1898 / 43 p. 6 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 18 Feb 1898 18:00:01 GMT) scan diff

g vom 17. Februar 1898

| „Ueber den ersten Theil der Sißung. ifi schon berichtet

worden.

E Die zweite PELIR A des Staatshaushalts- Etats für 1898/99 wird beim Etat des Ministeriums des

Fnunern fortgeseßt. Ñ Bei den Einnahmen der Polizeiverwaltung kommt

Abg. Dr. Sattler (nl.) auf die Verhaftung anständiger Damen durch die untergeordneten Polizeiorgane zurück. Er erinnert an den Vorgang in Köln und bemerkt, daß dort eine andere Organisation der

olizei vorgenommen worden fei. Jn Berlin sei man nicht dazu bergegangen, und der leßte Fall, der sich vor einigen Tagen ereignet habe, lege die Frage nahe, ob die Polizei in der Freiheit ein Gut sehe, über das man leichten Herzens hinweggehen könne. Er frage, „0b und welche Maßregeln der Minister ergriffen habe, um solche Ucbergriffe der Polizeiorgane hintanzuhalten.

Minister des Junern Freiherr von der Nee:

Meine Herren! Ih bin zu meinem lebhaften Bedauern ver- Lindert gewesen, den Ausführungen des ersten Herrn Redners beizus- wohnen; ih war hier im Hause in der Kommisfion für das Noth- standsgeseß beschäftigt und wurde nicht rehtzeitig genug benahhri{htigt, um sofort bei Beginn meines Etats hier zugegen zu sein.

Meine Herren, es sind in der legten Zeit in der Presse sehr viele angebliße und wirkliße Uebergriffe von Polizeibeamten behandelt worden. Daß derartige Mißgriffe und Uebergriffe in einem Beamten- korps, welches nah vielen Zehntaufenden zählt, vorkommen und au in der letzten Zeit sh meh!fach ereignet haben, ist leider nicht zu be- streiten und lebhaft zu beklagen. Mißgriffe sind aber so lange vor- gekommen, als es überhaupt Polizeibeamte giebt, und sie werden au nicht eher enden, als es nit gelingt, die menschlihe Unvollkommenheit aus der Welt zu \{haffen.

Meine Herren, es ift übrigens nicht rihiig, daß die Zahl der Fälle, in denen Mißgriffe anzuerkennen sind, besonders hoh ist. Diese Zahl hält sh nach langer Erfahrung relativ auf demselben Niveau. Absfolut steigt sie ja allerdings mit der wachsenden Bevölkerungszahl und mit der Zahl der Beamten. Es is auch niht richtig, was, wenn ih niht irre, bei der ‘exsten Berathung des Etats hier behauptet wurde, daß die Zahl von Uebergriffen bei den s\taatlihen Polizet- beamten größer fei als bei den fommunalen Polizeibeamten. Meine Herren, ih habe lange Gelegenheit gehabt, einem Bezirke vorzustehen, in welhem es nur kommunale Polizeibeamte gab, und ih kann leider nit konstatieren, daß die Zahl der Mißgriffe dort im Verhältniß geringer gewesen fei.

Die vorgekommenen Fälle von Mißgriffen werden auf das sorg- fältigste untersuht, die huldigen Beamten bestraft und die sonst er- forderlihen Maßnahmen getroffen. Ich finde es auch sehr begreiflich, daß derartige Fälle, namentlich folhe, welche zu grundsäßlichen Bedenken Ver- anlassung geben, in der Presse erörtert werden, und ih brauche au wohl niht erst zu vertreten, daß ih derartige Mißgriffe und deren Opfer persönli auf das äußerste bedauere. Jh Habe aber doch bei der öffentlichen Kritik dieser Fälle in der Presse diejenige ruhige und gerechte Beurtheilung leider vermissen müssen, die selbst ein \o viel- gehaßtes und doch immer fo sehr begehrtes Institut wie die Polizei für fich in Anspruch nehmen muß. Ja, ich muß zu meinem Bes- dauern so weit gehen, zu sagen: es ift mir selten eine so unnöthige Beunruhigung der öffentliGen Meinung vorgekommen, als gerade bei diesen Fällen.

Ich muß mich zunächst darüber beklagen, daß in einem Theil der Presse schr häufig mit unrihtigen Thatsachen operiert und daß dieser Theil leider nicht immer ehrlich genug ist, unrihtig befundene That- sahen zu widerrufen und zu berichtigen.

Worüber ih mich aber am meisten beschweren muß, meine Herren, das sind die leider recht häufigen vollständig unrihtigen und unzulässigen Rückshlüsse aus einzelnen gewiß sehr beklagenswerthen Vorkommnissen auf die Unzulänglichkeit ganzer Institute. Meine Herren, wenn man fich auf die Ausführungen einer gewissen Presse gelegentlih der Fälle in den leßten Monaten verlassen wollte, dann müßte man wirklich zu der Meinung kommen, es gäbe auf der ganzen Gotteswelt keinen Staat, in dem der Schuß der perfönlihen Freiheit so wenig gesichert wäre, als bei uns; dann müßte man ferner glauben, daß wir in der Polizei nur über ein ganz undiszipliniertes, rohes und ungeschicktes Korps verfügten; und, meine Herren, man müßte ih dahin bescheiden, daß alle unsere polizeiliGen Institutionen in jeder Beziehung hinter denen anderer Staaten weitaus zurückständen

Nun, meine Herren, wie verhält ih denn die Sache in Wirklich- keit? Jch behaupte, daß in keinem Staate der Welt der Schuß der persönlichen Freiheit in einem solhen Maße gewährleistet ist, wie bei uns. (Na! na! links.) Jh kann dem Herrn Abg. Dr. Sattler ver- sichern, daß ih den SHuy der persönlichen Freiheit nit minder hoh als er säße. Jh betrachte diesen Schuß als eine der wesentlichen Errungenschaften eines Kulturstaats, und ih werde- meinerseits alles daran seyen, um dieses Palladium ho{zuhalten.

Meine Herren, auch das Material der Polizeibeamten ist im Großen und Ganzen ein gutes. Es erfreut sich ja leider wegen feiner nicht immer einwandsfreien Formen niht der Gewogenheit des Publikums. Ih erkenne vollständig an, daß die Polizeibeamten bei uns höflicher sein könnten, und unser lebhaftes Bestreben geht dahin, in dieser Beziehung eine Aenderung herbeizuführen. Fh möchte aber do nicht vershweigen, daß meiner Meinung nah ein Grund zu dem häufig unfreundlihen Verhalten der Polizeibeamten auch darin zu finden ist, daß das Publikum der Polizei nit in der erforderlichen Weise beisteht, Jh gebe zu: man kann sagen, das ift ein circulus vitiosus; vielleicht verhält sich das Publikum nicht fo, weil die Schußleute feiner Meinung nah nicht höflich genug sind oder nicht rihtig prozedieren. Es kann aber au den entgegengeseßten Grund Haben, und da, meine Herren, der Klügere nahgiebt (Heiterkeit links), fo habe ih bereits erklärt: ich bin der Meinung, die Polizei muß anfangen und muß ih bemühen, höflicher zu fein (Heiterkeit! links).

Ebenso, meine Herren, bin ih der Ueberzeugung und bin in der- selben durch die Bérichte, die mir seitens des hiesigen Polizet- Präsidenten erstattet sind, noch darin bestärkt worden, daß wir, was unsere polizeilihen Institutionen betrifft, uns mit jedem Staate messen können. Es \{chließt dies allerdings niht aus, daß wir uns gleiGwohl bemühen müssen, im einzelnen noch mancherlei Ver- besserungen einzuführen.

Meine Herren, ich werde mich durch das Verhalten eines Theils

erforderli erwe R A

Aber, meine Herren, ih. darf niht verschweigen, daß dieses Ver- halten der Presse zu fehr bedenklihen Konsequenzen führt und bereits geführt hat. Es wird hierdurch in erster Linie die Berufsfreudigkeit der Polizeibeamten in der bedenklihsten Weise erschüttert; es wird untergraben“ ferner die Autorität der Polizei, die doch, wie Sie alle mit mir anerkennen werden, eia Haupterforderniß für ein gutes Funktionieren diefer Behörde ist. Es wird endlich dadur unnöthiger- weise eine Saat der Beunruhigung in das Volk bineingetragen.

Meine Herren, i gebe mi zwar nicht der Hoffnung hin, daß meine Ausführungen einen erheblichen Einfluß auf das Verhalten der Presse her- beiführen werden; deun ih sürchte, daß in diesen Angriffen zum theil System ist. Aber, meine Herren, es ift vielleiht do ganz gut, daß einmal der Finger in die Wunde gelegt wird. Vielleicht fühlt fich der gut und anständig gesinnte Theil der Presse veranlaßt, nach@zusinnen, ob es nicht Mittel und Wege gicbt, um dem gekennzeichneten Unfug zu steuern, und ih erbitte mir, meine Herren, hierbei auch Ihren Beistand.

Was nun die au in der ersten Etatsberathung bereits gestreifte Frage einer Reorganisation gewisser wihtiger Zweige der Polizei beirift, so habe ich, meiner Zusage entsprehend, zu- nächst eine eingehende Prüfung bahin eintreten lassen, ob bet der Kriminalpolizei zu Organisationéveränderungen geschritten werden müsse. Jch habe damals eine Kommission, zu der auch ein Staatsanwalt und ein Gerichtsbeamter gehörten, mit Zustimmung des Herrn Justiz-Ministers, zusammentreten lassen, und diese Kom- mission hat sih eingeheod mit dieser Frage beshäftigt. Der Bericht der Kommission ist mir erst vor kurzer Zeit zugegangen, und ih werde mi jeßt nunmehr mit der Frage zu beschäftigen haben, ob in der That eine Reorganisition der Kriminalpolizet einzutreten hat.

Ich glaube, meine Herren, nah den Berichten, die mir zugegangen sind, daß das Skelett der kriminalpolizeilihen Organisation wohl das rihtige ist; es werden sih aber doch eine ganze Reihe erheblicher Verbesserungen einführen lassen, welhe dazu geeignet find, eine noch besseres Funktionieren der Kriminalpolizei zu gewährleisten. Einen Anfang, meine Herren, finden Sie bereits in der im Etat enthal- tenen Forderung nach Vermehrung von Kriminal. Wachtmeistern, die mit der Zeit jedem einzelnen Revier zugetheilt werden follen.

Außerdem wird geplant, die Polizei in den Vororten anders zu gestalten und fie besser einzufügen in das System der Berliner Polizei. Ich versprehe mir gerade von dieser Maßregel cinen ganz besonderen Bortheil.

Was die Frage der politischen Polizei betrifft, so sind die Erwägungen

darüber ebenfalls noch nicht vollständig abges{lossen. Es kann Sie das auch niht verwundern, meine Herren; ih habe damals ausdrüd- li erklärt, ic wünschte namentli bezüglich dieses Zweiges au die Erfahrungen zu verwerthen, welche man darüber in den anderen Staaten gemacht hat. Der Bericht des Herrn Pslizei-Präsidenten darüber ist mir auch erst kürzli) zugegangen ; ih glaube aber, daß ich dasjenige, was ih Jhnen im vorigen Jahre s{chon autgeührt habe, im wesentliGen werde aufrecht erhalten müssen, daß es sich nämli bei der politishen Polizei mehr um eine Personen-, ale um etne Or- ganisationsfrage handelt. Es kommt vor allem darauf au, die rich- tigen Personen an die richtige Stelle zu seßen, dem Chef die Möglich- keit zu geben, ungeecignete Personen fofort zu entfernen, und eine möglich\st eingehende und genaue Aufficht zu üben. Eine Kons- fequenz dieser leßten Forderung ist die Aufhebung der selbständigen Kommandos, die ich bereits vor einem Jahre habe eintreten lassen. Es haben sich Ucbelstände aus dieser Aenderung in keiner Weise ergeben. ; Meine Herren, bei dieser Gelegenheit werden dann auß no@ einige andere Fragen fehr eingehend erwogen werden müssen: nämlich die Frage einer besseren Ausbildung und Besserstellung der Beamten, sowohl was das Gehalt, als auch das Aufrücken betrifft. Nicht minder wird eine Verbesserung der Wohnungsverhältnisse der Polizei- beamten in Betracht gezogen werden müssen. Jch habe mi hinsictlich der legten Frage bereits mit dem Herrn Finanz-Minister in Ver- bindung geseßt und habe, wic i zu meiner Freude konstatieren kann, dabei eine große Bereitwilligkeit gefunden. Ich glaube auch, was eine Besserung der Gehaltsyerhältnisse der Polizeibeamten betrifft, bei dem hohen Hause auf besonderen Widerspruch nicht zu stoßen. Diese Frage hat jeßt noch nicht zum Abs{luß gebracht werden können, son aus dem Grunde nit, weil die Absicht besteht, hinsitlih derjenigen Unterbeamten, bei denen sich noch eine Ausgleichung als nothwendig herausftellt, gleihzeitig vorzugehen.

Meine Herren, ih habe diese Frage hier absichtlich nur kursorisch berührt, weil es zu nichts führen würde, wenn ih hier viele Einzel- heiten hehandeln wollte. Ih bin aber gern bereit, wenn seitens einzelner der Herren Redner auf bestimmte Punkte noch zurückgekommen wird, darüber jede gewünshte Auskunft zu geben. Jh habe au die Ab- sicht, wenn die betreffenden Fragen zum Abs{luß gebracht find, das definitive Ergebniß in irgend ciner Form, vielleiht in dem nächsten Verwaltungéberiht des hiesigen Königlichen Polizci-Präsidiums, zu veröffentlichen.

Meine Herren, zum Schluß gef‘atten Sie mir nur eine kurze Nekapitulation; sie geht dahin: leider sird eine Reihe von Miß- griffen vorgekommen, die ih gerate am allermeisten beklage. Ganz werden sich fol@e au niemals vermeiden lassen. Aber ich habe bisher alles gethan, um sie auf das geringste Maß zu beschränken, und werde auch in Zukunft es in dieser Hinsicht ax nichts fehlen lassen. Daß in den einzelnen Fällen die erforderlihen Maßnahmen, um zu fühnen und vorzubeugen, ungesäumt und nachdrüdckli getroffen werden, ist hiernah selbstverständlih. Ih bitte Sie abcr dringend, meine Herren, aus diefen einzelnen Borklommnissen niht den Schluß zu ziehen, daß unsere Organisationen und unsere Polizeibeamten hinter denen anderer Staaten zurückstehen. (Bravo! rechts, Lachen links.)

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch (fr. kons.): Auch i glaube, daß die Angriffe der Presse weit über das Ziel hinausschießen ; man hat fogar den Schuß gegen den Schumann in die Wahi- agitation geworfen. Man darf do auch nicht übersehen, wie großen Anforderungen die Polizetorgane genügen sollen. Wir wollen wünschen, daß die Erwägungen des Ministers bald zum Abschluß kommen und zv einer Reorganisation der Kriminal- und Sittenpolizet führen werden. Die Polizei-Kriminalkommissare werden ausreichend bezahlt, aber ihre

soziale Stellung genügt niht. Man könnte für die Kommissare cinen anderen Titel finden und älteren Beamten viekleiht einen Nathstitel

der Presse, welhes ih niht {arf genug tadeln kann, nicht davon

abhalten lassen, wie bisher in jedem einzelnen Falle den Grund oder |

verleihen. Die Schußleute müssen das Publikum höflicher behandeln als bisher, dann wird auch das Publikum ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen. Die politishe Thätigkeit der Polizei ruft kein Miß-

ber Schubleute 11 lorgen burs Séhubuactfünt Le M eute zu sorgen dur ßmannss{ulen, wie in B

Sodann muß das Gehalt der Schußleute in Beelia erhöht eden, Das Anfangsgehalt mag ja ausreichen; aber ihre Wohnungéents{ädi- gung reiht nicht aus. Ste sind gezwungen, in den Vororten zu wohnen, können nicht den weiten Weg nah Hause machen und halten sich deshalb während des Tages in Wirthshäusern auf. Am \{limmsten sind aber die s{lechten Avancementsverhältnisse; die Wachtmeister stehen den Subalternbeamten, ja den Kanzlisten nah. Viele Schuh- u een aue und gehen e Elleniahn, tber. Yas muß anders

erben; wir müssen uns die besseren ußleute durch besse a mentéverhältnisse erhalten. du V MNEIe Maanee

_ Abg. Dr. von Heydebrand und der Lasa (konf.): Jch kann mich .in den meisten Punkten mit dem Vorredner einverstanden erklären. Es fällt mir nit ein, alle Maßregeln der Polizei zu vertheidigen. Im wesentlichen ist ja unsere Polizei eine- gute, aber fe könnte in einigen Punkten verbcsserct werden. Die erwähnten Fälle waren offenbare Mißgriffe der Polizei. Verfehen können ja niht ganz vermieden werden, aber das größte Bestreben muß sein, darauf hinzuwirken, daß seitens der untergeordneten Polizeiorgane der richtige Takt bewiesen wird. Es sind Frauen nicht in der rihtigen Weife behandelt worden, wie es unbedingt erforderli is. Dies macht keinen guten Ein- druck, Sind Vergehen vorgekommen, so müssen sie au ganz offen von der Polizei eingestanden werden. Die Polizeiorgane dürfen nit mit so unfehlbarer Sicherheit auftreten gegenüber der Freiheit der Person. Es kann das Vertrauen der Bevölkerung nur dadurch gestärkt werden, daß Mißgriffe eingestanden und entschuldigt werden.

Abg. Dr. Sattler: Die Rede des Ministers hat mich überrascht. Er hat Dinge berührt, von denen tch garniht gesprochen habe. Vieles von dem, was er gesagt hat, entspriht meiner Meinung. Ver- besserung der Wohnungs- und Gehaltoverhältnisse 2c. wünsche auch ih, und ih gebe zu, daß die Presse oft über das Ziel hinaus\chießt, Wir verhantveln hier aber nit über die Presse, sondern über die Polizei. Den Schußleuten müssen rihtige Instruktionen ertheilt werden. Der Kölner Fall zeigt, daß die Schußleute diese Instruktion nit mehr im Gedächtniß hatten. Ich hätte gewünscht, der Minister hätte gefagt, er würde die Beamten instruteren, daß sie si bet Ver- haftungen mehr zu menagieren haben. Ticfen Schmerz habe ih empfunden über das Verfahren des NRegierungskommissars. Er hat ohne meine Schuld die Grenze der Diskretion überschritten, und ih lann nur die Mitglieder des Hauses und die Zuhörer dort oben bitten, größere Diskretion zu üben als die Regierungsvertreter.

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Lindig: Ih habe ge- glaubt, ohne Nennung des Namens den Fall erwähnen zu müssen, und ih glaube nit, das Maß des Zulässigen überschritten zu haben. Entsinnen Sie sih, wie man die Sache übertrieben und gesagt hat, man kônne ja eine anständige Person nicht auf die Straße s{icken. Und darum habe ih gesagt, daß es sh bier niht um cine unbe- \choltene Person handelt.

Abg. Dr. Eckels (nl.): Bei dem lehten Fall handelt es \ih garnicht um eine Ertappung auf frischer That, und im Kölner Fall liegt die Sache ganz genau so. Liegt die Sache an der Instruktion, so muß diese geändert werden. Die Polizisten fühlen sich nit als Hüter der öüffentlihen Ordnung, fonvern als Verfolger von Ver- breern.

Minister des Junnern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Jch kann es nur doppelt bedauern, daß ih dem Anfang dieser Berathung nit beigewohnt habe, weil andernfalls das Mißverständniß, weles sich zwishen mir und dem Herrn Abg. Dr. Sattler einges{chliden hat, überhaupt vermteden worden wäre. Jch habe die von ihm gestellte Frage nit gehört und habe au aus der Unterredung mit ihm nicht entnehmen können, daß er eine bestimmte Frage an mi gerichtet hat. Hätte ih diese Frage gekannt, so würde ih erklärt haben, es bedürfe weiterer Anweisungen nicht, denn sie seien bereits ertbeilt.

Abg. Träger (fc. Volksp.): Der Prozeß im vorigen Sommer hat mit Gewißheit ergeben, daß unter der offiziösen Decke unseres Recitésiaates eine dunkle, nicht enthüllte Geschichte liegt, hinter welcher die gefährlihsten Elemente sih án den Negierungsgeschäften betheiligen. Die politif@e Polizei rihtet mehr Unheil an, als fe nüßt, und es wäre sehr wünschenswerth, daß sie eingeschränkt, wenn niht ganz beseitigt würde. Die Thätigkeit der Kommissare ist für jeden Fall nicht zu reglementiecren; fie erhalten Aufträge auc) von anderen Nesforts und werden yon diesen überwacht. Einzelne Kriminal- kommissare haben fogar gegen ibren eigenen Ghef, den Minister, gearbeitet. Zu den Hilfékräften geben sich keine anständigen Menschen her; es find nicht Gentlemen. Der Polizei-Präsident will diese Elemente nicht schen, niht kennen. So hat ein Kriminalkommissar dem Polizet- Präsidenten einen gefälschGten Bericht eines solchen Individuums über- reicht, ohne daß dieser wußte, daß der Berit von cinem Hochstapler herrührte. Das i} doch sehr bedeaklich. Man \chenkt solchen Leuten Vertrauen, und die Verwendung des Dispositionsfonds ist der Kontrole entzogen. Wohin soll es führen, œenn man die \{hlechtesten Subjekte als die besten Agenten ansieht? Dem System von Taush und Krüger muß ein Ende gemacht werden und die Verantwortlichkeit bis auf die höchste Spiße ausgedehnt werden. Der Minister kann sich doch selbst auf solche Berichte niht verlassen und ih darauf berufen, er muß überall flar schen Tönnen bis in die tiefsten Tiefen. Zum Ueber- wachungsdienst der Polizei gehört au die Ueberwachung der Sozial- demokraten. Die Polizei kann vihts Bedenklicheres thun, als eine Partei als außerhalb des allgemeinen Rechts stehend, als vogelfrei zu betrachten. Wenn die Sozialdemokraten sh gegen das allgemeine Recht vergehen, so müssen sie abgefaßt werden, aber niht deshalb, weil sie Sozialdemokraten sind. Die Schußleute in Magdeburg werden zu fonderbaren Zwecken verwendet. Die dortige „Volksstimme* is an ibrem Redaktionslokale und Schaufenster während 53 Tagen von einem dovpelten Shußmannsposten überwacht worden. Sie hielten Kinder und niht erwachsene Personen von der Besihtigung des Schaufensters ab. In dem Sghaufenster lag gar nichts Bedenkliches aus, Bilder von Laffalle 2c. Das war natürlih eine Reklame für die Zeitung, deren Abonnentenzahl so zunahm, daß fie ih eine Notationsmaschine an- {afen konnte. Diese unikormierte Reklame rief Erbitterung gegen den Polizei-Präsidenten hervor. Die fozialdemokratishe Buchhandlung macht cin großes Geschäft. (Nedner erinnert ferner an die Nichtbestäti- gung eines Gemeinde-Vorstehers in Bolkenhain, an die Chikanen des dortigen Gendarmen gegenüber Sozialdemokraten und andere Fälle, wird aber vom Präsidenten unterbrohen und zur Sache gerufen.) Die Organe der Regierung dürfen nit parteiish für die Politik der Megierung eintreten. Der Minister hat die Presse beschuldigt, daß fie Beunrubigung in das Volk hineintrage. Wodurch geschieht das? durch die Wiedergabe der Gerichtsverhand- lungen. Wenn das Publikum Tag für Tag solche Dinge liest, so muß natürli eine große Beunruhigung Plah greifen. (Es muß die Anschauung Plaß greifen, daß nur die Dirnen sih auf der Straße fehen lafsen dürfen. Die Kölner Schußleute konnten sich in dem Wirrwar der Vorschriften nicht zurechtfinden. Staatsanwalt und Gerichts.-Präsfident erkannten an, daß nur blödsinnige Augen ver- kennen könnten, daß die beiden Damen anständige Äraiten waren, und doch mußte der Staatsanwalt die Freisprechung des Schutz- manns beantragen. Welchen Eindruck muß das machen ? s giebt do Länder, wo die persönliche Freiheit noch geshüßter ist als bei uns, z. B. in England. Man sagt, ein englischer Schußmann brauche nur mit dem Finger zu winken, dann gehorhe man. wünschte, daß bei uns der Eubuana auch nur mit dem Finger winkte. Weshalb nimmt sehr bäusig das Publikum für den Ver- folgten Partei ? Weil die Polizei vielfah dem Publikum feindlich gegenübersteht. Die Zirkularverfügung des jeßigen Polizet-Präsidenten, oh die Schußleute nicht zu viel aut reibe und die Leute erst warnen follen, hat mi gefreut. Die Parole „Schuy gegen den Schuhmann war gewissermaßen ein. Hilfeshrei; wir haben do keinen Polizeistaat,

fondern einen Rechtsftaat. Möge der Minister seine Zusage erfüllen.

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M Tolle lediglih aus Verkehrsrüksichten die Penschenmassen an den Schaufenstern in R halten. - Alle QEIS Umwohner waren zufrieden, daß der Verkehr dort wieder fret gemaht wurde. Andere Gründe haben die Polizei niht veranlaßt, dort einzuschreiten. Ob damit eine Reklame für die „Volksstimme“ gemacht worden ift, ist sehr fraglich. Statt \ich zu beschweren, hat man sich an die resse gewendet, Lärm geschlagen und die Sache aufgebausht im Intere}je

der Agitation. Nbg. Broemel (fr. Vgg.): Die Preffe hat sich in diesen

Dingen ein großes Verdienst erworben, und fie hat fch auc rihtig benommen, denn nicht ein einziges Blatt ist wegen Beleidigung der B aus diesen Anlässen angeklagt worden.

Wir dürfen diese inge nit auf fch beruhen lassen. Ich beantrage die Zurück- weisung des Titels an die Budgetkommission, damit wir uns einmal die Instruktionen der Beamtèn amtlich. vorlegen lassen Eönnen. Muß sich denn jede Frau einfach einer Untersuchung der Sittenpolizei unterwerfen? Wir müssen auch untersuhen, ob das Verhalten der Polizei mit dem Gese in Einklang zu bringen ist. Ich habe einen Antrag eingebracht, nach welchem in der Kommission diese ganzen Fragen eingehend geprüft werden follen und ein: s{riftliher Bericht erstattet werden soll. Au Mißhand- lungen auf den Polizeiwachen kommen zahlreich vor. Der Telegraphen- arbeiter Fischer ist nah der Annahme des Gerichts mit einem Riemen ins Gesicht geschlagen worden, In Stettin wurde ein Shußmann zu einem Jahr Zuchthaus verurtheilt, aber bald begnadigt. Vas ift vielfah gesehen. Ich will das Begnadigungsreht nit kritisieren, aber für diese Ausübung desselben müssen uns die Minister Rede und Antwort stehen. Andererseits sind viele Mordthaten, bei Spandau allein vier, noch immer niht aufgedeckt worden. Die Schußtz- Leute, namentli in Berlin, sind im Gehalt unverhältuiß- mäßig schlecht behandelt, bei folcher Bezahlung kann man nicht das beste Material haben. Man hat deshalb schon die Aasprüche an die Leute. für die Anstellung herabseßen müssen. Es werden jeßt Unteroffiziere, die bloß sech8s Jabre, niht mehr neun Sahre bei der Armee gestanden haben, als Schußleute eingestellt. Den Ruf „Schuh gegen Schußleute* hat zuerst die regierungsfreund- lie „Kölnische Zeitung“ gebrauht. Mis so allgemeinen Rede- wendungen kann man diese Dinge nit abmachen und eine {lechte Sache nicht vertheidigen. Man muß dafür forgen, daß der Nuf „Schuy gegen die Schußleute* nicht zur Wahlparole werde. Die Prüfung der Verhältnisse schreitet seit neun Monaten nit fort.

Präsident von Kröcher hält den Vorwurf für unzulässig, daß die Regierung eine {chlechte Sache vertheidige.

Minister des Jnnern Freiherr von der Recke:

Meine Herren! Ich bin dem Herrn Präsidenten sehr dankbar, daß er einen Gedanken, dem ich selbs Ausdruck geben wollte, seiner- seits zum Ausdruck gebracht hat.

Ich hatte im übrigen die Absicht, dem Herrn Abg. Broemel mit einigen Worten" auch noch anderweit zu erwidern. Er beschwert sich darüber, daß die von mir in Aussicht gestellte Untersußung wegen etwaiger Reformen der Kriminal- und politishen Polizei eine \o lange Zeit in Anspruch nehmen, uud er meint, daß innerhalb neun Monaten nichts geschehen sei. Aus diesen Ausführungen, meine Herren, die übrigens, was den leßten Theil betrifft, absolut un- rihtig- find, woher weiß denn der Herr Abg, Broemel, was inzwischen gesehen sei? meine Herren, aus diesen Anführuugen muß ih dohch zu meinem Bedauern entnehmen, daß der Herr Abg. Broemel die Schwierigkeiten, die in der Sache liegen, vollständig untershäßt. Wenn er sh vergegenwärtigen will, um welhe wichtigen Fragen es sih dabei handelt ich habe sie vorhin nur zum theil angedeutet —, dann wird er, glaube ih, zu der Ueberzeugung kommen, daß eine Verzögerung dieser Angelegenheit auf seiten der Königlichen Staatéregierung durchaus nit vorliegt. Ich habe mir schon früher zu bemerken erlaubt, daß es nicht rihtig ist, nun jeßt mit Ueberstürzung unter allen Umständen Reformen einführen zu wollen, sondern daß es doch der sehr ernstlihen Erwägung bedarf: erstens, ob über- haupt Reformen nothwendig seien, und zweitens, nah welcher Rich- tung fie sih bewegen follen; denn man könne Institute und Ein- rihtungen, die sich zum großen Theile bewährt haben, niht einfa über den Haufen werfen, ohne zu wissen, was man an deren Stelle seßen soll. Bei dieser Gelegenheit muß ferner die ganze Beamtenfrage erwogen werden, die eben au {on Herr Abg. Broemel berührt hat, also die Frage einer eventuellen Bessecstellung der Beamten in finanzieller und sonstiger Beziehung, die Art der Rekrutierung der Schußmannschaft, die Frage des Avancements u. st w. Das sind doch alles Sachen, die sich nicht so ohne weiteres über das Knie brechen lassen. Dazu kommt die schwierige Frage der Organisation selbst, die Ein- beziehbung weiterer Vororte auf Grund des Geseßes von 1889, die Einrichtung sonstiger Maßnahmen, die dazu dienen follen, die Polizei noch besser a!s bisher zu unterrihten u. f. w. Kurzum, meiue Herren, ich muß den Vorwurf der Vershleppung der Sache, der hier seitens des Herrn Abg. Broemel erhoben worden is, auf das energishste zurückweisen. Die Kommission, die ih damals eingeseßt habe, hat sehr angestrengt und sehr fleißig gearbeitet und hat nach einer großen Reihe von Sihungen sich jeßt zu gewissen Vorschlägen vereinigt, die mir vorliegen.

Der Herr Abg. Broemel hat dann darauf hingewiesen, es seien in der leßten Zeit wieder einige Kapitalfälle ungesühnt geblieben, weil es der Polizei nicht gelungen fei, die Thäter zu entdecken. Ja, meine Herren, das ist gewiß sehr bedauerlih; aber daraus folgt doch keineswegs, daß die Kriminalpolizei niht ihre Schuldigkeit thue oder unfähig sei. Derartige Fälle, daß Verbrechen nit entdeckt werden, lommen auch anderweit vor, ohne daß man ver- \tändigerweise der Polizei einen Vorwurf hieraus macht, weil man sehr wohl weiß, daß die Entdeckung der Thäter in vielen Fällen von Zufälligkeiten abhängig ist. Wenn man denjenigen Bruchtheil von Ent- deckungen der Thäter erreichte, den wir hier in Berlin z. B, konstatieren Eônnen, fo stehen wir keineswegs hinter der Polizei der übrigen europäishen Staaten zurück; im Gegentheil, es wird bei uns uoch eine größere Zahl Kapitalyerbrehen entdeckt, als anderswo. Jh möchte also bitten, daß man, ehe derartige Anshuldigungen hier erhoben werden, den Sachverhalt doch recht sorgfältig prüft.

Abg. Dr. Porsch (Zentr.): Meine Freunde stimmen den Vor- rednern völlig zu. Die Fälle brauhten garnicht erst aufgebauscht zu werden, sie wirken an sich {on genug. Es ist doch furchtbar, wenn eine Dame auf der Straße unter Begleitung des Janhagels sich zur Polizei führen lassen mus, wie es neulich geschehen ist. Da kann wirklih eine anftändige Dame nicht mehr auf der Straße gehen. In einen Eisenbahnwagen kann man au niht mehr ruhig steigen, beides ist jeyt gefährlih. Ausschreitungen der Presse mögen vor- gekommen sein, aber in folhen Fällen muß fich die Presse zum Sprachrohr dec öffentlichßen Meinung machen. Unrichtige Berichte kann die Polizei ja berihtigen. Den Antrag Broemel lehne ih ab;

er würde die Etatsberathung verzögern, oder die Sache würde in der Kommission übers Knie gebrochen, um den Etat fertig zu stellen. Mit

den Titel an die | De Inte uziehung von

mission zurückzuverweisen zu dem L L der L ENA N ber den Umfang und die Ursachen der Mißstände, wie sie bei der Polizei vorgekommen sind, anzustellen und auch durch \{chriftlichen Be- riht diejenigen Forderungen, welche zur Abhilfe an die Regierung zu richten seien, in Vorschlag zu bringen.

Minister des Jnnern Freiherr von der Nee:

Meine Herren! Ich {lage Ihnen vor, den Antrag Broemel abzulehnen, und zwar {hon aus dem Grunde, weil ih mic von êiner Berathung dieser Frage in der Budgetkommission in der That keinen Erfolg versprehe. Ich habe mir bereits auszuführen erlaubt, daß wir mitten in der Arbeit sind, und daß sich diese Arbeiten sehr bald zu bestimmten Vorschlägen und bestimmten Maßnahmen verdichten werden. Ich habe ferner hervorgehoben, daß ih in geeigneter Weise Veranlassung nehmen würde, diese Beshlüsse auch der Oeffentlichkeit zu übergeben, Dann, meine Herren, können twoir cine redlihe Probe machen, und es wird später dem hohen Hause freistehen, diejeuigen Aenderungen, die es etwa no® für wünschenswerth erachtet, hier in diesem Haufe zur Sprache zu bringen. Von einer Verhandlung in der Kommission kann ich mir einen Erfolg niht versprechen.

Abg. Wallbrehcht (nl.): Die Besoldung der Polizeibeamten ist nicht genügend. In Hannover ift die Polizeiverwaltung theurer und {chlechier geworden, seitdem das Nachtwachtwesen abgeschafft ift. Das geplante neue Polízeidienstgebäude in Hannover liegt sehr ungünstig. Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Lindig erwidert, daß das neue Gebäude in unmittelbarer Nähe des jeßigen liege.

Abg. Freiherr von Zedliß und Neukirch: In einigen der von Herrn Träger beklagten Punkte Hat der Minister bereits Remedur eintreten lassen, Für die Magdeburger „Volksftimme“" ist allerdings eine unangebrachte Reklame gemaht. Auch der Gendarm in Bolken- hain hat fi eines Uebergriffes shuldig gemaht. Auch der Sozial- demofratie gegenüber müssen die Gefeße gereht gehandhabt werden, aber die Sozialdemokratie siellt sich außerhalb des Staates und muß danach behandelt werden. Wenn die „Kölnische Zeitung“ den Ruf „Schuß gegen die Schußleute" zuerst auêsgestoßen hat, so spuken eben manchmal in der nationalliberalen Presse solche freisinnigen Geister, welhe dem Ansehen der Partei \chaden. Den Antrag Broemel können wir nit annehmen ; die Regierung hat ja selbst die nöthigen Schritte eingeleitet. A,

Aba. Graf zu Limburg-Stirum (konsf.): Die Sozialdemo- kfratie kann nicht wie jede andere Partei behandelt werden. Jch \{licße mich in dieser Beziehung dem Vorredner vollkommen an. Wenn wir uns für den Fall der Gefahr auf die Sozialdemokratie verlassen wollten, würden wir uns täuschen. Jch protestiere dagegen, daß jemals die Gründe angegeben werden, aus welchen eine Be- gnadigung eingetreten ist. Wenn der Justiz-Minister neulich si näher erklärt hat, so halte ich es nicht für fehr würdevoll ; ih hätte gewünscht, der Minister hätte fich zurückgehalten. Der Antrag Broemel hat keinen praktishen Zweck, denn die Regierung fann uns in der Kommission nihts anderes sagen, als was e hier gesagt hat. Wenn die Regierung noch nicht {chlüssig it, was follen wir denn mahen? Wenn Fehler vorkommen, a sie ofen anerkannt werden, und es muß auch seitens der höheren Instanz eine Entschuldigung der Dame ausgesprochen werden, die zum Schaden ihrer Gesundheit dem Mißgriff zum Opfer gefallen ist. Aber aus solchen cinzelnen Fällen kann man nicht. deduzieren, daß das ganze System shchlecht it. Wir werden die Regierung auch weiter unter- stützen in der Bekämpfung des Verbrecherthums. : Abg. Wallbrechcht bleibt bei seiner Meinung, daß das Polizei- dienstgebäude in Hannover einen ungünstigen Plaß habe.

Minister des Jnnern Freiherr von der Rede:

Meine Herren! Ich möchte mir erlauben, dem Herrn Abg. Wallbrecht einige Worte zu erwidern, Vor einiger Zeit ift eine Eingabe des Magistrats zu Hannover, welche dieselbe Fragen betraf, bei mir eingegangen. Diese Eingabe gipfelte allerdings auch in dem Wunsche, es möchte der Polizeidirektion ein anderer Plaß angewiesen werden. Es is auch dabei erwähnt, die Lage {heine niht sehr günstig für eine Polizeidirektion. Wenn mich aber mein Gedächtniß nicht täusht, war aber als hauptsählichster Grund für die Wahl eines anderweitigen Plaßes der Grund angegeben, daß das neue Polizei- gebäude jeßt gerade in den {hönsten Theil von Hannover kommen würde. Nach meiner Erinnerung war in der Eingabe hanptsächlich pointiert daß, wenn man nit zu ciner anderen Wahl des Playes kommen könnte, dann wenigstens der Verfuch gemacht werden möchte, dieses Polizeigebäude architektonisch s{ön zu gestalten, damit es in den ganzen Rahmen der Umgegend hineinpasse. Ih bin übrigens gern bereit, nachdem der Abg. Wallbreht die Sache hier heute zur Sprache ge- bracht hat, die Frage erneut in Erwägung zu ziehen.

Darauf wird die Diskussion geschlossen. |

Abg. Broemel zieht seinen Antrag zurück, da ihm von den verschiedenen Parteien inzwischen die Versicherung gegeben worden sei, einen besonderen, über diesen Gegenstand einzu- bringenden Antrag außerhalb des Etats zu unterstüßen.

Die Einnahmen aus der Polizeiverwaltung werden be- willigt.

Bei den Einnahmen der Strafanstaltsverwaltungen lenkt

Abg. Wamhof f (nl.) die Aufmerksamkeit auf die Beschäftigung der Gefangenen. Die Gefangenen, führt er aus, müssen angemessen beschäftigt werden, aber nur so, daß es ihrer Gesundheit zuträglih ift und freie Gewerbe nicht geschädigt werden. Das Beste ist, fie in der freien Natur mit landwirthschaftlihen und Meliorationsarbeiten zu beschäftigen. In unkultivierten Gegenden müssen aber Baracken für fie gebaut werden. Dem Handwerk dürfen die Gefangenenarbeiten leine Konkurrenz machen. i

Geheimer Ober-Regierungs-Rath Dr. Kroh ne: Die Verhinderung der Konkurrenz der freien Gewerbe ist {hon mehr und mehr erreicht worden. Wir haben auch die Gefangenen besonders mit Meliorations- arbeiten beschäftigt. Früher war die ganze Verwaltung darauf zu- gescnuitten, die Gefangenen Privatunternehmern zur Verfügung zu stellen, und nun kann niht mit einem Mal das ganze System ab- geschafft werden; aber wir haben das Bestreben, die Gefangenen allein für den Staat selbst zu beshäftigen. Mit sehr geringen usnahmen werden die Sen Bn zu fabrilmäßiger Thätigkeit, damit das Handwerk nicht ges{hädigt wird.

Abg. Rickert (fr. Vgg.): Die Anregung des Herrn Wamhoff wird in jedem Jahre wiederkehren. Daß die Gefangenen mit Meliorationsarbeiten beschäftigt werden, n sehr erfreulih, aber die Aenderung des früheren Systems geht doch sehr langsam vor sih., Nachdem die Deportationsidee abgethan ift, ist nichts Anderes mögli, als die Gefangenen mit der Landwirthschaft im Inlande zu beschäftigen, damit dem Handwerk keine Konkurrenz gemaht wird, Die Beschäfti- gung in der Landwirthschaft ift allerdings eine Milderung der Strafe, aber zur Einwirkung auf das sittlihe Gefühl giebt es nihts Besseres als ländlihe Arbeit. Wir werden mit Freuden die Mittel für solhe

Bos

inist alten kann. i M E e ierungs-RathDr.Kr ohn e: Der Finanz-Minister

legt unserem Vorgehen keine Schwierigkeit in den Weg, Die Freiheit des umere A ia der ersten Zeit To intensiv beshränkt werden, daß er merkt, die Hand des Staats is über ihm. Erst wenn der Ge- fangene sh in die Ordnung gefunden hat und sich nit mehr gegen

werden jede För

Meliorationen bewilligen, wenn sie die Verwaltung vom Finanze

i 7 derung und Anregung \ D fe : i Pleß G Zentr.) emp ehlt die Urbarmachung der Lüneburger Heide, damit die Gefangenen beschäftigt würden. A Bei den dauernden Ausgaben, und zwar bei dem Titel „Gehalt des Ministers“, erhält das Wort

Ahg. von Köller (kons.): Die Regierung bemüht \ich, das Sthreibwerk zu bekämpfen. Die Beamten wollen immer möglichst viele Journalnummern haben. Wir müssen einmal den Journal» nummern zu ‘Leibe gehen. Es muß für die Beamten ein Ruhm sein, die Geschäfte gehörig zu führen urd möglichst O Fournal- nummern zu haben... Es ließe fich ermöglichen, daß im preußi- {en Staat # oder 1 Million Briefe weniger geschrieben werden. (Redner theilt verschiedene heitere Vorfälle aus seiner Thätigkeit als Amtsvorsteher mit.) Es werden von den Behörden ganz überflüsfige Anfragen an die Amtsvorsteher gerichtet. Verantwortlich für alle solche überflüssigen Dinge is die Ausbildung der Verwaltungsbéamten. Die Leute müßten in das praktishe Leben geshickt werden, " zu Domänenbeamten, Amtsvorstehern, zu Bürgermeistern in kleinen Städten 2c., damit sie einsehen, baß der Grund „quod non ost in actis, non est in mundo“ wohl für Juriften gilt, aber sehr thöricht is für Verwaltungsbeamte. Auf dem Lande dürfen nicht Beamte fungieren, die das Land nit kennen, sondern es nur einmal Sonntags gesehen haben mit jungen Damen bei Aus- flügen, wenn sie saure Milch trauken. Als ih das einmal einem böberen Beamten sagte, meinte er: Ja, wie sollen die Beamten dann lernen, eine Regierungsverfügung abzufassen ? Da sagte ih ihm: „Excellenz, haben Sie in Ihrer langen Praxis s{chon einmal einen Menschen kennen gelernt, der so dumm war, daß er keine Negterungs- verfügung abfassen konnte?" Das lernen sie, aber was sie nit lernen, ist bas praktische Leben. Nach dem Assessorexamen follten die Herren in das praktisdhe Leben kommen. Die jungen Leute müssen da lernen, daß es au einmal ohne Verfügung geht. Das 20. Jahr- hundert wird nihts geben auf NRegierungsverfügungen, aber darauf, daß die Beamten wissen, wie die Arbeiter auf dem Lande leben, wie es in den Fabriken u. |. w. pugelt Ob einmal eine Regierungs- verfügung mehr oder weniger abgefaßt wird, darauf kommt es niht an.

Äbg. Dr. Edcktels: Die politishen Vorgänge in Hannover ver- anlafsen mich zu einer Anfrage an den Minister. Die Verhältnisse bezüglih ber Verschmelzung der Bevölkerung liegen in Hannover \{chlechter als in den anderen neu erworbenen Provinzen. 1866 gab es wenig Freunde der Annexion in Hannover; felbst die Freunde einer Reichseinheit wollten keine Annexion. Die Mehrzahl der Be- völkerung war preußenfeindlich. Die nationalliberale Partei hat dann den Kampf gegen das Welfenthum aufgenommen und hat dabei auch den Kampf mit der Sozialdemokratie, welche bei den Neichstags- Stichwahlen regelmäßig den Welfen unterstüßt, zu führen gehabt. Man hat behauptet: daß das Welfenthum noch nicht besiegt fei, liege an dem Mangel einer konservativen Partei in Hannover. Konservative Kandidaten haben aber keine Ausficht. Die Konservativen, Antisemiten und der Bund der Landwirthe haben sih nun zu einem Wahlaufruf zusammengeschlossen, um die Welfen, die Sozialdemokratie und auch die nationalltberale Partei zu überwinden. Der Aufruf bekämpft aber zumeist die nationalliberale Partei, welhe als Ver- treteria des Großfapitals und der Großindustrie hingestellt wird. Mir haben doc eine ganze Anzahl praktisher Landwirthe in unseren Neihen. Der Partei wird ferner vorgeworfen, daß sie die Handels- verträge zu stande gebracht habe, welhe am Marke des Volkes faugten, Verschwiegen wird, daß die Konservativen für den österreichishen Handelsvertrag gestimnct haben, Nach anderen Vorwürfen heißt es, die Politik der Nationalliberalen bedeute den Untergang des Mittel- standes. Genau so werden wir seit 25 Jahren in welfisWen Blättern angegriffen. Und dieser Waßlaufruf is von drei preußishen Land- cäthen mit ihren Namen und Amitstiteln unterzeihner, und diese Landräthe betheiligen sh auch an der Agitation gegen die national- liberale Partei. Materiell habe ih nichts gegen diese Unterzeihnun der Landräthe, aber das Bedenkliche ift die Zerstückelung, welche dur diese Agitation in die nationalgesinrten Wähler hineingetragen wird und den Welfen oder Sozialdemokraten nügen wird. Wird dies Vorgehen der Landräthe von der Regierung gebilligt? Haben wir es mit einem Systemwechsel zu thun, und will“ auch in anderen Wahl- kreisen die Regierung gegen die Nationalliberalen vorgehen ? Nach einem Erlaß des Fürsten Bismarck haben die Beamten die Politik der Regierung zu geg an und dieser Erlaß ift mehrfach von neuem den Beamten in die Erinnerung gebracht worden. Mgn muß also annehmen, daß die dret Landräthe im Sinne der Regierung gehandelt haben. Nach der „Nordd. Alg. Ztg.“ sollen die Landräthe rektifiziert worden fein, aber der Aufruf ift auch noch in zweiter Auf- lage mit deren Unterschriften ershienen, Nah der Verfassung sind Abgeordnete niht an Aufträge gebunden, sie follten also nit mit gebundenen Händen in das Parlament eintreten. Hiergegen wird aber toto die verstoßen. Ein fo zusammengeseßtes Parlament kann feine Aufgaben nicht erfüllen, und die ganze Grundlage des konstitutionellen Lebens kann dadur erschüttert werden.

Minister des Jnnern Freiherr von der Nee:

Meine Herren! Meine Antwort auf die Anfrage des Herrn Abg. Dr. Eckels kann außerordentlich kurz sein. Die betreffenden drei Herren Landräthe haben es für richtig gehalten, ihre Namen unter denjenigen Wahlaufruf zu feßen, dessen wesentlichßer Inhalt hier ja bereits von dem Herrn Abg. Dr. Eckels mitgetheilt worden is. Die Herren Landräthe find eines Besseren belehrt und meinerseits rektifi- ziert worden. Es is den Herren dabei au gesagt, sie hätten dafür zu sorgen, daß, wenn der betreffende Wahlaufruf in fernerer Auflage erschiene, ihre Namen weggelassen würden. Wenn nun, meine Herren, hier behauptet wirb, es sei inzwishen eine zweite Auflage, und zwar wiederum mit den Namén der drei Landräthe, erschienen, so kann ih hierüber keine Auskunft geben. Jedenfalls aber is es nicht Schuld der Landräthe, wenn die Wahlaufrufe noch ihre Namen tragen- Damit betrachte ih meinerseits diesen Fall für erledigt.

Präsident von Kröcher schlägt um 3% Uhr vor, die Sitzung abzubrechen und am Abend fortzuseßen.

Abg. Rickert bemerkt, daß am Abend auch mehrere Kommissionen tagen, und daß dieser Etat nicht in etner vergnügten Abendsißung er- ledigt werden könne. -

Präsident von Kröcher: Bei der Geschäftslage find Abend- En AIER wenn der Etat vor dem 1. April fertiggestellt werden foll.

Abg. Dr. Sattler: Die erste Ankündigung einer Abendsizung pflegt immer nur als Drohung angesehen zu werden. Der Gegen- stand ist zu wichtig für eine Abendsißung. Ich bitte, lieber jeßt noch etwas reden zu lassen, vielleit bis §5 Uhr, wie es in der leyten Zeit Sitte gewesen ist.

Der Vorschlag des Präsidenten wird abgelehnt.

Abg. Dr. von Jazdzewski (Pole) wünsht, daß der Minister den Beamten auch verbiete, gegen die Polen agitatorisch vorzugehen. Die polnishe Bevölkerung werde mit großer Härte behandelt. Die Versammlungsfreiheit werde beschränkt, die Versammlungen würden aufgelöst, wenn in ihnen polnisch gesprochen werde oder polnische Lieder gesungen würden. Der Minister solle mittheilen, ob er bestimmte Grundsäße in geheimen Erlassen für das Versammlungsreht der polnischen Bevölkerung aufgestellt habe. Der Regierungs-Präfident von Bromberg foll den Beamten in einem Erlaß verboten haben, in ge- wisse friedenstörende Vereine einzutreten. Dieser pri Mer mor nicht korrekt sein. Redner beshwert sh ferner über eine

die Ordnung auflehnt, kann er die Arbeit in Gottes freter Natur er-

einer Erhöhung der Schußzmannsgehälter sind wir einverstanden.

halten. Kommt der Gefangene früher heraus, so sagt er Ah: das ift

e ersügua des Ober-Präsidenten von We pre über die Innehbaltung der Son und der hoheu katholishen Feiertage, wie des Fronleichnamsfestes.