1920 / 80 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Apr 1920 18:00:01 GMT) scan diff

Kommunistenkonferenz, wie man das vielfah behauptet hat. An der Konferenz haben die ersten Oberbürgermeister des FIndustriegebietes und des Bergischen Landes teilgenommen, Vertreter des Zentrums, der Mehrheitésozialisten, der Demokratie und der Unabhängigen. Es waren da Vertreter der christlihen Gewerkschaften, der Hirsch» Dundekterschen und der sozialistischen Gewerkschaften. Es handelte sich also nicht um eine Konfenrenz von Leuten, die irgend etwas wollten, fondern alle das ehrliche Bestreben hatten, cinen Modus zu finden, um das drohende furhtbare Blutvergießen zu verhindern.

Am ersten Tage der Konferenz nah einer fehr energischen unb entschiedenen Auseinandersezung trat eine Kommission zusammen, die sih die Aufgabe stellte, die Frage zu prüfen, ob es einen Weg gäbe, den Zusammenstoß der Armeen und den Kampf momentan zu ver- hindern, gewissermaßen einen Waffenstillstand herbeizuführen. Das war Abends bereinigt. Abends hat die Konferenz diefen Vorschlag der Kommission afzeptiert, und dieser Vorschlag, daß keine Kampf- handlungen unternommen werden sollten, wurde von der Reichswehr sofort an die ganze Reichäwehrfront telegraphis{ch und telephomis weitergegeben. Auch die Herren von der Unabhängigen Partei, die dort waren, haben davon ihre Freunde an der Front telephonisch und telegraphis{ in Kenntnis geseßzt. An den Kommissionsberatungen habe ich nit teilgenommen. Aber am Abend und am folgenden Tage war ich in der Lage, an den Beratungen teilzunehmen, weil weitere Punkte noch festzustellen waren. Sie wissen, Herr Abge- ordneter Braß, daß, als wir mit unseren Beratungen beinahe fettig waren, die Nachrichten von Wesel kamen, daß die Roten Truppen dort angegriffen hätten. Formell war man berechtigt, mit diesem Bruch des Waffenstillsbandsversprechens auch die Verhandlungen ab- zubrechen (sehr richtig!) und dem Schicksal seinen Gang zu lassen. Ich habe die Reichawehr gebeten, das nicht zu tun, sondern den Fall von Wesel zu lokalisieren. Das ist gescheken. Denn ih dachte und ih denke immer noch mit Schreken daran, was passiert wäre, wenn bie beiden Parteien aufeinandergestoßen wären. Jch erinnere Hevrn Abgeordneten Braß daran, daß ih auf der Konferenz bei der Be- ratung des Waffenstillstandsabkommens davon gesprochen habe, daß man, wenn die Reichswehr in kleinen Punkten ihre Stellung ändere, das nit als Bruch des Waffenstillstands8abkommens ansehen dürfe. Gs waren Truppen der Neichswehr im Anmarsch, deren Führer über die Verhandlungen nicht unterrichtet sein fonnten, und es tonnte somit formell vielleicht ein Grund gefunden werden, zu sagen, daß die Reichswehr das Abkommen nicht gehalten hätte. Die Reichs- wehr hat aber das Waffenstillstandsabkommen gehalten, (Abg, Braß: Nein!) Sie haben den Nachweis mcht erbringen können, daß die Reichswehr zu dem Zeitpunkt, wo das Wasfenstillstands- abfommen bestanden hat, Sampfhandlungen vorgenommen hot. Jeden- falls ift es seitens des Neichswehrkommandos entschiedne bestritten worden, daß irgend eine Formation etwas unternommen habe. Ein Befehl von dem Reichswehrkommando habe jedenfalls nit vor- gelegen.

Meine Herren, aber das sind nebensächliche Dinge. Man muß die große Linie immer im Auge behalten, und die war doch: Möôg- idt bald die Elemente an der Front zu überzeugen, daß jeder Kampf überflüssig sei. (Sehr vichtig!) Dann muß noch eins fest- gestellt werden. An jenem Tage, wo die Bielefelder Konferenz zu- sammentrat, lag ein Grund dafür, bewaffnete Arbeiter an der Front zu haben, micht mehr vor, wenn man in der Abwehr des Lichtschbag- Vormarses und in Abwehr des Kapp-Putsches gewiß die Berechti- gung anerkennen und Verständnis dafür haben kann, daß die Arbeiter» schaft mit Wasfengewallt verhindern roollte, daß das Jndustriegebiet im Sinne der Kapp-Regierung von Reichswehrtruppen beherrscht wurde. Nicht nur sozialdemokratishe und unabhängige Arbeiter, son- dern auch christliche Arbeiter haben hier mitgekämpst. Die Erregung über diese Dinge das mögen sich die Herren von der Rechten gesagt sein lassen is gerade in dem Bergischen Lande ußerordent- li groß gewesen. Das ist mir von meinen eigenen Parteifreunden mitgeteilt worden. Aber als wir in Bielefeld zusammentraten, war der Kapp-Put\h erledigt, und jede Aktion, die da unternommen wurde, Yonnte viel eher als gegen die verfassungsfäßige Regierung gerichtet aufgefaßt werden als umgekehrt. Fc habe immer noch keine Antwort darauf erhalten, welches Kampfziel {ih die Rote Armee noch gestedckt hatte. Ein wirflider Grund lag dafür niht mehr bor. Jch bedauere das um so mehr, als die Plünderungen und Erpressungen, die vor- gekommen sind, von böswilliger Seite den Arbeitern an die Rock- schöße gehängt worden sind. Jh nehme die Arbeiter ausdrüdWlih in Schuß dagegen, daß sie Mörder und Plünderer seien. Alle Par- teien kennen doch die Arbeiterschaft des Jndustriegebietes. Das sind andere Leute gewesen, die das getan haben. Aber es ist ein unver- amtwortlides Vorgehen der Führer der Bewegung gewesen, daß sie auch solche Glemente mit herangezogen haben. (Sehr richtig!) Eine wichtige Forderung wird es sein, eine genaue Kontrolle der Ein- wohnerschaft des Industriegebieles bezüglih dieser Elemente vor- zunehmen, die dort eine fo unheilvolle Rolle gespielt haben. (Sebr rihtig!l) Ich kann au nit finden, daß die im Bielefelder Ab- fommen getroffenen Vereinbarungen über die Ortéwehren fo ge- fährlich sind, wie sie zum Teil im Industriegebiet auch von meinen Parteifreunden angesehen werden, wenn die Ortswehr so aufgezogen wird, wie wir das in Bielefeld ins Auge gefaßt haben. Wenn wirklich die organisierte Arbeiterschaft der Mehrheitsparteien (Zunuf: Auch die Unabhängigen?!) Das find doch auch Menschen! (Zuouf: Sie stehen aber niht hintec der Verfassung!) Sie gehören do auch mcht zu den Mehrheitôparteien! Jch weiß schon, was bes fürchtet wird. Man befürchtet, zu den Ortöwehren würden sich nit die rihtigen Elemente melden, sie würden nicht da hineingehen. Das wäre ein sehr bedauerlicher Mangel in unserer Bürgerschaft. Wir leben doch in der Zeit der Revolution. Da darf man nicht sagen, daß man sein Haupt friedlich niederlegen will. Da muß die Bürgerschaft auch eiwas tun, mit der Methode, - einfah zu sagen: „Ich will geschüßt sein“, ist bei den Verhältnissen, unter denen wir heute leben, die Frage nicht gelöst. Fh bin der Meinung, wenn eine Ortswehr richtig aufgezogen wird und ih betone, daß die Ortôwehr kein selbständiges Organ, sondern nur ein Hilfsorgan

der Sicherheits8polizei ist —, da kann kaum eiwas passieren. Aber |

¿G bin belehvbar, ih bin gern bereit, eine andere Form zu suchen. Jch mache aber darauf aufmerksam, daß, wenn die Reichswehrtruppen ‘aus dem Industriegebiet herausgezogen werden sollen, dann muß eiwas anderes an ihre Stelle geseßt werden. (Sehr richtig! im

Zentrum und rechts.) Es ist das eine wichtige Aufgabe, auf die ; | und immer wieder kompromittieren, müssen wir endlich einmal end

ih noch zurückkommen werde.

Meine Herren, es tst gesagt worden, daß die an der Front fämpfenden Arbeiter über den Zusammenbruh des Kapp-Putsches nicht rechtzeitig unterrichtet worden seien. Ic glaube, Herr Hue hat das erwähnt. Das mag stimmen. Die Berichte sind sehr spärlich durchgekommen. Aber ich glaube, beim Zufammentreten der Biele- felder Konferenz war im gangen Fntustriegebiet durchaus bekannt, daß der Kapp-Putsch restlos zusammengebrochen sei, auf Grund des Generalstreiks, wie auf Grund des Verhaliens der Beamien. Jch möchte also das nit ohne weiteres bestehen lassen. Allerdings muß die Frage des Nachrichtemwesen® im Industriegebiel während des Putsches noch besonders untersucht werden.

Aber das is die Preisfrage: Wie kommt es, daß Frankreich \o grundfalsch über das Industriegebiet informiert worden ist? (Hört, hört!) Frankreih hat doch Korrespondenten dort gehabt wie auch Eng- land, die dort den „Sonnenweg“, wie man sagt, geführt worden find und sih deshalb fein rihtiges Bild haben machen können. Mir ist es unerklärlih, daß ein französisher General dem Ministerpräsi- denten Millerand gegenüber sich darauf berufen hat, daß Deputationen von Nuhrbergwerkleuten ihm diese rosigen Schilderungen gemacht haben; er erklärte, daß alles ruhig sei und ein Einmarsch der Truppen nicht notwendig wäre, das fei lediglich das Verlangen der Millubär- famarilla. Zu der Zeit, wo der Einmarsch erfolgte, ist von seiten der Arbeiterschaft wie von bürgerliher Seite und den Beamten ‘Tag für Tag ausgesprochen worden, wenn die Reichéwehr nickt einmarschiere, gehe alles in Mord und Brand zugrunde. (Hört, hört! im Zentrum und vechts.) Diese falsche Vnformation ist eine Frage für sich. Aber ih muß auch nochmalls den Bewohnern im Nuhrgebiet sagen, sie müssen mehr Selbsthilfe lernen (sehr rihtig!), man darf sich in diesen Zeiten niht nur auf die Behörden verlassen, die durch die Besezung des Industriegebiets vielfah außer Kraft geseßt waren. Also das Nachrichtenwesen hat ganz gewiß dazu bei- getragen, eine falsche Stimmung und Meinung über die ganze Be- wegung im Jndustriegebiet zu bringen.

Abev die wichtigste Frage ist doch die: Wie kommen wür aus dieser übben Lage heraus? (Sehr richtig!) Es ift ein unerträglicher Zustand für Deutschlard, daß das ndustriegebiet fortgeseßt Gegen- {tand revolutionärer Unmwälzungsversuche ist. Wenn ein Gebiet in Deutschland arbeitéfähig und intakt sein muß, dann ist es das Ruhr- gebiet des Westens, wenn wir unsere Volkswirtschaft wieder auf die Beine bringen wollen. (Sehr richtig!) Jch erwähne ausdrüWlich, daß die Bevölkerung im VFndustriegebiet durchaus den guten Willen hat (erneute Zustimmung), daß die Bergleute zugestanden haben, dreimal Ueberstunden in der Woche zu verfahren. Das ist ein ganz hervorragendes Zugeständmis. Das zeigt, daß der weitaus größte Teil der Bevölkerung im Industriegebiet Menschen sind, die die gegenwärtigen Aufgaben verstehen und gern arbeiten wollen. Wir dürfen daher diesen guten Willen der Fndustriebevölkerung nicht fort- geseßt beunruhigen lafsen, auch nit beunruhigen lassen durch Dinge wie den Kapp-Putsh. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteren.) Das möchte ih auch den Rednecn cuf der Unken sagen: Wenn man das Industriegebiet in Mord und Flammen aufgehen lassen will, muß man versuchen, eine Konterrevolution im militärischen Sinne zu machen. Dos ist auh die Meinung weiter Kreise der Arbeiterschaft gewesen.

Ich habe einloitend gesprochen, daß die Stimmung im Industrie- gebiet panikartig ift, daß jeder mit Schrecken den nächsten vier Wochen entgegensieht. (Hört, hört! im Zentrum.) Jeder glaubt, daß die Reichsroehr nan ausmarschiere, zum Teil aus militärischen Gründen, zum Teil aus anderen Gründen. Aus militärischen Gründen! Da ist die Lage doch nit so einfa, wenn auh Herr Braß sie noch so rosig geschildert hat, daß im Bergischen Lande keine Rote Armee ist. Aber das Land liegt voller Waffen, die nicht ab- gegeben sind. Das ist für die Truppen \{ließlich kein erträglicher Zustand. Daß organisierte Arbeiter dur solche Marodeure, die sich zusammensinden, überfallen werden und abgeschlachtet werden, das fann eine Truppe nicht ertragen. Deshalb ist die Frage déèr Waffen- abgabe doch sehr wichtig. (Sehr richtig! im Zentrum und rechts.) Im Industriegebiet bekommen wir feine Ruhe innerhalb der Be- völkerung, bevor niht die Waffen restlos herausgegeben worden sind. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Besonders von den Balti- fumern!) Von allen, von denen erst recht, Herr Kollege. Alle diejenigen müssen nach meiner Ueberzeugung entwaffnet werden, die ihre Waffen nur dazu brauchen, um zu versuchen, die Regierung zu stürzen und namentlich ein System nach rets einzurichten. (Zurufe von den Sozialdemokraten: Die werden aber nicht entwaffnet!) Ja, Herr Kollege, lassen Sie der Regierung Zeit; sie wird sie schon entwaffnen. Verlassen Sie sih daraus. Fh wüßte nicht, Herr Kollege, was das \{ließlich für eine Einwirkung haben sollte, wenn man im übrigen tatsählih unzuverläfsige Truppen von Reichswehr in Pommern hätte, was die dagegen arbeiten fönnten. Aber die Ab- gabe der Waffen ist eine Forderung, die mir gerade auch bei meinem legten Aufenthalt im Jndus triegebiet mit auf den Weg -gegeben worden ist.

Weiterhin wird man zur Aufrechterhaltung der Nuhe und Ord- nung, wenn wir shon nach dem Friedensvertrag keine Truppen dort balten dürfen, wenigstens erne ordnungsmäßige starke Polizeitruppe haben müssen. J füge aber hinzu: bôse Dinge im Jndustriegebiet werden am besten dadur verhindert, daß endlih die gesamte Be- völkerung die innere Ueberzeugung gewinnt, daß das JIndustrie- gebiet in seiner kompakten Mehrheit sowohl der Bevölkerung als auc der Polizeiorgane und der Behörden auf dem Boden der Demo- fratie und der Republik steht. (Sehr richtig! bei den Mehrheits- parteien.) Das ist eine Frage von aus\{laggebender Bedeutung, und ih freue mi, daß gerade in der Presse des Industriegebiets der Gedanke immer mehr um sih greift. Das Vndustriegebiet kann felbst am. meisten zur Beruhigung beitragen, wenn seine puominenten Vertreter nah der Richtung hin eine entshiedene Stellung ein- nehmen.

Eine weitero Forderung, die hier erhoben worden ist, ist die Forderung einer starken Ginwohnerkontrolle. Ih bin kein Freund irgendeines Spißelsystems; aber ein Industriegebiet, das so âu- sammengeseßt ist wie das rheinish-westfälishe Jndustriegebiet, be- darf einer Kontrolle fnihi nah politischen Gesichtspufften, uicht einmal nach kriminellen Gesichtspunkten, sondern einer Kontrolle der Bevölkerung auf Grund ihrer Betätigung. (Abg. Hue: Aber keine Spigel!) Keine Spißel! Wir müssen eine Cinwohner-

fontrolle haben, Herr Kollege Hue, die wir auch vertreten Tönnen. |

Alle jene unlauteren Elemente, die unsere Arbeiterbewegung immer

gültig aus dem Jndustriegebiet berausbringen. (Sehr rihtig! rechts und im Zentrum.) Dann müssen wir allerdings auch die Forderung aufstellen, daß die flawishen Glemente aus dem Industriegebiet entfernt werden. Ich habe {on in Weimar einmal in der National- versammlung gesagt, und damals Haben die Herren von der Rechten mir zugestimmt: wenn man jeßt von slawishen Gestalten im Industriegebiet, von russenähnlichen Gestalten, von polnischen Ge- stalien usw. spricht, wer hat alle diese Menschen in der Vorkriegs- zeit hereingeholt? (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Wer hat mit diesen armen Menschen das System groß gemacht, das

uns mit England in den Krieg verwickelt hat? Diese Sünde rächt .

sich jeßt. Aus diesen wurzellosen, enttäushten Kreisen kommen jeßt mande unzuverlässigen Personen. Wir wollen aber über das Ge- schehene niht reten: das einzige lehrt wenigstens diese Sache, daß man das deutshe Volkstum niht verderben und zerseßen darf. Wer im Industriegebiete unsere Berg- und Hüttenleute kennt, die sich aus

| si heraus vermehrten und reichlich genug vermehrten denn die

Hüttenarbeiter haben stets massenhast Kinder gehabi —, der wird wissen, daß, wenn dieser Standpunkt ausschlaggebend wäre, folche Dinge im JIndustriegebiet niht möglih wären. Aber das hindert

| nit, daß wir strenge Kontrolle haben müssen.

Nun ein Wort zugunsten des Herrn Reichskommissars Seve- ring. Ich weiß, daß die Tätigkeit des Neichskommissars Severing sehr verschieden beurteilt wird, auch bei der christlihen Arbeiterschaft. Aber ih möchte do dem Manne, der eine so ungeheuer schwierige und undankbare Aufgabe hat (sehx richtig! bei den Soz.), insofern gereht werden, als er auf der Bielefelder Konferenz mit mir gemein- fam gegen seine cigenen politishen Freunde die verschiedenen Punkte des Bielefelder Abkommens verteidigt hat und sih vor allem der Ab- berufung von Watters mit mir- gemeinsam entschieden widersißt hat. Jch will ausdrüllih feststellen, daß die Abberufung von Watters s{ließlich der Hauptpunkt war, an dem beinahe die ganze Sache zu scheitern drohte. Severing und ih haben uns davon nicht irre machen lassen, sondern haben daran festgehalten und ih möchte das wenigstens feststellen, da falsche Auffassungen hierüber im Lande vertreten sind,

Veber das Institut der Reichskommissare kann ich: mich nich äußern, Das ist eine Frage für sich. Aber ih möchte nun eine Be- merkung aufgreifen, die Herr Braß gemacht hat. Herr Braß hat gemeint und zwar glaubté er das aus einer Aeußerung des Hervn Abgeordneten Trimborn herausgehört zu haben —, das Bielefelder Abkommen habe dem Militär die Lage erleihtert und er fragt mi, ob ih vielleiht deshalb die Bielefelder Verhandlungen geführt habe, um Zeit zu gewinnen. Nein, Herr Kollege Braß, die Bielefelder Verhandlungen habe ih in ehrlicher Absicht und Ueberzeugung ge- führt, daß sie den Boden abgeben könnten zu einer Verständigung und vor allen Dingen zu einer unblutigen Bereinigung der Sache. (Zurufe von den U. S.) Daß tatsählih auch das Bielefelder Ab- fommen auf die Ereignisse mildernd eingewirkt hat, das möchte ih in Anspru nehmen. Darüber ist ja gar kein Zweifel: Wenn das Bielefelder Abkommen nicht gekommen wäre, dann wäre ein Kampf zwischen der geschlossenen Arbeiber- und Reichswehrfvont, ein ent- eblich blutiger Kampf gekommen. So sehr wir die Opfer bedauecn, die jeßt gefallen sind das Bielefelder Abkommen hat den Verlauf der Ereignisse gemildert und das ift Grund genug zu sagen, daß ih mich freue, daran mitgewirkt zu haben troß mancher Mißverständ- nisse, die auch im eigenen Freundeskreis entstanden find. Hert Kollege Braß hat die Sache doch hach einer Richtung hin zu harmlos dargestellt. Er hat gesagt, man hätte das Volk dadurch wild ge- macht, daß man ihm bie Rätediktatur vorgemacht hat. Ja, Herr Kollege Braß, die ganze Aktion macht doch den Eindruck einer be- stimmt vorbereiteten Aktion (hört! hört! rechts) mit einem bé- stimmten Ziel. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Jch kann mir nit helfen, i urteile nah gesundem Menschenverstand und nah dem Augenschein der Dinge, Es ist niht möglich, eine Front von Wesel bis Münster aufzurihten innerhalb 24 Stunden ohne vor- herige Vorbereitung. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien.) Es ift möglich, daß sich Gruppen zusammenfinden von 100 Mann, meinetwegen von 1000 Mann, auch daß fie sih draußen Schühßen- gräben machen, weil sie sih sagen, daß die Leute das alles gelernt haben und viele das gut können; aber meine Herren, eine Armee, die einheitli geleitet wird, die Nequisitions- und Sanitätsabteilungen hat, muß einen Plan gehabt haben! (Lebhafie Zuftimmung im Zentrum und rechts.) Das sollte man auch nicht leugnen, Die im „Münsterschen Anzeiger“ Nr. 147, 148, 149 vom 25. und 26. März veröffentlichte Denkschrift sagt vas auch. Meine Herren, wenn das wahr ist, dann muß man do fragen, zu welhen Zweken und Zielen ein solher Plan aufgestellt war. Jch will durhaus nicht unterstellen, daz man etwa den Plan gefaßt hat, um {ließli das Ruhrgebiet unrer Mord und Brand zu seßen oder sonstige Schreckenstaten zu veréken. Ih halte mih an die Tatsache, daß der Plan mit dem Kapp-Putsch los ging, und da haben allerdings die Herren, wenn sie überheupt auf einen Erfolg der Sache rechneten, einen guten Griff getan. Der Kapp-Putsch hat die Lidenschaften aufgerührt. Wenn der niht gewesen wäre da stimme ih allen Rednern, vor allem dem Herrn Reichskanzler zu —, wäre auch die vorbereitete Bewegung in wenigen Tagen erledigt gewesen. Denn der vernünftige Teil des Industriegebiets hätte niht mitgemacht, es hätte kein gewertchaftlich organisierter Arbeiter die Flinte auf den Buckel genommen. Aber durch den Kapp-Putsh wurde das alles verdorben, dadur wcr die Stimmung erwaht, wonach man glaubte, man kämpfe für die Ver- | fassung und für die Regierung.

Aber daß Pläne im Hinterguund standen, und daß die Bevölke- | rung des Industriogebiets davon Kenntnis hatte, ist doch klar. Jh gestatie mir, hier ein Proiokoll vorzulegen, ein Programm, das in ciner Parteiversammlung dex kommunistischen Partei der Ortsgruppe Oberhausen cbgesaßt und später in den Akten des Zentralrats in Essen gefunden worden ist. (Zuruf von der Deutshen Volkspartei: Datum?) Das Datum steht nicht dabei, das Schriftstück ist jeßt durh das Reichswehrkommando in Essen im Zentraklrat in Essen gefunden worden. (Abgeordneter Braß: Der Zentralrat ist ja mit seinen ganzen Akten schon vier Tage, bevor die Reichswehr da wax, | nah Barmen gezogen; das wird also Spigelmache sein!) Herr Braß, ich kann nicht glauben, daß Herr Oberst Baumbach und seine Leute ein devartiges Ding fingieren können. Wenn ih das Schrift- süd vorgelesen habe, wird die Versammlung mir zustimmen:

1) sofortige Wablen zu den Betriebêräten in allen Betrieben | vornehmen zu lassen. Jn Großbetrieben Werk\statt- und Betviebs- | râäte (auf je 100 Mana ein Werkstattvat, dieser wählt aus seiner

(Hört, hört! im Zentrum und rechts. Zuruf bei den U. Soz: Nun jal)

_„NRuhrecho“ erwähnt. Er hat gesagt, ih hätte an der Besprechung

Sozialdemokrat unter den Ereignissen sich ganz eiwas anderes vor-

Mitte ven Betriebsrat). Wählbar find aile im Betriebe beschäf- dien Arbeiter, die auf dem Boden der Diktatur des Proletariais en;

wahlberechtigt sind alle im Betrieb beschäftigten Arbeiter. 2) Klein- betriebe werden zusammengelegt und wählen für sich einen Be- trieb8rat für Handel und Gewerbe. 3) Die Betriebsräte sämtlicher Betriebe am Orte wählen aus ihrer Mitte einen Aktionsaus\huß, welcher die Angelegenheiten der sich am Orte befindlichen Betriebe zu regeln hat. Er hat sofort Fühlung zu nehmen mit den Aktions- aus\hüssen des Bezirks zwecks Bildung eines Bezirk8woirtschafts- rates. In den Aktionsaus\chuß können Genossen aus den lints- stehenden Parteien delegiert werden. Diese müssen Befünvorter der Rätediktatur sein.

(Hört, hört! im Zentrum und vechts.) 4) Der jehige Vollzugsrat bleibt bestehen. 5) Sämtliche beschlag- nabhmten Lebensmittel und Bedarfsartikel follen mur dur die Bes- triebéräte verteilt werden,

(Sehr gut! bei den U. Soz.) 6) Vernichtung sämtlicher politishen Akton,

(Hört, hôrt! im Zentrum und rechts.) 7) Verhaftung der gesamten politischen Polizei.

(Hört, hört! im Zentrum und rechts.) 8) Errichtung von Nevolutionstribunalen.

(Lebhafte Rufe: Hört, hört!) 9 Sofortige Errichtung einer politischen Propagandastelle. 10) Sofortige Herausgabe eines kfommunistischen Parteiorgans am Orte. 11) Einseßung einer Lebensmittelbeshlagnabmekommission, welcbe Hausfuchungen

(hört, hôrt!) bei den besitenden Klassen vornimmt,

(sehr gut! bei den U. Soz.) um die sich in deren Besiß befindlichen überflüfsigen Lebensmittel der Proletarierklasse zuzuführen.

(Sehr gut! bei den U. Soz. Zuruf rechts: Dea Fühvern!)

Sie werden mir zugeben, daß man nicht gut annehmen fan daß Oberst Baumbach, also ein Offizier, ein solches Programm gu» sammengeschrieben hat. (Zuruf von den Sozialdemokraten: Unter- zeichnet von wem?) Ja, das weiß ich nicht. (Aha! bei den U. Soz.) Das ist nur eine Abschrift, kein Original. Es kann au Spißelarbeit sein, das weiß ich nit. Jch bin nicht verant- wortlih. Aber, meine Herren, diese Dinge sind im Ruhrgebiet bekannt und werden geglaubt, und die Bevölkerung im JIndustrie- gebiet sagt si: wenn wir jeßt feinen S{uß haben, dann geht die Geschichte los (lebhafte Zustimmung im Zentrum und rets), dann kommen eben diese Beschlagnahmungen. (Zuruf im Zentrum: Das hat man schon getan) Jch bin nicht verantwortlich dafür, woher das Neichswehrkommando das hat. Aber wenn ih recht unterrichtet bin, ist das in den Akten des Zentralvais in Essen im Polizei- präsidium gefunden worden,

Also so einfach ift die Sache nicht, wie Herr Braß es hingestellt hat. Die Befürchlungen der Bevölkerung sind nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. (Zustimmung im Zentrum und rechts.)

Dann hat Herr Braß einen Fall bezüglich des Nedakteurs des

teilgenommen. Jn dor Tat habe ih am Samstag auf Wunsch von Herrn Obermeyer, den Sie ja alle kennen, und deê Obersten von Baumbach einer Besprechung mit dem Nedakteur des „Ruhrecho“ beigewohnt. Das „Nuhrecho" hatte einen Artikel mit der Ueber- schrift gebracht „Wo sind die Mörder?“ Meine Herren, dieser Artikel Ut eine shwere Beleidigung der Reichéwehr nichi nur im ganzen, sondern auch ia der Verdächtigung jedes einzelnen Reichswehrfoldaten. (Hört, hört! redit.) Das hat uns auch Herr Laché selbst zugegeben. Nun wundere ih mich, daß bei der Unterredung so ebwas heraus- gekommen fein (oll. Mir haben uns friedlih und neit unterhalten. Ih habe den Herren vorgestellt: daß Sie viel Material über Ueber- griffe der Reichswehr bekommen, das glaube ich Ihnen ohne weiteres, aber wir bitten Sie doch, Jhrerseits dazu beizutragen, daß nun die Stimmung etwos vuhiger wird; bringen Sie all das Material und die Zeugnisse an die ordentliche Stelle. Oberst -v. Baumbach hat zugesagt, daß er im NRaihaus ia Essen im Polizeipräsidium eine Stelle einrihten will, in der hie Zeugen vernommen werden. Darauf wird vereinbart, der Redakteur Laché sollie jedem eine bestimmte Karte geben, und mit dieser Karte geht der Mann an die betreffende Stelle. Kann erx nit sofort vernommen werden, so wird ein Termin bestimmt, wam er vernommen werden sol. Ich muß also den Obersten v. Baumbach dagegen in Schuß nehmen, daß er irgend etmas zu verbuschen versucht; nein, nah der Grklärung ih habe feinen Grund, an der ehvlihen Stellung des Obersten v. Baumbach irgendwie zu zweifeln hat er den rihtigen Weg gewählt, indem er das „Ruhrecho" auf den Weg gewiesen hat, die Zeugen direkt borthin zu bekommen, wo sie bingehören, um Aufregung möglichst gu verhindern.

Zum Schluß möchte ih nur noch einige wenige Worte sagen. Es ift ein Irrtum, wenn man glaubt, daß Deutschland die Revo- lutionsepohe überwunden. hat. (Sehr rihtig! rechts.) Das wäre auch nicht verständlih. Nach einem st0 furhtbaren Kriege und nah einer Revolution, die bei einer bankrorten Volkswirtschaft einsebht, bei einem zermürbten Volkstum einseht, ist es begreiflich, daß unsere Nolksseele noch lange in Irrung und Verwirrung bleibt, gang be- sonders auch aus dem Grunde, dea der Herr Reichskanzler unter- strichen hat, weil wir unserem Volke bis jeyt noch nicht die phy- sischen Lebensbedingungen, vor allem Lebensmittel geben können, die seine Seele und seinen Verstand gesund werden lassen. (Sehr richtig! im Zentrum.)

Es ist viel Not und Enttäuschung, Enttäuschung auf beiden Seiten. Es ist begreiflich, daß vor allen Dingen die linksstehenden Kreise über den Gang der Entwicklung eine furchtbare Enttäuschung erleben. (Hört, hört! vects.) Jch kann mir vorstellen, baß ein

gestellt hat, als das, was eingetreten ist (sehr rihtig! im Zentrum), daß es außerordentli bitter ift, eine solhe Enttäuschung zu erleben.

(Hört, hört! rechts.) Die Enttäuschung rechts wird bitter sein. Sie (nah rets)

haben au nicht geglaubt, daß die Monarchie mit 26 Bundesfürsten in 24 Stunden erledigt sein werde. (Zustimmung rets.) Wenn man Jhnen das vor dem Krieg gesagt hätte, hätten Sie uns aus-

Das ift eine EnttäusSung nah rets und nach links. Aber, meine Herren, es gibt noch einen Mittelpunkt, den wir ins Auge fassen wollen, den auch der Herr Kollege Trimborn so kraftvoll hervorgehoben hat. Wir müssen doch die politischen Gegensäße, die uns trennen, in dem einen Ziele gemeinsam zu überwinden versuchen: das Reich in seiner Einheit zu erhalten. (Sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien und rets.) Ih möchte den Herren von links sagen: was ih aus der Ruhrbewegung befürchte, ist, daß sie schließlich der Beginn des Auseinandexfallens unseres deutschen Vater- landes 1. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Die Beseßung von Frankfurt und Darmstadt, das kürzlich veröffentlichte Protokoll von Mainz läßt doch den Schluß zu. Man braucht nicht bloß solhe Dokumente zu haben, man braucht nur den Friedens- vertrag zu lesen, man braucht nur die Aspirationen der französischen Militärpartei zu kennen, um zu wissen, daß der Verfall Deutschlands, sein Auseinandertreiben ein Kriegsziel ist und bleiben wird. (GEr- neute Zustimmung.) Sollen wir Deutsche nun so verbohrt und verbllendet sein, daß wir selbst diesen Zerfall begünstigen? (Leblhaftà Rufe: Sehr gut!) Nein, das dürfen wix nicht. Wir müssen auch mit den Volkskreisen, die politisch anderer Meinung sind, als wir, mögen sie nun noch so rechts oder links stehen, zusammenstehen für die einhauliche Geschlossenheit des Deutschen Reiches, die die Grundlage der Gristenz des deutschen Volkes bildet. Jch meine, das sollten wir troß aller politishen Wirren und troß der Ruhrvorgänge als ein gemeinsames Programm aus biefen traurigen Tagen heraus- nehmen. (Lebhafter Beifall bei den Mehrheitsparteien.)

Reichäwehrminister Dx, Ge ßler : Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird mir eigentli \chwer, nah den warmherzigen Ausführungen, die Herr Kolloge Giesberts eben gemadt hat, noch etwas zu sagen, und doch muß ih einiges sagen. Ich knüpfe an das an, was er immer wieder betont hai: wie kommen wir aus den uner» träglih geworden Verhältnissen heraus? vas is doch die Frage, die wir uns jeßt täglih und stündlich vorlegen —, da muß ich sagen: wir kommen nicht heraus, wenn es uns nicht gelingt, diese Atmosphäre des Mißtrauens zu entgiften. (Sehr richtig! bei den Mehrheit3- parteien.) Da muß i allerdings sagen, ?ragen dann Ausführungen, wie fie von Herrn Abgeordneten Braß gemacht worden sind, nicht dazu bei. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien,) Meines Erachtens ist die Sachdarstellung, wie der Abgeordnete Braß sie vor- getragen hat, nicht so, daß er sagen durfte: das ist historische Wahr- heit. Jh muß Einspruch gegen die Darstellung einlegen, wie sie Herr Braß gegeben hat.

Der Herr Abgeordnete Braß hat eiae ganze Fülle von Maierial hier vougebracht, die uns, wenn wir das Material bekommen hätten; vielleicht die Möglichkeit gegeben hätte, die Spuren der Kapp-Ver- schwörung in ihren Einzelheiten zu verfolgen. Wir haben sie nicht bekommen. (Hört, hörtl) Bei den Verhandlungen in Bielefeld ift der Herr Abgeordnete Braß auêdrüdlih ersuht morden, uns das Material zu geben. (Lebhafte Rufe: Hört, hört!) Er hat uns nit einmal eine Abschrift von diesem Material gegeben. Ich muß mir deshalb eine nähere Prüfung vorbehalten; denn ist micht möglich, diese Fülle von Material im einzelnen zu verarbeiten.

Aber eigentlich bin ich enttäuscht gewesen. Was ih an s{lü}figem Material. gehört habe, vor allem gegen den General von Watter, das fam mir außerordentlich dürftig vor. (Nufe von den Unabhängigea Sozialdemokraten: Noch mehr!) Ja gewiß, aher dann bitte ih, doch das Material zu geben. Sie verlangen von uns mit Recht energishes, vasches Durchgreifen. Dazu sind wir bereit. Wir haben die gangen geseßlichen Vollmachten auf die Zivilgerichte übertragen. Mir tun alles, aber wir innen das Material nicht bekommen. Wb und zu bekommen wir irgend eine eitung, irgend eineu Brief oder {o etwas, aus allem Zufammenhang gerissen, einen Brief, ber möglicher» weise sehr belastend seim fönnte, einen Brief aber auch, der svch als verhältnismäßig harmlos herausstellte, wenn er eben in den Zu- sammenhang der Dinge gestellt ift.

Ss kann i fofert sagen: wegen des eingigen Briefes, der jeßt gegen Herrn von Watter in der Zeitung veröffentlicht worden ift, und in dem davon gesprochen gesprochen ist, daß die Aklion am 16, März beginnen soll und daß das Korps Liübow hierher abgeordnet werden foil, is Herr von Watter sofort zur Verantwortung gezogen worden, und er hat die dienstliche Erklärung abgegeben, daß dieser Brief niemals in seine Hände gekommen ift. Wohl hat aber der General von Watter erklärt, daß er allerdings alles getan hat, um zu verhindern, daß die Freikorps, die offenbar bestimmte Pläne gehabt haben, na Berlin gekommen sind. (Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten: Und das glauben Sie?) —— Meine Herren, ih glaube nichts, ih bin außerordentlih ungläubig und sehr kritish; aber ih bemühe mich doch andererseits, micht leicht- fertig zu sein, und jemanden bloß deshalb, weil ex in schwieriger Lage ist oder weil er da und dort mit Leuten übers Kreuz gekommen ist, ungehört zu verurteilen. Wenn man die Reichswehr wieder in Ordnung bringen will und das halte ih für eine Leben8aufgabe für das deutshe Volk —, dann werden Sie das nur tun: können, meine Damen und Herren, wenn Sie auch der Reichswehr den Nechts\chuß zuteil werden lassen, auf den jeder Bürger des Deutschen Reiches, au der geringste, Anspruch maht. (Sehr richtig! bei den PVehrheitsparteien.) Daran müssen wir unter allen Umständen fest- halten. Jch behalte mir vor, das Matevial, das mir ja nun wohl dur die Reichstagsverhandlungen zugeht auf andere Weise habe ih es nit bekommen können —, nachzuprüfen und auf Grund des hier vorliegenden Materials durchzugreifen.

Ih hatte schon in meinen ersten Ausführungen bemerkt, daß Das eine ist der Nachrichtendienst (fehr richtig!

reformieren.

einzugreifen.

mix gwei Dinge in der Reich8wehr dringend notwendig scheinen zu

links), das andeve der Aufklärungsdienst. Jch stehe nicht an, zu sagen, daß ih aus meiner Erfahrung als Oberbürgermeister bon Nürnberg das Gefühl habe, daß sich allerdings in dem militärischen Nachrichtendienst eine Anzahl von Existenzen herumtreiben, in denen ih eine große Gefahr für die öffentliche Moral erblicke. (Sehr ribtig! links, Zuruf von den Sozialdemokraten: Nicht bloß im militärischen) Die anderen Sachen gehen mich, Gott sei Dank, nichts an. (Heiterkeit.) Jch habe mit meiner Sache zurzeit mehr zu tun, als mir lieb ist, aber ih habe vor, vor allen Dingen da

Eine zweite Sache ist der militärische Aufklärungsdienst, der meines Erachtens nicht weniger gründlich der Behandlung dur moderne, vorurteilsfreie Menschen bedarf, die den Soldaten zwar

allgémeiner und ftaatsbürgerlicher Bildung vermitteln, die ihn

hindert, auf jedes Schlagwort hereinzufallen.

Nun noch einige Bemerkungen zur Sache! Jch erkläre hier noG

einmal: Wir haben feinen anderen Wunsch als den, unsere Lruppen

möglichst rasch aus dem Ruhrgebiet herauszugiehen. Wir müssen das

aus internationalen Gründen tun, und wir müssen, wenn wir von der

Entente verlangen und wir verlangen das —, daß sie uns loyal

nimmt, unsere Verpflichtungen auch loyal halten. (Sehr richtig! bei

den Mehrheitsparteien.) Damit das aber möglich ist, ist eine Be-

ruhigung nötig. Die Unruhe im Ruhrgebiet ift gang außerordentli

groß. Jetzt, nachdem einigermaßen der rote Terror sich von der Be-

völkerung gelöst hat, nachdem man sich einigermaßen getraut, zu reden,

wie die Dinge gewesen find, erklären auch Tausende von Beamten:

Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, bei dem Abgug der Truppen

alle möglichen Garantien zu geben, daß dieser rote Terror nicht wieder-

kehrt (sehr richtig! vehts), dann is ein Verbleiben im Nuhrgebiet

nicht möglih (sehr rihtig! im Zentrum), das würde in einem

Gebiet, das von einer so ungeheuren volfömirtschaftlichen Bedeutung ift

wie das Ruhrgebiet, unerträglich sein. (Zuruf von den Unabhängigen

Sozialdemokraten.) Nein, wir sehen keine weißen Gespenster. Ich

made nur auf folgendes aufmerksam: ih habe hier vor mir die

„Dortmunder Zeitung“ vom 13. April, Morgenausgabe. (Abgeordneter

Hue: Sehr vorsichtig zu genießen!) Herr Abgeordneter Hue, wollen

Sie einen Augenblick warten. Jch würde s mir nit erlauben, diesem

hohen Hause Zeitungsartifel vorzulesen; dazu stehe ih der ganzen Sache

viel zu mißtrauish gegenüber. Nein, es sind Beratungen der Dort-

munder Stadtverordnetenversammlung. Nach der Grölärung des Ober- bürgermeisters nimm! das Wort der Stadtverordnete Beumken, und dahinter steht in Klammern „Sozialift“. (Heiterkeit.) Meine Herren, ih möchte Sie bitten, die Sache ist ja so furchtbar ernst (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten), und mir liegt es absolut fern, diese Dinge ivgendwie parteipolitish zu behandeln; denn es handelt sich um eine Lebensfrage des deutschen Volkes. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Deutschen Demokraten, Zuruf von den Sozialdemokraten.) Meine Herren, uh sagte ja: ih bitte Sie, damit wir in diesem Widerspruch der Meinungen doch zu emer gewissen Klärung kommen und uns in der Debatte doch etwas in die Labens- notwendigkeiten des Volkes versenken. (Zuruf rets: Und gestern?) Das hat ja keinen Wert mehr, gestern ft vorbei; es kommt nur darauf an: wie kommen wir heraus? (Lebhafte Zustimmung.)

Also der sozialistische Stadtverordnete sagi und ich unter» schreibe das, was er sagt, auf die Gefahr hin, nun wieder als roter Wehrminister zu orscheinen, wie mir das als roter Bürgermeister so oft yassiert if —:

Aber nach Lage der Verhältnisse würde ich als einen Fehler hatrachten, wenn die Reichswehr eher abrüdckt, als bis das ganze Subustriegebiet von Waffen gesubert ist. Jch würde es für ein uw- geheures Ünglüd halten, wenn eine guoße Anzahl von Waffen no@ im Besiß von unkontrollierbaren Elementen bliebe. Die ruhige Bürger- und Arbeiterschaft wxirde dann vielleicht noch envas Schlimmeres orleben, als rir am T7. März erlebden.

Und nun, meine Herren, geben Sie aht! Zur Zllustration möchte èch ein Flugblatt verlesen, das in Hörde vertellt worden ist. 3 lautet:

Volksgenossen! Haltet fest zu den limtlöstehenden Parteemw!

Siteinbar haben die Mehrheitsfogialiften die Gewalt, aber die Tage dieser Sippschaft find gegählt. Die rote Armee wird zu neuea Schlägen ausholen (hört, hört!) und vielleickt abrechaen mit denen, die sich heute dazu hergeben, ihre eigenen Volksgenossen zu verhaften. Merkt Euch diese Glendigen, damit ste der gerechten Strafe nicht entgehen! E Dos ist eim Flugbliatt, das wach den Muütbbeillumgen des ogvalstischen Stadtverordneten in Hörde verterli worben isl. (Zuruf von den Unabhängigen Segialldemelraten: Von wem Hebberboit.) Es wendet sich an bie Vollscenossen. Jch habe den Einwand erwartet: „Spibelarbeit!*" Dacauf möchte ih fobgendes erwidern: Selbst wenn es Spißelavbeit ist, ift es außerordentli gefährlich (leb- hafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien), weil dadurch das vers himdert wind, was allein die Wiederkehr der Ordnung inm Ruhrgebiet verbüvgen fann, nämlich die Beruhigung der Bevölkerung. Solange der eine dem anderen rèdit über bie Sibuaßze brauen Tann, briti Peine Beruhigung ein, und deshalb, ob es mum echte Arbeit oder Spihel- arbeit ift, muß ih teran festhalden, daß die Reichsregierung die Ver» pilichtung hat, jedem Sitactsbiüwger seinen verfassumgömäßigen Schuh zu garantierem. Wer wünscht, daß wv aus dem Ruhygebiet vasch bevauéfommen, ber muß bort selber zur Beruhigung beitvagen.

Jch habe allerdings das muß ich gegenüber den Ausführungen des Herrn Braß bemerken ein weiteres Bedenken. Wenn man sag Hunderttausende im Nuhwgebiot sähen lieber dena Einmarsch der Entente, etwa der Senegalneger, die vor der Frankfurter Universität liegen, als den Einmarsch der Reichawehx, \o ist das eime Gesu, die ih nicht verstehen kbnate von jemcmd , der auch nur einen Tropfen deutschen Blubs in seinen Adern hat. (Lebhafte Zusskinnmumg.) Nem,

eine Resolution gefaßt, worin anerkannt wind, daß die Reichswohr erst eingerüdt ift, als sie unter dem Zwang der Umstände gar nit anders fonnte. Und außerdem aber auch, daß die Reikswehr Ausschreitungen können wir im einzelnen nicht verhindern, die komma hilben umd drüben vor. Es gilt nicht für uns, was Herr Braß für ven Mann in Anspruch nimmt, dor einon Fabrikdirektor totgeschlagon hat, indem er sagt: das sind Dinge, die wir verurteilen (sehr gut! bet den Mehrheitsparteien und rets), derartige Ausschreitungen müssen wir auch im Bürgerkrieg, in diesem Scheußlichsten, was es gib, natürlich bedauern. a unb Ug wie bon ] Also so ist die Sade ni : Hevra Abgeordneten Braß bitten, wenn er wieder zur Nheinlandkommission nach Koblenz geht, um dort über deutsche Verhältnisse Aufschluß zu geben (lebhafte Rufe: Hört, hört! und Bewegung), ih würde bitten, daß dann Hevr Bras doch auch der Objektivität und der historischen Wahrheit zu Liebe biese Dinge, diese offigiellen Grklärungen der Stedtver- waltungen mitteilt; denn Herr Braß geht zur Rheinlandkommifsion. (Stivmische Nufe: Hört, hört! und Pfuit Große Bewegung.) —— Meine Damen und Hevren! Wir wollen die Dinge feststellon, wie sie sind. Jch sage es ohme Leidenschaft. Jh habe nämlich hier cin

gelaht, (Sehr richtig! rechts.)

nicht parteipolitisch ausnüßen sollen, die ihm aber das Maß von

Tellegramm:

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