Ländern böses Blut erregt. Fn der Preußischen Lande3versammlung
Haben der Minister der éffentlißen Arbeiten, der Berichterstatter und
eine Reibe von Nednera hiergegen entshieden Verwahrung eingelegt. Daßei ist von fast sämtlicken Rednern mit Einshluß des Vertreters der mehrheitsfozialistisGen Partei betont worden, daß der für Preußen festgeseßie Üebernahmepreis von 306 Milliarden keineswegs zu ho, Fondern durhaus angemessen sei. Pflicht der Loyalität des Reiches gegenüber den Ländern gebietet es die Länder gegen den in dieser Schärfe ausae\sprochenen Vor- wurf in Schuß zu nehmen, zumal dadurch gleichzeitig der Neichs- regierung vorgeworfen wird, daß sie sich von den Ländern habe übers Dhr hauen lassen. Einflußreiche Länder hatten bei den Verhandlungen betont, daß mit Zugrundelegung des Standes der Valuta das 10-fache des FriedenFwertes des statistishen Anlagekapitals in Betracht als angemessen kommen würde, daß sie sih aber mit dem 3—d5-fachen zu- frieden gäben. Demgegenüber habe ih mit aller Schärfe die Länder bor einer Üeberspannung threr Forderungen gewarnt und besonders nackdrüdsid hervorgehoben, daß eine Uecberfapitalisierung und die dadurch unvermeidlicherweise bedingte unerträglihe Tarif- erhöhung nicht etwa nur das Neich shädigen, sondecn daß sich eine unwirt\schaftlihe und unsolide Tarifpolitik, am ehesten bei den Ländern rächen werde, die dadurh naturnotwendig in threr Vexkehrsentwidlunmg und Wirtschaft3gebarung gehemmt und geschädgt würden. Nach langwierigen Verhandlungen haben sih die Länder s{ließlich mit ter Erklärung, daß dies ihr äußerstes Entgegenkommen bedeute, zu dem vorliegenden Kompuomisse bercitgefunden. Wenngleih die Reichsregierung selbstverständli® dem dringenden Wunsch gehabt hatte, mit einem billigeren Uebernahmehpreise abzulommen, so glaubte fie doch aus salichen Erwägungen sich hiermit abfinden und die Verantwortung für ein Scheitern des Staatsvertrages nicht tragemw zu können. Bevor ih Ihnen diese finanziellen Erwägungen der Neichsregierung erörtere, muß ich zum Verständmts der Vorlage eine Erläuterwng über bren Werdegang machen, Der rechtliche Charakter der Vorlage ergibt sich aus seiner Dovpelnatur als Staatsvertrag und Geseß. Ihre Einteilung und ihr wesentlicher Junhalt sind bereits vom Herrn Be- rihterstatter vorgetragen worden. Artikel 171 der Neichsverfassung sah als äußersten Zeitpunkt der Uebernahme der Staatseisenbahnen den 1. April 1921 vor. Mit Zu- qrundelegung der in Weimar hierüber gepflogenen Verhandlungen glaubte das Neichsverlehréöministerium seine Organisation darauf ein- stellen zu follen, daß eine frühere Uebernahme niht angängig sei. Die Greignisse emviesen si kaber als stärker wie diese Vorausbevechnungen. Hochpolitishe, wirtschaftliche, finanzielle und betriebliche Gründe zwangen dazu, einen früheren Zeitpunkt der Uebernahme hevbeiguführen und alles darauf eingustellen, die Ueber- Teitung zum 1. April 1920 zu datieren, Jch will es mir versagen, diese von mir im Ausschusse eingehend dargelegten Gründe hier noch einmal zu wiederholen. Grinnern darf ih Süe nur daran, daß die im November b. J. infolge des vorzeitigen Winters eingetretene Verkehrsnot, die katastrophal auszuarten drohte, das Reich zu durchgreifenden Mecrßnahmen zwang, zumal au die Linder und dio breiteste“ Oeffentlich- Feit. hierauf drängten. Wollte man aber von Neichs wegen der Gefahr zwbünftiger Verlehrskatastrophen rechtzeitig begegnen, dann mußte man dem Neichéverlehrsministerum aub die erforderlichen 3Zwu- ständigkeitem gewähren Dazu halfen aber nit halbe Maß- nahmen, wie sie von manchen Seiten vorgeschlagen wurden, sondern nur ein entsclossener Schritt, der allein in der unverzüglichen Uebernahme des gesamten Eisenbahnneßhes bestehen fonnte. Lagen die politischen Gründe vornehmlich in den fovt- geseßten wnd unerträglichen Störungen des Wirtschaftislebens, Putschen und Streiks, so gesellten sih dazu die wir t\chaftlichen Gründe, bie einen beschleunigten Neuaufbau in einer von einem Ei nheitswillen beseelten Verwaltung bedingten. Jn finanzieller Hinsicht war die Tatsache durschlagend, daß die Länder auf die Dauer die fortgeseßten Fehlbeträge der Gisenbahnver- waltungen umsowenigec tragen konnten, als ihnen durch die neuer- lie Steuerpolitik des Neiches die Steuerquellen abgegraben wurden. Schließlih kam noch das unaufhaltsame Drängen des gesamten Eisenbahnpersonals dazu, das unter allen Umständen dic Uebernahme zum 1. April 1920 ver- langte, weil es unbedingt aus der Unruhe herauskommen wollte und die zum 1. April 1920 vorgesehene Reichsbesoldungsordnung auch für sich vi Anspruh nahm. :
Diese zwingenden Tatsachen stellien das eben erst aus der Taufe gehobene Nerichsverkehrsministerium vor zwei überaus dringliche und \davierige Aufgaben, nämlich die schleunige Fertigstellung des Staats- vertrages für die Uebernahme der Bahnen und die Neugestaltung des gesamten Eisenbahnwesens. Zur Durchführung dieser Aufgaben erwies sh die Notwendigkeit einer Arbeitsgemeinschaft mit Personal und Wirtschaft. Die Arbeitsgemeinshaf: mit dem Personal hat sh durch Angliederung ihrer Organisationen an das Neichsverkehrsministeriuum als durchaus erspricßlih ewiesen. Jr- zwischen ist auch eine Arbeitsgemeinshaft mit Tecbnik und Wirt\chGaft geschaffen worden. Neben dem Hauptaus\huß, der zur Zeit eiwa 65 Mitglieder zählt, besteht ein engerer Ausschuß, zu dem Vertreter der wichtigsten Wirtshaftsgebiete, insbesondere Landwirtshaft und Industrie, Handel und Gewerbe, Verkehr und Presse, gehören. Dabei soll es sich niht etwa um ein na dem fbarren System gebildetes, sondern je nah Bedarf zu evgänzendes und umzugestaltendes Gremium handeln. Dem Ausschusse habe ih bei seiner Errichtung überzeugend dargelegt, aus welchen Gründen eime früheve Zusammenberufung leider niht möglih war. Ausdrücklih hervorheben muß ih hierbei, daß dur diesen Hauptaus- {uß und seine Nebenaus\hüsse keineswegs etwa die Bedeutung der parlamentarisden Körpersckhaften und der im Artikel 93 vorgesehenen Mitarbeit von praktishen Männern des Wirtschaftslebens herabgeseßt werden soll, ebensowenig wie die Mitwirkung der ständigen Tarif- fommission. Der vom Ausschusse vorgeslagene „besondere Be i- rat“ wird demgemäß eine zwedentsprechende Organisation und Zu- sammens{ließung alsbald in die Wege leiten müssen.
Auf Einzelheiten der Vorlage und der hiergegen sprechenden Bo- denkéa will ih in der Vollversammlung mcht mehr eingehen. Nur einen Punkt möchte ih herauSheben. °
Besonderen Anstoß hat § 8 der Vorlage erregt, wonach das Neich zu einer Veräußerung oder Verpfändung der durch diesen
bedarf. Dagu bemerke ich auSdrücklic, daß § 8 nicht eiwa auf Ver- anlassung der Reichsregierung, sondern auf Wunsch der Länder auf-
und namentlih zum Schuße der Gisenbahnobligationäve und sonstigen Gläubiger zu benötigen. Der vom Aus {uß vorges{lagenen Ents{ließung stellt das Neichsverkehrsministerium hiernach keine Bedenken entgegen. Nachdrüklih wroird aber betont, daß die Neichsregierung an eine Veräußerung oder Verpfändung der Eisen- bahnen niemals gedaht hat. Alle entgegenstehenden Ge- rüchte und Aeußerungen entbehren jeder tatfählihen Unterlage. Wenn Hierzu in der Preußischen Landesversammlung der Antrag gestellt wurde, Gisenbahnen als unveräußerlihes und unverpfändbares Gut zu bezeichnen, so wurden durch diesen Vorschlag offene Türen eingerannt.
Der FehlbhetragderkünftigenReichhseisenbahnen von 10 Milliarden fällt niht dem Staatêvertrage zur Last, sondern ist Folge der Verreichlihung, die durh die Verfassung vorgeschrieben ist.
Die Länder hätten einma den gleichen Fehlbetrag. Zu Lasten des Vertrages geht nur die Erhöhung der Zinsen, diese ist aber nit aus- \chlaggebend. Jeßt sind an Zinsen und Tilgung etwa 2 Milliarden auf- zubringen. Die Linder hätten bei 25 Milliarden Eisenbahnschulden mindestens 1 Milliarde aufzubringen, wahrscheinli mit Rücksicht auf die vorhandenen Fehlbeträge noch mehr.
Außerdem kann dem Neichseisenbahnetat bei richtiger Bilangauf- stellung mcht die Zinsklast für die volle Abfindung aufgebürdet werden, weil darin Beträge enthalten sind, die das Reih als Entschädigung ohnehin hätte zahlen müssen, nämlih für die an die Entente abzutretenden Stredcken ({äbungèweise 314 Milliarden) und für die nah dem Weffen- stillstandsvertrage auszuliefernden und für die verlorenen Betriebsmittel noch eiwa 224 Milliarden. Auch die Fehlbeträge von 714 Milliarden Hätten als Kriegsfolge auch ohne Verreicblihung gezahlt werden müssen. Demnach können billigernweise der Eisenbahn nur die Zinsen für etwa 30 Milliarden mit eiwa 1400 Millionen zur Last gelegt werden.
Die Mehvlast von etwa 409 Millionen {lägt bei dem Anwachsen der Ausgaben niht mehr zu Bude. Während die Zinsen im leßten Friedensjahr mit 600 Millionen von 3 Milliarden Ausgaben rund 20 Progent ausmachten, machen sie im neuen Etat der Neichseisenbahnen mit 2 Milliarden bei 20 Milliarden Ausgaben nur noch 10 Prozent aus. Wenn es demnächst gelingt, was gelingen muß, Ausgaben und Ein= nahmen in Einklang zu bringen, dann spielt diese Zinédifferenz keine aus\chlaggebende Nolle.
Eine rei chlicche Abfindung mußte zugestanden werden, aus folgenden Gründen:
1) Neber den eigentliwen Anlagewert konnte hinausgegangen werden, weil mit einer dauernden Geldentwertung zu rechnen ist. (Sehr ribtig!)) Der Zuschlag zum Anllagewert, der. den Ländern im Vergleichwege zugebilligt is, wird ehwa einer Geldentwerbung um ein Drittel entsprehen. Die Länder haben die Verfügung über ihr wert- vollstes Vermögensobjekt aufgegeben. Jhre Behauptung, daß in Zu- Funft bei Wiedereintritt besserer Verhältnisse auch wieder eine Nen te aus den Eisenbahnen herausgewirt\chaftet werden würde, läßt si niht widerlegen, auh werm man dies nicht für wahr- \einlich hält.
2 Es handelt sich nicht um ewe Veräußerung an Fremde, sondern um eine finawgielle Ausgleichung der verschiedenem Staætsorganisalionen des deutschen Wirtschaft8gebietes. Die Abgeber der Bahnen sind zu- glei ihre Erwerber, da das Reich sih in der Hauptsache aus den Eisenbahnländern zusammenseßt. Es wird also nur aus einer Tasche in die andere Tasche gezahlt. Was die Landesangehörigen nah dem Vertrag etwa zu viel erhalten, müssen sie als Neichsangehörige zur Deckung der Fehlbeträge wieder aufbringen, besonders nachdem die ein- heitliche Steuergeseßgebung durchgeführt ist.
3) Eine kleinliche und flarge Bemesswng der Abfindung hätte der Gegnerschaft gegen die Verreichlichung, die noch sehr heftig war, ein starkes Agitation3mittel in dia Hand gegeben. Wenn die deutsche Einheit auf einem ihrer wichtigsten Gebiete gekauft werden mußte, so darf man mcht davor zurückschrecken, auch einen hohen Preis anzulegen.
Im übrigen liegt der Schwerpunkt der Vorlage und dementsprechend auch das Schwergewicht der hiergegen gerichteten Bedenken einmal in den Vorschriften über die Organtsations- und weiter in der Negelung der Finangzfrage.
Was die Organisationsfrage anlangt, so will ih mcht vershweigen, daß auf das unbedingte Verlangen der Länder manche Be- stimmungen haben in Kauf genommen werden müssen, die für die erwünschte möglidchst fessellose Ausgestaltung der Organisation dem Reichsverkehrsministerium niht gerade bequem waren. Das gilt von den Uebergangävorschrifsten wie von der späteren endgültigen Negelung. Aber sie konnten s{chließlich doch als erträglih hingenommen werden, zumal dadurch Hoheitsrehte des Reichs nicht erschüttert werden. Vor- gesehen ist überall die entscheidende Mitwirkung des Neichsrats. Grundlegend ist der Gedanke ciner weitgehenden Dezentrali- sationder Verwaltung, die der maßgebenden Cimheit des Verkehrs keineswegs entgegensteht, sonvdern sie bei sinngemäßer und zwedentsprehender Durchführung erjt ermöglicht.
Auch die Rechte und Jnteressen der eisenbahnfreien Länder sind gebührend gewahrt und geshüßt worden. Hierüber verhält sih ein nach eingehender Beratung mit den Vertretern der Gisenbahnländer festgeleger Vertragsentwurf, der boraussihtlih demnächst rechlsver- bindllih wird.
Weiter wixd zur Lösung der \{wierigen Finangfrage äußerste Sparsamkeit auf allen Gebieten des Botriebs und der Verwaltung sowie der Bahnbauten unerläßlich sein. Natürlich muß auch hier Sparsamkeit zur reten Zeit und am reten Ort gewaltet werden. Notwendige Bauten und sonstige wirtschaftliche Maßnahmen, die der Förderung des Verkehrs nachweislich dienen, durfen selbstverständlich, niht unterbleiben.
Die zur Besserung des Verkehrs dienlichen Mittel, vor allem Förderung der Leistungen des Personals, Steige“ rung der Leistungsfähigkeit des Apparates und finanzielle Regelung sind unverzüglich in Angriff zu nehmen. Hierbei wird die Arbeitsgemeinschaft mit Personal- und Wirtschaftsvertretung an erster Stelle einzusehen haben. Auf eine gut bezahlte und arbeitsfreudige Be- amtenschaft und Arbeiterschaft ist Bedaht zu nehmen. Andererseits sind aber an die Selbstzuht und gesteigerte
genommen worden ist, die diese Bestimmung glaubten zu ihrer Sicherung |!
Unter dem Kompler von Problemen, die si{ch mit der Förderung der Leistungsfähigkeit des eigentlichen Eisenbahnapparates zu beschäf- tigen haben, is am einschneidensten in Verbindung mit der Betriebs- | führung und Verkehrsgestaltung das Werkstättenwesen. Der
Materialmangel, aber aud sonstige beklagenêwerte Umstände, haben den denkbar \ckchädlidsten Einfluß auf das gesamte Werkstättenwesen ausgeübt. Die Werkstättenfrage darf daber tatsäblih als die brennendste bezeichnet werden, zu deren Lösung die tiefgründ:ge Zusammenarbeit mit Personal- und Wirtschaftsvertretung geboten ist. Dabei werten die von den Ländern, besonders von Preußen. unter ‘Zu- ziehung von Sachverständigen geleisteten dankenäwerten Vorarbeiten eine willkommene Unterstüßung bieten. Für die unbedingt erforderliche Erhöhungder Leistungen im Werkstättenwesen wird die zeitgemäße und zweckentsprehende Vereinbarung etnes Lohnsystems und die Gleichartigkeit der Betriebe geboten fein. Sorgfältige Kontrolle des Matertals is mit ußerster Sparsamkeit bei den Beschaffungen zu ver- binden.
Auch der Betriebs- wnd Verkehrsdienst bedarf ciner gründlihen Umgestaltung. Das gilt namentlih von einer zweck- entsprehenderen A u8nubßung des Eisenbahnnetzes und einer rationelleren Regelung des Güterverfkehrs. Auch das wihtige Problem der Einführung des Zwei} flashsensystems wird baldigst zu lösen sein.
Vielleiht darf ich Ihnen nunmehr eigjge Bilder aus deutscher Vergangenheit vorführen, aus der guten alten Zeit, wo man noch mit Millionen rechnete statt mit Milliarden, mit Ueberschüssen ftatt mit Fehlbeträgen, wie sie uns Kriegsverlust und sonstige Folgewirkungen brachten.
Die Eisenbahnen waren vor Kriegsausbruch niht nur in Preußen, sondern auch in den andeven Lindern das Nüclkgrat der Finanzen. Das kam insbesondere darin zum Ausdru daß im Jahre 1913, im Teßten Jahre vor Kriegsausbruch, ein Uebers chuß der preußischen Gisenbahnen îin Höhe von 462,9 Millionen Mark erzielt worden ist, Damals wurde in den Parlamenten darüber gestritten, in welcber Weise dieser Uebershuß zweckentsprehend verwendet umd auf den Cisenbahnetat, wie auf das Gesamtbudget, verteilt werden solle. Dieses Streites sind wir für absehbare Zeit überhoben.
Im Jahre 1914 senkte sih im preußishen Eisenbahnetat der
bershuß auf 1038 Millionen Mark herab, ging aber im folgenden Jahre auf 3851 Millionen Mark und im Jahre 1916 sogar auf 444,9 Millionen Mark in die Höhe. Die Kurve senkte sih dann im Jahre 1917 auf 149,6 Millionen Mark. Das lebte Kriegsjahr 1918 endete sogar mit einem Fehlbetrag von 1712,9 Millionen Mark und das Jahre 1919 steigerte diesen Fehlbetrag auf die enorme Höhe von 43 Milliarden Mark. ;
Aehnlich gestaltete sich die Entwicklung in den übrigen Eisenbahn- ländern, wie sich aus folgender Gegenüberstellung engibt:
Die deutschen Staatseisenbahnen wiesen im Jahre 1913 eime Gesamtbetriebseinnahme von 3,3 Milliarden, gegenüber einer Gesamt- betriebsau8gabe von 2,3 Milliarden Mark, mithin einen Betriebsüber- \chuß von 1 Milliarde Mark auf, Im Jahre 1918 bezifferte sich da« gegen die Gesamibetciebseinnahme auf 4,6 Milliarden Mark, gegen- über einer Gesamlbetriebsausgabe von 5,9 Milliarden Mark, mithin der Betriebsfehlbetrag auf 1,3 Milliarden Mark.
Diese Zahlen beleuhten grell die \chädlichen Eins wirkungen. des verlorenen Krieges, die mit ershreden- der Deutlichkeit sich im Jahre 1919 zeigten. Der Betriebsfehlbetrag beträgt nämlich schäßungäweise für das Jahr 1919 4,951 Milliarden Mark. Auch für das Jahr 1920 ist troß der Tariferhöhungen noch mit einem bedeutendèn Betriebsfehlbetvag zu relmen. Dabei fällt ins Gewicht, daß der Mehrbedarf für die Beamtenbesoldungen 1,8 Mil- liarden Mark und für die Arbeiterlöhne auf Grund des neuen NReich8« tarifvertrages 1,5 Milliarden Mark beträgt. Diese Beträge steigert sich noch dur die vor einigen Tagen von der Nationalversammlung beshlossene Tariferhöhung. Geht man den Gründen dieser enormen Steigerung der Ausgaben nach, so fallen dabei namentli die Au f- besserung der Bezüge der Beamten und Arbeiter, weiter die Wirkung des Ahtstunden-Arbeitstages und dee ständig arscwellenden Au8gaben für Materials preise ins Gewicht. * Besonders nahteilig hat aub die Tatsache gewirtt, daß man in den Ländern sih nur allzu zögernd zu den infolge der ständigen Mehrausgaben unvermeidlihen Tariferhöhungen ent- {lossen hat, Daraus ist die Folge eingetreten, daß seit dem Jahre 1914 die Ginnahmen um 381 %, dagegen die Ausgaben um 614 % gestiegen sind.
Die Frage, wie in Zukunft der Eisenbahnetat angesichts dieser ?rschrelendew Steigerung der Ausgaben zum Balancieren gebraht werden kann, wird begreiflicherweise eine Hauptsorge de3 Reichsve-kehrsministers sein. Diese Frage kann aber, wie sih die Verhältnisse heute gestaltet haben, der Verkehrsminister unmögli allein beantworten. Die Ausgestaltung des Eisenbahnetats und die Entwicklung des Betriebs und Verkehrs wird wesentlih beeinflußt bleiben durch die Art und die Möglichkeit der Lösung der dem Finanzministerium, dem Wirtschafts- ministerium und dem Ernährungs3ministerium zufallenden Aufgaben, Ausshlaggebend ist die Tatsace, baß Finanz, Wirtschaft und Verkehr in engster Wechselwirkung zueinander stehen. Dabei darf nmcht ter- gessen werden, daß durch Putshe, Streiks und sonstige Unruhen alle Vorausberechnungen des Neichsverkehrsministerium3 über den Haufen geworfen werden können. Jm dringenden Interesse der Förderung der Eisenbahn und der Entwicklung des Verkehrs, aber auch der Sicber- heit und Nuhe unseres ganzen Staatsorganismus und der Volkäwirt- schaft liegt es daher, daß wir endliG einmal Nube imLande bekommen und von solh befklagen9werten Störun- gen befreit werden.
Im engsten Zusammenhang mit diesen Finanzfragen steht die grundlegende Frage der Auslegung und yrak- tishen Anwendbarkeit des Artikels 92 der Reits-
verfassung. Nah Artikel 92 soll das Eisenbahnwesen ein
selbständiges wirtshaftlihes Unternehmen sein,
dessen Ausgaben aus den Einnahmen zu decken sind, und bei dem auf
eine Rüklage der Uebershüsse Bedacht zu nehmen ist. Um diese aus
Artikel 92 dem Reichs8verkehrsministerium gestellte schwierige *“fgabe
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Leistungsfähigkeit des Personals die stärksten An-
Vertrag erworbenen Eisenbahnen der Zustimmung der Landesregierungen
forderungen gzu stellen. g
(Fortseßung in der Zweiten Beilage.)
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Zweite Beilage
zum Deutscheu Neihdanzeiger und Preußishen Staat3anzeiger.
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Berlin, Montag, den 26. April
(Fortseßung aus der Ersten Beilage.)
TIösen zu können, wird ihm auf etatlichem und finanziellem Gebiet eine großere Elastizität, Bewegungsfrei- heit und Selbständigkeit einzuräumen ‘sein. der Wunsch aller Kreise des Personals sowie von Wirtschaft und Technik.
Veber die im Flusse befindlichen Vorarbeiten für die not- wendige Neugestaltung des Eisenbahnwesens, die unter ständiger Mitwirkung der Personal- und Wirtschaftsvertretunaen erfolgen soll, will ich mich im einzelnen heute nicht auslassen. Nur so viel darf hervorgehoben werden, daß mit Zugrundelegung der praktischen Erfahrungen aus der Privat- wirtshaft der wirtshaftlihe Charakter des Cisenbahn- unternehmens das bisher zu stark betonte bureaukratis he Moment übenwviegen muß. Namentlich wird dabei die Frage ein- gehend zu prüfen sein, ob unter Wahrung des hierfür genau abzu- grenzenden Etatsrechts des Reichstags der wirtschaftliche Charakter des Eisenbahnunternehmens auch in der Form der Ausgestal- tung des Eisenbahnwesens zum Ausdruck kommen kann. Diese ebenso wichtige wie shwierige Frage muß aus den praktischen Erfahrungen sowohl der Arbeitsvorgänge wie der Wirts- \haftsvorgänge unter sorgfältiger Abwägung aller für und wider sprechenden Erwägungen demnächst geklärt werden.
In diesem Zusammenhange, meine Damen und Herren, muß ich freilich mit Nachdruck betonen, daß die Verkehrseniwicklung durch die Lösung der in Artikel 92 der Reichsverfassung gestellten finanziellen Aufgaben nit aufgehalten werden darf. Gerade darin zeigt sich die Wichtigkeit und Schwierigkeit der dem Reichsverkehrsministerium gestellten Zukunftsaufgaben, daß es mit starker Entschlossenheit der Schrittmaher für Wirtschaft und Finanzen wird. Marschiert der Verkehr, dann ist ein bedeutsamer Schritt getan für Wiederaufrihtung der Volkswirtschaft und Gesundung der Finanzen.
Jn dieser Hinsicht darf ih es als eine erfreuliche und zukunfts- verheißende Tatsache ansprechen, daß sih im deutschen Eisenbahnwesen, und insbesondere in der preußischen Eisenbahnverwaltung, gerade in leßter Zeit eine beträhtlihe Besserung der Leistungen und eine erheblide Steigerung der Einnahmen bemerkbar ge-
hat.
Noch ein S{lußwortk. — Wena ih an die Nationalversammlung amens der Reichsregierung die Bitte richte, troß der vom Aus\Guß geltend gemachten und auch vom Reichsverkehrsministeriuum keines- wegs verkannten Bedenken der Vorlage, entsprechend dem Antrage des Ausschusses, möglichst einmütig zuzustimmen, so möchte ih die Necht- fertigung zusammenfassen in den Gedanken: „Nehmt alles nur in allem, es ist und bleibt doch ein großes natio- nales Werk!" — Für die Durhführung dieser mühevollen Arbeit sprehe ih den ve rdienten Dank aus allen dabei Beteiligten, parlamentarischen Körperschaften und Regie- rungsvertretern, Personal- und Wirtschafisver- tretungen, nicht zuleßt auch der politischen und Fach- presse, deren verständnisvolle Mitwirkung das Zu- standekommen des Werkes wesentlich gefördert hat.
Der heutige Tag, der die Uebernahme des gesamten deutschen Eisenbahnneyes auf das Reich geseßlich festzulegen bestimmt ist, wird in der VBeshichte der deutschen Nationalversamme orisher Bedeutun g bleiben. Tie Reichslokomotiven, die in alle deutschen Gauen die ersten Maiengrüße hinaustragen, sollen in des Reiches scwerster Zeit und bitterster Not ein Sin nb ild sein niht nur für die errungene Verkehrseinheit, sondern weit darüber hinaus für die un- erschütlerlice deute Reichseinheit. Die große Errungenschaft der deutschen Verkehrseinheit soll, \o hoffen wir mit Zuversicht, den Reichsgedanken festigen und stählen, Nord und Süd, Ost und We st gur dauern» den brüderlichen Zusammenarbeit verbinden.
Darum: „Mit Volldampf yoraus zur Förderung des Verkehrs, zur Wiederaufrihtung der Volks3- wirtschaft, zur Gesundung des Deutschen Vater-
Tandes 1!“ (Lebhafter Beifall.) L dem Abg. Gandorfer kurz erllär , daß der i Bauernbuno gegen die Vorlage stimmen müsse, wird
diese unverändert nach den Ausschußbeschlüssen und A A
i itter Lesung in der Gesamtabstimmung 0 A en. Die Entschließungen des Ausschusses werden angenommen.
Jn zweiter und dritter Beratung wird der Geseßentwurf aber Mb M Uta Ang der Gebüh E e S Post- und Telegraphenverkehr ohne r- örterung angenommen.
Es folgt die zweite Beratung des A zur Aus- führung des Artikels 170 der Reichsverfajsung (U e ; : rgang der ódst- und Telegraphenverwi SEAN Bayerns und Württembergs an das A
Berichterstatter Abg. Schil gen (Zentr.) befürwortet die Annahme der Vorlagen. , i:
Neichspostminister Giesberts: Durch die as mit Bayern und Württemberg wird ein wirkli A e postgebiet gebildet. Jch hoffe, daß dadurch auch eine Stärkung F nationalen Einheitsgedankens erzielt wird unter gleidge T» Haltung der Eigenarten der süddeutshen Länder, wie 1m trag vorgesehen ist. | ;
Der Gesezentwurf wird in zweiter und dritter Beratung einstimmig angenommen. : i
l In ertelitamer zweiter Lesung werden darauf die Gesetze über die Telegraphen- und Fernsprechgebühren, über die Postaebühren und über die Aenderung des Postgesebes (Erhöhung des Ersabes für verlorengegangene NRake:e von 3 auf 10 46 für das Pfund) beraten.
Abg. Fis ch e1 - Berlin (Soz.): Im Ausschuß hat sich die Post- verwaltung bereit erklärt, die Erhöhung der Beituna8gebühren eiwas au ermäßigen, Vielleicht könnten durch eine andere Art der Bestellung
Das ist auch ;
die Selbstkosten der Post heruntergeseßt werden. Die Post will für das Telephon eine Hinterlegung von M einführen, weil sie Kapital braucht. Das ließe sich auch dadur erreichen, daß fie die | Postscheckonten verzinst; denn dann würden die PostscheXonteninhaber j hre Guthaben stehen lassen, und der Post stände ohne Zwang mehr Kapital zur Verfügung. Durch die GCrhöhung der Zeitungsgebühren würden eine ganze Reihe von Gewerk\chaftszeitungen und rein tech- nishe Zeitungen eingehen müssen. Ih möchte Sie bitten, die Zeî- tungsunternehmer nit allzusehr zu belasten, damit ihnen ihre (ristenz nichi genommen wird.
Abg. Trimborn (Zentr.): Jch beantrage, die Erhöhung der Zeitungsgebühren erst am 1. Oktober eintreten zu lassen. Die Kei- tungen sind tatsälich in einer schwierigen Lage, namentli die kleine | Presse. Hier find die Zustände wirklih besorgniserregend. Durch das | - Hinaus\chieben des Termins auf den 1. Oktober ist es den Zeitungen möglich, sih darauf einzurichten.
NMeichspostminister Giesberts: Infolge der Erhöhung der Beamtengehälter sind wir leider gezwungen, hohere Gebühren festzu- seßen. Eine Bankerottwirtschaft können wir mt machen. Jch habe volles Ginverständnis für die [chwierige Lage der Presse. Wir versuchen aber nur, das Defizit herauszuholen und haben schon die Grhohung auf das geringste Maß beschränkt. Auf den Vorschlag des Abgeord- neten Trimborn, die Erhöhung für die Zeitungsgebühren erst am 1, Oktober in Kraft treten zu lassen, bin ich gern eingegangen. Das Defizit der ReichMpostverwaltung wird durch die Gebührenerhöhuns- um kein Jota vermindert. Eine Reform des Scheckwesens erstrebe b schon lange, eventuell in Verbindung mit einer Neichs\sparkasse. Doch find hiergegen in weiten Kreisen große Bedenken erhoben worden. Augenbli#lich strömt uns das Geld im Scelwesen auch ohne Ver- zinsung in sehr großem Maße zu. Wenn wir die Verzinsung der Schectgelder einführen wollten, würde uns das tährlich 6 Millionen Mark kosten. Die Reparaturarbeiten an den Fernsprech- und Tele- graphenleitungen, die seit Jahren micht ausgeführt worden sind, er- fordern mindestens anderthalb Milliarden Mark infolge der ungeheuren Erhöhung der Materialpreise. Es ist also die pure Not, die uns zwingt, die Gebühren zu erhöhen,
Abg. Nu \ch ke (Dem.): Die Teuerung wirkt niht nur auf die Post, sondern auf die ganze Privatwirtschaft. Die Post soll den Berkehr fördern und mcht eine Einrichtung sein, die ih selbst be- zahlt maht. Die Post muß zu Methoden kommen, wie sie sih auch für die Privatwirtschaft ergeben, durch einfahe Preiserhöhung kann man das Minus micht ausgleichen, Reorganisationen sind notwendig. Man solle niht achtlos an den Eingaben des Verbandes zur Förderung des deutschen Außenhandels vorübergehen, der u. a. die Schaffung eines einheitlichen Formats für den Briefverkehr empfiehlt. Mürde dieses eingeführt werden, so würde Abstempelung, Ver- paEung und manches andere vereinfaht werden können. Man könnte | auh ein Normalkuvert herstellen, in dessen Bezug gleih das Porto mitbevechnet ist, dann könnte auch die Abstempelung wegfallen. Es | wäre vielleilt aub zu erwägen, ob man nicht die Scheidung zwischen | f Drucksachen, Ware b Geschäftspapieren und auch die
Bir müssen zu
Yries[e Mavenp1r0oven, Untergruppierwng na Geroicht aufgeben fönnte. : n solchen grundlegenden Reformen kommen, dadurch erzielt man höhere Einnahmen und kann die Gebühren herabsegen. Jn den Tarif- | erhöhungen sehen wir eine fatastrophale Belastung des Verkehrs. Die Vorlage betrachten wir als ein Provisorium, es geht mcht an, daß auf die Dauer die Gebühren um ein Vielfaches erhöht werden. Gin Postabholefah kostet künftig 30 M, bisher 16 Æ, in Bayern hat man nichts dafür genommen, die Post hat sogar au dabei ein gutes Geschäft gemacht, weil sie das Personal ersparte. Es ift un- möglich, die Postgebühren für Zeitungon gleichmäßig zu gestalten ohne Nücsicht davauf, ob die Zeitungen von dem Empfänger abeholt werden oder diesem zugestellt werden müssen. Die Post muß aus der bürofratischken Versteinerung herauskommen, de guten Er- \cheinungen der alten Privatpost soüten micht ausgeshaltet werden. Meine Partei hat sich nach sehr ernster Prüfung entschlossen, gegen die Telephonanleihe zu stimmen. (Beifall.) Diese Zwangsanleihe ist die unwirt\caftlicste Form, die man sih denken kann, namentlich die wirtschaftlih Schwachen werden dadurch getroffen, die Hebamme, der kleine Handwerker, die unbedingt einen Fernspreher haben müssen. Die Zinsberechnung für diese Anleihe erfordert einen besonderen bürcfratisden Apparat, namentlih, weil die 1000 Æ gu ver- schiedenen Terminen einbezahlt werden. Es besteht bei der Post eine Stelle für Reformen, kommt aber ein Erfinder mit Vorschlägem, so wird er abgewiesen, diese Stelle darf in Zukunft nicht mehr als Abwehrkanone angesehen werden. (Beifall,)
Abg. Bruhn (D. Nat.): Was man den Zeitungen für hre Fortexistenz in anderen Nessorts bewilligt hat, nimmt ihnen jeßt die Postvermaliung wieder ab. Die in längeren Zwischenräumen er- iheinenden Zeitungen, 3. B. Sonntagéblätter, müssen unter den neuen Lasten erliegen.
Abg. Dr. Mo stff (D. V.): Bei der ungeheuren Steigerung der Fernsprechgebühren wird der Mittelstand niht in der Lage sein, den MWettbeweb mit dem Großunternehmertum aufreht zu erhalten. Gerade im Hinbli® auf die Vertewerung des Straßenbahnverkehrs iffst dieses Experiment auf Kosten des deutschen Wirtschaftslebens doppelt bedenklih. Man sollte sehen, ob nicht in andeven Teilen der Neichaverwaltung Ersparnisse erzielt werden können um die Minder- ! einnahmen der Post zu deten. Nichts läßt sich leichter erlernen, als reine Fisfalität und Bürokratie. Das zeigt sich auch hier. ‘ Postminister hätte uns nachweisen müssen, daß alle anderen Mittel ershöpft waren, ehe er diesen Weg beschritt. Wir beantragen die Gleich®ellung der Ortstelegramme mit den Pressetelegrammen, also die Beförderung auch der ersteren zum halben Preise. Wir bitten ferner, den § 10 und damit die f jehr anfehtbare Zwang8anleihe zu streichen, mindestens aber für bestehende Telephonansclü e eine Gnt- lastung cintreten zu lassen und eventuell, wenn die Zwangsanleihe doch Da werden sollte, die Zahlung in Kriegsanleihe zuzulassen. Der Postminister hat erklärt, er braute Geld, weil seit 1914 keine Reparaturen im deutschen N ROnLN vorgenommen seien; warum sollen dann aber die unglücklihen Telephonteilnehmer diese Unter- lassungssünden n Auf den Gedanken, es mit einer freiwilligen Anleibe bei den Interessenten zu versuchen, scheint die Verwaltung Œ mt gekommen ju sein. Wir beantragen s{ließlich eine neue
ala der Telephonsäße; wir gestehen eine gewisse Erhöhung der Säße als unumgänglich zu, lehnen aber die ungeheuerlihen Säße ab, ohne die die Verwaltung niht auskommen zu können erklärt. Sie selbst nimmt ja einen Rükgang des Verkehrs um 34 % an; tatsächlich wird bei solcher Verteuerung der Ausfall noch viel größer sein. Wir balten 20 Pfg. für die Postkarte, 30 Pfg. für den einfahen Brief für ausreichend.
Ministerialdirektor R un ge wendet sich gegen den Antrag der Deutschnationalen auf weitere Verbilligung der Gebühren für die Beförderung der seltener als einmal täglid erscheinenden Presse, be- sonders der Sonntagsblätter. Er legt dar, daß eine solhe Maß- nahme einen folossalen Minderertrag bringen wird, suht nachzu- weisen, daß sie zugleih eine kolossale Belästigung für den Postdienst bedeuten würde, da sie ein zweites Gebührensystem und damit eine wesentlihe Verstärkung des Beamtenapparates notwendig mache.
Ein Vertreter des Reichsfinanzministeriums: Dem Reibe bleibt nichts anderes übrig, als eine Zwangsanleihe bei den Jnieressenten einzuführen. Mehrheit der Telephon-
Fur die /: Telephon teilnehmer ist die Zwangsanleihe keine Härte. Wenn Bedürftigkeit
rueren, I
19h20,
vorliegt, so soll darauf Nücksi&t genommen werden. Jch bitte, dit gestellten Anträge niht anzunehmen.
Abg. et (N. Soz.): Weite Kreise unseres Volkes werder dur die Gebührenerhöhungen schwer belastet. Die Herren haber es sh sehr leiht gemach! und einfah Position um Position um 100 % oder mehr erhöht. Der Verband säcsisher Industrieller sag! in einer Cingabe, daß die Erhöhung offenbar die Grenzen, die Handel und Verkehr ncch tragen können, übershreiten. Vie Postverwaltung sheint nicht geprüft zu haben. ob nicht durŸ die Vereinfahung dei Verwaitung eine Verminderung der Ausgaben herbeigeführt werden kann. Wenn die Kräfte, die in großer Zahl im Postbetriebe vor- banden sind, m den Len Plab gestellt würden, und man namenk- lich das Aufsihtspe:sonal auf das notwendige Maß einschränkte, brauhte man nicht derartige Erhöhungen zu fordern. Nach unten wird gespart, nah oben muß aber für die Speichellecker Plaß ge- schaffen werden, wo im wahrsten Sinne des Wortes gespart werden fönnte. Das Publikum wird als melkende Kuh betracbtet. Jett kommt auf zwei Arbeiter ein Aufsichtsbeamter, das nenn. man }paren. Durch die Verteuerung der Zeitungsacbühren würde namentli die
rovinzpresse sehr leiden; auch sie ist durch die Verteueruna von Papier, Farbe usw. sowieso schon sehr in Mitleidenschaft gezogen. Für uns sind die Erhöhungen unannehmbar. i
Abg. Jrl (Bayer. V.): Wir stimmen der Vorlage nur mit \ckwerem Herzen zu, der Ersckaverung des Telephonverkehrs können wir abei im Interesse der Gewerbetreibenden nit unsere Zustimmung geben. Bei dieser gewaltigen Verteuerung kann sih höocjtens ein Schieber ein Telephon leisten, niht aber der Gewerbestand. Zum mindesten sollte man einen Unterschied machen zwischen den Zeil» nehmern, die den Fernspreher geshäftli haben müssen, un? denen, die den Anschluß zum Privatbedarf haben. e
Neichspostminister Giesberts: Für Reformvorschläge im Postwesen Lin ih jederzeit zu haben, wir können aber den Betrieb nicht reformieren, wenn wir kein Geld haben. Ich müßte die Ver- antworbung ablehnen für alle Klagen über dén Betrieb.
Der Antrag Dr. Most, betreffend Ermäßigung der Orts telegramme, wird abgelehnt. Mit geringer Mehrheit bleibt 8 3 (Fernsprechteilnehmerbeitrag von 1000 H) aufrechterhalten. Für die Streichung slimmen die beiden Parteien der Rechten, die Bayerische Volkspartei, die Demokraten und die Unabhän- aigen Sozialdemokraten. Auch die Befreiung für die bereits bestehenden Anschlüsse wird abaelehnt, ebenso die Zulässigteit der Leistung in Kriegsanleihe.
Das Haus erledigt die Vorlage, betreffend Delea graphen- und Fernsprehgebühren, in dritter Lesung nach den gleichen Beschlüssen. :
Bei der zweiten Beratung des Geseventwurfs über dis Postgebühren wird der neue Portotarif angenommen, der Antrag der Deutschen Volkspartei auf Annahme einer er mäßigten Skala abgelehnt. Der Antrag Arnstadt (D. Nat.), betreffend billige Tarifierung der weniger als einmal täglich erscheinenden Blätter, wird angenommen. Nach dem Antrag Trimborn wird beschlossen, die erhöhten Zeitungsgebühren erst am 1. Oktober in Kraft treten zu lassen. „Auch diese Vorlage wird in sofortigec dritter Beratung angenommen.
Die Novelle zum Postgeses vom 28. Oktober 1871 (Ersaß für verlorengegangene Pakete — 10 4 statt einen Taler —) wird gleichfalls in zweiter und dritier Lesung angenommen.
Es folgt die erste Beraiung des Gesegentwurfs über dic Erhebung einer Abgabe zum Baukostenausagleich.
Präsident Dr. Fehrenbach: Bei der kurzen Dauer unserer Tagung hat es der Aeltestenaus\{uß für unmögli erklärt, dieses schwierige Geseß noch zu erledigen.
Reichsavbeiisminister Schlie: Meine Damen und Herren! Verzeihen Sie zunächst, wenn ih es wage, jeßi noch vor diesem „volb- beseßten“ Hause eine Rede zu halten. Ih möchte bitten, das Geseh heute wenigstens noch an der. Wohnungsausschuß zu verweisen. (Widerspruch rechts.) Die Sache liegt folgendermaßen. Wird hier nicht ein Ausweg geschaffen und gelingt es nicht, Mitte! bereitzustellen zum Bauen, so stockt füc dieses Jahr die ganze Bautätigkeit. Ohne Zuschüsse zu bauen, ist vollständig ausgeschlossen. Das Reichsfinanz- ministerium aber — das wissen Sie alle selbst -— kann die Mittel nicht zur Verfügune, stellen; es muß also ein Weg gesuht werden, anderweitig Mittel aufzubringen, um die Bautätigbeit fortzuseßen, Mit dem Zusaramenbruch der Bautätigkeit steigt selbstverständlich wieder die Arbeitslosigkeit, und wird davon niht nur das Baugewerbe betroffen, sondern sämtliche davon abhängigen Gewerbe.
Ich gestatte mir au darauf hinzuweisen, daß erst am 15. d. M. das Haus beschlossen hat, die Regierung aufzufordern, eine Gesehes- vorlage einzubringen, die gerade die Baukostenzuschläge regeln soll. Das is ungefähr vor zehn Tagen gewesen. Nun meine ih, wenn das Geseß hier und da Bedenken auslöst — das hat sih ja bei der Be- ratung im Reichsrat gezeigt —, so sollte wenigstens durch Ueber- weisung des Geseßes an den Ausschuß die Möglichkeit gegeben werden, zu prüfen, ob nicht ein Au9weg zu findon ist, wie hier Abhilfe ge-
schaffen werden kann. Vielleicht können durch ein Notgeseß die Mittel in irgend einer Weise bereit gestellt werden, damit noch in diesem Jahre gebaut werden kann,
Jh möchte Sie daher bitten, den von mir gemachten Vorshlag anzunehmen und die Vorlage dem 2. Aus\chuß zu überweisen.
Abg. von ur (Dem.): Der Aelteftenrat war uis der Ansicht, daß die Erledigung dieses Gesehes vollständig unmögli sei. Alles hat seine Grenzen, auch die Leistungsfähigkeit dieses
auses. Der Stoff f nicht durchsihtig genug, daß sih darüber in rzer Frist eine geschlossene Meinung bilden könnte.
Abg. Löbe (Soz.): Jh möchte der Regierung dob nicht die
Möglichkeit vershließen, mit dem Ausschuß darüber zu sprechen, ob wir einen Weg zur Hebung der Bautätigkeit finden. Wehr wird
ja nit herauskommen. ; A Abg. Dr. Runkel (D. V.): Aub ih halte es für möglich, daß wir uns am Dienstag mit der Vorlage weiter beschäftigen können. Dec Antrag der Demokraten auf Absezung wird abgelehnt und die Ueberweisung an den Wohnungsausschuß beschlossen. Der Auz:shuß für Volkswirtschaft beantraat in Verfolg eines Antrages des Abgeordneten Hermann (Dem.), den Reichsfinanzminister zu ersuchen, zu verfügen, daß beim Er- werb von Heeresgütern durch Zentralgenossenschaften die Zah- lung in Kriegsanleihe auch dann gestattet sein soll, wenn die Genossenschaften Zeichnungsnachweise der ihnen angeschlossenen Einzelgenossenschaften oder der Mitglieder der leßteren vor-
| legen. Der Berichterstatter Aba. Hermann bemerkt, daß der frühere Finanzminister eine bezügliche Zusage gegeben hat,