1920 / 80 p. 5 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 16 Apr 1920 18:00:01 GMT) scan diff

Kobleng, den 10. April. Unabhängiger Sozialdemokrat Otto Braß aus Remscheid, Mit- glied der Nationalversammlung, sowie die Kommunisten Joseph Ernst und Walter Ottinghaus sind vorgestern abend unter Führung eines französischen Offiziers (Céblhäfte Rufe: Hört, hört!) vor hiesiger Nheinllandkommisston erschienen und haben angegeben, baß unsere Truppen in der neutralen Zone des Ruhrreviers nit 18 000, sondern 80 000 betragen. (Stürmishe Rufe: Pfui! Hört, hört! Naus! und andauernde große Errequng.) Meine Damen und Herren! Ih bin noch nicht ganz fertig. Eingreifen der Reichswehr sei überflüssig gewesen. {Erneute Nufe: Höôvt, hört!) Nichtigstelluna bei amerikanischen Vertretern der fommisston ift von unserer Seite erfolgt. Das Teleavamm i} von keinem Spißel, sondern ist von dem Ober- präsidenten unterschrieben. (Lebhafte Nufe: Hört, hört! Andauernde Grregung.)

Außerdem, wenn wir uns wundern, wie fals dis Information ist; die wir nicht nur in der französischen Presse, sondern auch in der Aus- landpresse finden, so muß ih doch auh auf folgendes aufmertfam machen. Ich habe hier ein Telegramm aus Paris:

Heutiges „Journal“ bringt Interview mit Unabhängigem Braß (lebhafte Rufe: Hört, hört!), Mitglied der Nationalversammlung, im revolutionären Hauptquartier (erneute Ruse: Hövt, hórt!), (Erneute Nufe: Hört, hört!) der erklärt, Dokumente zu besißen, die den Beweis lieferten, daß im Augenblick des Kapp-Putsches drei Freikorps: Lichtschlag, Lirbow und Schulß gegen Friedensvertragsbestimmungen im Ruhrgebiet an- wesend gewesen seien (ört, hórt!), und nun kommt das, meine Damen und Herren, was mich eigentlich in der Seele getrofsen hat: Braß händigte dem Interviewer, dem ehemaligen Kriegsbericht- erstatter Henry Bidou Abschriften von Dokumenten aus, um General Matters Einverständnis mit reaktionärem Putsch zu beweisen. (Stürmishe Zurufe: Hört, hört! Landesverrat! Große Unruhe.)

Meine Damen und Herren, also das, was der Reichspostminister Giesberts. und was der preußische Ministerpräsident Herr Braun von dem Mitglied der Deutschen Nationalversammlung Herrn Braß in Bielefeld mit erreihen konnte, die Dokumente zu bekommen, die es uns ermöglichen würden, durhzugreifen (sehr rictig!), und das zu erfüllen, was die Nationalversammlung von uns verlangt, diese Doku- mente hat Herr Braß leider dem Herrn Henry Bidou (stürmische Nufe: Pfui! Raus! Andauernde große Erregung) diese Doku- mente hat Herr Braß Herrn Bidou ausgehändigt, (Andauerndè große Erregung.) Meine Damen und Herren, in demselben Augen- blid exrflärt man: die deutshe Regierung tut nichts, die deutsche Re- gierung greift niht dur. (Zurufe rechts: Herr Braß lacht blofi! Große Unruhe. Bewegung.)

Wem es mit einer Entgiftung und Beruhigung unseres Volkes Ernst ist, und wer aus diesen Dingen nicht nur eine agitatorishe Seeschlange machen will, der hat meines Erachtens die Verpflichtung, alles das, was er heute in Händen hat, restlos der Regierung zu geben (sehr richtig! bei den Mehrheitsparteien), damit die Jhnen berant« wortliche Regierung in der Lage ist, durdgzugreifen und die Fäden der Vershwörung bis in die leßten Fäden hinein zu verfolgen. (Er- neute Zustimmung bei den Mehrheitsparteien. Zurufe vechts: Aber auch gegen Braß! Aber der Feind steht recht81 Gegenrufe links. Große Unruhe.) Diese Dinge werden ja noch ihve weitere Auf- flärung finden.

Wie sehr wir gegenüber der Entwicklung im Ruhrgebiet vor- siltig sein müssen, ergibt sih aus der Tatsache, daß bis jeßt nur abgeliefert sind 16 000 Gewehre, einige hundert Pistolen, einige hundert Maschinengewehre, ein paar Minenwverfer, ein paar Geschüße, Handgranaten, Jnfanterie- und Artilleriemunition. Wenn man be- denkt, daß eine gewisse unverdächtige Quelle, die „Freiheit“ (Heiter- Beit), am 9. inm ihrer Morgenausgabe mitteilt, daß eiwa 100 000 Mann an der Kampfhandlung beteiligt gewesen sind ih beziehe mich immer auf ganz einwandfreie Geschichtsquellen! (Heiterkeit Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten) gewiß! -— weil ih der Auffassung bin, man kommt nur vorwärts, wenn man dem Gegner volle Anerkennung guteil werden läßt —, dann muß ih sagen, is das Ergebnis der Waffenabgabe bis jelzt absolut ungenügend. (Lebhafte Zustimmung.)

Nun komme ih zu der prinzipiellen Seite ev Angelegenhoit. Die Reichsregierung sbeht vor großen Entscheidungen. Wir hoffen, daß wir in allerkürzester Frist den nördlichen Teil des Ruhr- gebietes militärish in Ordnung haben. Wie is es südlich der Ruhr? Auch hier ergibt sich die Beantwortung dev Frage verhältnismäßig einfa. Die Reichsregierung hat die Verpflichtung, wenn sie den Namen einer Regierung verdient, auh den Bewohnern füdlich der Ruhr ilhwe verfassungsmäßigen Rechte sicherzustellen. (Lebhafte Zu- stimmung bei den Mehrheitsparteien und rechts.) Das ist das erste. Deshalb müssen alle diejenigen, die wollen, was wir wollen, daß die Reichswehr nicht oinrückt, alles tun, daß in dem Gebiete südli der Ruhr die Waffen abgeliefert werden. (Erneute lebhafte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien und rechts.)

Jch bin kein Freund von militärischen Eppeditionen. Allo Erfolge auf diesem Gebiete würden mich in dev Seele s{merzen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Jch habe es auch dementsprechend als eine meiner ersten Amtshandlungen ansehen zu müssen geglaubt, dem Herrn MReichspräsidenten und den Herren im Kabineit die Entmilitarisierung des Ausnahmegustandes zu empfehlen. Wie bie Herren gelesen haben, ift ja nah der Richtung hin bereits Vorsorge getroffen, daß künftighin für den Ausnahmezustand die vollziehende Gewalt nit mehr auf den General übergeht, der meines Erachtens für tiefe Dinge nicht berufen ist in der derzeitigen Zeit am allerwenigstew! (sehr rihtig!), sondern an ‘die leitenden politischen Beamten. (Sehr gut! bei den Mehrheitsparteien.) Es is falsckch, wenn in dem Augenblick, wo die Verhältnisse in einem Begirk schwierig werden, die politischen Be- amten, die die Verhältnisse im Begirk kennen (sehr rihtig! bei den Sozialdemokraten), die! das gerechte und unparteiische Urteil haben sollien, ausgeschaltet werden (lebhafte Zustimmung bei den Mehrheits- parteien und rechts) und an ihre Stelle ein anderer kommt, der nun gewissermaßen dur starke Gesten hier Ordnung schaffen soll. (Ér-

Rhernland-

neute lebhafte Zustimmung.) Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, is das durchgeführt worden.

Das hat aber au folgende Konsequenzen, auf die ih aufmerksam machen muß. Nun müssen die politishen Beamten das Maß von Zivilcourage aufbringen. (Sehr wahr! bei den Mehrheitsparteien. Zuruf rechts: Sehr gut! Zivilcourage!) Sie müssen sagen: entweder wir greifen dur, dann hat das Militär nichts zu tun, wenn aker die politishen Machtmittel nicht ausreichen und das Militär einschreiten muß, dann darf kein Vorwurf gegen das Militär erhoben werden, sondern wenn wir dabei fehlgreifen, so muß auch die politische Behörde die Verantwortung tragen. (Sehr richtig!) Ich glaube diesen Zustand in diesen Tagen erreicht zu haben, und das ist immerhin eiwas, was für die ganze Entwiklung unserer Verhältnisse nit von Natteil sein dürfte. (Sehr richtig! Zuruf: Auch gegen- über den Baltikumern? Gegenrufe: Auch gegenüber Braß! Lebhafter Beifall.) Meine Damen und Herren, ih bin bereit, an Zivilcourage fehlt es uns niht. Jh will Ihnen folgendes sagen: ich habe alébald nah meinem Amtsantritt gehört, daß tatsächlich Herr Ehrhardt noch zur Abwicklung einiger Geschäfte ins Reichswehr- ministerium gekommen ist. Es war mir sehr peinlich, ih habe aber dem Herrn Justizminister mitgeteilt, daß sofort ein Haftbefehl gegen Chrhardt erlassen wird. Das ist ja eiwas s{wierig. (Zuruf links: Zivilcourage! Heiterkeit.) Gewiß, darf ich Sie einladen, Herr Kollege? (Große Heiterkeit.)

Ich will aber auch über etwas anderes feinen Zweifel lassen, nämli, daß ih von Anfang an fest entschlossen gewesen bin, die dritte Marinebrigade aufzulösen. Zu diesem Zwette sollte die Bri- gade nah Lockstedt geshickt werden, und weil dies infolge der Wei- gerung der Gisenbahnbeamten nicht möglich war, ist sie nah Munster gekommen. Jch erkläre offen: Wir werden versuchen, die Brigade freiwillig aufzulösen, und wenn das nicht gelingt, wird sie mit Ge- walt aufgelöst. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Aufgelö\st wird sie! Ich halte allerdings die freiwillige Auflösung, die Ueberführung der Leute in gesunde soziale Verhältnisse für ritiger, als die Leute ins Glend auf die Straße hinauszuwerfen. Wenn ein Herr Zwischen- rufer von den Baltikumtruppen gesprohen hat, so spricht das für mi! Wir haben keine Baltikumtruppen mehr! Aber die Dinge sind so, daß die Baltikumtruppen nah ihrer Auflösung in mehr oder weniger ges{chlossenen Verbänden auf größeren Gütern untergebraht worden sind (hört, höôrt!), und die Nachrichten, die uns von Pommern zukommen, sind außerordentlih ernst; ih möchte dringend bitten: wer in den speziell vehtsstehenden Kreisen Einfluß hat, möge hier vor neuen Unbesonnenheiten warnen. Wir können es einfach nicht mehr ertragen, wir müssen in den nächsten Monaten, wo wir um unser Leben kämpfen, wo wir um unser nationales und internationales Leben ringen müssen, in uns felbst soviel sittliche und moralische Kraft aufbringen, daß das Ausland soviel Nertrauen zu uns haben kann, daß es dazu beiträgt, unsere Lebensnohtwendigkeiten sicherzu- st:llen. (Lebhafter Beifall bei den Mehrheitsparteien.) A

Meine Damen und Herren, denken wir an das, was dev Herr Kollege Giesberts gesagt hat! Wir wollen do alle vorwärts, wir wollen doch den Gedanken der technischen Nothilfe, ber ja manchem von Ihnen nicht paßt, wohl aber dem deutschen Volke, bis zu Ende durchdenken. Es kommt nicht darauf an gu sagen: der hat einmal das, der das und der jenes gemacht, sondern es fommt darauf «m, das deutsche Volk vorwärts zu bringen. (Bravo!) Dann wird, glaube ih, der Zeitpunkt gekommen sein, wo die Arbeit begiant, die der Reichswehrminister zu leiften hat, nämlich die Neich8wehr wieder aufzubauen.

Der Herr Abgeordneie Most hat gestern die Frage gestelli: wie ift die Stimmung in der Reihswehr? Diese Frage ist äußerst {wer zu beantworten; aber ich kann mir vorstellen, wie bei vielen Tausenden ven der Reichêwehr die Stimmung ist in diesem Trommelfeuer von Beschimpfungen, in demselben Augenblick, wo die Reichsregierung sie aufgefordert hat, im Ruhrgebiet wieder verfassungsmäßige Zu- stände herzustellen, wo Tausende nicht wissen, was in den nächsben Monaten mit ihnen wird. (Sehr richtig!) Die ungeheure Unsicher- heit, in der sh gerade die Reichswehr im Augenblick befindet, dieser Veberçang von dem 200 000 Mann-Heer in das 100 000 Mann-Heer, ist nicht mur eine Frage der Reichswehr, sondern auch eine ernste und schwere soziale Gefahr für das gesamte deutsche Volk, eine Aufgabe, die man in ihren Wirkungen gar nicht ausdenken kann. Jch habe mich gefreut, daß die Frau Abgeordnete Zieh es gewesen ist, die in einem andern Ausschuß erklärt hat, wenn wir aus diesen Verhältnisser her- auêwollten, müßten wir dafür sorgen, daß dieser Vebergang mt eine wirtschaftliche Katastrophe für die Beteiligten darstelle, daß wir einen geordneten Uebergang für die Beteiligten in das bürgerliche Leben erveidjen. Das wird aber erschwert, wenn man jeden Angehörigen der Reichswehr für einen Buthund erklärt (sehr rihtig!), das wird aber ershwert, wenn man immer wieder zu dem Mittel greift, die NReichswehr, wo immer sie in ihren einzelnen Angehörigen auftritt, zu boykottieren, das wird ershwert, weun man das gange Bild der Neichs- wehr, wo viele Tausende unserer besten Volksgenossen mit stehen, in den Kot zieht, wie das zwar nicht in diesem Hause geschieht, wie das aber manchmal sonst in unverantwortlicher Weise erfolgt ist, (Sehr richtig!) Licht schreibt die Feder die Phrase hin, und schwer wird e empfunden von den Betroffenen, die darunter mit leiden.

Gestern hat Jhnen der Herr Reichskanzler mitgeteilt, wie schwere Verluste wir haben, und auh heute kanm ih nur fagen: der Krieg, wie er fi dort drüben entwickelt hat, dieser Heckenschüßzenkrieg, diefes Herausschießen aus dem Hinterhalt, das bie Truppen am härtesten und schwersten trifft, ift eiwas, was die Truppen nach alledem, was man hört, zermürbt, und die Truppe erwartet in der Nationalversammlung ein Wort des Dankes und der Anerkennung. (Sehr wahr! Sehr rihtig!) Das möchte ih hier gesprochen haben für die Offiziere, das möchte id gesprochen haben für die Unteroffiziere, und das möchte h gesprochen haben für die Mannschaften. (Zuruf vechts: Auch für die Zeitfreiwilligen! Die wollen auch ihren Dank haben!) Gewiß, wer feine Pflicht und Schuldigkeit im Dienste der Verfassung treu getan hat, dem soll von dieser Stelle aus gedankt werden. Jch unterscheide hier nit, ich will nicht einen Truppenteil gegen den anderen aus- spielen. Ich habe die Reichswehr zu vertreten und diejenigen, die in ihrem Vevbande stehen. (Zuruf rechts: Auch die Zeitfreiwilligen!) Und da komme ih nun zu etner anderen Sache. Herr von Graefe, wollen wir alle dafür. sorgen, daß die Zeitfreiwilligen überall da, wo sie aufgerufen werden, ein verfassungstreues Element sind, dann wird da3 Lob und der Dank, wie ich sie hier für die Reichswehr ausgesprochen habe, ihnen immer sicher sein. (Sehr gut!)

J

Nun noch ein Wort zur Sicherheit8wehr . Gerade e Sider- beit8wehr hat in treuer Pflichterfüllung am meisten gelitten da drüben im Ruhrgebiet, weil keine Truppen drüben gewesen find. Sie hat die ersten Stöße aushalten müssen. Die Sicherheit&wehr hat in einer Stadt wie Essen, wo sie zu einem erheblichen Bruchteil, bis zu 80 25, aus organisierten Arbeitern bestanden hat, Hunderte von Toten das ist mir gesagt worden auf dem Platze lassen müssen; sie iff von den Kommunisten, von der Roten Armee das Wort Armee möchie ich in diesem Zusammenhang nit gebrauchen (Zuruf: Banden!) abgemurksst worden. Der Herr Reichskanzler hat bereits in Aussicht gestellt und wir müssen es begrüßen —, daß möglist bald cine absolut unparteiishe Kommission aus dem Parlament (sehr richtig!) in das Ruhrgebiet hinausgeht und für eine objektive geschiht- lie Darstellung sorgt. Wenn eine Schuld da ist, soll sie gesühnt werden. Für alle Fälle ist aber auh auf der anderen Seite ein veihes Schuldkonto vorhanden. Die Greuel, die dort gegen meine Leute verübt worden sind, spotten teilweise jeder Beschreibung. (Sehr richtig! rechts und im Zentrum.) Wenn da und dort Postkarten ver- fauft werden mit Darstellungen von Greueln, die von der Reihs- wehr verübt worden sind, so konnten wir einwandfrei feststellen, daß es sih hier um, Verstümmelte handete, die bon der anderen Scite verstümmelt worden sind. (Rufe rechts: Pfui!)

Meine Herren Sie sind so leihtgläubig, wenn es gegen andere geht, und so ungläubig, wenn Sie etwas Unangenehmes hören müssen —, das sind russishe Methoden. Von der Reichswehr aber erwarte i, daß sie durch Entsagung und Pflichbtreue die Schharte rasch wieder auaweßt, die dadurch entstanden ist, daß ein kleiner Teil ihrer Führer und Verführten in den schwersten Tagen uns untreu geworden ist, daß sie das wieder wird und bleibt, was wir von ihr erhoffen, daß fie der beste und sicherste Shußaall der Verfassung, des Volkes und seiner freiheitlihen Entwicklung wird. (Lebhafter Beifall und Hände- flatschen.)

n Erwiderung auf die Ausführungen des Abg. Dr. Kohl (D. Volksp.) erklärte der

Reichsjustizminister Dr. Blunck: Meine Damen und Herren! Die Heftigkeit, die der Herr Professor Kahl mir vorgeworfen hat, hat ja sicherliG (Zuruf rechts: Abg. Kahl!) Was ich sag, das ist meine Sache. (Lebhafte Zurufe rechts. Glo des Präsi denten.) Es fällt mir allerdings schwer, einen Herrn, der sih eben in dieser Weise geäußert hat, noch als Abgeordneten und damit als Mitglied dieses Hauses und Kollegen zu bezeihnen. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien. Lachen und Zurufe rechts; große Un- ruhe.) Ich habe Zeit! (Erneute lebhafte Zurufe rechts.) Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Kahl (Zurufe von den Soz: Dr. Kahlll) der Herr Abgeordnete Proffessor Dr. Kahl hat (Abg. D. Dr. Kahl: Ich verzichte darauf, von Jhnen als Abgeordneter bezeichnet zu werden! Stürmishe Unterbrechungen und Zurufe rets, Gegenrufe von den Mehrheitsparteien, große Unruhe, Glocke des Präsidenten.) Der Herr Abgeordnete Dr, Kahl hat mir gegen- über si darauf berufen, daß der politishe Kampf mit Anständigkeit geführt werden müsse. (Lebhafte Zustimmung und Zurufe rechts. Gegenrufe bei den Mehrheitsparieien. Glockte des Präsidenten.) Was ich gestern gesagt habe und ih werde ja noch im einzelnen nachher darauf zurückommen —, das kann ich Wort für Wort auf- vehterhalten und ih fanm jeden objelfitiven Beuvbeiler der Sache nur bitten, mein gestriges Stenogramm durchzulesen und dann fest- zustellen, ob ih in ingendeinem Punkt von dieser guten Negel des politishen Kampfes abgewichen bin. (Lebhafte Zurufe rechts.) Das eine muß ih sagen: von dem Herrn Abgeordneten Kahl möchte ih allerdings feine Regeln ia bezug auf Anstand und Nichtanstand ent« gegennehmen. (Sehr gut! bei den Mehrheitsparteien.) Jch will nicht an das Wort des hannovershen Königs über die Professoren erinnern. (Lebhafte Zurufe rechts, große Unruhe.) Es würde mir leid tun, wenn es viele gäbe, die auf dem gleichen Standpunkt stehen wie er. Er hat mir vorgeworfen, ih hätte mich gestern meiner Energie ge- rühmt. Jch habe hier nichts weiter vorgetragen, als daß ih gegen- über der Behauptung, daß die Voruntersuhung gegen Kapp und Ge- nossen und gegen die Ruhrputschleute mit Lässigkeit geführt würde, darauf hingewiesen habe, daß ih den Hercn Oberreichsanwalt ange- wiesen hätte, mii aller Energie vorzugehen, und daß ih auch {elber mit aller &nergie vorgehen würde. Gerühmt habe ih mich nicht, Ob aber daë, was Herr Kollege Kahl vorhin in bezug auf seine 20jährigen Beziehungen zum Reichsjustizamt ausgeführt hat, wirklich zur Sache gehört und wie man das beurteilb, das überlasse ih ruhig dem Urteil des Hauses. (Sehr gut! links.) Ich möchte sagen, daß er hier geradezu nat ciceronianischer Art mit einer Einleitung begonnen hat, um sich, hier in die Toga des Tugendwächiers zu hüllen. Aber was schaute aus dieser Toga nachher heraus? Jch will nur eine kleine Blüten- lese von dem geben, was ih mir notiert habe, wobei ih bemerke, daß ih gar nicht so schnell, schreiben konnte, wie seine Jnjurien auf mich lerniedergeprasselt sind: „Mir fehlten die wesentilichen Grundlagen für die Bekleidung des Amtes, ih wäre unehrenhaft gewesen, ih hätte Verleumdungen ausgesprochen (sehr richtig! rechts), ih hätte Mißbrauc) des Amtes geübt. (Sehr richtig! rechts.) Er hat von der Regierung behauptet, sie habe den vorsihtigeren Teil der Tapfer- feit gewählt. (Lebhafte Zustimmung und Heiterkeit rechts.) Er hat oie Frage aufgeworfen, „ob die energishe oder nit energische Ver- folgung des Sikbarz-Falles auch ein Akt der Staatsnotwehr sei“. (Sehr richtig! bei der Deutschen Volkspartei.) „Sehr rigtig“ sagen Sie?, Jch kann zu all diesen Sachen nur Pfui rufen, Er hat mir Mangel an Gewissenhaftigkeit vorgeworfen und \{hließlich meine Rede als die Rede eines Winkeladvokaten bezeichnet. (Zurufe links: Pfui!) Daß meine gestrigen Ausführungen, die ih im Stenogramm nacgzulesen dringend bitte (Zuruf bei der Dey/schen Volkspartei : Oeffentli an- schlagen! Heiterkeit rets), tatsädilich den Rechtäparteien und dem Herrn Abgeordneten Kahl unangenehm gewesen snd (Zurufe bei der Doutschen Volkspartei: Ach nein!) das habe ih allerdings aus dec Heftigkeit und der Maßlosigkeit seiner Entgegnung entnommen. (Sehr richtig! links.) Daß er si aber zu solchen Entstellungen und Ver- drehungen hinreißen lassen würde, wie er sie heute hier ausgesprochen hat, das habe ih in der Tat bisher von einem Abgeordneten und einem Professor nicht für möglich gehalten. ae A pee gan Kahl hat davon gesprochen, ih hätte bor Deutschen Volkspartei A ) Diel bin (6 fu E GOa!

| i bèn ih zu meinen Ausführungen

(Fortsehung ia der Zweiten Beilage.)

'

L R T Er F E B S8

Zweite Beilage

zum Deutscheu Reichsanzeiger und Preußischen Staat83anzeiger.

Berlin, Freitag, den 16 April

A O,

tainel 2 t

(Fortsebung aus der Ersten Beilage.)

nur dadur veranlaßt worden, daß Herr Kollege Lattmann, wie Sie ja alle wissen, festgestelltermaßen gänzlih unwahre Behauptungen über die Regierung und über die Beziehungen der Rechtsparteien zu Kapp und Lüttwiß aufgestellt hatte. Es war meine Pflicht und Schuldigkeit, die Regierung und den Reichskanzler dagegen zu ver- teidigen und festzustellen, wie die Sache in Wirklichkeit liegt.

Das Wesentliche waren ja und darauf hat Herr Abgeord- neter Kahl das shwere Geschüß seiner Beredsamkeit im wesentlichen gerichtet meine Ausführungen zu der Erklärung, welche die Deut- {he Volkspartei am 13. März als Deutsche Volkspartei, also als Partei gegen dem Kapp-Putsh abgegeben hat. (Sehr richtig! links.) Ex hat mir vorgeworfen, ich hätte die Erklärung durch Unterdrückungen und Hinzufügungen entstellt. Er hat behauptet, id hätte den entsheidenden und wesentlihen Teil unterdrückt. Und was soll das sein? Das ist ein kleiner Nebensaß in dieser Erklärung. (Hört, hört! links. Zuruf bei der Deutschen Volkspartei: Warum haben Sie ihn dann weggelassen? Er war doch leiht zu sprechen!) Worten Sie nur einen Augenblick; ih werde ihn gleich haben! Jn einem Nebensaß steht folgendes: Dadurch trägt sie die Verant- wortung, daß der Weg der organischen Fortentwicklung, zu dem wir uns befennen, durhbrohen worden ist. Ich habe nicht diesen Nebensaß: „zu dem wir uns bekennen“ weggelassen, sondern ih habe die ganzen vier Säße oder wieviele es sind, jedenfalls mehrere weg- gelassen (Zuruf vehts: Gerade das haben Sie weggelassen!), weil ih sie für gänzlich gleichgültig gehalten habe (Zuruf von der Deutschen Volkspartei: Sehen Sie, da haben wir es! Heiterkeit rechts) und weil sie. in der Tat für die Sache selbst volllommen nebensählich und gleichgültig sind. (Sehr richtig! links. Zuruf rets: Das ist für Sie bezeihnend!) Das ist der wesentlihe Punkt, auf den es ankommt. (Rufe und Gegenrufe.) Können Sie (nach rechts) denn behaupten, daß durch diese Bemerkung: „zu der wir uns be- kennen" dor ganze Sinn dieser Erklärung in irgendeiner Weise ver- ¿ndert wird? Jch habe Ihnen hier vor Augen gehalten, daß in der Unterhaltung, die Ihr Führer am 4, März mit dem General pon Lütiwiß gehabt hat, er selber das etwaiga Vorgehen des Generals von Lüttwiß als „verbrecherischen Wahnsinn“ bezeihnet und erklärt hat, Sie würden jedes derartige Vorgehen mit einer „glatten Ab- fage“ beantworten. (Zurufe vechts: Na also! Zuruf von den Sozialdemokraten: Das haben Sie nicht getan!) Jch habe daraufhin bier diese Erklärung vorgelegt und habe daraus festgestellt, da ß Sie mit dieser Erklärung diesem „verbrece- rishen Wahnsinn“ gegenüber keine solhe glatte Absage gegeben haben. (Lebhaste Zustimmung links. Zurufe vechts.) Das war es, was ih zu beweisen hatte. Jch habe weiter gesagt, daß Sie mit dieser Erklärung sich der neuen Re- gierung wohlwollend und sympathisierend gegenübergestellt haben. (Lbhafte Zustimmung links.) Das wollte ih Ihnen beweisen. Das geht aus dem ganzen Dokument, das ih Ihnen nahher auf Ihren Wunsch, und zwar, weil ih eêzgelbst für richtig hielt, damit es in

fördern und ¿u sbüßen, dann wäre diese ganze aben-

der Oeffentlichkeit noch besser #kannt und verbreitet wird, ganz ver- lesen habe (Zuruf von der Deutschen Volkspartei: Auf wiederholtes Verlangen!), aus dem ganzan Dokument geht das doch mit abso- luter Klarheit und Deutlichk§t hervor. Es bedarf der ganzen Kunst eines Professors der ehtswissenschaft (Zuruf wechts: Ven dem Sie noch viel lerne: können!) ja, von dem könnte 1ch in der Tat, wenn ih Lust hätte, noch sehr viel lernen, was ein shlechter Advokat in solchen Flen sagt (Lachen rets), es bedarf der ganzen Kunst, um aus diéser Grklärung, wie sie hier vorliegt, herauszulesen, daß sie in der, Tat eine solche Absage an die neue Regierung enthalten habe. (hafte Rufe von der Deutschen Volks- partei: An die „neue Regie g“! Große Heiterkeit rechts.) Wenn i diesen Zwischenruf ret verstehe, dann wollen Sie sagen, Sie hätten wohl eine glatte AŸsage an das Unternehmen versprochen, hätten sih aber yorbehalten, dzr neuen Regierung Ihre Sympathie- erflärung auszusprechen. (Sehe richtig! links. Lachen rets.)

Meine Damen und Herren! Wie die Erklärung der Deutschen Volkspartei vom 13. März in Wirklichkeit aufzufassen und auszu- legen war, darüber gibt es jedenfalls in Ihren Augen (nach rechts) wohl feinen besseren Richter als Ihre eigene Parteipresse. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.) Jn Königsberg erscheint eine der Deutschen Volkspartei zugehörige Zeitung, die „Königs- berger Allgemeine Zeitung“. Diese hat am 14. März den Aufruf der Deutschen Volkspartei vom 13. März in einer Extraausgabe veröffentlicht (hört, hört! bei den Deutschen Demokraten) unter der fett gedruckten Ueberschrift: „Die Deutshe Volkspartei erklärt sich für die neue Regierung.“ (Lebhafte Rufe von den Deutshen Demo- fraten: Hört, hört! Das war die Auffassung der Parteipresse! Zuruf rechts: Oberpräsident Winnig! Heiterkeit und Unruhe. Glodte des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren! Will der Herr Abgeordnete Kahl auch seinem eigenen Pacteiblatt gegenüber den Vorwurf erheben, daß es dise von Ihnen am 13, März erlassena Erklärung in den wesentlichen Punkten entstellt und verkehrt ausgelegt habe?

Der Herr Abgeordnete Kahl hat hier mit einem großen Auf- wand von Worten hervorgehob, wie er persönlih am 12. März 1920 |ch zu dem Plan eines solchen Unternehmens geäußert habe. Ja, das ist e# ja gerade: zu dem Plan cines solchen Unternehmens haben si auc in der Besprechung mit Herrn v. Lütiwih die Führer der Rechtsparteien \treng abllehnend geäußert, sie haben es als ver- brecherischen Wahnsinn bezeihnet und haben erklärt, sie würden mit einer glatten Absage antworten. (Rufe vechts: Na also!) Aber das, worauf es ankommt und das muß ich immer und immer wieder betonen —, ist nit, was Sie früher gedacht und gesagt, E was Sie am 18. März, als nun dieses \chreck-

ibe Verbrechen geschehen war, getan haben. (Stür- mische Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Hätte Ihre Partei- beitung sich am 18, März uwiá den anderen Teilen des Volkes ent-

{lossen auf den Boden gestellt, diesen Hochverrat, diesen verbreche- rishen Hodhverrat, den Sie als solchen flar erbannt haven, zu be- Fämpfen, statt ihn durch eine folde Erblärung noch geradezu gt

teuerlihe Geshichte am ersten Tage in fich zu- fammengebrochen. (Erneute stürmische Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Insofern tragen Sie durch Ihre parteiamtliche Erklärung die volle Verantwortung dafür (erneute Zustimmung bei den Mehrheitsparteien), daß es durh diesen Hochverrat zu den \chweren Zerrüttungen unseres ganzen Volkes gekommen ift. (Wieder- holte Zustimmung bei den Mehrheitsparteien. Andauernder Lärm vnd Zurufe rechts. Gilocke des Präsidenten.)

Meine Damen und Herren, ich wolle nur noch hinzufügen: wenn ih die Aeußerungen einzelner Parteimitglieder und einzelner Organe, etwa einzelner Vereine der Deutschen Volkspartei hier hätte zitieren wollen, dann hätte ih gegenüber den abilehnenden Aeuße- rungen des Herrn Abgeordneten Kahl eine gange Reihe von be- geisterten und glühenden Zustimmungskundgobungen zu der Kappschen Regierung mitteilen können. Aber ich will das gar mcht tun; denn es kommt mir auf die offizielle Stellungnahme der Partei an; die ist für mich allein entscheidend.

Der Herr Abgeordnete Kahl hat dann davon gesprochen, daß | meine Erklärung über den Begriff der Staatsnouvehr eiwas ganz Neues sei, und ein Zuruf aus seiner Partei fügte hinzu, daß das wohl aus der Praxis des Verteidigers gesprochen sel, was der Herr Abgeordnete Kahl dann aufgriff und au seinerseits unterstri. SIch nuß mich nun zunächst darüber wundern, daß ein Professor der Rechtswissenschaft, der gewiß in seinem Leben viele Jünger der Nechtéwissenschaft zu NRechtsannälten und Verteidigern ausgebildet hat, mit solher Minderachtung von dem Stavde der Verteidiger spricht, wie er es hier getan hat. (Sehr richtig! bei den Mehrheits- parteien. Gegenrufe rets.)

Im übrigen kann ih den Herrn Abgeordneten Kahl aber be- ruhigen. Der Begriff der Staatsnotwehr ¡t nicht eiwa von mir erfunden und stammt nicht aus der demokratishen Regierung, \son- dern er ist \chon unter der früheren Regierung ein ganz anerkannter Begriff gewesen. Jch habe gestern bereits darauf hingewiesen, daß er seinerzeit unter der alten Regierung im Zabern-Falle aller- dings handelte es sich da um die andere Seite durchaus mit Erfolg zur Anwendung gelangt ist.

Der Herr Abgeordnete Kahl hat das ist auc ein Beweis für

die Objektivität seiner Darstellung dann von meinen Erklärungen über Schnißler gesprochen. Gestern hat er sich mein unkorrigiertes Stenogramm erbeten und ih habe es ihm sofort zux, Verfügung gestellt unter der Behauptung, daß ih erklärt hätte, Schnißler wäre Ihr Mann gewesen. Jch habe ihm damals sofort gesagt: Herr Kollege Kahl, so etwas habe ih niht gesagt. Aber offenbar wollte er sich aus dem unkorcigierten Stenogramm darüber unterrichten. Statt nun offen ich muß sagen, wie ih es getan haben würde seinen Irrtum zu erklären, versucht er jeßt hierdurch eine vollständige Verdrehung (Widerspruch des Abg. D. Dr. Kahl), mir immer noch derartige Vorwürfe zu machen. Er behauptet, ich hätte von dem „Organisationsplan eines Herrn Schnißler“ gesprohen. O nein, Herr Abgeordneter Kahl, ih habe davon gesprochen, daß man am 11, März bei der Haussuchung, die bei diesem Herrn Schnißler vor- genommen wurde, einen Organisationsplan gefunden hat. Jch habe nicht gesagt, daß das ein Oraganisationsplan des Herrn Schnißler gewesen sei, sondern ih habe den Eindruckt, daß dieser Organisations- plan ein Organisationsplan ist, den die Anstifter und Schürer diefes hochverräterischen Unternehmens ausgearbeitet haben. (Zurufe von der Deutschen Volkspartei: Das sollten wir sein!) Nein, entschuldigen Sie, (wiederholte Zurufe von der Deutschen Volkspartei) meine Damen und Herren! Wenn Sie wissen wollen, was Derr Schnißler mit meinen Angriffen auf Sie und auf Ihr Verhalten zu tun hatte, dann, bitte, lesen Sie do mein Stenogramm dur! Die Beziehung liegt darin, daß Sie der Regierung und den Links- parteien einen Vorwurf daraus machen, daß sie unnötigerweise den Generalstreik entfaht hätten, während ich aus diesem Organisationsplan den aktenmäßigen Nachweis dafürerbracht habe, daß die Organisatoren dieses hohchverräteriscchen Unternehmens von vornherein mit dem sofortigen Einsehßen des Generalstreiks gerehnet haben. (Zustimmung bei den Mehrheitsparteien.) Ich habe darauf also zunächst festgestellt, daß diese Leute die Verant- wortung für den Generalstreik und für alle daraus entstandenen Folgen tragen; denn der Generalstreik selber war gewissermaßen durch diesen. Putsch notwendig ausgelöst und die selbstverständliche Folge dieses HoGcyverrats, weil das Volk, wie ih gestern schon gesagt habe, si anders gar nit gegen diesen von dem Militär verübten Gewalt- streih wehren konnte. (Lebhafte Zustimmung bei den Mehrheits- parteien. Rufe vehts: Die Regierung!) Ich will aber heute 1n meinen Schlußfolgerungen ruhig noch etwas weiter gehen. Wenn diese Anstifter und Rädelsführer des Kapp-Putsches sich genau dar- über klar gewesen sind, daß dieser Kapp-Putsch einen Generalstreik zur notwendigen Folge haben würde, und wenn die Herren aus Ihren Reihen, die vorher mit Herrn v. Lüttwiß geredet hatten, ehwaige Aktionen des Herrn v. Lüttwiß als verbreherishen Wahnsinn er- kannt haben, so muß ih doch fragen, ob niht die Herren auch u demselben Augenblick, wo sie nun von der Tatsache dieser Aktion er- fuhren, sich ebenso wie Lüttwiß und Kapp und jeder vernünftige Mensch darüber klar sein mußten, daß hier der Generalstreik einseßen müßte; und statt das zu verhindern, haben Sie also den Versuch ges macht, durch Jhre Erklärung vom 13. März diesen Hochverrat noch zu unterstüßen und dieser Regierung noch zu helfen, nun in ver- fassungsmäßige Bahnen zu kommen, (Lebhafte Zurufe und große Unruhe rets.)

Das shmerzlihste für mich an den unqualifizierbaven Angriffen, die der Herr Abgeordnete Kahl an meine Adresse gerichbet hat, war

920.

daß ih bei der Beseßung der Stellen beim Reichsgericht mit der nötigen Objektivität vorgehen würde. Ob man in früheren Fällen unter der alten Regierung wirklich immer mit der nötigen Ob- jektivität bei der Beseßung der NRichterstellen vorgegangen ist oder nicht, das will ich hier heute abend nit untersuchen. (Sehr gut! links.) Aber ih verbitte mir eine derartig niedrige, gemeine und für den Urheber fennzeihnende Verleumdung. (Lebhafter Beifall links. Große Unruhe und lebhafte Zurufe rechts. Glocke des Präsidenten.)

Der leite Vorwurf, den der Abgeordnete Kahl in dem Kranze seiner Aeußerungen mir gemacht hat, war der, daß er behauptete, ¿ch hätte die von seinem Kollegen Most gestellten Fragen entweder gar nicht oder unvollständig beantwortet. Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Most hat die Fragen nicht an näch, sondern an die Regierung gestellt. An mich als Reichsjustizminister konnte er diese Fragen überhaupt nit ftellen; denn er konnte gar niht von mir verlangen, daß ih über die Beantwortung dieser Fragen unterrichtet sein könnte. Es waren insbesondere Fragen nah dem Stande unserer Ernährung, nach der Waffenabgabe und ähnlichen Dingen. Ich habe gestern daraufhin erklärt, daß ich es den zuständigen Ressortministern überlassen müßte, diese Fragen zu beantworten (sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten) und ih weiß nicht, was ein anderer Minister an meiner Stelle etwa sonst anders hätte äußern können. (Sehr richtig! bei den Deutschen Demokraten.) Das eine muß ich aber feststellen: ich habe heute früh Veranlassung genommen, den Herrn Abgeordneten Most deswegen zu befragen, weshalb er niht, wem er über diese Fragen sofortige Auskunft zu haben wünschte, seine Fragen vorher {on direkt an mich gerichtet hätte, ich wäre dann vielleiht in der Lage gewesen, sofort auf die Sachen zu antworten. Darauf hat er mir erwidert, er hätte gar niht daran gedacht, daß ih diese Fragen be- antworten solle (hört, hört! bei den Deutschen Demokraten), er hätte nah dem Reichsminister des Innern gesucht, dem hätte er diese Fragen mitteilen wollen, aber da er thn niht getroffen hätte, so hätte er das unterlassen. Bei dieser Sachlage wagt es der Ab- geordnete Kahl, mir auc in dieser Beziehung eine derartige Pflicht- vergessenheit vorzuwerfen. Das sol wohl der „Mißbrauch des Amtes" sein, den er mir hier unierstellen will.

JIH will dann noh auf die Frage eingehen, die der Abgeordnete Kahl an mich gerichtet hat wegen der in der heutigen Sißung der Nationalversammlung von dem Herrn Reichswehrminister zur Sprache gebrachten Mitteilungen betreffend die Beziehungen des Abgeordneten Braß zur französischen Regierung. Wenn Sie die ih fann den passenden Ausdruck dafür niht finden niedrigen persönlichen Aeußerungen gehört hätten, die ich auf meinem Play dort vorhin aus den Kreisen der Rechtsparteien anhören mußte während der Rede des Herrn Reichswehrministers darüber, daß ih natürlih gegen Herrn Braß nichts getan hätte, dann würden Sis erst den rechten Begriff von der Art und Weise bekommen haben, in welcher diese Parteien den Kampf der Anständigkeit gegen die Minister führen. (Zurufe rechts.) Die Herren konnten so gut wie ih wissen, daß ih bis zu dem Augerblick, wo der Herr Reich8wehr- minister diese Depeschen hier verlesen hat, von denen er selbst hier vorgetragen hatte, daß er sie erst jeßt bekommen habe, unmögli irgend eine Kenntnis davon haber fonnte. (Zurufe von der 'Deut- schen Volkspartei.) Ich habe diese beiden Depeschen mir na der Rede von dein Herrn Reichswehrminister aus eigenem Antrieb er- beten, um festzustellen, ob Grundlage für ein strafrechtliches Eins schreiten gegen den Abgeordneten Braß vorhanden ist. Hochverrat, wie mir von rechts zugerufen wurde, kommt allerdings nicht in Frage; wohl aber if nach meiner Ueberzeugung aus dem Sachverhalt wie er hier geschildert worden ist seine Richtigkeit natürlih voraus- gefeßt so viel Vervacht der strafbaren Handlung des Landesverrats vorhanden, daß ih noch heute dem Herrn Oberreichsanwalt diese beiden Schriftstücke telegraphish übermitteln und ihn mit den ent- sprechenden Schricten beauftragen werde. (Zuruf von der Deuts- schen Volkspartzi und Zuruf von den Unabhängigen Sozialdemo- traten.) Jch habe ja shon gestern davon gesprochen, daß ih mein Amt dahin auffasse, daß ih ohne jede politishe Rücksichtnahme die Verbrecher, ob sie rechts oder links sien ih habe auf Zuruf hinzugefügt: auch wenn sie in der Mitte vorhanden sind —, der Vet- folgung zuführen werde. Ich balte es, und ganz besonders unter den gegenwärtigen Verhältnissen, überhaupt nit für meine Auf gabe, dafür zu sorgen, Verbrecher der Bestrafung zu entzichet sondern sie nah Möglichkeit: der Bestrafung zuzuführen. (Bravo!)

Ih will aber auf der andern Seite hier klar und deutlih zu erkennen geben, daß bei der Strafverfolgung der hochverräterishen Unternehmungen, wie sie einerseits in dem Kapp-Lüttwißbschen Putsch und andererseits in dem Putsch im Ruhrgebiet, in Tanger- münde usw. in die Tat umgeseßt worden sind, eine Unterscheidung notwendig ist, wie das auch schon der Herr Reichskanzler Bauer in Stuttgart ausgeführt hat, zwischen den NRädelsführern oder den Verführern und den Mitläufern oder Verführten. (Sehr richtig! links.) Ich habe in der Beziehung dem Herrn Oberreichsanwalt \chon kurz nah Beginn meines Amtsantrittis geschrieben:

Bei dieser Gelegenheit möchte ih darauf hinweisen, daß ein dringendes öffentliches Interesse daran besteht, das Verfahren gegen diejenigen Personen, die bei der Vorbereitung und Durch- führung der hochverräterishen Unternehmen

ih hatte in den vorhergehenden Ausführungen des Schreibens sowohl auf den Kapp-Lüttwibschen Putsch als auch auf die Aus- vufung der Räterepublik im Ruhrgebiet ausdrücktlich Bezug ge- nommen

eine führende Nolle gespielt haben, mit dem größten Nachdruk

gefördert zu schen. Das Interesse, das die Allgemeinheit an einer

baldigen Sühne der Verbrechen dieser Personen hat, ift so über- wiegend, daß demgogenüber die Bedeutung einer Verfolgung ver« führter und irvegeleiteter Personen, die sich im weiteren Verlaufe

seine Aeußerung, daß man ja mm wohl nicht darauf vechnea könnte,

der Angelegenheit lediglich auf die eing oder andere Seite gestelli

db