel \sih gegen die Einwanderung des internationalen Proletariats aussprechen kann, das verstehe ih nicht. Gegen 6 Uhr wird die Weiterberathung auf Mittwoch 2 Uhr vertagt.

Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten.

16. Sißung vom 8. Februar 1898. Ueber den Beginn der Sißung ist {hon berihtet worden. Nach Erledigung kleinerer Vorlagen folgt die Verlesung der Jnterpellation der Abgg. Haacke, Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. fon) und Genossen :

„Ist die Ae Staatsregierung bereit, Mittheilung darüber zu machen, ob die in der Thronrede verheißene Vorlage, betreffend die Neuregelung Und Verbesserung des Dienstein- Tommens der Geistlihen beider Konfessionen in der nächsten Zeit zu erwarten ift, gegebenenfalls aus welchem Grunde die Einbringung der Vorlage sich verzögert ?*“

Der Minister der geistlichen 2c. Angelegenheiten D. Dr. Bosse erklärt sih bereit, die Jnterpellation sofort zu beant- worten, und führt nah Begründung derselben durch den Abg. Haake Folgendes aus:

Ich beantworte die gestellte Anfrage namehs der Königlichen Staatsregierung dahin: Nachdem der Landtag der Monarchie die Königliche Staatsregierung in der leßten Session dur Resolutionen aufgefordert hatte, auf dem Wege der Geseßgebung für die Aufbesse- rung und Regelung der Gehälter der Geistlichen zu sorgen, hat \sich die Staatsregierung alsbald mit den geordneten Organen der evangeli- {en Landeskirhen und der katholishen Kirhe in Verbindung geseßt, Die evangelischen Kirchen hatten sich über eine ‘gesezlihe Regelung des Pfarrerbesoldungswesens auf der Grundlage der Errichtung einer für alle Landeskirchen gemeinsamen Alterszulagekasse verständigt, und die sechs betheiligten obersten Synoden haben die betreffenden Kirchengesetz- entwürfe inzwischen sämmtli angenommen, Wie aus dex Presse und auch wohl dem Herrn Interpellanten bekannt ist, hat die leßte der gehörten Synoden, die General-Synode des Konsiftorialbezirks Cassel dem Kirchengesey erst am 29. Januar endgültig zugestimmt. Es liegt auf der Hand, daß es niht möglich gewesen ist, in den aht Tagen, die seitdem verflofsen sind, die Allerh&ch|e Genehmigung zur Einbringung des erforderlichen Staatsgesezentwurfs herbeizuführen. Die hierzu nötbigen Vorarbeiten werden jedoch mit der größten Be- s{leunigung fertiggestelt, und der in der Thronrede an- gekündigte Gesegentwurf wird dem hohen Hause in der nächsten Zeit vorgelegt werden. Wir selb haben das lebhafteste Interesse daran. Die Verhandlungen mit den Herren Bischöfen sind gleihfalls eingeleitet. Sie sind noch nicht zu Gnde gebracht. Jch hoffe indessen, daß es gelingen wird, {on im Interesse der Parität, auch den für die katholische Kirche bestimmten Geseyzs- entwurf in der nächsten Zeit dem hohen - Hause zugehen zu lassen. Von einer materiellen Erörterung der ganzen Frage nehme ih bei dieser Lage der Sache zur Zeit Abstand, umsomehr, als der Herr

. Intexpellant sie selbs nicht gewünscht hat und wir in wenigen Wochen

uns nothwendig über diese Seite der Sache unterhalten können, und auch um deswillen, weil sich die Wünsche der Staatsregierung und dieses hohen Hauses sich vollständig begegnen,

Mtèeine Herren, ih gebe mih der Hoffnung hin, daß wir endli zu einem gedeihlihen Abschluß dieser überaus wichtigen und dringenden Angelegenheit kommen und uns darüber in verhältnißmäßig leichter Weise verständigen werden. (Bravo !)

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (kons.) beantragt die Besprehung der Jnterpellation.

__ Abg. Freiherr von Zedlig und Neukirch (fc. konf.) erklärt, seinerseits nach der eben gehörten Erklärung des Kultus-Ministers keinen Anlaß zur Besprechung zu haben.

Abg. Dre. Porsch (Zentr.) {ließt sch dem Antrage auf Be- sprechung an. i u /

« Der Antrag wird genügend unterstüßt.

Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (konf.): Damit niht der Anschein entsteht, als ob nicht auch in unserer Fraktion ein ebenso warmes Herz für die Geistlichen vorhanden wäre, daß wir ihnen niht wirksam entgegenkommen wollten, konstatiere ih, daß im vorigen Jahre ein Antrag unserer Partei die erung gefordert hat und die Majorität des Hauses sih auf unseren Antrag vereinigt bat, der die Unterlage für das geseßgeberische Vorgehen bilden foll. Auf die Sache selbfi einzugehen, trage i Bedenken; ih erahte es au nit für zwedmäßig, alles Uebrige in den Kreis der Besprehung hinein- zuziehen, wie es der Herr Suterpellant gethan hat. Wir werden den

Geseyenitale! abwarten, an ihn mit Wohlwollen herantreten und die wie wir hoffen ausreichend vorgesehene Besserstelung der Geist- Alles Uebrige bes

lichen so früh wie möglich in Kraft treten lassen. halten wir uns vor, bis die Vorlage da ift.

Abg. Dr. Por f ch (Zentr.): Namens meiner Freunde kann ih mich diesea Ausführungen anschließen und kann mir versagen, einige Ausführungen des Abg, Haacke richtig zu stellen. Jh habe die Bemerkung des Ministers, daß auch für die katholishe Kirche ein Gesetzentwurf vorgelegt werden kann, gern gehört und hoffe, daß die Vorlegung auf Grund der Vereinbarung mit den Bischöfen statt- Lnden kann und die Verhandlungen mit diesen möglichst schnell zu

nde Tommen.

Abg. Dr. Sattler (nl): Jch brauhe mih materiell niht zu äußern, zumal ih bei der ersten Lesung des Etats die Stellung meiner Freunde zu der zu erwartenden Vorlage skizziert habe. Wir egrüßen die Erklärung des Ministexs mit Freude, daß die Vorlage in nächiter

eit kommen foll, weil wir überzeugt sind, daß fie einer dringenden Nothlage abzuhelfen bemüht ist. Wir hoffen, daß wirklich dieser Zeitpunkt möglichst nahe ist, damit anl noch die nothwendigen Zu- wendungen für das Jahr 1898/99 den betreffenden Herren zu theil werden. Ich verzichte gegenwärtig auf weitere Ausführungen und verweise nur darauf, daß wir dem ganzen Unternehmen mit größtem Wohlwollen gegenüberstehen und in der Gehaltsaufbefserung der Geistlichen ein absolut dringendes Erforderniß erblicken.

(Schluß in der Zweiten Beilage)!

zum Deutschen Reichs-A

M 35.

Zweite Beilage

Berlin, Mittwoch, den 9. Februar

{Schluß aus der Ersten Beilage.)

Aba. Dr. Langerhans (fr. Volksp): Nah dem, was Herr

ade jagte, muß ih Ciniges bemerken, weil man sonst sagen könnte: qui tacet, consentire videtur. J stimme aus wesentlihen Gründen nicht zu. Wir haben weder einen evangelishen, noch einen katholischen, noch einen paritätishen Staat, sondern einen Staat mit völliger Religionsfreiheit. Wenn wir anfangen, uns um einzelne Religionen zu kümmern und ihre Prediger zu Staatsbeamten zu maen, so thun wir weder dem Staat noch den Kirchen einen Dienst, im Gegentheil, das würde Staat und Kirche in großem Maße stören. Wie können wir über das Gehalt der Prediger bestimmen? Wir haben nit ein Wort bei der Anstellung mitzusprehen, auch nicht in der Frage, wie viel Prediger angestellt werden sollen ; das machen die Kirchen unter ih. Wenn die Religionsgesellshaften nicht soviel Ueberzeugung von der Wichtigkeit ihrer Kirche haben, daß sie ein Scherflein geben, damit

ihre Prediger leben können, so ist ihre chriftlihe Ueberzeugung nit | Man kann also nicht sagen, daß im ganzen Hause zu- ?

viel werth. gestimmt wird. i i / :

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. kons.): Diese Aeußeotungen nöthigen mi doch zur Erwiderung. Abg. ‘Langerhans scheint die Geschichte unseres Staates und der katholischen und evan- gelischen Kirche nit zu kennen, sonst wüßte er, daß es eine Ehren- pflicht des Staates ist, mit Nückfiht darauf, daß er in der Zeit der Noth die Kirhengüter für ftaatlihe Zweckde eingezogen hat, auch für die reichlihe Dotierung der Pfarreien zu sorgen. Der preußische Staat soll seinen Ehrenpflichten, auch wenn sie nicht auf der Bet- fassung basiert find, genau ebenfo genügen, wie den verfassungsmäßigen. Abgesehen von dem Abg. Langerhans und seinen, in diesem Hause glückliher Weise nicht sehr zahlreichen politischen Gefinnungsgenossen, wird auf allen Seiten des ‘Hauses die Aufbesserung der Gehälter der Geistlichen als ei. dringendes Bedürfniß anerkannt, und ih hoffe, daß die Regierung daraus einen noch stärkeren Anlaß herleiten wird, möglichst rasch mit der Voclage zu kommen. |

Ein Schlußantrag des Abg. von Arnim wird abgelehnt.

Abg. Dr. Laugerhans: Die Gründe, die Abg. von Zedliß anführte, habe ich wohl gekannt, aber ih denke, daß die Verpflich- tungen, die der Staat bei der Einziehung der geistlihen Güter ein- gegangen ift, {on reihlich gehalten sind, daß viel -mehr gegeben ift, als eingezogen wurde. i:

Damit ist die Juterpellation erledigt.

Das Haus set darauf die zweite Berathung des Staatshaushalts-Etats für 1898/39 bei den Ausgaben der Justizverwaltung fort.

Abz. Broese (kons.) hâlt eine Erhöhung des Wohbnungsgeld- zuschusses für die Unterbeamten, namentlih in größeren Städten, wie Berlin, analog ‘der Erhöhung für die Subalternbeamten, für dringend nothwendig und émpfiehlt die Ueberweisung einer entsprehenden Petition dec Justiz-Unterbeamten in Berlin als Material.

_ Gehetmer ODber-Finanz-RNath Belian erklärt, daß die Er- wägungen über diese Frage noch nit abgeschlossen feien wegen der Verschiedenbeit der Verhältnisse in den einzelnen Landestheilen.

Abg. Meyer (Zentr.) {ließt \#ch dena Wünschen des Abg. Broese an und weist namentlih darauf hin, einen twoie schweren Dienst die Unterbeamten im Sommer und Winter verrichten haben ; es empfehle fih deshalb auc, ihr Verlangen auf Erhöhung des Gehalts, der Diâten und Verbesserung ihrer Anstellungsverhältnifse zu berück- sichtigen und auch dieses Petitum der Staatsregierung als Material zu überweisen. :

Abg. WetekamPp (fr. Volksp.) bemerkt, daß zunächst die Dienst- verhältnisse dieser Beamten geregelt werden nüßten, und fragt an, ob und in welcher Weise mit der Verkürzung der Dienststunden der Gefängnißbeamten vorgegangen sci. Er würde s bedauern, wenn den Beamten dur Vertretungen ein großer Theil ihrer freien Zeit ver- kürzt würde.

Justiz-Minister Schönstedt:

Meine Herren! Hinsichtlich des von dem Herrn Abg. Wetekamp ausgesprochenen Wunsches, taß die Beschaffung der Dienstkleidung für die Gefängnißibeamten seitens der Staatsregierung in die Hand ge- nommen und vermittelt werden möge, haben im Laufe des letzten Jahres eingehende. Ermittelungen stattgefunden. Dieselben haben aber zu einem negativen Ergebniß. geführt insoweit, als die Vertreter der größeren Gefängnisse, insbesondere des Gefängnisses von Plözensee, entsprechend der Auffaffung der dort angestellten Beamten, sih gegen eine foldhe Anschaffung „auëgesprochen haben. Infolge dessen hat für die Justiz- verwaltung kein Anlaß vorgelegen, den Antrag weiter zu verfolgen.

Was die Dienstzeit der Gesängnißaufseher angeht, fo is son im vorigen Jahre von meinem Herrn Kommissar hier die Erklärung abgegeben worden, daß die Justizverwaltung den Anspruch auf eine Beschränkung der Dienstzeit dieser Beamten auf eine zchnstündige Dur®&schnittsdauer als berechtigt anerkennt und' ihrerseits gewillt ist, nach Möglichkeit diesen Grundsay zur Durchführung zu bringen. Dementsprehend ist im Dezember vorigen Jahres an die Ober-Staatsanwalte eine Verfügung erlassen worden, die allerdings niht ganz den Jnhalt hat, welchen Herr Wetekamp vorausfeßt, die nämli nicht etwa ohne weiteres die Weisung enthält, daß fortan keine Gesä ngnißauf{eber zu einer längeren als 10 ftündigen Dienstzeit herangezogen werden dürfen, sondern die nur die Di- rektiven giebt, um die allmählihe Erzeihung dieses Ziels in die Wege. zu leiten.

Bei den unter der Verwaltung des Ministeriums des Innern stehenden Gefängnissen ist die zehnstündige Dienstzeit durchgeführt. Die gleihe Durchführung fößt aber bei deu Gefängnissen im Be- reiche der Justizverwaltung auf Schwierigkeiten, weil das etatömäßige Beamtenpersonal bei den Gefängnissen der Juftizverwaltung ein verhält- nißmäßig geringeres is wie bei den Gefänguissen der inneren Ver- waltung. Es kommt im Justizbereich nicht auf dieselbe Zahl von Ge- fangenen ein Aufseher wie bei den Gefängnissen derx inneren Verwaltung. Es formt dazu, daß bei einem großen Theil der Justizgefängnisse die Jnanspruhnahme der Aufsichtsbeamten deshalb eine größere ist, weil sie mit sehr zahlreihen Vorführungen zum Zweck gerichtlicher Vernehmung zu thun haben. Es kommen auch zablreihere Justiz- gefangene in Frage, weil ferner hier häufiger ein Wechsel in den Ge- fangenen ftatifindet, da es sih hier meistens um eine kürzere Straf- dauer handelt wie bei den großen Gefängnissen unter der Verwaltung des Ministeriums des Innern. Alle diese Verhältnisse verlangen naturgemäß eine Berücksichtigung. Es kann nit mit einem Schlage das Beamtenpersonal in dem Maße verstärkt werden wte es die vollständige Durchführung dieses an sich durchaus berehtigten Ge- dankens erfordern würde. Es ist aber, wie gesagt, {on darauf hin- gewirkt, Es muß hierbei geschieden werden, wie im einzelnen die

Einrichtung, die bauliche Gestaltung und die Organisation des Gefängnisses ausfällt. Alles dies is sehx wesentlih. Bei dem einen Gefängniß kann ein Beamter eine viel größere Zahl von Ge- fangenen beaufsihtigen wie bei dem anderen, je nah dem /inneren Ausbau, nah der Art der Beschäftigung u. s. w. Die Verfügung, die erlassen ist am 9. Dezember v. J., stellt an die Spiye den Sah: Es soll der Versuch gemacht werden, zunächst bei denjenigen Gefängnissen, bei denen wenigstens ein Jnspektor im Hauptamt an- geflellt ist, die tägliche Dienstzeit der Gefangenenaufseher und -Auf- seherinnen auf durchschnittlich 10 Stunden zu beschränken; ohne daß eine zu erheblihe Verstärkung des Aufsichtspersonals statt- findet.

Es ist weiter hingewiesen auf die dabei fonst zu berücksichligenden Umstänte, und ‘es ist dann, abweichend von dem System, welches in der Verwaltung des Innern berrs{t, zunächst als wünschenswerth bezeichnet, daß nit rein mechanisch für jeden Tag eine zehnstündige Dienstzeit eingeführt werde, sondern daß für § Tage der Woche etne Dienstzeit von 11 Stunden festgehalten werde, damit am sechsten Tage den Beamten cin halber Tag vollftändig freigegeben werden könne. Nach dem, was uns über die Wünsche der Unterbeamten bekannt geworden ist, werden sie diese Art der Regelung vorziehen. Es sind Berichte erfordert von den Ober-Staatéanwalten darüber, in welcher Weise und in welhem Umfange die Maßregel schon jeßt zur Durch- führung gelangt is oder gelangen kann, und wir werden Anträge erwarten in Bezug auf etwaige Vermehrung des Personals. Jch glaube Hoffen zu können, daß im nächsten Etat die entsprehenden Umgestaltungen zu sihibarem Ausdruck gelangen werden.

Abg. Kir \ch (Zentr.): Die rechte Seite {eint sich in der leiten Zeit der Unterbeamten besonders anzunehmen, auch wenn diese Wüasche von der Regterung nicht getheilt roerden. Jch sage nicht, daß ties mit Rücfsiht auf die Wahlen geschieht, aber wir bedauern, daß sie nit \{chon im vorigen Jahre mit uns für eine generelle Erhöhung der Gehälter der Unterbeamten eingetreten sind. Nunmehr ift zu hoffen, daß die Regierung fih den allgemeinen Wünschen des Hauses nicht verschließen wird.

Abg. Broese: Wir haben für die Unterbeamten dasfelbe Herz gehabt zu jeder Zeit wie die andere Sèite, nur stießen wir auf praltische Schwierigkeiten.

Abg. von Eynern (nl.): Ganz fo warm sind die Herren drüben do nicht für die Sache gewesen, denn sie haben unseren Antrag auf Borlegung eines Gesezentwurfs in di:ser Session abgeändert dahin, daß diefer Entwurf „baldmöguchst" vocgelegt werde.

Die Petition der Unterbeamten wird der Regierung als Material überwiesen.

Abg. Noelle (ul.) beschwert sich darüber, : daß in den Gericht3- gefängnifsen bei billigen Arbeitslöhnen der Pribatindustrie eine ver- nichtende Konkurrenz gemacht werde; er erinnert namentlih an die Beschwerde der Lüden}cheider Jndustrie.

Justiz-Minister Schönstedt: Meine Herren! Eine Beschwerde einer Lüdenscheider Firma des

Inhalts, wie ihn etwa der Herr Abg. Noelle vorgetragen hat, ift an |,

den Herrn Minister des Innérn und an mi im vorigen Jahre ge-

richtet worden. Es haben darauf Ermittelungen stattgefunden und diese |

haben ergeben, wenigstens was die Justizgefängnisse anbetrifft bezüg- li der Verwaltungsgefängnisse:bin ih zur Ertheilung von Auskunft nicht in der Lage —, daß die Angaben des thatsählichen Grundes ent- behren. Es kamen drei gerichtliche Gefängnisse in Frage: in Wohlau, in Strehlen und in Schweidniß, und nah dem Berichte des Obzr- Staatsanwalts vom 14, Januar dieses Jahres hat sich er- geben, daß in Woblau {hon seit dem 1. April 1894 für den Konkurrenzfabrikanten, der da in Frage kommt, überhaupt niht mehr gearbeitet wird. Im Gefängniß in Strehlen sind allerdings in den leßten Jahren 34- bezw. 32 jugendlihe Gefangène gegen einen Tagelohn von nur 30 „4 beschäftigt worden mit der An- fertigung von Rodckketten, nit aber mit der Anfertigung von Knöpfen und Schnallen. Im Gefängniß zu Schweidniß endlich sind 1895/96 durschnittlich 26,75 Gefangene für diese Konkurrenzfirma thätig ge- roesen, aber nur in ganz verschwändendem Maße mit der Anfertigung von Knöpfen. Im Jahr 1895 sind-2,16, im Jahr 1896 2,90 Gefangene mit der Anfertigung von Knöpfen beschäftigt worden.

Danach reduziert sich also die Beschwerde über einen unlauteren Wettbewerb seitens der Gefängnisse ‘auf ein durhaus geringes Maß. Ich glaube kaum, daß hierin die Jndustriellen Lüdensheids eine Be- schwerde finden können. In diesem Sinne is eine ablehnende Be- scheidung an die beschwerdeführende Firma am 26. Januar meinerseits ergangen.

Gestern ift mir eine Eingabe der Handelskammer zu Lüden- scheid zu Gesicht gekommen, die denselben Gegenstand betrifft. So- viel ich weiß, enthält sie nichts Neues, und es ist mögli, daß die Handelskammer in der Sache {hon vorgegangeii ist, ohne von dieser Aufklärung Kenntniß zu haben.

Noch den Ergebnissen der thatsählihen Ermittelungen halte ih die Beschwerde nicht für begründet. Es läßt sih unmög- lih durchführen, daß alle Gefangenen Lediglich für Staats- betriebe oder in landwirthschastlihen oder ähulihen Unternehmungen beschäftigt werden; gerade für den Bereih der Justizgefängnisse ift die Schwierigkeit in dieser Beziehung besonders groß, weil es fich bei ihnen vielfah um Gefangene von sehr kurzer Strafdauer handelt, und weil die einzelnen Gefängnisse, die hier in Frage kommen, nicht immer über ein so großes Gefangenenpersonal zu verfügen haben, daß etwa größere landwirthshaftlißze Meliorationsarbeiten von ihnen vorgenommen werden können.

Das Bestreben der Justizverwaltung geht aber dahin, derartige

Beschäftigungen nach Möglichkeit zu fördern, und es find im Laufe

des vergangenen Jahres mehrfahe Verfügungen in dieser Richtung ergangen, welche, wie ih glaube, den laut gewordenen Beschwerden immer mehr den Boden entziehen werden.

Bei dem Kapitel „Besondere Gefängnisse“ bringt

Abg. Dr. Friedberg (nl.) die s{chlechte Behandlung der Nedakteure in den Gefän ‘isen zur Sprawe und fragt den Minister, ob er nicht eine zweckmäßige Verordnung erlassen wolle.

nzeiger und Königlich Preußischen Staats-Anzeiger.

1898,

Justiz-Minister Schönstedt : : ; Die von Herrn Dr. Friedberg angeregte Frage ist eine sehr \{wierige. Bekanntlich haben wir noch nit ein einheitlihes Strafs vollzugsgesez. Allerdings is im Bundesrath vor einigen Monaten eine Vereinbarung über gewisse allgemeine Grundsäße, die beim Straf- vollzug beobachtet werden sollen, getroffen. Unter diesen Grundsäßen befindet sich auch der, daß bei der Strafvollstreckung, soweit es nah der Bestimmung des Strafgeseßbuchs möglich ist, ‘die Individualität, der Bildungsgrad, die Vergangenheit u. \. w. der Gefangenen nach Möglichkeit berücksichtigt werden sollen. Das geschieht {hon jeßt in den preußishen Gefängnissen, soweit meine Erfahrung reiht. Wenn hier und da Mißgriffe vorkommen, fo glaube ih, die Verantwortli{keit hierfür nicht überall übernehmen zu können. Bielfach liegt ja die Vollstreckung des Strafvollzugs in der Hand von unter» geordneten Beamten, und es ist dabei nicht ausgeschlossea, daß hier und da die aus den Vorschriften des Strafgeseßbuchs und aus den Anweisungen der höheren Behörden si ergebenden Grundsäße nicht genau innegehalten werden. Jh habe, nachdem dieser Bundesraths=- beshluß gefaßt war, die Gefängnißverwaltungen angewiesen, darnach {hon jeßt und hon vor der beabsichtigten Neugestaltung des Ges fängnißreglements zu verfahren. Im übrigen befindet fich eine Um- arbeitung des Gefängnißreglements in Vorbereitung, und es wird damit nah Möglichkeit diesem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden. Schließlich glaube ih, hervorheben zu dürfen, daß die Mit- theilungen über ungeeignete Behandlung von Strafgefangenen doch niht immer begründet sind. Ich erinnere mich z. B., daß vor einiger Zeit dur die Blätter, namentlih dur die fozialdemokratischen, eine Mittheilung ging, es sei in einem oberschlesischen Gefängnisse ein Gefangener, der auch, glaube ih, wegen eines Preß- oder eines Hausier- vergehens mit Druschriften bestraft worden war, dort an die Kette gelegt, und es sind sogar Photographien verbreitet , die diesen Gefane- genen in seiner Gefängnißzelle angekettet darstellen. Es hat sich naher herausgestellt, daß diese ganze Sache auf Erfindung beruht. Der Mann hat sich allerdings, nahdem er aus der Haft entlassen war, dazu hergegeben, sih in einem der Gefängnißkleidung ähnlichen Kostüm unter Anbringung von Ketten: photographieren zu lassen (Heiterkeit) und dieses Bild ift demnächst in alle Welt verbreitet, und namentlih von fozialdemokratisher Seite ins Ausland geshickt, um dort die an- geblihe Barbarei in den Ppreußishen Gefängnissen zu illustrieren. Der Mann, der sich dazu hergegeben hat, is naher unter Anklage gestellt wegen groben Unfugs; er ist bestraft und hat bei der Ver- handlung erklärt, er habe feinen Grund gehabt, sich über die Art der Behandlung im Gefängniß zu beklagen.

Was dann den von Herrn Dr. Friedberg speziell erwähnten Fall betrifft bezüglih der Strafvollstre@ung an dem Erzbischof Melchers in Köln, so ist in der Sitzung des Reichstages vom 1. Februar von einem der Herren, als der Strafvollzug zur Sprache kam, folgende

. Behauptung aufgeftellt worden :

„In der Zeit des Kulturkampfes ist man so weit gegangen, entgegen der Bestimmung des § 16 unseres Reihs-Strafgeseßbuhs, wonach die zu Gefängnißstrafe Verurtheilten in einer Gefangenen- anstalt in ciner ihren Fähigkeiten und Verhältnissen angemessenen Weise ' beschäftigt werden können und- auf ihr Verlangen in dieser Weise zu beschäftigen sind entgegen diéser klären Bestimmung é. B. den damaligen Herrn Erzbischof von Köln mit Strohflechten ¿zu beschäftigen. „Paulus Melchers Strohflechter* ist in allen latholishen Herzen in Deutschland und über die deutshen Grenzen hinaus mit so unauslöshliher Schrift eingeprägt, daß alle Ver- herrlihung und aller Tadel wegen hohgesteigerter Humanität unserer Strafvollftreckung diese Schrift in Ewigkeit nit austilgen werden.“

Meine Herren, diese Anführung eines hochangesehenen Mitgliedes des Reichstages hat mi in folchem Maße frappiert, daß ich es für meine Pflicht gehalten habe, das, was ihr thatsählich zu Grunde

| liegt, aufzuklären. Jh habe deshalb darüber Bericht gefordert und

die Akten einziehen lassen. Jh glaube dem Herrn, ‘der diese Be- Hauptueig aufgestellt hat, selbst den besten Dienst zu thun, wenn ih den wirklihen Sachverhalt Hier zur Kenntniß gebe. Auf Grund ter mir vorgelegten Akten kann ih konstatieren, daß der Erzbischof von Köln, ‘der in der Strafanstalt von Köln vom 31. März bis zum 9. Oktober 1874 eine Strafhaft verbüßt hat wegen Uebertretung der Kulturkawpfgefeße, während dieser ganzen Zeit von Anstalts wegen überhaupt nit beshäftigt worden is, Dieser Herr is, seiner Stellung und seiner Persönlihkeit entsprechend, mit größt- mögliher Rücksicht während der Verbüßung der Strafe behandelt worden. Aus den mir vorgelegten Akten geht hervor, daß - dem Herrn zunächst bei Antritt feiner Strafe drei Stuben im Viittelgebäude zugewiesen wurden, die bis dahin zu Verwaltungs- zweckden der Direktion zur Verfügung gestanden' hätten. Da diese Zimmer dauerno nicht entbehrt werden konnten, sind im Monat Mai, also nachdem der Erzbischof sfich etwa vier Wochen in diesen Zimmern befunden : hatte, ihm im Mittelgebäude zwei ‘Zimmer angewiesen, worden, durcheinandergehende Zimmer, für die eine Verbindung hers gestellt war, und die lediglih für diefen Zweck mit- neuen Möbeln ausgerüsiet waren, Zimmer, von denen jedes 6,8 ra klang, 4m breit und 3,4 m ho, und von denen jedes mit zwei Fenstern ausgestattet war, Diese Zimmer haben also dem Herrn Erzbischof während seiner ganzen Strafhaft gedient, das eine als Wohn-, Arbeits- und Studier- zimmer, das andere als Schlafzimmer. Es is dem. Erzbischof die Benußung des eigenen Bettes gestattet worden, ebenso die eigene Beköstigung, und zwar in den ersten aht Tagen durh den Lieferanten, der solhe Beköstigung besorgt, von da ab aus seiner eigenen Küche, aus der ihm dreimal tägli die Speisen gebraht worden find, Der Herr Erzbischof hat \ich wn 3hrend dieser ganzen Zeit auss{ließlih mit Studien und Gebet beschäftigt. @s sind thm möglichste Freiheiten gewährt worden. Er hat dabei täglich zweimal einen Spaziergang mahen können, Vor-" und Nachmittags je eine Stunde lang, unter möglihster Shonung und Vermeidung

jeder Berührung mit den anderen Gefangenen.