1920 / 85 p. 4 (Deutscher Reichsanzeiger, Thu, 22 Apr 1920 18:00:01 GMT) scan diff

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Mätßte, die uns andauernt Verpreußung der Wallonei vorwerfen zu ,

Pönnen glaubten.

Der Abstimmung selber gegenüber haben die belgischen Behörden von vornherein eine unzweideutig ablehnende Haltung eingenommen. (Sohr ridbtig! bei den Deutsh-Demokraten.) Nicht einmal der Sein ist dabei cewahrt worden. Offen hat der Eupener Kreiskom- missar erklärt, er werde den ersten, der zum Abstimmen komme, die Treppe hinunteuwerfen (hört, hört! links und im Zentrum) oder er werde, wenn ihm zuviel Leute kommen, einige einsperren. (Hört, hört!)

Ferner wird verkündet, wer sich in die Listen eintvage, werde auêcewiesen. Die Ausübung eines vertraglich zugesicherzen Nechts soll also zum Gegenstand von Vergewaltigungs-, von Vergeltungsmafß- nahmen gemacht werden.

Auch an Jrreführung der Bevöllberung hat es uicht gefehlt, Gs bedarf keiner Worte der Erläuterung, daß auf diese Weise namentlich die landsässige Bevölkerung in \tärkster Weise beeinflußt werden müßte.

Nach Inkrafltreten des Friedens, meine Damen und Herren, hat der belgishe Kommissar in einer Proklamation verkündet, die Volks- befragung werde ehrlich und unter strenaster Beobachtung des Frieden3- vertrags durchgeführt werden. Was wir bisher an Ausführung der Abstimmung gesehen haben, zeigt das Gegenteil. Die Abstimmung, wie sie geplant ist und wie sie in dex Durchführung begriffen ist, ist überhaupt technisch vollkommen undurdführbar. (Sehr richtig! rech18.) Es liegen, wie Ihnen der Abg, Meerfeld schon gesagt Hat, in beiden Kreis\tädten und nur in diesen Kreisstädten Listen aus, so daß die Landbevölkerung weite Reisen wachen muß, um überhaupt abstimmen zu können. Die Listeneintvragung selber nimmt fo viel Zeit in Anspruch, daß selbst bei ununtevbrochener Reihenfolge der Eintragungen nur ein kleiner Teil der Stimmberechäigten abgefertigt werden könnte.

Unerhört aber neben diesen vergewaltigenden Bestinnmungen des Friedensvertvags ist die Boeinflussung der Abstimmenden burch Ueber- redungsTünste und Drohungen, von denen der Abgeordnete Meerfeld Ihnen ja schon eine Reihe aufgezeichnet hat. Jh wiederhole: jeder, der sih auf die Liste als Protestler einträgt, wird Berge!tungömaß- nabmen ausgeseßt, die nihts weniger als die wirtschaftliche Vernichtung einer Existenz bedeuten. Der Dreisprachenstempel und dadur die Verkehrsfreiheit wird entzogen. Allein dieses würde, um ein Beispiel anzuführen, für etwa 3000 im Kreise Gupen ansässige Arbeiter, die im Aachener Bezirk tätig sind, den Verlust ihrer Arbeitsgelegenheit be- deuten, Entzogen werden ferner die Lebensmittel. Wer also nit Selbstversorger ist, fällt der Mildtätigkeit zur Last oder muß aus- wandern. Weiter wird der Geldumtaush verweigert, Was dies bee deutet, ergibt sich ohne weiteres daraus, daß dos deuishe Geld außer Kur3 geseht wird, Die belgischen Behörden bezeichnen diese Vaß- nahmen als Entziehung von Vergünstigungen. Meine Damen ‘und Herren! Wenn Verkehrsfreiheit, Lebensmittel und Geld Ver- günstigungen sein sollen, dann kann man ebenso gut die ganze Existenz, das Leben eines Menschen als Vergünstigung bezeichnen. (Sehr rihtig!)

Alle diese Tatsachen, auf die ih nicht weiter eingehen werde, reden eine deutliche, eine zu deutlihe Sprache, Gegenüberhalten muß man thnen immer wieder die Grklärungen der alliierten und assoziierten Ne- gierungen über die Abstimmung in Eupen-Malmedy. Namens unserer früheren Gegner hat uns Herr Clemenceau erklärt, die Abstimmung werde unter sorgfältiger Nücksichtnahme auf die Freiheit der Stimm- abgabe erfolgen. Klafft niht ein unüberbrücktbarer Widerspruch zwischen Herrn Clemenceaus Worten und den belgishen Taten?

Gestüßt auf den Friedensvertrag und die eben erwähnten Ver- sprechung, hat die deutsche Negierung schon am 3, Oktober 1919 in einer umfangreihen Note auf die Unklarheiten und Lüden des Art. 34 hingewiesen und Ergänzungsvorschläge gemacht. Sie hat gegen das Verhalten der belgischen Behörde nachdrücklich Beschwerde erhoben und Vorsorge für eine freie geheime Abstimmung verlangt. Die alliierten Und assoziierten Mächte haben darauf ablehnend geantwortet und haben erblärt, es sei ihre Absicht gewesen, in Gupen-Mclmedy eine andere Abstimmung stattfinden zu lassen als in Schleswig und in Schlesien. Im übrigen ist die alte Versicherung, Belgien werde für volle Freiheit .dex Abstimmung sorgen, in dieser Antwort der Alliierten wiederholt und in Einschränkung früherer Zusagen hinzugefügt, der Völkerbund werde ja später entscheiden, und damit werde dann die ganze Ab- stimmung unter seinen Auspizien stattgefunden haben. Die tatsählichen Beschwerden über die belgishen Behörden, die von uns vorgebracht wurden, sind mit keinem Worte erwähnt.

Die Neichsregierung konnte sih damit natürlih nit zufrieden geben. Am 27. Dezember 1919 hat sie in Paris eine neue Note über- veichen lassen und darin alle Anträge und den Protest gegen das belgische Gemwaltsystem aufrechterhalten. Diese Note ist überhaupt ohne eine Antwort geblieben (lebhafte Nufe: Hört, hört), und von einer Ab- \stellung auch der kleinsten Bes{werden hat man mchts gehört.

Die Eroignisse nach Jnkrafttreten des Friedens erforderien ge- bieterish neue Schritte. Diese sind unternommen worden in einer längeren Note vom 3. April, die vor kurzem auszugäweise veröffent- licht worden ist. Darin ist das Verhalten der Belgier, wie ich es son filderte, gekennzeichnet und erklärt worden, daß das Verhalten nicht nur einen Bruch feierliher Versprechungen, sondern auch eine Ver- eßung des FriedenWvertrages darstellt, da es die Ausübung eines vertraglih verbrieften Rechtes unmöglih maht. Die Reichsregierung forderte daher sofortige Maßnahmen für die technishe Durchführbar- Feit und für die Freiheit und Geheimhaltung der Abstimmung, nament- lich aber eine Kontrolle der belgishen Behörden, da diese den Beweis erbracht haben, daß unter ihnen von einer wirklihen Abstimmung Feine Rede sein kann. Die Note fordert insbesondere auch auf Grund von Art. 34 den Völkerbund selber auf, ungesäumt an Ort und Stelle für eine Kontrolle der Abstimmung u sorgen. Die Regierung hofft, daß dieser Appell nit ungehört verhallen wird, denn dem Völker- bund i} hier Gelegenheit gegeben, zu beweisen, daß er es mit der thm anvertrauten Aufgabe ern nimmt.

__ Selbstverständlihß wird die Regierung bei den bisherigen diplo- matishen Schritten nmiht' haltmachen. Weitere Maßnahmen, für die ein reihhaltiges Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, befinden sich in Vorboreitung, und die Oeffentlichkeit wird darüber unterrichtet werden. |

Meine Damen und Herren, auch von dieser Stelle aus will ih namens der Reichsregierung nachdrücklich#| vor aller Welt Ver- wahrung einlegen gegen die Knebelung deutscher Volksgenossen

(Bravo!), und zwar wende auch ich mi dabei an das Gervechtigfkeits-

gefühl aller Nationen, an die Friedensliebe der Völker und an das

Gewissen aller, denen Freiheit und Selbstbestimmungsreht mehr als *

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Worte sind, damit sie helfen zu verhindern, daß dort an der West- i

grenze unseres Reiches ein Unreckt geschieht, das ein Verbrechen wäre gegenüber der Geschichte, gegenüber den sprahlihen und völkischen Verhältnissen, gegenüber ten gegebenen Wirischaftsinteressen und vor allem gegenüber der Bevölkerung, ein Verbrechen, das die Beziehungen zweier Völker andauernd vergiften und damit eine Gefahr für den Frieden bilden würde. Jch wende mich aber auch im Namen der Neich8reaierung an das gesamte deutsche Volk mit der eindringlichen Bitte, feiner im Kampf um ‘vie nationale Existenz dort ringenden Brüder und Schwestern ummer gzu gedenken, damit sie ne in dem Glauben wankend werden, daß auch sie von dem großen Volksgangen getragen uúd gefbüßt werden. (Lebhaftes Bravo.)

Jhrer einmütigen Zustimmung, meine Damen und Herren, glaube ih sicher zu sein, wenn ich sage, daß die Regierung die Vorgänge 1n Gupen und Malmedy steis mit regster Anteilnahme weiter verfolgen wird und sich threr Pflichten gegenüber den bedrängten Bolksgenossen voll bewußt ist. Dies ausdrücklich zu verfichern, will ih nit unter- lassen, und auf eine weitere Frage der Herren Interpellanien will ih erwidern, daß die Reichsregierung es als ihre Chrenpflicht be- trachtet, für Bewohner der Kreise Gupen und Malmedy, die wegen ihrer Abstimmung für Deutschland von den belgischen Behörden ver- folgt ode: gar von Haus und Hof vertrieben werden, mit allen Mitielu aufzukommen. (Bravo!)

Meine Damen und Herren! Die Frage der Monschcuer Bahn, der ih mich nunmehr noch kurz zuwenden will, ift gleichfalls ein Bei- spiel für kaum glaublihe Willkür. Belgien soll ursprünglich auch den Kreis Monschau als angeblich wallonishes Gebiet gefordert haben. Talsählich lebt, wie der Herr Abgeordnete Meerfeld Jhnen schon beridtet hat, in diesem Kreise nur eine eingige wallowishe Familie mit sieben Köpfen. (Hört, hört!) Vielleicht, daß der Name Montjote die belgische Forderung unterstüßen soll, was zwar verständlich, aber unbegründet wäre; denn der Name, der übrigens in der Sprachgefcichte 32 Aenderungen durhgemaßt hat, ist nicht französisch-wallonischen Ursprungs, sondern geht auf die Nöômer zurüdck, die dem Monschauer Berge die Bezeichnung mons Jovis gaben. Obgleich nun der Friedens- vertrag Belgien den Kreis Monschau nicht zuspriht, hat die Grenz festsezunaskommission am 27, März beschlossen, Belgien die Bahn- linie des Kreises und damit ein Drittel seines Gebietes zuzusprecen,

Meine Damen und Fch stelle zunächst fest: Mit diesem Beschluß hat die Kommission ihre Befugnisse gröblichst überschrilien. (Lbhafte Zustimmung.) Sie will die im Friedensverirag genau be- \{riebene Grenzlinie auf eine Länge von 70 Kilometern, d. h. auf einem vollen Fünftel, beseitigen und an Gebiet von 7500 Hektar mit 2000 Cin- wohnern willkürlih von Deutschlard losreißen. nicht abzuschen, wo die Kommission haltmahen will. Kommissionsmitglied hat nämlich bereits erklärt, es betrachte die Bahus line nidt als praftisde Grenze; es wird also noch mehr fordevn.

Es ift ohne weiteres klar, daß eine folhe Forderung niht mehr eine Grenzfestsezung im Mahmen der dieser Kommission erteilten Auf- gabe bedeutet, sondern eine Gebietsabtretung, und damit eine voll- Fommene Aenderung des Friedensvertrags. (Lebhgfte Zustimmung.) Da hierzu die Grenzkommission nit zuständig ist, muß der Befchluß als rehtsungültig betrahiet werden. (Sehr richtig! im Zentrum.) Diesen Standpunkt hat die Reichsregierung in einer kürzlich den alliierten und afsoziierten Mächten, dem Völkerbund und ‘den in der Grenzkommission vertretenen Mächten übergebenen Note auf Grund eingehender Rechtsausführungen zum Ausdruck gebracht und hat dar« gelegt, daß eine solche Verleßung des Friedensvertrags nicht geduldet werden könne. Sie hat sih aber bereiterklärt, die Angelegenheit einem internationalen Schiedsgerichtsspruch zu unterbreiten. Eine Denkschrift über die Bahnfrage is in Vorbereitung und wird den- selben, eben genaunten Stellen zugeleitet werden.

Meine Damen und Herren! Der Beschluß dieser Grenzfest- sezungskommission ist niht nur juristisch unhaltbar, er ist aud sahlich niht zu rechtfertigen. Die Kommission will Belgien diese Bahn hauptsählih deswegen zusprechen, weil sie die erforderliche Verbindung zwischen Eupen und Malmedy darstelit. Nun besteht aber bereiis eine solhe Bahn auf belgishem Boden. Die Monschauer Bahn bedeutet bekanntlih für Belgien höchstens eine Annehmlichkeit, für Monschau und andere deutsche Gebiete dagegen ist sie eine Lebens- notwendigkeit. (Sehr rihtig! im Zentrum.) Die Kommission findet es aber anscheinend ganz in der Ordnung, daß Deutschland seine einzige Bahn hergibt, damit Belgien deren zwei besigt. (Hört, hörbl bei den Sozialdemokraten.)

Der Beschluß der Kommission würde große deutsche Jateressen aufs schwerste schädigen. Industrie und Landwirtschaft müßten ohne die Bahnverbindung mit ihrem Wirtschafiszentrum Aachen ver- kümmern, zumal da mit dem von der Bahnlinie umschlossenen Gebiet auch die Hauptchaussee nah Aachen verloren gehen würde. Die Stadt Aachen selber würde {weren Nachteil erleiden durh den Verlust des Monschauer Versorgungsgebiets, das für die Stadt um so unentbehr- licher ist, als von Westen, Norden und Osten nichts bezogen werden kenn, und im Süden bereits Eupen und Malmedy abgeschnitten zu werden droht. Mittelbar würden au die Eifelkreise Schleiden und Prüm betroffen. Einen shweren Schlag würde auch die Industrie des gesamten Stolberger Bezirks erleiden, insbesondere die Säge- industrie und zahlreihe davon abhängige Industrien. Geradezu un- möglich ist {ließli die Abtretung des Bahnbogens mit Rücksicht auf die Talsperre des Wasserwerkes des Landkreises Aachen. Dem Werke, das über 300 000 Menschen mit Trinkwasser und die Jndustrie und den Bergbau des Aachener Bezirks mit Betriebswasser versorgt, würde jede Erweiterungsmöglichkeit genommen werden; die Hälfte seines Niedershlagögebiets würde belgisch werden und damit der deutschen Kontrolle, ohne die eine Garantie für die Seuchenfreiheit des Versor- gungégebiets niht übernommen werden kann, entzogen werden. Vögs- licherweise würde sogar die Betriebsanlage mit der über 4 Millionen Kubikmeter fassenden Sperre belgish werden. Der Betrieb des Werkes wäre damit unmöglich, und außerdem würde das Fichtial mit den Städten Stolberg und Eschweiler dauernd in Gefahr sein, durh unahtsame Bedienung der Sperre mit Hochwasser bedroht zu werden.

Meine Damen und Herren! Jch darf nicht unerwähnt lassen, daß sich die Kommission über die Wünsche der Bevölkerung bei ihrer Anwesenheit im Abstimmungsgebiet mit staunenswerter Leichtigkeit hinweggeseßt hat. Sie hat zumeist die Bewohner, die ihr ihre Wünsche unterbreiten wollten, überhaupt nicht empfangen. Wie stark die Erregung der Bevölkerung ist, ergibt sich täglih aus zahlreichen

Herren!

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Meine Damen und Herren! Obwohl unser Vertreter in der Grenzkommission, Landrat Heimann, den Rechts\standpunkt und die deutschen Interessen mit großer Zähigkeit verfohten hat, haben die wochenlangen Verhandlungen bisher zu keinem für uns günstigen Er- gebnis geführt. Meine Ausführungen werden Shnen den Beweis erbradt haben, von welch verhängnisvoller Wirkung für uns der Be- {luß der Kommission, wenn er wirkli ausgeführt würde, wäre, und Sie werden, wie ih annêhme, der Regierung darin beistimmen, daß

| ein derartiger Beschluß, roenn er definitiv wird, niemals als zu Recht

bestehend anerkannt werden kann. (Sehr rihtig!)

Meine Damen und Herren! Jh möchte schließen mit der Ver- sicherung, und ih hoffe, daß Sie mir auf Grund dieser Darlegungen Vertrauen in dieser Beziehung entgegenbringen, daß die Neichs- vegienung alles getan hat und alles iun wird, um in den Kreisen Cupen und Malmedy eine gerechte, unbeeinflußte Abstimmung herbeizu- führen, daß sie mit allen Mitteln für eine Änderung des Beschlusses

| der Grenzfestsegungskommission über die Monschauer Bahn eintreten | wird und daß sie für Verlufte, die den Bewohnern der Kreise Eupen

Dabei it noch gar | e K AiS j Das belgisde i

bei der Reichsregierung eingehenden Protesttelegrammen und den be-

wegliden Vorstellungen immer neuer Abordnungen, die aus jener Gegend bei uns eingetroffen sind.

und Malmedy von Belgien im Gefolge der Abstimmung zugefügt werden, auffommen wird. Mit regster Anteilnahme, meine Damen und Herren, find unser aller Blide nah der Westmark gerichtet, deren Kampf, wie wir hoffen, scchließlich dennoch mit Erfolg enden wird; denn die völkishen Verhältnisse und der “elementare Willen der Bo völkerung ist nun einmal so, daß der Völkerbund, wenn er wirkli ein Völkerbund ift, keine andere Entscheidung treffen kann, als daß er die Freise Eupen und Malmedy da läßt, wohin sie gehören, nämlich bei ibrem deutshen Vaterlaud. (Lebhafter Beifall bei den Mehrheiis- parteien und rets.)

Bei der ersten Beratung der Geseßuentwürfe,

betreffend die Telegraphen- und Fernspreh-

gebühren, die Postgebühren und Abänderung von § 9.

des Gesehes über das Postwesen des Dewtschen Reiches (Uebernahme der süddeutschen verwaltungen), hat der Reichspostminister Giesberts folgendes exrfllärt:

Neichspostminister Giesberts: Meine sehr geehrten Damen

und Herren! Als ih im vorigen Sommer in Weimar der National-

verjamnlung die dritte Erhöhung der Post- und Lelegraphengebühren vorlegte, habe ih sie einleitend mit den Worten begründet, daß diese:

Vorlage ein rechtes Kind der Not unserer Zeit sei. Das gilt für die

jeßige Vorlage noch in- viel größerem Umfange.

Es if! nit zu leugnen, daß die Berteuerung des Verkehrs, dia dur die Erhöhung der Gebühren eintritt, eine außerordentlich bee Flagenswerte und bedauerliche Wirkung darstellt. Der Wiederaufbau unseres Wirtschoftslebens, den wir uns alle zum Ziele gejeßt haben, wird zweifellos niht dadurch gefördert, daß die Ur- und Grund- produktionstosten durch die Berkehrsanstalten für die Wirtschafts- betriebe verteuert werden, und deshalb hat sih jede gewissenhafte BVet- waliung, wenn sie mit fo schwerwiegenden Vorlagen an das Parlamen herantritt, die Frage zu stellen, ob sie notwendig sind, oder ob einen Weg gibt, sie zu vermeiden. Wir haben uns diese Frage bei der Reich8póst- und Telegraphenverwaltung auch gewissenhaft vot- gelegt; aber einen Weg, daran vorbeizuklommen, haben wir nit gefunden. j

Würden fich unsere Verhältnisse normal entwickelt haben, wie!

wir dies im vorigen Sommer in Weimar hofften, dann roürden

die lezten Erhöhungen ausgereiht haben, um in einigen Jahren das Defizit bei der Neichspostverwaltung verschwinden zu lassen, und wir würden auch die Mittel erlangt haben, um gewisse tehnishe Reformer durchzuführen.

Aber wir haben inzwischen einen Umsturz aller inneren wirt \aftlihen Verhältnisse erlebt. Der furhtbare Niedergang unserer Valuta, die damit verbundene Entwertung unseres Geldes, die Stetge- rung aller Preise ist selbstverständlih auch auf die Postverwaltung nit ohne Einfluß geblieben. :

Die leßte Crhöhung sollte nah unserer Berechnung etwa 437 Mil- lionen Mark bringen; in Wirklichkeit wird sie häßungsroeise 100 Mil- lionen Mark mehr ergeben, Es is nicht eingetroffen, was man befürchtete, nämlich, daß durch die Erhöhung der Post- und Tele- graphengebühren ein Rüdgang des Verkehrs eintreten würde. Dié Post- und Telegraphengebühren sind nämli im Verhältnis zu allen anderen Preisen immerhin verhältnismäßig erträglih gewesen. Jn folgedessen haben wir selbst in dieser Periode der erhöhten Gebühren eine Steigerung des Verkehrs, sowohl des Briefverkehrs, wie aud des Telegraphen- und des Fernsprechverkehrs zu verzeichnen.

Aber, meine Herren, inzwischen ift das Defizit für das Etatse- jahr 1919 auf 1344 Millionen Mark gestiegen, und für 1920, also für den Haushaltsplan, den der nächste Reichstag zu erledigen haben wird, ist jeßt ein Fehlbetrag von 2,380 Milliarden Mark fesicestellt, (Hört, hört! und Vowegung.) Durch die jeßige Gebührenvorlag? sollen 1545 Millionen Mark eingebraht werden, so daß immer noŸ ein Defigit von 835 Millionen Mark verbleibt. (Hört, hört! ets)

Meine Herren, Sie werden fragen, warum man nicht die && bühren so hoch bemessen hat, daß auch dieses Defizit vershwindet. - JFch möhte meinen Optimismus nicht ganz preisgeben, daß wir do in absehbarer Zeit zu einer Regulierung unserer Verhältnisse kommen die es auh der Reichspostverwaltung gestattet, bei diesen Tarifen alls mählich dur Veberschüsse späterer Zeit die vorausgegangenen Febl- beträge zu deen. (Widerspruh.) Ist das nicht der Fall, bält dié gegenwärtige Geldentwertung und die Preisbewegung an, dann wei ih nit, ob wir überhaupt an einem vollständigen Zusammenbru) an dem Bankvott unseres Wirtschaftslebens vorbeikommen. (Hört, bört! und Bewegung.) Jch habe vorläufig noch den Optimismus, daß sih die Verhältnisse etwas bessecn werden. In dem Umfang, wi die Arbeitsfähigkeit unseres Volkes steigt und die Wirkung unser produktiven Arbeit \sich auf dem Weltmarkt bemerkbar macht, wird au wieder eine bessere Bewertung unseres Geldes und unserer eil heimischen Produkte einsehen, und mit dem Moment ist die Méöglidh keit geschaffen, eine sparsamere Wirtschaft einzuführen, während 8 die Ausgaben entsprechend vermindern.

Inzwischen sind aber die Dinge schon wieder überholt. Went wir glaubten, daß wir mit 835 Millionen Mark Defizit das Kisil® noch für ein Jahr tragen sollten, so erhöht sich dieses Defizit {ot dur die inzwischen aufgestellten Forderungen der Postaushelfer und Telegraphenarbeiter und durch die Beschlüsse des Haushaltsaud schusses in der Besoldungsfrage ganz erheblich.

Meine Herren, die Forderungen, welche gegenwärtig seitens be Eisenbahnarbeiter erhoben werden, haben eine Rückwirkung auf i

Post«

Reichôpost- und Telegraphenvecwaltung in Höhe 280 Millionen Mark. (Hört, hört! reis.) Die in der Besoldungs- fommission gefaßten Veschlüsse werden ebenfalls eine Véehrausgabe von chwa 280 Millionen Markë nötig machen. Der Gebührentarif ist aufgestelli auf der Grundlage der Besoldungsreform, wie sie vom Reichsfinanzninisterium zuerst vorgesehen war.

öInfolgedessen wird das Gesamtdefizit, welches ungedeckt bleibt, wenn diese Forderungen bewilligt werden was allem Anschein nah geschehen wird, wenigstens Habe ih heute im Haushaltsauss{chuß feine Sümme gehört, die fi gegen diese Forderung gewandt hätte —, dann wird das Gesamtdefizii troß dieser Gebührenvorlage auf mindestens 1400 Millionen Mark bei der Reichspost- und Telegraphenvérwaltung anwahsen. (LebHaste Rufe: Hört, hört!)

Meine Herren, wenn ich diese Ziffern anführe, dann tue 1h es vor allen Dingen deshalb, um auch der breiten Deffentlichkeit feine Un- flarheit darüber zu lassen, daß diese Erhöhung ver Post- und ‘Tele- graphengebühren kein Willkürakt des Reichsvostministeriums ist, sondern daß sie eine zwangsläufige Folge unserer Finanzlage ift. Man Fann mir höchstens den Vorwurf machen, daß der Optimiämus, troy des großen Defigits in der Zukunft durch höhere Einncihmen und bestimmte Ersparnisse etwas hereinzuholen, zu groß ift. Was die Erspacnisse anbelangt, auf die ja bei den Debatten stets hingewiesen wird, o find Sparsamkeit ‘und Sozialpolitik zwei Dinge, die schr oft miteinander in Streit geraten. Zur Sparsamkeit würde heute in erster Linie ge- hören eine größere Arbeitsleistung und daher intensivere Arbeit (fehr richtig!) und vor allen Dingen auch eine größece Berufsfreudigkeit und Anpassung au die bestehenden Verhältnisse. (Zustimmung.) würde zur weiteren Folge haben, daß man übersüjssige Arbeitskräfte bei der Neichspostverwaltung abstoßen muß. (Erneute Zustimmung.) Aber, meine Damen und Hecren, ih warne Sie vor zu großen Hoss- nungen. Wir waren bereits im vorigen Jahre in der Lage, eine ganze Reihe unserer Hilfskräfte abstoßen zu können. Wir haben es niht getan und niht tun dürfen, um im Winter nit die Arbeits- losigkeit, die an sich vorhanden war, noch zu vermehren. Wir haben den ganzen Winter hindurch diese an sich nicht unbedingt notwendigen Kräfte weiter mitgeshleppt. Sobald aber die Arbeitsmarktlage sich so gestaltet, daß wir es verantworten können und es scheint mix, daß der Zeitpunkt. allmählich kommi —, dann muß unten abgebaut werden, dann müßten die übershüssigen Arbeitskräfte abgelegi werden, wie man zu sagen pflegt.

Das ist eine bittere Maßnahme, speziel auch für mich persönlich eine bittere Maßnahme, der ih weiß, rie hart der Kamps um die Existenz ist, und der ih tagtäglich erfahren muß, wie tros aller Beschwerden, die man über den Neichspost- und Telegraphenbetrieb hat, doch die Beschäftigung bei der Post eine so gesuchte Tätigkeit ift. Obwohl sämtliche Beamtenberufe seit Jahren geschlossen sind und #eine Anwärter angenommen werden, sind die Bewerbungen, die troß- dem eintreffen, zahllos. Jch bin überzeugt, wenn heute die Lauf- bahnen wieder geöffnet würden, würden wir Zehntausende von Mel- dungen - befommen- von Leuten, die bei der Postverwaltung eintreten wollen,

Eine zweite Frage is die Vermehrung der Einnahmen auf anderem Wege. Diese kann varin bestehen, daß man neue Einnahme- quellen eröffnet. Wir haben bei der Reichspost- und Telegraphen- verwältung eine besvndere Ubteilung für Neklame geschaffen. Bisher würde die Reklame von uns nux in kleinem Umfange betrieben. Jh

Das

habe volles Verständnis dafür, daß, solange wir ein stolzes Deutsches |

Reich der "Vorkriegszeit waren und wir ein Gruseln bekamen vor einer Fünf-Milliarden-Schuld, die uns bei der leßten Finanzreform damals vorgeführt wurde, wir es nicht notwendig hatten, mit solWen eiwas Fleinlichen Mitteln Einnahmen für eine Verwaltung zu erzielen, die für sich eine gewisse Vornehmheit in Anspruch nahm. Aber die Zeit ist heute so, daß wir jede Einnahmequelle benußen müssen. Wir find deshalb im Begriff, das Reklamewesen bei der Reichspostverwal- tung großzügig einzurichten, und zwar wollen wir es möglichst in eigener Regie versuchen, es nicht einem Generalpächter überantroorten, sondern es mit eigenen Beamten, in einer eigenen Neklameabteilung macken. Die Vorarbeiten sind im Gange. Allerdings weise ih darauf hin: wie in jedes Geschäft erst Geld hineingesteckt werden muß, wenn man etwas herausholen will, so muß auch bei der Reklame zuerst erhebl-ch viel Geld hineingesteckt werden, bevor man zu einem Gewinn kommt.

Zu welchen wahnsinnigen Preissteigerungen wir gekommen sind, das gestatten Sie mir aus der Begründung auf Seite 7 ganz kurz anzudeuten. Die Hauptmaierialien, die wir für die Telegraphie und Telepbonie gebrauchen, sind seit dem Jahre 1914 gestiegen: Eisen- draht um 3270 Prozent, Kupferdraht um 2547 Prozent, Nöhrenkabel um 3160 Prozent, Erdkabel um 2514 Prozent, Bleirohrkabel um 1870 Progent, Zimmerleitungsdraht um 1200 Prozent, Baumwoll- scidenkabel um 3850 Prozent, 'Wandgehäuse um 687 Prozent, Tis- gehäuse um 720 Prozent, Wechselstromwecker um 2150 Prozent, Schnüre um 1600 Prozent.

Demgegenüber ist eigentlich die Steigerung unserer Löhne, in Prozenten gemessen, nicht zu hoch, sie beträgt 320 Prozeni, natürlich nit eingerechnet die Erhöhungen, die jeßt neuerdings bewilligt werden sollen. E S

Meine Herren, viese Preisentwidcklung bringt natürlich für eine Verkehrsverwaltung die allergrößten finanziellen Schwierigkeiten mit sich. Darum dürfen Sie sich niht wundern ih komme noch darauf zurü —, wenn wir gewissermaßen auf indirektem Wege eine Art Postanleihe machen wollen, um aus den Finanzschwierigkeiten heraus- zukommen. :

Auf Einzelheiten der Vorlage will ich nit eingehen. Das Schwerwiegende is ja, wie bei allen Tariferhöhungen, das Brief- porto. Nach der Vorlage soll die Postkarte 30, der einfache Brief 40, der Doppelbrief 60 Pfennig kosten. Die übrigen Drucksachen usw. sind um 100 Prozent erhöht. Der Zeitungstarif ist vereinfaht. Jch möchte bezüglich des Zeitungstarifs nur sagen, daß er nah ein- gehender Beratung mit maßgebenden Vertretern der Presse zustande- gekommen ift. ,

Bei den Telephongebühren haben wir leider wiederum den Weg der rohen prozentualen Erhöhung beschreiten müssen. Wir bedauern das außerordentli, denn wir wissen, daß diese Art der Gebühren- bemessung ungerecht ist, daß sie vor allem den kleinen Leilnehmern nit gerecht wird. (Sehr rihtigi) Deshalb habe ich auch bereits im Reichsrat die Erklärung abgegeben, daß wir unverzüglich daran- gehen wollen, dem nächsten Reichstage möglichst noch im Herbst eine Vorlage zu unterbreiten, die einen gerechteren Fernsprehtarif ermög- lihl, Wenn das bisber nicht gemacht worden ift, dann liegt das an

von etwa 250 bis.

dem Umstand, daß wir die Gesprähszähler nit in dem Umfange haben „insühren fönnen, wie wir es wünschten und wie es nötig wäre. Auch gegeawärtig läßt sich das nichi so sehr forcieren, weil die Industrie nicht leistungsfähig genug ist, und weil es vor allen Dingen heilioses Geld kosten würde, da die Apparate zu teuer geworden sind.

Yber in Bayern hat die Postverwaltung ein System der Gesprächs- |

zählung ausprobiert, ‘das wir untersuchen wollen. Wir glauben, auf Grund dieses neuen Gesprächszählsystems in Verbindung mit den

Gesprächszählecrn doc eine Vorlage machen zu können, die einiger--}

maßen der Gerechtigkeit nahekommt. Vorerst sehen wir keinen anderen Auêweg, als diese rohen Zuschläge zu machen.

Meine Herren, sehr umstritten wird sein, daß die Fernsprech- !

teilnehmer der Postverwaltung ich will einmal sagen ein vere j

zinsliches Darlehn von 10090 Mark pro Anschluß und 200 Mark für | ) j

jeden Nebenanschluß geben sollen. Die Sache ijt in dec Oeffentlich-

feit heftig bekämpft: worden. Aber auch hier liegt niht ewa Willkür j vor oder eine rigorose Nichibeachtung der Interessen der Fernsprech-

teilnehmec; die Sache liegt vielmehr so: wenn unser Fernsprehwoesen | uns nit in einem Jahre zusammenbrechen soll, dann ist es uol- ;

wendig, daß mit großen Mitteln unser ganzes Fernspcech- und Tele- graphennet überholt, das heißt gründlih ausgebessert wird. Wir leiden immer noch an dem Umstand, daß während des ganzen Krieges diese Arbeiten nur notdürftig durhgeführt worden sind, daß Grweite- rungen und Ergänzungen vollständig liegen geblieben sind. Wir leiden darunter, daß nunmehr nommen werden ‘infolce der Steigerung des Telegraphen- und Fern- \prehverkehrs. Um dem abzuhelfen, brauchen wir Geld. Nach unjerec Ansicht brauchen wir allein im künftigen Etatsjahr rund eine Mil- liarde Mark für diese Kosten. Wenn die Arbeitskraft im Tele- graphenbau uns rund 12 000 Mark im Jahre kostet, so werden Sie verstehen, l

5) Gi ls fs

Zenn Sie die Preije

R C e O Q a L vergleichen, die ih Ihnen vorhin für die Materialien, die gebraucht

mol h Li 4 vf

ungeheure Ausgabe das mat.

Anstalten viel mehr in Anspruch ge- |

j e Z E z (4, u RNramhori (N N 4 tion der Abgg. Baer ede, Shulß- Bromberg (V. al.

| preußen

werden, mitgeteilt habe, so erhellt auch daraus, daß diese Arbeiten |

bo Fast Tol on ad-+ E C nor D mio Tri oNone1.o1+t5 \ heute fast sieben- oder ahtmal so teuer werden wie 1a Friedenszeiten. ; Ti Tyrano if . mor nte j 2 (R Q ov O Î Die ¿Frage l] nun: rer gi mir das Geld dazu? Der KRaehsrai }

steht auf dem Standpunkt, daß der gußerordentlihe Etat mit diesen |

Wank 4 R aanborn S E A E L WUSgaden ntt Delatel roerDen Dar, IVELL bas DLE PUmPwi irt asl 18S

Înendliche treiben würde. Das iff vorma gesunden finanztehnifchen Standpunkte aus ganz ficher rihtig. Will ih aber diese Summe in

| mit Füßen getreten, unsere Proteste

den ordentlichen Etat stellen, dann müßte ich nochmals 100 Prozeni auf die jeßt echöhten Gebühren aufshlagen, um die Summe heraus- | zubekommen. Das ift unerträglich, das würde die Gebühren für den |

Fernsprecher derartig in die Höhe treiben, daß daun wahrscheinlich

ck C uta ntn Dos Soran lond r Beh s ine erheblihe Ginshräntung des Fern]prewwelens etntreten wurde.

2. C2

C bat ol ab or Too Fro tor Tnohmor 1H 5 Ma T orn EPPER 4 Dadurch, daß der Fernsprehteilnehmer uun der Postverwaltung ein

verzinsliches Darlehn von 1000 Mark gewährt, kommt er nicht in die Notwendigkeit, dauernd zu hobe Fernsprehgebühren zu zahlen.

Im übrigen ist die ganze Frage ja rein finanzpolitisch. Jch ver- steife mich gar nicht darauf; woher ih

das Geld bekomme, ist mir an

e js . wr orx 6 4 S. o q j und füx sich gleichgültig. Aber haben muß ih das Geld, wenn ich die |

technishen Anlagen: in Ordnung und instand bringen und halien soll. Wenn Sie also s{ließlih geneigt wären, von diesen 1000 Mark abzu- sehen, dann müßten mir andere Geldquellen ervffnei werden.

Es ist gegen diese Vorlage, sowohl gegen die Erhöhung der Porto-

tarife wie auch gegen den Fernsprech- und Lelegraphentarif und die |

Tausend-Mark-Auflage, vielfach eingeawendet worden, daß sie die Éleinen und mittleren Leute {wer treffe. (Sehr rihtigl) Davon bin ih feft überzeugt. Aber die kleinen Leute rechnen mneinen Postboien au feine geringeren Preise Wenn heute ein Postbeamter bei einem Séneidermeister eine Hose bestellt, fo verlangt e dafür 200 Mark

CIL.

statt der 20 Mark in Friedenszeiten; da kann nun dex Schneider- }

meister von der Post nicht au die Friedenspreise verlangen. (Zuruf: Der Vergleich hinkt1) Der Vergleich hinkt nicht, Herr Kollege. Menn alle Menschen für ihre Leistungen mehr verlangen und dadurch höhere Preise hervorrufen, dann muß man die Arbeiter und Beamten, die diè höheren Preise bezahlen sollen, in ihrem Einkommen ebenfalls erhöhen, und daraus folgt dann, daß die Gebühren nicht fo sein können wie in Friedenszeiten. Die Verkehrsteilnchmer müssen also die Leistungen, die vou de Verwaltung gemacht werden, auch anders würdigen.

Veber die Einzelheiten werden wir uns im Ausschuß zu unuter- halten haben. Im allgemeinen wird aber an der Vorlage nichts zu ändern sein. Was daran gestcichen wird, vershlechteci die Finanzlage der Reichspostverwaliung und führt s{ließlih dazu, aus Mittela dec Steuerzahler das Defizit der Verkehrsanstalten zu deken, was meines Grachtens nicht zu billigen ist.

Nun noch ein kurzes Wort zu ben anderen Vorlagen! Die eine

Vorlage bringt eine aus den Kreisen der Gawerbtyeibonden feit |

Sahren verlangte Erhöhung der Cutschädigung für verlorengegangene Pakete. Die bisher gezahlte Enischädigung von 1 Taler pro Pfund ist 53 Jahre alt, rührt also aus sehr alier Zeit her. Wir gehen jeyt auf 10 Mark hinauf, und wenn das auch bei den gestiegenen Preisen und der Geldentwertung nicht vollständig ausreicht, fo glauben wir doch, damit durchkommen zu fönnen.

Wichtig und bedeutungsvoll ist die andere Vorlage, die gleich- zeitig mit vorgelegt wird, betreffend die Uebernahme der bayerischen und württembergischen Postverrocltung auf das Reich. Die Schwierig- feiten bei dicser Uebernahme find nit so groß gewesen wie bei der Uebernahme der Eisenbahnen aus natürliten Gründen. Wir hatten ja bishex bereits ein Neichöpostgebiet und standen nit den Verkchrs- verwaltungen von Bayern und Württemberg in ganz gutem Ver- hältnis; wir tauschten unsere Meinungen und Grfahrungen aus und suchten unsere Tarifpolitik einander onzupassen. Da bei allen Ver- waltungen das Bestreben bestand, die Sache möglichst friedlich und ohne Komplikationen zu regeln, sind wir ziemlih {nell zu Rande gekommen. Allerdings ist es finanzpolitish sicherlih nicht ohne Be- denken, daß Bayern für den Verzicht auf sein Neservatreht und die Aushändigung seiner Postanstalten und Verkehrsanlagen 629 Mil- lionen Mark erhält und Württemberg 250 Millionen. Wir sind nicht in einzelne detaillierte Berechnungen der Werte eingetreten, das ift in heutiger Zeit unmöglih. Wenn man die Werte nah dem heutigen Markpreis annehmen würde, käme man zu unglaublichen Summen. Wir- haben geglaubt, aus den Rentabilitätêberechnungen, die wir nah den Erfahrungen der württembergischen Post- und Telegraphenverroal- tung gemacht haben, einen Durschnitt zu finden, der s{ließlich ein Kompromiß zwischen dem Reichsfinanzministerium und den beteiligten Verkehrsanstalten darstellt. Jm großen und ganzen, glaube ih, Éönnen wir es begrüßen, daß wix nunmehr ei einheitliches Reichspostgebiet haben.

Zuni Schluß wiederhole ih, was ih eingangs sagte: Diese Vo!- lagen sind Zeichen ter Not in unserer seren Beit; sie bedeuten etne schwere Belastung des Wirtschaftslebens, sie sind ein Zeichen dafür, daß unsere Wirtschaftsverhältnisse Zuständen zustreben, die auf die Dauer nicht haltbar sind. Wenn Preissteigerungen und Arbeitsweri- steigerungen so weitergehen wie bisher, dann weiß ih nicht, wo das Ende sein soll. Es wird uns ja allein nicht belsen, daß wir immer predigen: wir müssen arbeiten. Wir müssen endlih auch daran denken, unseve äußere Lebenshaltung den Dingen anzupassen. Das gelt vor allem für diejenigen Kreise, die auch heute nech eine über as rechie Maß

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hinausgehende Lebenshaltung bzobachien und dadurch Beamten und Arbeitern einen Anreiz zu höheren Lohnforderungen geben. Ich wünsche und hoffe, daß wir in der Lage sind, möglihst bald unsere wirtschaftlichen Verhältnisse so zu gestalten, daß wir von den hohen Tarifen hecunterkommen, und es würde mi freuen, wenn ich bald Gelegenheit hätte, der Nationalversammlung das vorzuschlagen. Für beute aber ift es eine gebieterishe Notwendigkeit: Wollen wir die Besoldungsordnung und die Erhöhung der Löhne durchführen, wie uns jezt zugemutet wird, so müssen wir auch die Reichspostverwaltung finanziell in die Lage versetzen, das zu tun.

167. Sigzung vom 21. April 1920, Nachmittags 1 Vhr. (Bericht des Nachrichtenbüros des Vereins deutscher Zeitungsverleger.)*) Auf der Tagesordnung steht zunächst die Jnterpe {sas-

le | und Genossen: was die Regierung dagegen zu tun gedenti, daß die Polen vertragswidrig den Verkehr von Vite nah dem Reiche unerträglich er- jchwert haben und aus Anlaß einer Banknotenabstempelung den deutschen Durchgangsverkehr mit Ostpreußen fajt gans lahmzulegen und ihn auf die ganz unzulängliche, eingte1} Nebenbahnlinie über Czersl Marienwerder zu verweije

absichtigen.

Abg. Baerecke (D. Nat.) begründet die Senterpellation:

f Ci Skorigon Stoinds R Hr 29 irg ben an Unsere bisherigen Feinde find dabei, prakti zu erproden, ¡an Sogar das [C he

Deutschland am bejten wehrlos machen tönne. Wort „Blockade“ klingt zu uns herüber. (Bewegung rech! wenigen Rechte Deutschlands werden in den beseßten Gebieten verhallen ohne jede W ohne jede Antwort. Ein besonderes K | je Vorgänge im Osten. D affung Großpolens | Polen jollie uns geg

sie bleiben meist sogar dieser Leidensgeschichie sind d Zerstückelung Preußens durch Polen ist der großte Kr eine gewisse Dankbarkeit empfinden, ift es zu Feinden übergegangen und hat mit ihnen Berbrüderungs feiert. Reindeutshe Städte haben die Polen zu polnisch und der Zugang zum Meer, zu dem ein ganz shmaler nügen sollte, bat eine Breite von 180 Kilometern. Auf welchen Kartenmaterials mag in Paris den Polen dieser L zuwahs zugestanden worden sein? Was es für Ostpreußen bedeutet, vom übrigen Lande abgeschnitten zu sein, und was für einen Deutschen bedeutet, wenn er bei der Durchfahrt durch den polnischen Korridor polnische Soldaten und polnische Beamte schalten und walten sieht, wezn er sieht, wie die deutshen Ortsnamen durch polnische erseßt worden sind, fann man sich mcht vorstellen, wenn man mcht aus jener Gegend stammt. Wir haben die Zähne zusammengebissen und den Friedensvertrag auch Polen gegenüber bis zum „h“ erfüllt. Alles hoben wir den Polen gegeben: unser Gisenbahnmaterial, Ge- stüte, offentlide Gebäude, rur um mit den Polen in Frieden und Freundschaft zu leben. Die ihnen gebotene Hand haben die Polea aber nit er ain jondern sogar stolz zurüdgeitoßen, Alle Maß- nahmen der Polen kann man nit anders als feindselig bezeichnen. Das ungehinderte Durwfahrtérecht hatten wir absolut keinen Anlaß, irgendwie in Zweifel zu ziehen, mah dem Wortlaut des Friedens=- vertrages steht es uns unbedingt zu. Die Sperrung des Elsenbahn- verkehrs wird von den Polen mit vollkommen mihiigen Gründan belegi. Daß sie nicht genügend Eisenbahnmaterial hätten, fann nicht als stihhaltig anerkannt wevden, denn voir haben den Polen unser gesamies Gisenbahnmaterial, welhes damals bis Warschau im Be- iebe war, überlassen. Der einst blübende Bahnhof Dirschau liegt jeßt {ill da wie ein Kirchof. Die Reisenden müssen entweder große Umwege machen oder aber si den unerträglichen Belästigungen unterwerfen. Die Regierung ist {on im März durch mehrfache Än- fragen von allen Parteien auf diese Zustände aufmerksam ge- macht worden. Der Redner schildert im einzelnen die Schwierig- Feiten, denen die Reisenden durch die polnishen Maßnahmen aus geseht sind. Wer kein polnisckes Paßvisum hat, wird an der Weiter- reise verhindert. Die Reise wird verlängert und verieuert, ohne daß

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dafür ein Schadenecsaz erfolgt; tatsächlich isst der VPersonen- verkehr gesperrt, die Erschwerungen betreffen abec auch den Güterverkehr und den Bost- und Pafkebverkehr. Hoffentlich er-

veiht es die Regierung wenigstens, daß die deutschen Beamtèa aus dem beseßten Gebiet abziehen tönnen. Polen wird \{ließlid doch merben, daß 28 auf gute Beziehungen zu Deutschland angewiesen i}, wir können aber michi warten, bis die Polen zur Besinnung kommen; die Lage in Östpreuzen verlangt ein schnelles Eingreifen. Die Be- vélkerung bekommt den Gindruck, daß die deutsche Regierung nichts tut. Jch mache die Regierung mit allem Nadruck auf die Gefahr einer Vosreißung Ostpreußens aufmerksam. Ostpreußen ist immer ein gere es Land gewesen, es ift auf Gedeih und Verderb mit Deuschland verburtden. (Qislimmung,) Jch bin sicher, daß die Ab- stimmung in Fm eeusen für Deutschland ausfallen wird, denn es kennt seine Pflicht. Wenn die Verhandlungen mit den Polen zu keinem Ergebnis führen, sollte O. die Regierung an den Obersten Rat in Paris wenden, der doc ein so gutes Verständnis für die Depe ungen Deutshlands hat. Wir müssen verlangen, daß ein Teil der Neichéwehr nah Ostpreußen zur Abwehr des Bolschewi8mus

gesandt wird (Zuftimmung), daß das Verkehrsneß in Ostpreußen ausaœhaut und Ostpreußen wirtscaftlih gestärkt wird. Die Ubgeord- netea Ostpreußens haben diese Wünsche der Regierung bereits vor-

getragen, wir müssen davauf bestehen, daß sie erfüllt werden. Sbließ- lih bitte ih die Reichsregierung, ih auch der Interessen der Stadt Danzig anzunehmen. Danzig hat das Gefühl, daß es durch Deutsch- land im Va gelassen werden Tann; wir müssen sein Deutschtum wahren. (Lebhafter Beifall rechts.)

Neichsmtnister des Auswärtigen Dr. Köster: Meine Damen und Herren! Die Sperrungsmaßnahme der volnischen Regierung, die der Anlaß zu diesex Interpellation ist, \{cheint mir zunächst zu be- weisen, wie recht wir hatten, als wir uns während der Waffen- stillstands- und Friedensverhandlungen mit aller Macht gegen die Einrichtung dieses polntischen Korridors stemmtea. (Sehr richtig !) Sie sceint mir ferger zu beweisen, wie recht wir hatten, als wir diesen polnischen Korridor schon damals eine rein künstliche Kon- stcuktion nannten, die mit gesunden volls- und nattonalwtirischaft- lichen Prinzipien beim Neuaufbau Europas nicht übereinstimmt, ihnen vielmehr direkt ins Gesicht s{chlägt. Drittens {eint fie‘ mir zu beweisen, wie notwendig es ist, daß wir unverzüglih zu jenem definitiven Abkommen mit der polnishen Regierung lommen, auf das wir nach § 98 des Friedensvertrages ein Recht haben. Wir müssen zu diesem Abkommen kommen, wenn wir nicht gänzlich

die im Wort-

*) Mit Ausrahme der Reden der Herren Minister, wiedergegeben werden.