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49. Sizung vom 24. Februar 1898, 2 Uhr.
Ueber den Eng der Sißung wurde in der gestrigen Nummer d. Bl. berichtet. i
Als zweiter Gegenstand der Fogetacinung folgt die erste s der von dem Abg. Dr. Schneider (fr. Volksp.) und von dem Abg. Dr. Lieber (Zentr.) und Genossen einge- brachten Gesezentwürfe, betreffend die eingetragenen Berufsvereine.
Abg. Dr. Schnetder. behauptet, daß der Abg. Freiherr von Stumm bereits bei der Besprehung des Antrages Pachnicke gegen die vorliegenden Anträge Stimmung zu machen versucht habe. Er habe behauptet, das die Anträge ein Bruch des Kompromisses seien, welches beim Bürgerlichen Geseßbuh abgeschlossen sei dahin, daß die fozial- politishen Vereine keine Korporationsrechte erhalten sollten. Das treffe aber nicht zu; denn der Reichstag habe ausdrüdcklich eine Re- solution angenommen, welche die baldige Negelung der Nechts- verhältnisse der Berujsvereine focdere. Der vom Antragsteller und seinen Freunden vorgelegte Gesetzentwurf beshränke fich nicht auf die Arbeiter allein, sondern dehne sich auch auf. die Arbeitgeber aus, und zwar in allen Erwerbszweigen: Landwirtke,
andwerker, Fabrikanten, Handeltreibende, ja Aerzte und Lehrer önnten sch auf Grund dieser Bestimmungen vereinigen. Frei- lih hätten die Arbeiter am meisten Interesse an dieser Frage, da sie bei ihrer größeren Zahl nicht leiht eine feste Form für eine anderweitig organisierte Vereinigung finden könnten, wie {e die Ute fehr leiht fioden könnten. Jn England ätten die Gewerkvereine einen großen Umfang gewonnen. Die Be- hauptung, daß die Gewerkvereine lediglih Strikevereine seten, sei wenn fie jemals wahr gewesen, es jeßt jedenfalls nicht mehr. Denn die Hauptausgaben der Gewerklvereine Enolands eatfielen niht auf die Strikeunterstüßung, sondern auf die Unterstühung der Arbeits- [losen außerhalb der Strikes. Durch diese Unterfiüßung der Arbeits- losen werde der Vagabondage, über die so viel Klage geführt werde, entgegengearbeitet. ODbwobl der neueste und vielleiht größte Strike in England, der der Maschinenbauer, zu Ungunsten der Arbeiter geendet habe, sei damit der Einfluß der Gewc:kpereine nit gebrochen worden; denn es sei vereinbart, daß bei Lohnveränderungen die Vermittelung der Gewerkvereine in Anspruch genommen werden solle. Die Gewerkvereine in Deutsch- land hätten fi, obgleich die wirthshaftlihen Fragen mit den poli- tishen nihts zu thun hätten, im Anschluß an die politischen Parteien gebildet, hauptsählich, weil ihr Entstehen in die Zeit des Kampfes egen die Sozialdemokratie gefallen fei. Die Vereine müßten von der Becauiung mit den politischen Parteien en werden, damit sie
ch rein wirthshaftlih au8gestalten könnten. Der Antrag des Zentrums ei kürzer, präzifer und {ließe fh dem Bürgerlichen Geseßbuch mehr an. Er (Redner) habe aber jeinen Antrag aufrecht erhalten, weil si e denselben {hon eine Kommission Es habe und weil die
reise der Betheiligten sh mit diesem bereits beshäftigt hätten.
Abg. Dr. Spahn (Zentr.) begründet den Antrag des Zentrums und empfiehlt dessen Annahme gegenüber dem Antrage Schnetder, weil der erstere sh mehr dem Wortlaut des Bürgerlihen Geseßbuchs an- dhließe. Aenderungen fachliher Natur seien wenig in dem Antrage enthalten. Redner bespriht die Abweihungen beider Anträge von- einander und erklärt, er halte eine So null isianaberäatbun nicht für nöthig, da si zwischen der ersten und zweiten Lesung leiht unter der Hand ein Weg zur Verständigung finden werde.
Abg. Freiherr von Stumm (Rp.): Der Antrag Schneider wider- spricht zum theil dem Bürgerlichen Geseßbu; der Antragsteller selbst hat ja zugegeben, daß der Antrag des Zentrums si dem Bürgerlichen Geseßbuch besser anschließt. Die Resolution, auf die sich Herr Schnei- der berief, ist damals von der Kommission in Verbindung mit andern Dingen zu stande gekommen und au naher im Haufe ohne jede Prüfung genehmigt worden. Der Antrag des Zentrums bezog si früher nur auf die M tona der privatrehtlihen Beziebungen der Berufêvereine; jezt geht er aber in das Gebiet des öffentlici,en Rechts ein und deckt damit alle politishen Vereine. Das ist ein Widerspruch gegen das Kompro- miß, wonach für die politischen und fozialpolitischen Vereine eia Eiz fluß der Landesbehörden maßgebend sein follte. Ih möchte noh einmal dem Märchen entgegentreten, daß die Kaiserlihen Erlasse von 1890 noch nit ausgeführt seien. Herr von Berlevsh hat diese Meinung jeyt vertreten, aber er befindet sich auch niht mehr an seinem Playe am Regierungstishe. Darin liegt der beste Beweit, daß diese Erlasse eine Organisation der Arbeiter nicht forderien. Gegen eine gemein- schaftlihe Organisation der Arbeiter und Arbeitgeber, wie z. L. in Knappschaftskassen, habe ih nihts einzuwenden. Der Arbeiter steht
d besser dabei, wenn er über diz Lohnforderungen direkt mit feinem Arbeitgeber verhandelt, als durch die Vermittelung der Organisation, denn duech die Organisation wird die Lohn- frage generalisiert, während heute der Unternehmer, dessen Geschäft gut gebt, seinen Leuten Lobhnzulagen gewährt. Die Organisationen der Arbeiter werden nach einem Morimallohn, die dec Arbeits aeber nach einem Minimallohn \treben; da die Unternehmet- Organisationen aber die stärkeren sind, so wird der Arbeiter dabei immer den Kürzeren ziehen. Der Professor Reinhold, der. jedenfalls niht meine sozialpolitischen Anschauungen theilt, ist ebenfalls der Meinung, daß die Gewerkvereine ihre Aufgabe nit mehr erfüllen können. Für die Untersuchung, welde Graf Posadowsky anstellen läßt über die Wirkung des Koalitionsrechts, sollten die Sozialdemo- kraten dankbar sein, wenn sich wirklich ergeben sollte, daß ketuerlei Ausschreitungen vorgékommen sind. Ich bin aber der Meinung, daß gerade, wo Organisationen der Arbeiter sich finten, die Gewaltthätig- keiten zugenommen haben. Vadurch werden die Arbeiter gezwungen, an Ausftänden sich weiter zu betheiligen, auch wenn sie eingesehen baben, daß der Strike frivol vom Zaune gebrochen ist und wenn sie er- fahren müssen, daß ihre Familie darunter leidet. Die Zakl der Ausständigen hat si in den leßten Jahren vervterzi fat, die Zahl der Beshrafungen vervierfaht, und darin crbliFt Herr Zubeil eine bessernde Einwirkung der 'Krbeiterorganisationen. Vaß die Gewerk- schaften ein Theil der Sozialdemokratie sind, ist allerdings nit auf den Generalversammlungen ‘der Gewe1kschaften ausgesprochen worden, aber wohl auf fozialdemokratishen Parteitagen z. B. in Gotha und in sozialdemokratishen Zeitungen. Wohin die Thätigkeit der Gewerkvereine führt, zeigt fic in England, sodaß selbs Professor Brentano von den neuesten Ausftänden niht recht etwas wißen will. In England iff man überall der Ansicht, daß es mit den bestehenden Zuständen nicht mehr weitec gehen kann. Die Moe der Getwcerkfvereine ift erft eirgezogen worden, nachdem dem
ationalvermsgen ein Schaten von taehr als 200 Millionen Mark zugefügt worden ifff, und nachdem cin Geroerkverein allein über 17 Millionen Mark Unterstüyungen gezahlt hat, abgesehen .von dem großen Elend, welches über zahlreiche Arbeiterfamilien hereingebrochen ist. Die Agitatoren haben aber dabei gute Geschäfte gemacht. Statt den Gewerkyereinen in England jährli neue Privilegien zuzubilligen, follte man sich lieber der freien Arbeiter etwas mehr annehmen. Auch die deutschen Arbeitervereine haben sch mehrfah den fozial- demokratischen Forderungen genähert, z. B. der christlice Berg- arbeiter-Verein, der freilich jede Gemeinschaft mit den Sozialdemokraten abgelehnt hat ; aber die „Hilfe“ des Pastors Naumann hat sich über diese Erklärung der Feindschaft gegen die Sozialdemokratie sehr abfällig geäußert. (Widerspruch des Abg. Dr. Hiße.) Naumann steht an der Spiye fast der ganzen rheinishen Arbeitervereine.
Wenn das Zentrum sieht, daß sein Antrag undurchführbar ist, so hoffe ih, daß es sih mit mir auf den Boden von 1878 ftellen und die
emeinsame Organisation der Arbeiter und Arbeitgeber versuchen wird,
adurch wird das Koalitionsrecht der Arbeiter nicht geshädigt, daß die Bildung von Strikekassen verhindert wird. Da die verbündeten Regierungen, ohne die im Bürgerlichen Geseßbuch aufgestellten Prin- zipten aufzugeben, den Anträgen nicht zustimmen können, so wird die ganze Arbeit pro nihilo sein.
Abg. Noesicke (b. k. F.): Freiherr von Stumm hat die Resolution des Reichstages über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine
l abfällig beur! E wohl etwas anders geurtheilt, es sich um eine ihn interessierende Frage gehandelt hätte. Gegensaß zu dem Freiherrn von Stumm der Meinung, daß die Berufs- vereine zur Mäßigung der wtrthschaftlihen Kämpfe führen werden. Die Organisation der Arbeiter is în den Februarerlassen von 1890 in Auésicht gestellt, es ist aber auf diesem Gebiet noch nichts geschehen. Die Anschauung ist etwas befremdend, daß die Februar-Erlasse dadur hinfällig würden, daß Herr von Berlepsch gegangen ist. Die Erlasse sind für das preußische Staats-Minifterium maßgebend, bis etwas Neues an ihre Stelle getreten is. Freilih, die „ Volkswirthscaftliche Korrespondenz“ möchte den Bestand des ganzen Handels-Ministeriums revidieren, damit die Berlepsch’s{chen Intentionen ganz aus der NRegie- rung vershwinden. Durch die Erleichterung der Bildung von Berufs- vereinen wird jenen Arbeitern, welchè niht der Sozialdemokratie an- gehören, die Möglichkeit einer eigenen Vertretung ihrer wirth\chaft- lidén Interessen gegeben; jeßt müssen fle sich an die sozialdemokratisch zentralisiezten Gewerkschaften wenden. Freiherr von Stumm würde sich, wenn er Arbeiter wäre, auch nicht an den Abg. von Stumm wenden. Das Entgegenkommen des Freiherrn von Stumm be- züglih der gemeinsamen Organisation der Arbeitgeber und Arbeit- nehmer iff nur ein Mäntelchen für das entschiedene „Nein“ gegen- über der berehtigten Forderung der Arbeiter. Mit der Organisation der Arbeiter habe ih keine \{lechten Erfahrungen gemaht; ih glaube, darüber eher ein Urtheil zu haben, als alle diejenigen, welhe noch keinen Versuch damit in thren Betrieben gemacht baben. Beim Bierboykott haben wir es bedauert, daß eine richtige Organisation der Arbeiter ni&t vorhanden war. Freiherr von Stumm hat es freilid abgelehnt, mit mir zu verhandeln, weil ih die Interessen meines Standes verleßt hätte. Meine Berufsgenossen sind mir aber dankbar, daß ih den Frieden mit der Sozialdemokratie ab- geschlossen habe; denn dieser Frieden wird jeßt so loyal gehalten, daß ih vorkommenden Falls wieder einen solchen Frieden abschließen würde. Redner lehnt den Vérgleih mit Amerika, wo manchmal Macht vor Ret gehe, ab und erklärt, er lasse höchstens einen solchen mit England zu, wo dcch das Ergebniß der Gewerkschaftsbewegung sh sehr viel günstiger stelle, als Freiherr von Stumm zugeben wolle; namentli feien auch bei dem leßten Strike Ausschreitungen nicht vorgekommen. Daß in England die Meinung verbreitet sei, es gehe so nit weiter, sei das Gegéntheil von dem, was er (Redner) aus den Vorgängen entnommen habe. Nedner bestreitet ferner auf das ent- \chiedenste, daß durh die Thätigkeit der englishen Gewerkvereine der englische Grport beeinträchtigt worden sei. Wenn durch die Ausdehnung der Großinduftrie der Kleinbetrieb noch mehr zurück- gedrängt würde, wenn die jeßigen kleinen Unternehmer ebenfalls in die Klasse der Arbeiter gedrängt würden, so müßte dafür gesorgt sein, daß diese Arkteiter fich zufrieden befinden, daß fie ihre Interessen wahren könnten. Die Bildung der Berufsvereine habe in keiner Weise etwas mit dem Sozialismus zu thun, sondern sie fei ein Mittel der Selbsthilfe. Freilih seien die Unterstüßungen von landwirth- {chaftlihen Genossenschaften aus der Zentralgenossenschaftskasse keine \fozialistishen Maßnahmen, weil das der rechten Seite nüße. Das Andere aber, was der Linken rüße, set cine sozialistishe Maßnahme. Redner empfiehlt zum Schluß, in Deutschland ein ähnliches Arbeitsamt einzucihten, wie es in dem englischen Labour Department bestehe.
Nach einigen persönlichen Bemerkungen der Abgg. Frei- herr von Stumm und Roesicke wird die Berathung ab- O um am nächsten „Schwerinstage“ fortgeseßt zu werden.
Slß [6 Uhr. Näghste Sißung Freitag 1 Uhr. (Zweite Berathung der Vorlage wegen Entschädigung un- schuldig Verurtheilter.)
Preußischer Landtag. Haus der Abgeordneten. 30. Sißzung vom 24. Februar 1898. Ueber den Beginn der Sißzung ift hon berichtet worden. Die zweite Berathung des Staatshaushalts- Etats für 1898/99 wird bei dem Etat der Berg-, HÜütten- und Salinen-Verwaltung fortgesetzt.
produkten“ nimmt das Wort der Minister für Handel und Gewerbe Brefeld: Meine Herren! Bevor wir in die Berathung des Bergetats
kurzen Bericht zu erstatten über das {were Unglück, das sich im rheinis-westfälishen Revier, auf der Zeche Karolinenglück, vor run- mehr aht Tagen ereignet hat: ein Unglücksfall, der in den weitesten Kceisen des Landes die Theilnahme ter Bepölkerung erregt und
regung hervorgerufen hot. Die Erregung, die durch diesen Unalückä- fall hervorgerufen ift, i um \o größer, als die Mittheilungen, welche in den Zeitungen, in den öoffentlihen Blättern und in den
fragte sih mit Recht: wie ist es mögli, daß die Verwaltung nit sofort genau orientiert war über die Zahl der nah dem Unfall
Leben gefährdet waren? Man fragte sich: wie ist es möglich, daß in einer Gcube, die bisher nit einmal zu den gefährlihen Gruben ge- rechnet worden ift, ein Unfall von so großer Ausdehnung eintreten kounte? Man fragte nah den Ursachen des Unfalles und vor allem, meine Herren, man fragte nah den Maßregeln, die die Verwaltung zu treffen gedenkt, um folhen {weren Unglüdsfällen für die Zukunft vorzubeugen.
Ic) muß die Berechtigung aller dieser Fragen in vollem Um- fange anérfennen, und ih halte mi für verpflihtet, nah dem jeßigen
jenigen Aufschlüsse zu geben, welche hiernach mögli sind.
Der Uuglücksfall ist einer der größten, die sich in der preußishen Bergverwaltung bis jeßt ereignet haben. Nach den nunmehr verliegendten Berichten sind 115 Personen getödtet worden, 4 find verleßt worden und zwar so, daß mit der Verleßung eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 3 Tagen verbunden is. Danach ift also die Zahl der Verleßten erheblich geringer, als ursprünglich angenommen ift, dagegen die Zahl der Getödteten allerdings erheblich größer, als ursprünglich angenommen war. Es is} indessen nicht aus- geshlossen, daß auch in diesen Ziffern noch Aenderungen eintreten, weil thatsählih die Zifferangabe, die mir berichtet ist, fünf-, sechsmal nah einander si geändert hat.
Ich habe, sobald ih aus dem „Berichte habe entnehmen können, wie groß das Unglück ist, sofort Kommissarien an Ort und Stelle geshickt mit dem Auftrage, si, soweit es angängig i}, über die Ent- ftehungsursachen des Unfalles genauer zu informieren. Diese Kom- mifsarien sind nunmehr zurückgekehrt und haben über den Befund mündlichen Bericht erstattet.
Das Ergebniß dieses Berichtes muß natürlih als ein vorläufiges mit Vorsicht aufgenommen werden, weil thatsählich die Aufräumungs- arbeiten in der Grube noch nicht beendet sind, weil noch nicht alle
Bei dem ersten Titel: „Einnahmen aus Bergwerks- |
eintreten, möchte ih um die Erlaubniß bitten, dem hohen Hause einen
namentlich unter der bergarbeitenden Bevölkerung eine große Er- |
Berichten der Behörden kundgegeben find, erst allmählih bruchstück- ! weise den großen Umfang des Unglücks erkennen ließen. Man |
Stande der noch nicht abgeschlossenen Untersußung hon jeßt die- |
Theile der Unglücksstätte zugängig sind, weil einzelne Theile der Grube vershüttet sind durch die Explosion oder noch mit Schlag- wettern erfüllt find, sodaß sie noch nicht zugängig sind. Nach dem Ergebniß dieses Berichtes ist nun aller Wahrscheinlichkeit nah die Explosion auëgegangen von einem Punkte oberhalb der untersten Sohle. Die Grube hat fünf übereinander liegende Sohlen. Ober- halb der untersten Sohle in einer Entfernung von ungefähr 1000 m von dem Mündungspunkte des Schachtes befindet sich ein sogenanntes UVeberhauen. Darunter versteht man bergmännisch eine Verbindung, die zwischen einer oberen und unteren Strecke hergestellt wird, die aber noch nit vollendet ist, die von unten her begonnen worden ift, sodaß sich thatsählich ein Loch bildet, das einen gefährlichen Sammelpunkt für Schlagwetter abgiebt, weil ja diese Shlagwetter leichter sind als die atmosphärisGe Luft, also nach oben steigen und in dieser Sackgasse, wenn ih so sagen darf, gefangen werden. Die Explosion is eingetreten unmittelbar, nachdem die Belegschaft zur Arbeit angetreten war. Es wird an der betreffenden Stelle nur in einer Schicht gearbeitet, sodaß voraus- sichtlid eine sehr geraume Zeit vor dem Eintritt der Belegschaft ver- flossen ift feit dem Schluß der leßten Schicht. Es is daher an- zunehmen, daß ein erhebliher Theil von Schlagwettern si an dieser Stelle angesammelt hatte. Nun wird diese gefährlihe Stelle, ein Wetter- lo, wenn ih es so bezeihnen darf, von den Schlagwettern in folgender Weise gesäubert. Man hat einen Ventilator eingerichtet, der mit der Hand betrieben wird und der dur eine Röhrenleitung in Verbindung steht mit diesem Wetterloch, aus welhem er die angesammelten Wetter abzu- saugen bestimmt ist. Thatsächlih ist bei dem Befunde nach dem Unglüdsfalle festgestellt, daß diese Röhrenleitung vollständig zer- trümmert war. Dieser Umstand deutet darauf hin, daß hier der Ausgangspunkt der Explosion zu finden ist. Nan fragt man si: wie ist es mögli, daß in einer Grube, die niht zu den gefährlichen Schlagwettergruben gehört, eine Explosion so ungehenre Dimensionen hat annehmen können? Das hängt nun nach dem Befunde der Kommissare unzweifelhaft zusammen mit dem trockenen Koblenstaube, der in den unteren Sohlen der Grube sich in großer Menge vorfindet und durch die Schlagwetter zur Entzündung gekommen ist. Die Verbrennung des Kohlenstaubes entwickelt Kohlengas; das ver- stärkt das explosible Gemisch, und dadurch findet also die Explosion denjenigen Zündstoff, der es ihr ermögliht, nun durch die Gruben- gänge verheerend vorzudringen bis zu dem Ausgangspunkt. Die Explosion selbst erzeugt nun erfahrungsgemäß Nachshwaden. Diese Nachschwaden sind aber absolut gefährlih; sie wirken erstickend und verbreiten sich durch alle Gänge der Grube. Sie sind natürli hier in sehr großem Umfange entstanden, und so ist es zu erklären, daß an allen Stellen der Grube die eben zur Arbeit angetretenen Arbeiter überras{cht wurden von den Nahshwaden und erftickten.
Das ift also der wahrscheinlih2 Hergang des Unfalles, wie er sh nach dem vorläufigen Berichte meiner Kommissare abgespielt hat. Es entsteht nun zunächst die Frage: welhe Vorkehrungen wird nah diesem Ergebniß die Bergyerwaltung zu veranlassen haben, um \solchen
| {weren Unglücksfällen für die Folge vorzubeugen. Da handelt es sich
zunächst um die Behandlung solcher gefährlichen Punkte, wie sie in diesem von mir bezeidneten Wetterloh gegeben sind. Es wird nun seitens der Bergverwalturg für unbedingt nöthig gehalten — und ih bin der Meinung, daß diese Auffassung zutreffend ist —, {hon erhebliche Zeit vor dem Beginn der Schicht eine Nevision solcher gefährlihen Punkte eintreten zu lassen, um festzustellen, daß die Bewetterung des Punktes, die Beseitigung der Schlagwetter, die Säuberung des Gefahrpunktes stattgefunden hat, ehe die Belegschaft zur Schicht kommt: eine Ein- rihtung, wie sie beispielsweise in Oberschlesien getroffen ift, that-
| sählich aber noch niht überall nachgeahmt zu fein s{heint. Das ist
rie erste Maßregel, zu welcher der in Rede stehende Unfall Anlaß giebt.
Die zweite Maßregel steht im Zusammenhang mit dem Koblen- staub. Es ist unbedingt nothwendig, daß in derjenigen Grubengängen, die niht die erforderlite Feuchtigkeit haben, um den Kohlen- staub niederzuhalten, Befeuchtungseinrihtungen getroffen werden, die diesen Zweck erfüllen. Solche Einrichtungen hat man in den Saar-Gruben, zum größten Theil auch in den Gruben im Nuhrrevier bereits getroffen. Mon hat NRöhrenleitungen
mit Sprigzvorrihtungen durch die betreffenden Grubentheile geführt,
: um so die Grubengänge feucht zu halten und den gefährlichen Kohlen-
staub niederzuhalten. Diese Einrichtung muß, soweit sie in Gruben, bei denen die gleihe Gefahr vorliegt, noch niht getroffen ist, un- bedingt zur Einführung gebracht werden. Jh glaube, die berg- verständigen Abgeordneten dieses Hauses werden diese meine Auffassung
| gern zu bestätigen bereit sein. noH in der Grube befindlihen Perfonen, die dech sämmtlich in ihrem i
Das sind diejenigen Maßregeln, zu denen der Befund unmittelbar nah dem Unglücksfall Veranlassung giebt. Jh bin aber der Mei- nung, daß das noch nicht genügt, und daß wir jeßt zu gleiher Zeit
| die Aufgabe haben, die Gesammtheit der bergpolizeilichen Vorschriften,
die Gesammtheit der Einrichtungen für die Beaufsfihtigung des Grubenbetriebes und insbesondere für die Bewetterung der Grube einer Nevision zu unterziehen. (Sehr richtig !)
In dieser Beziehung wird es \sich namentlich um folgende Punkte handeln.
Es ift zunächft unter allen Umständen nothwendig, daß die Aus- dehnung des Grubenbaues gleihen Schritt hält mit den Einrichtzngen für die Bewetterung der Gruben. Es liegt ja in der Natur der Sache, daß in Zeiten einer günstigen Konjunktur, wie wir sie gegen- wärtig haben, die Förderung der Kohle erheblich zunimmt, demgemäß auch das ganze Grubengebäude größere Dimensionen annimmt. Die einzelnen Strecken nehmen eine Länge an von 1 bis 2 km Ent- fernung von dem Ausgangs8punkt des Schachtes. Natürlich ift die Einführung der frischen Wetter dadur in ihrer Wirkung geschwächt, je größer der Grubenbau ift. Die Depression, die die frishen Wetter hineinzieht in die Grube, wird selbstverständlih verringert, je größer der Raum ist, über den sie sich verbreitet hat. Die Theilung des Wetterstromes durch die verschiedenen Gänge ergiebt eine geringere Distribution für den einzelnen Gang. Die Schwterigkeit, die Gefahr- punkte mit frishen Wettern zu versehen, wird dann um so größer, je größer der Grubenbau if und je länger die einzelnen Strecken sind, in denen die Kohle gewonnen wird. Zu diesem Zwelke wird es nun nah meiner Meinung nöthig sein, eine Einrichtung fruchtbar zu machen, die bereits vor mehreren Jahren seitens der Bergverwaltung getroffen ist, die Einrichtung der sogenannten Befahrungs-Kommissionen; das sind Kommissionen, die theils aus Grubenbeamten, theils aus Auffichtsbeamten bestehen, die für alle Neviere eingeseßt sind und die Aufgabe haben, die einzelnen
Gruben der Reihe nach zu befahren und zu revidieren in Bezug auf die für Bewetterung bestehenden Einrichtungen. Diese Kommissionen haben si in vollem Maße bewährt.
Es wird nun aber, glaube ih, erforderlih sein, anzuordnen, daß diese Befahrungs-Kommissionen ihre Aufgabe in einem regelmäßigen Turnus erfüllen, sodaß also in bestimmten Zeitperioden alle Gruben der Revision dur diese Befahrungs-Kommissionen unterzogen werden. Es wird ferner nöthig fein, daß die Befahrungs-Kommissionen mit ihrem Befund, den sie ja natürli bet jeder Revision aufzunehmen haben, zugleich ein Gutachten verbinden, soweit es sich um Ab- änderung der bestehenden Einrichtungen handelt; dieses Gutachten aber muß die Unterlage bilden für die Anforderungen, die die Aufsichtsbehörde demnächst an die Grubenverwaltungen zu stellen hat, wenn es sich um Verbesserungen dec bestehenden Gruben- einrihtungen handelt. Daß aber die Aufsichtsbehörde eine solche fahverftändige Grundlage ihrer Anforderungen hat, is deshalb noth- wendig, weil diese Eirrichtungen mit großem Kostenaufwand verbunden find. Wenn beispielaweise für neue Gruben nur ein odér zwei Schächte bestanden haben, die Ausdehnung des Grubenbaues erfordert aber die Herrichtung eines ferneren Schachtes, so kann eine einzige solche Se{achtanlage einen Kostenaufwand von einer Million erfordern. Da- gegen firäubt sich natürlich die Grubenverwoaliung und sie kann ver- langen, taß die Forderung der Aufsichtsbehörde gestützt wird auf ein \sachverständiges und unanfechtbares Gutachten. Dieses denke ih mir zu vershaffen dur die Verwendung dieser Befahrungs-Kommissionen.
Nua handelt es sih ab?r noch um eine Reihe von Forderungen, die insbesondere in den Kreisen der Arbeiter erhoben werden, und ih glaube, diese Forderungen einer kurzen Besprehung unterziehen zu follen.
Heer \teht in erster Linie die Frage der Uebershichten. Es liegt ja in der Natur der Dinge, daß in den Bergbetrieben die Uebershihten nicht vollsiändig zu vermeiden sind; es liegì das in der Unregelmäßigkeit des Betriebes, die bdurch UnterbreGungen «aller Art herbeigeführt wird. (Zuruf.) Ich verweise beispielsweise auf den Wagenmangel, der ja sehr häufig die Nothwendigkeit vorübergehend zu feiern, mit sich bringt. Dann enisteht ein Nückstand in der Aufgabe der Gruke, dessen baldige Aus- gleihung erwünscht ist, sowohl im Interesse der Konsumenten als auch der Arbeiter, die ja font keine ausgleihende Entschädigung für den Ausfall an Verdienst haben würden. Daher kommt es, daß die Einlegung von Uebershichten niht unbedingt aus- geschlossen werden kann, aber fie muß fkontroliert und in engen Grenzen gehalten werden. Jch habe es deshalb für nothwendig crahtet, daß eine solhe permanente Kontrole ein- geführt wird, und daß zu gleicher Zeit gewisse Höchstziffern festgestellt werden für die Zulaffung von Uebershihten. Einseitig will ih dies meinerseits aber nicht anordnen. Jh habe deshalb das Ober: Bergamt zu Dortmund beauftragt, darüber mit dem Verein für die bergbau- lichen Interessen von Rheinland und Westfalen in Verbindung zu treten, und erwarte einen Bericht über diese Verhandlungen, um auf Grund desselben demnäthst die weiteren Festsezungen zu treffen.
Ein zweiter Punkt bezieht sich auf die in den Bergrevierbeamten vorhandene Aufsihtsverwaltung. Es wird behauptet, diese Aufsits- verwaltung sei nicht genügend. Man sagt, die Zahl der Aufsichts- infpektionen reihe nicht aus; man sagt, die Beamten besißen nicht die genügende Ausbildung für die ihnen gestellte Aufgabe; man sagt endlich, es fehlt an dem nöthigen Unterpersonal, um ihrex Aufsicht3- und NRevisionsaufgabe in vollem Umfange zu genügen.
Diese Auffaffung ist nur theilweise richtig.
Was zunächst den ersten Punkt, die Zahl der vorhandenen Berginspektionen, betrifft, so habe ih mir eine Zusammenstellung machen lassen, wona sich ergiebt, daß die Zahl zer Berginspektionen sich in England, Belgien und Preußen folgendermaßen stellt: In England entfällt auf 18 000 Arbeiter eine Inspektion, in Belgien entfällt auf 6200 Arbeiter eine Inspektion, und in Preußen haben wir bereits auf 4000 Arbeiter eine Inspektion. Danach möchte ih nun glauben, daß — wenigstens zunähßst und vorbehaltlich der Prü- fung in jedem einzelnen Falle — die Zaßl der Berginspektionen an sich wohl eine g-nügend bemessene ist.
Was die Ausbildung der Bergbeamten betrifft, so, glaube ih, ist dieselbe in der preußischen Bergverwaltung in der That vollständig einroandéfrei. IŸ kann Ihnen das natürlich nit im einzelnen be- legen, nur einen Punkt möhte ich mir anzuführen gestatten. Von der Gesammtheit der preußishen Berg-Assessocea sind 148 etats- mäßig angestellt; 50 find beurlaubt für ten Privatdienst, und von diesen 35 im Juland und 15 im Auslazd beschäftigt. Sie crkennen daraus das Maß des Begehrs nah der Verwendung preußischer Bergs- beamten, und ich glaube, das berechtigt zu der Annahme, daß der preußishe Bergbeaute in der Ausbildung und Leistungsfähigkeit binter dem Durö&schnitt niht zurückgeblieben ist; sons würde es nit mögli sein, daß er in folhem Umfange im Privatdienst und im Auslande gesucht wird.
Nun komme ich aber zu einem andern Punkt, bezüglich dessen mir die Forderung der Bergarbeiter niht ganz unbegründet zu sein s{eint. Ich bin in der That der Meinung, daß der in einzelnen Berg- inspektionen vorkandene Aufsihhtsapparat nit genügt, weil es an dem erforderlichen Unterpersonal fehlt, um eine bäufigere Revision eintreten lassen zu können bezügli derjenigen Theile der Revisionsaufgaben, für welche es einer höheren bergtenishen Bildung nicht bedarf. Das ist aber ein sehr ausgedehnter Kreis; da bandelt es ch um die Kontrole bergpolizeiliher Vorschriften, die im Interesse der Vorsicht geboten sind; da handelt es si vor allen Dingen darum, \ich zu überzeugen, daß die einzelnen tcchnischen Einrichtungen rechtzeitig zu wirken be- ginnen und in genügender Weise wirken. Das kann der praktische Bergarbeiter, der Erfahrungen dur einen langjährigen Dienst als Arbeiter gesammelt hat und ein gewisses Maß fahmännischer Kenntnisse besißt, auch beurtheilen. Haben wir ein folches prak- tishes, aber nicht mit höôberen bergtechnischen Kenntnissen ausgerüstetes Unterperfonal, so können wir diesen Theil der Nevisionsaufgaben der Berginspektion in vollkommenerer Weise erfüllen, als es bisher der Fall ift.
Nun weisen aber die Arbeiter darauf hin, daß in anderen Ländern und zwar gerade in denjenigen, in denen vorzugsweise der Bergbau betrieben wird, in England, Frankrei und Belgien, geseßlih ein Revisionsapparat geschaffen ift in den sogenannten Arbeiter- Delegirten ; sie wünschen und verlangen, daß eine ähnliche Einrichtung auch in Preußen getroffen werde. Ih habe natürlih Veranlassung genommen, mich über die in diesen Ländern bestehenden geseßlichen Bestimmungen
zu informieren. Danach sind die Einrichtungen, die dort getroffen sind, sehr verschiedener Art. Jn England wählen die Arbeiter aus ihrer Mitte einen ihnen geeignet s{cheinenden Delegirten, der nun die Befugniß hat, unter Begleitung eines Grubenbeamten die Gruben zu revidieren, den Befund aufzunehmen, der dann die weitere Unter- lage für Aufsichtêömaßregeln bildet; besoldet wird aber dieser Delegirte dur bie Arbeiter felbst. Von der Einrichtung selbst ist, soweit wir bisher unterrihtet sind, nur in geringem Maße Gebrauch gemacht, — wie ih annehme, wohl aus dem Grunde, weil die Arbeitec selbst die Kosten tragen. In Frankreih hat man die Einrichtung getroffen, daß Vertreter der Arbeiter geroählt werden, die aber eine ganz be- stimmte Qualifikation nahweisen müssen. Besizen sie diese Quali- fikation, können fie den Nachweis führen, daß sie sie besißen, so werden diese so gewählten Arbeiter von der Regierung als Arbeiter- Delegirte ernannt mit nicht bloß der Befugniß, sondern zuglei der Verpflichtung zur periodischen Revision der Gruben des be- treffenden Bezirks. Ju Belgien hat man erst im Vorjahre eine Ein- rihtung getroffen, die noG wiederum anders beschaffen ist. Dort werden von den sogenannten Arbeits- und Industrieräthen, in welchen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vertreten sind, und zwar von der Sektion ter Arbeits- und Industrieräthe für den Kohlenbergbau zwei Kandidaten präsentiert; die Regierung suht aus diesen zwei Kan- didaten denjenigen aus, den sie für den zuverlässigsten, qualifiziertesten, geeignetsten hält; diesen ernennt sie zum Arbeiter-Delegirten, und er wird der Aufsichtsinstanz, der Aufsichtsbehörde beigeordnet, um regel- mäßige Revisionen der Gruben vorzunehmen.
Nun, meine Herren, habe ih zu gleider Zeit von den aus- wärtigen Regierungen Mittheilungen erbeten, wie diese Einrichtungen si bewährt haben. Diese Mittheilungen sind mir bis jeßt noch niht zugegangen; ih habe aber die Absicht, demnächst Kommissarien in die betreffenden Länder zu senden, die an Ort und Stelle ih darüber informieren follen, wie die dort getroffenen Ein- rihtungen thatsählich funktionieren, und wie fie ih bewährt haben. Was nun auf Grund des Abschlusses der hiernach anzustellen- den Ermittelungen demnächst meinerseits veranlaßt werden wird, darüber muß ih mir natürli die Entschließung vorbehalten. Das Ziel aber der zu treffenden Einrichtungen wird darin bestehen, einen unteren Aufsihtsapparat zu s{affen, durh den der jeßige Apparat der Berginspektion erweitert und erleihtert wird.
Das, meine Herren, sind im wesentlichen diejenigen Maß- regeln, die in Betracht kommen können, insoweit es \ich darum handelt, für den Grubenbetrieb eine größere Sicher- heit zu schaffen, als sie bisher vorhanden gewesen ist. Ich glaube, Sie werden aus meinen Darlegungen entnehmen, daß thatsählih die Negierung ih ihrer Aufgabe, für das Leben und die Sicherheit der Arbeiter zu sorgen, in vollem Umfang bewußt ist. Ich glaube aber bei diesem Anlaß der in weiten Kreisen der Arbeiter verbreiteten Auffassung entgegentreten zu müssen, daß die Unfallgefahr im preußishen Bergwerksbetrieb in der Zunahme begriffen fei. Hier muß ih bemerken, wie ih {on mehrfach hervorzuheben Gelegenheit ge- habt habe, daß die Unfallziffer der preußishen Bergverwaltung thatsächlih eine sehr große ist; sie ist in Wirklichkeit um die Hälfte größer als in Belgien und England und doppelt so groß wie in Frankrei. Das erklärt fich aber aus Umständen, die niemals zu beseitigen sein werden; es hängt ¿usammen — die Ziffern beziehen si lediglich auf den Koblen- bergbau — mit der Beschaffenheit der Kohlen, mit der Beschaffenheit undder Lage der Flöße, die fteiler als in anderen Ländern sind, endlich mit dem außerordentlich {nellen Aufschwung unseres Kohlenbergbaues. In 15 Jahren hat sich der Kohlenbergbau in Belgien um 25, in England um 40, in Preußen um 670/60 vermehrt. Darin liegt zu- glei cine große Gefahr für die Sicherheit des Bergbaubetriebes; das wird ih aber niemals vollständig ändern lassen.
Wenn wir aber nun die Unfallziffern in Betracht zichen, die ja in übliher Weise in der Art aufgestellt werden, wie viele Todesfälle auf 1000 beschäftigte Arbeiter kommen, dann ergiebt sh, daß man die Unfallziffern der einzelnen Jahre garnicht mit einander vergleichen kann. Darauf wirken zufällige Umstände ein, sodaß man einen Anhalt für die Beurtheilung der kontinuterlihen Entwickelung der Unfallziffern daraus nicht entnehmen kaun. Sie werden das sehen, wenn ih Jhnen die Unfallziffern der leßten 5 Jahre vorlese; die stellen sich also: für das Jahr 1891 auf 2,395 pro 1000 beschäftigte Arbeiter, 1892 sinkt diese Ziffer auf 1,963 Todes- fälle; 1893 steigt sie wieder auf 2,245, und 1894 sinkt sie wieder auf 1,983; 189% fteigt fie wieder auf 2,229 Todesfälle. Sie sehen daraus, daß eine Vergleihung der einzelnen Jahre also eigentlih gar keinen Sinn hat; dagegen pflegt man in der Bergverwaltung, um die kontinuierlihe Entwickelung der Unfallziffern rihtig zu beurtheilen, zu rechnen mit dem Durchschnitt von je 5 Jahren. Man hat berechnet den Durchschnitt für die Jahre von 1886 bis 1890 und von 1891 bis 1895, Der Dur@Whschnitt des ersten Jahrfünfts betrug 2,273 pro 1000, der Durwschnitt für das zweite Jahrfünft betrug 2,163 pro 1000 besdäftigte Arbeiter. Hiernach i} diese Durchschnittisziffer in den 5 Jahren gesunken um 5 %/%. Das ist zwar nit viel, aber es geht doch daraus hervor, daß die Fürsorge der Aufsichtéverwaltung für die Betriebssicherheit und für die Sicherheit der Arbeiter keine vergebli@e ift.
Nun möchte ich aber noch ein paar andere Ziffern geben, die speziell Bezug haben auf die Slagwetter-Explosionen. Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß wir seit 1890 mit der Einrichtung der Befahrungs- Kommissionen vorgegangen sind, und daß dieselben thatsählich sehr gut gewirkt haben. Nun will ih mir gestatten, einige Ziffern vorzulegen aus der Zeitschrift für Berg- und Hüttenwesen*“ pro 1896. Danach ergiebt sich, daß im Fahre 1891 die Förderung der preußischen Stein- kohlen-Bergwerke betragen hat 67 Millionen Tornen, im Jahre 1895 aber 72 Millionen Tonnen, also cine Steigerung um 5 Millionen Tonnen ; die Belegschaft im Jahre 1891 253 000 Arbeiter, im Jahre 1895 272 000 Arbeiter, also cine Steigerung um 19 000 Arbeiter.
Nun aber, meine Herren, die Explosionsfälle. Sie haben be- tragen im Jahre 1891 102, im Jahre 1895 66, also ein ganz be- trähtliher Rückgang troy der Steigerung der Förderung und troß der
sehr erhebliGhen Vermehrung der Belegschaft. Die Zahl der dur |
Explosionsunfälle betroffenen Personen betrug 1891 316, 1895 206, also auch hier ein ganz erheblicher Nückgang ungeachtet der Steige- rung der Förderung und ungeachtet der Steigerung der Belegschaft. Ich glaube hieraus den Schluß ziehen zu dürfen, daß in der That die Maßnahme, die die Verwaltung ihrerseits getroffen hat zur Hebung der Sicherheit gegen die Explosionsgefahr, doch wohl ihre Früchte ge- tragen hat. Aber, meine Herren, damit ist es noch nicht genug. Wir
wollen sehen, sie noch weiter zu verbessern, wir wollen sehen, noch weitere Sicherheit für das Leben und Wohl der Arbeiter zu schaffen. Aber dabei darf man eins niemals vergessen: der Bergbaubetrieb ist neben der Schiffahrt der gefährlihste Betrieb; daran wird man niemals in der Welt etwas ändern können, und da möchte ih das Eine hervorheben, was man bet der Beurtheilung dieser Frage nicht außer Acht lassen darf. Schon die Römer sagten: man kann auf die Schiffahrt nicht verzihten, troy der Todesgefahr, die damit ver- bunden ist. „Navigare necesse est, vivere non est necesse.“ Dasselbe gilt auch für den Bergbau. Wir haben die reichen Schätze der Kohlen, der Erze, der Salze, das is ein Talent, das uns gegeben ist, damit wir es verwerthen und fruhtbringend machen für unser Land, ungeachtet der damit verbundenen Gefahr. Die Gefahr müssen wir tragen! Aber das is unsere heilige Pflicht, daß wir dafür sorgen, sie fo sehr als mögli zu vermindern. Alles, was uns die Erfahrung der Wissenschaft und in der Praxis an die Hand giebt, das müssen wir verwerthen, soweit es nah mens{chliher Berehnung mögli ift, die Gesundheit und das Wohl der Arbeiter sicher zu stellen. Das wird erhöhte Aufwendungen bedingen, Aufwendungen für uns, für den Staat, aber auch für die Grubenverwaltungen, und ih meiner- seits glaube annehmen zu können, daß das hohe Haus in meinem Bestreben mir in dieser Beziehung begegnen und hilfreihe Hand reichen wird. (Lebhaftes Bravo.)
Abg. Gothein (fr. Bgg.): Das bedauerlihe Grubenunglück bat das Gute, daß es zu Vorkehrungsmaßregeln auffordert. Ih danke dem Minister für seine Zusagen; ih zweifle niht, da seine Mafßs regeln etnen großen Theil der Gefahren beseitigen werden. Tief be- dauerlih, aber erklärlich ist es, daß das Unglück zu politishen Zwecken ausgebeutet worden ist. Die Vorkehrungsmaßregeln werden dazu dienen, unberehtigte Klagen verstummen zu lassen. Aus den Worten des Ministers klang heraus, daß das Unglück ih hätte vielleicht vermeiden lassen. Es wäre niht in dem Umfang eingetreten, wenn nicht in so großem Maße explosiver trockener Kohlenstaub in der Grube vorhanden gewesen wäre, der die Explosion weiter getragen hat. Was helfen die besten bergpolizeilihen Vorschriften, wenn sie nicht befolgt werden ? Nach der neuesten Statistik kommt bei uns auf 6000 Bergarbeiter ein Revterbeamter. Troß der Steigerung der Förderung um mehr als das Doppelte im Bezirk Breslau hat sich die Zahl der Revierbeamten vermindert. Fn anderen Bezirken is es ähnli troß der Steigerung der Arbeiterzahl. In Waldenburg kommt auf 19 000 Arbeiter nur ein Revierbeamter. Der NRevierbeamte hat keine Zeit, die Gruben periodisch so zu revidieren, wie es im Interesse der Sahe wünschenswerth ist. Die Arbeiter kommen mit dem Revierbeamten selten in Berührung. Eskönnte eine ganze Anzahl neuer Bergreviere geschaffen werden, wenn es auch an Verg-Assefsoren fehlt; denn die Aufsicht könnte au von Unter- beamten, Steigern und Obersteigern geübt werden. Diese sollten niht das Recht selbständiger Anordnung haben, \ondern auf Gefahren aufmerksam machen. Den Angeber sollen sie nit spielen. Strafen sind das allerungeeignetste Mittel, Gefahren zu verhüten. Die Arbeiter follten das Necht haben, durch ihre Delegirten an der Auf- sit theilzunehmen. Sozialdemokratishe Bestrebungen dieser Delegirten lassen \sih vermeiden, wenn die höheren Beamten ihr Augenmerk darauf richten. Diese Betheiligung wäre auch politis rihtig. Man windet den Arbeitern die besten Agitation8waffen aus der Hand, wenn man ihnen eine Mitaufsiht überträgt.
Abg. Fuchs (Zentr.): Mit Recht hat der Minister Vor- kehrung8maßregeln {on vor Befahrung der Gruken für noths wendig gehalten. Der Kohlenstaub muß gehörig befeuhtet werden. Die Besahrungs-Kommissionen sind: eine gute Einrichtung, sie werden für die erforderlihen Schußvorrihtungen zu sorgen haben. Ueber- shihten find nicht zu vermeiden; aber sie dürfen nicht Mode werden. Auch ih bin der Meinung, daß den Arbeitern eine Mit- wirkung an der Aufficht eingeräumt werden muß, dadur läßt ih am besten das Mißtrauen der Arbeiter beseitigen. Die Zahl der Revierbeamten muß vermehrt werden. Den Opfern der Katastrophe sind wir ein ehrendes Denkmal s{huldig, sie sind in Auëübung ihres Berufs auf dem Felde der Industrie gefallen. Eine ebenfolche An- erkennung verdienen au die Arbeiter und Beamten, die ih an der Rettung in erhebender, todesmuthiger Weise betheiligt und dabei auch zum theil ihren Tod gefunden haben. Die beste Ehrung würde aber darin bestehen, daß für die Hinterbliebenen nicht nur von privater Seite, sondern au von Staatswegen, wie es {hon in ähnlichen Fâllen gesehen ift, über das Maß des geseßlich Zuläfsigen hinaus gelorgl wie, (nl) feblt die F
g. Horn (nl.) empfie e Förderung des Bergbaues im Bezirk Klausthal der besonderen Fürsorge des Ministers. :
Abg. Bandelow (kons.): Wir können uns nicht verhehlen, daß die völlige Beseitigung der Gefahren niht mögli ist; um so dankbarer können wir der Regieruvg fein, daß sie neue Schußz- maßregeln in Ausficht genommen hat. Die Schwierigkeit der Durchführung solher Maßregeln verkennen wir nit; wir bitten On die Regierung, sie so shnell wie möglich zur Durchführung zu
ringen.
Abg. Stößzel (Zentr.) hält die Unfakistatistik des Ministers für Lehe angreiftar und fuht nachzuweisen, daß die Zahl der Unglüks- älle in verschiedenen Zehen nicht ab-, sondern zugenommen habe. Die Mitwirkung der Arbeiter an der Aufficht, fährt Redner dann fort, würde außerordentli versöhnlich wirken und manches Unglück verhüten. Ein Arbeiter hat, \{chou lange bevor die Explosionsfähigkeit des Kohlenstaubes bekannt war, aus eigenem Antriebe den Kohlenstaub angefeuchtet und so eine Explosion vermieden. Dur eine Beriese- lung würde wohl au in diesem Fall eine Explosion des Kohlen- staubes vermieden worden sein; man hätte auf die Arbeiter höôren follen. Die Gruben haben an dieser Mitwirkung doch auch ein Interesse mit Rücksicht auf ihre Dividenden. Mancher Unfall wird durch die Hast der Arbeit herbeigeführt. In 6 Stunden ist die Kraft der Arbeiter verbrauht. An besonders gefährlihen Stellen müßten die Arbeiter nicht nach Gedingen, sondern auf Tagelohn arbeiten. Unvorsichtigkeit und Leichtsinn wird man erfahrenen Berg- leuten nit vorwerfen können, wohl aber unerfahrenen Leuten, welche die Gefahren niht kennen. Darum halten gerade die erfahrenen Bergleute den Befähigungsnahweis für den Bergbau für unbedingt nothwendig; damit würde mancher Unfall verhütet werden. Hoffent- lih wird das Resultat der amtlichen Untersuhung uns bald vorgelegt werden, denn es handelt sich um ein nationales Unglück, um unsere Brüder, und wir müssen erfahren, was für ihre Zukunft in Ausficht genommen ift.
Abg. von Eynern (nl.): Das Mitgefühl des Ministers wird vom ganzen Hause, vom ganzen Lande getheilt werden. Bei den zu ergreifenden Maßregeln darf die Geldfrage keine Rolle ,_ spielen. Ein Theil der Schuld an den Un- glüdcksfällen trägt die Unregelmäßigkeit des Betriebes, die Hauptshuld trägt aber die L “aue a Ausbildung eines großen Theils der Berg- arbeiter für den Bergbau infolge der Zunahme des Bergwerks- betriebes. Jh bin deshalb nit dagegen, daß cine Art Befähigungs- nachweis für die Bergarbeiter eingeführt wird.
Abg. Dasbah (Zentr.): Nicht nur sozialdemokratische, R auh andere Blâtter haben Berichte gebracht, die erwiesen
aben, daß man manches versäumt hat. Das bezieht ih namentli auf den Mangel an Vorsihtsmaßregeln bezügli der Ueberwachung des Kohlenstaubes, Wurden in der Grube, wo das große Unglück geschehen ist, diese Maßregeln vor dem Unglück an- gewendet ? Darauf möchte ih eine Antwort haben von einer Stelle, die mir maßgebender ift als der Abg. Schul. Die Belegschaft der Grube Carolinenglück hat eine Resolution gefaßt, daß neben den Berginspektoren Hilfskontroleure angestellt und von den Bergwerks- besißern besoldet werden, die aus geheimer, von den Unternehmern unbeeinflußter Wahl hervorgehen; ja, die Arbeiter haben si fogar